Selected Paintings and Drawings VIII

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Nicolaas Teeuwisse · Ausgewählte Gemälde und Handzeichnungen · Selected Paintings and Drawings VIII

Nicolaas Teeuwisse

Nicolaas Teeuwisse OHG · Erdener Str. 5a · 14193 Berlin

Ausgewählte Gemälde und Handzeichnungen Selected Paintings and Drawings VIII



2009 Ausgewählte Gemälde und Handzeichnungen Selected Paintings and Drawings VIII

Nicolaas Teeuwisse OHG · Erdener Str. 5a · D-14193 Berlin-Grunewald Telephone: +49 30 893 80 29 19, +49 30 890 48 791 · Telefax: +49 30 891 80 25 Email: n.teeuwisse@t–online.de


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„Alles Zeichnen ist nützlich und Alles Zeichnen auch.“ Adolph von Menzel

Der vorliegende Katalog enthält einundzwanzig Beispiele europäischer Malerei und Zeichenkunst. Chronologisch am Anfang dieser Auswahl steht ein eindrucksvoller, in den 1560er Jahren entstandener Studienkopf des großen flämischen Manieristen Frans Floris, der in der Lebendigkeit seiner Charakterisierung und greifbaren Körperlichkeit ein neues, von der Renaissance geprägtes Menschenbild bekundet. Überhaupt spielt das menschliche Antlitz in diesem Katalog eine bedeutende Rolle. Die Vorliebe des Autors für die Bildniskunst mag hierbei federführend gewesen sein. So ist beispielsweise Abraham Bloemaert mit einem frühen, mit manieristischer Verve gezeichneten Männerkopf vertreten, zwischen 1585–95 entstanden und somit ein bedeutendes künstlerisches Zeugnis der Frühzeit dieses so ungemein produktiven Zeichners. Mit zwei delikaten Studienblättern des Joseph Benoît Suvée überbrücken wir die Jahrhunderte und befinden uns in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Die Kopfstudien junger Mädchen verzaubern durch ihre anmutige mise en page und durch die klassizistische Verfeinerung, mit der der Künstler die unterschiedliche Mimik und die kunst vollen Frisuren dieser nymphenhaften Wesen wiedergegeben hat. Auf einsamer künstlerischer Höhe steht dagegen Ingres’ Bildnis der Lady Montagu, eine raffinierte Symbiose von Radierung und Zeichnung, welche die Vorzüge von Ingres’ Bildniskunst auf eindrucksvolle Weise zur Schau stellt. Linearer Purismus und Noblesse der Auffassung verbinden sich zu einem Kunstwerk von zeitloser Schönheit. Ingres ist ein Meister der Ökonomie. Jeder einzelne Strich sitzt, ist funktionell und entspricht einer inneren Logik innerhalb der künstlerischen Gesamtkonzeption. Obwohl das Bildnis der jung verstorbenen Frau mit dem schönen, ebenmäßigen Antlitz im Vergleich zu anderen Porträtzeichnungen des Künstlers eine unverkennbare Tendenz zur Idealisierung aufweist, besitzt die Darstellung eine fast unheimliche Präsenz und übt eine zwingende Faszination aus, die in der unterschwelligen Todessymbolik ihren Ursprung findet. Und dann schließlich Menzel, die „kleine Exzellenz“, wie seine Zeitgenossen ihn ehrfurchtsvoll nannten; von zwerghafter Gestalt, aber unvergleichlich groß und einzigartig in seiner zeichnerischen Erschließung einer universellen, grenzenlosen Wirklichkeit. Es gab kein Sujet, wie scheinbar unbedeutend und trivial auch,

das Menzel nicht zeichnungswürdig erschien. „Sich aus Allem eine künstlerische Aufgabe machen“, lautete sein persönliches Credo, und es dürfte nur wenige Künstler geben, die derart kompromißlos und mit solch unerbittlicher Strenge im Umgang mit sich selbst für ihre Kunst gelebt haben. Der Lebensweg dieses grimmigen, wunderlichen Mannes nötigt größten Respekt ab. Sein lebenslanges Ringen um künstlerische Vollendung um den Preis existenzieller Einsamkeit! Menzels Realismus und die empirische Nüchternheit, mit der sein forschendes, unbestechliches Auge die Welt erkundete, sind Ausdruck seiner leidenschaftlichen Suche nach Wahrhaftigkeit und seines Bestrebens, Mensch, Natur und Dingwelt ein Eigenleben einzuhauchen, das weit über die äußere Erscheinung hinausgeht und das Allgemeingültige offenbart. Erstaunlich ist die Souveränität des technischen Könnens. Mit traumwandlerischer Sicherheit folgt die Hand den Wahrnehmungen des schauenden, wissenden Auges und setzt das Gesehene in Bruchteilen von Sekunden meisterhaft in Linien, Schattierungen und Schraffuren um. Es herrscht absolute Synchronie zwischen Sehen und Tun. Menzel ist erstaunlich modern, ja zeitlos in seiner Wiedergabe scheinbar wahllos und zufällig festgehaltener Alltagsgeschehnisse, in seinen oft extremen Verkürzungen und überraschenden Bildausschnitten. Wie distanziert und nüchtern seine Arbeitsweise auch manchmal erscheinen mag, Menzels zeichnerische Brillanz verkommt nie zur unterkühlten, seelenlosen Virtuosität. Die in diesem Katalog enthaltene Porträtstudie, gleichermaßen grandios wie anrührend zugleich, zeugt von der Demut und der feinfühligen Diskretion, mit denen der Künstler seine Mitmenschen beobachtete. Menzels Auge ist analytisch und scharf wie ein Skalpell und gleichzeitig von tiefstem menschlichen Mitgefühl erfüllt. Gerade hierin liegt die Essenz seines Genies. Mein Dank gilt folgenden Personen, die mir mit wichtigen Anregungen und Informationen behilflich gewesen sind: Marina Aarts, Peter Fuhring, Ursula Härting, Ger Luijten und Carl Van de Velde. Ruth Baljöhr, Sandra Espig und Robert Oberdorfer sei für ihre unentbehrliche Hilfe bei der Redaktion des Kataloges gedankt. Die englische Übersetzung wurde von Robert Bryce besorgt. Nicolaas Teeuwisse

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“All drawing is useful, and so is drawing everything.” Adolph von Menzel

The present catalogue contains twenty-one examples of European painting and draughtsmanship. The chronological starting point of this selection is an impressive head study done in the 1560s by the great Flemish Mannerist Frans Floris, who brings a liveliness and physical immediacy to his characterization that heralds a new, Renaissance-inspired vision of man. The human face in general plays an important role in this catalogue, which may have something to do with the author’s predilection for portraiture. Abraham Bloemaert, for example, is represented by an early head study drawn with typical Mannerist verve some time between 1585 and 1595, making it a significant artistic testimonial to the early period of this extraordinarily productive draughtsman. Two delicate study sheets by Joseph Benoît Suvée bridge the centuries, taking us forward to the latter part of the 18th century. The portrayals of young girls are enchanting for their pleasant mise-en-page and the Classicist refinement with which the artist has rendered the differing facial expressions and artfully arranged coiffures of these nymph-like creatures. An unrivaled level of artistic quality is presented by Ingres’ Portrait of Lady Montagu, an ingenious symbiosis of etching and drawing which impressively illustrates the strengths of Ingres’ portraiture. Linear purism and nobility of conception fuse together to create an artwork of timeless beauty. Ingres is a master of economy. Each single stroke is charged with energy, functional and guided by an inner logic within the overall artistic conception. Although the present portrayal of a prematurely deceased young woman with beautiful regular features shows an unmistakable tendency to idealization as compared to other portrait drawings by the artist, it does have an almost uncanny presence and exerts a compelling fascination by virtue of its subliminal symbolism of death. And finally Menzel, “His Little Excellency”, as his contemporaries respectfully referred to him – a man of diminutive stature, but incomparably great and unique in his ability to capture a universal, boundless reality on paper. There was no subject, however insignificant and trivial it might have seemed, that Menzel

did not consider worth drawing. “Turn everything into an artistic task” was his personal credo, and few artists can have lived for their art in such an uncompromising way while making such relentless demands on themselves. The career of this fiercely eccentric man commands the utmost respect as a life-long struggle for artistic perfection at the cost of existential loneliness. Menzel’s realism and the empirical detachment with which his searching, incorruptible eye explored the world are an expression of his passionate search for truth and his endeavour to endow man, nature and the world of things with a life of their own that goes far beyond external appearances and confronts us with universal truths. His mastery of technical skills is amazing. Demonstrating somnambulistic sureness his hand follows the perceptions of his seeing, knowing eye, brilliantly translating what it has witnessed into lines, shadings and cross-hatchings within a fraction of a second. There is absolute synchronicity between visual perception and manual action. Menzel is astonishingly modern, not to say timeless, in his apparently indiscriminate and random rendering of everyday events, in his often extreme foreshortenings and surprising perspectives. However aloof and unsentimental his modus operandi may sometimes appear, Menzel’s graphic brilliance never degenerates into cold, soulless virtuosity. The portrait study contained in this catalogue, as grandiose as it is touching, testifies to the humility and tactful discretion with which the artist observed his fellow human-beings. Menzel’s eye may be analytical and as sharp as a scalpel, but it is also full of profound human compassion. Therein lies the essence of his genius. I owe special thanks to following persons, who have kindly provided me with invaluable information and suggestions: Marina Aarts, Peter Fuhring, Ursula Härting, Ger Luijten and Carl Van de Velde. I am extremely grateful to my colleagues, Ruth Baljöhr, Sandra Espig and Robert Oberdorfer, for their indispensable assistance in the editing of this catalogue. Robert Bryce supplied the English translation. Nicolaas Teeuwisse

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1. abraham bloemaert

abraham bloemaert

(um 1565 Gorinchem – 1651 Utrecht)

(c. 1565 Gorinchem – 1651 Utrecht)

Studienkopf einen alten Mannes, den Blick nach unten gerichtet. Rötel über einer leichten Vorzeichnung in schwarzer Kreide, weiß gehöht, auf bräunlichem Papier. 25,6 x 17,5 cm. Mit der Nummer „39“ in der rechten oberen Ecke. Um 1595–1605. Bolten 809.

Head of an Old Man Looking Down. Red chalk over a light preliminary drawing in black chalk, white heightening, on brownish paper. 25.6 x 17.5 cm. With the number “39” in the top right-hand corner. Circa 1595– 1605. Bolten 809.

Abraham Bloemaert, der Begründer der Utrechter Malerschule, hat dank seines langen Lebens ein erstaunlich großes Œuvre hinterlassen, in dem die unterschiedlichsten künstlerischen Strömungen seiner Zeit zum Tragen kommen. Er übte darüberhinaus eine sehr einflußreiche Lehrtätigkeit aus, welche die Entwicklung der niederländischen Malerei während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wesentlich mitbestimmt hat. Zu seinen Schülern zählten so unterschiedliche Begabungen, wie die Utrechter Caravaggisten Hendrik Terbrugghen und Gerard van Honthorst, aber auch Repräsentanten der späteren italianisierenden Landschaftsmalerei wie Cornelis van Poelenburgh und Jan und Andries Both. Nicht weniger umfangreich ist das zeichnerische Œuvre des Künstlers. Bloemaert arbeitete intensiv nach der Natur und fertigte unzählige Figuren- und Kompositionsstudien an, die nicht nur als Vorbereitung für Gemälde gedacht waren, sondern in Verbindung mit seiner Tätigkeit als Vorsteher eines blühenden Ateliers vor allem auch didaktischen Zwecken dienten.

Thanks to his longevity Abraham Bloemaert, the founder of the Utrecht school of painting, left an astonishingly extensive œuvre, reflecting many of the artistic currents of his time. He was also very influential as a teacher and played a major part in the development of Dutch painting during the first half of the 17th century. His pupils included such varied talents as the Utrecht Caravaggists Hendrik Terbrugghen and Gerard van Honthorst, as well as representatives of the later Italianate style of landscape painting, such as Cornelis van Poelenburgh and Jan and Andries Both. The artist’s graphic œuvre is no less extensive. Bloemaert worked intensively from nature and produced countless figural and compositional studies, which were not only intended as preparations for paintings, but also served didactic purposes in connection with his activity as head of a flourishing studio.

