DAS KLEINGEDRUCKTE
I
ch bin mir ziemlich sicher, dass wir heute mit dem Kleingedruckten ein vermutlich in hohem Maße unkalkulierbares Risiko eingehen. Dazu sei aber eine Vorbemerkung gestattet. Das Kleingedruckte, das Sie hier lesen, schreibt der Kolumnist (also ich) erstens weil es Spaß macht, zweitens weil man damit ein paar Cent verdienen kann (nun denken Sie ja nicht, dass man damit reich werden könnte!) und drittens, weil Sie zum Nachdenken angeregt werden sollen. Wer es jetzt geschafft hat, schon bis hierher zu lesen, ohne das Heft gleich wieder zuzuklappen, den habe ich allerdings in Bezug auf drittens schon so gut wie gekapert. Die logische Folge aus dem ersten Satz dieser Kolumne müsste nämlich jetzt bei Ihnen sein, darüber nachzusinnen, worin denn nun das unkalkulierbare Risiko bestehen würde. Ziemlich viel Blabla bis jetzt, oder? Aber es wird noch besser, versprochen … Ist Ihnen diesbezüglich schon aufgefallen, dass ich noch gar kein Thema benannt habe, dem sich diese Kolumne widmen wird? Ah, ja, ganz plötzlich ist es Ihnen nun auf einmal aufgefallen! Sollte es also wahr sein, dass Sie das so blitzartig bemerkt haben (da ich ein Kolumnist bin, der immer noch an das Gute im Menschen glaubt, billige ich Ihnen das wirklich ehrlichen Herzens zu), dann müssten Sie aber wirklich spätestens jetzt fragen, wo die Unkalkulierbarkeit des Risikos dieses Beitrags denn nun liegen mag. Beantworten wir die Frage mal in einer eher ungewöhnlichen Art und Weise, nämlich, indem wir uns vorerst um die tatsächliche Beantwortung drücken und uns Beispielen
zuwenden, über die sich aufzuregen wenigstens Sinn hätte. Wenn ich mich zum Beispiel über die möglichen Folgen vegetarischer Ernährungsweise auslassen würde, könnten sich wenigstens die eingefleischten Vegetarier (soll ich mir diesen Begriff schützen lassen?) ob meiner wissenschaftlichen Unkenntnis beschweren. Oder ich würde mich vehement für ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen aussprechen. Da hätte doch wenigstens die Freie-Fahrt-für-freie-Bürger-Fraktion einen echten Grund sich aufzuregen. Oder ich würde mich zu Quotenregelungen äußern. Sie wissen schon wovon ich rede. Klar, ich meine die Quoten, die dazu führen sollen, dass … Ach schau mal an, ohne dass ich den Satz zu Ende gebracht habe, wussten Sie doch sofort, was gemeint war, oder? Aber wie gesagt, all diese Themen haben wir in der vorliegenden Kolumne eben gerade nicht angesprochen. Also möchte ich fast schon gebetsmühlenartig die Frage wiederholen, worin denn nun tatsächlich das eher unkalkulierbare Risiko dieser Kolumne bestehen könnte? Verzeihung, es tut mir leid aber an der Stelle bin ich jetzt doch irgendwie geneigt, mich über Sie etwas zu wundern. Ich hätte Ihnen schon zugetraut, dass Sie als geübte und versierte Leserinnen und Leser des Kleingedruckten es eine ziemliche Frechheit finden, dass Sie hier über eine gesamte Druckseite damit abgespeist werden, im völligen thematischen Nebel zu stochern. Genau daran nämlich haben meine Bedenken bestanden. Kannst du es deinen Leserinnen und Lesern zumuten, eine ganze Seite lang nur zu labern? Nein, bitte sind Sie jetzt nicht sauer; weder auf mich, dass ich dieses Experiment mit Ihnen gemacht habe, noch auf sich selbst, dass Sie es nicht eher gemerkt haben. Da kommt mir in den Sinn, dass es ja durchaus ein Thema darstellt, eine ganze Seite lang sozusa-
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UNTERHALTUNG
GLOSSE
Was ist eigentlich unser heutiges Thema?
gen über Nichts zu schreiben. Wohl-T h e m a wollend und mich irgendLorem Ipsum wie selbst belobigend stelle ich fest, dass mir das schon mal ganz gut gelungen ist. Und mir kommt in den Sinn, dass ich ja in ganz prominenter Gesellschaft zu sein scheine. Sollten Sie wie ich einen Radiosender hören, in dem regelmäßig Politikerinnen und Politiker zu ganz konkreten Themen interviewt werden, dann können Sie erleben, wie es diesen rhetorisch ja ganz gewiss geschulten Menschen in geradezu bewundernswerter Art und Weise gelingt, die konkreten Fragen der Redakteure eben nicht zu beantworten aber doch eine ganze Menge zu sagen. Auf die mögliche Nachfrage des Reporters gibt es dann eine ebenso beliebige wie belanglose Antwort wie schon beim ersten Mal. Standardantworten sind: Das müsse man prüfen, oder man befinde sich in einem intensiven Abstimmungsprozess oder das habe die Vorgängerregierung vergeigt oder da bremse der Koalitionspartner oder das stehe auf der Agenda ganz oben, sei aber jetzt noch nicht dran oder, oder, oder … Bis zum nächsten »Kleingedruckten« also!
Ihr Stefan Tschök