DIE ERNÄHRUNG VOLUME 41 | 06 2017

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DIE ERNÄHRUNG Österreichische Zeitschrift für Wissenschaft, Recht, Technik und Wirtschaft

VOLUME 41 | 06 2017

Süßer Erfolg, den man eben mag ÖSTERREICHISCHE POST AG MZ 14Z040109 M SPV PRINTMEDIEN GMBH, FLORIANIGASSE 7/14, 1080 WIEN

Seite 04

CSI: Lebensmittel Seite 30

Essen lernen – aber wie? Seite 38

ABSTRACTED IN CHEMICAL ABSTRACTS ABSTRACTED IN SCOPUS


2 wirtschaft economy

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3 inhalt content

INHALT —

04

Liebe Leserin, lieber Leser,

WIRTSCHAFT economy

04 Süßer Erfolg, den man eben mag 08 Vegan-Zertifizierung 12 Der Kampf zwischen Aufklärung und alternativ-faktischer Verdunkelung 14 Auf den Spuren der Fipronil-Eier 16 Futtermittellösung 19 Food Contact Materials: Fazit und Ausblick 22 100 Jahre Trinkwasser-Codex 24 BIOFACH wächst weiter 26 Obst und Gemüse: pathogene Keime

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TECHNIK technology 28 Frozen Bakery 30 CSI: Lebensmittel

38

WISSENSCHAFT science 38 Essen lernen – aber wie? 40 Mehr Gemüse, weniger Fleisch!

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RECHT law 42 EUGH zu Dextro Energy GmbH & Co KG gegen Kommission 44 Neue Regeln für neuartige Lebensmittel 11 Impressum

TERMINE __ 19.–28.01.2018

27.–28.01.2018

28.-31.01.2018

BERLIN Internationale Grüne Woche Berlin 2018 Berlin ExpoCenter City

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das Thema Ernährungsbildung beschäftigt uns auch in dieser Ausgabe. „Es ist wichtig, Konsumenten den richtigen Umgang mit Lebensmitteln und Ernährung aufzuzeigen und einen gesunden Lebensstil in den Fokus zu setzen“, sagt Komm.Rat Mag. Dr. Hans Peter Andres. Erfahren Sie im Gespräch mit dem Vorstand von Manner, wie sich der Markt für Süßwaren entwickelt und wie das Unternehmen auf neue Trends reagiert. Bei der „richtigen“ Information setzte auch das Symposium „Essen lernen – aber wie?“ des forum. ernährung heute im September an. Es braucht mehr Bewusstseinsbildung, mehr Praxis und lustvolles, lebenslanges Lernen, so der Tenor. Dies untermauert der Österreichische Ernährungsbericht. Er zeigt im Vergleich zu 2012 bei Erwachsenen erstmals eine Stagnation bei Übergewicht und Adipositas. Doch ausgewogene Ernährung in Kombination mit Faktoren wie Bewegung und Stressabbau bleibt ein wichtiges Thema. Beim Fachverband der Lebensmittelindustrie laufen die Mühlen auf Hochtouren. Wir arbeiten intensiv an unserer Wissensplattform „Österreich isst informiert“. Darin bieten wir Einblicke in die Herstellung von Lebensmitteln, Eckdaten zur Branche und Tipps für Verbraucherinnen und Verbraucher. Schon bald können wir Ihnen erste Eindrücke präsentieren. Bleiben Sie gespannt!

Katharina Koßdorff

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4 wirtschaft economy

SÜSSER ERFOLG, DEN MAN EBEN MAG Interview DIE ERNÄHRUNG SPRACH MIT KOMM.-RAT MAG. DR. HANS PETER ANDRES, VORSTANDSMITGLIED DER JOSEF MANNER & COMP. AG, ÜBER DEN MARKT FÜR SÜSSWAREN, DAS ERFOLGSGEHEIMNIS DES GRÖSSTEN SÜSSWAREN­ HERSTELLERS ÖSTERREICHS UND DESSEN VERBUNDENHEIT MIT WIEN. OSKAR WAWSCHINEK

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ie Ernährung: Wie ist Ihr Unternehmen aufgebaut und wie auf die Zukunft ausgerichtet? Welche Schwerpunkte setzen Sie? Hans Peter Andres: Die 1890 gegründete Josef Manner & Comp. AG ist als Spezialist für Waffeln, Dragees und Schaumwaren die Nummer 1 am österreichischen Schnittenmarkt und die Nummer 2 am gesamten österreichischen Süßwarenmarkt. Zur Manner Familie gehören neben den berühmten Manner Neapolitaner Schnitten mit Haselnusscreme unter anderem auch die Marken Casali mit den beliebten Rum-Kokos-Kugeln und Schokobananen, Napoli mit dem Klassiker Dragee Keksi sowie die beliebten Mozartkugeln von Victor Schmidt und Ildefonso. 2016 erzielte Manner einen Umsatz von Mio. 199,5 Euro, wir stellen insgesamt ca. 48.000 Tonnen Süßwaren her. Die Zentrale befindet sich in Wien/ Hernals, die Produktion findet ausschließlich in Österreich statt. In Wien produzieren wir Mehl-verarbeitend also Schnitten, Biskotten, Kekse etc., und in Wolkersdorf Schokolade-verarbeitend, wie etwa Rumkugeln oder Schokobananen. Manner Produkte werden weltweit in ca. 50 Ländern vertrieben, eigene Vertriebsbüros sind in Deutschland, Tschechien und Slowenien aktiv.

Wie ist die Situation am Markt für Süßwaren aus Ihrer Sicht? Andres: Süßwaren nehmen im Leben einen besonderen Stellenwert ein. Es ist der kleine Genuss, den man sich hin und wieder gönnt und der den Moment besonders macht. Der Trend zeigt, dass die Konsumenten immer bewusster Süßwaren genießen. Sie wollen wissen, wo das Produkt herkommt, wo es produziert wird, ob das Unternehmen nachhaltig agiert und welche Zutaten verwendet werden. Wie beurteilen Sie die Situation und Marktmacht im österreichischen Handel – wie gehen Sie damit um? Andres: Die Handelskonzentration in Österreich ist sicherlich eine He­ rausforderung für jeden Produzenten, aber wir sind ja schon einige Jahre am Markt und sehen uns dieser Marktbesonderheit nicht erst seit kurzem gegenüber. Ich denke, mit konsequenter Markenführung, Innovation und Nachhaltigkeit schaffen wir es, für den Handel ein guter und verlässlicher Partner zu sein, um die Konsumentenwünsche bestmöglich zu erfüllen. Mit einer Exportquote von 60%, eigenen Manner Geschäften in Österreich und der Nutzung alternativer Vertriebskanäle sind wir davon

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NNER

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überzeugt, für die Herausforderungen des Marktes gewappnet zu sein. Was sagen Sie zur Eigenmarkenentwicklung des Lebensmitteleinzelhandels? Ist das eine Gefahr für Markenartikel wie Manner? Andres: Manner ist der größte Süßwarenhersteller Österreichs und Marktführer in einigen Süßwarenkategorien. Für die österreichischen Marken Manner, Casali, Napoli, Victor Schmidt und Ildefonso stellen sowohl multinationale Marken mit vielfach größeren Budgets als auch Eigenmarken große Herausforderungen dar. Wichtig ist es, sich von den vielen Mitbewerbern unterscheiden zu können. Zum einen markenrechtlich, aber auch durch Rezepturen, so ist beispielsweise jene der klassischen Manner Neapolitaner Schnitte ein bestgehütetes Geheimnis, um Nachahmern möglichst wenig Chancen zu gewähren. Manner setzt auf Marke und Eigenmarke. Damit schaffen wir es, größere Anschaffungen zu finanzieren und für Auslastung an unseren Maschinen zu sorgen. Die Mannerschnitte gibt es aber in der Qualität und mit der Rezeptur nur von Manner. Wir differenzieren hier. Wie sehen Sie die Diskussion über „Dual Quality“? Sie standen in der Kritik und haben Vertreter der CEE eingeladen.


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Andres: Sämtliche Manner Produkte enthalten die in der Zutatenliste angeführten Rohstoffe – die Rezeptur der im In- und Ausland beliebten „Mannerschnitte“ ist seit vielen Jahren unabhängig vom Zielmarkt, Land oder Kunden unverändert und einheitlich. Mit einer Exportquote von etwa 60% und hohen Qualitätsansprüchen haben diese Anschuldigungen der „doppelten Qualitätsstandards“ zu einem falschen Eindruck unseres Unternehmens in den Ländern geführt und unserem Ansehen geschadet. Der in einigen Ländern vermeintlich erkannte Geschmacksunterschied bei unseren Waffeln begründet sich vermutlich aus der Summe von natürlichen (z.B. Abweichungen im Geschmack von Kakao oder Haselnüssen) und technologischen Schwankungen (wie etwa im Backprozess) mit üblichen Produktionstoleranzen.

Welche Vor- und Nachteile hat der Standort Österreich aus Ihrer Sicht? Andres: Der Standort bietet eine ideale Infrastruktur, gut ausgebildete Arbeitskräfte, ein sehr gutes öffentliches Verkehrsnetz und ist auch ein perfekter Standort für unsere Exportaktivitäten. Die hohen Lohn- und Lohnnebenkosten sind sicherlich ein Nachteil des Produktionsstandorts. Und ein Grund, warum die meisten unserer Mitbewerber mit ihrer Produktion in Billiglohnländer ausgewichen sind. Für Manner undenkbar. Warum haben Sie die Produktion mitten in Wien ausgebaut, statt auf die sprichwörtliche „grüne Wiese“ eine optimierte Fabrik hinzustellen? Andres: Wien und Manner sind starke Marken, die eng verbunden sind. Der Shop am Stephansplatz ist das perfekte

© MANNER/NOLL

Was ist das Erfolgsgeheimnis des Unternehmens? Wie schätzen Sie den Spagat zwischen Geschichte und Innovation ein? Andres: Das Erfolgsgeheimnis ist nicht einfach zu erklären. Es sind sicherlich viele Faktoren, die Manner zur Kultmarke machen. Die lange Tradition – Manner gibt es seit 1890 – die Verbundenheit mit Wien und Österreich und das Bekenntnis zur Qualität einerseits und die konsequente Markenführung anderseits sind sicherlich Erfolgsfaktoren.

Beispiel dafür. Befragungen zeigen uns, dass Konsumenten Manner spontan mit Wien assoziieren. Auch auf unseren Verpackungen haben wir den Schriftzug „Manner Wien“ abgebildet. Es ist uns daher wichtig, mit Wien eng verbunden zu sein. Aber die Entscheidung, den Standort Wien auszubauen, war nicht nur eine „Herzensentscheidung“, sondern wirtschaftlich gerechtfertigt. Durch das neue Konzept der „Vertikalen Produktion“, das wir gemeinsam mit der TU Wien entwickelt haben, schaffen wir es, die Effizienz in der Produktion zu steigern. Denn uns ist auch klar, dass der Konsument für die Mannerschnitte nicht mehr zu zahlen bereit ist, weil wir

inmitten von Wien produzieren. Daher müssen wir ein optimales Produktionsumfeld schaffen, das mit internationalem Wettbewerb mithält. Ziel dieser Modernisierung der Fabrik ist es daher, die Effizienz und die Flexibilität zu steigern, um für die Zukunft optimal gerüstet zu sein. Auch durch das Soundlogo für die Marke zeigt sich die Verbundenheit mit Wien. Zu hören ist eine Kombination aus einem Geigen-Pizzicato und der Pummerin, der Glocke aus dem Stephansdom. Das spiegelt die Herkunft Wien, die Manner Wurzeln und die Verbundenheit mit der Schutzmarke Stephansdom wider.

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Seit über 35 Jahren übernimmt Manner etwa die Lohn- und Lohnnebenkosten für einen Steinmetz am Stephansdom als Zeichen für die enge Verbindung zwischen dem historischen Bauwerk und der Kultmarke, die das Wiener Wahrzeichen seit 1889 als Schutzmarke führt. Auch die rosa Liliputbahn oder die rosa Manner Straßenbahn sind sichtbare Zeichen der Verbundenheit mit Wien.

tiert das Arbeitszeitgesetz die Möglichkeit, in der Was halten Sie von AnProjekt­arbeit Spitzen abzusätzen wie Zucker- und decken. Wir erfahren immer Fettsteuern oder Werbewieder, dass Mitarbeiter gerverboten? Sind das AnNNER © MA ne Mehrarbeit in Spitzenphasätze, die Ihrer Meinung nach sen leisten würden, aber aufgesellschaftliche Probleme wie Adipogrund der Gesetzeslage eingeschränkt sitas, Bluthochdruck etc. – meist im Zusind. Produktivität und Wirtschaftlich- sammenhang mit mangelnder Bewegung keit leiden darunter – auch für Mitar- – lösen können? beiter ist das oft nicht verständlich. Andres: Eine Zuckersteuer erachten Gerade von jüngeren Arbeitnehmern wir nicht als sinnvoll. Es ist wichtig, Welche Wünsche haben Sie jetzt nach kommt oft der Wunsch – auch in Hin- Konsumenten den richtigen Umgang der Wahl und mitten in den Koalitions- blick auf die Work-Life-Balance – , sich mit Lebensmitteln und Ernährung aufdie Zeiten freier einzuteilen. verhandlungen an die Politik? zuzeigen und einen gesunden Lebensstil Andres: Manner hat in etwa 700 mit sportlichen Aktivitäten in den Fokus Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Wie sehen Sie die Situation in Ihrer zu stellen. Wir haben keinen versteckArbeitnehmerschutz ist uns als Famili- Branche – welche Themen und Proble- ten Zucker oder kommunizieren unenunternehmen sehr wichtig. Dennoch me bewegen Sie? sere Süßware auch nicht als besonders sehen wir, dass das Arbeiten und auch Andres: Rohstoffpreise und die Ver- „gesund“. Wir sind noch immer eine die Arbeitszeiten sich ändern und Ar- fügbarkeiten von Rohstoffen sind bei Süßigkeit oder „Nascherei“, und das beitszeitflexibilisierung immer wich- Manner ein „Dauerthema“, aber auch schmeckt nicht ohne Zucker. tiger wird. Das Arbeiten in Projekten Themen wie die aktuelle Zuckerdiskusnimmt stetig zu und genau hier limi- sion verfolgen wir aufmerksam. Wie ist Ihre Reaktion als Unternehmen auf gesellschaftliche Trends wie vegan oder vegetarisch, glutenfrei bzw. geneabout rell „Free from ...“? Andres: Trends berücksichtigen wir natürlich in unserer ProduktentwickZum Unternehmen lung, springen aber nicht auf jeden Zug — auf, der gerade „in“ ist. Unsere Mannerschnitte etwa ist schon seit ihrer Erfindung vegan. Das loben wir jetzt verstärkt wurde zum führenden Süßwarenunaus, z. B. mit dem Vegan-Logo oder einer ternehmen der österreichisch-ungaPrintkampagne mit dem Slogan „Schon rischen Monarchie. Am Ende dieser vegan, bevor man wusste, was das ist“. Entwicklung stand die Umwandlung Unsere Vollkornschnitte ist so ein Trend in eine Aktiengesellschaft. Die weltder Zeit. Vor vielen Jahren hatten wir berühmte Schnitte wurde 1898 erstJosef Manner I. gründete die Süß- mals als „Neapolitaner Schnitte No. schon einmal versucht, die Vollkornschnitte zu lancieren, aber ohne Erfolg. warendynastie im Jahre 1890. Am 239“ urkundlich erwähnt. 2011 haben wir dann erneut die ManStephansplatz verkaufte er Schokola- Die Produktion findet ausschließlich ner Vollkornschnitte gelauncht mit verden und Feigenkaffee. in Österreich statt. Manner Produkte änderter Rezeptur. Mit 100% Vollkorn Josef Manner war Erzeuger, Verkäu- werden weltweit in ca. 50 Ländern und 30% weniger Zucker als der Klasfer und Werbeagent in einer Person vertrieben. Manner ist der größte siker liegt die etwas dunklere Schnitte und lieferte oft auch selbst die Ware rein österreichische Süßwarenbedurch perfekte Ausgewogenheit und Geaus. Noch im Gründungsjahr zog Jo- trieb, der die Schokolade noch von schmack im Trend der Zeit und schaffte sef Manner aus Platzmangel in das der Bohne weg verarbeitet. es auf Platz 2 hinter dem Original. Haus seiner Eltern in Wien XVII, Qualität und Nachhaltigkeit werManner hat einige Vollkorn-ProdukUniongasse 8, später Kulmgasse 14. den bei Manner seit über 125 Jahren te am Markt, die beim Konsumenten Bald entstand rund um das Eltern- großgeschrieben. Das Unternehmen sowohl im Geschmack als auch hinhaus eine Fabrik. 1897 zählt der Be- ist IFS-zertifiziert und verwendet sichtlich bewusster Ernährung punktrieb erstmals 100 Mitarbeiter. Rohstoffe, die z. B. Fairtrade, UTZ, ten. 2016 launchte Manner die ManDer Aufstieg der Firma setzte sich RSPO-Siegel tragen. ner Milch Haselnuss Vollkornflakes unter Josef Manner und dem 1900 Manner erzielte mit rund 700 Mitim handlichen 25g Snacking Format. eingestiegenen Kompagnon Johann arbeitern 2016 einen Umsatz von Aber auch das Manner Knusper Müsli, Riedl stetig fort. Modernste Maschi- rund 200 Millionen Euro und stellte das 2016 die Manner Range verstärknen wurden angeschafft und Manner ca. 48.000 Tonnen Süßwaren her. te, schmeckt nicht nur hervorragend, ERNÄHRUNG | NUTRITION  volume 41 | 06. 2017