Bei dem vorliegenden Studienkopf eines alten Mannes handelt es sich um eine überaus qualitätvolle und relativ frühe Arbeit des Künstlers. Das in einem kräftigen, schwungvollen Duktus behandelte Blatt dürfte zwischen 1595 und 1605 entstanden sein. Mit großer zeichnerischer Treffsicherheit hat Bloemaert die plastischen Volumina des markanten Greisenkopfes charakterisiert; die souverän eingesetzte Weißhöhung schafft effektvolle Glanzlichter auf Stirn, Nase und Bart des Mannes, wodurch das Bildnis noch an Lebendigkeit gewinnt. In stilistischer Hinsicht steht unsere Zeichnung mehreren Blättern des sogenannten Giroux-Albums sehr nahe (Bolten 1093–1136). Es betrifft eine lose Sammlung von Figurenstudien aus unterschiedlichen Schaffensphasen des Künstlers, die wohl als Anleitung für Bloemaerts Schüler konzipiert waren. Die Numerierung auf unserem Blatt läßt auf die Zugehörigkeit zu einem vergleichbaren Sammelband schließen. Bloemaert hat das didaktische Projekt eines künstlerischen Anschauungswerkes Zeit seines Lebens verfolgt. Die endgültige Realisierung dieses Vorhabens ließ lange auf sich warten und fand erst kurz vor Bloemaerts Tode statt. Um 1650 veröffentlichte sein jüngster Sohn Frederik Bloemaert das Konstrijk Tekenboek, ein künstlerisches Lehrbuch, das eine Auswahl von hundertzwanzig Kupferstichen nach Zeichnungen des Vaters enthielt und in separaten Lieferungen herausgegeben wurde. Das Prestige dieses didaktischen Werkes war ungemein groß und reichte bis weit in das 18. Jahrhundert, als die Amsterdamer Verleger Reinier und Josua Ottens 1740 eine zweite Edition besorgten. 6

Executed in a strong, vigorous style this Head Study of an Old Man is an extremely fine and relatively early work that was probably done between 1595 and 1605. Bloemaert has characterized the volumes and textures of this distinctive elderly male head with great graphic accuracy, while the masterly use of white heightening creates effective highlights on the man’s brow, nose and beard, adding life to the portrait. In stylistic terms the present sheet is very close to several drawings of the so-called Giroux Album (Bolten 1093–1136), a loose collection of figure studies dating from various creative phases, which were probably intended as a guide for Bloemaert’s students. The numbering on this sheet suggests it formed part of a similar compendium. Throughout his life Bloemaert cherished the notion of a didactic project in the form of a manual for artists. This project took a long time to realise and was not completed until shortly before Bloemaert’s death. About 1650 his youngest son, Frederik Bloemaert, published the Konstrijk Tekenboek, a model book containing a selection of 120 engravings after drawings by his father which appeared in separate instalments. This didactic work was held in high esteem well into the 18th century, a second edition being produced in 1740 by the Amsterdam publishers Reinier and Josua Ottens.


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2.

frans floris (1519/20–1570, Antwerpen)

Studienkopf eines Mannes mit rotem Barett. Öl auf Holz. 39,2 x 32,2 cm. Um 1562–65. Studienköpfe spielen eine eminente Rolle im malerischen Schaffen des Frans Floris. Als Bildträger bevorzugte der Künstler Tafeln aus Eiche, und die Mehrzahl der Studien besitzt eine identische Größe (46 x 33 cm), wenn auch – wie im vorliegenden Fall – Abweichungen von dieser Regel vorkommen. Die meisten dieser Werke sind im Zeitraum zwischen ca 1553 und ca 1565 angefertigt worden. Wie Carl Van de Velde in seiner maßgeblichen Monographie zu Floris anschaulich darlegt, handelt es sich nicht um Charakterköpfe im allgemeinen Sinne, sondern vielmehr um Vorstudien für Gemälde des Künstlers. Die jeweils unterschiedliche Kopfhaltung und der wechselnde Gesichtsausdruck stehen in einem engen symbiotischen Zusammenhang mit der Rolle, die der Dargestellte innerhalb der Komposition spielt. Es handelt sich nicht um Studien nach dem lebenden Modell, sondern um imaginäre Porträts, die der Vorstellungskraft des Künstlers entsprungen sind. Die lebensgroßen Ölstudien ermöglichten Floris, die Verteilung von Licht und Schatten und die plastischen Volumina der Gesichter, sowie ihre individuelle Expressivität genauestens zu erforschen. Sie erwiesen sich somit als eine wichtige Hilfe bei der endgültigen Ausführung eines bestimmten Gemäldes (siehe Carl Van de Velde, Frans Floris (1519/20–1570). Leven en Werken, Brüssel 1975, Bd. I, S. 65ff). Unser Studienkopf eines Mannes mit rotem Barett zeigt enge stilistische Analogien mit zahlreichen anderen dieser Ölstudien (s. Abb. S. 10 und 11), insbesondere mit dem Brustbildnis eines Mannes, das in der Vergangenheit irrtümlich für ein Porträt Bramantes gehalten wurde (Van de Velde S 141, Abb. 73, Verbleibort unbekannt). Sehr ähnlich sind die schwere, fleischige Gesichtsform und die plastische Betonung von einzelnen Details der Anatomie wie dem prononcierten Backenknochen, dem energisch geschlossenen Mund, der kräftigen, leicht gebogenen Nase oder der Position des Ohres, das von lockigen Haaren umspielt ist. Ganz charakteristisch für Floris ist die leicht schematisierende Wiedergabe der Ohrmuschel, wo die Ohrleiste (Helix) zum Innenohr hin in einer stark betonten Spitze endet (siehe beispielsweise auch Van de Velde S 152, Abb. 76). Auch

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die Kostümierung der dargestellten Männer weist treffliche Analogien auf: Beide sind in antikisierende Kleidung gehüllt und tragen ein Renaissance-Barett. Mit großer Wahrscheinlichkeit entstand der sogenannte Bramante als Vorstudie für das verlorengegangene Retabel des Hl. Lukas, das sich ehemals in der St.-Bavo-Kathedrale in Gent befand und durch Van de Velde aus stilkritischen Gründen um 1562–63 datiert wird. Es erscheint als plausibel, daß auch unser Studienkopf in diesem Kontext betrachtet werden sollte. Auf jeden Fall spricht die souveräne, freie Behandlung für eine Datierung um 1562–65. Floris verfügt über einen technisch hochentwickelten Malstil, und auch die Qualität der verwendeten Pigmente zeugt von seiner handwerklichen Meisterschaft. Das Bildnis ist über einem hellbraunen Malgrund angelegt, der im Weiß der Augen und in den lockigen Haaren des Mannes effektvoll durchscheint. Mit einer transparenten Lasurtechnik ist das Inkarnat sehr abwechslungsreich und lebendig wiedergegeben. Der markante Kopf atmet gleichsam und strahlt pulsierendes Leben aus. Mit einer feinen Linie aus hellem Rot sind das untere Augenlid und die Unterlippe akzentuiert. Ein wärmeres, reich moduliertes Rot wurde für die stärker durchbluteten Partien des Gesichtes wie Ohr und Nase verwendet, während Kinn und Jochbein einen gräulichen Schimmer aufweisen, der den Bartwuchs überzeugend suggeriert. Der warme Farbklang vom Zinnoberrot des Baretts verbindet sich harmonisch mit dem Ockerton von Rock und Mantel. Meisterlich hat Floris eine im Licht aufblitzende Schmucknaht an der Krempe des Baretts wiedergegeben und mit verdünntem Weiß einzelne weitere Lichtpunkte am Halsausschnitt und auf der linken Schulter gesetzt. Von Floris ist der Weg zu Rubens nicht weit. Die Lebendigkeit des Ausdrucks, die Plastizität der Formbehandlung und die Bravura der Maltechnik lassen dieses Malergenie vorausahnen. Die Darstellung ist auf eine hochwertige Tafel aus Eichenkernholz gemalt, die ihr ursprüngliches Format besitzt und nicht nachträglich verkleinert wurde. Der Bildträger ist verso nach drei Seiten geringfügig abgeschrägt, die linke Seite zeigt die originale Schnittkante, auf der Spuren von Imprimatura und Pigmenten noch sichtbar sind. Die Autorschaft Floris’ wurde von Carl Van de Velde bestätigt.


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2.

frans floris (1519/20–1570, Antwerp)

Study of a Man’s Head with Red Beret. Oil on panel. 39.2 x 32.2 cm. Circa 1562–65. Head studies play an important role in the painted œuvre of Frans Floris. The artist favoured oak panels as a picture carrier and most of the studies are of identical size (46 x 33 cm), even if – as in the present case – there are occasional departures from this rule. The majority of these paintings and sketches was done in the period between c. 1553 and c. 1565. As Carl Van de Velde clearly demonstrates in his still authoritative monograph on Floris, these works are not character heads in a general sense, but were intended as preliminary studies for paintings the artist was planning. The varying poses of the heads and the changes in facial expression bear a close symbiotic relation to the role to be played by the subject in the final composition. These are not studies made from a living model, but fantasy portraits originating in the artist’s imagination. The life-size oil studies enabled Floris to investigate closely the distribution of light and shade and the plastic volumes of the faces, as well as their individual expressiveness, thus proving an important aid to the execution of the final painting (see Carl Van de Velde, Frans Floris (1519/20– 1570). Leven en Werken, Brussels 1975, Vol. I, p. 65ff).

Our Study of a Man’s Head with Red Beret shows close stylistic analogies with a large number of these oil studies, especially the Half-length Portrait of a Man, which in the past was erroneously taken for a portrait of Bramante (Van de Velde S 141, plate 73, whereabouts unknown). Strong similarities include the heavy, fleshy shape of the face and the elaboration of individual anatomical details, such as the jutting cheekbones, the firmly closed mouth, the prominent, slightly Roman nose, and the position of the ear, nestling amid curly hair. A highly characteristic touch is the somewhat schematic rendering of the auricle, where the helix to the inner ear ends in a strongly emphasized point (see also for example Van de Velde, S 152, plate 76). The costumes of the men depicted also show clear analogies: both are clad in classical-style garments and wear Renaissance berets. It is highly likely that the so-called Bramante was conceived as a preliminary study for the lost Retable of St. Luke, which used to be in St. Bavo’s Cathedral, Ghent, and is dated circa 1562–63 by Van de Velde on stylistic grounds. It seems plausible that our head study should also be seen in this context. In any case the free, effortless treatment suggests a date around 1562–65. Floris has a technically sophisticated painting style, and the quality of

Frans Floris. Head of a Man, the so-called Emperor Vitellius. Oil on panel. 45 x 35 cm. Van de Velde S 100. Present location unknown. 10


Frans Floris. Bust Portrait of a Man, the so-called Bramante. Oil on panel. 45.5 x 32 cm. Van de Velde S 141. Present location unknown.

the pigments used also shows that he was a master of his craft. The portrait has been painted over a light brown ground, which effectively shines through in the whites of the eyes and the man’s curly hair. A transparent glaze technique is employed to render the skin tones in a varied and vivid manner. The striking head seems to breathe and radiates vibrant life. With a fine line of bright red Floris has accentuated the lower eyelid and lower lip. A warmer, richly modulated red is applied for the ruddier parts of the face, such as the ear and nose, while chin and cheekbone show a grayish shimmer, convincingly suggestive of stubble. The warm vermilion of the beret wonderfully harmonizes with the ochre of the tunic and coat. Floris has brilliantly shown how the light catches a decorative seam on the brim of the beret and used

diluted white to pick out other isolated points of light on the neckline and right shoulder. From Floris to Rubens is but a step. The liveliness of expression, the plasticity of the formal treatment and the technical bravura adumbrate the emergence of a new genius. The portrayal has been painted on a high-quality panel of oak heartwood, which retains its original format and has not been subsequently reduced in size. The support on the verso has been slightly bevelled on three sides, while the left side shows the original cut edge, on which traces of imprimatura and pigments are still visible. Floris’ authorship has been confirmed by Carl Van de Velde. 11


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frans francken ii (1581–1642, Antwerpen)

Die Israeliten feiern das Goldene Kalb. Rötel. 27,2 x 36 cm. Frans Francken II war Schüler seines Vaters Frans I (1542–1616) und das bekannteste Mitglied dieser einflußreichen Antwerpener Malerdynastie. Nachdem er 1605 Freimeister in seiner Geburtsstadt wurde, schuf er im Laufe seiner Karriere ein sehr umfangreiches gemaltes Œuvre. Francken malte biblische, mythologische und allegorische Darstellungen im kleinen Format, wobei er Holz- oder Kupfertafeln bevorzugte. Seine prunkvoll arrangierten Kompositionen zeigen eine Vorliebe für Masseninszenierungen, die durch ihren vielgestaltigen Bewegungsreichtum und ihre Fülle an genrehaften Details bestechen. Nur wenige Zeichnungen von seiner Hand sind hingegen erhalten geblieben. Bei der Mehrzahl der überlieferten Blätter handelt es sich um lavierte Federzeichnungen, Rötelzeichnungen sind jedoch von großer Seltenheit. Francken schildert das israelitische Volk, das in der Abwesenheit seines Führers Moses dem Götzendienst verfallen ist und ausgelassen das Goldene Kalb feiert. Eine Festgesellschaft an einem opulent gedeckten Tisch, auf dem man eine Pfauenpastete und kostbare Gläser und Ziergefäße gewahrt, zeigt mit welcher Inbrunst die Israeliten sich ausschweifender Sinnenfreude hingegeben haben. Die Teilnehmer des Banketts, barbusige, leichtgeschürzte junge Frauen und Männer in der Blüte ihrer Jugend sind einander liebevoll zugewandt oder umarmen sich zärtlich. Der Künstler hat das Wechselspiel ihrer Gesten lebendig und mit sichtlicher Freude am erzählerischen Detail dargestellt. Interessanterweise fehlt auf unserer Zeichnung der explizite Verweis auf die moralische Botschaft der biblischen

