DIE ERNÄHRUNG VOLUME 44 | 03 2020

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die ernährung Volume 44 | 03. 2020

25 Jahre EU-Mitgliedschaft – Wendejahr 1995 Seite 8

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Österreichische Zeitschrift für Wissenschaft, Recht, Technik und Wirtschaft

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3 inhalt content

inhalt —

Liebe Leserin, lieber Leser, —

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Wirtschaft economy

in dieser Ausgabe von DIE ERNÄHRUNG feiern wir ein Jubiläum: 25 Jahre Österreich in der Europäischen Union. Der Weg zur Mitgliedschaft war hart umkämpft. Michael Blass, Geschäftsführer von AMA Marketing, zeichnet in seiner Rückschau ein spannendes Bild der Ereignisse.

04 In Coca-Cola steckt viel Österreich 08 25 Jahre EU-Mitgliedschaft – Wendejahr 1995 15 25 Jahre Gemeinsame Agrar­politik der EU 18 Brexit 23 Produktvielfalt braucht Konsumentenschutz 26 Gekommen, um zu bleiben

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firmenberichte company reports 28 EFAFLEX: Vom Tiefkühltor bis Easy Clean 29 Robatech: Neuer Standort in Österreich 29 Lachnit hebt und kippt

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Wissenschaft science 30 Same, same – but different? 33 Kleinere Portionsgrößen und ihr Beitrag im Kampf gegen Übergewicht

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recht law 35 Lebensmittelrecht und Lebensmittelpolitik in der Europäischen Union 40 Per Asterisk ad astra? 43 Grundrechtsambivalent bedingte Einschränkungen der nationalen Strafrechtskompetenz im Zuge der „Durchführung“ lebensmittelrechtlicher EU-Verordnungen

Eine der größten Errungenschaften ist der EU-Binnenmarkt. Er garantiert eine leistungsstarke Lebensmittelindustrie, die die Versorgung der Menschen sicherstellt – im Normalbetrieb wie in Krisenzeiten. Das hat sich gerade in der Coronakrise wieder gezeigt. Zudem ist er ein Motor für Wohlstand: Die Auswahl in den Regalen wurde bunter und der Export unserer Lebensmittel schuf neue Arbeitsplätze. Wie internationale Unternehmen das Wirtschaften im Binnenmarkt sehen, verrät uns Geschäftsführer Frank O’Donnell von Coca-Cola Österreich im CEO-Interview. Einem weiteren Kernthema widmet sich Rechtsexperte Thomas Mettke. Durch den freien Warenverkehr wurde das Lebensmittelrecht vereinheitlicht. Das brachte gleiche Spielregeln für alle. Nationale Alleingänge – wie die geplante verpflichtende Herkunftskennzeichnung – sind hingegen eine Erfolgsbremse. In diesem Sinne: Auf die nächsten 25 Jahre in der EU und mehr gemeinsamen europäischen Spirit!

46 Impressum

Katharina Koßdorff

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In Coca-Cola steckt viel Österreich Die Ernährung sprach mit Frank O´Donnell, General Manager von Coca-Cola HBC Österreich, über die Coronakrise und die Kommunikation dazu, über Pfand auf Getränkeflaschen, Zuckerreduktion in Getränken und Zuckerbesteuerung sowie die Bedeutung des Standorts Österreich. Dabei erfuhren wir auch Fakten zu Arbeitsplätzen, Wertschöpfung und Steuerleistungen … Oskar Wawschinek

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ie Ernährung: Wie haben Sie in einem global tätigen Unternehmen die Coronakrise erlebt? Frank O’Donnell: Die Coronakrise verschiebt 2020 weltweit die Prioritäten, auch innerhalb des Coca-Cola Systems. Mich hat jedoch in den vergangenen Wochen und Monaten vor allem begeistert, mit welchem Engagement und welcher Solidarität alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeden Tag ihr Bestes gegeben haben, um nicht nur das Unternehmen zu unterstützen, sondern vor allem auch die Gemeinschaft hier in Österreich. Welche Maßnahmen haben Sie gesetzt – weltweit und speziell in Österreich? O’Donnell: Als führendes Unternehmen in der heimischen Lebensmittel- und Getränkeindustrie sind wir Teil der kritischen Infrastruktur des Landes – damit geht für uns eine große Verantwortung einher. Unser gesamtes Team ist unermüdlich im Einsatz, um für unsere Kunden und Partner da zu sein und unsere Konsumenten mit unseren Produkten zu versorgen. Dabei stehen die

Sicherheit und das Wohlbefinden unserer Mitarbeiter sowie unserer Partner an erster Stelle. Wir haben – analog zu den Vorgaben der Bundesregierung – daher zu jeder Zeit höchste Sicherheits- und Hygienestandards befolgt und gegebenenfalls neue Maßnahmen eingeführt. Welche Änderungen werden Sie voraussichtlich beibehalten? O’Donnell: Wir alle sind schneller, digitaler und innovativer geworden. Bestimmte Routinen wurden ersetzt oder obsolet. Gemeinsam mit dem Leader­ ship-Team werden wir uns ansehen, welche neu entstandenen Arbeitsweisen wir beibehalten wollen. Hat sich in der Kommunikation (Außenauftritt) etwas verändert? Wenn ja, was war das? O’Donnell: In diesen herausfordernden Zeiten haben wir uns global dazu entschlossen, für eine kurze Zeit unsere kommerziellen Bewerbungen einzustellen. Unser Fokus lag und liegt darin, die Sicherheit und Gesundheit unserer Mitarbeiter sowie unserer Gemeinschaften

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zu schützen. Als Coca-Cola System und gemeinsam mit der Coca-Cola Foundation haben wir über 120 Millionen Dollar für COVID-19-Hilfsmaßnahmen in betroffenen Communities gespendet. In Österreich erhielt die Caritas über die Coca-Cola Foundation einen ansehnlichen sechsstelligen Betrag für die Unterstützung älterer Menschen, Obdachloser und Alleinerziehender. Zusätzlich wurden bereits fix gebuchte TV-Werbezeiten für die Bewerbung von Hilfsmaßnahmen für Betroffene zur Verfügung gestellt – in Österreich für den Spendenaufruf der „CoronaNothilfe“ der Caritas. Wie stark war im Umsatz der Wegfall von Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung bzw. des Tourismus zu spüren? O’Donnell: Natürlich hat sich die Schließung der Gastronomie in unseren Zahlen reflektiert. Doch das ist nebensächlich: Wir verstehen uns als Partner der Gastronomen und Hotelliers und sind überzeugt, dass wir diese Krise miteinander meistern werden. Bereits am 12. März haben wir daher als Soforthil-


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fe den mit 100.000 Euro dotierten #Miteinand-Fonds für die besonders betroffenen Bereiche Hotellerie, Gastronomie und Eventbranche ins Leben gerufen. Mit der schrittweisen Aufhebung der Beschränkungen sehen wir eine langsame, aber stetige Verbesserung in der Gastronomie, und wir hoffen, dass sich dies auch im Tourismus fortsetzen wird. Heuer wird der EU-Binnenmarkt 25 Jahre. Welche Vorteile sehen Sie in diesem harmonisierten Markt? O’Donnell: Unser Unternehmen steht für lokale Stärke und eine internationale Verbindung zu Schwesterunternehmen in weiteren 27 Ländern. Es ist großartig zu sehen, dass viele EU-Bürger die Freizügigkeit innerhalb der EU nutzen. Sie fördert die Multikulturalität und gleichzeitig die stetige Weiterentwicklung des heimischen Geschäfts- und Freizeittourismus. Österreich hat im Laufe der Jahre durch seine optimale Lage im Zentrum Europas hier besonders profitieren können. Wie stehen Sie zum Thema Pfand für Getränkeflaschen, das in Österreich gerade intensiv diskutiert wird? O’Donnell: Unsere Vision einer „World Without Waste“ sieht eine Sammelquote für primäre Getränkeverpackungen von 100% bis 2030 vor. Auch die EU-Vorgaben verlangen eine Quote von 90% bis 2029. Wir sind daher offen für das beste System, das uns schnellstmöglich zu einer 100 % Sammelquote in Österreich bringt, dabei für den Verbraucher convenient ist und auch die Verfügbarkeit der Materialien in einer hohen Qualität sicherstellt. Wie sehen Sie die Diskussion um Zucker im Allgemeinen und bei alkoholfeien Erfrischungsgetränken im Besonderen? O’Donnell: Eine moderate Aufnahme ist vollkommen in Ordnung, zu viel Zucker ist für niemanden gut. Wir unterstützen die Empfehlung der WHO, dass maximal 10% der täglichen gesamten Energiezufuhr aus Zucker stammen soll und nehmen hier auch unsere Verantwortung wahr: Wir möchten unsere Konsumenten dabei unterstützen, ihren Zuckerkonsum einzuschränken. Das erreichen wir, indem wir zum Beispiel laufend Rezepte beste-

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6 wirtschaft economy

©  Coca-cola HBC

about

Zum Unternehmen —

Coca-Cola HBC Österreich versorgt flächendeckend den gesamten österreichischen Markt mit Produkten aus dem Hause Coca-Cola. Das Unternehmen beschäftigt rund 1.000 Mitarbeiter in Österreich – im hochmodernen Produktions- und Logistikzentrum bzw. regionalen Verkaufszentren und Auslieferungslagern. Neben den bekannten Marken Coca-Cola, Fanta und Sprite zählen unter anderem auch das österreichische Mineralwasser Römerquelle, FUZETEA, Cappy, der Energy Drink Monster und die pflanzenbasierten Drinks AdeZ zum breiten Produktportfolio. Im burgenländischen Edelstal werden sämtliche Produkte aus dem Hause Coca-Cola HBC abgefüllt und von dort aus distribuiert. Rund 60.000 Kunden aus Lebensmittelhandel und Gastronomie versorgen Konsumenten in ganz Österreich mit Getränken aus dem Hause Coca-Cola. 8.000 Kühlautomaten sorgen dafür, dass die Getränke stets auf Armeslänge und gekühlt zur Erfrischung verfügbar sind. Coca-Cola ist seit 1929 ein wertvoller Bestandteil der heimischen Wirtschaft.

Verantwortungsvolles Handeln innerhalb des lokalen Umfelds sowie der nachhaltige Umgang mit Ressourcen sind fest in der Unternehmensstrategie verankert. Die ehrgeizigen Nachhaltigkeitsziele fokussieren neben den Bereichen Wasser, Energie und Mitarbeiter auf die globale Vision „World Without Waste“ – eine Welt ohne Abfall. Im Rahmen dieser Strategie fördert Coca-Cola innovative Verpackungslösungen wie die Anhebung des rPET-Anteils über das gesamte Portfolio hinweg sowie starke Partnerschaften zur Erhöhung der Sammelquoten. Coca-Cola HBC Österreich ist ein Tochterunternehmen der Coca-Cola HBC Bottling Company AG mit Sitz in der Schweiz. Das Unternehmen ist einer der führenden Abfüller der Coca-Cola Company mit einem Verkaufsvolumen von 2 Milliarden unit cases und versorgt mit Produktionsund Distributionszentren in 28 Ländern jährlich mehr als 590 Millionen Konsumenten. Das Unternehmen notiert an der Börse in London mit Zweitlistung in Athen. Coca-Cola HBC ist im Dow Jones Sustainability Index und im FTSE4Good Index gelistet. Weitere Informationen auf www.coca-colahellenic.at

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hender Getränke verbessern, neue Getränke mit weniger oder ohne Zucker auf den Markt bringen, transparente Informationen zu unseren Produkten bieten und verantwortungsvolles Marketing machen. Dass wir unsere Bemühungen sehr ernst nehmen und erfolgreich umsetzen, sieht man zum Beispiel an der Zuckerreduktion in Limonaden von minus 10 % von 2015 bis 2020 gemeinsam mit der Europäischen Soft Drink Industrie. Und das zusätzlich zu einer bereits erfolgten Zuckerreduktion von minus 12 % in Europa von 2000 bis 2015. Speziell in Österreich unterstützen wir die auch vom Gesundheitsministerium unterschriebene Absichterklärung zur Salz- und Zuckerreduktion und verpflichten uns damit, zwischen 2015 und 2025 15 % des Zuckers aus unseren alkoholfreien Erfrischungsgetränken zu nehmen. Damit leisten wir unseren Beitrag, den Anteil von Limonaden an der gesamten Energieaufnahme in Österreich von derzeit durchschnittlich etwa 3 Prozent weiter zu reduzieren. Wie stehen Sie zu einer Zuckersteuer in Österreich bzw. was sind Ihre Erfahrungen mit anderen Märkten (GB, Mexiko etc.), wo ähnliche Vorgaben existieren? Hat sich dort der von den Regierungen vorgesehene Steuerungseffekt ergeben? O’Donnell: Die Soft Drink Indus­ trie ist die einzige Industrie, die freiwillig eine Zuckerreduktion auf europäischer Ebene vereinbart und diese auch eingehalten hat! So konnte der Zucker in Limonaden zwischen 2015 und 2020 um 10 Prozent reduziert werden. In Österreich gehen wir noch einen Schritt weiter und haben uns dazu verpflichtet, zwischen 2015 und 2025 15 Prozent des Zuckers aus unseren Soft Drinks zu nehmen. Wir sind davon überzeugt, dass es viel effektivere Wege gibt, um Zucker zu reduzieren als durch Steuern. Laut Mc Kinsey Global Institute gehören kleinere Portionsgrößen und Reformulierung zu den effektivsten Möglichkeiten, Übergewicht zu bekämpfen. Wie bereits angemerkt, setzen wir bereits freiwillig Maßnahmen in den Bereichen, die wir beeinflussen können: Wir verbessern beispielsweise bestehende


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Wie stehen Sie zur Diskussion um die Einführung weiterer Kennzeichnungen wie z. B. Nutri-Score oder ähnlicher Systeme? Wie gehen Sie in einem globalen Konzern damit um? O’Donnell: Wir möchten unsere Konsumenten bei der Auswahl der für sie richtigen Getränke durch bestmögliche Information unterstützen. EU-weit wächst die Zustimmung für farbbasierte, interpretative Nährwertkennzeichnung auf der Vorderseite von Lebens-

about

Zur Person — Biographie Frank O’Donnell: • Verheiratet, 2 Kinder • Alter: 52 • Gebürtiger Ire • Absolvent der National University of Ireland, Galway • Über 25 Jahre Teil des Coca-Cola Systems. Verschiedene Führungspositionen unter anderem als Sales Director und General Manager von Coca-Cola HBC Irland, als General Manager von Coca-Cola HBC Tschechien & Slowakei und seit 2016 als General Manager von Coca-Cola HBC Österreich.