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Wie wird in Ihrem Unternehmen mit dem Thema Nachhaltigkeit umgegangen? Andres: Nachhaltigkeit ist für uns mehr als nur ein zeitgemäßes Schlagwort – Manner lebt diese seit über 125 Jahren. Selbst die Firmengründung 1890 lag einem gesellschaftlichen Aspekt zugrunde. Josef Manner war mit der Qualität der Schokolade der damaligen Zeit nicht zufrieden und hatte den Gedanken, sie selbst zu produzieren: „Jedes Kind, das einen Kreuzer für meine Sachen ausgibt“, so seine Philosophie, „soll dafür nicht bloß eine Nascherei, sondern auch ein wertvolles Nahrungsmittel haben.“ Qualität war somit der Eckpfeiler des Unternehmens und daran hat sich bis heute nichts geändert. Manner ist seit 2015 Mitglied bei respACT, der führenden Unternehmensplattform für CSR und Nachhaltige Entwicklung in Österreich. Lehrlingsausbildung, kulturelles Sponsoring, Kooperation mit SOS Kinderdorf, Fit2Work, Nachhaltiger Umgang mit Ressourcen in der Produktion, FAIRTRADE, UTZ, RSPO sind nur einige Initiativen von Manner. Welchen Stellenwert haben Innovation und Qualitätsmanagement in Ihrem Unternehmen? Andres: Unser Leitbild ist geprägt von den Begriffen „Sicherheit“, „Qualität“ und „Leistung“ – und wir leben diese Philosophie – und zwar genau in dieser Reihenfolge. Sicherheit verstehen wir als aktiven Arbeitnehmerschutz, aber selbstverständlich auch als die uneingeschränkte Sicherheit unserer Produkte. Kein unsicheres Produkt darf unser Haus verlassen. Dazu werden z.B. alle Rohstoffe bei der Anlieferung im betriebseigenen Labor einer eingehenden Prüfung unterzogen, und selbstverständlich werden auch während der laufenden Produktion wiederkehrend Kontrollen durchgeführt. Die kontinuierliche Verbesserung unserer Qualitäts-

person

Zur Person — Biographie Komm-Rat. Mag. Dr. Hans Peter Andres, absolvierte das Studium der Betriebswirtschaft an der WU Wien und begann direkt nach Erlangung des Doktortitels mit verschiedenen Praktika in Rohstoffhandelsunternehmen in Europa. 1987 trat er in den Familienbetrieb Josef Manner & Comp. AG ein und wurde Einkaufsleiter. Ab 1990 leitete er das Produktionswerk in Wien 10. Zum Vorstandsdirektor wurde er 1992 bestellt. 1999 wurde der Vorstandsbereich neu definiert: dieser umfasst seit damals Einkauf, Material­w irtschaft und Logistik. Aktuelle Funktionen: Vorsitzender der Fachvertretung Nahrungs- und Genussmittelindustrie, Wirtschaftsstandards gehört zu den Grundpfeilern des Unternehmenserfolges. Manner ist seit vielen Jahren nach dem Qualitätsstandard „IFS“ (International Food Standard) zertifiziert und agiert somit auf sehr hohem Qualitätsniveau. Wie gehen Sie mit immer wieder auftauchenden Themen der Lebensmittelsicherheit wie Glyphosat-Rückständen, mikrobiellen Problemen, Fremdkörpern (Steine etc.), Allergenen etc. um? Andres: Wir verfolgen alle aktuellen Themen in den Medien und halten uns über Plattformen wie RASFF, Literaturrecherche und kontinuierlichen Wissensaustausch mit Fachexperten, Instituten und auch unserer Interessensvertretung, dem Fachverband für Nahrungs- und Genussmittel, informiert. Wenn eines der Themen unser Unternehmen, unsere Produkte oder Rohstoffe betreffen sollte, wird in unserer Abteilung QUS (Qualität – Umwelt – Sicherheit) eine Risikoanalyse gestartet und basierend auf dem erarbeiteten Risikopotential weitere Schritte eingeleitet. Diese können von der Einführung begleitender Analysen (Monitoring) über die Änderung von Spezifikationen

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sondern ist mit 52 % Vollkornanteil auch sehr ballaststoffreich, das macht das Müsli perfekt für den guten Start in den Tag. Aufgrund des geringen Zuckeranteils – das Manner Müsli hat 30 % weniger Zucker als herkömmliche Knuspermüslis – wird auch „weniger Zucker“ auf der Verpackung ausgelobt.

kammer Wien, Vizepräsident Verband Süßwarenindustrie Österreich. Mitglied des Ausschusses des Fachverbandes der Lebensmittelindustrie. bis hin zu einer Anpassung der Prozesse führen. Lebensmittel sind heute so sicher wie noch nie – das gilt auch für die Süßwaren von Manner. Hier haben wir in den letzten Jahren stark investiert. Wie sehen Sie die verschiedenen Standards wie IFS und BRC? Können Sie diese Audits für die Verbesserung Ihrer Betriebsabläufe nutzen? Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die von Handelsketten zusätzlich durchgeführten Audits? Andres: Die international gängigen Standards geben uns die Möglichkeit zur laufenden Weiterentwicklung. Jedes Audit, durchgeführt durch Externe, bringt grundsätzlich interessante Inputs und bietet Denkanstöße für unsere internen Spezialisten. Manner wird ab 2019 am freiwilligen Programm der unangemeldeten IFS-Audits teilnehmen. Diese machen parallel dazu durchgeführte Kundenaudits aus unserer Sicht obsolet. Was ist Ihr Lieblingsessen? Andres: Wiener Schnitzel – aber nur das von meiner Frau. Handgemachte Gnocchi, Kartoffelpüree und Mannerschnitten als Dessert.

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VEGANZERTIFIZIERUNG Marktpotenzial und Anforderungen DER MARKT FÜR VEGGIE-PRODUKTE IST INTERNATIONAL WEITER IM WACHSTUM BEGRIFFEN. EIN INTERNATIONALES LABEL SCHAFFT SICHERHEIT FÜR PRODUZENTEN UND TRANSPARENZ FÜR KONSUMENTEN. JOHANNES GILLI

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enig wurde in den letzten Jahren medial so intensiv thematisiert wie der Veganismus. Inzwischen ist die Nachfrage der Verbraucher nach gesunden Lebensmitteln und einer stärker pflanzenbasierten Ernährung Normalität geworden. Getrieben auch von Trends im Gesundheits-, Diät- und Sport- bzw. Fitnessbereich (letztere auch besonders männliche Jugendliche ansprechend), steigt der Absatz von Veggie-Produkten in Österreich und anderen Industrienationen kontinuierlich. Veggies in Österreich Zumeist entscheiden sich Konsumenten aus ethischen, ökologischen oder gesundheitlichen Gründen für eine fleischreduzierte oder vegan-vegetarische Lebensweise. In Österreich leben mittlerweile mehr als 765.000 Vegetarier (9% der Bevölkerung, IFES 2013), laut Schätzungen der Veganen Gesellschaft Österreich (VGÖ) davon 80.000 Veganer (gut 1% der Bevölkerung) und über 4,2 Millionen Flexitarier. Flexitarisch lebende Menschen reduzieren bewusst ihren Fleischkonsum und stellen größenmäßig die wichtigste Zielgruppe für Veggie-Produkte dar. Europaweit kaufen 39% der Bevölkerung vegetarische Produkte, ein Plus von 26% in den letzten drei Jahren (IRI Shopper Insights Report 2017).

Künftige Push-Faktoren Selbst in den BRICS-Staaten, hauptverantwortlich für die weltweit insgesamt immer noch steigende Fleischproduktion, regt sich Bewusstsein für klimafreundliche, ressourcenschonende und gesündere Nahrungsmittel. 2016 hat beispielsweise China als Staatsziel ausgerufen, den Fleischkonsum um 50% zu reduzieren. Trotz seiner jahrhundertealten Tradition vegetarischer Küche hat sich hier der Fleischkonsum in rasantem Tempo an westliche Verhältnisse angepasst. Jetzt soll wieder gegengesteuert werden, der Gesundheit und dem Klimaschutz zuliebe. Für Aufklärung und Kampagnen wurden sogar Arnold Schwarzenegger und James Cameron als Testimonials gewonnen (Bild S. 9). In einem Video rufen sie zur Fleischreduktion auf und schildern ihre persönliche Erfahrung damit. Da auch die Anbauflächen für Futtermittel immer stärker mit Anbauflächen für Menschennahrung konkurrieren, steuern wir unweigerlich auf einen globalen Ressourcenengpass zu. Zur intrinsisch motivierten Nachfrage aus ethischen und anderen Gründen werden sich also künftig vermehrt auch natürliche Grenzen und politische Zielsetzungen als Push-Faktoren für alternative, pflanzenbasierte Lebensmittel addieren. Umsatzwachstum Das Umsatzwachstum in vielen Veggie-Segmenten

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liegt daher seit mehreren Jahren kons­ tant zwischen 20 und 30%. In Österreich sind bereits zahlreiche Unternehmen in den Veggie-Markt eingestiegen und konnten dazu beitragen, sowohl die Produktqualität als auch die Produktvielfalt stetig zu erhöhen. Zu den Urgesteinen der Branche wie Sojarei oder Mona, die heimisches Soja und andere Rohstoffe zu variantenreichen Tofuprodukten bzw. Pflanzendrinks verarbeiten, gesellen sich innovative neue Unternehmen, wie Libuni oder VeggieMeat. Vertrauensbildung Selbst österreichische Milch- und Fleischverarbeiter erschlossen erfolgreich die neue Zielgruppe. Um das Vertrauen der Veggies zu gewinnen, setzen sie auf eine unabhängige Zertifizierung ihrer Produkte. Allein im Bereich Milchalternativen stiegen in Österreich die Umsätze von 20 Mio. Euro 2013 auf 30 Mio. 2015. Gleichermaßen starkes Wachstum zeigt auch der Markt für Fleischalternativen. Neben diesen Kernwarengruppen für vegane und vegetarische Lebensmittel ist aber eine entsprechende Zertifizierung für viele weitere Warengruppen interessant, um einen wachsenden Verbraucherkreis anzusprechen. Rechtssicherheit Eine einheitliche Definition der Begriffe „vegan“ und „vegetarisch“ gibt es bislang nicht. Das EU-Parlament hat sich zwar bereits


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80.000 Veganer

765.000 Vegetarier

4,2 Mio. Flexitarier Quelle: VGÖ / IFES 2013

Die Zielgruppe für vegan-vegetarische Produkte in Österreich wächst kontinuierlich

12 % 10 % 8% 6% 4% 2% 0% 2011

2012

Vegetarisch gelabelte Produkte, Deutschland

2013

2014

2015

Vegan gelabelte Produkte, Deutschland

Vegan gelabelte Produkte, weltweit

Quelle: Mintel GNPD

2011 der Thematik angenommen und die EU-Kommission verpflichtet, Kriterien für die freiwillige Kennzeichnung von Lebensmitteln als für Veganer oder Vegetarier geeignet zu erlassen. Die Auflage beinhaltete jedoch keine Frist zur Umsetzung, und so ist die Kommission trotz zunehmenden Drucks von Politik (zuletzt auch ein auf Beschluss des Nationalrates vom 7. Juni 2017 erfolgtes Schreiben des österreichischen Gesundheitsministeriums), Verbraucherschutzverbänden und der Lebensmittelindustrie dieser bisher nicht nachgekommen. Einzelne Länder sind mittlerweile vorgeprescht und haben nationale Regelungen erlassen. Dazu zählen unsere Nachbarländer Deutschland (Beschluss der Verbraucherschutzminister der Länder vom 22. April 2016) und Schweiz (Verordnung des EDI, betreffend die Information über Lebensmittel LIV (Artikel 40) vom 16. Dezember 2016). In beiden Fällen orientierte man sich dabei an den Definitionen der European Vegetarian Union (EVU), die sich als Dachverband europäischer Veggie-Organisationen auch aktiv in die Umsetzung einer europäischen Regelung einbringt. Wiedererkennungswert Die EVU ist es auch, welche das V-Label initiierte und seit 1996 für die Lebensmittelindustrie lizenziert. Schon damals war das Ziel des V-Labels, vegane und vegetarische Produkte europaweit einheitlich zu kennzeichnen. Mittlerweile ist es das bekannteste und meist genutzte Veggie-Label weltweit und hat sich im Einzelhandel als Standard etabliert.

Steigende Anzahl gekennzeichneter veganer und vegetarischer Produkte

>35 30 25,1 19,9

2013 Umsatz in Mio. Euro

2014

2015

2016*

Quelle: statista.de / Nielsen Österreich / VGÖ 2016 *vorläufige Schätzung

Umsatzplus bei veganen Milchalternativen auf dem österreichischen Lebensmittelmarkt

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Das V-Label Das V-Label ist ein international gültiges Gütesiegel für vegane und vegetarische Produkte. In Österreich ist die Vegane Gesellschaft (VGÖ) für die Vergabe zuständig. www.v-label.eu Transparenz Durch sein international einheitliches Reglement und die langjährige Expertise begegnet das V-Label nicht nur der rechtlichen Unsicherheit, es steigert vor allem die Transparenz für die Verbraucher gegenüber unterschiedlichen Eigenkennzeichnungen und -definitionen. Das V-Label ist dezentral organisiert, in jedem Land gibt es eine Vergabestel-


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le. Dadurch will man rasche Kontrollen und umfangreiche Unterstützung durch nationale Ansprechpartner vor Ort sicherstellen. In Österreich ist die VGÖ für die Vergabe zuständig. Anforderungen an die Produkte Bei der Vegan- bzw. Vegetarisch-Zertifizierung mit dem V-Label wird jedes Produkt durch die Vergabestelle (VGÖ) einzeln standardisiert geprüft. • Es werden nicht nur sämtliche Zutaten und Zusatzstoffe kontrolliert, sondern auch nicht deklarationspflichtige Verarbeitungshilfsstoffe und Carry over. • Vegetarische Produkte dürfen, vereinfacht gesagt, keine Produkte von toten Tieren enthalten. Auch bei der Herstellung sind keine solchen Produkte als Hilfsstoffe erlaubt, unabhängig davon, ob diese im Endprodukt enthalten sind. Zudem gilt beim V-Label ein Verbot von Eiprodukten aus Käfighaltung. • Vegane Produkte dürfen keine tierischen Produkte enthalten. Analog dürfen auch bei der Herstellung keine solchen Produkte als Hilfsstoffe verwendet werden, unabhängig davon, ob diese im Endprodukt enthalten sind. • Vegane und vegetarische Produkte müssen außerdem tierversuchsfrei

Spuren Hinweise auf tierische Allergene („In diesem Betrieb wird auch ... verarbeitet“) sind nach dem V-Label zulässig, empfehlen sich jedoch, tendenziell vermieden zu werden. Für Veganer oder Vegetarier sind potenzielle, minimale Spuren tierischer Stoffe im Allgemeinen kein Ausschlussgrund. Anders verhält es sich mit im Endprodukt nicht mehr enthaltenen tierischen Verarbeitungshilfsstoffen, wie z.B. bei einem mit Gelatine geklärten Fruchtsaft. Da diese bewusst eingesetzt und verbraucht werden, ist das Endprodukt nicht mehr vegan oder vegetarisch.