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Episode. Im Mittelgrund sehen wir einen heiteren Reigen tanzender Männer und Frauen um eine Säule, die als Sockel für das Götzenbild dient. Das Goldene Kalb, der eigentliche Mittelpunkt der wilden Feier, und der Prophet Moses sind jedoch ausgeblendet worden. Francken hat das gleiche Sujet in mehreren Gemälden behandelt. Alle diese Werke zeigen ein nahezu identisches Kompositionsschema, das jedoch um das Götzenbild und um unterschiedliche simultane Szenen mit Moses und den Gesetzestafeln bereichert wurde. Unsere Zeichnung dürfte dem Atelier von Frans II. als ricordo gedient haben, als Musterbeispiel einer aufwendigen und künstlerisch sehr erfolgreichen Komposition, deren Beliebtheit durch zahlreiche gemalte Fassungen belegt wird. Die Vorzüge seiner Zeichenkunst kommen auf diesem Blatt voll zum Tragen. Treffsicher und mit leichtem, flüssigem Strich hat Francken die vielfigurige und räumlich kunstvoll angeordnete Tischgesellschaft charakterisiert. Die anmutigen, grazilen Frauengestalten mit ihren hauchdünnen, fließenden Gewändern suggerieren unbeschwerte Sinnenfreude und erotische Anziehungskraft. Im Unterschied zur wuchtig-barocken Formensprache seines Zeitgenossen und Kollegen Pieter Paul Rubens strahlt Franckens nervöser und beweglicher Zeichenstil eine spätmanieristische Verfeinerung aus und wirkt daher im gewissen Sinne retrospektiv. Die weichen, delikaten Übergänge des Rötelstiftes erzeugen eine betont malerische Wirkung und lassen das heitere Geschehen in einem milden Licht erstrahlen. Auf Grund der souveränen Beherrschung des Mediums dürfte die Zeichnung Ende der 1620er Jahre entstanden sein. Ein Gutachten von Dr. Ursula Härting vom 22. September 2008 liegt bei.


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frans francken ii (1581–1642, Antwerp)

The Israelites Worshipping the Golden Calf. Red chalk. 27.2 x 36 cm. Frans Francken II was the pupil of his father Frans I (1542–1616) and the best-known member of this influential Antwerp painter dynasty. After setting up as an independent master in his native city in 1605 he created an impressive œuvre of paintings in the course of his career. Francken painted Biblical, mythological and allegorical scenes, favouring small-format panels or copper plates. His magnificently staged compositions betray a predilection for crowd scenes, which owe their effects to a multiplicity of movement and an abundance of genre-like details. Of his drawings, on the other hand, only a few have survived. Most of these are drawings in pen and ink with wash, while drawings in red chalk are of the greatest rarity. Francken shows us how, in the absence of their leader Moses, the Children of Israel have succumbed to idolatry and are worshipping the Golden Calf with abandon. A company of revellers seated at a sumptuously set table, on which we discern a peacock pie, costly goblets and ornamental crockery, demonstrates the fervour with which the Israelites have surrendered to dissolute sensuality. The guests at the banquet – bare-bosomed, scantily clad young women and men in the bloom of their youth – are either lovingly facing or tenderly embracing each other. The artist has caught the vivid interplay of their gestures, taking a palpable delight in narrative detail. Interestingly enough, our drawing lacks any explicit reference to the moral message of the

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Biblical episode. In the middle distance we see a circle of men and women dancing merrily around a pillar which serves as a plinth for the graven image. The Golden Calf, the actual focus of the wild celebration, and the Prophet Moses have been left out of the scene, however. Francken treated the same subject in several paintings. All these works have an almost identical compositional scheme which was enriched to include the graven image and various simultaneous scenes featuring Moses and the Tablets of the Law. Our drawing probably served the studio of Frans II as a ricordo, a classic example of a lavish and artistically very successful composition, the popularity of which is documented by numerous painted versions. The strengths of his skill as a draughtsman are shown to full advantage in this work. With a sureness of touch and light, fluent strokes Francken has characterized the numerous figures of the company and artfully arranged them around the table. The grace and charm of the female figures in their flimsy flowing garments suggest carefree sensuality and erotic magnetism. In contrast to the exuberant Baroque idiom of his contemporary and colleague, Pieter Paul Rubens, Francken’s subtle and nimble drawing style radiates a Late Mannerist refinement, which has something retrospective about it. The soft, delicate transitions of the red chalk create a marked picturesque effect and bathe the high-spirited goings-on in a gentle light. Given the artist’s perfect mastery of the medium, the drawing in all probability dates to the late 1620s. A written statement by Dr. Ursula Härting, dated 22 September 2008, is enclosed.


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4. johann heinrich roos (1631 Reipoltskirchen – 1685 Frankfurt am Main)

Pastorale Landschaft mit einem wassertrinkenden Hirtenknaben und einer ruhenden Hirtin mit ihrer Herde. Federzeichnung in Schwarz und Braun über Kreide, grau laviert. 47,8 x 33 cm. Signiert rechts unten: „JHRoos fecit“. Um 1668/9. Die großformatige und kompositorisch konzentrierte Darstellung ist ein anschaulicher Beweis der zeichnerischen Meisterschaft von Johann Heinrich Roos und verdeutlicht, wie sehr er in stilistischer und ikonographischer Hinsicht der Kunst der holländischen Italianisanten verpflichtet war. Bestimmend dafür dürften Roos’ Lehrjahre in Amsterdam gewesen sein. Der junge Johann Heinrich, dessen Familie 1640 aus der Pfalz nach Holland übersiedelt war, fing 1647 eine Lehre bei dem Historienmaler Guilliam Dujardin an und wurde anschließend von dem Landschaftsmaler Cornelis de Bie und dem Tier- und Porträtmaler Barent Graat ausgebildet. Um 1651/52 kehrte der junge Künstler nach Deutschland zurück und begab sich auf die Wanderschaft, um sich schließlich 1667 in Frankfurt am Main niederzulassen, wo er insgesamt fast zwanzig Jahre mit beachtlichem Erfolg wirken sollte. Roos, Begründer einer weitverzweigten Malerdynastie, war ein sehr produktiver und versierter Zeichner. Die Mehrzahl seiner Zeichnungen sind kleinformatige Vorstudien für eigene Gemälde, auf denen er Tiere und Hirten in immer wechselnden Posen skizzierte. Diese spontan aufgefaßten Blätter, die meist in schwarzer Kreide und seltener in Rötel ausgeführt sind, entstanden direkt vor der Natur und verraten ein profundes Interesse für Licht und Atmosphäre. Die früheste datierte Zeichnung trägt die Jahreszahl 1660. Seit der Mitte der 1660er Jahre kommen auch häufiger lavierte Federzeichnungen vor, die detaillierter behandelt und inhaltlich vielfältiger sind. Diese Kategorie von Zeichnungen war wohl bewußt für den Verkauf vorgesehen. Die Blätter zeigen anspruchsvolle, vollständig angelegte Kompositionen, die Ruinenlandschaften mit Hirten und Viehherden zum Gegenstand haben und als Pendants zu den Gemälden dienten (siehe Ausstellungskatalog Roos. Eine deutsche Künstlerfamilie des 17. Jahrhunderts, bearb. von Margarete Jarchow, Kupferstichkabinett Berlin, 1986). Die vorliegende Zeichnung ist ein repräsentatives Beispiel dieser Gattung und engstens verwandt mit einem, in einem früheren Katalog vorgestellten Blatt mit ähnlichem Sujet (vgl. Nicolaas Teeuwisse, Ausgewählte Handzeichnungen/Selected Drawings, IV,

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Berlin 2007, Nr. 3, S. 12–15). Auffallend ist das identische und ungewöhnlich große Format der beiden Zeichnungen, das ihnen eine absolute Sonderstellung im zeichnerischen Œuvre des Künstlers verleiht (Abb. S.19). Roos arbeitete vorwiegend auf kleineren Formaten. Jedding verzeichnet nur einige wenige Zeichnungen mit einer vergleichbaren Blattgröße, die alle um 1668/69 entstanden sind (Jedding 193, Stockholm, Nationalmuseum, Jedding 194–195, Wien, Albertina). Die von Roos angewandte Zeichentechnik ist ungemein verfeinert und abwechslungsreich. Über einer flott angelegten Vorzeichnung in schwarzer Kreide sind die Einzelheiten der Blätter und Gräser im Vordergrund und die unterschiedlichen Texturen von Fell, Haaren und Hörnern der ruhenden Tiere mit feinen, beweglichen Federstrichen in Schwarz und Braun akribisch dargestellt. Die treffsichere, leichte Lavierung gibt das Spiel des Lichtes auf ihren Körpern naturgetreu wieder. Auch auf diesem Blatt erweist sich Roos als ein Meister des direkt nach dem Leben beobachteten Details. Sehr originell ist das Motiv des kleinen, in zerfranster Jacke und Hose gekleideten Hirtenknaben, der gierig Wasser aus seinem Hut schlürft. Kunstvoll hat Roos die verwitterte und von Efeu überwachsene Ruinenarchitektur des Brunnens wiedergegeben, ein grotesker Kopf auf einer steinernen Ziervase verleiht der Darstellung eine heitere Note. Ein kleiner, bizarr verästelter Baum zeichnet sich malerisch gegen den Himmel ab; indem Roos das Papier im Hintergrund weiß beläßt, suggeriert er einen strahlend blauen Sommerhimmel. Die Tiere der Herde dösen in der unbarmherzigen Mittagshitze und sind unübertrefflich lebensnah charakterisiert. Gleißendes, warmes Sonnenlicht läßt Architektur und Landschaft in sommerlichem Glanz erstrahlen. Angesichts dieser vollkommenen Illusion einer pastoralen, südlichen Landschaft scheint es kaum vorstellbar, daß Roos die römische Campagna wohl nie selbst gesehen hat. Jedenfalls ist eine Italienreise des Künstlers nicht belegt. Offenbar hatte Roos die Formenwelt der niederländischen Italianisanten so verinnerlicht, daß ihm das prägende Erlebnis eines Aufenthalts in Italien nicht fehlte. Dennoch wirkt er nie epigonenhaft, sondern ist in seinem Naturempfinden und in seiner liebevollen Beobachtung von Mensch und Tier erstaunlich natürlich und lebendig.


