Christophoribote 1/2021 (153)

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ters nach der Zustimmung beider Elterteile erzogen werden sollen. Die Lösung wurde in Bayern 1832 von Papst Gregor XVI. stark kritisiert. Daraufhin führte die preußische Regierung eine Kompromisslösung ein, deren Ideengeber Graf Ferdinand August von Spiegel zum Desenberg und Canstein, der Erzbischof zu Köln war. Er hat den Geistlichen in seiner Diözese befohlen, nur solche Ehen zu segnen, wo die Braut katholisch war und keine Kenntnis von der künftigen Erziehung ihres Nachwuchses in dem evangelischen Glauben besaß. Sein Nachfolger Clemens August Freiherr Droste zu Vischering untersagte laut der päpstlichen Anordnung die Eheschließung der Paare, wenn sie sich schriftlich nicht verpflichtet haben, ihren Nachwuchs in dem katholischen Glauben zu erziehen. Die preußische Regierung fand diese Einstellung staatsfeindlich und verhaftete sowohl C.A. Freiherr als auch den Erzbischof M. Dunin. Das Episkopat befand sich in einer ausweglosen Situation: Es wollte sich weder der päpstlichen Macht, noch dem preußischen Staatsapparat widersetzen. In der Breslauer Diözese wurde das Gesetz nicht rechtskräftig. Bei der Anerkennung der Ehen richtete man sich nach der Einstellung von F.A. Spiegel. Papst Gregor forderte entweder die Einführung des päpstlichen Gesetzes oder den Rücktritt des Breslauer Bischofs. Die Entscheidung des Papstes war nach der Auffassung von L. Siedlnicki ein Missbrauch an dem Gewissen der Eheleute, sie war gefährlich und moralisch schädlich und lieferte ein Druckmittel für das seelische Leben der Frischvermählten. Er setzte sich entschieden gegen die Erpressungsversuche des Papstes bei den Brautpaaren ein, denen mit Verbot der Eheschließung gedroht wurde. Als preußischer Bürger stand er auf der Seite des preußischen Staates, und vertrat die Einstellung, dass der gesetzlich-soziale Charakter der Eheschließung eine

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Staatssache sei wobei die Solidarität und Gleichberechtigung der Bürger berücksichtigt werden sollen. Der Klerus der Breslauer Diözese folgte seiner Auffassung und seine Standfestigkeit bescherte dem Bischof viel Ehre, Vertrauen und Respekt. Auf der anderen Seite fühlte sich Bischof L. Sedlicki dem ungleichen Kampf gegen den Kirchenstaat einfach nicht gewachsen. Er hat seinen persönlichen Ehrgeiz dem allgemeinen Wohl unterordnet. Nicht einmal die Perspektive der Amtsenthebung befürchtete er. Nach einem Jahr des inneren Kampfes legte er im Alter von 57 Jahren sein Amt nieder. Der Rücktritt in so jungem Alter ruft immer viele Kontroversen hervor König Friedrich Wilhelm III. riet ihm von seiner Entscheidung ab, er versprach sogar die in dem Streit um die Mischehen Verhafteten wieder freizulassen. Bf. L. Seldnicki wusste jedoch, dass er eine direkte Konfrontation mit dem Papst nicht standhält, daher traf er diese sicherlich nicht einfache Entscheidung. Sein Rücktritt erfreute wie vermutet den Papst zutiefst. Am 25. Dezember 1840 hat Bf. L. Sedlnicki seine Rücktrittserklärung kundgetan. Er teilte dort mit, dass er gegen das eigene Gewissen nicht handeln will, wozu er sich in der letzten Zeit durch die Römische Kurie gezwungen fühlte. Er versicherte sowohl dem Domkapitel als auch seinen Suffraganen, die ihm immer treu zur Seite standen, dass die Entscheidung ohne Druck von außen getroffen wurde und aus seiner inneren Überlegung und unter Beachtung seines Gewissen hervorging. Die Trennung von seiner Diözese erlebte L. Seldnicki sehr stark. Er nahm die ihm zustehende Entschädigung nicht an und stelle sonst keine Ansprüche. König Friedrich Wilhelm IV. hat ihn zu seinem Staatsrat einberufen. Den Winter verbrachte er gerne in Berlin den Sommer dagegen auf seinen Gütern in Schlesien. Er hatte noch viele Jahre bis zu einem ech-

