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K LIMASCHUTZ IN DER L EBENSMITTELINDUSTRIE

Relevanz, Methodik und Ausblick

Klimawandel und Einfluss der Lebensmittelindustrie

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Unter den drängenden Themen wie Krieg, Energieversorgung oder Teuerung stellen der vom Menschen verursachte Treibhauseffekt und der damit verbundene Klimawandel derzeit die größte Herausforderung der Menschheit dar. Der letzte Sachstandsbericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) vom Frühjahr 2022 weist erneut auf weitreichende Veränderungen des Klimas und die damit einhergehenden globalen Auswirkungen hin. Diese umfassen eine weitere Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur und eine höhere Frequenz von Extremwetterereignissen sowie Veränderungen der wichtigsten Komponenten des globalen Klimasystems wie der Atmosphäre, Ozeane, Landmassen, der Biosphäre, der Kryosphäre und den damit verbundenen veränderten Kohlenstoff­, Energie­ und Wasserkreisläufen1 Allein der Landwirtschaft, ein wichtiger Zweig und Zulieferer für die Lebensmit­ telindustrie, wurde 2019 ein Anteil von 22 % an den globalen Treibhausgas­Emissionen (THG­Emissionen) zugeschrieben2 So verursacht die Produktion eines Kilos Rindfleisch rund 14 Kilo gramm CO 2 3 . Gleichzeitig ist die weltweite Lebensmittelproduktion selbst durch den Klimawandel gefährdet. Zahlen und Analysen für Mitteleuropa dazu gibt es bereits auf Basis des Dürrejahres 2018, für die bislang beispiellose Dürre im Sommer 2022 stehen die Analysen noch aus4 Abbildung 1 gibt einen Überblick über die stetig steigende Summe der globalen

Treibhausgas­Emissionen in Gigatonnen von 1990–2019.

Viele Regierungen ergreifen Schritte zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen durch nationale Politik und Gesetze, wie die Einführung von Emissionshandelsprogrammen, Kohlenstoff­ oder Energiesteuern sowie Vorschriften und Normen für Energieeffizienz und Emissionen.

Infolgedessen müssen Unternehmen in der Lage sein, ihre Treibhausgas­Emissionen und damit verbundene Risiken zu verstehen und zu managen, wenn sie langfristigen Erfolg in einem wettbewerbsorientierten Geschäftsumfeld gewährleisten, und auf künftige nationale oder regionale Klimapolitiken vorbereitet sein wollen.

Wenn Unternehmen ihr Treibhausgas­Inventar gut konzipieren und aufsetzen, kann dies mehreren Unternehmenszielen dienen, darunter:

• Management von THG ­ Risiken und Identifizierung von Reduktionsmöglichkeiten

• Öffentliche Berichterstattung und Teilnahme an freiwilligen THG­Programmen wie der Science Based Targets Initiative

• Teilnahme an verpflichtenden Berichtsprogrammen

• Teilnahme an THG­Märkten

• Anerkennung für frühzeitige freiwillige Maßnahmen.5

Aus diesen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen ist es wichtig, entsprechende Maßnahmen möglichst umfassend und zeitnah umzusetzen. Nur so ist eine sofortige globale Trendwende möglich und können die Ziele des Pariser Klimaabkommens zur Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5° C erreicht werden.1, 6

Derzeitige Konsumtrends im Lebensmittelsektor

Eine von ClimatePartner beauftragte internationale Umfrage des Marktforschungsinstituts Appinio unter knapp 10.000 Konsumentinnen und Konsumenten in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Italien, Frankreich, den Niederlanden, Schweden, Spanien, Großbritannien und den USA kommt zu dem klaren Ergebnis: Klimaschutz spielt beim täglichen Einkaufen weiterhin – trotz vielfältiger anderer Herausforderungen – eine große Rolle. Knapp 75 % der Befragten gaben an, dass er eine hohe Priorität hat. Bei der Frage, was die Verbraucher zum Wohle des Klimaschutzes bereit sind aufzugeben, zeigt sich die hohe Bedeutung von Klimaschutz in der Lebensmittelbranche: knapp 30% der Befragten sind bereit, auf den Konsum von Fleisch oder Fleischprodukten zu verzichten. Schwerer fällt es jedoch, auf Milchprodukte zu verzichten – hier sind es im internationalen Schnitt nur 18 %, die dazu bereit wären, in Österreich sogar nur 15 %. Geringere Bereitschaft gibt es nur noch in der Schweiz, während in Großbritannien und den USA mit 23 % deutlich mehr Menschen auf Milchprodukte verzichten könnten.