sein. Das bedeutet, für das Endprodukt oder deren Zutaten dürfen vom Produzenten keinerlei Versuche an Tieren durchgeführt, in Auftrag gegeben oder verursacht worden sein. • Endprodukte, welche als GVO gekennzeichnet werden müssen, erhalten kein V-Label. Ablauf 1. Formularbasierte Kontrolle der einzelnen Produkte 2. Lizenzvertrag 3. Zertifikat 4. Jährliches Audit durch akkreditierte Kontrollstellen Anforderungen an die Produktionsstätte Die Produktionsstätte selbst wird von akkreditierten Kontrollstellen jährlich geprüft. Diese kombinieren das Audit auch mit anderen Standards wie Bio oder IFS, was den Zusatzaufwand für das V-Label tatsächlich überschaubar macht. Im Wesentlichen wird auf folgende Punkte geachtet: • Stichprobenartige Prüfung der Rezepturen auf deren Aktualität. • Verhinderung der Verwechslung von Zutaten oder unverpackten Produkten, z.B. durch deutliche Kennzeichnung bei ähnlichen Produkten oder mittels EDV-Unterstützung. • Verhinderung von Kreuzkontaminationen durch eigene Produktionslinien oder definierte Produktionsreihenfolgen (zuerst vegan, dann vegetarisch und zum Schluss nichtvegetarisch) bzw. ausreichend gründliche Zwischenreinigungen. Helping hand Das Marktpotenzial für die österreichische Lebensmittel­ industrie ist über die Landesgrenzen hinaus markant. Eine Zertifizierung mit dem V-Label kann dazu beitragen, dieses voll auszuschöpfen. Die Expertise der VGÖ als österreichischer Vergabestelle steht aber auch ganz ohne Zertifizierung stets zur Verfügung. Mag. Johannes Gilli Vegane Gesellschaft Österreich, Bereichsleitung Gütesiegel Country Coordinator V-Label Österreich, Wien

Impressum — DIE ERNÄHRUNG Österreichische Zeitschrift für Wissenschaft, Recht, Technik und Wirtschaft ∙ ­NUTRITION Austrian journal for science, law, ­technology and economy  ∙ ­redaktion@ ernaehrungnutrition.at Offizielles Organ des Fachverbandes der Nahrungs- und Genussmittel­ industrie Österreichs und des Vereins zur Förderung der österreichischen Lebensmittelwirtschaft (foodalliance) ∙ ­ Herausgeber: Fachverband der Lebensmittel­industrie; A-1030 Wien, Zaunergasse 1–3 ∙ Wissenschaftlicher Beirat: General­d irektor Univ.-Prof. Dr. iur. et rer. pol. Walter Barfuß, em. Univ.-Prof. DI Dr. nat. techn. Emmerich Berg­ h ofer, Dr. M ­ ichael Blass, Univ.-Prof. DI Dr. nat. techn. Dr. h. c. Ernst Brandl, Hon.-Prof. Dr. Konrad Brustbauer, Univ.-Prof. Dr. med. Wilfred Druml, em. Univ.-Prof. Dr. agr. Ibrahim Elmadfa, Univ.-Prof. Dr. med. Johann Michael Hackl, Univ.-Prof. Dr. med. Karl Irsigler, OR Dr. Leopold Jirovetz, Ass.-Prof. Dr. Peter Paulsen, Hon.-Prof. Dr. iur. Klaus Smolka, Univ.-Prof. Dr. Gerhard Sontag, ao. Univ.-Prof. Dr. Ingrid Steiner ∙ Chefredakteur: DI Oskar Wawschinek, MAS, MBA ∙ Redaktion Wissenschaft: Dr. Elisabeth Rudolph ∙ Redaktion Recht: Mag. Katharina Koßdorff ∙ Verleger: SPV Printmedien Gesellschaft m.b.H.; A-1080 Wien, Floriani­ g asse 7/14; Tel.: 01/581 28 90; Fax: 01/581 28 9023; onlineredaktion@­blickinsland. at ∙ Lektorat: Mag. Nina Wildzeisz­ Rezner ∙ Satz: Gerald ­Mollay ∙ Herstellung: p ­roprint.at ∙ Anzeigen­ leitung: Prok. Doris Orthaber-­Dättel, Tel.: 01/581 28 9012, daettel@blick­ ins­land.at, Projekt­leitung: ­Alexander Smejkal, Tel.: 01/581 28 9027, smejkal@blickinsland.at ∙ ­Ernährung/ Nutrition – ISSN 02501554 – erscheint sechsmal jährlich. Nachdruck sämtlicher Artikel, auch auszugsweise, nur mit Quellen­angabe, gegen Beleg­ exemplar; Zitierung von wissenschaftlichen Beiträgen: Ernährung/Nutrition. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Autors wieder, die nicht mit jener des Herausgebers überein­stimmen muss.

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DER KAMPF ZWISCHEN AUFKLÄRUNG UND ALTERNATIV-FAKTISCHER VERDUNKELUNG WENN FAKTEN DIE POLITISCHE AGENDA DURCHKREUZEN, WERDEN DIE FAKTEN IN FRAGE GESTELLT, NICHT DIE AGENDA – DOCH WISSENSCHAFT IST KEIN POST-FAKTISCHER BELIEBTHEITSWETTBEWERB. BERNHARD URL

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Sichere Lebensmittel Wie sieht also die Realität aus? Was die Inhaltsstoffe, Produktionsmethoden, Herkunft und Qualität von Lebensmitteln angeht, besteht auf dem Markt eine sehr große Differenzierung, und demzufolge ist die Auswahl riesig. Die Verbraucher haben die freie Wahl, wobei Kennzeichnung, Marken und Qualitätszeichen bei der Navigation helfen (sollten). Bei der Lebensmittelsicherheit ist die Situation eine andere: Wir haben in Europa einen einheitlichen Rechtsrahmen für die De-

Gesundheitsrisiken des Verzehrs kontaminierter Eier zu bewerten und die Verbraucher zu informieren.

© EFSA

ebensmittel sind von Natur aus ein kontroverses Thema. Verbraucher wünschen sich frische, naturbelassene, nicht industriell verarbeitete, authentische, nahrhafte, gesunde und sichere Lebensmittel. Das alles zum geringstmöglichen Preis. Was jedoch viele Verbraucher vermuten tatsächlich zu bekommen, sind weitgehend industriell verarbeitete, wenig nahrhafte Lebensmittel, hergestellt aus minderwertigen Rohstoffen, die um die halbe Erde transportiert wurden, belastet mit Verunreinigungen, Zusatzstoffen und Rückständen. Das verbreitete Misstrauen gegenüber dem Zustand unserer Lebensmittel wird durch Krisen wie die jüngste Entdeckung von Fipronil in Eiern und den Pferdefleischskandal vor ein paar Jahren angefacht. Derartige Vorkommnisse bestärken die Befürchtungen vieler, dass man dem System „Lebensmittelproduktion“ nicht trauen kann und dass wir als Konsumenten, was immer wir auch kaufen, ohnehin über den Tisch gezogen werden.

Dr. Bernhard Url Geschäftsführender Direktor der EFSA, der Europäischen Behörde für Lebensmittel­ sicherheit in Parma, Italien

finition sicherer Lebensmittel, und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) repräsentiert den gemeinschaftlich wissenschaftlichen Teil dieses umfassenden Rechtssystems. Seit 15 Jahren stellt die EFSA den politischen Entscheidungsträgern die bestmöglichen wissenschaftlichen Informationen zur Verfügung. Auf Basis dieser Gutachten, und unter Berücksichtigung anderer legitimer Interessen, erlassen die europäischen Risikomanager Rechtsvorschriften zur Lebensmittelsicherheit und zur Beherrschung der Risiken in der Lebensmittelkette. Beispielsweise wurde jetzt die Arbeit der EFSA zu Fipronil als Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln von den nationalen Behörden der EU-Mitgliedstaaten herangezogen, um mögliche

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Unabhängige Bewertung Unsere wissenschaftlichen Bewertungen sind das Ergebnis eines methodischen und transparenten wissenschaftlichen Verfahrens, das von den Mitarbeitern der EFSA in Zusammenarbeit mit Hunderten führenden Wissenschaftern der Europäischen Union durchgeführt wird. Obwohl wir uns des wirtschaftlichen, ethischen und politischen Kontextes unserer Arbeit bewusst sind, stützt die EFSA ihre Beurteilungen ausschließlich auf die unabhängige Bewertung aktueller wissenschaftlicher Informationen. Wissenschaftliche Bewertungen bieten jedoch keine absoluten Wahrheiten. Sie stellen die bestmöglichen Annäherungen an die realen Naturphänome zu einem gegebenen Zeitpunkt dar. Sie sind Hypothesen, die durch Gruppen multi-disziplinärer, unabhängiger Fachleute in transparenten Prozessen erstellt wurden, welche bei der Auswahl, Bewertung und Integration von Daten die nötige methodische Sorgfalt haben walten lassen. Alle Ergebnisse werden veröffentlicht, um von der wissenschaftlichen Gemeinde hinterfragt und auch widerlegt werden zu können, wenn sie fehlerhaft oder unvollständig sind. Das, was wir heute für „die“ wissenschaftliche Wahrheit halten, kann sich schon morgen als falsch erweisen. Trotz dieses Charakteristikums des „Unternehmens Wissenschaft“, lediglich Annäherungen an die Wahrheit liefern zu können, hat sich dieser Ansatz immer noch als der best-


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Moralische Werte Kompliziert wird das Verhältnis zu Wissenschaft dann, wenn wissenschaftliche Ergebnisse auf moralische Werte treffen. Kollisionen sind vorprogrammiert. Als EFSA mussten wir zum Beispiel im Falle der Bewertung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat oder der Risikoeinschätzung des Bakteriums Xylella fastidiosa (welches für das Absterben der Olivenbäume in Süditalien und anderer Pflanzen in Südfrankreich und auf den Balearen verantwortlich ist) feststellen, dass, wenn die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen nicht mit politischen Meinungen oder gesellschaftlichen Wertvorstellungen übereinstimmen, nicht nur das Ergebnis an sich als falsch abgelehnt wurde, sondern auch der Prozess der Erarbeitung, die verantwortlichen Organisationen und die beteiligten Personen diskreditiert wurden. Man konnte beobachten, dass die gleiche Gruppe von Personen, die EFSA für die Arbeit zu Neonicotin­ oiden – Pflanzenschutzmittel, die nach wissenschaftlicher Meinung für Bienen schädlich sind – gelobt hatte, uns später als zumindest inkompetent, wenn nicht sogar korrupt bezeichnete, weil unsere Bewertung von Glyphosat nicht ihren gesellschaftspolitischen Erwartungen entsprach. Dies ist insofern bizarr, als doch beide Risikobewertungen von der EFSA unter Nutzung der gleichen Prozesse und Experten und mit der gleichen wissenschaftlichen Sorgfalt durchgeführt wurden. Politik schädigt Alliierte Man könnte dieses Phänomen als einen normalen Prozess an der Reibefläche zwischen Wissenschaft und Politik abtun, was zum Teil ja auch zutrifft. Wenn Fakten eine politische Agenda durchkreuzen, werden eben die Fakten in Frage gestellt, nicht die Agenda. Bedenklich wird es, wenn wissenschaftliche Institutionen, die ausschließlich im öffentlichen Interesse tätig sind, diskreditiert und in ihrem Ruf nachhaltig beschädigt werden, nur um einen kurzfristigen Erfolg auf politischer Bühne zu erzielen. Die Politik schädigt vorsätzlich Alliierte, deren Wissen und Ansehen sie zum

©  FOTOLIA – MARKUS BORMANN

mögliche he­rausgestellt, um die Komplexität von Natur und Gesellschaft zu erforschen und zu verstehen.

Erreichen von Gesundheits- und Umweltschutzzielen dringend braucht. Als EFSA sind wir dankbar für Kritik, für wissenschaftliche Auseinandersetzung und das Infragestellen unserer Prozesse. Sie helfen, unser Ziel der „offenen EFSA“ immer weiter zu treiben und den Dialog mit gesellschaftlichen Interessengruppen zu intensivieren. Davon unberührt muss jedoch unser Anspruch der auf Evidenz basierenden wissenschaftlichen Exzellenz bleiben. Sie ist die unabdingbare Basis für jedes einzelne Gutachten. Wir können und wollen uns nicht an post-faktischen Beliebtheitswettbewerben beteiligen. Das wissenschaftliche Prinzip des methodischen

Erkenntnisprozesses hat oberste Priorität. Ein Kampf wogt zwischen Aufklärung und alternativ-faktischer Verdunkelung. Wir wollen diesen Kampf für die Wissenschaft gewinnen. Url diskutierte bei den Politischen Gesprächen in Alpbach über Wissenschaft und „post-truth“-Politik. Dieser Text erschien in Kooperation mit dem Europäischen Forum Alpbach, das sich bis 1. September dem Thema „Konflikt und Kooperation“ widmete. derstandard.at/2000063262620/ Kein-post-faktischer-Beliebtheitswettbewerb-Aufklaerung-und-alternativ-faktischer-Verdunkelung

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AUF DEN SPUREN DER FIPRONIL-EIER Eine Nachlese DER „EIER-SKANDAL“ IM HEURIGEN SOMMER WAR EIN THEMATISCHES HIGHLIGHT FÜR DIE MEDIEN, DAS SOMMERLOCH MIT ALARMIERENDEN SCHLAGZEILEN ZU FÜLLEN. URSULA HUBER

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ie Verunsicherung vieler Verbraucher darüber, was sie denn überhaupt noch unbesorgt essen können, und die Skepsis gegenüber der Lebensmittelwirtschaft wurde dadurch einmal mehr bedient. Ein Rückblick Ende Juli 2017 wurde bekannt, dass aufgrund der illegalen Einmischung von Fipronil in ein grundsätzlich zugelassenes Desinfektionsmittel „DEGA-16“ durch ein belgisches Unternehmen zahlreiche Hühnereier mit Spuren von Fipronil belastet seien. Nach anfänglichen Meldungen kontaminierter Eier aus Holland und Deutschland ist nunmehr von mittlerweile 45 Ländern die Rede, in denen Fipronil zum Einsatz kam bzw. in welchen die „Gift-Eier“ in Umlauf kamen (darunter auch Österreich).