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4. johann heinrich roos (1631 Reipoltskirchen – 1685 Frankfurt am Main)

A Pastoral Landscape with a Shepherd Boy Drinking Water and a Resting Shepherdess with their Flock. Pen and black and brown ink, gray wash, over black chalk. 47.8 x 33 cm. Signed at bottom right: “JHRoos fecit”. Circa 1668/9. This large-format and highly concentrated composition offers vivid testimony to the graphic mastery of Johann Heinrich Roos and clearly shows how much he owed in terms of style and subject matter to the art of the Dutch Italianates. This is no doubt due to the years Roos spent as an apprentice in Amsterdam. In 1647 the young Johann Heinrich, whose family had moved from the Palatinate to Holland in 1640, began to study under Guilliam Dujardin, a painter of historical scenes, and was later trained by the landscape artist Cornelis de Bie and the animal and portrait painter Barent Graat. Round about 1651/52 the young artist returned to Germany and travelled a good deal before finally settling down in Frankfurt on Main in 1667, where he was to work for almost twenty years with considerable success. Roos, founder of a widely ramified painter dynasty, was a very productive and skilled draughtsman. Most of his drawings are small-format preliminary studies for his own paintings, featuring animals and herdsmen in a variety of poses. These rough sketches, which are generally executed in black and more rarely in red chalk, were made directly from nature and betray a profound interest in light and atmosphere. The earliest dated drawing is from 1660. From the mid-1660s onwards pen drawings combined with wash, which display a more detailed treatment and a wider range of subject matter, become increasingly frequent. This category of drawings was probably earmarked for sale. They show ambitious, carefully arranged compositions featuring ruin landscapes with herdsmen and their flocks and served as pendants to the paintings (see exhibition catalogue Roos. Eine deutsche Künstlerfamilie des 17. Jahrhunderts, edited by Margarete Jarchow, Kupferstichkabinett Berlin, 1986). The present drawing is a representative example of this type of drawings and very closely related to a similar sheet included in an earlier catalogue (cf. Nicolaas Teeuwisse, Ausgewählte Hand-

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zeichnungen/Selected Drawings, IV, Berlin 2007, no. 3, pp. 12–15). What is striking is the identical and unusually large size of the two drawings, which gives them a very special place in the artist’s graphic œuvre (see ill p. 19). Roos normally favoured smaller formats. Jedding records only a few drawings with a comparable sheet size, all of which were produced around 1668/69 (Jedding 193, National Museum, Stockholm, Jedding 194–195, Vienna, Albertina). The drawing technique employed by Roos is extraordinarily refined and varied. Over a skilfully conceived preliminary drawing in black chalk the details of the leaves and grass in the foreground and the different textures of the shaggy coats, fleeces and horns of the resting animals are painstakingly depicted with fine, nimble pen strokes in black and brown. The deftly applied light wash realistically renders the play of light on their bodies. This drawing also shows Roos to be a master of directly from life observed detail. A very original touch is provided by the motif of the little shepherd boy dressed in frayed jacket and trousers who is greedily gulping down water from his hat. Roos has skilfully characterised the weathered, ivy-covered masonry of the ruined well, while a grotesque head on an ornamental stone vase lends the scene a humorous note. A small tree with bizarrely arranged branches is outlined picturesquely against the sky; by leaving the paper in the background white Roos suggests a radiantly blue summer sky. The animals of the herd dozing in the merciless noonday heat are incredibly life-like. The blazing sunshine bathes the architecture and the landscape in a summer glow. In view of this perfect illusion of a pastoral southern landscape it is hard to imagine that Roos himself had probably never seen the Roman Campagna. At any rate there is no record of the artist ever visiting Italy. Roos had obviously so internalized the formal world of the Dutch Italianates that he did not need the experience of a sojourn in Italy. Yet he is never imitative – just astonishingly true to life in his feeling for nature and affectionate observation of men and animals.


Johann Heinrich Roos. Pastoral Landscape with a Resting Herdsboy and his Flock. Pen and black and brown ink, gray wash, over black chalk. 47.8 x 33 cm. Harvard Art Museum, Fogg Museum, Cambridge, Mass., USA.

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5.

abraham-louisrodolphe ducros (1748 Moudon – 1810 Lausanne)

Blick auf den Poseidontempel in Paestum mit figürlicher Staffage. Aquarell über Federzeichnung in Schwarz. 35 x 50,2 cm. Verso eine zeitgenössische Bezeichnung in brauner Feder: „Dessin Original de Ducros“, sowie eine Inventarnummer: „B. No 279. a.“. Wasserzeichen Großes Straßburger Lilienwappen. Ducros hat den berühmten dorischen Tempel aus der Untersicht und stark verkürzt wiedergegeben, wodurch eine markante diagonale Tiefenwirkung entsteht. Ein duftig aquarelliertes Bäumchen, Gestrüpp und antike Mauerreste fungieren rechts vorne als Repoussoir. Geschickt hat der Künstler einzelne Staffagefiguren und Tiere in die Landschaft inkorporiert. Die Darstellung badet in einem milden, herbstlichen Licht. Die Nachmittagssonne läßt das verwitterte Gestein des Tempels warm aufleuchten, während die Überreste des angrenzenden Heratempels in einem kühlen Blau geschildert sind. Es herrscht eine elegische Stimmung, die der Italiensehnsucht des 18. Jahrhunderts auf poetische Weise Ausdruck verleiht. Die Ruinen der antiken Stadt Poseidonia wurden erst um 1745 wiederentdeckt, und sie zählten bald zu einem bevorzugten Reiseziel für die ausländischen Bildungsreisenden der Grand Tour. Zahlreiche Künstler – unter ihnen Hubert Robert, Antonio Joli, Jakob Philipp Hackert, Giovanni Battista Piranesi und Ducros – befaßten sich nach 1750 mit der Darstellung der malerischen Tempelanlagen, um der gestiegenen Nachfrage eines gebildeten Publikums zu genügen. Ducros zählte gewiß zu den fleißigsten

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und routiniertesten unter ihnen. Er war seit 1777 in Rom tätig, wo er sich mit dem aus Bassano stammenden Reproduktionsstecher Giovanni Volpato zusammengetan hatte. Ihr gemeinsames Projekt, die vierundzwanzig Blatt zählende Folge Vue de Rome et de ses environs, die 1780 veröffentlicht wurde, erwies sich als ein beachtlicher wirtschaftlicher Erfolg. Die großformatigen, von Ducros sorgfältig und mit künstlerischem Geschick aquarellierten Umrißradierungen Volpatos wirkten äußerst suggestiv und erfreuten sich als preisgünstige Alternative zu gemalten Veduten einer großen Beliebtheit. Auch als selbständiger Aquarellmaler, der sich auf die Wiedergabe der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Roms spezialisiert hatte, machte sich Ducros bald einen Namen und wurde vor allem von englischen Aristokraten mit zahlreichen Aufträgen bedacht. Sein erfolgreiches Wirken fand 1793 ein jähes Ende, als Ducros – wie viele seiner Zunftgenossen – wegen republikanischer Sympathien aus dem Kirchenstaat verbannt wurde. Er ließ sich in Neapel nieder, wo er bis 1799 leben und arbeiten sollte und wo er fortan auch einen kultivierten Kreis von Kennern und Liebhabern bediente, unter ihnen den schottischen Diplomaten, Antiquar und Archäologen Sir William Hamilton und Sir John Acton, Premierminister von Neapel unter Ferdinand IV. Unser Aquarell dürfte zwischen 1785–90 entstanden sein. Mehrere Ansichten der antiken Tempelbauten Paestums sind aus dieser Periode bewahrt geblieben (siehe J. Zutter, Abraham-LouisRodolphe Ducros. Un peintre suisse en Italie, Lausanne 1998, S. 102– 103, Abb. 54–55).


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5.

abraham-louisrodolphe ducros (1748 Moudon – 1810 Lausanne)

View of the Poseidon Temple in Paestum with Staffage Figures. Watercolour over pen and black ink. 35 x 50.2 cm. A contemporary inscription in pen and brown ink on the reverse: “Dessin Original de Ducros”, and an inventory number: “B. No 279. a.“. Watermark: Strasbourg Lily. Ducros has rendered the famous Doric temple from a low view point and from a rather abbreviated angle, thus creating a striking effect of depth. In the right foreground a little tree, undergrowth and the remains of ancient walls serve as a repoussoir. The artist has cleverly incorporated individual staffage figures and animals in the landscape. The scene is bathed in a mild, autumnal light. The afternoon sun sheds a warm glow on the weathered stone of the temple, while the remains of the adjacent Temple of Hera are depicted in a cool blue. An elegiac mood prevails and the image is a poetic expression of the 18th century nostalgia for Italy. The ruins of the ancient city of Poseidonia were only rediscovered about 1745 and soon became a favoured destination for foreigners doing the Grand Tour. From 1750 onwards many artists – including Hubert Robert, Antonio Joli, Jakob Philipp Hackert, Giovanni Battista Piranesi and Ducros – tried their hand at portraying the picturesque temples in order to meet the rising demand of an educated public. Ducros was certainly one of the

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most industrious and adept of these. He had been active in Rome since 1777, where he had joined forces with the Bassano-born reproductive engraver Giovanni Volpato. Their collective project, a set of twenty-four sheets entitled Vues de Rome et de ses environs, which was published in 1780, paid off handsomely. Volpato’s large-format outline etchings, skillfully coloured by Ducros, had an extremely suggestive effect and enjoyed great popularity as a competitive alternative to painted vedute. Ducros soon made a name for himself as an independent watercolour painter as well, specializing in rendering the principal sights of Rome, for which he received numerous commissions, mainly from English aristocrats. His successful career came to an abrupt end in 1793, when Ducros – like many practitioners of his craft – was banned from the Papal State because of his republican sympathies. He settled in Naples, where he was to live and work until 1799, serving a cultivated circle of connoisseurs and art lovers, including Sir William Hamilton, the Scottish diplomat, antiquarian and archaeologist, and Sir John Acton, Prime Minister of Naples under Ferdinand IV. The present watercolour was probably executed between 1785 and 1790. Several views of Paestum’s ancient temple structures from this period have been preserved (see J. Zutter, AbrahamLouis-Rodolphe Ducros. Un peintre suisse en Italie, Lausanne 1998, pp. 102–103, plates 54–55).


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6.

carl august ehrensvärd

carl august ehrensvärd

(1745 Stockholm – 1800 Örebro)

(1745 Stockholm – 1800 Örebro)

Antike Szene. Federzeichnung in Braun, braun und grau laviert. 20,6 x 17,2 cm.

Antique Scene. Pen and brown ink, brown and gray wash. 20.6 x 17.2 cm.

Ungewöhnlich vielseitig und fesselnd ist der persönliche Werdegang des Carl August Ehrensvärd, der nicht nur ein hochdekorierter Marineoffizier war, sondern sich nebenbei auch als Zeichner, Architekt und ideenreicher Kunstphilosoph hervortat. Den Anstoß zu seiner künstlerischen Tätigkeit bildete eine Studienreise durch Holland und Frankreich, die Ehrensvärd 1766 unternahm. Vom Frühjahr 1780 bis Herbst 1782 hielt er sich in Rom auf, besuchte Neapel, Paestum und Sizilien und vertiefte sein Interesse für die antike Kunst. Die auf dieser Grand Tour gesammelten Notizen und Einfälle bildeten die Grundlage für seine 1786 veröffentlichten kunsttheoretischen Schriften Resa til Italien und De fria konsters filosofi, deren Gedankengut an Winckelmann und Mengs erinnert und in denen er sich für das Primat einer streng neoklassischen Stilrichtung aussprach.

The personal career of Carl August Ehrensvärd is remarkably varied and absorbing. He was not only a highly decorated naval officer, but also distinguished himself as a draughtsman, architect and designer as well as an original contributor to the philosophy of art. The stimulus for Ehrensvärd’s artistic activity was provided by a study journey through Holland and France, which he undertook in 1766. From spring 1780 to autumn 1782 Ehrensvärd was in Rome, whence he visited Naples, Paestum and Sicily, pursuing his interest in the art of antiquity. The observations he made during this Grand Tour formed the basis of the two works on art theory that he published in 1786: Resa til Italien and De fria konsters filosofi, whose ideas recall those of Winckelmann and Mengs and in which he expressed himself in favour of the primacy of a strictly Neoclassical style.

Ehrensvärd war ein emsiger und leidenschaftlicher Zeichner. Im Verhältnis zu seinen Künstlerfreunden Nicolai Abildgaard und Johan Tobias Sergel bezeichnete er sich gerne als Dilettanten, jedoch besitzen seine Blätter ein hohes Maß an Originalität. Schon während der Italienreise hatte sich Ehrensvärds anfangs noch spätbarocker Zeichenstil unter dem Einfluß seines Mentors Louis Masreliez zu einem neoklassizistischen Idiom verdichtet, in dem die Kraft der reinen Linie und die umrißhafte Betonung der Einzelform dominieren. Im Laufe der Zeit wurde Ehrensvärds Stil jedoch immer freier und expressiver, wie das vorliegende Blatt anschaulich deutlich macht. Es handelt sich um rasch hingeworfene Einfälle, die durch die Lebendigkeit der Charakterisierung, die wuchtige Kraft des Striches und ihre flüssigen, souverän gesetzten Lavierungen bestechen. Humorvoll und mit sichtlicher Freude an der spöttischen Verzerrung hat Ehrensvärd den markanten Kopf des stolzen, bärtigen Griechen in eine antithetische Beziehung zu dem lüsternen Gesichtsausdruck der beiden Satyren gesetzt. Ehrensvärd war ein begabter Karikaturist, der sich unter dem Einfluß der Theorien Lavaters intensiv mit dem Studium der menschlichen Physiognomie beschäftigte und das menschliche Antlitz als Spiegel geheimer Regungen, Leidenschaften und Wünsche betrachtete. In dieser Hinsicht hat er auch Johan Tobias Sergel wesentlich beeinflußt, dessen karikierenden Porträts und humoristischen Darstellungen seines Stockholmer Freundeskreises unübersehbare stilistische Parallelen aufweisen.