mittelverpackungen. Wir setzen uns für eine einheitliche, transparente Kennzeichnung ein, die Konsumenten informativ finden, die breit eingesetzt werden kann und der aktuellen EU-Rechtssprechung entspricht. Aktuell testen auch wir bei Coca-Cola in verschiedenen Ländern der EU, so auch in Österreich, eine farbcodierte Nährwertkennzeichnung, basierend auf dem Ampelsystem. Wir möchten herausfinden, welchen Einfluss diese Kennzeichnung auf Verständnis, Bewusstsein und Verhalten von Konsumenten hat. Unsere Kenntnisse sollen den von der EU geführten Prozess, verschiedene Nährwertkennzeichnungen zu evaluieren, unterstützen. Welche Bedeutung hat für Sie der Standort Österreich? O’Donnell: 2019 feierten wir 90 Jahre Coca-Cola in Österreich. 1929 wurden pro Jahr rund 8.000 Liter Coca-Cola abgefüllt, mittlerweile sind daraus mehr als 500 Millionen Liter und rund 60 verschiedene Getränke geworden. Produziert werden die Erfrischungen vorrangig im Produktions- und Logistikzentrum im burgenländischen Edelstal. Damit beweisen wir auch über 90 Jahre später: Es steckt mehr Österreich in Coca-Cola, als man denkt! Unsere lokale Produktion,

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Rezepte, bringen neue Getränke mit weniger und ohne Zucker auf den Markt, bieten kleinere Verpackungen sowie transparente Informationen und machen veranwortungsvolles Marketing. Die von Ihnen angesprochenen Länder Großbritannien und Mexiko haben jeweils Steuern auf zuckerhaltige Getränke eingeführt. In beiden Fällen handelt es sich um rein populistische Maßnahmen mit geringem Effekt. Übergewicht ist ein komplexes Problem, bei dem viel mehr Komponenten als nur ein Nährstoff oder ein Lebensmittel zusammen wirken. Wir sprechen uns ganz klar gegen solche selektiven Steuern auf einzelne Lebensmittel aus. Der Anteil der aufgenommenen Kalorien ausschließlich durch Limonaden macht nur einen Bruchteil der gesamten Energieaufnahme aus. In Mexiko etwa konnten durch die Steuer 6 kcal pro Tag eingespart werden – und das bei einer täglichen durchschnittlichen Kalorienaufnahme von mehr als 3.000 kcal pro Tag. Wir leisten als Teil der Getränkeindustrie bereits einen wichtigen Beitrag zu Österreichs Wirtschaft – wir produzieren in Österreich, zahlen Steuern und sichern tausende Arbeitsplätze. Eine Studie aus 2017 zeigt: Im Coca-Cola System arbeiten etwa 1.000 Menschen, außerdem sichern wir ungefähr 11.000 weitere Jobs entlang unserer Wertschöpfungskette. Von jedem Euro, der für unsere Getränke ausgegeben wird, gehen 74 Cent an Einkommen nach Österreich. Coca-Cola trug 2016 774 Millionen Euro zum BIP bei, davon entfielen fast 400 Millionen Euro auf Steuern. Eine Zuckersteuer erzeugt einen direkten Schaden für den Konsumenten durch höhere Preise, bringt Arbeitsplatzverluste für die Wirtschaft sowie Verluste für lokale Rohstofflieferanten wie Rübenbauern.

unser Beitrag zur österreichischen Wirtschaft und unsere langjährigen Kundenund Konsumentenbeziehungen basieren auf verantwortungs- und vertrauensvollem Handeln innerhalb des Coca-Cola Systems. Was würden Sie sich von der Bundesregierung wünschen? O’Donnell: Die österreichische Regierung hat in den vergangenen Wochen und Monaten einen sehr guten Job gemacht, Leadership gezeigt und uns durch die Coronakrise geführt. Generell ist es wichtig, dass die Regierung einen offenen, transparenten, aktiven und produktiven Austausch mit Unternehmen und der Wirtschaft führt, um Österreich als Wirtschaftsstandort weiter zu stärken. Was ist Ihr Lieblingsgericht? O’Donnell: Ein saftiges Steak, ein Burger oder ein Schnitzel mit einem eiskalten Coca-Cola in einem der vielen erstaunlichen Lokale unserer Kunden – das ist die perfekte Kombination.

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25 Jahre EUMitgliedschaft – Wendejahr 1995 Als fast alles anders wurde Die Sprache der Bilder – Bilder schreiben sich dem kollektiven Gedächtnis ein. Rufen wir das Bild zum österreichischen Staatsvertrag ab, so sehen wir die Verhandler auf den Balkon des Wiener Schlosses Belvedere treten, im Zentrum der österreichische AuSSenminister Leopold Figl. Die Freude steht ihm ins Gesicht geschrieben, als er den Jubelnden und Schaulustigen im Barockgarten das auf der Seite mit den Wachssiegeln aufgeschlagene Dokument zeigt, quasi eine visuelle Authentifizierung und gemeinschaftliche Affirmation durch die Bürgerinnen und Bürger. Die damit konnotierte, historisch gewordene verbale Signatur lautet „Österreich ist frei!“. Michael Blass

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aran knüpfte Alois Mock, der Außenminister des österreichischen EG-Beitritts an, wenn er Figl in seinem ersten Statement nach Abschluss der Verhandlungen paraphrasierte: „Österreichs Weg nach Europa ist frei!“ Gibt es auch ein Bild zum österreichischen EU-Beitritt? Natürlich nicht, denn obwohl die EU schon mit der Vollendung des Binnenmarkts durch den Vertrag von Maastricht 1993 ins Leben gerufen worden war, trat Österreich der EG bei, der Europäischen Gemeinschaft oder genau genommen: den Europäischen Gemeinschaften. Und dazu existiert ein Bild, freilich nicht als staatstragend inszenierte Jubelszene. So etwas hätte

auch nicht gepasst nach dem vielen Auf und Ab seit dem „Brief nach Brüssel“, den Roland Dumas, französischer Außenminister und Präsident des Rates der EG, am 17. Juli 1989 von seinem österreichischen Vis-à-vis erhalten hatte. Das Bild zum Beitritt ist Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, präsent: Außenminister Mock, von seiner Parkinson-Erkrankung erkennbar beeinträchtigt, neigt sich unter Konvulsionen seiner Nachbarin auf dem Podium zu, um der überraschten und mädchenhaft verlegenen Europa-Staatssekretärin Brigitte Ederer einen Kuss auf die Wange zu drücken. Eine sonderbare Geste, berührend, sittsam, keineswegs frei von paternalistischem Gestus1. Die gesellschaftlichen Rituale des Wangen-

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kusses haben sich später stark gewandelt, aus der distanziert seitlichen Annäherung, die an Chorknaben, Klosterschülerinnen und ihre älteren weiblichen Verwandten denken ließ, wurde ein Signalcode unserer vorurteilsbefreit, liberal und postmaterialistisch lebenden Bürgergesellschaft. Diese Veränderung spiegelt sinnbildlich das österreichische Verhältnis zu Brüssel: Anfangs scheu, fast gehemmt, auch von Respekt getragen, nehmen wir es heute als alltäglich, notwendig und irgendwie banal wahr.

Der „Brief nach Brüssel“ Es war bereits Alois Mock, Außenminister der Kabinette Vranitzky II bis IV von 1987


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bis 1995, der mit dem „Brief nach Brüssel“ den österreichischen Beitrittsantrag2 verfasst hatte. Vorangegangen war dem am 4. Juli 1989 von Mock gefertigten Schreiben eine 15-stündige Nationalratsdebatte am 29. Juni 19893. Der EG-Kurs der rot-schwarzen Koalition wurde schließlich mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und FPÖ gegen die Grünen beschlossen. Im Zentrum der parlamentarischen Diskussionen standen Institutionelles, Rechtsstaatliches, das Transitproblem und – als Causa prima – die Neutralität. Fragen der Land- und Lebensmittelwirtschaft spielten, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Symptomatisch war die wenige Tage vor der Nationalratsdebatte abgeschlossene Parteienvereinbarung zwischen SPÖ und ÖVP4, die in Punkt 3 „Landwirtschaft“ folgende Passage enthielt: Die Parteien sind sich bewusst, dass bei einer Integration in das EG-Agrarsystem die österreichischen Bauern in bestimmten Bereichen unter massiven Konkurrenz- und Einkommensdruck geraten werden. Daher sind entsprechende Ausgleichsmaßnahmen nach regionalen und sozialen Bedürfnissen notwendig. In den Verhandlungen mit den EG sind die spezifischen österreichischen Gegebenheiten, insbesondere bei der Festlegung der Förderung für benachteiligte Gebiete, besonders zu beachten. Als Orientierung für die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen werden jene herangezogen, die in den meisten EG-Mitgliedsländern als Ausgleich zur restriktiven Preis- und Marktpolitik, aber auch der schwierigen natürlichen Produktionsbedingungen und strukturellen Voraussetzungen sowie für die Abgeltung der landschaftserhaltenden Maßnahmen ergriffen werden. Im Falle einer EG-Mitgliedschaft und der Übernahme der gemeinsamen EG-Agrarmarktordnung werden sich die Parteien dafür einsetzen, jenen agrarpolitischen Spielraum, den die EG-Regeln ermöglichen, zu nutzen. Eine Erwähnung des Verarbeitungssektors findet sich in der zitierten Passage so wenig wie an anderer Stelle der Parteienvereinbarung. Mehr Aufmerksamkeit hatte der Veredelungswirtschaft eine Sozialpart-

nerstellungnahme vom 1. März 1989 gewidmet5. Dort arbeiteten die vier Organisationen Sachbereiche heraus, die für damals noch eher vage im Raum stehende „weitere Integrationsschritte Österreichs“ von besonderem Interesse waren. Unter „Agrarpolitik und landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte“ hieß es: Die Landwirtschaftspolitiken haben sich in Österreich und in den Europäischen Gemeinschaften in den letzten Jahren eher auseinanderentwickelt. In der EG bzw. deren Mitgliedländern wurden als Ergänzung zu restriktiven preis- und marktpolitischen Maßnahmen direkte und indirekte Transferleistungen zur Einkommensunterstützung ausgebaut. Auch in Österreich wird dieses Instrumentarium seit den siebziger Jahren eingesetzt. Später als in Österreich wurden in der EG Produktionsquoten zur Mengensteuerung als Ergänzung zu der seit geraumer Zeit restriktiven Preispolitik eingeführt. In Österreich wurden durch Maßnahmen wie die Bestandsgrößenregelung in der Tierhaltung auch umweltpolitische Zielsetzungen berücksichtigt. Die Markt­ ordnungsreform 1988 in Österreich hat eine schrittweise Liberalisierung im Verarbeitungs- und Vermarktungsbereich mit dem Ziel einer Anpassung an die EG-Agrarmarktordnungen gebracht. Die österreichische Landwirtschaft und die Lebensmittelerzeugung konnten ihre europäischen Absatzmärkte, soweit sie nicht überhaupt ausgesperrt wurden, nur mit großen Schwierigkeiten halten. Umgekehrt konnten die EG-Länder vor allem mit verarbeiteten Agrarprodukten höhere Anteile auf dem österreichischen Markt erzielen. Durch die Verwirklichung des EG-Binnenmarktes ist in jedem Fall ein noch weit zunehmender Druck auf die österreichische Agrarwirtschaft zu erwarten … Eine volle Teilnahme Österreichs am Binnenmarkt ist mit der Übernahme der EG-Agrarpolitik (Marktordnungen und Förderungen) verbunden; daraus werden sich für die österreichische Landwirtschaft und die Lebensmittelerzeugung zahlreiche Probleme ergeben, zu deren Bewältigung rechtzeitig Anpassungsmaßnahmen erforderlich sind. Beim Hineinwachsen in den Binnenmarkt ist auf eine zeitlich und inhaltlich abgestimmte Vorgangs-

weise bei landwirtschaftlichen Rohstoffen und Verarbeitungsprodukten zu achten. Die erschwerten Produktionsbedingungen zufolge der ungünstigen klimatischen und topographischen Gegebenheiten sowie die kleinbetriebliche Agrarstruktur beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit eines Großteils der österreichischen Landwirtschaft genauso wie die vergleichbarer Landwirtschaften in der EG im Verhältnis zu den produktionsstarken Gebieten der Gemeinschaft. Bei wichtigen Agrarprodukten sind in der EG die Preise auf Erzeuger- und Verbraucherstufe erheblich niedriger als in Österreich. Eine Teilnahme am Binnenmarkt wird daher zu einer Absenkung der Preise für landwirtschaftliche Rohstoffe und für Nahrungsmittel auf das EG-Niveau führen. Die sich für die österreichische Landwirtschaft daraus ergebenden Erlöseinbußen werden zum Teil durch niedrigere Betriebsmittelkosten und bessere Absatzchancen ausgeglichen werden. Darüber hinaus wird es aber notwendig sein, die Erlössituation der österreichischen Landwirtschaft auch durch verstärkte Bemühungen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit positiv zu beeinflussen. Durch die Verbesserung der Strukturen in der Produktion und in der Verarbeitung, durch Steigerung der Effizienz in der Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, durch Initiative bei der Entwicklung von neuen Produkten gilt es, die Wettbewerbsfähigkeit in diesem Wirtschaftsbereich zu stärken, um der zu erwartenden Konkurrenz bei Aufrechterhaltung einer bäuerlich strukturierten flächendeckenden Land- und Forstwirtschaft gewachsen zu sein und die sich ergebenden Absatzmöglichkeiten in einem großen Wirtschaftsraum nützen zu können. Darüber hinaus bietet die zu erwartende positive wirtschaftliche Entwicklung verbesserte Chancen zur Erwerbskombination. Als Orientierung für Maßnahmen der öffentlichen Hand sollen daher im Beitrittsfall jene herangezogen werden, die in den meisten EG-Mitgliedsländern als Ausgleich zur restriktiven Preis- und Marktpolitik, aber auch der schwierigen natürlichen Produktionsbedingungen

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und strukturellen Voraussetzungen ergriffen werden. Dies kann insbesondere Direktzahlungen und Infrastrukturmaßnahmen in benachteiligten Gebieten sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Verarbeitungs- und Vermarktungsstruktur betreffen.