Die Fakten Fipronil ist ein Breitspektruminsektizid, weshalb es gerne gegen Schädlinge im Pflanzenbau wie Ameisen, Schaben oder Termiten sowie in der Kleintiermedizin gegen Parasiten – u. a. Milben, Flöhe, Läuse – bei Hunden und Katzen in Form von Spot-on-Präparate oder Zeckenhalsbändern eingesetzt wird. Für den Einsatz im Nutztierbereich liegt keine Zulassung

vor, und genau hier liegt die Krux in dieser Causa. Ein ungebetener Gast in Hühnerställen Die rote Vogelmilbe – Dermanyssus gallinae – ist ein häufiger, aber sehr unerwünschter Gast in Legehühnerställen. Das Saugen der Parasiten auf den Hühnern führt zu Juckreiz, Unruhe im Stall bis hin zu Blutarmut. Zudem besteht die Gefahr der Übertragung von Borrelien und anderen Krankheitserregern. Häufig sind Leistungseinbußen die unvermeidlichen Folgen. Das Pro­blem tritt in allen Haltungsformen, egal ob Bio, Freiland, Boden oder Käfig, auf. Zur Bekämpfung stehen Geflügelbauern vor dem Problem des Therapienotstands, nämlich, dass nur wenige, zum Teil ziemlich unwirksame Mittel zugelassen sind. Erst im August 2017 wurde von der EU-Kommission das Präparat „Fluralaner“ zur Überbrückung dieser Misere autorisiert. Das „Wundermittel“ zum Erfolg Vor diesem Hintergrund bot freilich das vermeintlich rein pflanzliche und dennoch gegen die rote Vogelmilbe hoch wirksame „Wundermittel“ „DEGA-16“ aus Eukalyptusöl, Menthol und anderen ätherischen Ölen die ideale Lösung. Dass die Einmischung von Fipronil für

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eben diesen Erfolg garantierte, kam erst durch die Rückstandsfunde in Eiern zutage. Fipronil reichert sich aufgrund seines lipophilen Charakters hauptsächlich in Haut, Fettgewebe und in Eiern (hauptsächlich Eidotter) an. Letztere wurden nach dem Aufdecken des Skandals millionenweise vernichtet – damit einhergehend die Schließung zahlreicher Geflügelbetriebe in den Niederlanden und in Deutschland. Über die Notwendigkeit dieser Lebensmittelvernichtung lässt sich freilich diskutieren. Gesundheitsbehörden geben Entwarnung Das Risiko einer gesundheitlichen Beeinträchtigung durch den Konsum von mit Fipronil belasteten Hühnereiern ist bei den vorgefundenen Werten äußerst gering. Auch die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) gab bei den Mengen, die in den Eiern (Niederlande, Deutschland) gefunden wurden, Entwarnung und attestierte keine gesundheitliche Beeinträchtigung für Menschen. Geht man von dem höchsten in einem Ei gemessenen Wert aus, so wäre eine tägliche Aufnahmemenge von 7 Eiern für Erwachsene bzw. 1 Ei für ein Kind mit 10 kg Körpergewicht tolerierbar gewesen. Noch weniger Gefährdung ist für


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verarbeitete Lebensmittel zu erwarten, die Eier als Zutat enthalten, da aufgrund des Verarbeitungsprozesses die Konzentration von Fipronil sehr gering wäre. Auch das Fleisch der Legehühner kann mit Fipronil belastet sein. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) geht jedoch keine Gefahr von diesem Suppenhennenfleisch aus – nicht einmal bei langfristigem Verzehr. Demgegenüber stehen unvergleichlich höhere Fipronilwerte, die man Hunden und Katzen – oft mehrmals im Jahr – auf den Rücken sprüht oder in Form von „Zeckenbändern“ um den Hals hängt, die ohne Zweifel durch das Berühren der Tiere an den Händen haften bleiben (Jennings et al 2002, Teerlink et al 2017). Führt man sich das vor Augen, liegt die Vermutung nahe, dass unter Verbrauchern eine unnötige mediale Panik verbreitet wurde und dadurch subjektiv gefühltes und objektiv tatsächliches Risiko weit auseinandergedriftet sind. Alarmismus ist keine Lösung! Selbstverständlich dürfen keine Lebensmittel auf den Markt kommen, die nicht sicher sind. Dennoch besteht selbst bei einer geringen Überschreitung eines Höchstwertes keine automatische Gesundheitsgefährdung. Die illegalen

Vorkommnisse, die hinter dem jüngsten Fipronilfall vermutet werden, sollten freilich nicht verharmlost werden. Jedoch bietet Alarmismus keine Lösung zur Vermeidung von Skandalen dieser Art. Die Aufklärung ist nun schlicht der Justiz zu überlassen. Ob mit der Vernichtung mehrerer Millionen Eier und Eiprodukten Maßnahmen mit Augenmaß gesetzt wurden, insbesondere in Zeiten, in denen große Anstrengungen unternommen werden, die Verschwendung von Lebensmitteln zu minimieren, bleibt dahingestellt. Auch stellt sich die Frage, inwieweit eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung von Eiern in verarbeiteten Lebensmitteln, wie sie derzeit von Seiten der Verbraucherschutzorganisationen und der Landwirtschaft gefordert wird, mehr Lebensmittelsicherheit garantieren soll. Herkunft und Lebensmittelsicherheit sind „zwei Paar Schuhe“ Die Lebensmittelkennzeichnung ist europäisches Recht und kann nur auf EU-Ebene zielführend weiterentwickelt werden. Alleingänge einzelner Staaten bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln haben noch nie tragbare Lösungen für die jeweiligen Märkte in einer verschränkten europäischen Wirtschaft gebracht.

In der Regel schaden sie der jeweiligen heimischen Wirtschaft. Österreichs Selbstversorgungsgrad bei Eiern liegt bei gerade einmal 86 % im Jahresdurchschnitt – noch niedriger zu Saisonspitzen wie Weihnachten und Ostern – und bedingt dadurch einen Import von Eiern bzw. Eiprodukten. Wettbewerbsnachteile und Kosten für die gesamte Lebensmittelkette wären daher bei einem Alleingang Österreichs für eine zwingende Deklaration der Herkunft und Haltungsform von Eiern in weiterverarbeiteten Lebensmitteln vorprogrammiert. Außerdem: wie uns der jüngste Fipronil-Skandal gezeigt hat, ist Herkunft nicht gleichbedeutend mit Lebensmittelsicherheit. Diese kann nur eingehalten werden, wenn sich alle Akteure innerhalb der Lebensmittelkette sowie ihre Vorlieferanten an die Gesetze halten. Hier gilt es anzusetzen, damit Fälle wie Fipronil in der Zukunft sich nicht wiederholen. Vielmehr ist diese das Endergebnis eines Fair-Plays in der Arena des Lebensmittelzirkus. Mag. med. vet. Ursula Huber, MSc Fachverband der Lebensmittelindustrie, Wien Literatur www.ernaehrung-nutrition.at

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FUTTERMITTELLÖSUNG REDUZIERUNG VON LEBENSMITTELABFÄLLEN DURCH DIE SICHERE VERARBEITUNG EHEMALIGER LEBENSMITTEL ZU FUTTERMITTELN. DIE VERWENDUNG VON „LEBENSMITTELVERLUSTEN“ ALS FUTTERMITTEL FÜR NUTZTIERE IST FREILICH EINE PRAXIS MIT LANGER TRADITION, WELCHE BIS ZU DEN ANFÄNGEN DER VIEHWIRTSCHAFT ZURÜCKREICHT. ANTON VAN DEN BRINK*

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ach den tiefschürfenden Vorkommnissen, welche in den 90er Jahren (BSE, Maul- und Klauenseuche) die Futtermittelsicherheit unterminierten, wurden in der EU strenge gesetzliche Restriktionen hinsichtlich der Fütterung von lebensmittelproduzierenden Tieren implementiert.

(gem. EU-Einzelfuttermittelkatalog) eines Lebensmittelproduzenten zu einem Futtermittelbestandteil der Mischfutterproduktion. Tierische Proteine wie Fleisch und Fisch sind nicht zur Verarbeitung erlaubt. Ausnahmen wurden jedoch für Milch, Eier, Honig und Gelatine von Nichtwiederkäuern eingeräumt, welche in die Kategorie III der tierischen Nebenprodukte fallen.

Die Verarbeitung von Lebensmitteln, die nicht mehr für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, zu Futtermitteln ist eine Umwandlung von gesetzlich zugelassenen „ehemaligen Lebensmitteln“

Typische Beispiele für Lebensmittel, die nicht mehr zum menschlichen Verzehr geeignet sind und in der Futtermittelproduktion eingesetzt werden, sind Backwaren, Süßwaren, Teigwaren, Knabber-

gebäck und Frühstückscerealien. Einige Verarbeiter dieser Lebensmittel verstehen sich auch darauf, aus nicht mehr zum Verkauf geeigneten Joghurts und Zuckersirupen einen Mehrwert durch den Einsatz in der Tierfutterproduktion zu generieren. Verarbeitete, nicht mehr zum Verzehr geeignete Lebensmittel werden in der Tierfütterung besonders aufgrund ihres günstigen Energiewertes und der hohen Verdaulichkeit geschätzt. Dank der Stärke-Öl-Mixtur finden sich dann in der Zutatenliste des Endprodukts nicht selten „mit Fett angereicherte Getreidekörner“.

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* Übersetzung aus dem Englischen durch Mag. Med. vet. Ursula Huber, MSc, Fachverband der Lebensmittelindustrie, Wien

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Während der letzten zwei Jahrzehnte wurden von Verarbeitern von Lebensmittelverlusten zahlreiche Maßnahmen gesetzt, um den Sektor zu professionalisieren. Insbesondere zu erwähnen sind dabei die mechanische Entfernung der Verpackung von verpackten Lebensmitteln sowie die fluktuierenden Mengen und verschiedenen Produkttypen einer Vielzahl von Lebensmittelproduzenten und -distributeuren logistisch zu bewältigen. Zu „Lebensmittelabfällen“ zählen neben Produkten, die in privaten Haushalten anfallen, auch Lebensmittelverluste, die entlang der Wertschöpfungskette entstehen können, sowie Nahrungsmittel, die einer bestimmten Qualität nicht bzw. nicht mehr entsprechen und nicht an karitative Einrichtungen gespendet werden können. Während die Haushaltsabfälle in der Tonne landen müssen, ist die Verwertung von sonstigen Lebensmittelabfällen als Tierfutter eine Lösung für übermäßige Lebensmittelverschwendung. So präsentiert es auch WRAP – The Waste and Resources Action Programme – in Form der „food and drink material hierarchy“. Die Reduktion von Lebensmittelverlusten hat sich die EU-Kommission mit dem EU-Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft zum Ziel gesetzt. Derzeit arbeitet sie an „EU-Leitlinien zur Verwertung ehemaliger Lebensmittel in Futtermitteln“ und beabsichtigt, diese Ende 2017

zu veröffentlichen. Unter anderem sollen die Dokumente darüber aufklären, dass ein Lebensmittel mit überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum nicht aus der Futtermittelproduktion ausgeschlossen werden muss oder auch, dass Lebensmittel, die vom Fußboden eines Lebensmittelproduzenten aufgesammelt werden, nicht automatisch in die Kategorie II der tierischen Nebenprodukte fallen. In den Leitlinien soll weiters klargestellt werden, dass ehemalige Lebensmittel weder in übertragenem noch recht­ lichem Sinn einem „Abfallprodukt“ entsprechen. Ein „Abfallprodukt“ ist kein Produkt, welches in der Lebensmit-

telherstellungskette Verwendung finden darf – zumal bei Abfällen die Grundsätze des HACCP-Systems und auch nicht die der Rückverfolgung eingehalten werden. Von der Verarbeitung ehemaliger Lebensmittel zu Futtermitteln als „Lebensmittelabfall-Recycling“ zu sprechen, ist deshalb verfehlt. Derzeit wird die Frage diskutiert, inwieweit ein Lebensmittelunternehmer als Futtermittelunternehmer betrachtet wird und damit für die Sicherheit und Integrität der ehemaligen Lebensmittel, die er dem Futtermittelmarkt zur Verfügung stellt, verantwortlich ist.

factbox Ehemalige Lebensmittel („former foodstuffs“) haben eine legale Definition im EU-Einzelfuttermittelkatalog (Verordnung (EU) Nr. 2017/1017): „Ehemalige Lebensmittel“ sind Lebensmittel, ausgenommen wiederverwertbare Reste aus der Speisenzubereitung (Catering-Rückfluss), die in völliger Übereinstimmung mit dem EU-Lebensmittelrecht für den menschlichen Verzehr hergestellt wurden, aber aus praktischen oder logistischen Gründen oder wegen Problemen bei der Herstellung oder wegen Mängeln der Verpackung oder sonstiger Art nicht mehr für diesen Zweck bestimmt sind, und bei einer Verwendung als Futtermittel kein Gesundheitsrisiko bergen.

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Wenngleich in der EU unterschiedliche Vorgehensweisen hinsichtlich der Registrierung und Qualitätszertifizierung von Lebensmittelunternehmen als Futtermittelunternehmen herrschen, sollte für erstere die finanzielle Kompensation, die Lebensmittelunternehmer für ihre Lebensmittelverluste erhalten, genug Anreiz bieten, um in Vorkehrungen zur Futtermittelsicherheit und risikogerechte Managementmaßnahmen zu investieren – so die einhellige Meinung der EFFPA, der European Former Foodstuff Processors Association, und FEFAC, der European Compound Feed Manufacturers’ Association. Darüber hinaus besteht laut allgemeinem Lebensmittelrecht die Auffassung, dass eine gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten darin besteht, das Futtermittel- und damit auch das Lebensmittelsicherheitsrisiko zu minimieren. Hersteller von Lebensmitteln müssen sich darum dringend der Endbestimmung ihrer Lebensmittelverluste bewusst sein und dass das „Futtermittelventil“ für nicht mehr zum menschlichen Verzehr geeignete Lebensmittel vom allgemeinen „Abfallventil“ zu unterscheiden ist.

europäischen Ländern bestens etabliert. Insbesondere der Handel mit ehemaligen Lebensmitteln wächst. Verarbeiter von „former foodstuffs“ im Vereinigten Königreich, in Belgien und den Niederlanden haben es geschafft, eine neue Quelle für ehemalige Lebensmittel zu erschließen, indem sie überschüssiges Brot vom Lebensmitteleinzelhandel kaufen. Für die Supermärkte stellt dies allerdings eine große logistische Herausforderung dar, nachdem dafür zentrale Abholstationen geschaffen und organisiert werden müssen. Es ist abzusehen, dass in den kommenden Jahren die Verwendung von Lebensmittelverlusten als Futtermittel verstärkt in Strategien zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen integriert wird. Für Verarbeiter ehemaliger Lebensmittel ist es deshalb essentiell, dass Lebensmittelunternehmen, die nicht mehr zum Verzehr geeignete Lebensmittel auf den Markt bringen, ausreichend Orientierung hinsichtlich dessen erhalten, was in Futtermitteln erlaubt ist und was nicht. Denn wie viele Lebensmittelunternehmer wissen tatsächlich, dass ein minimaler Bestandteil an Wiederkäuergelatine einen Kuchen zum unzulässigen Futtermittel degradieren kann?

Die Verarbeitung von Lebensmittelverlusten zu Futtermitteln hat sich in vielen

person

Zur Person Biographie Anton van den Brink ist politischer Berater für EFFPA, die European Former Foodstuff Processors Association, und PR-Berater für FEFAC, die European Compound Feed Manufacturers’ Association, mit Sitz in Brüssel. Während der letzten zwei Jahre war er aktiv in die Entwicklung der regulatorischen Rahmenbedingungen für die Verarbeitung ehemaliger Lebensmittel eingebunden, welche speziell mit der Diskussion rund um Lebensmittelabfälle zunehmend an Bedeutung gewinnt. Schätzungen zufolge werden in Europa jährlich dreieinhalb Millionen Tonnen ehemaliger Lebensmittel zu Tierfutter verarbeitet.

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©  AUTOR BEIGESTELLT


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FOOD CONTACT MATERIALS: FAZIT UND AUSBLICK Interview VON DER ÖFFENTLICHKEIT WEITGEHEND UNBEMERKT GEHT HEUER MIT DR. H. DIETMAR ÖSTERREICHER EIN BEAMTER DES GESUNDHEITSRESSORTS IN DEN RUHESTAND, DER IN DER BRANCHE KEIN UNBEKANNTER IST UND AUFGRUND SEINER UNAUFGEREGTEN ARBEITSWEISE UND PERSÖNLICHKEIT HOCHGESCHÄTZT UND ANERKANNT IST. DIE ERNÄHRUNG HAT MIT „MISTER FCM“ GESPROCHEN. OSKAR WAWSCHINEK

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ie Ernährung: Herr Dr. Österreicher, wenn Sie mit Dezember 2017 in Pension sind, sind Sie 65 Jahre alt. Worauf können Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn zurückblicken? Dieter Österreicher: Ohne Kalauer: Mit ein bisserl mehr Abstand wird mir das leichter fallen als jetzt. Ich glaube, dass wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen bei und für Materialien und Gegenstände mit Lebensmittelkontakt/ FCM (Food Contact Materials) bisher sehr konstruktiv mitbestimmt und beeinflusst haben, soweit sie nun harmonisiert in ganz Unions-Europa gelten. Da ist aber auch noch jede Menge weiterer Arbeit übrig! Das Leben geht weiter.

Österreicher: Nach einiger Übergangsfrist und viel Informationstätigkeit, die vor 30 Jahren bei FCM und besonders durch das Gesundheitsministerium /BMGF so nicht üblich war – bis heute werden es schon rund 200 Auftritte bei Diskussionsveranstaltungen, Vorträge und Artikel in Fachzeitschriften gewesen sein – sollte es zu einer Produktion von FCM auf hohem Niveau des Gesundheitsschutzes kommen, und fast würde ich sagen „natürlich“ auch zu begleitenden Kontrollen. Unsere österreichischen Unternehmen sind zum Teil sehr aufgeschlossen, einige ihrer Zeit voraus. Dort war die Umsetzung leicht. Andere hatten zuerst Verständnisprobleme. Aber derzeit klappt auch die Akzeptanz recht gut.

Sie haben nicht nur in Brüssel und Wien an den rechtlichen Rahmenbestimmungen für FCM mitgearbeitet, sondern hatten auch die Aufgabe, dieses System flächendeckend zum Laufen zu bringen. Wie schwierig war die Umsetzung?