Die Zahlen zeigen, dass es für Lebensmittelhersteller von zentraler Bedeutung sein wird, hohes Klimaschutzbewusstsein einerseits und starke Bindung von Konsumentinnen und Konsumenten an konventionelle Produkte anderseits in Einklang zu bringen. Sie stehen vor der Herausforderung, für die dabei anfallenden Emissionen Verantwortung übernehmen zu müssen.

Gesamtheitlicher Klimaschutz …

… bedeutet: CO 2­Emissionen berechnen, reduzieren und ausgleichen sowie transparent kommunizieren. Ein Unternehmen muss sich mit den eigenen bzw. unternehmenseigenen Emissionen auseinandersetzen und dafür Verantwortung übernehmen. Relevante Emissionsquellen für die Reduktion sind zu identifizieren, geeignete Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen und der Fortschritt jährlich zu überprüfen. Aus diesem skizzierten Prozess lassen sich folgende vier Schritte ableiten.7

Carbon Footprint berechnen

Carbon Footprints oder CO2­Fußabdrücke können sowohl auf Unternehmensebene (Corporate Carbon Footprint – CCF) als auch auf Produktebene (Product Carbon Footprint – PCF) berechnet werden. Für die Berechnung maßgeblich sind die führenden Standards des Greenhouse Gas Protocol und die internationalen Normen der ISO 14000 Familie. Darüber hinaus existieren nationale Normen und branchenspezifische Standards. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die Emissionsquellen nach der Systematik des Greenhouse Gas Protocolls in Scope 1, 2 und 3. Während es sich bei Scope 1 um die direkten Emissionen handelt, also beispielsweise durch Verbrennung von Kraftstoffen im Unternehmen für Fuhrpark oder Wärmebereitstellung, bildet der Scope 2 die sogenannten indirekten Emissionen ab. Diese sind energiebezogene Emissionen, die an anderer Stelle entstanden sind und vom Unternehmen eingekauft wurden, also beispielsweise Strom, der von einem Energiedienstleister bezogen wird. Scope 3 ist die am breitesten gefächerte Gruppe und umfasst alle für die Unternehmenstätigkeit vor­ und nachgelagerten Emissionen. Dazu zählen beispielsweise die Emissionen aus der Lieferkette, die in der Lebensmittelindustrie sehr vielschichtig sein kann. Aber auch Emissionsquellen wie die Mobilität der Mitarbeitenden, Geschäftsreisen oder die Entsorgung von Abfällen werden zu dieser Gruppe gezählt. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die Scopes und deren zugeordneten Emissionsquellen.7 Neben dem bekanntesten Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) werden auch weitere Gase wie Methan (CH4), Lachgas (N2O), Schwefelhexafluorid (SF6), gasförmige Fluorkohlenwasserstoffe (HFC), Perfluorkohlenwasserstoffe (PFC) und Stickstofftrifluorid (NF3) als Treibhausgase kategorisiert8. Um eine Vergleichbarkeit aller Treibhausgase und Emissionsquellen zu ermöglichen, werden alle Rohstoffverbräuche und emissionsverur­ sachenden Aktivitäten über sogenannte Emissionsfaktoren in CO 2­Äquivalente (CO2e) umgerechnet. Methan, das vor allem in der Viehwirtschaft in hohen Mengen emittiert wird, weist beispielsweise einen Emissionsfaktor von rund 28 CO 2­Äquivalenten auf. Das bedeutet, ein 1 kg Methan hat dasselbe Treibhauspotenzial wie etwa 28 kg CO2 7 Nachdem die Daten geprüft und validiert wurden, erfolgt die anschließende Berechnung der CO 2 ­ Äquivalente auf Basis von wissenschaftlichen Umrechnungsfaktoren, den eingangs erwähnten Emissionsfaktoren.

Emissionen reduzieren

Um die Erderwärmung zu begrenzen, ist die Reduktion von CO 2 ­Emissionen entscheidend. Für Unternehmen, die sich im Klimaschutz engagieren wollen, ist es hilfreich, Ziele für die Einsparung von Emissionen zu formulieren und klare Maßnahmen dafür umzusetzen. Dafür wird auf Basis des zuvor berechneten Carbon Footprints ein Screening der größten Emissionstreiber durchgeführt, um dann geeignete Maßnahmen und deren Reduktionspotential zu identifizieren und nach ihrem finanziellen und zeitlichen Aufwand zu reihen. Auf Basis dieser Informationen kann anschließend ein Reduktionsplan bzw. eine Klimaschutzstrategie ausgearbeitet werden.