Wie Bürger, Betroffene und Experten über das Schicksal von Bauern und Lebensmittelherstellern in der EG dachten Interessant ist auch aus heutiger Sicht eine vom 23. Jänner bis 17. Februar 1989 im Auftrag der Industriellenvereinigung vom Institut für strategische Markt- und Meinungsforschung durchgeführte Umfrage 6. Zwei Drittel der österreichischen Industrie schätzten die Folgen eines Beitritts für das eigene Unternehmen als sehr positiv oder positiv und nur fünf Prozent die Risiken als viel höher ein. Darunter dürften sich viele Unternehmen der Nahrungs- und Genussmittelbranche befunden haben. Sie war nämlich der einzige Industriezweig, in dem die negativen Einschätzungen für das eigene Unternehmen überwogen. Wurde nach den Aussichten für den gesamten Sektor gefragt, verdüsterte sich das Bild weiter: Mehr als 57 % der Lebensmittelbetriebe in der Industrie befürchteten für die Branche höhere oder sogar viel höhere Risiken eines Beitritts im Vergleich zu den Chancen. Zeitlich parallel zur Industriellenvereinigung ließ die Österreichische Studiengesellschaft für Bauernfragen Einstellungen zum Beitritt demoskopisch erheben7. Nur 3 Prozent der Bauern und nur ein Zehntel der Gesamtbevölkerung glaubten, dass unsere Landwirtschaft auf einem europäischen Markt Aussicht auf Bestand hätte. Die Mehrheit war der Auffassung, mehr als ein Viertel oder gar die Hälfte der Bauernhöfe müssten dann verschwinden und auf den verbleibenden Flächen würde sich „Intensivlandwirtschaft“ durchsetzen. Diese verschatteten Einschätzungen kamen nicht von ungefähr. Die Österreicherinnen und Österreicher, ob in der Landwirtschaft tätig oder nicht, wussten

aus eigener Wahrnehmung, dass Lebensmittel in Österreich mehr kosteten als im Ausland und dass unser Angebot weniger vielfältig war. Hinzu kam eine gewisse Janusköpfigkeit der Konsumenten: Einerseits rühmte man die heimische Lebensmittelqualität und war stolz auf ein rigides, wenngleich Innovationen wenig förderliches Lebensmittelrecht. Andererseits beneidete man das westliche Ausland um Auswahl und Segmentstiefe. Dieser subjektive Befund fand in der wissenschaftlichen Aufarbeitung einer hypothetischen EG-Mitgliedschaft Bestätigung. In einer 1988 im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums erstellten Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts8 gelangte Doz. Schneider zur Conclusio, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft – und damit auch die des mit ihr angesichts geschlossener Grenzen auf das engste verzahnten Verarbeitungssektors – mehrfach beeinträchtigt sei: Preise und Produktionskosten lägen über jenen der EG, der Rechtsrahmen sei strikter, in der Verarbeitung und im Marketing bestünden sowohl national als auch im Export Schwächen. Weitere Handicaps ortete die Studie in Defiziten der angewandten Forschung, in der Ausbildung und in der Beratung. Von Realitätssinn gezeichnet war daher die Feststellung des damaligen Landwirtschaftsministers Josef Riegler in einem Fernsehinterview vom November 1989: „Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre mir eine autonome österreichische Agrarpolitik auch lieber.“ Er und seine Nachfolger sollten es sich nicht aussuchen können.

Warten … und eine Perspektive Österreichs Beitrittsansuchen war 1989 ein couragierter Akt. Noch ein gutes Jahr zuvor hatte Bundeskanzler Franz Vranitzky bei einem offiziellen Besuch in der Schweiz zwar nicht ausgeschlossen, dass Österreich unter bestimmten Voraussetzungen Vollmitglied der EG werden könne. Er halte es aber für sinnlos, „Zeit und Energie für eine Debatte über einen allfälligen Vollbeitritt zu verschwenden“. Heute mag diese Erklärung ein wenig kaltschnäuzig erscheinen, damals war sie angesichts der

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Rahmenbedingungen zumindest nicht unangebracht. Österreich existierte als immerwährend neutraler Staat an der Grenze zwischen West und Ost. Dank Perestrojka und Glasnost waren das System des sogenannten realen Sozialismus in unseren Nachbarländern ČSSR und Ungarn und der „dritte Weg“ in Jugoslawien angezählt, ihr Zusammenbruch freilich alles andere als absehbar. Obwohl eine gewisse Neuinterpretation des Neutralitätsstatus schon 1987 mit dem Gutachten von Hummer und Schweitzer über die Vereinbarkeit der Neutralität mit einem allfälligen EGBeitritt eingeleitet worden war, kam ihr europapolitisch fraglos Bedeutung zu. Die EG-Kommission wiederum zeigte nach der Nord- und Süderweiterung der Gemeinschaft mehr Interesse an einer Vertiefung als an einer Erweiterung. Deutlich brachte das Kommissionspräsident Delors zum Ausdruck, wenn er im Dezember 1989 beim EG-Gipfel in Straßburg ebenso wie bei der Präsentation des Kommissionsprogramms im Jänner 1990 davon sprach, dass die Gemeinschaft vor 1993, dem Zieldatum für die Vollendung des Binnenmarkts, keine Beitrittsverhandlungen anstrebe. Wohl in bewusst „lauwarmer“ Rhetorik verwies er auf institutionelle und finanzielle Unmöglichkeiten und auf die mit sieben Jahren recht lange Wartezeit bei den Beitritten Spaniens und Portugals9. Doch bereits im Laufe des Jahres 1990 hatte Delors seinen Standpunkt relativiert; das Blatt für die österreichischen Beitrittsambitionen begann sich zu wenden. Österreich würde als Nettozahler beitreten und war ein kleiner, aber wohlhabender Markt. Am 9. November 1989 war die Berliner Mauer gefallen, der Stellenwert unserer Neutralität hatte sich durch die mittlerweile erfolgten politischen Umbrüche in den ehemaligen Staatshandelsländern verändert. Italien unterstrich sein Interesse am freien Personen- und Güterverkehr, die ohne Mitgliedschaft Österreichs nicht realisierbar wären.

Die Generalprobe: Der EWR Hinzu kam eine weitere Verhandlungsebene: 1990 wurde die EG-Kommission vom Ministerrat mit dem Mandat aus-


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gestattet, mit der EFTA Verhandlungen über die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums EWR aufzunehmen. Ziel sollte die möglichst vollständige Verschmelzung zwischen EG und EFTA sein, einschließlich der Verwirklichung der Grundfreiheiten im Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. Doch war auch von Beginn an klar, dass die EG, und nur sie, die Spielregeln für die Verwirklichung des EWR vorgeben würde. Dazu zählten die einseitige Übernahme des EG-Rechtsbestands (acquis communantaire), die Beschränkung der EFTA-Länder auf „decision shaping“ bei Ausschluss vom „decision making“ in der Rechtssetzung, die Anerkennung der EuGH-Judikatur und die Schaffung nur einer Stimme als politisch-institutionelles Sprachrohr der EFTA. Allein das bedeutete schon einen einschneidenden Paradigmenwechsel, da die EFTA nicht supranational verfasst war. Bald war angesichts dieses Pakets zu vernehmen, dass es für Österreichs Zukunft günstiger wäre, aus der Position eines EG-Mitgliedslands zu agieren als im EWR eine „Mitgliedschaft zweiter Klasse“ einzugehen. Hinzu kam, dass als agrarpolitische Auflage im EWR Kohäsionsmaßnahmen zu gewärtigen waren. Darunter verstand man den von der EG geforderten Beitrag der wirtschaftlich leistungsfähigeren EFTA-Staaten zum Ausgleich des Wohlstandsgefälles mit den ärmeren Regionen der Gemeinschaft: Spanien, Portugal, Griechenland und Irland. Die EFTA-Länder sollten einseitige Konzessionen wie Zollbefreiungen für Agrarprodukte zugestehen, obwohl die Landwirtschaft sonst vom EWR ausgenommen blieb. Dass der Forderungskatalog der EG nicht nur typische Produkte der Mittelmeerstaaten umfasste, sondern auch Positionen, die eher Kernländern der Gemeinschaft zugute kommen würden, passte ins Bild der von der Verhandlungsmacht der EG gekennzeichneten Ausgangslage. Die Härten, die eine isolierte Simulation des Binnenmarkts für einzelne Agrarwaren der landwirtschaftlichen Produktion in Österreich bescheren würde, waren absehbar. Gleiches galt für die Belastungen, wenn Verarbeitungsprodukte in die EWR-Liberalisierung einbezogen würden, ohne die für ihre Herstellung benötigten landwirtschaftlichen Roh-

stoffe „mitzunehmen“. Verwundert es da, wenn der EWR im März 1991 von der Neuen Zürcher Zeitung als „Inte­ grationsfalle“ bezeichnet wurde? Schneller als angesichts dieser Rahmenbedingungen von vielen erwartet, nämlich bereits bei der Ministerkonferenz in Luxemburg im Oktober 1991, gelang der Abschluss der EWR-Verhandlungen10, unterzeichnet wurde am 2. Mai 1992. Klar war damit, dass bis zur „Vollendung des EG-Binnenmarktes“, als politisches Programm mit dem 1.1.1993 terminisiert, das gesamte österreichische Lebensmittelrecht bereits im EWR an den acquis communantaire anzupassen sein würde11. Ebenso galt es, bis zum Wirksamwerden des EWR-Vertrags Leitlinien für den im Außenhandel mit verarbeiteten Agrarerzeugnissen grundsätzlich weiter zur Anwendung gelangenden Rohstoffpreisausgleich für eingesetzte landwirtschaftliche Vorprodukte12 zu verhandeln. Tatsächlich in Kraft getreten ist der EWR am 1.1.1994 und seine Halbwertszeit erwies sich als so kurz, dass er kaum das Papier für seinen Druck Wert war. Jedenfalls galt das für Österreich, Schweden und Finnland, die am 1.1.1995 EG-Mitglieder wurden. Die Schweiz entschied sich nach emotionalen Debatten, die von der als Bedrohung wahrgenommenen Phantasie eines Vollbeitritts zur EG überlagert waren, in einer Abstimmung vom 6. Dezember 1992 mit knapper Mehrheit gegen eine Ratifizierung des EWR-Vertrags.

Avis und Beitritts­ verhandlungen Die Perspektive eines baldigen Beitritts war für Österreich beim Wirksamwerden des EWR längst absehbar. Schon im Juli 1991 hatte die EG-Kommission ihren Avis, die Stellungnahme zum österreichischen Beitrittsansuchen aus 1989, veröffentlicht13. Die Einschätzung der darin zum Ausdruck gebrachten Position kommentierte Klaus Smolka, Geschäftsführer des Fachverbands, in seinem Herausgeberbrief14: Klammert man die politische Komponente der österreichischen Neutralität aus und betrachtet nur die wirtschaftliche Seite, kommt der Avis zum Ergebnis, der Beitritt Österreichs wäre für die Ge-

meinschaft ein großer Gewinn. Trivial gesagt: Eine so schöne Braut hat sich der EG bisher noch nicht angeboten. Das lese ich jedenfalls aus den für so ein Dokument doch bemerkenswert euphorischen Schlussfolgerungen. Man muss freilich den Avis so lesen, dass nicht die Probleme, die sich für Österreich ergeben, im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, sondern die Probleme, die für die EG entstehen könnten. So ist auch der positive Grundtenor in der Zusammenfassung des Kapitels Land- und Forstwirtschaft zu sehen. Auch die „Rechnung“ stimmt für die EG, denn Österreich würde in den EG-Haushalt netto jährlich rund 16 Mrd. Schilling einbringen und bleibt auch bei Berücksichtigung der Ausgabenseite mit rund 3 Mrd. Schilling Nettozahler. Die Passagen über die detaillierte Betrachtung der Land- und Forstwirtschaft sind ebenfalls aus dieser Sicht zu bewerten. Ob und wie die österreichische Landwirtschaft den Umbau der Agrarmarktordnungen und die Anpassung an das EG-Agrarpreisgefüge schafft, ist u n s e r Problem. Die EG sitzt hier genau so „in der Loge“ wie bei der Übernahme ihrer Rechtsordnung (acquis communautaire) durch Österreich. Im Abschnitt „Gewerbliche Wirtschaft“ gibt es einen eigenen Absatz für „Problemkinder“ und einen bemerkenswerten Punkt zur Lebensmittelindustrie, vor allem die beiden letzten Sätze dieser Feststellungen sollen besonders herausgehoben werden. „Es wäre auf jeden Fall wünschenswert, die österreichische Landwirtschaft und die Verarbeitungsindustrie ungefähr im gleichen Tempo in die Gemeinschaft zu integrieren.“ „Die hohe Qualität vieler landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus Österreich könnte ein weiterer Vorteil für die Lebensmittelindustrie sein.“ Smolkas Appell, den Avis dialektisch aus der Perspektive des Absenders zu lesen, sollte durch den Verlaut der Beitrittsverhandlungen mehrfach Bestätigung erfahren. Der Startschuss für die Verhandlungen erfolgte am 1.1.1993. Die österreichische Lebensmittelwirtschaft trug zu diesem Zeitpunkt eine etappenweite Öffnung des Heimmarkts für EG-Erzeugnisse noch als Mantra vor sich her. Klaus Smolka formulierte in

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12 wirtschaft economy

seinem Hausgeberbrief15 beschwörend: Verhandlungsgegenstand sind daher zwar die Länge der Übergangszeit und die einzelnen Etappen auf dem Weg zur völligen Marktöffnung, aber nicht die Frage der Notwendigkeit einer sukzessiven Vorgangsweise als solche. Und er setzte bald fort16: Die EG hatte und hat im Bereich der Landwirtschaft ihren gemeinsamen Markt protektionistisch abgeschirmt; mit Abschöpfungen und Zöllen (oder einer Kombination davon), die einen Export für Österreich wirtschaftlich nicht möglich machten. Auch Österreich hat das getan, tun müssen, und tut es bis heute. Unsere Instrumente dafür sind Lizenzpflicht, Abschöpfungen und Zölle (oder eine Kombination davon). Wir haben auf diese Weise unseren Markt gegenüber der EG verteidigt wie die EG den ihren gegenüber österreichischen Produkten. So gesehen sind wir in der gleichen Ausgangsposition. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Wir haben im Vergleich zur EG das viel höhere Preisniveau und den wesentlich kleineren Markt. Die österreichischen Hersteller von landwirtschaftlichen Produkten waren und sind hier nicht nur geschützt, sondern auch „eingesperrt“ bzw. von anderen Märkten – einschließlich jenem der EG – ausgesperrt. Diese Hersteller von „landwirtschaftlichen Produkten“ haben einen hohen Anteil an der gesamten österreichischen Lebensmittelindustrie, die mit über 100 Mrd. S Bruttoproduktionswert die größte Industrie dieses Landes ist. Ergänzt muss werden: Allein von „Industrie“ zu sprechen ist falsch, auch das etwa gleich große „Gewerbe“ gehört dazu, eben alle diese Produkte herstellenden Branchen der Lebensmittelwirtschaft mit ihrer großen Tradition, ihrer großen wirtschaftlichen Bedeutung für dieses Land und ihrer auf einen Kleinstaat von etwa 7 Mill. Konsumenten bezogenen Struktur. Sie konnte sich gar nicht anders entwickeln (zu ergänzen: als so)17 wie sie heute ist. In diesem vorgegebenen Rahmen war zu wirtschaften. Wir hatten für österreichische Hersteller keinen „Gemeinsamen Markt“ für landwirtschaftliche Produkte, wie er sich in der EG in den letzten 25 Jahren entwickelte. Und in diesen – im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtigen Branchen – wirken gute Unternehmer und Mana-