Umsetzungen von Rechtsvorschriften bis hin zu Kontrollen im Betrieb kann man sicher nicht ganz allein bewerkstelligen. Österreicher: Das war nur mit einem Team möglich, das es anfangs nicht

gab, und an dessen Kompetenz auch noch später zu feilen war – und ständig ist. Wer sich nicht laufend bildet, fällt zurück! Die jährlichen Weiterbildungsveranstaltungen für die Lebensmittel­ aufsicht haben über die Jahre unser Kontrollniveau deutlich angehoben. Das war mir immer ein Anliegen. Inzwischen schätzen das die betroffenen Behörden selbst. Das muss man sicherlich gut, aber auch gerne machen – wie ist das bei Ihnen? Österreicher: Ich habe die Informationstätigkeit und Vorträge immer gerne gemacht - nicht nur in Wien und allen Bundesländern. Das hat mich ein paar Mal auch in andere Staaten geführt, vor allem in die Schweiz und nach Deutschland, aber auch in die USA. Auch von internationalen Verbänden der FCM-Branchen war ich eingeladen, um die österreichische Praxis und Sichtweise der Behörde zu erläutern. Es gelang, dort etwas nicht zu Unterschätzendes zu zeigen: Wir Österreicher sind am Puls der Zeit.

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Nach dem EU-Beitritt Österreichs war in der Folge eine Ausrichtung auf die neue Rechtslage erforderlich – besonders die Schaffung des neuen Lebensmittelrechts mit allen Begleiterscheinungen. Was hat das für alle Beteiligten bedeutet – für Firmen, die Legislative und die Kontrollen? Österreicher: Österreich hat in Brüssel kräftig mitgearbeitet. Wir sind ein kleines Land und da muss man sich manchmal „auf die Beine stellen“; ich denke, das ging ganz gut. Eine starke Herausforderung war dann (bis heute) die Umsetzung der von uns mitbeschlossenen Bestimmungen. Im Rahmen der Vollziehung muss durch die zuständigen Behörden auch eine angemessene Kon­ trolle von Betrieben erfolgen. Wir hatten es so angelegt, dass zuerst die großen Firmen im Fokus standen und weiterhin stehen. Dazu kommen heute auch die kleineren und kleinsten, bis letztlich sogar hin zu den Direktvermarktern. Ein sauberer Vollzug der Vorschriften muss für alle gelten, dem bin ich als ein Vertreter unseres Staatswesens verpflichtet. Zugleich fordert das auch der Gerechtigkeitssinn. Auf Seiten der Gesetzwerdung vermissen manche derzeit die notwendigen Fortschritte. Müsste aus Ihrer Sicht nicht mehr Gemeinschaftsrecht entstehen statt nationaler Alleingänge?

Österreicher: Leider läuft das Tempo qualitätsvoller Regelungen in der Union momentan wie in Zeitlupe ab. Nicht zuerst die Behörden, vor allem die Industrie braucht klare Verhältnisse, an denen sie sich zuverlässig orientieren kann. Aber es geht momentan nichts weiter: Die Recyclingverfahren sind nach einem anfänglichen rechtlichen Strickfehler zwar nun alle bewertet, aber inzwischen haben sich die Technologien verändert. Muss man wieder von vorn beginnen? Und es ist noch mehr im Fluss: Die uralte Keramik-Richtlinie sollte auf einen nützlichen Level gehoben werden, Blei- und Kadmiumwerte stark gesenkt werden sowie andere Elemente mit brauchbaren Grenzwerten versehen werden. Das ist blanke Arbeit und noch nicht fertig. Ob nun auch Glas und Email in eine künftige Keramik-Verordnung kommt, ist nicht ausdiskutiert, ebenso nicht ganz, wie man mit den Manufakturen umgehen soll. Eine Druckfarben-Verordnung wäre dringend, ebenso steht eine Modernisierung der FCM-Rahmen-Verordnung an. Da sind sicher eine Reihe von praktischen Auswirkungen zu erwarten, wenn alles so kommt, wie in den ersten Entwürfen vorgesehen … Das klingt irgendwie nach Sisyphus-Arbeit ... Was tut sich sonst noch?

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Österreicher: Wir haben bisher erreicht, dass die Branche in ihrer Innovationsfreude nicht behindert wird. Außerdem wird durch unsere manchmal ungeliebte, aber entsprechend genaue Kontrolltätigkeit auch außerhalb Österreichs wahrgenommen, dass an diesem Standort betreffend FCM/Lebensmittelkontaktmaterialien konform gearbeitet wird. Das stärkt unser Image, den international guten Ruf in der FCM- und Verpackungsbranche, nützt unseren Unternehmen und nützt unserem Land. Das freut mich in jeder dieser Hinsichten, und besonders als Österreicher, als der ich ja auch namentlich erkennbar bin (lacht). Sie sind also Patriot? Stört Sie eigentlich auch was an Österreich? Österreicher: Das Land ist zwar außergewöhnlich schön; ja, auch die Menschen sind gut: Aber dazu darf man schon bei Grillparzer nachlesen: „…da tritt der Österreicher hin vor jeden, denkt sich sein Teil – und lässt die andern reden“… Klingt zunächst doch cool und abgebrüht; aber betonen sie das einmal auf „die anderen“! Wir müssen mehr mitreden und selbst aktiv mitgestalten. Wenn man die anderen reden lässt, kann die eigene Meinung nicht gehört werden und schon gar nicht ankommen. Also: mehr Mut, mehr Zivilcourage, das eigene Licht


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Zurück zur EU: Können wir in der EU der 27 bis 28 überhaupt gehört werden, sprich: Kann die österreichische Meinung sich auch durchsetzen? Österreicher: Doch, ja, das ist möglich. Ich kenne das aus einigen Arbeitsgruppen, zu Spielzeug und zu FCM beispielsweise, und es ist ein schönes Gefühl – das gebe ich gerne zu – wenn sich hin und wieder Länder wie Spanien, UK, Frankreich oder Deutschland einer österreichischen Meinung anschließen. Das fällt nicht so vom Himmel! Österreicher: Da haben Sie recht, man muss dafür hart arbeiten – ja, auch als Beamter! Als Delegationsleiter hatte ich jedenfalls diesen Auftrag, so wie ich mein Amt verstehe. Wiederholt hört man Beschwerden über „unnötige“ Kontrollen bei FCM, weniger von den Firmen, die am Weltmarkt tätig sind, sondern von Mittel- und vor allem Kleinbetrieben. Österreicher: Wir haben nichts davon, wenn die zuständigen Behörden hierzulande zu nachsichtig arbeiten oder gar wegsehen – dann würden unsere Unternehmen anderswo glatt ins Messer laufen! Wollen wir das? Als Gesundheitsministerium, das für die Lebensmittel und die Sicherheit der damit verbundenen Waren zuständig ist, ist es nicht unsere Aufgabe, mit Sympathie oder mit Hass zu arbeiten, mit Milde oder Schärfe. Die Fakten zählen. Eine ausgewogene, den regionalen Verhältnissen entsprechende Kontrolltätigkeit ist für uns selbstverständlich – das entspricht übrigens auch den Intentionen der von uns mitgestalteten Unions-Gesetzgebung. Was ist eigentlich mit Gastronomie und Catering? Sind auch dort Kontrollen von FCM vorgesehen? Österreicher: Ja. Das besonders gute Beispiel dazu ist die Kunststoff-Verordnung 10/2011/EG und der damit verknüpfte Leitfaden für die Weitergabe der Information in der Lieferkette (Supply Chain). Was bereits der Hausverstand

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Zur Person — Biographie Min.-Rat Dr. H. Dietmar Österreicher, Referent im Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (BMGF). Dietmar („Dieter“) Österreicher ist promovierter Biologe (Zoologie/Biochemie) und seit 1980 im Fachbereich Lebens­ mittelsicherheit tätig. Untersuchungsund Gutachtertätigkeit von Waren des LMG 1975, Abteilungsleiter an der damaligen Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung in Graz. Danach in der Abteilung für Toxikologie im Gesundheitsministerium. Seit 2002 im Bereich Verbrauchergesundheit zuständig vorwiegend für die Warengruppen der Gebrauchsgegenstände gemäß LMG bzw. Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz – LMSVG; Zentrale zuständige Behörde (CCA); Governmental Contact Point for Food Contact Materials (EU); Delegationsleiter in einschlägigen EURats- bzw. EKom-AG (Lebensmittelkontakt/FCM, Spielzeugsicherheit, ...), Mitwirkung an der EU-Rechtssetzung für GG in Brüssel; Mitglied in österreichischen Codex-Unterkommissionen (Gebrauchsgegenstände; Kontaminanten; Lebensmitempfiehlt: Gastronomie und Catering müssen ebenfalls „wissen“, welche Artikel bzw. Gegenstände sie als FCM einsetzen und wo allfällige Materialrisiken liegen! Genau dazu dient eben die lebensmittelrechtliche Konformitätserklärung: Sie ist für die Produzenten und Verarbeiter der FCM bestimmt, muss aber bis zum Hersteller, Abpacker, Abfüller des Lebensmittels zur Verfügung stehen! Man kann das nicht oft genug trommeln! Herr Dr. Österreicher, was werden Sie nun im verdienten Ruhestand anfangen? Österreicher: Mir wird nicht fad werden. Neben meinen Hobbys, z.B. Lesen, Fotografieren, Wandern, Garten, ist es das Schreiben, das mir besonders

©  OSKAR WAWSCHINEK

nicht unter den Scheffel stellen. Die fachliche Kompetenz ist ja sehr oft vorhanden.

telhygiene), seit 2016 Vorsitz der UK-Gebrauchsgegenstände; Mitglied in der Codex-Alimentarius Austriacus-Kommission. 2008–2010 österr. Delegationsleiter im FAO/WHO-Codex Alimentarius Committee on Food Hygiene; Langjährige Mitwirkung in Arbeitsgruppe QM der Länder; zum amtlichen Kontrollplan (MIK; Revisionsplan, Probenplan), Mitwirkung bei der Aus- und Weiterbildung der Organe der Lebensmittelaufsicht; Vertreter des BMGF beim Produktsicherheitsbeirat; Vortragstätigkeit. am Herzen liegt. Dafür werde ich hoffentlich mehr Zeit haben. Was schreiben Sie? Österreicher: Vielleicht etwas aus meiner Arbeit. Ansonsten geht es aber mehr ins Poetische. Also bevorzugt Lyrik – dafür gibt es leider nur wenig Publikum. Aber ich gehe den Lebensmittelkontaktmaterialien nicht ganz verloren. Bis auf weiteres bin ich noch Plenarmitglied im Codex Alimentarius Austriacus und Vorsitzender der Codex-Unterkommission „Gebrauchsgegenstände“, auch das mache ich gerne. Und mein Nachfolger – zum Glück leistet sich der Bund einen, wenn auch spät – wird vielleicht auch noch den einen oder anderen Tipp bekommen …

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100 JAHRE TRINKWASSERCODEX Veränderung des Warenverkehrs IM JUNI 1917 WURDE IM DRITTEN BAND DES ÖSTERREICHISCHEN NAHRUNGS­ MITTELBUCHES1 MIT DEM KAPITEL XXXIX ERSTMALS EIN KAPITEL ÜBER TRINKWASSER UND EIS VERÖFFENTLICHT. ERWIN SCHÜBL

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Nach dem 2. Weltkrieg gelang es den Bemühungen von Ministerialrat Dr. Khaum vom Sozialministerium, die Codexkommission zu neuem Leben zu erwecken. In der Lebensmittelgesetznovelle 1950 wurde die Codexkommission gesetzlich verankert und die genaue Zusammensetzung geregelt. Die III. Auflage des Österreichischen Lebensmittelbuches3 wurde in Angriff

©  CHRISTIAN HUSAR

ufgrund der starken Veränderungen des Warenverkehrs durch den 1. Weltkrieg wurde im Jahre 1922 vom Bundesministerium für soziale Verwaltung eine Neuauflage in die Wege geleitet und eine neue Kommission eingesetzt. Die II. Auflage des Österreichischen Lebensmittelbuches2 umfasste 48 Kapitel (Hefte), die zwischen 1926 und 1938 veröffentlicht wurden. Das Kapitel Trinkwasser wurde nicht überarbeitet; die Fassung der I. Auflage blieb daher weiterhin in Gültigkeit.

genommen. 1957 erschien das Kapitel B 1 „Wasser, Eis“. In Folge wurde das Kapitel mehrmals überarbeitet [1989, 1993 (bereits in Hinblick auf das absehbare EU-Recht), 2002] und neu veröffentlicht.

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Aufgrund des neuen Lebensmittelgesetzes 1975 hat das Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz mit Erlass GZ III-40.966/116/1984 vom 10. August 1984 die „Regelungen für Trinkwasser“ verlautbart. 1975 wurde von der Codexkommission die Codex-Unt e r k o m m i s s i o n „ Tr i n k was s er “ inst a l l i e rt . Al s Vorsitzender dieser Unterkommission wurde Univ.-Prof. Dr. Heinz Flamm, Vorstand des Hygieneinstitutes der Universität Wien, bestellt. Von 1991 bis 2005 leitete HR Dr. Helmuth Cikerle von der ehemaligen Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung in Wien (heute AGES) den Vorsitz. Im Jahr 2006 übernahm Frau Univ.Prof. Dr. Regina Sommer vom Hygieneinstitut Wien den Vorsitz.

Vom zuständigen Gesundheitsministerium wurden 1989 die Trinkwasser-Nitrat-Verordnung, 1991 die Trink-


23 wirtschaft economy

person

Zur Person —

Die Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, BGBl. II Nr. 235/1998, war die nationale Umsetzung der gleichlautenden Richtlinie des Rates vom 15. Juli 1980, (0/778/EWG, durch die die oben angeführten Verordnungen außer Kraft gesetzt wurden). Seit 1. September 2001 gilt die Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Trinkwasserverordnung – TWV), BGBl. II Nr. 304/2001, zuletzt geändert, BGBl. II Nr. 208/2015. Mit dieser wurde die Trinkwasserrichtlinie (98/83/EG vom 3. November 1998) in österreichisches Recht umgesetzt.

Hinblick auf die neue gültige Rechtslage hin überarbeitet. Im Juni 2007 (vor 10 Jahren) wurde die Neufassung des Trinkwasserkapitels in der IV. Auflage veröffentlicht.

Die Codexkommission hat ab der Funktionsperiode 2006 mit der IV. Auflage des Österr. Lebensmittelbuches begonnen. Dabei wurden relevante Teile in

Das Österreichische Lebensmittelbuch (Codex Alimentarius Austriacus) ist aus rechtlicher Sicht als „objektiviertes Sachverständigengutachten“ einzustu-

Erwin Schübl Seit 1973 im Bundesministerium für Gesundheit und Frauen Seit 1978 als Sachbearbeiter in der für Lebensmittel zuständigen Abteilung, davon seit 30 Jahren Administration im Büro der Codexkommission

©  CHRISTIAN HUSAR

wasser-Pestizidverordnung, 1993 die Trinkwasser-Ausnahme-Verordnung und 1999 die Trinkwasser-Informationsverordnung erlassen.

fen. Es ist keine Rechtsvorschrift im engeren Sinn. Es befindet sich auf der Homepage des BMGF (www.verbrauchergesundheit. gv.at/lebensmittel/buch/codex/kapitel. html) und unter www.lebensmittelbuch.at/. Literatur www.ernaehrung-nutrition.at

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24 wirtschaft economy

BIOFACH WÄCHST WEITER DIE BIOFACH, WELTLEITMESSE FÜR BIO-LEBENSMITTEL, NIMMT VOM 14.–17. FEBRUAR 2018 NEBEN DEN TRENDS VON HEUTE DIE „NÄCHSTE GENERATION BIO“ IN DEN BLICK. DER GLOBALE BIO-MARKT NÄHERT SICH 90 MRD. US-DOLLAR UMSATZ UND ENTWICKELT SICH POSITIV BEI GLÄNZENDEN ZUKUNFTSPROGNOSEN.