Ehrensvärd was an assiduous and passionate draughtsman. When comparing himself with his artist friends Nicolai Abildgaard and Johan Tobias Sergel he liked to refer to himself as a dilettante, yet his works show a high degree of originality. Even during his Italian tour Ehrensvärd’s initially Late Baroque drawing style had crystallized under the influence of his mentor Louis Masreliez into a Neoclassicist idiom, in which the power of the pure line and the emphatic outlining of the individual form are dominant. Over time, however, Ehrensvärd’s style became increasingly free and expressive, as the present drawing makes very clear. It is based on a spontaneous idea quickly committed to paper which owes its appeal to the liveliness of the characterization, boldness of line and the flowing, masterly use of washes. With humour and evident relish at his own use of mocking distortion Ehrensvärd has created a strong antithesis between the striking head of the proud, bearded Greek and the lecherous features of the two satyrs. Ehrensvärd was a gifted caricaturist who was influenced by Lavater’s theories of human physiognomy and concluded that the face was a mirror of secret emotions, passions and desires. In this respect he also exerted a strong influence on Johan Tobias Sergel, whose humorous portrait caricatures of his Stockholm friends show unmistakable stylistic parallels.

Verso eine weitere Figurenskizze, sowie bezeichnet in brauner Feder: „A. Ehrensvärd“.

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The verso has another figure sketch and is inscribed in pen and brown ink: “A. Ehrensvärd”.


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augustin alphonse gaudar de la verdine

augustin alphonse gaudar de la verdine

(1780 Bourges – 1804 Siena)

(1780 Bourges – 1804 Siena)

Landschaft mit dem Sibyllentempel in Tivoli. Pinselzeichnung in mehreren Braun- und Grautönen über Bleistift. 20,6 x 20,8 cm. Signiert und datiert: „Rome 1803 Alphonse Gaudar“.

Landscape with the Sibylline Temple in Tivoli. Brush and brown and gray wash, over pencil. 20.6 x 20.8 cm. Signed and dated: “Rome 1803 Alphonse Gaudar”.

Nur wenig ist über den jung verstorbenen Maler Alphonse Gaudar bekannt. Er studierte in Paris bei dem Historien- und Bildnismaler François André Vincent (1746–1816) und kam wohl auf dessen Rat 1803 als Akademieschüler nach Rom. Außer der Tatsache, daß Gaudar 1799 für sein Historienbild Manlius Torquatus, seinen Sohn zum Tode verurteilend ausgezeichnet wurde, war sein Leben zu kurz, um weitere Ruhmestaten zu vollbringen. Es handelt sich also um einen dieser zahlreichen tragischen Lebensläufe von jungen, ehrgeizigen Künstlern, die um 1800 nach Italien aufbrachen, um hier nach kurzer Zeit infolge von Krankheit oder anderen Mißgeschicken den Tod zu finden.

Little is known of the young, prematurely deceased painter Alphonse Gaudar. He studied in Paris under the history and portrait painter François André Vincent (1746–1816), who probably advised him to go to Rome and study at the Academy there in 1803. Although Gaudar received an award in 1799 for his historical painting Manlius Torquatus Condemning His Son to Death, he died too soon to follow this up with further accomplishments. His was one of the many tragic cases of young, ambitious artists who set off for Italy around 1800 only to die shortly afterwards as a result of illness or other misfortune.

7.

Die vorliegende kleine Landschaftsimpression aus Tivoli ist im Jahre der Ankunft Gaudars in Rom entstanden. Das Papierformat läßt vermuten, daß es sich um ein Blatt aus einem Skizzenbuch handelt, und die Zeichnung dürfte direkt vor Ort, in der freien Natur entstanden sein. Gaudar hat den antiken Sibyllentempel, das Wahrzeichen Tivolis, in einem sehr flotten und ungekünstelten Zeichenstil wiedergegeben. Über einer leichten Vorzeichnung in Bleistift ist die Darstellung als reine Pinselzeichnung summarisch und großflächig angelegt, wodurch dem Ganzen die Unmittelbarkeit einer rasch angefertigten Skizze anhaftet. Effektvoll sind größere graue und braune Farbflächen gegeneinander abgesetzt; sie werden durch einzelne, rasche Pinselstriche belebt, die das Terrain und die Vegetation am Bergkamm näher definieren. Durch eine geschickte Verwendung des weißen Papiertons entstehen markante Lichtpunkte. Gaudars Zeichentechnik erinnert entfernt an die Methodik Boissieus. In seiner Anspruchslosigkeit vermittelt das Blatt dennoch eine überzeugende Illusion von einem malerischen Winkel Tivolis zum Zeitpunkt der größten Mittagshitze.

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The present little landscape impression from Tivoli was done in the same year that Gaudar arrived in Rome. The paper format suggests that the sheet belonged to a sketchbook, and the drawing was probably done directly on the spot in the open air. Gaudar has drawn the ancient Sibylline Temple, the landmark of Tivoli, in a very lively and straightforward style. Over faint preliminary indications in pencil the scene has been set out in a broad sweeping manner as a pure brush drawing, giving the whole the directness of a swiftly executed sketch. Largish areas of gray and brown wash are effectively set off against each other and enlivened by rapid single brush strokes that give more detail to the terrain and the vegetation on the mountain crest. The judicious use of blank paper creates striking lighting effects. Gaudar’s drawing technique is remotely reminiscent of Boissieu’s. For all its unpretentiousness the work nevertheless conveys a convincing illusion of a picturesque corner of Tivoli “amid the blaze of noon”.


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8.

salomon gessner

salomon gessner

(1730–1788, Zürich)

(1730–1788, Zurich)

Eine Ideallandschaft mit einem antiken Grabmal. Federzeichnung in Schwarz und Braun über Graphit, grau laviert. 21,4 x 35 cm. Signiert und datiert: „S. Gessner f. 1768“. Wasserzeichen Bekröntes Straßburger Lilienwappen.

Ideal Landscape with Ancient Tomb. Pen and black and brown ink, gray wash over a preliminary sketch in graphite. 21.4 x 35 cm. Signed and dated: “S. Gessner f. 1768”. Watermark: Strasbourg Lily.

Salomon Gessner wurde 1730 in Zürich als Sohn des angesehenen Verlegers Hans Konrad Gessner geboren. In den Jahren 1749–1750 verblieb er in Berlin, wo er eine Lehre in der renommierten Haude & Spenerschen Verlagsbuchhandlung absolvierte und gleichzeitig erste Versuche als Zeichner und Landschaftsmaler unternahm. Nach seiner Rückkehr in Zürich war Gessner zuerst mit Erfolg literarisch tätig, um sich dann seit den frühen 1760er Jahren auch intensiv dem künstlerischen Schaffen zu widmen. Gessners Herkunft ermöglichte ihm den Umgang mit herausragenden Geistern seiner Zeit. Er war mit den Literaten Ewald von Kleist und Christoph Martin Wieland befreundet und begegnete 1775 Johann Wolfgang von Goethe, als dieser Zürich besuchte. Der Maler Anton Graff verblieb 1765–66 im Hause Gessner und porträtierte Salomon und seine Frau; auch der junge Wolfgang Amadeus Mozart war 1766 Gast im Züricher Domizil des Künstlers.

Salomon Gessner, the son of the respected publisher Hans Konrad Gessner, was born in Zurich in 1730. He spent the years 1749–50 in Berlin, where he served an apprenticeship in the renowned publishing and bookselling house of Haude & Spener, while at the same time undertaking his first attempts as a draughtsman and landscape painter. After his return to Zurich Gessner was initially successful in the literary field before devoting himself entirely to artistic creation in the early 1760s. Gessner’s background enabled him to consort with some of the leading lights of his time. He was a friend of the writers Ewald von Kleist and Christoph Martin Wieland and met Johann Wolfgang von Goethe when the latter visited Zurich in 1775. The painter Anton Graff stayed at Gessner’s house in 1765–66 and made portraits of Salomon and his wife, while the young Wolfgang Amadeus Mozart was also a guest at the artist’s Zurich home in 1766.

Gessner war eine ungewöhnlich vielseitige und gebildete Persönlichkeit und als Künstler Autodidakt. Betrachtet man die vorliegende Landschaftszeichnung, die dem Frühwerk angehört, so ist man überrascht über das Tempo, mit dem Gessner zur künstlerischen Reife fand. In seiner durchdachten und detaillierten Kompositionsweise dokumentiert das Blatt, wie intensiv sich Gessner in den 1760er Jahren mit der Zeichenkunst der niederländischen Italianisanten des 17. Jahrhunderts beschäftigt hatte und wie sehr ihr Stil sein eigenes Schaffen prägte. In einer kleinteiligen, sehr akkuraten Federtechnik hat Gessner die Beschaffenheit des Terrains, der Vegetation und das Laub der Bäume im Vordergrund duftig und abwechslungsreich wiedergegeben, während die differenzierte Laviertechnik das Spiel des Lichtes und die Helldunkelgegensätze einfühlsam einfängt. An einzelnen, wenigen Stellen sind zusätzlich mit brauner Feder lebhafte Akzente gesetzt. Über einen schmalen Waldweg, der in die Tiefe führt und von zwei, nur teilweise sichtbaren Staffagefiguren belebt ist, wird der Blick des Betrachters auf eine weite Wald- und Gebirgslandschaft gelenkt, die mittels einer flüssigen Pinseltechnik räumlich und atmosphärisch überzeugend charakterisiert ist. Das Ganze atmet eine milde und idyllische Stimmung; ein antikes Grabmal, das sich auf einer Anhöhe etwas rechts von der Bildmitte aus befindet, fungiert als ein subtiler Verweis auf die Endlichkeit des irdischen Lebens. In seiner poetischen Naturbeobachtung zeigt sich Gessner der Tradition großer niederländischer Vorgänger des 17. Jahrhunderts wie Jan Both und Adam Pynacker fest verbunden.

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Gessner was an unusually versatile and erudite personality and self-taught as an artist. Looking at the present landscape drawing, which belongs to his early work, one cannot but be surprised at the speed with which Gessner attained artistic maturity. In its carefully thought out and detailed composition the drawing shows how intensively Gessner had, in the 1760s, studied the works of the 17th century Dutch Italianates, and how much their style influenced his own work. With intricate and very accurate penwork Gessner has rendered the textures of the terrain, the vegetation and the leaves of the trees in the foreground in an airy and diverse manner, while the differentiated wash technique sensitively captures the play of light and evokes delicate chiaroscuro effects. At one or two places lively touches have been added in pen and brown ink. Via a narrow, downward-leading forest path enlivened by two, only partially visible staffage figures, the viewer’s gaze is drawn to a distant wooded and mountainous landscape, which is convincingly depicted in terms of space and atmosphere by dint of fluid brushwork. The whole exudes a gentle and idyllic mood, while an ancient tomb located on a rise slightly to the right of the centre of the picture functions as a subtle reminder of the finiteness of life on earth. In his poetic observation of nature Gessner shows himself to be firmly in the tradition of such great 17th-century Dutch predecessors as Jan Both and Adam Pynacker.


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jakob philipp hackert

jakob philipp hackert

(1737 Prenzlau – 1807 San Piero di Careggio)

(1737 Prenzlau – 1807 San Piero di Careggio)

Landschaft bei Fossombrone. Federzeichnung in Braun über Graphit, braun laviert. 34,7 x 45,4 cm. Signiert: „Ph. Hackert f.“, in der linken oberen Ecke eigenhändig bezeichnet und datiert: „pres de Fossombrone. 1776“. Nordhoff 691.

Landscape near Fossombrone. Pen and brown ink, brown wash, over graphite. 34.7 x 45.4 cm. Signed: “Ph. Hackert f.”, inscribed in the upper left-hand corner by the artist’s own hand and dated: “pres de Fossombrone. 1776”. Nordhoff 691.

Jakob Philipp Hackert, der Landschaftsmaler par excellence der Goethezeit, hatte es schon kurz nach seiner 1768 erfolgten Übersiedlung nach Rom zu großem Ansehen gebracht. Sein Aufenthalt in der Ewigen Stadt währte insgesamt achtzehn Jahre, und in diesem Zeitraum begründete Hackert seinen Ruf als bedeutendster Landschaftsinterpret seiner Epoche. Fast unmittelbar nach seiner Ankunft in Rom begann Hackert mit der systematischen Erkundung der Landschaft seiner Wahlheimat, um auf diese Weise Inspiration und Motive für seine Malerei zu finden. Hackert war ein unermüdlicher und lernbegieriger Wandersmann. So unternahm er im Frühjahr 1769 gemeinsam mit seinen Künstlerkollegen Johann Gottlieb, Johan Tobias Sergel und Antoine François Gallet die erste Wanderung in die Albaner Berge, nach Frascati und Grottaferrata. Unzählige weitere Reisen sollten folgen, die ihn auch in weniger bekannte Regionen Italiens wie das Latium, die Abruzzen und die Marken führten. Die Ortsangaben und Datierungen auf vielen seiner Zeichnungen vermitteln ein genaues und anschauliches Bild seiner beflissenen Reisetätigkeit.