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ten altersbedingten Ruhestand. In seiner Biografie beschreibt er sein hohes Alter nicht, deswegen wissen wir nichts über seinen damaligen Gemütszustand, als er sich entschlossen hatte zu Protestantismus zu konvertieren. In dem neuen Glauben soll er den Frieden und die Freiheit in Christus wiedergefunden haben. Es muss an diese Stelle betont werden, dass sein Rücktritt keineswegs dem Bruch mit der Kirche gleich zu stellen ist. Er ging weiterhin zur Kirche aber die nicht mehr vorhandene Möglichkeit an den Zeremonien aktiv teilzunehmen, schwächte sein Interesse an diesen Praktiken zunehmend. Mit der Veröffentlichung des Dogmas über das Unbefleckte Empfängnis Marias (Immaculata Conceptio Beatæ Virginis Mariæ) am 8. Dezember 1854 lief das Fass sprichwörtlich über. L. Siedlicki empfand das Dogma als Bruch mit der alten kirchlichen Tradition. Er ging um so lieber in die evangelischen Gottesdienste der Mährischen Brüder (Herrnhut). Am 12. April 1863 empfing er aus den Händen eines unbekannten Geistlichen das evangelische Abendmahl. Dieser Tag war für ihn zugleich der Tag seiner Konversion zum evangelischen Glauben. Der damals 75-jährige ehemalige Fürstbischof Leopold Graf Sedlicki, der einstige Bischof der Breslauer Diözese feiert die schlesische evangelische Abendmahls-Liturgie! 1862 gründete L. Sedlnicki eine Stiftung zur Förderung von 24 evangelischen Gymnasiasten, die Obhut in einem Internat (Konvikt Paulinum) in Berlin erhielten. 1869 setzte er seine Arbeit mit einer weiteren Stiftung fort, die den Konvikt Johanneum für angehende Theologen in Breslau unterhielt. L. Seldnicki starb am 25. März 1871 im Alter von 83 Jahren an einem Schlaganfall in der Anwesenheit des Hofpredigers Johannes Theodor Rudolf Kögel. Er wurde in Rankau beigesetzt. Die Konversion von L. Seldnicki erfolgte infolge einer schleichenden

Evolution seiner Weltanschauung, ohne Glaubenskrise, in einem reifen Alter als ein konsequenter Abschluss seines Werdeganges und das Erlangen seines Seelenfriedens. Franz Xaver Seppelt spricht dem Bischof L. Sedlicki in seiner Geschichte der Breslauer Diözese jegliche Begabung ab, was Seelsorge und Predigtkunst anbetrifft. Er fand ihn faul, labil und unentschlossen. Er wäre sicherlich einer anderen Meinung gewesen wenn L. Siedlicki die Entscheidung des Papstes angenommen und später nicht konvertiert hätte. Kein objektiver Historiker hätte L. Siedlicki als eine besondere Persönlichkeit oder einen energiegeladenen Verwalter gepriesen. Mit der Zeit hat sich jedoch herausgestellt, dass sein Ruf doch besser war als es manchen historischen Überlieferungen zu entnehmen ist. Bischof Leopold Sedlnicki war ein ehrlicher Mann mit einem unbeeinflussbaren Gewissen und großer Zivilcourage, gerecht und gerechtigkeitsliebend. Demut, Hingabe und die Bereitschaft den persönlichen Ehrgeiz dem allgemeinen Wohl unterzuordnen bildeten seine Stärken. Nächstenliebe und ein bescheidenes Leben waren ihm auch nicht fremd. Der Vergleich beider Konvertiten: des Kardinals Friedrich Landgrafen von Hessen-Darmstadt und des Grafen Leopold Odrowąż Sedlnicki zeigt einen kleinen aber interessanten Aspekt aus der Geschichte der Breslauer Diözese und der Stadt selbst. Der hessische Landgraf hinterließ eine künstlerisch geprägtes Epitaphium und prächtige Grabkapelle. Die Erinnerung an L. Sedlnicki fast 150 Jahre nach seinem Tod lebt in den Tempeln menschlicher Herzen. Im Sterbebett hat er alles der Jugend in Berlin und Breslau vermacht. Gedanken über seine würdige Grabstätte haben ihn dabei nicht beschäftigt. Übersetzung: Jolanta M. Waschke


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