B

esonders hoch sind die Wachstumsraten in Nordamerika und Nordeuropa. In den USA beträgt der Bio-Marktanteil 5 Prozent, die Organic Trade Association (OTA) beziffert den Umsatz 2016 auf 43 Mrd. US-Dollar. Auch Europa verzeichnet gute Ergebnisse. Österreich: Bio-Umsatzanteil nähert sich der 10 Prozent-Marke Seit jeher ist Österreich neben Dänemark und der Schweiz einer der Vorreiter für Bio-Erzeugung und -Konsum in Europa. Seit über zwei Jahrzehnten wird der ökologische Anbau vor allem auch in den Bergregionen zielgerichtet unterstützt. Regionale Verarbeitung und -Vermarktung stehen daher hoch im Kurs. Nicht verwunderlich, dass der Bio-Anteil am Gesamtumsatz für Lebensmittel in Österreich konstant zunimmt. Betrug dieser 2013 noch 6,7 Prozent, kletterte er auf 8,6 Prozent im ersten Halbjahr 2017, so die Analyse von Roll­ AMA/AMA-Marketing. Besonders gefragt ist Bio-Qualität bei Eiern (20 Prozent Marktanteil), Frischmilch (18 Prozent), Kartoffeln (16 Prozent)

und frischem Gemüse (14 Prozent). Weniger hoch liegt der Bio-Anteil beim Fleisch. Dieser wuchs zwar von 3,6 Prozent in 2014 auf 4,6 in 2016, liegt jedoch nach wie vor unter dem Durchschnitt. Bei Wurst und Schinken beträgt der Bio-Anteil erst 2,6 Prozent. Die Anzahl der Bio-Betriebe stagniert in Österreich seit Jahren auf verhältnismäßig hohem Niveau. Bereits Mitte der Neunzigerjahre erreichte die Alpenrepublik eine Zahl von rund 20.000 Bio-Betrieben. 2015 lag sie bei 20.779, und ist damit über zwei Jahrzehnte beinahe unverändert geblieben. Der gesamte Bio-Umsatz belief sich 2016 in Österreich auf 1,6 Mrd. Euro. Davon entfielen 75 Prozent auf den LEH, 19 Prozent auf den Fachhandel und 6 Prozent auf die Gastronomie. Noch mehr Aussteller präsentieren auf der Messe die weltweite Bio-Vielfalt Dafür werden 2018 zwei zusätzliche Hallen, die 4A und 8, geöffnet. Das Schwerpunktthema ist „Next Generation“ und wird gestaltet vom internationalen Schirmherren IFOAM – Organics International sowie dem nationalen ideellen Träger, Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) gemeinsam mit der BIOFACH. Neben dem BIOFACH Kongress und den Erlebniswelten OLIVENÖL, VEGAN und WEIN zählt unter anderem der Neuheitenstand BIOFACH (erstmals in Halle 8) mit dem Best New Product Award zu den Highlights 2018. Insgesamt werden zur

©  FOTOLIA – TIM UR

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nächsten Ausgabe des Messe-Duos BIOFACH und VIVANESS mehr als 2.950 Aussteller erwartet – rund 250 davon auf der Internationalen Fachmesse für Naturkosmetik. „Next Generation“: Agenda und Ziele der nächsten Generation Zum Jahresauftakt der Branche rückt das Thema „Next Generation“ in den Fokus. Diskutiert wird dann unter anderem, mit welchen Ideen die „nächste Generation Bio“ die Bio-Idee in der Produktion und am Markt weiterentwickeln will und wie der Generationenübergang erfolgreich gestaltet werden kann. Das Themenspektrum reicht dabei vom politischen Programm der neuen Generation über Stabsübergabe und Unternehmensnachfolge bis zu Trends im Start-up-Bereich genauso wie in der Zivilgesellschaft. Diskutiert wird da­ rüber hinaus, welche Schlüsse die junge Generation aus Programmversprechen und Strategieumsetzung vergangener Tage für ihre Pläne und die Kommunikation in Zukunft zieht. Der BIOFACH Kongress bildet gemeinsam mit dem VIVANESS Kongress den Wissenstransfer- und Networking-Event der Bio-Welt. Internationale Branchenvertreter treffen sich dort parallel zur BIOFACH vom 14.–17. Februar, um relevante, praxisnahe Themen zu diskutieren, voneinander zu lernen und Wissen zu teilen. Der BIOFACH und VIVANESS Kongress verzeichnet


25 firmenbericht company report

alljährlich großes Interesse aller Marktakteure. 2017 nutzten über 8.000 Teilnehmer das Branchen- und Wissensforum mit über 120 Einzelterminen zu Information und Networking. Der BIOFACH Kongress ist thematisch und in Foren strukturiert. Neben dem Schwerpunkt 2018 „Next Generation“ als Querschnittsthema sind dies: Forum BIOFACH, Forum Nachhaltigkeit, Forum Politik, Forum Wissenschaft und Forum Fachhandel. Erlebniswelten: Kulinarische und fachliche Inspiration Den Sortimentsbereichen Olivenöl, Wein und vegane Lebensmittel sind 2018 erneut eigene Ausstellungsbereiche gewidmet, die Erlebniswelten OLIVENÖL, WEIN und VEGAN. Bei allen Erlebniswelten arbeitet die BIOFACH mit ausgewiesenen Experten der jeweiligen Produktbereiche als Partner zusammen. Besuchern bieten die Erlebniswelten ein ganzheitliches Angebot aus Produktpräsentationen, Verkostungen und Workshops sowie vielfältige Networking-Möglichkeiten und den Austausch mit Experten. Perspektiven für die nächste Generation Die BIOFACH präsentiert die gesamte Vielfalt der internationalen Bio-Branche. Und das nicht nur kulinarisch, sondern auch fachlich. Schon seit vielen Jahren hat die BIOFACH die nächste Generation fest im Blick mit Jobbörse, Karrieretreff und Forschungspreis Bio-Lebensmittelwirtschaft. Die Sonderschau zum Thema heißt denn auch Generation Zukunft. Um Zukunft zu gestalten braucht es auch in der „nächsten Generation Bio“ Nichtregierungsorganisationen und Brancheninitiativen, die einen unverzichtbaren Beitrag zum Gemeinwohl unserer Gesellschaft leisten. Der Treffpunkt Initiativen und NGOs gibt diesem Engagement ein Gesicht. Auf der Fläche präsentieren sich Projekte aus den Bereichen Politik, Landwirtschaft, „anders wirtschaften“, Tierwohl, fair, regional sowie Verbraucher- und Klimaschutz.

SEHEN RIECHEN SCHMECKEN ALLES IST MESSBAR

WINOPAL: QUALITÄT DURCH ELEKTRONISCHE SENSORIK

A

uf der Food ingredients Europe dreht sich alles um Zutaten und Zusatzstoffe. Die Messe bietet Unternehmen eine Vielzahl an Möglichkeiten, um neue Rezepturen zu entwickeln oder bestehende Produkte zu optimieren. Doch welchen Einfluss haben alternative Inhaltsstoffe auf die Qualität eines Produktes? Wie verändern sich Form und Farbe, Volumen und Konsistenz oder Geschmack und Geruch? Beeinflusst eine neue Verpackung das Aroma des Produktes? Mithilfe entsprechender Technik können diese Veränderungen schnell, präzise und einfach erfasst werden: Riechen, Schmecken, Fühlen und Sehen – alles ist messbar. Unter diesem Leitsatz vertritt die WINOPAL Forschungsbedarf GmbH auf der diesjährigen Fi-Europe zwei der weltweit führenden

Unternehmen für elektronische Sensorik. Stable Micro Systems (Halle 8, Stand 0F50) stellt seine gesamte Palette zur Texturanalyse von Lebensmitteln aus. Unter anderem werden der Texture Analyser TA.XTplus und der VolScan Profiler zur Volumenbestimmung von Backwaren vorgeführt – inklusive der zugehörigen Software. Alpha MOS (Halle 8, Stand 0T40) präsentiert erstmals auf einer internationalen Messe die neue elektronische Nase HERACLES NEO. Das elektronische Auge IRIS und die elektronische Zunge ASTREE vervollständigen das Angebot zur Qualitätssicherung.

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OBST UND GEMÜSE: PATHOGENE KEIME Ein Thema mit zunehmender Brisanz für die Lebensmittelsicherheit MICHAEL STELZL

M

ikrobiologische Gefahren, die von pflanzlichen Produkten ausgehen, wurden in der Vergangenheit als eher gering eingeschätzt. In der Realität kann jedoch diese Einschätzung nicht bestätigt werden, was die 720 Meldungen des Warnsystems der EU in Bezug auf pathogene Keime in Obst und Gemüse seit dem Bestehen des Systems verdeutlichen. Seit dem Jahr 2011 liegen die jährlichen Meldungen zwischen 59 und 124 Mel-

dungen alleine für pathogene Keime in Obst und Gemüse. Ware aus der EU ist nur in rund einem Fünftel der Warnmeldungen betroffen. Mit Sicherheit spielen hier die immer stärker werdenden globalen Warenströme eine Rolle, Importwaren werden aber auch deutlich intensiver untersucht als EU-Inlandsware. Folgende Faktoren spielen beim verstärkten Auftreten von mikrobiologischen Gefahren von Obst und Gemüse eine wesentliche Rolle:

• Veränderung der landwirtschaftlichen Praxis, Verarbeitung und Verpackungstechnologie (Stichwort verpacktes, vorzerkleinertes Obst und Gemüse) • Globalisierung; der Konsument kann frisches Obst und Gemüse das ganze Jahr über bekommen • Veränderungen in der demographischen Bevölkerungsstruktur • Veränderungen im Konsumverhalten (Vegetarier und Veganer) Abgesehen von den im Zuge der Sprossenkrise deutlich gewordenen

Von der australischen Regierung wurde folgende Risikoeinteilung von Obst- und Gemüseprodukten angeregt Klasse 1

Klasse 2

Klasse 3

Klasse 4

Klasse 5

Wachsen nahe dem oder im Boden und können ungekocht gegessen werden

Wachsen weiter vom Boden entfernt oder durch Schale geschützt und können ungekocht gegessen werden

Werden generell gekocht gegessen

Wachsen mehr als einen Meter über dem Boden und haben eine essbare Schale

Wachsen mehr als einen Meter über dem Boden und haben eine nicht essbare Schale

Kohl

Bohnen

Artischocken

Äpfel

Avocado

Karotten

Beerenfrüchte

Spargel

Marillen

Bananen

Sellerie

Broccoli

Rote Rüben, Rüben

Kirschen

Lychees

Kräuter

Chili

Broccoli, Kohl, Kohlsprossen

Trauben

Kiwi

Lauch

Blumenkohl

Kartoffeln, Kürbis

Nektarinen

Papaya

Kopfsalat

Paprika

Rhabarber

Oliven

Passionsfrucht

Pilze

Gurken

Mais

Pfirsiche

Kaki

Zwiebeln

Knoblauch

Melanzani, Zucchini

Birnen

Ananas

Rettich

Melonen

Ingwer

Pflaumen

Zitrusfrüchte

Spinat

Erbsen

Pastinaken

Erdbeeren

Tomaten

Erbsen, Erdnuss

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Nüsse


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Risiken mit Enterohämorrhagischen Escheri­chia coli, ist das Auftreten von Salmonellen, die mit mehr als 500 Warnungen rund zwei Drittel der Gesamtwarnungen darstellen, besonders häufig. An der zweiten Stelle liegt der Norovirus, gefolgt von Bacillus cereus und Listeria monocytogenes. Auch Clostridien, insbesondere Clostridium botulinum, sind wieder näher in die Risikobetrachtung gerückt, was seinen Ausdruck auch in der Veröffentlichung eines „Merkblatts zur Vermeidung des lebensmittelbedingten Botulismus“ durch das BMGF im Juli 2017 erhalten hat. Bei den Produkten stehen Kräuter, Salat und gefrorene Beerenfrüchte im Fokus. Aber auch Bodengemüse wie Zwiebel und Karotten sowie Gemüse- und Obstverarbeitungsprodukte wie geschnittene Melonen, Smoothies, Fruchtzubereitungen, Sauergemüse und Aufstriche oder vegane Fleischersatzprodukte sind ins Zentrum der Risiko­ betrachtung gerückt. Die EFSA hat zu einzelnen Produktgruppen bereits Risikostudien publiziert und auf dieser Basis wurde von der EU auch 2017 ein Leitfaden zur Eindämmung mikrobiologischer Risiken durch gute Hygiene bei der Primärproduktion von frischem Obst und Gemüse publiziert. Als Gefahrenursachen für mikrobiologische Kontaminationen von Obst und Gemüse gelten: • Verwendungshistorie des Bodens (z.B. für Abfälle oder Ausbringungen von Klärschlamm) • Nähe zu tierhaltenden Betrieben (Gefahr der Übertragung von Zoonosen, z.B. durch Staub, Oberflächenwasser); Beispiel EHEC • Haustiere, die in der Nähe der Felder gehalten werden; Wildvögel, Wildtiere, Feldmäuse stellen ebenfalls eine Gefahr dar • Einsatz von unreifem Kompost; ein besonders hohes Risiko weist unreifer Stallmist auf • Verunreinigtes Wasser für Bewässerungszwecke, besonders gefährlich sind Oberflächengewässer und Überkopfberegnungssysteme, insbesondere in Gewächshäusern • Unzureichender zeitlicher Abstand zwischen Düngung und Bewässerung und Ernte

©  FOTOLIA – KLAUS EPPELE

wirtschaft economy

Abbildung: Mögliche Eintragsquellen für Human-Pathogene in der Gemüse-Produktion vor der Ernte.

• Mangelnde Handhygiene bei der manuellen Ernte • Unzureichende Reinigung und Desinfektion des Werkzeuges und der Transportbehälter (z.B. Erntekisten) • Lagerung von offenem Verpackungsmaterial oder Transportkisten auf dem Feld • Schlechte Reinigung der Lager-, Verarbeitungs- und Verpackungsräume sowie Entstehen von Biofilmen • Einsatz von kontaminiertem Schwemm­ wasser • Personalhygiene der Mitarbeiter im Verarbeitungs- und Verpackungsbereich • Schädlingsbekämpfung im Lager • Überwachung der Luftführung (Filterwechsel, Verarbeitung und Verpackung) • Unzureichende Kenntnis von Wachstumsfaktoren und Wachstumshürden bei Verarbeitungsprodukten • Ungenügende Sporenhemmung in der Rezeptur von Verarbeitungsprodukten, insbesondere bei veganen Fleisch­ ersatzprodukten. Wie die Tabelle möglicher Gefahrenursachen zeigt, sind die Risikofaktoren multifaktoriell und können nur durch ein Zusammenwirken entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Feld bis zum Konsumenten beherrscht werden. In vielen Fällen fehlen zurzeit auch noch Risiko­beurteilungsmodelle und normierte Kennzeichnungshinweise, wie sie bei tierischen Produkten bereits eingeführt

sind. Es ist daher notwendig, dass sich Produzenten, Behörden und Wissenschafter mit dem Thema verstärkt auseinandersetzen, um Krisen zu vermeiden und Risikokommunikation auf Basis abgesicherter Daten betreiben zu können. Aus diesem Grund hat die Gemeinnützige Lebensmittelinitiative Österreich (GLi) ein Branchenprojekt vorbereitet, das mit führenden österreichischen Lebensmittelunternehmen sowohl die Prävalenz von pathogenen Mikroorganismen als auch Methoden zu deren Eindämmung und Eliminierung bei nachfolgenden Verarbeitungsschritten evaluieren und publizieren wird. Dr. Michael Stelzl Geschäftsführer Hygienicum, Graz GLI, Linz

Tipp —

Für interessierte Betriebe gibt es noch die Möglichkeit zur Teilnahme: GLi GmbH - Gemein­nützige Lebensmittel­initiative für Österreich Andrea.Huber@gli-austria.at Mobil: +43 699 10421195

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FROZEN BAKERY Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zur Qualitätsverbesserung von Tiefkühl-Backwaren GETREIDEPRODUKTE SIND DIE WICHTIGSTE ENERGIEQUELLE DER MENSCHLICHEN ERNÄHRUNG, WOBEI BROT IN DEN MEISTEN REGIONEN DER WELT DAS WICHTIGSTE PRODUKT DARAUS DARSTELLT. OBWOHL DIE BROTHERSTELLUNG EINE DER ÄLTESTEN TECHNOLOGIEN ZUR PRODUKTION VON VERARBEITETEN NAHRUNGS­ MITTELN IST, UNTERLIEGT SIE EINEM STÄNDIGEN WANDEL, DER VON SICH STÄNDIG ÄNDERNDEN RAHMENBEDINGUNGEN GETRIEBEN WIRD. JOHANNES FRAUENLOB