Jakob Philipp Hackert, the landscape painter par excellence of Goethe’s day, made a name for himself shortly after his move to Rome in 1768. His stay in the Eternal City lasted a total of eighteen years, in which time Hackert justified his reputation as the most significant interpreter of landscape of his era. In 1769, shortly after his arrival in Rome, Hackert began systematically exploring the landscape of his new home country in search of inspiration and motifs for his painting. Hackert was a tireless traveller with a passion for knowledge. In the spring of 1769, together with his fellow artists Johann Gottlieb, Johan Tobias Sergel and Antoine François Gallet, he undertook his first journey on foot through the Alban Hills and made other trips to Frascati and Grottaferrata. Countless other expeditions were to follow, taking him to such lesser known regions of Italy as the Latium, the Abruzzi, and the Marches. The place names and dates on many of his drawings bear eloquent testimony to his dedication to travel.

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Das vorliegende anmutige Blatt entstand im Sommer 1776, als Hackert eine zweimonatige Wanderung durch Umbrien und die Marken machte, die ihn bis nach Ravenna führte. Es ist ein überaus charakteristisches Beispiel für die Art gezeichneter Veduten, die auf diesen ausgedehnten Erkundungsreisen entstanden und die sicherlich auch bewußt für den Verkauf angefertigt wurden. Hackert hat die imposante, weite Gebirgslandschaft bei Fossombrone in den Marken detailreich geschildert, ohne in genrehafte Pedanterie zu verfallen. Der reglose Wasserspiegel des Flußes Metauro windet sich mit einer breiten Biegung in die Tiefe. Im Hintergrund erstrecken sich in kulissenartiger Staffelung Wälder, Hügel und Berggipfel. Die Eiche vorne am rechten Bildrand ist ein von Hackert gerne verwendetes Repoussoirmotiv. Sparsam aber effektiv ist der Einsatz von Staffagefiguren: Ein Reiter – möglicherweise der Künstler selbst – unterhält sich mit einem wandernden Bauern und seiner Frau, die ein kleines Kind auf dem Rücken trägt. Sie bilden das einzige lebendige Element in der Stille der grandiosen Landschaft. Insgesamt sind zwei Landschaftszeichnungen Hackerts mit Motiven aus der Gegend um Fossombrone bekannt. Das Pendant (Nordhoff 690), das eine nahezu identische Größe besitzt und in schwarzer Feder über Graphit ausgeführt ist, gelangte in die Sammlung Johann Wolfgang von Goethe und wird heute in Weimar (Stiftung Weimarer Klassik, Graphische Sammlung) aufbewahrt. 30

This pleasant scene was drawn in the summer of 1776, while Hackert was on a two-month hike through Umbria and the Marches that was to take him as far north as Ravenna. It is an extremely characteristic example of the kind of veduta drawings he made on these extended journeys of exploration, undoubtedly with a view to sale. Hackert has depicted the vast, imposing mountain landscape near Fossombrone in the Marches in detail but without lapsing into genre-like pedantry. The motionless surface of the River Metauro disappears around a wide bend. In the background woods, hills and mountain peaks are arranged in ascending ranks. The oak in the right forefront of the picture is one of Hackert’s favourite repoussoir motifs. The use of staffage figures is sparing but effective: A man on horseback – possibly the artist himself – converses with a pair of rustic travellers, a peasant and a woman with a small child on her back. They constitute the only living element in the vast stillness of the grandiose landscape. A total of two landscape drawings by Hackert with motifs from the district around Fossombrone are known to exist. The pendant (Nordhoff 690), which is almost identical in size and executed in pen and black ink over graphite, found its way into the collection of Johann Wolfgang von Goethe and is now in Weimar (Stiftung Weimarer Klassik, Graphische Sammlung).


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10.

jean-baptiste marie huet

jean-baptiste marie huet

(1745–1811, Paris)

(1745–1811, Paris)

Eine pastorale Landschaft mit einer Schäferfamilie und ihrer Herde. Öl auf Kupfer. 17,6 x 13,6 cm.

Pastoral Landscape with Shepherd Family and Herd. Oil on copper. 17.6 x 13.6 cm.

Jean-Baptiste Marie Huet ist vor allem als ein Maler bekannt, der sich auf Genre- und Tierdarstellungen spezialisiert und es in diesen Disziplinen zu beachtlichem Erfolg gebracht hat. In Paris als Sohn eines Kunsthandwerkers geboren, wuchs er fast selbstverständlich in das künstlerische Milieu seiner Zeit hinein und wurde in seiner Entwicklung von so bedeutenden Begabungen wie François Boucher und Jean-Baptiste Le Prince geprägt. 1769 wurde Huet als Vollmitglied der Pariser Akademie aufgenommen. Huets Wirkungsfeld ist recht groß gewesen. Mit seinen Bildern und Zeichnungen, die er größtenteils selbst durch Reproduktionsstiche vervielfältigte, sowie seinen Ornamentblättern und kunstgewerblichen Entwürfen hat er einen wesentlichen Beitrag zum Kunstgeschmack seiner Zeit geleistet. Er war ein technisch begabter und gewinnender Kleinmeister, der sich in seinem Werk – von einzelnen wenigen Ausnahmen abgesehen – von der „grande peinture“ fernhielt und es dank dieser Beschränkung zu bedeutsamen Leistungen brachte. So bestechen Huets gezeichnete Tierstudien durch ein hohes Maß an Lebendigkeit und schlichter Naturtreue, wodurch sie sich wohltuend von den oft etwas gekünstelt wirkenden Tierdarstellungen der BoucherSchule unterscheiden.

Jean-Baptiste Marie Huet is chiefly known as a genre and animal painter, in which disciplines he achieved considerable success. Born in Paris into the family of an artist craftsman, he was drawn almost as a matter of course into the artistic milieu of his time, his development being shaped by such major talents as François Boucher and Jean-Baptiste Le Prince. In 1769 Huet was admitted to full membership of the Paris Academy. The extent of Huet’s activity was considerable. His paintings and drawings – which he largely distributed himself through reproductive engravings – and his designs for ornaments made an important contribution to the artistic taste of his time. He was a technically gifted and engaging minor master, whose work, apart from a few exceptions, steered clear of “grande peinture”, a restriction that paved the way for his significant achievements. Huet’s drawings of animals are noteworthy for their liveliness and simple closeness to nature, which distinguishes them in agreeable manner from the animal portrayals of the Boucher school which often appear somewhat artificial.

Auch das vorliegende kleine Gemälde auf Kupfer liefert in seiner künstlerischen Frische einen überzeugenden Beweis von Huets Können. Die angewandte Maltechnik ist von einer miniaturistischen Verfeinerung, wodurch dem Künstler auf kleinem Format ein Optimum an atmosphärischer Dichte und bildgestalterischer Konzentration gelingt. Ein junger Hirte versucht einen schwerbeladenen Esel zu bändigen, der störrisch Widerstand leistet. Sein Hund kläfft verärgert, während zwei Schafe verängstigt davonrennen. Links gewahren wir eine Hirtin mit zwei Kindern und eine Viehherde, die unbeirrt und mit gemächlichem Tempo ihren Weg verfolgt. Bemerkenswert sind die feinsinnige Beobachtungsgabe und der subtile Humor, mit denen Huet die einzelnen Tiere in ihrer jeweiligen physischen Beschaffenheit und Mimik darstellt. Wunderbar duftig und stofflich sind die von einem leichten Windzug berührten Weiden und das hohe, weiche Gras im Vordergrund geschildert. Das stimmungsvolle Kolorit lebt vom Gegensatz zwischen den gedämpften Grün- und Brauntönen der Vegetation und den kühlen weißen, roten und blauen Valeurs, mit denen die Kleidung des Hirten und das Fell des Hundes wiedergegeben sind. Am Horizont erstreckt sich ein sanft geformter Gebirgszug, der in bläulichen Dunst gehüllt ist. Mildes, klares Licht erhellt die Szene und schafft ein vollkommenes Abbild ländlichen Lebens.

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The artistic freshness of the present little painting on copper also testifies convincingly to Huet’s skill. The refined painting technique employed is that of a miniature, which enables the artist to achieve a maximum of atmospheric density and concentrate a lot of action within a small format. A young shepherd attempts to control a heavy-laden donkey, which stubbornly resists him. His dog yaps irritably, while two sheep flee in alarm. On the left we see a shepherdess with two children and a herd of cattle proceeding deliberately on their way. Worthy of note is Huet’s sensitive gift of observation and the subtle humour with which he portrays the individual animals, each of which is given its own specific physical features and movements. The willows swaying in the gentle breeze and the tall, soft grass in the foreground are depicted in a way that is wonderfully airy and yet precisely delineated. Colour is used to create mood by contrasting the muted greens and browns of the vegetation and terrain with the cool whites, reds and blues used for the clothes of the shepherd and the fur of the dog. On the horizon we see the gentle swell of a range of hills shrouded in a bluish haze. Mild, clear light illuminates the scene, revealing a perfect reflection of rural life.


Originalgröße / Actual size

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11.

jean-baptiste le prince (1734 Metz – 1781 Saint-Denis-du-Port)

Eine Frau in russischer Tracht, in ganzer Figur und nach rechts gewandt. Rötel. 34,5 x 19,5 cm. Monogrammiert unten rechts: „LP“. Jean-Baptiste Le Prince ist vor allem durch zwei historische Leistungen bekannt geworden. Er gilt als der Erfinder des Aquatinta-Druckverfahrens und ist gleichzeitig der Initiator einer kurzlebigen Russenmode in Frankreich, die mit den damals gängigen Stilrichtungen der „Chinoiserie“ und der „Turquerie“ konkurrierte. Le Prince war 1757 zu einer mehrjährigen Rußlandreise aufgebrochen, die bis 1762 dauerte. Während seines dortigen Aufenthalts fertigte er unzählige Studien und Skizzen mit Darstellungen aus dem russischen Volksleben an, die nach seiner Rückkehr in Paris und seiner Aufnahme in die Académie gleichsam das Substrat seiner Kunst bilden sollten. Bei diesen russeries handelt es sich vorwiegend um minutiös durchgeführte Genredarstellungen – Gemälde, Zeichnungen und Aquatintaradierungen – , die sich auf Grund der Exotik ihrer Themenwahl und ihrer Aufmerksamkeit für das ethnographische und anekdotische Detail einer großen Beliebtheit erfreuten.

Das vorliegende Blatt ist stilistisch verwandt mit zwei Zeichnungen, die sich in der Sammlung der Yale University Art Gallery, New Haven beziehungsweise in amerikanischem Privatbesitz befinden und von denen die letztere das Datum 1760 trägt (siehe Suzanne Boorsch, John Marciari, Master Drawings from the Yale University Art Gallery, New Haven 2006, Nr. 68, S. 203– 205). Allen diesen Zeichnungen gemeinsam ist eine ähnliche kompositorische mise en page. Die Einzelgestalten dominieren den Bildausschnitt und der Künstler hat bewußt auf eine detaillierte landschaftliche Staffage und genrehaftes Beiwerk verzichtet. Die breite und souveräne Kreidetechnik und die Art der Schraffursetzung erinnern an Le Prince’s Lehrmeister François Boucher. Überdies läßt der andächtige Zeichenstil vermuten, daß diese Studien direkt nach dem Leben entstanden sind. Auf unserer Zeichnung wirkt die Gestalt der in russischer Tracht gekleideten jungen Frau in sich ruhend und statuarisch kompakt. Sie trägt ein langes, bis zur Brust geschlossenes Oberkleid und einen pelzgesäumten Schleier, der ihr Gesicht größtenteils beschattet, was dem Mädchen einen Ausdruck melancholischen Sinnens verleiht. Auf dem Untersatzbogen eine zeitgenössische Bezeichnung in Feder: „Le prince fecit 1780“. Links unten mit dem Stempel der Galerie Cailleux, Paris.

Jean-Baptiste Le Prince. Ein kalmückischer Bogenschütze. Schwarze Kreide. 46 x 33,9 cm. 1760. Privatsammlung USA.