Manche Reduktionsmaßnahmen wie der Umstieg auf Ökostrom lassen sich kurzfristig umsetzen. Für die Erreichung von mittel­ und langfristigen Zielen sind meist umfänglichere Veränderungen wie Prozessoptimierungen oder Anlagenmodernisierungen nötig, um zum Beispiel Faktoren wie die Energieverbräuche zu optimieren. Auch ein schrittweiser Umstieg auf E­Mobilität im Firmenfuhrpark kann je nach Fuhrparkgröße erhebliche Einsparungen bringen. Eine weitere Möglichkeit ist die Einbeziehung der Lieferanten, um auf klimafreundlichere Alternativen bei Produktions ­ und Verpackungsmaterial oder Logistikdienstleistern umzusteigen, und eine Dekarbonisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette anzustoßen. Abbildung 3 stellt den Prozess zur schrittweisen Erreichung der Netto­Null Emissionen dar. Beginnend mit dem Basisjahr der ersten CCF­Berechnung lassen sich jährlich weitere Reduktionsmaßnahmen umsetzen und so eine Senkung der Brutto­Emissionen (in grau) herbeigeführen.

Die noch nicht vermeidbaren Emissionen können durch zertifizierte Klimaschutzprojekte ausgeglichen werden. Die verbleibenden unvermeidbaren Emissionen am Ende der Zeitachse in der Nähe des Zieljahres müssen über Projekte kompensiert werden, die über die Kompensation der CO2­Emissionen hinaus, auch CO 2 aus der Atmosphäre binden (CO2­Bindung­ und Speicherung).

Emissionen ausgleichen

Ein weiteres wichtiges Instrument, um die globale Erderwärmung zu begrenzen, ist der Ausgleich von unvermeidbaren CO 2 ­Emissionen durch zertifizierte Klimaschutzprojekte. Unternehmen, Produkte, Dienstleistungen und andere Aktivitäten können klimaneutral werden, wenn ihre CO 2­Emissionen berechnet, reduziert und durch die Unterstützung von Klimaschutzprojekten ausgeglichen wurden. Klimaschutzprojekte müssen dafür nach international anerkannten Standards zertifiziert sein.

Zum heutigen Stand der Technik ist es unmöglich, ohne Ausstoß von CO 2 ­Emissionen zu wirtschaften. Kein Unternehmen oder Produkt kann daher CO 2 ­emissionsfrei sein. Für eine ausgeglichene Bilanz zwischen verursachten und eingesparten Emissionen ist es deshalb notwendig, die unvermeidbaren CO 2 ­Emissionen durch Einsparungen außerhalb der Systemgrenzen auszugleichen.

Da die Konzentration von CO 2 in der Atmosphäre überall auf der Erde in etwa gleich ist, ist es für den Treibhauseffekt –und den Klimaschutz – unwesentlich, an welcher Stelle CO 2 entsteht und wo CO 2 vermieden wird. Der rechnerische Ausgleich von CO2­Emissionen ist möglich, und zwar unabhängig vom Ort der Entstehung und der Einsparung. Es ist zu unterstreichen, dass für die Erreichung des 1,5 °C­ Ziels der Ausgleich nicht vermeidbarer Emissionen unumgänglich ist7

Transparente Kommunikation

Transparente Kommunikation ist ein wesentlicher Bestandteil für Glaubwürdigkeit im Klimaschutz. Zentral dafür ist ein geeignetes Label, das zur Kennzeichnung von klimaneutralen Produkten, Dienstleistungen und Unternehmen verwendet wird. Über das Label sollten idealerweise die berechneten Emissionen und das unterstützte Klimaschutzprojekt klar nachvollziehbar und transparent einsehbar sein. Auch ist es wichtig, eine klare Definition von Klimaneutralität auszuweisen, da es nach heutigem Stand keine einheitlichen Vorgaben dafür gibt. Zur transparenten Kommunikation gehört auch, die zuvor definierten Ziele für die Vermeidung und Reduktion von CO 2 ­Emissionen zu nennen – sowie bereits umgesetzte Maßnahmen und erreichte Reduktionen. All diese Informationen können online, beispielsweise über eine zugeordnete Identifikationsnummer, eingesehen werden7.

Gängige Bilanzierungsstandards und Klimaschutz-Initiativen für Unternehmen

Greenhouse Gas Protocol (GHG Protocol) Der GHG Protocol Corporate Standard bietet Standards und Leitlinien für Unternehmen und andere Arten von Organisationen, die ein Treibhausgas­Emissionsinventar erstellen möchten. Er umfasst die Bilanzierung und die Berichterstattung über die sechs Treibhausgase. In erster Linie ist der Leitfaden aus der Perspektive eines Unternehmens geschrieben, das ein Treibhausgasinventar erstellt. Er gilt jedoch auch für andere Arten von Organisationen mit Tätigkeiten, die THG­Emissionen verursachen, z. B. Nichtregierungsorganisationen, Regierungsbehörden und Universitäten.