Eine der weitreichendsten Veränderungen der letzten Jahrzehnte stellt die Anwendung des Tiefgefrierens zur Konservierung von Brot und Teig dar. Diese wird heute flächendeckend in Bäckereibetrieben angewendet. Die Zahl der Brot-Aufbackstationen in Supermärkten wächst weiterhin. Einerseits können Großbetriebe davon finanziell profitieren, andererseits nimmt auch der Anteil der Außerhausverpflegung ständig zu und viele Konsumenten erwarten eine ständige Verfügbarkeit von „frischem“ Brot. Diese Faktoren treiben die Entwicklung im Bereich der Tiefkühl-Backwaren voran. Die Qualität von Tiefkühl-Backwaren wurde in den letzten Jahren merklich verbessert, dennoch kämpft man immer noch mit Qualitätseinbußen im Vergleich zu frisch gebackenen Produkten. Auftretende Probleme (siehe Abbildung 1) sind u. a. vermindertes Brotvolumen, ungleichmäßige Porung, schlechtere Textur, unerwünschte Risse in der Kruste oder Absplittern von Krustenteilen. Ein schnelleres Altbackenwerden durch eine beschleunigte Retrogradation von Amylopektin kann ebenfalls beobachtet werden. Mögliche Einflussfaktoren auf die Qualität sind eine gezielte Auswahl von Rohstoffen, eine Modifikation der Prozessparameter und der Einsatz von tech-

nologischen Hilfsstoffen bzw. Zusatzstoffen. Im Rahmen des Projektes „Frozen Bakery“ wurden diese drei Ansatzpunkte gezielt verfolgt und Strategien zur Produktverbesserung auf Basis von wissenschaftlichen Versuchen erarbeitet. Ein wesentlich zu beachtender Punkt war die Unterscheidung der unterschiedlichen Herstellungsstrategien von Tiefkühl-Backwaren. In der Praxis werden ungegarte und vorgegarte Teiglinge oder teilgebackene Backwaren tiefgekühlt. Als maßgebliche Hauptzutat in Backwaren hat das verwendete Mehl großen Einfluss auf die Endproduktqualität. Zur Bestimmung der Getreide- und Mehlqualität steht eine sehr große An-

zahl an unterschiedlichen Methoden zur Verfügung. Die ermittelten Qualitätskennzahlen ermöglichen es, für jedes Produkt das optimale Mehl auszuwählen. Die in Österreich gebräuchlichsten Kennzahlen für die Backqualität sind der Proteingehalt, der Feuchtklebergehalt, die Fallzahl, das Farinogramm, das Extensogramm und das Amylogramm. Im Rahmen der durchgeführten Versuche wurden Kennzahlen identifiziert, die für die Herstellung von TK-Backwaren besondere Bedeutung haben und in der Rohstoffbeschaffung in Zukunft berücksichtigt werden sollten. Beispielweise ist es bei der Herstellung von vorgegarten Tiefkühl-Teiglingen vorteilhaft, Mehle einzusetzen, die feste Teige mit einem

Abbildung 1: Vergleich frisch gebackenes mit aus vorgegartem TK-Teigling gebackenes Weizenbrot. Diese Rezeptur enthielt keine Zusätze und wurde nicht speziell für TK-Backwaren angepasst.

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29 technik technology

©  LIA TO FO DO

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–O NI LLI BE

hohen Dehnwiderstand bilden. Diese Mehle wären für die Herstellung von frischen Backwaren nur bedingt geeignet. Um Tiefkühl-Backwaren möglichst schnell auf die Lagertemperatur (meist –18°C) zu kühlen, wird üblicherweise Schockfrostung eingesetzt. Dieser Vorgang entscheidet über die Qualität nach dem Auftauen. Besonders vorgegarte Tiefkühl-Teiglinge sind ein sehr empfindliches Produkt, bei dem die Geschwindigkeit der Schockfrostung mit Bedacht gewählt werden sollte. Ein zu langsames, aber auch ein zu schnelles Frosten haben negative Auswirkungen auf die Produktqualität. Beim langsamen Frosten bilden sich große Eiskristalle im Teig, die das Glutennetzwerk schwächen. Dies hat zur Folge, dass die Teiglinge nach dem Auftauen ein vermindertes Gasrückhaltevermögen besitzen und dadurch das Brot- und Gebäckvolumen im Vergleich zu frischen Back­waren deutlich verringert ist. Zu schnelles Frosten führt hingegen zu einem hohen Verlust an Hefeaktivität, wodurch nach dem Auftauen der Teig nur noch eine geringe Triebkraft besitzt. Zusätzlich führt es zu einer ungleichmäßigen Verteilung des Wassers im Teig, was wiederum ausgetrocknete oder auch „speckige“ Stellen in der fertigen Backware zur Fol-

ge hat. Versuche mit unterschiedlichen Frostungsgeschwindigkeiten zeigten, dass bei Teigen eine Temperaturverringerung von ca. 1°C/min. anzustreben ist. Während der Tiefkühl-Lagerung sollten Temperaturschwankungen unbedingt vermieden werden, da diese Eiskristallwachstum im Produkt zur Folge haben, wodurch die Qualität deutlich gemindert wird. Während der Lagerung ist außerdem eine geeignete, möglichst dichte Verpackung notwendig, um eine Austrocknung des Produkts zu vermeiden. Im Vergleich zur Herstellung von frischen Backwaren, hat der Knetvorgang des Teiges noch größeren Einfluss auf die Produktqualität. Zu langes, aber auch zu kurzes Kneten führt zu einem verminderten Brotvolumen. Außerdem sollten tendenziell niedrigere Teigtemperaturen (bspw. 24°C), als bei frischen Backwaren, nach dem Kneten angestrebt werden. Die Verwendung von Zusatzstoffen und Verarbeitungshilfsstoffen ist in der Herstellung von Backwaren weit verbreitet und dient vor allem dazu, eine gleichbleibende Teigverarbeitbarkeit und Brotqualität zu gewährleisten. Typischerweise werden Emulgatoren, Hydrokolloide, Säureregulatoren und unterschiedliche Enzyme eingesetzt. Häufig

Abbildung 2: Im Rahmen eines Mikrobackversuches wurde gezeigt, dass mit Lipase ähnliche Brotvolumen wie mit DAWE erzielt werden können. Der Einfluss auf die Brot-Frischhaltung ist jedoch unterschiedlich.

wird versucht, deklarationspflichtige Zusatzstoffe durch deklarationsfreie Zutaten zu ersetzen, Qualitätsänderungen sind dabei oft nicht zu vermeiden. Beispielsweise können Emulgatoren (u.a. Diacetylweinsäureester, E 472e) durch Lipasen (fetthydrolisierende Enzyme) ersetzt werden. Im Rahmen von Tiefkühl-Backversuchen konnte zwar gezeigt werden, dass ein gutes Brotvolumen mit beiden Zusätzen erzielt wurde, jedoch war die Brotfrischhaltung mit dem konventionellen Emulgator (Diacetylweinsäureester) deutlich besser als mit Lipase (siehe Abbildung 2). Außerdem sollte beachtet werden, dass die Zukunft der Deklaration von Enzymen ungewiss ist und möglicherweise mit einer Volldeklaration gerechnet werden muss. Deshalb wurden im Rahmen des Projektes auch Rohstoffe wie Pflanzenfasern und spezielle Weizenzüchtungen (Wachsweizen) untersucht. Ergebnisse von Backversuchen konnten zeigen, dass diese Rohstoffe vielversprechende Alternative zu konventionellen Zusatzstoffen in Backwaren sein können. Grundsätzlich bestehen viele Ansatzmöglichkeiten, die Produktqualität von Tiefkühl-Backwaren zu verbessern. Im Rahmen des Projektes wurde der Einfluss vieler dieser Stellgrößen erstmals detailliert untersucht und verstanden. Dadurch konnte eine Reihe von Lösungsansätzen zur Verfügung gestellt werden, die individuell entlang der Getreidewertschöpfungskette im jeweiligen Betrieb umgesetzte werden können. Acknowledgement am besten als eine Art „Infobox“ Das Projekt Frozen Bakery wurde von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) gefördert (Projekt Nr. 844234) und erfolgte unter Leitung des Lebensmittel Cluster Niederösterreich. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette wurden 18 Wirtschaftspartner von wissenschaftlichen Expertisen durch das OFI, das Institut für Lebensmitteltechnologie an der BOKU Wien und der HTL für Lebensmitteltechnologie, Getreide- und Biotechnologie in Wels unterstützt. DI Johannes Frauenlob Universität für Bodenkultur, Institut für Lebensmitteltechnologie, Wien

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CSI: LEBENSMITTEL Woher kommt das Essen und was ist wirklich drin? Herausforderungen an die analytische Wissenschaft HERKUNFT UND ECHTHEIT GEHÖREN ZU DEN MEGATRENDS IN DER LEBENSMITTEL­BRANCHE. DEMENTSPRECHEND IST DIE TÄUSCHUNG DER HERKUNFT ODER DIE VERFÄLSCHUNG VON LEBENSMITTELN EIN IMMER STÄRKER FLORIERENDER UND IMMER SCHWIERIGER ZU KONTROLLIERENDER ASPEKT IM LEBENSMITTELHANDEL. THOMAS PROHASKA

T

äuschen, lügen und betrügen Das Vortäuschen falscher Tatsachen bei Lebensmitteln ist allerdings keine neue Erscheinung des 21. Jahrhunderts, die auf die steigendende Globalisierung zurückzuführen wäre. Die Fälschung von Lebensmitteln ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Früheste Aufzeichnungen zeugen bereits von kreativen Wegen, mit verfälschten Lebensmitteln Geld zu machen. Im antiken Griechenland beschrieb der Arzt Galenus, wie Olivenöl mit billigen Fetten gestreckt wurde. Marcus Gavius Apicius war ein römischer Feinschmecker der Antike im 1. Jahrhundert vor Christus und beschrieb eine Methode, wie aus billigem spanischem Olivenöl durch Würzmischungen teures italienisches Olivenöl „hergestellt“ werden konnte. Bei der Gründung des Deutschen Reiches im 19. Jahrhundert wurde Gips zu Brot beigemengt, Wurst mit Mehl angereichert und Wein mit Fuchsin gefärbt. Olivenöl und Wein zählen nach wie vor zu den meistgefälschten Lebensmitteln weltweit. Im Mittelalter fanden sich Kräuter, Beeren, Quecksilber, Arsen, Schwefel, Senf und Speck im Wein. Seit den Römern bis hin ins 18. Jahrhundert war das „Schönen“ von saurem Wein mit Bleiazetat eine gängige Praxis. Der österreichische „Weinskandal“ der 1980er Jahre überschattet nach wie vor den internationalen Ruf des heimischen

Weines. Damals wurden billigem Wein geringe Mengen von Glykol zugesetzt, um die mangelnde Süße der oft zu früh geernteten Trauben zu kompensieren und dadurch seine Qualität zu erhöhen. Auch der Nachgeschmack des Pferdefleisch­ skandals 2013 klebt noch allen am Gaumen. Allerdings wurde auch hier bereits 165 Jahre zuvor berichtet, dass Rindfleisch in Restaurants und Fleischereien durch billiges Pferdefleisch ersetzt wurde.

London Times berichtet bereits im Jahr 1848 — „Wir fragen nach Brot und erhalten Stein, nach Kaffee und erhalten Zichurien. Wir kaufen Zichurien und erhalten angebrannte Karotten und Pulver getrockneter Pferdeleber, nach Mandelöl und erhalten Cyanid, um den Genuss von Nachspeisen zu erhöhen – und diese mit ein bisschen Risiko zu würzen.“ Von falschen Tatsachen zur Gefahr für den Konsumenten Meist zielen Verfälschungen darauf ab, billige Waren teuer zu verkaufen. Verfälschte Lebensmittel sind aber dann nicht mehr sicher,

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wenn sie so verfälscht sind, dass sie die Gesundheit gefährden. In den 1980er Jahren starben zum Beispiel hunderte Menschen, nachdem sie mit Motoröl gepanschtes spanisches Olivenöl verzehrt hatten. Ein anderes Beispiel ist Mennige, ein rotes Farbpigment, das in den 1990er Jahren zum Anfärben ungarischen Paprikapulvers verwendet wurde. Dabei handelt es sich bei Mennige allerdings um reines Bleioxid. Das Panschen von Milch im Deutschen Kaiserreich führte bis ins 19. Jahrhundert zu einer erhöhten Kindersterblichkeit: Neben dem Verkauf von verdorbener Milch oder Milch von kranken Kühen wurde Milch bis zur Hälfte verdünnt. Durch die Zugabe von Mehl, Kreide, Gummi, Gips, Seife oder Kalbshirn sollte die ursprüngliche Konsistenz wiederhergestellt werden. Der Milchpulverskandal chinesischen Milchpulvers mit Melamin, bei dem 2008 bis zu 300.000 Babys erkrankten, ist allen in schauderhafter Erinnerung. Von Täuschung zu Betrug Nach dem Österreichischen Strafgesetzbuch §146 liegt Betrug dann vor, wenn „... ein Vorsatz vorliegt, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, jemanden durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet, die diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt...“ Schwerer Betrug nach § 147 liegt vor, wenn jemand


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©  FOTOLIA – WESTEND61

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einen Betrug mit einem 5.000 Euro übersteigenden Schaden begeht. Die Täuschung von Lebensmitteln ist durchaus oft nachzuweisen, eine Schädigung oft schwieriger und daran, den Vorsatz nachzuweisen, scheitern vielfach die strafrechtlichen Verfolgungen. Die Strafen auf Betrug sind jedoch heutzutage bei weitem nicht mehr so drakonisch wie früher.

Lebensmittelbetrug hat dabei viele Gesichter: Die Palette reicht von unerlaubten Zusätzen, Verdünnungen mit billigen Produkten, Verheimlichung von Tierkrankheiten bei Fleischwaren, bis hin zur Umleitung von Waren und Diebstahl. [Abbildung] Gemeinsame Strategien der Behörden sind infolge des riesigen globalen Warenstroms oft die einzig wirksame Waffe, um Betrügern

auf die Spur zu kommen und ihnen das Handwerk zu legen. In einer gemeinsamen Aktion der Europol/Interpol (OPSON) wurden verfälschte und nicht genusstaugliche Waren beschlagnahmt und illegale Netzwerke hinter dem illegalen Handel zerschlagen. Allein im Jahr 2016 wurden gefährliche Lebensmittel im Wert von 230 Millionen Euro beschlagnahmt.

Spottlied zum Wiener Bäckerschupfen 18. Jhdt. —

„Bäckerlein, Bäckerlein, Laß dein Brot gewichtig sein! Sonst zieh' n wir dich bei Schnee und Wind Zur Donaulände hin geschwind. Bäckerlein, Bäckerlein, Warum ist dein Brot so klein? Wir rufen heut' den hohen Rat, Zu prüfen deine schlechte Tat. Bäckerlein, Bäckerlein, Setz' dich in den Korb hinein! Wir bringen dich zum ‚Roten Turm‘ Und schupfen dich im Wellensturm. Bäckerlein, Bäckerlein, Steig' nur in den Korb hinein! Wir tauchen dich ins kühle Nass. Auf dein Gewicht ist kein Verlass.“

Abbildung: Lebensmittelbetrug hat viele Gesichter – nach John Spinks und Douglas Moyer, Michigan State University

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Die Gesetze und die Kontrolle Die Erstellung einer einheitlichen Gesetzgebung Ende des 19. Jahrhunderts legte die Grundlage einer flächendeckenden Lebensmittelüberwachung. Lebensmittelqualität und Sicherheit sind im Codex Alimentarius festgelegt. Zahlreiche nationale und internationale Gesetze schreiben vor, was hinsichtlich der Lebensmittel­qualität und -sicherheit zu beachten ist. Doch diese Gesetzgebung braucht Kontrolle. Aber ohne die geeigneten wissenschaftlichen Methoden funktioniert auch keine unabhängige eindeutige Kontrolle. Nun kommt also wieder die Wissenschaft ins Spiel. Was sind nun die Anforderungen an solche Methoden? Sie müssen solche Informationen aus den Lebensmitteln herauslesen, aus denen ein möglicher Betrug eindeutig abgeleitet werden kann. Die Information, die aus dem Lebensmittel herausgelesen wird, • ist daher eine Eigenschaft des Lebensmittels selbst und muss nicht hinzugefügt werden • ist einzigartig für das Lebensmittel zum Beispiel in Bezug auf die Herkunft/Authentizität • kann „gelesen“ werden (idealerweise einfach, billig und schnell) • ist fälschungssicher

Hahnemann'scher Liquor — Seit 1707 bestand die „Württembergische Weinprobe“ mit Vitriolsäure, die allerdings wenig spezifisch war und neben Blei auch Eisenspuren erfasste. Hahnemann fand ein Nachweisverfahren mit saurem Schwefelwasserstoffwasser, im damaligen Fachjargon „angesäuertes, mit Schwefelleberluft gesättigtes Wasser“. Der Hahnemann'sche Liquor, der mit Eisen zu einer dunklen Lösung reagiert, wurde bald als Weinprobe amtlich vorgeschrieben. Im Laufe der letzten Jahrhunderte hat die Wissenschaft enorme Fortschritte gemacht. Eine Vielzahl an analytischen Methoden wurde entwickelt und wird mittlerweile erfolgreich eingesetzt, um Lebensmittelfälschungen auf die Spur zu kommen. In diesem Bereich ist seit nun mehr als 10 Jahren das Forscherteam rund um Thomas Prohaska im VIRIS-Labor der Universität für Bodenkultur (BOKU) tätig: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickeln Methoden zur Bestimmung der Echtheit und Herkunft von Lebensmitteln und setzen diese bereits erfolgreich in diversen Bereichen um. Seit 2017 wird die Forschungsarbeit außerdem in einem Forschungsschwerpunkt des neu gegrün-

deten Kompetenzzentrums K1 FFoQSI (Feed and Food Quality, Innovation and Safety) verstärkt betrieben, wobei bereits für verschiedene Anbauregionen Österreichs ein charakteristischer chemischer Fingerabdruck bestimmt werden konnte.