ger mit zusammen etwa 50.000 Beschäftigten. Das ist doch etwas, was bei den Beitrittsverhandlungen zählen muss. Die Rückwirkungen auf die österreichische Landwirtschaft (nun im engeren Sinn des Wortes) muss man wirtschaftlich noch dazurechnen – aber das ist ohnedies auch von der hohen Politik schon oft genug festgestellt worden (vgl. dazu Übersicht in „e“ 3/93, Seiten 193/ 194). Zusammengefasst: – L a n d w i r t s c h a f t i m S i n n d e r EG-Beitrittsverhandlungen umfasst Produkte von Lebensmittelherstellern dieses Landes, die mit zum wirtschaftlichen Rückgrat Österreichs gehören. Ich meine daher: – Wenn über den EG-Beitritt im Bereich der Landwirtschaft verhandelt wird, ist das nicht nur eine Sache der Bauern, sondern es ist die gewerbliche Wirtschaft ganz stark betroffen. Das heißt: Materiell geht es bei diesen Beitrittsverhandlungen nicht nur um eine zwischen landwirtschaftlichen Vorprodukten (Rohstoffen) und Verarbeitungserzeugnissen zeitlich und inhaltlich synchronisierte Vorgangsweise: die muss selbstverständlich sein. Materiell geht es auch darum, dass sich die österreichischen Betriebe in ihrer Struktur an den größeren Market anpassen können: dieser Prozess kann aber erst nach dem Beitritt tatsächlich beginnen. Da wir auf einem viel kleineren Markt und dem höheren Preisniveau „sitzen“, sehe ich für die EG keinen wirtschaftlich zwingenden Grund, gegenüber Österreich auch nur einen Tag Übergangsfrist zu benötigen. Die sofortige Marktöffnung der EG ist für die österreichische Ernährungswirtschaft im Bereich der Produkte der Landwirtschaft eine Voraussetzung, um sich an einen größeren Markt anzupassen. Sie muss das ohnehin in einer wesentlich kürzeren Frist tun, als sie den Mitbewerbern in der EG selbst schon bisher zur Verfügung stand. Die Öffnung des österreichischen Marktes für die EG hingegen kann nur in wirtschaftlich vertretbaren Etappen erfolgen; sei es durch schrittweise eine mengenmäßige Öffnung oder – dort wo es mengenmäßige Beschränkungen nicht mehr gibt

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– durch eine etappenweise Beseitigung der Zölle. Die Frage des konkreten Beitrittstermins begann die Öffentlichkeit zu beschäftigen. Beim EG-Gipfel in Kopenhagen vom 21. Juni 1993 wurde der 1.1.1995 genannt, um zehn Tage später vom belgischen Außenminister bei der Übernahme des Ratsvorsitzes von Dänemark mit dem Hinweis relativiert zu werden, dass die Verhandlungen mit den mittlerweile – Norwegen war hinzugekommen – vier EFTA-Ländern schwierig seien und ein ordentliches Verhandlungsergebnis Vorrang genieße. Die Salzburger Nachrichten resümierten im Leitartikel vom 3. Juli 1993: „Die Gespräche Österreichs mit der Europäischen Gemeinschaft sind somit zu Beginn dieses Sommers in ihre ‚diplomatische‘ Phase getreten: Weder Wien noch Brüssel sagen, was sie denken. Die EG-Oberen winkten den Beitrittsbewerbern beim Kopenhagener Gipfel im Juni mit dem Beitrittstermin 1. Jänner 1995 – doch nicht, weil das plötzlich so realistisch wäre, sondern nicht zuletzt, um sich selbst Handlungsfähigkeit zu suggerieren; dabei war Europa perfid genug, keine Rücksicht auf innerösterreichische Ränkespiele und Wahltermine zu nehmen. Die österreichische Bundesregierung ihrerseits bekundete pflichtgemäß Wohlwollen über diesen EG-Eifer und verbarg taktvoll, dass sie erstens nichts von diesem Eifer hält und ihn zweitens nicht für bare Münze nimmt.“

Verhandlungsabschluss und Vorbeitrittsphase Der Autor des Leitartikels war zu skeptisch, wie im Nachhinein leicht zu konstatieren ist. Brüssel hielt die Uhren am 28. Februar 1994 symbolisch an. Am Dienstag, den 1. März wurde um 22:00 Uhr der erfolgreiche Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Schweden, Finnland und Österreich bekanntgegeben. Bald danach folgte die Pressekonferenz mit der eingangs beschriebenen Sympathiebekundung des österreichischen Außenministers für die Europa-Staatssekretärin. Norwegen ging mit leichter Verspätung am 15. März durchs Ziel, nahm sich in der


13 wirtschaft economy

Folge aber – nach einem ersten Versuch 1972 – auch im zweiten Rennen um eine Mitgliedschaft per Volksabstimmung selbst aus dem Rennen. Das Verhandlungsergebnis sah anders aus, als es von der österreichischen Land- und Lebensmittelwirtschaft lange Zeit erwartet worden war; konkret solange, bis man sich über die Folgen im Klaren war, die es bedeutete, dass die EG-Seite nicht nur von der Vollendung des Binnenmarkts sprach, sondern den Binnenmarkt politisch tatsächlich als vollendet ansah. Zwar war der synchronen Integration von Landwirtschaft und Verarbeitungswirtschaft eben deshalb Rechnung getragen, weil die EG unter Anwendung ihrer Binnenmarktphilosophie in der letzten Verhandlungsphase die übergangslose und sofortige Übernahme ihrer Marktorganisationen und ihres Agrarpreisniveaus als unverrückbar vorgegeben hatte. Der ebenfalls übergangslose und sofortige Marktzugang bedeutete freilich das Gegenteil der von Österreich angestrebten sukzessiven Öffnung seines Heimmarktes für Importe 18. Wie schon mehrfach angesprochen, hatte die österreichische Seite auf eine iterative Vorgangsweise gesetzt, denn im bis zum Beitritt praktizierten, wenn auch laufend fortentwickelten Nachkriegssystem der österreichischen Landwirtschaftspolitik waren große Teile der Verarbeitungswirtschaft durch über den EG-Preisen liegende Rohstoffkosten und ein im Großen und Ganzen undurchlässiges Außenhandelsregime zwar geschützt, aber auch vom EGMarkt ausgeschlossen19. Während der Landwirtschaft degressive Ausgleichszahlungen 20 in Aussicht gestellt wurden, hofften die Verarbeiter angesichts des Verhandlungsergebnisses auf Struktur-, Anpassungs- und Marketinghilfen. Manche Leserinnen und Leser werden noch einen schalen Geschmack verspüren, wenn sie an national kofinanzierte EUROFIT-Programme21 und ähnliche Maßnahmen erinnert werden. Besondere Bedeutung kam der innerösterreichischen Preisanpassung und der produktspezifischen Entlastung der Lager für „altpreisig“ erzeugte Lebensmittel zu22. Zum Verständnis: Es ging darum, etwa dem Gemüsekonservierer aus der Bredouille zu helfen, damit er die 1994

zum hohen österreichischen Inlandspreis gekaufte und im Gurkenglas „gelagerte“ Ware nach dem Beitritt nicht zu ruinösen Konditionen verschleudern musste, weil der EG-Mitbewerb die Gurken viel günstiger zum EG-Binnenmarktpreis beschafft hatte. Auch das Schicksal eines Fleischwarenbetriebs, der Waren längere Zeit reifen lassen muss, kann man sich leicht vorstellen. Der Illustration des Drucks, der auf den Lebensmittelherstellern lastete, dient ein Ausschnitt aus einer Korrespondenz zwischen dem Handelsverband und dem Fachverband der Lebensmittelindustrie23 wenige Tage nach der EG-Volksabstimmung vom 12. Juni 1994 mit dem zwei Drittel-Votum für den Beitritt.

ermäßigungen bereits vor dem EU-Beitritt aus der Substanz der Betriebe zu begleichen. 2. Eine Preisverbilligung der von der Lebensmittelindustrie eingesetzten landwirtschaftlichen Rohstoffe vor dem Stichtag (i. e. Datum des EGBeitritts17) wird es nicht geben. Im Gegenteil: Die Verhandlungsergebnisse für die Lagerabwertung zeigen, dass nicht einmal mit einer Entlastung in notwendiger Menge für am Stichtag noch vorhandene Lager nach genauester Abrechnung gerechnet werden kann. Jegliches Vorziehen von Preisermäßigungen ginge daher aus der Substanz der Verarbeitungsindustrie.

Der Handelsverband richtete bereits am 20. Juni 1994, nur acht Tage nach dem Urnengang, folgende Mitteilung an die Lieferanten seiner Mitglieder (Auszug): Betrifft: Preisveränderungen durch die EU – der bevorstehende Beitritt Österreichs zur Europäischen Union und die dadurch bewirkten Preisreduzierungen bringen für die Übergangszeit durch die erforderliche Lagerabwertung große Probleme für unsere Mitglieder – die großen und mittleren österreichischen Einzelhandelsunternehmen. Der Handel muss daher von seinen Lieferanten erwarten und verlangen, dass von diesen, so rechtzeitig wie möglich, die Preise gesenkt werden. Nicht zuletzt wegen der im Hinblick auf die Volksabstimmung vom 12. Juni in den Medien angekündigten Reduktionen für Lebensmitteln, erwartet sich der Konsument unmittelbar mit dem effektiven Beitritt das Inkrafttreten von Preisreduktionen. Der Handel lehnt es entschieden ab, diese Preissenkungen bzw. Lagerabwertungen aus Eigenem zu tragen.

Et ce qui reste?24

Darauf antwortete der Fachverband am 28. Juni 1994 (Auszug): Aus unserer Sicht ist es geboten, drei Tatsachen klarzustellen, die uns beide – Verarbeiter wie Handel – betreffen. 1. Es ist ebensowenig für die Lebensmittelindustrie wie für den Handel zumutbar, die politischen Versprechungen der Regierung im Zusammenhang mit angekündigten Preis­

Alles kam, wie es kommen musste. Am 1.1.1995 war aus der Neuner-EG die Zwölfergemeinschaft geworden, passend zur Anzahl der Sterne auf der Europaflagge. Die Gemeinschaft fand in Österreich einen offenen Markt vor, auf dem große Unsicherheit bestand. Die Handelsketten lieferten einander Preisschlachten in noch einmal massiv verschärfter Form. Mit „Preißn-Preisen“ wurde geworben – das konnte für die inländischen Produzenten nichts Gutes verheißen. Jahrzehntelang eingeübte Rituale in den Verhandlungen zwischen den Ketten und ihren Lieferanten aus der Verarbeitungswirtschaft erwiesen sich als überholt. Noch verstand niemand genau, was unter den von der Politik proklamierten und von Teilen der Wirtschaft als Belohnung für ein „Ja“ bei der Volksabstimmung versprochenen „EU-Preisen“ zu verstehen war. Tatsache war, dass manche Preise, besonders in strukturschwachen Branchen wie bei den Molkereien und Mühlen, in den freien Fall übergingen25. Anderen erging es in dieser Phase einer so vorhersehbaren wie chaotisch ablaufenden Vernichtung von Unternehmenswerten und Arbeitsplätzen kaum besser. Allein im Jahr 1995 gab der Bruttoproduktionswert der österreichischen Lebensmittelindustrie um 6 % nach. Dieser Rückgang spiegelt zum Teil die Rohstoffpreisverbilligungen, die von den Verarbeitern an den Handel und die Konsumenten weitergereicht wurden. Eingepreist ist freilich auch, dass die neue Wettbewerbssituation über die günsti-

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14 wirtschaft economy

geren Konditionen für die Beschaffung der Vorprodukte hinaus Preissenkungen erzwang, die zu Lasten der Kalkulationen der Verarbeitungsbranchen gingen. Hinzu kam das durch Importe aus der Gemeinschaft verursachte Nachgeben der mengenmäßigen Absätze. Allein in der Lebensmittelindustrie nahm die Beschäftigung um 8 % ab, entsprechende Konjunktur hatte die Arbeitsstiftung „Aufleb“. Die Investitionen in der Lebensmittelindustrie gingen um 20 % zurück und pendelten sich beim Volumen des Jahres 1991 ein26. Daran anknüpfend zur Erinnerung: 1996 sollte das Jahr von BSE27 werden, das Jahr der hereinbrechenden Gentechnik-Debatte , das Jahr des Verkaufs von Billa an REWE … Es war, um es auf den Punkt zu bringen, ein Tal aus Blut und Tränen, durch das große Teile der Lebensmittelerzeuger nun mehrere Jahre lang gingen. Eine weitere Flüssigkeit mischte sich dazu: der Schweiß. Denn die Nachbeitrittsphase wurde zum Ausleseprozess mit hohem Selektionsdruck, den die Fitten – wenn auch unter erheblichen Anstrengungen – meisterten. Mit Beginn des neuen Jahrtausends hatte die Branche wieder Morgenluft zu wittern begonnen. Maßgeblich dafür waren neben der Kraftkammer, als die der Eintritt in den EG-Binnenmarkt für die sich neu formierende Land- und Lebensmittelwirtschaft fungiert hatte, ein unerwartet starker Regalpatriotismus der Konsumenten und erste, vorerst noch kleine Exporterfolge. Dass der Export in der Folge mehr und mehr zum Motor der Wertschöpfung werden sollte, ist neben der Fokussierung der Erzeuger indirekt auch dem Lebensmitteleinzelhandel geschuldet. Denn der Wunsch nach Reduzierung der Abhängigkeit von den Ketten und die Suche nach Absatzalternativen erwiesen sich als mächtige Treiber, besonders nachdem der Konsum im ersten Jahr der EG-Mitgliedschaft als Abnehmer weggefallen war und sich die Oligopol-Situation im Inland somit noch einmal substantiell verschärfte. Verglichen mit diesen turbulenten Zeiten hat sich bis heute gar nicht mehr viel geändert: Unverändert ringt die Branche mit der immer noch zunehmenden Handelskonzentration auf dem Heimmarkt;

sie hat im Übrigen ihre Erfolgsfaktoren erkannt und arbeitet konsequent am Ausbau ihrer Stärken. Den Tüchtigen gehört die Welt! Dr. Michael Blass, Geschäftsführer Agrarmarkt Austria Marketing GesmbH, Wien Literatur [1] Ein Aperçu zu Außenminister Mock: Neben dem Busserl beim Beitritt bleibt dieser erste politische Jungstar der zweiten Republik, der 1969 bereits mit 35 Jahren zum Unterrichtsminister im Kabinett Klaus II avanciert war, mit drei weiteren Bildern präsent. Als ihm die Wähler im November 1986 den sicher scheinenden Einzug ins Kanzleramt verwehrten, erlebten die Fernsehzuseher einen, wohl schon von einem frühen Stadium seiner Erkrankung geschwächten, versteinert dastehenden Oppositionschef, der vom nassforschen Stimmenverdoppler Jörg Haider beim ORF-Interview wie ein Objekt aus dem Fokus der Kamera gerückt wurde. Heiterer sind die Fotos vom negligierten Dresscode: Auch 1987 machten einem Außenminister weder weiße Söckchen noch enge Shorts einen „schlanken Fuß“, selbst wenn über dem damaligen Staatsbesuch in Jordanien ostmediterrane Hitze brütete. Nichts weniger als historisch sind schließlich die Szenen mit Mocks ungarischem Amtskollegen Gyula Horn anlässlich des Paneuropäischen Picknicks am 27. Juni 1989. Drei Monate vor der offiziellen ungarischen Grenzöffnung am 19. August durchschnitten die beiden Außenminister symbolisch den jahrzehntelang als Eiserner Vorhang funktionalen Maschendrahtzaun. [2] Vgl. „e“ 7/1989, S. 420 ff.; https://images.app.goo.gl/u8XGSQY4H9mSH11U9. [3] Vgl. „e“ 4/1989, S. 421 [4] Vgl. „e“ 4/1989, S. 210ff. [5] Vgl. „e“ 7/1989, S. 422 ff. [6] Vgl. „e“ 4/1989, S. 258 ff. [7] Vgl. „e“ 4/1989, S. 261: EFTA-EG-Rohstoffpreisausgleich Wurstbauer 8/9/1989, S. 541 f. [8] Vgl. WIFO Gutachten „Österreichische Optionen einer EG-Annäherung und ihre Folgen“, III-113 der Beilagen XVII. GP-Berichts-06 Beilage D, auszugsweise wiedergegeben in „e“ 12/1988, S. 772 f.