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11.

jean-baptiste le prince (1734 Metz – 1781 Saint-Denis-du-Port)

Full-length Portrait of a Woman in Traditional Russian Dress Facing Right. Red chalk. 34.5 x 19.5 cm. Monogrammed at bottom right: “LP”. Jean-Baptiste Le Prince is mainly known for two different historical achievements. He is considered to be the inventor of the aquatint printing technique and was also the initiator in France of a short-lived craze for „Russerie“, which competed with the then prevailing vogues of “Chinoiserie” and “Turquerie”. Le Prince had set off for Russia in 1757 and remained there until 1762, travelling in regions where few western voyagers had ventured before. During his stay he produced countless studies and sketches of scenes from Russian life, which, after his return to Paris and his admission to the Académie, were to form the basis of his art so to speak. Most of these russeries were meticulously executed genre scenes – paintings, drawings and aquatints – whose exotic choice of subject and attention to ethnographic and anecdotal detail made them very popular. The present sheet is stylistically related to two drawings, one of which is in the collection of the Yale University Art Gallery, New Haven (see Suzanne Boorsch, John Marciari, Master Draw-

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ings from the Yale University Art Gallery, New Haven 2006, No. 68, pp. 203–205) and the other – dated 1760 – in a private American collection. Common to all three drawings is a similar compositional mise-en-page. The individual figures dominate the picture plane, and the artist deliberately dispenses with a detailed landscape as background or any genre-type minutiae. The sweeping and masterly chalk technique and the hatching patterns used are reminiscent of Le Prince’s mentor, François Boucher. Moreover, the attentive drawing style suggests that these studies were done directly from life. In our drawing the figure of the young woman in traditional Russian dress exudes serenity and a statuesque monumentality. She wears a long outer garment closed over the bust and a fur-lined veil which leaves most of her face in shadow, giving her an air of pensive melancholy. With a contemporary inscription in pen on the mount: “Le prince fecit 1760”. With the stamp of the Galerie Cailleux, Paris.


Jean-Baptiste Le Prince. Seated Kalmuck Warrior. Black chalk. 41.3 x 25.4 cm. Circa 1760. Yale University Art Gallery, New Haven.

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12.

julien de parme (1736 Cavigliano – 1799 Paris)

Jupiter, in den Armen der Juno eingeschlafen. Federzeichnung in Braun; Einfassungslinie in brauner Feder. 24, 2 x 18,8 cm (Darstellungsgröße) auf 39,1 x 29 cm (Blattgröße). Monogrammiert, datiert und eigenhändig bezeichnet: „Iliade XIV / J. 1772 / Fait d’après le Tableau“. Über die wahre Identität und den persönlichen Werdegang des Julien de Parme sind viele widersprüchliche Informationen im Umlauf, da der 1736 im Tessiner Ort Cavigliano geborene Künstler schon im frühen 19. Jahrhundert häufig mit dem französischen Maler Simon Julien (1735–1800) verwechselt wurde. Wir kennen nicht einmal mit Sicherheit seinen eigentlichen Namen und auch die Umstände, unter denen er aufwuchs, entziehen sich größtenteils unserem Wissen. Pierre Rosenberg gebührt das Verdienst, mehr Licht in die Dunkelheit gebracht zu haben. In dem 1999 veröffentlichten Ausstellungskatalog Julien de Parme (Rancate/Mamiano di Traversetilo, 1999–2000) zeichnet er auf einprägsame und geistvolle Weise den Lebensweg dieses begabten, jedoch so wenig vom Glück bedachten Malers nach; eine umfassende Monographie über Leben und Wirken des Julien de Parme steht jedoch bis auf den heutigen Tag noch aus. Auch Juliens wenige Jahre nach seinem Tod veröffentlichte Autobiographie trägt nur teilweise zur Aufklärung der Faktenlage bei. Die bewahrt gebliebenen Briefe lassen auf eine gebildete, jedoch etwas eigenbrötlerische Persönlichkeit schließen, die Zeit ihres Lebens mehr oder weniger ein Einzelgänger blieb. Ein Zeitgenosse Juliens, der schwedische Bildhauer Johan Tobias Sergel, bezeichnete seinen Kollegen als „Julien, genannt den Philosophen“. Sicher ist, daß Julien um 1747 in sehr jugendlichem Alter nach Frankreich auswanderte, wo er bis 1759 leben sollte.

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Es folgte ein längerer Verbleib in Rom, der von 1760 bis 1773 währte. Nach einem kurzen Aufenthalt in Venedig ließ Julien sich schließlich im Sommer 1773 endgültig in Paris nieder, wo er 1799 völlig verarmt starb. Auch Juliens Anfänge als Maler waren von großer materieller Sorge überschattet. Er lebte im Sommer 1756 in dürftigen Verhältnissen in Paris und wurde von der dortigen Künstlerschaft nicht aufgenommen. Erst in Italien nahm seine Karriere eine glücklichere Wendung. Durch die persönliche Förderung Guillaume Du Tillots, des mächtigen und überaus kultivierten Ersten Ministers des Herzogtums Parma, konnte Julien sich ohne finanzielle Sorgen der Ausübung seiner Kunst in Rom widmen, obwohl er auch hier zurückgezogen lebte. Er befaßte sich während der römischen Jahre intensiv mit dem Studium der Antike und der Kunst Raphaels und hegte eine grenzenlose Verehrung für sein Idol Anton Raphael Mengs. Als Danksagung gegenüber der Stadt, die ihm eine jährliche Pension ermöglicht hatte, nannte Julien sich seit 1773 Julien de Parme. Sein Mäzen Tillot fiel jedoch 1771 politischen Intrigen zum Opfer und wurde entmachtet, wodurch Julien sich seines Stipendiums beraubt sah. Er brach 1773 erneut nach Paris auf, in der Hoffnung seine künstlerische Laufbahn hier fortsetzen zu können. Obwohl ihm anfangs einzelne Aufträge zufielen, erwies sich das Leben in Paris zusehends als schwierig. Juliens widerspenstiger Charakter und seine abfällige Meinung über die Werke seiner Pariser Kollegen standen seiner gesellschaftlichen Akzeptanz im Wege und führten schließlich dazu, daß ihm 1780 der Zutritt zur Académie Royale verweigert wurde. Dieser eklatante Mißerfolg bedeutete einen weiteren Wendepunkt in Juliens Leben. Er hielt sich in der Folgezeit nur mühsam mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser und gab 1790 die Malerei völlig auf.


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Die vorliegende Zeichnung entstand nach dem verlorengegangenen Gemälde Jupiter, in den Armen der Juno eingeschlafen, das Julien de Parme 1772 in Rom für den russischen Fürsten Nikolai Galitzin geschaffen hatte. Als dieser jedoch seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkam, wurde das Werk schließlich 1782 von dem Herzog von Nivernais erworben. Die mythologische Komposition mit lebensgroßen Figuren fand allgemeine Anerkennung; Johan Tobias Sergel äußerte sich sehr lobend und fertigte eine Skizze nach dem Gemälde an, das Julien in seinem Atelier der römischen Öffentlichkeit vorgeführt hatte. Dieser unverhoffte Publikumserfolg veranlaßte Julien 1776 in Paris dazu, einen Reproduktionsstich nach dem Gemälde anfertigen zu lassen, wohl in der Hoffnung, auf diese Weise eine weitere finanzielle Einnahmequelle erschließen zu können. Zum großen Mißfallen des Künstlers zog sich die Arbeit jedoch dermaßen in die Länge, daß erst 1779 eine Auflage des Kupferstichs erschien. Der kommerzielle Erfolg der von Guillaume-Philippe Benoist gestochenen Nachbildung muß gering gewesen sein, denn das Blatt ist selten und wurde offenbar nur in einer kleinen Auflage gedruckt. Die Frage, ob Juliens Federzeichnung im Zusammenhang mit diesem Reproduktionsstich entstanden ist, läßt sich nicht eindeutig beantworten; vieles deutet daraufhin, daß es sich eher um einen ricordo des Künstlers handeln dürfte. Das Blatt ist in einem freien und lockeren zeichnerischen Duktus ausgeführt

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und atmet die Spontaneität einer Entwurfsskizze. Als Vorlage für einen Kupferstecher dürfte die Zeichnung somit kaum geeignet gewesen sein. Wiedergegeben ist eine berühmte, jedoch künstlerisch nur selten dargestellte Episode aus dem vierzehnten Buch der Ilias. Juno, die Schutzgöttin der Trojaner, versucht ihren Gatten Jupiter vom Kriegsgeschehen abzulenken. Sie verführt ihn mit Hilfe des Zaubergürtels der Venus und überredet Hypnos, Jupiter nach der Liebestat in Schlaf zu versetzen. Julien hat das Geschehen auf originelle und sehr spirituelle Weise interpretiert. Die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters ist auf das unfreiwillige Liebespaar gelenkt, das die Komposition beherrscht. Die jugendliche und verführerische Juno blickt den Betrachter fast komplizenhaft an, während der überlistete und notorisch treulose Gatte in Schlummer versunken ist. Die mit leiser Ironie vorgetragene Botschaft lautet, daß nicht der virile Obergott Jupiter, sondern eine Frau die Geschicke Trojas bestimmt. Klassizistische Eleganz und eine subtile Dramaturgie verbinden sich zu einer Schöpfung von großem künstlerischen Reiz. Fehlendes Talent dürfte nicht die Ursache für die Mißgeschicke in Juliens Künstlervita gewesen sein, vielmehr muß eine Mischung aus Pessimismus, charakterlicher Kompromißlosigkeit oder auch Unfähigkeit zum Opportunismus den Ausschlag gegeben haben, und man empfindet unwillkürlich Sympathie für diesen von der Geschichte so ungnädig behandelten Einzelgänger.


G. Ph. Benoist. Jupiter endormi dans les bras de Junon. Engraving. 50 x 36.5 cm. Le Blanc 2 II.

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12. julien de parme (1736 Cavigliano – 1799 Paris)

Jupiter Asleep in the Arms of Juno. Pen and brown ink; pen and brown ink framing lines. 24.2 x 18.8 cm (image size) on 39.1 x 29 cm (sheet size). Monogrammed, dated and inscribed in the artist’s own hand: “Iliade XIV / J. 1772 / Fait d’après le Tableau.” A good deal of contradictory information is in circulation regarding the true identity and personal career of Julien de Parme, as already in the early 19th century the artist – who was born in 1736 in Cavigliano, Ticino – was often confused with the French painter Simon Julien (1735–1800). We cannot even be sure of his real name, and the circumstances of his upbringing are also largely unknown. Pierre Rosenberg deserves the credit for shedding some light on the darkness. In the exhibition catalogue entitled Julien de Parme (Rancate / Mamiano di Traversetilo, 1999–2000) he gives a lucid and authoritative account of the career of this gifted painter who was so dogged by ill luck, although we still await a comprehensive monograph on the life and work of Julien de Parme. Even Julien’s autobiography, published a few years after his death, is of limited help in clarifying the facts. The surviving letters reveal an educated, if somewhat eccentric personality who remained more or less a loner all his life. A contemporary of Julien’s, the Swedish sculptor Johan Tobias Sergel, referred to his colleague as “Julien, known as the philosopher”. What is certain is that at a very early age, i.e. in or around 1747, Julien emigrated to France, where he was to live until 1759. This was followed by a lengthy stay in Rome, lasting from 1760 to 1773. In summer 1773, after a brief sojourn in Venice, Julien finally settled in Paris for good, where he died destitute in 1799. Julien’s beginnings as a painter were overshadowed by material needs. In the summer of 1756 he was living in straitened circumstances in Paris and was not admitted to the artistic circles there. Only after he returned to Italy did his career take a turn for the better. Thanks to the personal patronage of Guillaume Du Tillot, the powerful and highly cultivated First Minister of the Duchy of Parma, Julien was able to devote himself to the practice of his art in Rome without any financial worries, although there too he lived the life of a recluse. During his Roman years he engaged in an intensive study of classical antiquity and the art of Raphael, developing a boundless admiration for his idol, Anton Raphael Mengs. As a token of gratitude to the town which had granted him an annual pension, Julien called himself Julien de Parme from 1773 onwards. In 1771, however, his patron Du Tillot fell a victim to political intrigues and was toppled from power, leaving Julien deprived of his stipend. In 1773 he set off again for Paris in the hope of continuing his artistic career there. Although he got occasional commissions at first, life in Paris proved increasingly difficult. Julien’s stubborn

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character and derogatory opinion of the works of his Parisian colleagues stood in the way of his social acceptance and ultimately led to his being refused admission to the Académie Royale in 1780. This spectacular failure marked another turning point in Julien’s life. Thereafter he just about kept his head above water by doing odd jobs, but in 1790 he abandoned painting altogether. The present drawing was done after the lost painting Jupiter Asleep in the Arms of Juno, which Julien de Parme had executed in Rome for the Russian Prince Nikolai Galitzin in 1772. The latter failed to pay up, however, and the work was finally acquired by the Duc de Nivernais in 1782. The mythological composition with life-size figures met with general recognition. Johan Tobias Sergel was very generous with his praise and made a sketch after the painting, which Julien had put on display in his studio where it could be seen by interested members of the Roman public. This unexpected public favour induced Julien to have a reproductive engraving made after the painting in 1776, no doubt in the hope of creating a supplementary source of income. To the artist’s great displeasure, however, the work proceeded at such a slow pace that it was 1779 before an edition of the engraving appeared. The commercial success of the engraving made by Guillaume-Philippe Benoist must have been slight, as the print is rare and was evidently only published in a small edition. The question as to whether Julien’s pen drawing was done in connection with this reproductive engraving cannot be answered explicitly, although it seems more plausible that it served the artist as a ricordo. The sheet is executed in a free and fluent drawing style with all the spontaneity of a draft sketch, so it may not have been suitable as a model for the engraver. The scene is a famous, albeit seldom illustrated episode from the fourteenth book of the Iliad. Juno, the protective goddess of the Trojans, is trying to divert the attention of her consort, Jupiter, from how the war is going. She seduces him with the aid of a magic girdle belonging to Venus and persuades Hypnos to put Jupiter to sleep after the act of love. Julien has interpreted the incident in an original and very spiritual way. The beholder’s attention is focused fully on the involuntary lovers, who dominate the composition. The youthful and seductive Juno looks at the beholder almost with complicity, while her duped and notoriously unfaithful spouse is sunk in a deep slumber. The ironical message is that it is not Jupiter, the virile King of the Gods, but a woman who is guiding the destinies of Troy. Classicist elegance and a subtle dramaturgy combine to create a work of great artistic appeal. Lack of talent cannot have been the reason for the vicissitudes of Julien’s artistic career, which were more likely due to a mixture of melancholy, an uncompromising character, and an instinctive aversion to opportunism, and one cannot help feeling sympathy for this lone wolf whom history treated so shabbily.


