Review Frühstückstalk Food vom 25. April 2019

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Frühstückstalk Food Radikale Offenheit: Eine ultimative Forderung des Marktes

Veranstaltung vom 25. April 2019 im «R11»


Ansätze und Impulse aus der Praxis von UTZ/Rainforest Alliance, Chocolats Camille Bloch SA und Foodcoin Group AG Alle in der Schweiz ansässigen Unternehmen sollen dafür sorgen, dass die international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards auch in den Produktionsländern eingehalten werden – das verlangt die sogenannte Konzernverantwortungsinitiative, über die bald abgestimmt wird. Neben den Anforderungen des Gesetzgebers stellen aber auch die Konsumenten selbst zusehends höhere Ansprüche an die Transparenz der Herstellungsbedingungen. Wie gehen Nahrungsmittelhersteller und -händler damit um? Ist Offenheit unverzichtbar? Ist sie überhaupt relevant oder nur ein Hype und PR-Vehikel? Und vor allem: Wie lässt sich Transparenz erreichen? Diese Fragestellungen wurden anlässlich des Frühstückstalks Ende April in den neuen Räumlichkeiten der Staufen.Inova AG, im «R11», erörtert und diskutiert.


Radikale Offenheit: Eine ultimative Forderung des Marktes



Radikale Offenheit: Eine ultimative Forderung des Marktes

In ihrem Artikel ÂŤDer Pizza CodeÂť hatten die Wissenschaftsjournalisten Marcus Rohwetter und Urs Willmann bereits 2013 am Beispiel einer Fertigpizza aufgezeigt, wie komplex die Forderungen nach Transparenz bei den Herstellungs- und Transportbedingungen sind.


UTZ/Rainforest Alliance: Mehr als nur ein Label


UTZ/Rainforest Alliance: Mehr als nur ein Label

Der Vortrag von Anita Aerni von UTZ/Rainforest Alliance zeigte den Weg zu grösserer Transparenz über Zertifizierungslabels auf. UTZ ist das weltweit grösste Zertifizierungsprogramm im Bereich Kaffee und Kakao. Seine Kernkompetenz liegt in der Überprüfung der Nachhaltigkeit auf Ebene der einzelnen Farm. Im Rahmen eines jährlichen Audits wird anhand eines Kriterienkataloges überprüft, ob die Anforderungen in Bezug auf sozial- und umweltverträgliche Produktion erfüllt werden, ökonomisch nachhaltig zu arbeiten oder nicht. Dies erlaubt Lebensmittelherstellern und der Industrie, Aussagen über verantwortungsbewusstes Sourcing zu machen, Einsicht in ihre Lieferketten zu erhalten und dadurch Reputations- und sonstige Risiken zu minimieren. Vor kurzem haben UTZ und Rainforest Alliance fusioniert. Auch letzteres ist ein Zertifizierungsprogramm auf Farmebene, mit höherem Bekanntheitswert, das sich jedoch zusätzlich auf Projektarbeit in Gemeinschaften auf Dorfebene konzentriert. Die Kombination der Effizienz von UTZ mit der Bekanntheit von Rainforest Alliance schafft echte Synergieeffekte. Für beide ist es eine Grundvoraussetzung zu wissen, was genau im Anbauland läuft. Dafür stehen heute 450 Mitarbeiter in 62 Produzentenländern zur Verfügung. Ihre Aufgabe besteht darin, die Farmer zu schulen und die Projektarbeit zu koordinieren und für die entsprechende Nachfrage zu sorgen.