Jürgen Marchart, Martin Wagner, FFoQSI, 2017 —

„Wir wollen Lebensmittel und die Lebensmittelproduktion besser, sicherer und nachhaltiger machen. Dafür beleuchten wir relevante Themen entlang der Wertschöpfungsketten Futtermittel-Lebensmittel und kombinieren die Expertise renommierter österreichischer Forschungsinstitutionen mit der Erfahrung von über 30 innovativen und forschungsaffinen Unternehmen aus mehreren Ländern.“ Was steckt nun hinter diesen Methoden, welche eine Echtheits- und Herkunftsbestimmung erlauben? So vielfältig wie die Verfälschungen sind klarerweise auch die Methoden, die eingesetzt werden, um diese Verfälschungen aufzudecken. Die Aufzählung und Erklärung der Methoden füllt ganze Lehrbücher. Kurz gefasst zielen alle diese Methoden darauf ab, in den Lebensmitteln die entsprechenden biologischen, physikalischen oder chemischen Eigenschaften zu analysieren, die als Fingerabdruck für die Herkunft, Echtheit oder

©  MAX WREDE

Wie kommen wir den Fälschungen auf die Spur? Verfälschungen flogen ja meistens erst dann auf, wenn negative Folgen auftraten. Überprüfung von Lebensmitteln war bis ins 18. Jahrhundert auf Schmecken, Sehen und Riechen beschränkt. Erst 1707 wurde eine erste Methode zur chemischen Untersuchung von Wein auf die schädliche Beimengung von Blei eingesetzt, die

sogenannte „Württembergische Weinprobe“.

Das VIRIS-Labor an der Universität für Bodenkultur Wien

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Authentizität des Lebensmittels dienen oder aber umgekehrt dazu dienen, unerlaubte Zugaben zu detektieren. Klarerweise sind die klassischen sensorischen Methoden nach wie vor wichtige, rasche Screening-Methoden genauso wie die optische Überprüfung der Zusammensetzung. Honig kann beispielsweise aufgrund der Pollen der Herkunft sehr gut seiner Herkunft zugeordnet werden. Einfache chemische und physikalische Parameter (wie zum Beispiel der pH-Wert oder die Zähigkeit) geben schon oft recht schnell Aufschluss über die Echtheit. Molekularbiologische und genetische Methoden werden dazu verwendet, unterschiedliche tierische oder pflanzliche Spezies in Lebensmitteln zu entdecken. Dafür werden bei FFoQSI Methoden zur Speziesdifferenzierung entwickelt. Eine ganz besondere Bedeutung in der Untersuchung der Echtheit und Herkunft von Lebensmitteln hat nun die Analyse des „multichemischen Fingerabdrucks“ gewonnen. Die geografische Herkunft (über den Boden, das Wasser oder das Klima), der HerstellungsShimadzu_AT_Cube:Layout 1 31.08.17 16:10 Seite 1

prozess oder verwendete Futtermittel hinterlassen im Lebensmittel einen typischen chemischen Fingerabdruck: Das sind zum Beispiel die Muster verschiedener organischer Komponenten (zum Beispiel Fettsäuremuster in Ölen) oder die Zusammensetzung der chemischen Elemente oder die Isotopenzusammensetzung (auf die wir bei der Herkunftsanalyse noch einen genaueren Blick werfen wollen). Dabei kommen Methoden der organischen Massen­ spektrometrie (oft in Verbindung mit chromatografischen Systemen, um einzelne Komponenten aufzutrennen), der Element- und Isotopenmassenspektrometrie und spektroskopische Methoden (beispielsweise Infrarot-, Raman­ spektroskopie oder die hyperspektrale Bildgebung) zum Einsatz. Letztere haben zudem den Vorteil, dass sie zerstörungsfrei arbeiten und auch direkt in der Produktionskette bis hin zu „Handheld“-Geräten eingesetzt werden können. Um den Informationsgehalt allerdings richtig zu interpretieren, bedarf es nach wie vor der Experten im Bereich der analytischen Chemie.

Von Herkunft und Regionalität Die Herkunft von Lebensmitteln ist mittlerweile ein sehr sensibles Thema bei Konsumenten. Schutz der Lebensmittelherkunft ist aber nicht nur von Bedeutung in Bezug auf Konsumentenschutz, sondern auch um die Wettbewerbsfähigkeit von Produzenten zu fördern, das Vertrauen des Konsumenten in die Produkte zu steigern und nicht zuletzt, um Regionen zu schützen. Die EU hat eigene Kennzeichnungen von Lebensmitteln vorgesehen, die aus einer spezifischen Region stammen. Das Label „Geschützte Ursprungsbezeichnung“ soll zum Beispiel Lebensmittel schützen, die in einer bestimmten Region mit anerkanntem Know-how produziert, weiterverarbeitet und gebrauchsfertig gemacht wurden. Dazu zählen beispielsweise die Wachauer Marille, der Gailtaler Speck, der Marchfelder Spargel oder das Steirische Kürbiskernöl. Kennzeichnung der Herkunft ist gesetzlich vorgeschrieben und bedarf entsprechender Werkzeuge zur Kontrolle, welche auch behördlich umgesetzt werden muss. Die Kontrolle der Herkunft

Methodischer Dreh Für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit braucht die Nahrungsmittelindustrie verschiedenste Analysegeräte ERNÄHRUNG | NUTRITION volume 41 | 06. 2017  für Forschung, Entwicklung und Qualitätskontrolle. Ob für tierische und pflanzliche Produkte, Duft- und Geschmacksstoffe, Speisen und Getränke, Lebensmittelverarbeitung und -verpackung: Als ein weltweit führender Hersteller instruwww.shimadzu.eu.com/ menteller Analytik bietet Shimadzu das gesamte Angebot an Hard- und Software-Lösungen. lebensmittelindustrie


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©  FOTOLIA – EISENHANS

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erfolgt größtenteils über Papiere und Softwarelösungen. Jedes einzelne Ei hat mittlerweile einen Aufdruck, der seine Herkunft eindeutig zuordnen lässt. Tiere sind markiert oder haben eigene Tierpässe. Ungeachtet dessen sind nachträglich eingeführte Informationen nicht fälschungssicher. Auch hier bietet die analytische Wissenschaft Lösungen an, spezifische chemische Fingerabdrücke zu bestimmen. Eine der Methoden, die hier im besonderen Blickpunkt steht und mittlerweile auf zahlreiche Erfolge verweisen kann, ist die Methode des Isotopenfingerabdruckes. Der Isotopenfingerabdruck einer Region und wie dieser in Lebensmitteln gelesen werden kann Was ist das nun, ein Isotopenfingerabdruck? Isotope sind Atome desselben chemischen Elementes, die sich aufgrund von ihrer Atomkernzusammensetzung in ihrer Masse unterscheiden. Es gibt nun also in der Natur schwerere und leichtere Atome, die in unterschiedlichen Mengen („Häufigkeiten“) vorkommen. Aus dem Verhältnis der Menge der schwereren zu den leichteren Isotopen ergibt sich das

sogenannte Isotopenverhältnis. Nun ist dieses Isotopenverhältnis in der Natur nicht konstant, sondern verändert sich aufgrund chemischer, physikalischer oder biochemischer Prozesse. Somit findet man oft in einer Region eine bestimmte Isotopenzusammensetzung eines Elements aufgrund der geologischen Geschichte, des Klimas, der Bodenbearbeitung oder der Wasserquellen. Für die Charakterisierung der Herkunft eines Lebensmittels hat sich nun eine Gruppe von 7 Isotopensystemen besonders bewährt: Das sind die Systeme der Elemente Wasserstoff (H), Kohlenstoff (C), Stickstoff (N), Sauerstoff (O), Schwefel (S), Blei (Pb) und Strontium (Sr). Die genannten Isotopensysteme werden nun durch verschiedene Faktoren beeinflusst: Kohlenstoff beispielsweise durch Temperatur und Klima und die Photosynthese der Pflanzen, Wasserstoff und Sauerstoff durch das Wasser (und somit auch durch das Klima); Stickstoff aufgrund des verwendeten Düngers; Schwefel und Blei aufgrund des Eintrages durch z.B. industrielle Quellen; und Blei und Strontium vor allem durch die Zusammensetzung des Bodens. Das na-

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türlich vorkommende Element Strontium erlaubt somit einen direkten Bezug der Pflanze zum Boden, auf dem sie gewachsen ist. Oft ist die Lösung einfach und eines der Systeme gibt schon ausreichend Antwort im Vergleich zur unbekannten Probe mit Referenzproben aus der Region. Manchmal bedarf es aber der Kombination verschiedener Systeme, die dann aber das Potential haben, eine Flasche Wein dem Dorf in Frankreich zuzuordnen, wo der Wein gekeltert wurde oder eine einzelne Kaffeebohne dem Bauern in Hawaii zuzuordnen, auf dessen Boden der Kaffeestrauch gewachsen ist. CSI: Made in Austria Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, hat sich die Forschung des VIRIS-Labors der BOKU in den letzten Jahren auf die Entwicklung einer Fingerabdruckmethode konzentriert, die auf der natürlichen Variation der elementaren und Isotopenzusammensetzung von Lebensmittelprodukten mit einem Hauptaugenmerk auf das natürlich vorkommende Element Strontium beruht. Die Isotopenzusammensetzung von natürlich vorkommen-


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dem Sr wird weitgehend unabhängig von der Quelle zum Endprodukt (zum Beispiel dem Wachstumsbereich eines Pflanzenprodukts oder einer Nahrungsquelle eines tierischen Produkts) übertragen. Lebensmittelprodukte sind daher rückführbar auf ihren Produktionsort. Die Entwicklung eines vollständig validierten Analyseprotokolls zum „Lesen“ dieses Fingerabdrucks ist einer der Forschungsschwerpunkte im Rahmen des K1-Zentrums FFoQSI in Zusammenarbeit mit österreichischen Lebensmittelherstellern. Die Methode soll aus der Grundlagenforschung zu einem zuverlässigen Routinetool entwickelt werden. Ein neuartiges Verfahren auf der Basis eines Lasers erlaubt das Lesen der zeitaufgelösten Information, die in Fischhartteilen (wie zum Beispiel dem Otolithen – Anm.: Gehörstein des Fisches; Bild Seite 36) gespeichert wird, in hoher Auflösung, was die Rückverfolgbarkeit der Lebensgeschichte des Fisches erlaubt. Der Fisch kann nun den einzelnen Lebensphasen seiner Umgebung zugeordnet werden, und es bleibt den Wissenschaftern nicht mehr verbor-

gen, woher der Fisch kam und wo er seine letzten Lebenstage verbracht hat, bevor er gefischt wurde und am Teller landete. Die neueste Entwicklung des Labors stellt ein Werkzeug zur Markierung von Produkten mit einzigartigen natürlich vorkommenden und ungiftigen Sr-Isotopen-Markierungen bereit.

Andreas Zitek, VIRIS-Labor, BOKU — „Die zeitaufgelöste Analyse von Sr-Isotopen in Otolithen durch LA-ICP-MS liefert einzigartige Informationen zur vollständigen Lebensgeschichte eines Fisches.“ Im Wald der analytischen Möglichkeiten Letztendlich ist keine Methode die Panazee, die berühmte eierlegende Wollmilchsau (die nach Möglichkeit auch nichts kostet). Wie findet sich nun ein Produzent oder Händler im Mär-

chenwald der analytischen Methoden zurecht, um eine geeignete Lösung für sein Problem zu finden? Auch hier sieht sich das Forscherteam rund um Thomas Prohaska im K1-Zentrum FFoQSI als wichtiger Partner: Sie stehen für Fragen zur Echtheits- und Herkunftsbestimmung mit ihrer Expertise zur Verfügung, um für die verschiedenen Fragestellungen die maßgeschneiderten Lösungen zu finden. Dabei steht FFoQSI auch in enger Zusammenarbeit mit Institutionen und analytischen Laboren, die in diesem Bereich tätig sind und die Methoden bereits erfolgreich kommerziell anbieten. Die Sensibilisierung des Konsumenten Konsumentinnen und Konsumenten sind mittlerweile sehr sensibilisiert in Bezug auf die Echtheit und Herkunft von Lebensmitteln. Allerdings steht der Konsument einem wahren Wald an Kennzeichnungen gegenüber, welche Lebensmittelverpackungen zieren. Dabei haben aber nur wenige wirklich substantielle Bedeutung und neben der Kennzeichnung auch die entsprechende

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©  SEAN BRENNAN

technik technology

Otolith (Gehörstein) eines Fisches

Kontrolle im Hintergrund (wie beispielsweise das AMA-Gütesiegel oder das EUBio-Siegel). In direktem Kontakt mit der Bevölkerung führt das VIRIS-Labor daher auch erfolgreich Projekte (Projektleitung: Andreas Zitek) im Bereich „Citizen Science“ durch und arbeitet mit Schulen, Produktionsbetrieben, Handelsorganisationen und Kontrollinstituten zusammen, um das Wissen über Lebensmittelechtheit und -herkunft zu verbreiten. Was braucht es in Zukunft? Zur Garantie von Lebensmittelherkunft und -echtheit benötigen wir die geeigneten wissenschaftlichen Methoden, eine gute Forensik in internationaler Vernetzung, die geeigneten Managementmaßnahmen hinsichtlich Risikomanagement und Schwachstellenanalyse sowie eine behördliche Umsetzung von Kontrollsystemen.

Thomas Prohaska, VIRIS-Labor, BOKU — „Investitionen in Forschung und Entwicklung werden in Zukunft immer wichtiger für die nachhaltige Sicherung des Wohlstandes und der Gesundheit.“ In der Entwicklung moderner analytischer Methoden zur Charakterisierung

von Lebensmitteln wurden enorme Fortschritte gemacht. Dennoch stellen sich den Wissenschaftern nach wie vor aktuelle Herausforderungen in der eindeutigen Bestimmung von Herkunft und Echtheit. So hilft das Vertrauen in wissenschaftliche Forschung, das Vertrauen zwischen Konsumenten und Produzenten nachhaltig zu fördern. Zukünftige Investitionen in Wissenschaft und Forschung sind somit wichtige Maßnahmen.

John Spink Michigan State University, 2014

Internettipps —

www.chemie.boku.ac.at/ abteilung-fuer-analytische-chemie-dchac/ arbeitsgruppen/ag-analytische-oekogeochemie-viris/

— „Die Kosten betrügerischer Praktiken für die globale Lebensmittel­ industrie können auf 30–40 Milliarden US-Dollar geschätzt werden.“ ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas PROHASKA Universität für Bodenkultur Department of Chemistry – VIRIS Laboratory, Tulln John Spink, Michigan State University, USA Literatur www.ernaehrung-nutrition.at

ERNÄHRUNG | NUTRITION  volume 41 | 06. 2017

www.ffoqsi.at www.sparklingscience.at/ de/projects/show.html?--typo3_neos_nodetypes-page[id]=738 http://isoprotect.boku.ac.at


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nungen (EU und National) in Österreich auf einen Höchststand gebracht. Aber auch die

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