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[9] Kneuser, „Demokratisierung durch die EU: Süd- und Ostmitteleuropa im Vergleich“ S. 282 [10] Vgl. „e“ 11/12/1991, S. 658 f. und „e“ 1/1992, S. 39 ff., „e“ 5/1990, S. 289 ff. [11] Vgl. „e“ 6/1988, S. 395 ff., „e“ 2/1989, S. 111 ff., „e“ 12/1989, S. 769 ff, „e“ 9/1991, S. 546ff. und „e“ 3/1994, S. 128 ff. [12] Zum Verständnis der handelspolitischen Instrumentarien des Freihandelsabkommens zwischen EWG und EFTA aus 1960, bestehend aus Zöllen, beweglichen Teilbeträgen in Form von Erstattungen beim Export und Ausgleichsabgaben beim Import, Lizenzen, etc. vgl. „Agrar­ außenhandel in Diskussion“, Monatsberichte des Instituts für Wirtschaftsforschung 2/1978, S. 69 ff; weiters z. B. „e“ 4/1993, S. 218 ff; „e“ 5/1990; S. 289 ff; „e“ 3/1988, S. 185 ff. [13] Vgl. „e“ 9/1991, S. 483 f. [14] Vgl. „e“ 9/1991, S. 482 f. [15] Vgl. „e“ 2/1993, S. 74 [16] Vgl. „e“ 4/1993, S. 219 f. [17] Anm. des Verfassers dieses Beitrags [18] Vgl. „e“ 7/8/1995, S. 317 [19] Vgl. „e“ 5/1996, S. 323 f. [20] Vgl. „e“ 1/1995, S. 10 [21] Vgl „e“ 7/8/1994, S. 338 [22] Vgl. „e“ 7/8/1994, S. 340 [23] Vgl. „e“ 2/1995, S. 61 ff. [24]„L’Autriche, c’est ce qui reste“(„Österreich ist das, was übrig bleibt“): Die Anleihe bei diesem, dem französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau anlässlich der Friedensverhandlungen von St. Germain nach dem Ersten Weltkrieg zugeschriebenen Zitat, das die an allen Gliedern erfolgte Amputation des k.u.k. Staatsgebiets euphemistisch verbrämte, ist angesichts der für die Landund Lebensmittelwirtschaft mit dem Beitritt herbeigeführten Umwälzungen stark übertrieben. Sie ist aber nicht so weit hergeholt, dass sie gänzlich unpassend wäre: Sowohl für die Republik als auch für ihre Land- und Lebensmittelwirtschaft gilt nämlich, dass sie sich entgegen allen anfänglichen Defätismen und nach gefährlichen Rückschlägen später auf das Prächtigste entwickelt haben. [25] Vgl. „e“ 2/1995, S. 61 [26] Vgl. „e“ 10/1995, S. 454 ff. und „e“ 4/1996, S. 202 ff. [27] Vgl. „e“ 5/1996, S. 282 f.; „e“ 6/1996, S. 238 f. und „e“ 7/8/1996, S. 392 [28] Vgl. „e“ 6/1996, S. 338 f. und „e“ 7/8/1996, S. 390 f.


15 wirtschaft economy

25 Jahre Gemeinsame Agrar­politik der EU Österreich blickt heuer auf ein viertel Jahrhundert als EU-Mitgliedsstaat und damit auch auf ein viertel Jahrhundert Gemeinsame Agrarpolitik der EU zurück. Die ERNÄHRUNG hat Agrarökonom Franz Sinabell dazu befragt, welche Auswirkungen der EU-Beitritt auf die Landwirtschaft, die Lebensmittelindustrie und die Konsumenten mit sich brachte. Lisa Jöchlinger

D

ie Ernährung: Herr Sinabell, Österreich blickt heuer auf ein viertel Jahrhundert als EU-Mitgliedsstaat und damit auch auf ein viertel Jahrhundert Gemeinsame Agrarpolitik der EU zurück. Was hat sich seither für praktizierende Landwirte, Weiterverarbeiter von Lebensmitteln und Konsumenten geändert? Franz Sinabell: Die wichtigste Änderung für die Landwirtschaft sind die Rahmenbedingungen der Produktion. Vor dem EU-Beitritt wurden für viele Agrargüter die Preise auf ein Niveau weit über dem Weltmarktpreis angehoben. Um der Übererzeugung Herr zu werden, wurden Produktionsquoten eingeführt und Programme zur Stilllegung der Flächen umgesetzt. All das ist Geschichte. Die Lebensmittelwirtschaft und -industrie in Österreich kann nun zu den gleichen Bedingungen wie die Konkurrenz Agrargüter

beschaffen, hat also mehr Auswahl und den Zugang zum größten Markt der Welt. Nach einer harten Phase der Anpassung wird nun kontinuierlich mehr Beschäftigung und Wachstum geschaffen. Im Lebensmittelhandel hat sich die auf der ganzen Welt beobachtete zunehmende Konzentration verstärkt. Dabei zeigt sich, dass die Entwicklung in Österreich einen anderen Verlauf wie etwa in Deutschland nimmt. Es gibt mehr Filialen, kleine Einheiten mit spezifischem und sehr differenziertem Angebot und mit einem breiten Sortiment hochwertiger und hochpreisiger Produkte. Die Herkunft aus Österreich ist ein wichtiges Differenzierungsmerkmal. Für die Konsumenten haben sich unmittelbar nach dem EU-Beitritt die Preise wichtiger Güter verbilligt. Seitdem beobachtet man, dass fallende Preise von Agrargütern nur verzögert oder gar nicht auf Lebensmittelpreise wirken. Lebensmittel sind sicherer, vielfältiger ge-

worden und das globale Netzwerk von Produktion und Logistik führt dazu, dass Frischware kaum saisonal, sondern rund ums Jahr angeboten wird. Worin sehen Sie die Hauptaufgabe der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU und welche Maßnahmen werden dazu umgesetzt? Sinabell: Die EU verfolgt seit nunmehr bald sechs Jahrzehnten die gleichen Ziele. Die Steigerung der Produktivität ist das Wichtigste, und dies wird auch in Zukunft so sein. Nur damit wird es möglich sein, die Herausforderungen der Klimakrise zu bewältigen. Nach wie vor werden erhebliche Mittel aufgewendet, um Einkommensziele zu verfolgen. Damit wird auch der Versorgungssicherheit Rechnung getragen. In der derzeit laufenden Diskussion über die Zukunft der GAP wird den Innovationen, der Digitalisierung und dem Umweltschutz mehr Gewicht eingeräumt werden.

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Welche Fördermaßnahmen wurden in Österreich vor dem EU-Beitritt in der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft umgesetzt? Sinabell: In Österreich wurde bereits vor dem EU-Beitritt begonnen, Umweltziele in der Agrarproduktion zu verfolgen. Neben den Instrumenten der Preispolitik, von denen die Mehrzahl der Landwirte profitierte, gab es begleitende

ausdifferenzierte Instrumente. Das wichtigste davon war die Unterstützung der Berglandwirtschaft. Anders als in der GAP verfolgt die österreichische Agrarpolitik das Ziel, den Flächenrückgang zu vermeiden oder zumindest zu bremsen. Dieses Programm ist heute noch wichtig. In der Übergangsphase zur GAP gab es degressive Übergangsbeihilfen, um den Anpassungsprozess zu erleichtern.

Welche positiven und negativen Aspekten sehen Sie beim freien Warenverkehr in der EU und wie beeinflusst er unser Angebot an Lebensmitteln? Sinabell: Der freie Handel und damit verbundene Warenverkehr sind Kernelemente des Wohlstands und der Freiheit der Konsumenten, das zu wählen, was ihren Bedürfnissen und Anforderungen entspricht. Durch die

Brutto-Wertschöfpung in Mio. Euro n der Wertschöpfungskette der Ernährungswirtschaft 2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

landw. Maschinen und Agrarchemikalien

481

491

607

752

493

530

714

648

694

708

674

705

747

Landwirtschaft (lt. LGR)

2 221

2 406

2 793

2 790

2 266

2 597

3 054

3 017

2 783

2 751

2 734

2 884

3 262

Nahrungsmittelherstellung

2 929

3 004

3 247

3 181

3 141

3 245

3 324

3 341

3 527

3 682

3 861

3 995

4 176

Schlachten und Fleisch­ verarbeitung

655

656

739

706

711

722

741

740

792

841

857

911

923

Fischverarbeitung

15

14

8

9

10

8

9

10

9

9

11

12

9

Obst- und Gemüseverarbeitung

298

314

412

308

297

374

307

282

355

315

345

360

399

H.v. Ölen und Fetten (pflanzl./tierisch)

35

44

38

64

32

70

54

58

49

66

81

78

90

Milchverarbeitung

335

342

391

335

358

350

340

336

373

375

409

435

453

Mahl- und Schälmühlen, H.v. Stärke

119

133

163

151

149

179

255

242

179

226

258

263

321

H.v. Back- und Teigwaren

1 000

1 015

1 022

1 067

1 098

1 029

1 071

1 118

1 150

1 187

1 204

1 262

1 283

H.v. sonst. Nahrungsmitteln

472

486

473

541

485

513

547

556

620

664

696

675

696

Getränkeherstellung

696

728

782

945

1 098

1 273

1 250

1 584

1 330

1 226

1 461

1 649

1 726

Quelle: STAT Leistungs- und Strukturerhebung und Landwirtschaftliche Gesamtrechnung; eigene Berechnungen. Anmerkung: Fischverarbeitung, Wert für 2015 geschätzt.

Tabelle: Wertschöpfungskette der Nahrungsmittel- und Getränkeherstellung in Österreich

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Konkurrenz setzen sich die besseren und innovativeren Anbieter durch. Die Schattenseiten sind, dass dadurch Unternehmen ausscheiden, die dem Druck nicht gewachsen sind, was für die Volkswirtschaft aber eher günstig ist. Das wirkliche Problem sind die mit dem Warenverkehr verbundenen Umweltbelastungen, allen voran die Treibhausgase. Werden die damit verbundenen externen Kosten internalisiert, verändern sich die Preise, viele Waren werden teurer. Die Preise erfüllen damit die wichtige Aufgabe, anzuzeigen, was knapp ist. Eine gesunde Umwelt wird zunehmend knapper. Das Phänomen „Bauernsterben“ war wohl auch schon vor dem Jahr 1995 zu beobachten. Wie hat sich der Strukturwandel hinsichtlich Betriebszahlen und -größen vor und nach dem Beitritt zur EU in Österreich entwickelt? Sinabell: Die Landwirtschaft ist seit Beginn der Industrialisierung einem starken Strukturwandel ausgesetzt. Dabei zeigt sich, dass sich die Zahl der Betriebe und der Personen, die aus dem Sektor aussteigen, entlang unterschiedlicher Trajektorien entwickelt. Vor dem EUBeitritt war in Österreich der Strukturwandel stärker als seitdem. Oftmals kritisiert wird, dass ein großer Teil der Mittel aus der GAP auch in sogenannte Direktzahlungen, also die Förderung je Einheit bewirtschafteter Fläche, fließt. Wird die Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Ökologisierung zu wenig unterstützt? Sinabell: Mit der Agrarpolitik werden auch Verteilungsziele verfolgt. Die Ökonomie kann dazu nur insofern beitragen, indem sie aufzeigt, wie dies effizient gemacht werden kann. Die Bindung an die Flächen und Kürzung für größere Betriebe ist dabei sehr effektiv. Ich selber bin skeptisch, dieses Instrument mit anderen Zielen zu überfrachten. Vernünftiger wäre es, die Mittel zu kürzen – wenn sie tatsächlich zu hoch sind – und das Geld für gezielte Nachfrage nach Umweltleistungen zu verwenden, wo diese nötig sind. In Österreich wird mit dem österreichischen Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft (ÖPUL) eine umweltgerechte Bewirtschaftung verfolgt. Wie

about

Zur Person — Biographie Franz Sinabell ist Agrarökonom mit jahrelanger Forschungstätigkeit in den Bereichen Umwelt, Landwirtschaft und Energie. Von 2008 bis 2012 war er stellvertretender Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO). 2014 habilitierte er sich an der BOKU. Er gilt als Experte zu Themen der ländlichen Entwicklung und wirkte an Studien für die OECD, die EU-Kommission und nationale Stellen mit. Weiters zählen zu seinen Fachgebieten die Handels- und Politik­analyse, Agrarmärkte, Agrarsektor­analyse, Landnutzungsmodellierung und Risikomanagement. Er publiziert zu Themen der Agrarökonomie und des Naturgefahrenmanagements und hält Vorträge auf internationalen wissenschaftlichen Konferenzen.

ist dieses Agrarumweltprogramm in die GAP der EU integriert und wie wird es umgesetzt? Sinabell: Dieses Programm spielt eine im internationalen Vergleich herausragende Rolle. Es ist umfassend, sehr differenziert, und fast jeder Betrieb nimmt teil. Weil wichtige Agrarpreise in der Vergangenheit gesunken sind, ist die Intensität zurückgegangen. Parallel wurden gesetzliche Vorgaben für umweltfreundliche Produktion verschärft, indem etwa bestimmte Substanzen in der Produktion verboten wurden. Dadurch verändert sich der Fokus nunmehr stärker in Richtung Biodiversität. Wodurch unterscheidet sich die österreichische Agrar- und Lebensmittelwirtschaft besonders von anderen Mitgliedsstaaten? Sinabell: Die wichtigsten Merkmale sind, dass die Lebensmittelwirtschaft eher klein strukturiert und stark export­ orientiert ist. Dies ist nur möglich, weil sie wettbewerbsfähig und sehr effizient ist. Für die Agrarwirtschaft trifft das Erstere zu, das Zweitere noch nicht.