UTZ/Rainforest Alliance: Mehr als nur ein Label

Die Prüfung der Produktionsbedingungen wird in Zukunft – dank neuen Technologien – laufend und teilweise automatisiert erfolgen. Die Daten fliessen auf elektronischen Bahnen von den Farmen und helfen so zum Beispiel, Risiken gezielt zu minimieren. Mit den Daten der Lieferkette wird auch ein kundenbasiertes Reporting ermöglicht. Audits finden auch in Zukunft statt, aber risikobasiert und so viel zielgerichteter und effizienter. Zusätzlich zu binären Kriterien (ja/nein) werden Verbesserungskriterien erfasst. Diese ermöglichen Fortschrittsmessung und erlauben Vergleiche. In Bezug auf das Existenzminimum heisst dies zum Beispiel, dass dies erst für die verschiedenen Weltgegenden errechnet werden muss (Rainforest Alliance und andere NGO/Stakeholder arbeiten daran). Dieses muss zu allererste bekannt sein, denn es liefert einen wichtigen Anhaltspunkt für gerechte Lohnhöhen. Viele Herausforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit können jedoch nicht auf Farmebene bewältigt werden. Dazu zählen etwa Kinderarbeit und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Solche Fragestellungen müssen auf regionaler und nationaler Ebene angegangen werden. Dafür ist es erforderlich, mit grossen Firmen und lokalen NGO und Regierungen zusammenzuarbeiten. Nestlé kommuniziert zum Beispiel öffentlich, wie viele arbeitende Kinder bei einer Überprüfung entdeckt wurden und für wie viele Lösungen gefunden wurden. Konsumenten (und Hersteller) können auch heute schon dank des EAN-Codes ermitteln, wo eine Ware herkommt und welchen Weg sie genommen hat. Auf der Website von Rainforest Alliance gibt es ein Tool dafür, dort sieht der Benutzer anhand der Bilder, von welchen Farmen der Kaffee stammt und erhält Informationen über die Farmen. In Zukunft und mit den neuen Technologien sollten den Konsumenten noch viel mehr interessante Daten zur Verfügung gestellt werden können.


UTZ/Rainforest Alliance: Mehr als nur ein Label


UTZ/Rainforest Alliance: Mehr als nur ein Label

Nach Rainforest Alliance Ansicht werden Nachhaltigkeitsentscheidungen auf Firmenebene getroffen. Nachhaltiger Einkauf ist heutzutage kein Differentiator, sondern eine License to Operate. Der Verbraucher ist zum einen mit der Komplexität der Prozesse überfordert, zum anderen aber auch nicht wirklich willig, für nachhaltige Erzeugnisse einen höheren Preis zu zahlen. Er hält die produzierenden Firmen für verantwortlich und will, dass diese nachhaltig beschaffen. Die Labels der Zertifizierungsprogramme erzeugen in ihm das Gefühl, Gutes zu tun, auch wenn er die Hintergründe oft nicht so genau kennt.



Chocolats Camille Bloch SA: Nachhaltigkeit muss Geschmack haben

Jessica Herschkowitz von Chocolats Camille Bloch SA präsentierte eine andere Möglichkeit, für Transparenz zu sorgen. Camille Bloch, Hersteller der Schokolade Ragusa und Torino, ist ein mittelständischer Familienbetrieb mit 200 Mitarbeitern und 90-jähriger Tradition. Immerhin ein Promille der weltweiten Haselnussproduktion wird im Unternehmen verarbeitet. Bei Camille Bloch gibt es keine Label, stattdessen werden die Kakaobohnen bis zum Dorf der Erzeugung zurückverfolgt. Diese Rückverfolgbarkeit hat einen Aufschlag von etwa zehn Prozent zur Folge – ein Mehrpreis, der in Kauf genommen werden kann. Im Mittelpunkt der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens liegen die gelebten Werte. Dem Patron Daniel Bloch ist durchaus bewusst, dass der Konsument nicht bereit ist, wegen eines Labels mehr zu zahlen. Die Mehrheit der Konsumenten ist sehr preisbewusst, und zwar unabhängig von der tatsächlichen Einkommenssituation. Ein Grossteil der Kunden achtet wesentlich mehr auf Sonderangebote und ist bereit, dafür auch die Marke zu wechseln. Die sogenannten «Traditionalisten», die ihrer Marke treu bleiben, sind in der Minderheit. Und schliesslich gibt es einen kleinen Anteil «Sinnsuchender», die sich über Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung, Gesundheit und lokale Produktion Gedanken machen. Dieser Anteil wächst jedoch spürbar.


Chocolats Camille Bloch SA: Nachhaltigkeit muss Geschmack haben


Chocolats Camille Bloch SA: Nachhaltigkeit muss Geschmack haben

Fragen von Kundenseite ans Unternehmen betreffen in erster Linie das Mass der Verpackung. Ein bestimmtes Minimum darf jedoch aus Hygiene- und Gesundheitsgründen nicht unterschritten werden. Die zweithäufigste Frage betrifft die Verwendung von Palmöl (was verneint werden kann). Erst an dritter Stelle steht die Frage nach der Herkunft der Kakaobohnen – gestellt wird sie fast ausschliesslich von Schülern.