ISO 14064 & 14067

Beide Normen gehören zu der ISO 14000 Normenfamilie, die sich mit internationalen Standards für das Umweltmanagement beschäftigt. Die ISO 14064 legt Grundsätze und Anforderungen auf Organisationsebene für die Quantifizierung und Berichterstattung von Treibhausgasemissionen fest. Sie definiert darüber hinaus Anforderungen für die Gestaltung, Entwicklung, Verwal­ tung, Berichterstattung und Überprüfung des Treibhausgasinventars einer Organisation.

Der Fokus der ISO 14067 liegt auf Prinzipien, Anforderungen und Richtlinien für die Quantifizierung und Berichterstattung des CO 2 ­ Fußabdrucks von Produkten (PCF) in einer Weise, die mit den internationalen Standards zur Lebenszyklusanalyse (LCA) übereinstimmt.

Pas 2050

Ähnlich der ISO 14067 legt die PAS 2050 Anforderungen für die Bewertung der Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus von Waren und Dienstleistungen auf der Grundlage der wichtigsten Techniken und Prinzipien der Ökobilanzierung fest. Dieser Standard wurde für Organisationen, die die THG ­ Emissionen von Produkten während ihres gesamten Lebenszyklus bewerten, erstellt.

Science Based Targets Initiative SBTi

Die Science Based Targets Initiative SBTi definiert und fördert bewährte Verfahren zur Emissionsreduzierung und für das Setzen von Netto­Null­Zielen im Einklang mit aktuellen Daten aus der Klima­

Über ClimatePartner

climatePartner ist seit 2006 ein führender l ösungsanbieter im k limaschutz für u nternehmen und kombiniert individuelle beratung mit einer cloudbasierten s oftware, die auf dem m arkt einzigartig ist. klimaschutzprojekte laufen in verschiedenen Regionen und mit unterschiedlichen Technologien und s tandards.

www.climatepartner.com wissenschaft zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5° C. Die dabei angewendeten Methoden wurden im Rahmen einer Partnerschaft zwischen CDP, UN Global Compact, World Resources Institute (WRI) und World Wide Fund for Nature (WWF) entwickelt, die sich in der Science­Based Targets Initiative (SBTi) zusammengeschlossen haben, und stellen den derzeit führenden Standard im freiwilligen unternehmerischen Klimaschutz dar. Für viele Sektoren gibt es bereits klar definierte Anleitungen und Zielpfade, um die globalen Ziele erreichen zu können. Die neueste Anleitung für den landwirtschaftlichen Sektor (Forest, Land and Agriculture – FLAG) wurde kürzlich veröffentlicht. Sie definiert wissenschaftsbasierte Reduktionspfade für Unternehmen in der Produktion der verschiedenen Gütergruppen des Sektors sowie einen allgemeinen Sektor­Zielpfad für Unternehmen mit Produktion sehr heterogener Gütergruppen. Ende 2021 haben sich bereits über 2.250 Unternehmen aus 70 Ländern und 15 Industrien zu wissenschaftsbasierten Reduktionszielen mit der SBTi bekannt. Zu den bekanntesten Unternehmen aus dem Lebensmittelsektor im DACH ­ Raum, die bereits in der SBTi gelistet werden, zählen die Südzucker AG, die AGRANA Beteiligungs ­ AG und Chiquita Brands International Sàrl.

DI Benjamin Wolf, BSc Sustainability Consultant

ClimatePartner Austria GmbH, Wien

Literatur

[1] IPCC Report AR6 WG I

[2] IPCC Report AR6 WG III

[3] Verbraucherzentrale, https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/ gesund-ernaehren/klimaschutz-beim-essen-und-einkaufen-10442; 1.2.2023

[4] PWC, https://www.pwc.de/de/handel-und-konsumguter/die-nahrungsmittelindustrie-in-zeiten-des-klimawandels. html; 5.2.2023

[5] The Greenhouse Gas Protocol - A Corporate Accounting and Reporting Standard

[6] IOPScience: Quantifying the consensus on anthropogenic global warming in the scientific literature, https://iopscience.iop.org/ article/ 10.1088/1748-9326/8/2/024024; 3.2.2023

[7] ClimatePartner GmbH

[8] The Intergovernmental Panel on Climate Change, https://www.ipcc.ch/sr15/, 2018; 3.2.2023

[9] Sciencebasedtargets.org; 3.2.2023

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