© WIFO

Wie setzen Nicht-EU-Staaten wie die Schweiz Agrarpolitik um? Sinabell: In der Schweiz sind die wichtigsten Märkte für Agrargüter vom gemeinsamen Markt abgekoppelt. Dies hat hohe Preise innerhalb der Schweiz zur Folge, vor allem für die Verbraucher, was für jeden evident ist, der das Einkaufsverhalten von Schweizern in Vorarl­berg beobachtet. Die Lebensmittelwirtschaft ist sehr wettbewerbsfähig, leidet aber unter den Handelsbeschränkungen und kann das Potential nicht ausnutzen. Dies sieht man, wenn man die Exportentwicklung von der Schweiz und Österreich vergleicht. Trotz der gravierenden Unterschiede in der Agrarpolitik ist auffällig, dass sich in der Landwirtschaft die Strukturen und auch die Einkommen ähnlich entwickeln. Die Kosten der Agrarpolitik in der Schweiz sind für die Gesellschaft aber viel höher. DI Lisa Jöchlinger, Fachverband der Lebensmittelindustrie, Wien

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Brexit Künftige Handelsbeziehungen Österreichs mit Großbritannien Handelspolitische Aspekte und Wirtschaftsinteressen aus Sicht der Lebensmittelindustrie. Josef Domschitz

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© Adobe stock – ink drop

B

REXIT im Schatten des Jubiläums „25 Jahre EUBeitritt Österreichs“: Österreichs Außenhandelsbilanz mit der EU kann sich auch bei den Erzeugnissen der Lebensmittelindustrie (Zollkapitel 16 bis 24) sehen lassen: EU-Ausfuhren in Höhe von 5.221 Mio. Euro stehen derzeit EU-Einfuhren in Höhe von 4.953 Mio. Euro gegenüber. Vor 25 Jahren zeigte sich im EU-Beitrittsjahr Österreichs ein deutlich anderes Bild: EU-Ausfuhren in Höhe von 732 Mio. Euro standen EU-Einfuhren in Höhe von 1.195 Mio. Euro gegenüber. In diesen 25 EU-Jahren verstand es die österreichische Lebensmittelindustrie

mit viel Ausdauer und Hartnäckigkeit, aber auch mit Qualität, Vielfalt und Genuss, ihre Exporte um mehr als 600 % zu steigern und eine negative Außenhandelsbilanz mit der EU in Höhe von 463 Mio. Euro sehr erfolgreich in eine positive Außenhandelsbilanz in Höhe von 269 Mio. Euro umzudrehen. Aber! Diese Erfolgsbilanz Österreichs mit einer EU der 15 Mitgliedstaaten im Jahr 1995 und 13 „Neuzugängen“ in den letzten 25 Jahren wird gerade in diesem Jubiläumsjahr, in dem die Coronakrise derzeit im Mittelpunkt steht und keine anderen wichtigen Themen zulässt, deutlich getrübt. Mit dem BREXIT verliert nicht nur die österreichische

Lebensmittelindustrie den fünftwichtigsten Handelspartner in der Europäischen Union. BREXIT: Was erwartet sich ei­ gentlich die Lebensmittelindustrie? Die Unternehmen der österreichischen Lebensmittelindustrie erwarten sich, dass Großbritannien auch nach dem BREXIT ein attraktiver Absatzmarkt bleibt. Wichtige Zielsetzung der österreichischen Lebensmittelindustrie ist es, dass nach Abschluss der Verhandlungen über ein Austrittsabkommen zwischen der EU und Großbritannien nicht-tarifäre Handelshemmnisse vermieden werden und bei vielen Erzeugnissen der Lebensmittelindustrie

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Grossbritannien – Österreich 2019 Werte in Mio. Euro

Importe

Exporte

AH-Bilanz

Gesamt (ZK 1 bis 99)

2.808

4.498

+ 1.690

Agrarsektor (ZK 1 bis 24)

118

243

+ 124

Erzeugnisse Lebensmittelindustrie (ZK 16 bis 24)

88

200

+ 112

Anteil in %: Agrarsektor – Gesamt

4,2

5,4

Anteil in %: Erzeugnisse LMI – Gesamt

3,1

4,5

Quelle: Statistik Austria, FV der Lebensmittelindustrie

– neben den künftig verbindlichen Maßnahmen im Zollwesen und der Zollabwicklung – weiterhin ein „ungehinderter“ Marktzugang zum neuen Drittland Großbritannien bestehen bleibt. Bedeutung des Exports für die Ag­ rar- und Lebensmittelwirtschaft Öster­ reichs: Viele Unternehmen der österreichischen Lebensmittelindustrie zählen mit ihren Exportleistungen zu Österreichs „Hidden Champions“. Seit dem EU-Beitritt Österreichs konnten die gesamten österreichischen Agrar- und Lebensmittelexporte (Zollkapitel 1 bis 24) bis 2019 um 584 Prozent gesteigert werden, jene von den Erzeugnissen der Lebensmittelindustrie (Zollkapitel 16 bis 24) um 692 Prozent (von 959 Mio. Euro auf 7,6 Mrd. Euro im Jahr 2019). Die besondere Leistung zeigt sich vor dem Hintergrund, dass die gesamte Wirtschaft Österreichs in diesem Zeitraum ihre Exporte um 265 Prozent erhöhen konnte. Somit zählen die Unternehmen der österreichischen Lebensmittelwirtschaft zu den erfolgreichsten Branchen im Export. Dieser ist Wachstumstreiber und Jobgarant für die Lebensmittelerzeuger, denn die Exportleistungen der Unternehmen schaffen Arbeitsplätze und Wertschöpfung und tragen zum Wohlstand unseres Landes bei. Zwei von drei in Österreich produzierten Lebensmitteln und Getränken werden bereits auf über 180 Märkten quer über den Globus verkauft. Großbritannien zählt zu den wichtigsten Exportmärkten für die österreichische Agrar- und Lebensmittelwirtschaft und ist beim Lebensmittelexport innerhalb der EU nach

Deutschland, Italien, Ungarn und den Niederlanden der fünftgrößte Absatzmarkt für die österreichische Lebensmittelindustrie. Das Exportvolumen Österreichs im Agrarbereich lag im Jahr 2019 bei 243 Mio. Euro (+11,2 % gegenüber 2018). Davon sind 200 Mio. Euro (+ 9,9 % gegenüber 2018) dem Bereich der Erzeugnisse der Lebensmittelindustrie (Zollkapitel 16 bis 24) zuzuordnen. Österreich hat sowohl im Agrarbereich als auch bei den Erzeugnissen der Lebensmittelindustrie eine positive Außenhandelsbilanz mit Großbritannien. Die Produktbereiche, die aktuell von Österreich aus nach Großbritannien exportiert werden, sind vielfältig und umfassen alkoholfreie Erfrischungsgetränke, Käse, Feine Backwaren, Schokoladenwaren, Rind- und Schweinefleisch, Fruchtsäfte, Würste, Tierfutter und vieles mehr. Agrarwaren und Lebensmittel – unterschiedliche Voraussetzungen im Export: Gerade der Agrar- und Lebensmittelbereich findet unterschiedliche Voraussetzungen in der Chancen- und Risikoeinschätzung auf den einzelnen Exportmärkten vor. So auch bei einem BREXIT, egal in welcher Form. Bei landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen liegen die Vorteile im Export oft bei niedrigen Einfuhrzöllen. Nichttarifäre Handelshemmnisse sind für diesen Warenbereich oft zu vernachlässigen und Exportaktivitäten sind – sofern die lebensmittelrechtlichen Voraussetzungen des jeweiligen Zielmarkts erfüllt sind, und das sollte bei Großbritannien auch nach dem BREXIT der Fall sein – grundsätzlich rasch umsetzbar.

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Ganz anders ist die Situation bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen tierischen Ursprungs (Fleisch und Fleischerzeugnisse, Milch und Milcherzeugnisse, Heimtierfuttermittel), wo ohne gegenseitige Veterinärkontrolle bzw. Veterinärabwicklung kein „funktionierender“ Außenhandel möglich ist. Hier braucht es eine praxistaugliche Veterinärkontrolle von beiden Seiten. BREXIT – betroffene Warenkreise der Lebensmittelindustrie – Land­ wirtschaftliche Erzeugnisse (Anhang I-Waren): Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union definiert im Titel III „DIE LANDWIRTSCHAFT UND DIE FISCHEREI“ die Spielregeln für den Warenbereich der landwirtschaftlichen Erzeugnisse (Artikel 38 bis 44), der im Anhang I (sogenannte „Anhang I-Waren“ gemäß Liste zu Artikel 38 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) aufgelistet ist. Dieser Warenbereich fällt in den politischen Verantwortungsbereich des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT) und zeichnet sich durch eine Vielzahl an gegenseitigen Offensiv- und Defensivinteressen aus. Alleine im tierischen Bereich sind hier die unterschiedlichen Interessen der Tierzüchter (Lebende Tiere des Zollkapitels 1), der Schlachthöfe (Fleisch des Zollkapitels 2), der Molkereien (Milch und Milcherzeugnisse des Zollkapitels 4), der Verarbeiter von Fleisch zu Fleischerzeugnissen (Zollkapitel ex 16) sowie der Erzeuger von Heimtierfuttermittel (Zollkapitel ex 23) in den BREXIT-Verhandlungen zu berücksichtigen. Gleiches gilt für Pflanzen, Gemüse und Zubereitungen, Früchte und Zubereitungen, Kaffee, Tee, Gewürze und Mischungen, Getreide und Müllereierzeugnisse, Malz, Stärke, Ölsaaten, Pektin, pflanzliche Fette und Öle, Zucker, Melassen, Sirupe, Traubenmost, Wein, Met und andere gegorene Getränke, Äthylalkohol und Sprit, Speiseessig, Rückstände und Abfälle der Lebensmittelindustrie, zubereitetes Futter sowie Tabak und Tabakabfälle.


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Der dringende Wunsch der Lebensmittelindustrie in den aktuellen BREXITVerhandlungen für den Bereich der landwirtschaftlichen Erzeugnisse ist, handelspolitische und marktordnungsrechtliche Schutzmaßnahmen (Kontingente, Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen, nichttarifäre Handelshemmnisse) so gering wie möglich zu halten und notwendige Zollsätze nur dort einzuführen, wo die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen und Marktstörungen gegeben ist. Die heimischen Exportkaiser im Bereich der landwirtschaftlichen Erzeugnisse sind Milcherzeugnisse, Käse, Gemüseund Fruchtzubereitungen, Fruchtsäfte, Wurst- und Fleischzubereitungen, Wein und Sekt, Spirituosen, Heimtierfuttermittel und vieles mehr. Landwirtschaftliche Verarbeitungs­ erzeugnisse (Nicht-Anhang I-Waren): Bei landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen (sogenannte „Nicht-Anhang-I-Waren“) handelt es sich um bestimmte aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen hergestellte Waren, die in den Tabellen 1 und 2 des Anhang I gemäß EU-Verordnung Nr. 510/2014 aufgelistet sind. Ein überwiegender Teil dieser landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnisse wird von den Unternehmen der österreichischen Lebensmittelindustrie produziert und verstärkt im Export abgesetzt.

Die heimischen Exportkaiser im Bereich der landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnisse sind neben Energy-Drinks, Limonaden und Eistees, Bier, Teig- und Süßwaren (Zuckerwaren, Schokoladenwaren, Speiseeis), Feinbackwaren Würzzubereitungen, eine Vielzahl an Spezialitäten der österreichischen Mehlspeisküche sowie andere Lebensmittelzubereitungen. Beim Warenbereich der landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnisse liegt der Schwerpunkt vor allem bei den Offensiv­interessen und unsere Forderung setzt hier ganz klar auf ein künftiges Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien für alle landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnisse ohne gegenseitige Zölle, Gebühren und frei von Agrarabgaben (= keine gegenseitige Vorschreibung von künftigen Agrarteilbeträgen). Allgemeine Forderungen der öster­ reichischen Lebensmittelindustrie für ein neues EU-Abkommen mit Großbri­ tannien: Der Fachverband der Lebensmittelindustrie Österreichs unterstützt die Bemühungen der Wirtschaftskammer Österreich, die sich in Abstimmung mit der EU-Position – auch bedingt durch die Verzögerungen in Folge der Coronakrise – weiterhin verstärkt für eine Verlängerung der BREXIT-Übergangsphase bis Ende 2022 einsetzt. Nur so kann aus Sicht der Lebensmittelin-

dustrie die Zielsetzung für ein ambitioniertes, weitreichendes, ausgewogenes und umfassendes Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien erreicht werden. Das Abkommen soll außerdem weitere über die künftige Zollabwicklung hinausgehende Beeinträchtigungen des Außenhandels und unfaire Wettbewerbsverzerrungen für beide Seiten insbesondere im Bereich der landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnisse verhindern. Außerdem müssen im Rahmen dieses angestrebten Abkommens zwischen der EU und Großbritannien – neben vielen anderen bilateralen Vereinbarungen und handelspolitischen Vorgaben – gemeinsame Spielregeln (Standards) in den Bereichen Lebensmittel- und Futtermittelrecht, Veterinärvereinbarungen, Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, Umweltschutz, Klimawandel usw. Berücksichtigung finden. Dies gilt auch für den Bereich der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Zu erwähnen wäre an dieser Stelle auch, dass vor allem im Bereich der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Verarbeitungserzeugnisse mit zum Teil kurzen Lieferzeiten, Fristen und Haltbarkeiten eine rasche Umsetzung der zollamtlichen Überwachung und Kontrolle sowie ein optimierter Datenaustausch für alle Zollverfahren in beiderseitigem Interesse gefordert wird.