Jessica Herschkowitz betont, dass es für komplizierte Verfahren keine einfachen Lösungen geben könne. Entscheidend sind die im Unternehmen gelebten Wertvorstellungen, die Aufmerksamkeit für Details in der Rohstofferzeugungs- und Lieferkette, eine hohe Glaubwürdigkeit und aktives und ehrliches kommunizieren. Einfacher ist es, die Produktionsbedingungen in der Schweiz nachhaltig zu gestalten. Camille Bloch betreibt beispielsweise eine Holzschnitzelheizung, nutzt Ökostrom und verwendet wiederverwertbare Verpackungen. Die Quintessenz des Vortrags: Nachhaltigkeit wird zwar erwartet und muss sein – aber der Geschmack ist unverzichtbar!



Foodcoin Group AG: Blockchain für Food Produzenten und Distributoren

Gregory Arzumanian, Gründer der Foodcoin Group AG, stellte einen dritten Weg zur Optimierung der Transparenz in Lieferketten vor. Er hat ein «Foodcoin-Ökosystem» geschaffen, das sich der BlockchainTechnologie bedient und dafür sorgt, dass die Produzenten unabhängig von den grossen Distributoren werden. Mit Hilfe eines Portfolios technologischer Lösungen, das sich jeder Hersteller individuell zusammenstellen kann, erhalten die Produzenten einen Überblick über die regulatorischen Anforderungen und relevanten Ansprechpartner. Sie geben die produktbezogenen Daten selbst in ein Onlinesystem ein und können diese nicht mehr nachträglich verändern. Jedes Mitglied der Lieferkette bekommt so einen umfassenden Einblick. Auf diese Weise wird Transparenz über die Produktionsbedingungen und den Verarbeitungsprozess herbeigeführt. Über ein auf dem Produktetikett aufgedrucktes QR-Label können letztlich auch die Verbraucher die Lieferkette online grafisch abgebildet sehen. Der wichtigste Effekt dieser Lösung ist wohl die Reduktion der Transaktions- und Verwaltungskosten. Gleichzeitig entsteht Transparenz für den Endverbraucher, der sich vom Wert eines bestimmten Produkts überzeugen kann. Bis heute erfolgt die Vermittlung der emotionalen Werte eines Produkts fast ausschliesslich über das Marketing und ist entsprechend kostspielig. In Zukunft kann – dank maximaler Transparenz über die Herstellungsbedingungen – das Produkt für sich selbst sprechen. Der BlockchainTechnologie fällt dabei die Rolle eines Notars zu, jedoch auf der Basis einer technologischen Lösung. Dies ist eine konsequente Umsetzung der Digitalisierung in der Nahrungsmittelindustrie, der umsatzstärksten Branche der Welt. Entsprechend gross ist das Interesse an diesem innovativen Ansatz.


Foodcoin Group AG: Blockchain fĂźr Food Produzenten und Distributoren


Radikale Offenheit: Eine ultimative Forderung des Marktes

Bei der abschliessenden Paneldiskussion kam noch einmal die Konzernverantwortungsinitiative zur Sprache. In der Beurteilung der Initiative unterschieden die Referenten zwischen ihrer Sicht als Verbraucher und jener als Vertreter der Industrie. Natürlich ist es in jeder Hinsicht wünschenswert, zu wissen, ob ein Produkt durch Kinderarbeit erzeugt wurde oder nicht. Für Unternehmen ziehen erhöhte regulatorische Anforderungen jedoch unweigerlich auch höhere Kosten nach sich. Die Verbraucher akzeptieren höhere Preise aber nur, wenn sie wissen, dass wirklich die Farmer davon profitieren. In den meisten Fällen dürfte dies schwer nachzuweisen sein. Letztlich ist daher fraglich, ob die Initiative wirklich einen spürbaren Effekt haben wird. Es liegt in der Grundnatur des Menschen, günstigen Produkten den Vorzug zu geben. Das Ziel sollte also sein, die Lieferketten so einfach und direkt wie möglich zu gestalten. Die verbesserte Transparenz von Produktion und Lieferung wird Verbrauchern in Zukunft zusätzliche Auswahlmöglichkeiten bieten. Dann wird sich zeigen, ob Nachhaltigkeit nur ein zusätzlicher Differenzierungsfaktor ist – oder unverzichtbar wird.



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