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Im künftigen Warenverkehr zwischen der EU und Großbritannien erwarten wir uns die Einhaltung und Umsetzung folgender Maßnahmen bzw. Forderungen: • Keine gegenseitigen Zölle, Gebühren oder Abgaben gleicher Wirkung keine Preisausgleichsmaßnahmen, Agrarabschöpfungen für die in landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen eingesetzten Agrarwaren und landwirtschaftlichen Erzeugnisse (Zucker, Milch Getreide, Stärke usw.). Vorschlag: Gegenseitige „Doppelnull“-Vereinbarung für alle eingesetzten Agrarrohstoffe am Beispiel der „Doppelnull“-Vereinbarung für Zucker gemäß Protokoll Nr. 2 im EU-Abkommen mit der Schweiz. • Keine mengenmäßigen Beschränkungen (Einfuhrkontingente) oder ungerechtfertigte Genehmigungsverfahren (= Einführung von Einfuhr- bzw. Ausfuhrlizenzen, die eher den Warenverkehr behindern als fördern!). • Handelspolitische Schutzinstrumente im Einklang mit bestehenden WTO-Vorschriften. • Gegenseitige Ursprungsregeln, die EU-Standards entsprechen, sowie gemeinsame Verfahren bei Unstimmigkeiten bei der Feststellung des Warenursprungs insbesondere im Agrar- und Lebensmittelbereich. • Vereinfachte Zollregeln und Anwendung des Grundsatzes der Transparenz, Effizienz und Nicht-Diskriminierung. • Erhaltung der regulatorischen Autonomie der Vertragspartner unter gleichzeitiger Vermeidung ungerechtfertigter sowie nichttarifärer Handelshemmnisse. • Umfangreiche Kapitel zu SPS (Veterinär- und Pflanzenschutz) sowie zu TBT (technische Handelshemmnisse) nach dem Vorbild moderner EU-Handelsabkommen. BREXIT – weitere Besonderheiten für österreichische Lebensmittelexpor­ teure: Viele Exporteure der Lebensmittelindustrie haben sich zeitgerecht auf die Möglichkeit eines BREXIT und die damit verbundenen Eventualitäten und Schwierigkeiten vorbereitet. Probleme in der Zollabwicklung und Verzögerungen im Rahmen des Warentransports sind ab dem BREXIT (egal, wann und in welcher Form)

nicht auszuschließen und belasten alle Unternehmen in der EU und in Großbritannien. Vorziehkäufe, die vor dem offiziellen BREXIT bereits in Großbritannien auf Lager liegen, sind auch aufgrund der unterschiedlichen Haltbarkeiten der Erzeugnisse sowie fehlender Lagerkapazitäten nur bedingt möglich. Hier wird abzuwarten bleiben, wie gut sich Großbritannien auf diesen Stichtag und die Zeit danach vorbereiten wird. Die Zollverantwortlichen in Großbritannien werden jedenfalls mit dem BREXIT vor großen Herausforderungen stehen. Neben der Zollabwicklung werden im Falle eines Abbruchs der Verhandlungen (HARD BREXIT) auch die unterschiedlichen WTO-Zollbelastungen, die dann gegenseitig schlagend und vorgeschrieben werden, zu Verteuerungen der Produkte in Großbritannien und in der EU führen. Die Höhe der aktuellen WTO-Zölle ist von Produktgruppe zu Produktgruppe unterschiedlich. Hier ein paar Zollbeispiele beim Export nach Großbritannien nach einem HARD BREXIT (diese Produkte werden aus Österreich aktuell auch nach Großbritannien exportiert): WTO-Zölle für • Rindfleischteile ohne Knochen des KN-Codes 0201 3000: 12,8 % + 303,4 Euro pro 100 kg/net • Bauchspeck von Schweinen des KNCodes 0203 1915: 46,7 Euro pro 100 kg/net • Schmelzkäse des KN-Codes 0406 3031: 139,1 Euro pro 100 kg/net • Rohwürste des KN-Codes 1601 0091: 149,4 Euro pro 100 kg/net • Gefüllte Schokolade des KN-Codes 1806 3100: 8,3 % + ermäßigter Agrarteilbetrag maximal 18,7 % • Apfelsaft des KN-Codes 2009 7919: 30 % • Tomatenketchup des KN-Codes 2103 2000: 10,2 % • Andere Würzzubereitungen des KNCodes 2103 9090: 7,7 % • Andere Lebensmittelzubereitungen des KN-Codes 2106 9092: 12,8 % • • Alkoholfreie Erfrischungsgetränke des KN-Codes 2202 1000: 9,6 % • Hunde- und Katzenfutter, keine Milch­erzeugnisse enthaltend des KNCodes 2309 1011: 0 %

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• Hunde- und Katzenfutter mit einem Gehalt an Milcherzeugnissen von 75 GHT und mehr des KNCodes 2309 1019: 948 Euro pro Tonne Worst Case – Abbruch der Ver­ handlungen (HARD BREXIT) Niemand wünscht sich einen Abbruch der aktuell laufenden Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien und damit einen HARD BREXIT. Sollte dies jedoch nicht zu verhindern sein, gelten die Herausforderungen und Probleme für alle Beteiligten im Außenhandel zwischen der EU und Großbritannien. Dass es Probleme im Außenhandel zwischen der EU und Großbritannien nach einem BREXIT (zeitliche Verzögerungen im Rahmen der Warenabwicklung) geben wird, liegt dann wohl auf der Hand. Die Zustellung der Waren sowie die zolltechnische Abwicklung und die Zölle werden im Vergleich mit anderen EU-Drittländern ähnlich sein. Da die österreichische Lebensmittelindustrie bereits in über 180 Länder der Welt exportiert, sollte genug Erfahrung im Umgang mit Warenlieferungen in andere EU-Drittstaaten vorhanden sein. Den Vergleich eines möglichen HARD BREXIT mit den im Jahr 2014 eingeführten Importsanktionen Russlands sehen wir aktuell nicht. Bei Russland wurden bestimmte Agrarerzeugnisse aus der EU für den Import nach Russland völlig gesperrt. Bei Großbritannien gelten nach einem BREXIT ohne Folgeabkommen die „üblichen“ zollrechtlichen und handelspolitischen Spielregeln für den Außenhandel mit einem Drittstaat und die sollten auch nach dem endgültigen EU-Austritt Großbritanniens zu schaffen sein. Es bleibt also auch im EU-Jubiläumsjahr Österreichs hoch spannend und zu hoffen, dass sich die langjährigen Partner in der EU rechtzeitig auf ein beiderseitig faires Austrittsabkommen einigen, um dann gemeinsam in eine neue europäische Handelspartnerschaft starten zu können. Josef Domschitz, Fachverband der Lebensmittelindustrie, Wien


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ProduktVielfalt braucht Konsumentenschutz Der Beitritt Österreichs zur europäischen Union hat viele positive Veränderungen für Konsumenten gebracht. Vor allem gab es eine deutliche Ausweitung der Angebotspalette bei Konsumgütern und Dienstleistungen, insbesondere auch bei Lebensmitteln. Gabriele Zgubic

Konsumentenschutzorganisationen als vertrauenswürdige Wegweiser, als Markt- und Preiswächter aber auch als Konsumenten-Lobbyisten auf europäischer Ebene wurde folglich immer wichtiger.

Der Euro als Teuro? Wenige Jahr nach dem EU-Beitritt Österreichs wurde der Euro eingeführt. Die Arbeiterkammer hat die Einführungsphase mit Preiserhebungen und einem Informationsangebot wie Broschüren und Hotline begleitet, denn eine Währungsumstellung ist mit viel Unsicherheit und Befürchtungen verbunden. Es

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egelte bis zum EU-Beitritt der nationale Gesetzgeber den Zugang zum österreichischen Markt, galt danach das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind. Nationale Verbote von Produkten waren nicht mehr möglich. Dafür etablierten sich immer mehr EU-weit gültige Regelungen und Institutionen. Dies gilt insbesondere für das Lebensmittelrecht. Die deutliche Erweiterung des Angebots war für die Konsumenten einerseits ein Vorteil, andererseits wurde damit auch der Produkt- und Preisdschungel größer und undurchsichtiger. Die Rolle von

Gabriele Zgubic

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zeigten sich einerseits Preissteigerungen in bestimmten Segmenten, jedoch spielte auch die „gefühlte Inflation“ eine Rolle. In einem Forschungsprojekt mit mehreren Befragungswellen (2001–2003) unter der Leitung von AK-Konsumforscher Prof. Kollmann orteten rund zwei Fünftel der Befragten bei Lebensmitteln und anderen Artikeln des täglichen Bedarfs sowie in der Gastronomie eine Verteuerung. Ein Sechstel meinte, dass es bei Elektro- bzw. elektronischen Geräten zu Verbilligungen gekommen sei. Ein Gutteil meinte, dass alles teurer geworden sei. Die doppelte Preisauszeichnung war damals für nahezu drei Viertel hilfreich.1 Betrachtet man die Inflationsrate, so lag diese im Zeitraum 1991–2001 bei 2,4 % und sank bald nach der Einführung des Euro auf durchschnittlich 2 %. Allerdings stiegen die Lebensmittelpreise stärker: Insgesamt wurden die Nahrungsmittel im Zeitraum 2002–2012 durchschnittlich um 2,4 % pro Jahr teurer – genau doppelt so viel wie im Jahrzehnt davor2.

AKPreismonitoring Als im Jahr 2008 die Teuerungsraten des Mikro- und Miniwarenkorbs der Statistik Austria empfindlich gestiegen sind, führten diese Preissteigerungen beim AK-Konsumentenschutz ebenso zu vielen Beschwerden wie das niedrigere Preis­niveau in Deutschland. Die Arbeiterkammer vergleicht daher bis heute regelmäßig die Preise von Lebensmitteln und Drogerieprodukten in Österreich und Deutschland. Bis heute hat sich die Preislücke nicht geschlossen – Österreich ist deutlich teurer: So war im April 2019 der Warenkorb von 69 identen Marken-Lebensmitteln in Wien um 22 Prozent teurer als in München; der Warenkorb von 124 identen Drogeriewaren war im Oktober 2019 in Wien um 45 Prozent teurer als in München. Auch die Zahlen von Eurostat zeigen, dass Österreich mit dem Preisniveau für Lebensmittel im EU-Vergleich am oberen Ende liegt3. Während die Lebensmittelbranche und der Einzelhandel gerne die hohe Qualität der österreichischen Lebensmittel ins Treffen führen, ortet die Arbeiterkammer vor allem in der hohen Marktkonzentration beim Lebensmittelhandel einen Grund für diese Preis­

unterschiede. Allerdings sind auch Konsumenten in vielen anderen EU-Staaten der Ansicht, dass ihre heimischen Lebensmittel, insbesondere landwirtschaftliche Produkte, von hoher Qualität sind. Hier schwingt eben oft eine gute Portion Patriotismus und Stolz auf die heimische Landwirtschaft mit.

Qualität und Sicherheit Neben dem Preis spielen Qualität und Sicherheit eine große Rolle. Dies gilt insbesondere für Lebensmittel. Es gibt daher ein dichtes Regelungswerk auf europäischer Ebene, die vor allem dem Gesundheitsschutz, der Kontrolle und der Kennzeichnung dienen; zusätzlich gibt es Vorschriften für spezifische Lebensmittel bzw. Methoden etwa für Bioprodukte, gentechnisch veränderte Produkte, zu gesundheitsbezogenen Angaben oder geschützten Herkunftsangaben. Neben der Sicherheit sind auch die Kontrolle und die Kennzeichnung wichtig. Die Kontrolle gewährleistet, dass Vorschriften auch eingehalten werden, die Kennzeichnung dient der Information und dem Schutz vor Täuschung. Nationale Konsumentenschutzorganisationen bringen sich v. a. über den europäischen Dachverband BEUC (Bureau Européen des Unions de Consommateurs) in den Gesetzgebungsprozess ein. Die Arbeiterkammer hat zudem ein eigenes Brüssel-Büro.

Lebensmittel brauchen Kontrolle Die Arbeiterkammer hat sich immer wieder für eine besser ausgestattete Lebensmittelkontrolle ausgesprochen. Aber die Probenanzahl der Lebensmitteluntersuchungen hat laufend abgenommen. Lag diese im Jahr 1999 noch weit über 40.000, sank die Zahl kontinuierlich: Im Jahr 2013 wurden rund 31.000 Lebensmittelproben untersucht, im Jahr 2018 waren es 25.750 Proben4. Auch die Unabhängigkeit von der Wirtschaft ist essentiell, wie die Diskussion um die europäische Lebensmittelaufsichtsbehörde EFSA in Zusammenhang mit der Bewertung von Glyphosat zeigte. Es wurde die Unabhängigkeit der EFSA-Experten

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von der Wirtschaft wie auch die Wissenschaftlichkeit der EFSA-Gutachten bezweifelt. Für einen Staat bzw. für die EU ist es besonders kritisch, wenn die Glaubwürdigkeit einer staatlichen Kontrollbehörde in Frage gestellt wird. Von Staat und Wirtschaft unabhän­ gige Kontrolle wichtig Wichtig sind für Konsumenten unabhängige Testorganisationen wie die Zeitschrift „Konsument“ mit Lebensmitteltests und der Plattform Lebensmittelcheck. So zeigt sich etwa bei Vergleichen von Marken-Lebensmitteln mit Eigenmarken von Supermärkten oft kein qualitativer Unterschied. Beim Lebensmittelcheck werden vor allem Täuschungen bei Lebensmitteln aufgezeigt. Es geht um Mogelpackungen oder wenn Zutaten auf der Verpackung besonders ausgelobt werden, im Produkt selbst aber kaum vorkommen u. Ä. In deutlich kleinerem Ausmaß führt auch die Arbeiterkammer Qualitätstests bei Lebensmitteln durch, etwa auf Keime oder Pestizide.

Einfache Kennzeichnung wesentlich Die Änderung der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung wurde heiß


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diskutiert, vor allem die auch von der Arbeiterkammer geforderte Lebensmittelampel. Diese wurde letztlich nicht verpflichtend eingeführt. Mittlerweile beginnt sich aber der in Frankreich entwickelte Nutriscore in den EU-Ländern mehr und mehr zu etablieren. Eine einfache, klare und auf einen Blick erfassbare Kennzeichnung ist besonders wichtig. Immer wieder beschweren sich Konsumenten über eine irreführende Aufmachung einer Lebensmittelverpackung. Ein Instrument gegen Irrführung ist die Klage wegen Verstoßes gegen das UWG. Auch die Arbeiterkammer hat mehrere Klagen geführt, zuletzt wegen einer Bananenmilch fast ohne Bananen. Auch die Herkunftskennzeichnung spielt eine große Rolle. Konsumenten wollen wissen, woher ein Lebensmittel bzw. wesentliche Zutaten stammen. Diesem Wunsch trägt auch die seit 1. April geltende strengere Herkunftskennzeichnung Rechnung. Die AK begrüßt EU-weite Regelungen zur Herkunftskennzeichnung, beobachtet aber die mittlerweile nahezu automatische Verknüpfung von Regionalität mit Qualität im öffentlichen Diskurs kritisch. Mehr Tierschutz in der Agrarför­ derung notwendig Die im Zuge der

Klimakrise wieder verstärkt geführte Diskussion zu Massentierhaltung und Tierschutz-Standards sowie der jüngste Kälbertransport-Skandal zeigen, dass in Bezug auf Haltungsbedingungen von Nutztieren noch vieles zu tun ist. Ein wesentlicher Hebel ist die Agrarförderung, die künftig auf mehr Klima- und Tierschutz ausgerichtet sein sollte. Mag. Gabriele Zgubic, Leiterin der Abteilung Konsumentenpolitik in der Arbeiterkammer Wien Literatur [1] Karl Kollmann, Kurt E. Simperl, Roland Huber: Endbericht Euro-Begleitforschung – Juli 2003 [2] Josef Auer: Treibt der Euro die Inflation an? Die Fakten. Wien 2013 https://oegfe.at/wordpress/wp-content/uploads/2015/07/OEGfE_Policy_ Brief-2013.09.pdf [3] https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/9832365/2-20062019AP-DE.pdf/8dc2386d-def7-4c60-aa7cf0647a0660fa [4] Lebensmittelsicherheitsberichte 2013 und 2018; Hrsg: Sozialministerium und AGES


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GEKOMMEN, UM ZU BLEIBEN Mit langfristigen Erhebungen lassen sich echte Trends von kurzfristigen Moden unterscheiden. Ein Überblick über die wichtigsten Trends der letzten 25 Jahre. Johannes Mayr

Trend 1

Trend 3

Außer-Haus-Konsum steigt Trotz leicht steigender Anzahl der Haushalte nimmt die Menge der von Haushalten im LEH gekauften Lebensmittel ab. Im Gegenzug nimmt der Außer-­Haus­ Konsum zu, worunter nicht nur Essen in der Gastronomie zu verstehen ist: Außer­-Haus beinhaltet alles, was nicht in den eigenen vier Wänden verspeist wird, auch den Coffee­-to-­go, die Jause im Zug, das Essen in der Kantine oder den Verzehr einer im Supermarkt gekauften Jause vor dem PC. Die beiden Hauptursachen für diesen Trend liegen im steigenden Anteil der Singlehaus­halte und der zunehmenden Berufstätigkeit von Frauen.

Ernährung interessiert alle Das Inter­ esse an Ernährungsthemen war noch nie größer als heute. Für achtzig Prozent der Österreicher ist „gut essen und trinken“ ein wichtiges Thema. Hinzu kommt, dass die Kaufkraft der Österreicher noch nie so hoch war wie heute. Insgesamt also gute Rahmenbedingungen für die Realisierung neuer Produktideen.

© KeyQUEST

Trend 4

Johannes Mayr

Bio-Boom hält an Der Trend zu Bio­Produkten war in den vergangenen 25 Jahren einer der wichtigsten Trends im Lebensmittelhandel. Bemerkenswert daran ist, dass es kein einziges Jahr gab, in dem der Bio-­Markt rückläufig war.

Trend 2 Convenience ist gefragt Alles, was bei der Lösung des Alltagsproblems „Was essen wir heute?“ hilft und den Aufwand bei der Zubereitung verringert, wird unter Convenience zusammengefasst. Die Unterstützung kann den Einkauf von Lebensmitteln, die Lagerhaltung zu Hause und die Zeit, die für die Zubereitung aufgewendet werden muss, umfassen. Ein paar Beispiele: Aufgeschnittener Käse und aufgeschnittene Wurst aus dem Selbstbedienungs-Regal verdrängen vergleichbare Produkte aus der Feinkosttheke. Bei Blattsalat geht der Verkauf von Salatköpfen zurück, die Absatzzahlen von geschnittenem, vorbereitetem Salat hingegen gehen steil nach oben.

Quelle: RollAMA/AMA-Marketing

Trend 2: Convenience boomt in allen Bereichen

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Quelle: APA/RollAMA

Quelle: RollAMA/AMA-Marketing

Trend 4: Bio-Anteil wächst kontinuierlich

Trend 6: Trends im Lebensmittelhandel

Jedes Jahr wuchs der Markt für Bio­ Produkte im Schnitt um ca. sieben Prozent und das über einen Zeitraum von 25 Jahren. Auch Regionalität und Herkunft werden seit rund 15 Jahren immer wichtiger. Als Gegenreaktion auf die Globalisierung werden den Menschen das Lokale sowie das Wissen über die Herkunft ihres Schnitzels immer wichtiger. Die exakte Messung dieses Trends ist hier im Vergleich zu bio deutlich schwieriger, da Regionalität nicht definiert ist. An der Anzahl der mit diversen Herkunftszeichen ausgewiesenen Produkte lässt sich die steigende Bedeutung aber schätzen. Im Vergleich zu Regionalität sind neuere Entwicklungen wie „Premium“ oder der Trend zu vegetarischen oder veganen Produkten noch klein. Hier ist aber davon auszugehen, dass diese Entwicklungen an Bedeutung gewinnen werden.

ber abzugrenzen. Insgesamt führt dies zu einer ständig zunehmenden Anzahl an Artikeln und immer feiner segmentierten Märkten.

Trend 6 Mehr Handelsmarken, mehr Kon­ zentration Handelsmarken haben in den vergangenen 25 Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Mittlerweile beträgt ihr Anteil im LEH mit Hofer/ Lidl mehr als fünfzig Prozent. Die Tendenz ist weiterhin steigend. Begünstigt

wird diese Entwicklung von der hohen Handelskonzentration in Österreich. So erreichen die drei größten Handelskonzerne zusammen einen Umsatzanteil von 88 Prozent. Eine Folge dieser Entwicklung ist die Verlagerung der Produktentwicklungs-­und Marketing­ Kompetenz von den Herstellern zu den Handelsketten. Mag. Johannes Mayr Geschäftsführer KeyQUEST Marktforschungs GmbH, Garsten

Trend 5 Mikrosegmentierung Allein im Zeitraum von 2000 bis 2015 hat sich die Anzahl der Einzelartikel in der Produktgruppe Trinkmilch beinahe verdreifacht. Diese Entwicklung ist nahezu im gesamten Frischesortiment festzustellen. Die Ursache dafür liegt einerseits in der Individualisierung der Bedürfnisse, andererseits versuchen Hersteller und Handel, ihre Produkte vom Mitbewer-

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volume 44 | 03. 2020  ERNÄHRUNG | Nutrition


28 firmenbericht company report

EFAFLEX: Vom Tiefkühltor bis Easy Clean Dolceria Alba schätzt vielfältig einsetzbare Premium-Produkte des deutschen Torspezialisten.

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a fabbrica del dolce“, die Kuchenfabrik, wird sie genannt. Doch so romantisch, wie die muttersprachliche Bezeichnung klingt, geht es in der Dolceria Alba im italienischen Piemont nicht zu. Ganz im Gegenteil: Produktionsräume, Testlabore und Tiefkühllager entsprechen modernstem Standard. Sie wirken hell und, der Produktion von Lebensmitteln entsprechend, nahezu steril. Zwischen den einzelnen Bereichen sorgen Schnelllauftore von EFAFLEX dafür, dass die Abteilungen, in denen Lebensmittel offen verarbeitet werden, sicher und hygienisch von den Logistikwegen und Lagern getrennt sind. Lager mit minus 25 Grad Celsius sind durch Tiekfühltore EFA SST-TK 100 von EFAFLEX gesichert. Fast 70 Tore hat der deutsche Spezialist für schnelllaufende Industrietore für die Dolceria Alba geliefert. Zwei alte Produktionsstätten wurden komplett entkernt und zu einer neuen Fabrik mit einer Grundfläche von 15.000 Quadratmetern umgebaut. Das Unternehmen hat die vollständige Planung selbst übernommen und gesteuert. Betriebsaus-

rüstung, die sich vorher in anderen Betrieben der Dolceria Alba bewährt hat, wurde auch für die neue Anlage ausgewählt. Mit der Effizienz sowie der Zuverlässigkeit der Tore von EFAFLEX haben die Planer bereits an zwei weiteren Standorten beste Erfahrungen gemacht. Grund genug, sich auch bei diesem Projekt für ein ganzes Sortiment der Premium-Produkte zu entscheiden. Vor dem Bau des Werkes stellten sich die unterschiedlichsten Anforderungen: Es wurden Kühlräume, Tiefkühlzonen, Lagerhallen und Werkstätten eingerichtet. Für andere Anwendungen wurden volltransparente Tore verwendet, um den Blickkontakt zwischen verschiedenen Produktionseinheiten zu ermöglichen. In hygienischen Bereichen wurden leicht zu reinigende Tore aus Edelstahl, EFA SRT-EC (Easy Clean), montiert. Besonders für die Tore vor den Tiefkühlbereichen wurde auf bestmögliche Isolierung der Torlamellen geachtet, weil dort ständig eine Temperatur von minus 25 Grad Celsius herrschen muss. Diese Lager hat EFAFLEX mit Tiefkühltoren EFA SST-TK 100 dicht abgeschottet.

ERNÄHRUNG | Nutrition  volume 44 | 03. 2020

Hermetischer Abschluss der Tiefkühlräume Die Kons­ truktion des Tiefkühltores EFA-SST-TK-100 folgt dem Trend zu Produkten und Betriebsausrüstungen, die sich positiv auf die Energiebilanzen von Unternehmen auswirken. Das Schnelllauftor ist hoch belastbar und kann daher besonders in Tiefkühlhäusern mit häufigen Ein- oder Auslagerungsprozessen effizient eingesetzt werden. Eine dynamische Torblatt- und Spiralführung AFM (Active Framework Mechanism) sorgt dafür, dass das Torblatt im geschlossenen Zustand in Richtung Torzarge zu einer umlaufenden Profildichtung hin verschoben wird und somit Tiefkühlbereiche nahezu hermetisch abschließt. Im Vergleich zu anderen Torkonstruktionen erfolgt die Torblattaufnahme in einer Spiralvorrichtung. EFAFLEX Tiefkühltore sind mit einer Heizung im Abschlussprofil, in der umlaufenden Profildichtung und im Torblatt ausgestattet, um die Berührungsflächen der Dichtungen zum Torblatt, zum Boden und zu den einzelnen Lamellen des Torblattes eisfrei zu halten. Mit einem U-Wert von 0,62 W/ m²K bei der Abmessung 4000 x 4500 mm bietet Efaflex ein besonders dichtes und gut iso-

liertes TK-Niedrigenergietor an. Die hervorragende Isolation des EFA-SST-TK-100 mit EFA-AFM wird unter anderem durch die Verwendung von 100 mm starken, thermisch getrennten und isolierten EFA-THERM-Lamellen erreicht. Die Lamellen sind einzeln an den Scharnierbändern befestigt. Kundendienst sorgt für störungsfreien Betrieb Neben den technischen Ansprüchen an die Tore hat die Dolceria Alba je nach Anwendung und Zutrittserlaubnis für die Mitarbeiter unterschiedliche Farben für den Torbehang gewählt. Störungen der Tore kann sich das Unternehmen absolut nicht leisten, denn es wäre entweder der Zugang zu einem Tiefkühllager versperrt oder Warmluft würde eindringen. Hier äußerte sich das Unternehmen sehr zufrieden über die schnelle und gewissenhafte Wartung durch den italienischen Partner von EFAFLEX – die Firma Becpor Chiusure.

Information: EFAFLEX, Tel.: +49 38293-434149, www.efaflex.com, Info@link-communications.de


29 firmenbericht company report

Robatech: Neuer Standort in Österreich Im Mai bezog die Robatech Austria GmbH ihr neu gebautes Firmengebäude in TheiSS. Die Service- und Verkaufsorganisation der Robatech-Gruppe betreut Kunden in Österreich, Ungarn und Slowenien im Bereich des industriellen Klebstoffauftrags.

D

er neue Standort bietet eine schnelle Anbindung an das Verkehrsnetz und erlaubt den Ausbau von Serviceleistungen wie Reparaturen, Ersatzteillieferungen, Tests und Produktvorstellungen. Mit der Übersiedelung der Robatech Austria GmbH von Senftenberg in das Industriegebiet in Theiß unterstreicht die Robatech-Gruppe ihren Wachstumskurs. Ganz im Zeichen von Green Gluing erhielt das neue Firmengebäude auf dem Dach eine Photovoltaikanlage. Kunden profitieren von großzügiger Infrastruktur Harald Laher, Geschäftsführer der Robatech Austria GmbH, hat auch nach dem Einzug in

die modernen Räumlichkeiten weitere Pläne: «Wir haben nun genug Platz, um unser Labor­ auszubauen. Damit können wir hier bestimmte Tests zum Klebstoffauftrag durchführen und ersparen unseren Kunden die weite Reise zum Hauptsitz nach Muri in der Schweiz.

Information: Robatech Austria GmbH, Im Wirtschaftspark 7, 3494 Theiß, Tel.: 02735/36901-0 www.robatech.com/de

Lachnit hebt und kippt Sie sind in der Handhabungs- und Fördertechnik ein fester Bestandteil von Produktionsprozessen: Hebe- und Kippmaschinen.

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er süddeutsche Hersteller EAP Lachnit bietet für das Handling in der Lebensmittelproduktion ein ganzes Sortiment von Hebe- und Kippgeräten aus Edelstahl an.

Die robuste Hebe- und Kippmaschine Typ 300 ist das Basismodell und bei zahlreichen Unternehmen

im Dauereinsatz. Sie wurde für Normbeschickungswagen konstruiert, kann aber auch für beliebige Behälter ausgerüstet werden. Sie verfügt über eine rundum geschlossene Edelstahl-Hubsäule; die Einfahrt-, Kipprichtung und -höhe sind beliebig einstellbar. EAP Lachnit bietet das Basismodell auch als reine Kippmaschine (Typ 302) oder als günstigere Variante (Typ 303) an, die trotz geringerer Leistungswerte für viele Einsatzzwecke geeignet sind.

Information: Tel.: + 49(0)7308/96 98-0 www.lachnit-foerdertechnik.de info@lachnit-foerdertechnik.de

volume 44 | 03. 2020  ERNÄHRUNG | Nutrition


termine __

18. 06. 2020

30. 06. 2020

02. 09. 2020

Wien/online

Virtuell/digital

Wien

Ernährungsmitbedingte Erkrankungen im FOKUS – ein Update www.oege.at

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29. 09.–01. 10. 2020 Montreal

SIAL Canada www.sialcanada.com/en

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Weltweit durchstarten. #schaffenwir 18. Österreichischer Exporttag www.wko.at

Informationsveranstaltung Herkunftskennzeichnung www.lva.at

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20. 10. 2020

18.–22. 10. 2020

Krisenmanagement

Paris

www.dielebensmittel.at

SIAL Paris 2020 (Gruppenausstellung möglich) www.sialparis.com

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Wien

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Unsere Leistung Ihre Sicherheit. Als österreichisches Kompetenzzentrum für Lebensmittelsicherheit und Betriebshygiene agieren wir seit 1998 erfolgreich auf dem europäischen Markt. Unsere Erfahrung auf betrieblicher Ebene und Know-how in den Bereichen Lebensmitteltechnologie, modernster Labordienstleistungen, Consulting und die Vernetzung mit externen Partnern schafft unsere breite Kompetenz. Als Teil der GBA Gruppe, einer der führenden deutschen Analyselaboratorien und Servicedienstleister in den Bereichen Lebensmittel,

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