Julien de Parme. Self-portrait. Oil on canvas. 1777. Paris, MusĂŠe du Louvre.

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13. joseph benoît suvée

joseph benoît suvée

(1743 Brügge – 1807 Rom).

(1743 Bruges – 1807 Rome)

Weibliche Kopfstudien. Zwei farbige Kreidezeichnungen auf bräunlichem Papier. Je ca 20,2 x 25,2 cm. Ein Blatt signiert: „Suvée“. Um 1770.

Female Head Studies. Coloured chalks on brownish paper, each sheet measuring circa 20.2 x 25.2 cm. One sheet signed: “Suvée”. Circa 1770.

Der Historien- und Bildnismaler Joseph Benoît Suvée ist ein typisches Beispiel eines jener Künstlerschicksale, die zu Lebzeiten in Überfluß Ruhm und Anerkennung ernten, jedoch nach ihrem Tod bald in Vergessenheit geraten. Suvée durchlief in Frankreich eine bemerkenswerte Karriere: Er trat 1763 an der Pariser Akademie bei Jean-Jacques Bachelier in die Lehre und gewann im Sommer 1765 die Silbermedaille dieser angesehenen Lehranstalt. Suvées Prestige wird durch die Tatsache belegt, daß kein Geringerer als Chardin lediglich die Bronzemedaille erhielt. Im Jahre 1771 verbuchte Suvée einen weiteren Achtungserfolg, indem er, im künstlerischen Wettstreit mit Jacques Louis David, mit seinem Gemälde Minerva kämpft mit Mars (Lille, Palais des Beaux-Arts) den vielbegehrten Prix de Rome errang. Von 1772 bis Mai 1778 studierte der ehrgeizige Künstler als Pensionär in Rom bei Natoire und Vien. Suvée wurde 1780 als Mitglied der Académie Royale aufgenommen und erhielt dort 1792 eine Professur. Obwohl er bereits im selben Jahr zum Direktor der Académie de France in Rom ernannt wurde, konnte er dieses prestigiöse Amt erst 1801 antreten.

The fate of Joseph Benoît Suvée, a portraitist and painter of historical scenes, is typical of those artists who enjoyed abundant fame and recognition during their lifetime only to fall into oblivion soon after their death. Suvée had a remarkable career in France. In 1763 he began to study at the Paris Academy under Jean-Jacques Bachelier and in the summer of 1765 won the silver medal of that august place of learning. It is a measure of Suvée’s achievement that the bronze medal went to no less a figure than Chardin. In 1771 Suvée scored another succès d’estime when he triumphed over Jacques Louis David in winning the coveted Prix de Rome for his painting The Battle between Minerva and Mars (Lille, Palais des Beaux-Arts). From 1772 to May 1778 this ambitious artist studied as a pensionnaire under Natoire and Vien in Rome. In 1780 Suvée was admitted as a member of the Académie Royale, where he was given a professorship in 1792. Although he was appointed director of the Académie de France in Rome the same year he was not able to exercise that prestigious office until 1801.

Als Maler hat Suvée eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung des französischen Kunstgeschmacks, ergo des neoklassizistischen Stilidioms, in seinem Geburtsland Flandern gespielt. Die beiden reizvollen Studienblätter repräsentieren eine frühere Stilphase, in der Suvée noch wesentlich durch einen, vom französischen Rokoko geprägten Klassizismus beeinflußt war. Auch die subtile Zeichentechnik aux trois crayons macht klar, wie viel Suvée seinen französischen Lehrmeistern verdankte. Die Blätter gewinnen zusätzlichen Reiz durch ihre originelle mise en page. Suvée hat die anmutigen Mädchenköpfe auf einfühlsame und spirituelle Art gezeichnet und der Wiedergabe der unterschiedlichen Haartrachten große Aufmerksamkeit geschenkt. Die sanfte Anmut, die diese Geschöpfe ausstrahlen, erinnert an den verfeinerten Klassizismus der Angelika Kauffmann. Die wohl aus einem Skizzenbuch stammenden Studien dürften am Anfang der 1770er Jahre entstanden sein. Eines der Mädchenköpfe zeigt deutliche Analogien mit der hübschen Nymphe, welche den verletzten Mars auf Suvées Prix de Rome-Gemälde fürsorglich in ihre Arme nimmt.

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As a painter Suvée was largely instrumental in spreading French artistic taste – that is to say the Neoclassicist style – to his native Flanders. These two charming study sheets represent an earlier stylistic phase, in which Suvée was still very much under the influence of a French Rococo-inspired Classicism. The subtle drawing technique aux trois crayons also makes clear how much Suvée owed to his French teachers. The original mise-en-page gives the sheets additional charm. Suvée has drawn these delightful heads with tenderness and sensitivity, paying great attention to the different coiffures. The gentle sweetness radiated by these female features is reminiscent of the refined Classicism of Angelika Kauffmann. It is probable that the studies originated in a sketchbook and were executed in the early 1770s. One of the girl’s heads shows clear points of resemblance with the lovely nymph who protectively takes the wounded Mars in her arms in Suvée’s Prix de Rome painting.


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14.

adrian zingg

adrian zingg

(1734 St. Gallen – 1816 Leipzig)

(1734 St. Gallen – 1816 Leipzig)

Gebirgige Landschaft mit einer großen Eiche, im Vordergrund zwei rastende Wanderer. Federzeichnung in Braun über einer leichten Graphitvorzeichnung, braun laviert. 61,5 x 45 cm. Um 1800.

Mountain Landscape with a Large Oak and Two Travellers Resting in the Foreground. Pen and brown ink, brown wash, over a light preliminary drawing in graphite. 61.5 x 45 cm. Circa 1800.

Das trotz seines ansehnlichen Formats mustergültig erhaltene Blatt ist ein charakteristisches Beispiel des Spätstils Zinggs und veranschaulicht die Vorzüge seiner Zeichenkunst auf eindrucksvolle Weise. Eine majestätische Eiche mit weit ausladendem Geäst und Laub dominiert den Bildausschnitt. Im Hintergrund gewahrt der Betrachter die Umrisse eines Gebirges, rechts vorne rasten zwei Wanderer im Gras. Zingg vereinigt Größe der künstlerischen Anschauung mit liebevoller Aufmerksamkeit für das Detail. Die Pflanzen und Kräuter im Vordergrund, der Efeu, der sich am Baumstamm emporrankt und die Blätter der Eiche sind in einer akkuraten und pointierten Technik wiedergegeben. Diese Kleinteiligkeit tut dem Stimmungsgehalt der Darstellung jedoch keineswegs Abbruch. Zinggs Landschaftsimpression, die nicht nach der Natur, sondern aus dem Gedächtnis gezeichnet sein dürfte, enthält ein hohes Maß an Naturlyrik, welche die romantische Landschaftskonzeption des Caspar David Friedrich vorwegnimmt.

Perfectly preserved despite its considerable size, this drawing is a characteristic example of Zingg’s late style and impressively illustrates his graphic bravura. A majestic oak with widely spreading branches and abundant foliage dominates the scene. In the background the viewer discerns the outlines of a mountain range, while in the right foreground two travellers are resting in the grass. Zingg combines a sweeping artistic vision with a loving attention to detail. The plants and herbs in the foreground, the ivy winding its way up the tree trunk and the leaves of the oak are rendered with painstaking accuracy. This concern with detail, however, in no way vitiates the mood of the portrayal. Zingg’s landscape impression, which was probably drawn not from nature but from memory, is imbued with a high degree of nature lyricism that anticipates the Romantic landscapes of Caspar David Friedrich.

Der gebürtige Schweizer Adrian Zingg war nach Lehrjahren in seiner Heimat 1759 nach Paris übergesiedelt, wo er bis 1766 leben und arbeiten sollte. Hier machte er die nachhaltige Bekanntschaft des um eine Generation älteren Johann Georg Wille, der sich des jungen Künstlers annahm und ihn in die Pariser Künstlerszene einführte. In der französischen Hauptstadt war Zingg vor allem als Reproduktionsstecher tätig und erwarb sich auf diesem Gebiet einen derart großen Namen, daß er 1766 als Lehrer für Kupferstecherkunst an die neugegründete Dresdner Akademie berufen wurde. Zingg freundete sich in der neuen Heimat mit Christian Wilhelm Ernst Dietrich und dem ebenfalls aus der Schweiz stammenden Anton Graff an, mit dem er bereits im Sommer 1766 eine erste Fußwanderung durch das nahegelegene Elbsandsteingebirge unternahm. In den folgenden Jahren erkundete Zingg nicht nur die Landschaft Sachsens systematisch, sondern bereiste auch Böhmen, Thüringen und Brandenburg. Der riesige Fundus an Naturstudien, die auf diesen Expeditionen entstanden, bilden das eigentliche Substrat seiner Kunst und begründeten seinen Ruf als Landschaftler. Die öffentlichen Auszeichnungen, die dem Künstler im Laufe der Jahre zuteil wurden, entsprechen diesem Renommee. 1769 ernannte ihn die Wiener Akademie zum auswärtigen Mitglied, 1787 folgte die Mitgliedschaft der Berliner Akademie. Im Jahre 1803 erhielt Zingg die Professur für Landschaftszeichenkunst an der Dresdner Akademie und hat auf diese Weise die Entwicklung der romantischen Landschaftsmalerei indirekt mitbestimmt.

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In 1759, having completed his apprenticeship in his native Switzerland, Adrian Zingg moved to Paris, where he was to live and work until 1766. Here he made the lasting acquaintance of Johann Georg Wille, who was a generation older than himself. Wille took the young artist under his wing and introduced him to the Parisian artistic scene. In the French capital Zingg was mainly active as a reproductive engraver, making such a name for himself in this field that in 1766 he was appointed to teach engraving at the newly founded Dresden Academy. In his new home Zingg became friends with Christian Wilhelm Ernst Dietrich and Anton Graff, a fellow Swiss. With Graff he undertook his first hike through the nearby Elbsandsteingebirge – a low mountain range on both sides of the River Elbe– in the summer of 1766. In the following years Zingg not only systematically explored the Saxon landscape, but also travelled through Bohemia, Thuringia and Brandenburg. The huge fund of nature studies he made in the course of these expeditions constitute the real basis of his art and established his reputation as a landscape painter. The public distinctions the artist accumulated over the years reflected his renown. In 1769 the Vienna Academy appointed him a corresponding member, and in 1787 he became a member of the Berlin Academy. In 1803 Zingg was appointed to the Chair of Landscape Drawing at the Dresden Academy, which enabled him to play an important role in the development of Romantic landscape painting.


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15. pietro benvenuti (1769 Arezzo – 1844 Florenz)

Aktstudie eines antiken Kriegers mit erhobenem linkem Arm, mit der Rechten sich auf einen Felsblock stützend. Pastell. 63 x 46,2 cm. Um 1817–29. Pietro Benvenuti zählt gemeinsam mit Vincenzo Camuccini zu den bedeutendsten Vertretern des italienischen Neoklassizismus. Er war eine frühreife Begabung und in seinem Werk spiegeln sich die unterschiedlichsten stilistischen Anregungen wider. Bereits im Alter von zwölf Jahren studierte Benvenuti an der Akademie von Florenz, wo er unter anderem von Giuseppe Piattoli ausgebildet wurde. Nach Abschluß seiner Lehrjahre ging Benvenuti 1792 nach Rom. Hier betrieb er ein eingehendes Studium der Werke von Raphael und Michelangelo und wurde von der Kunst des Asmus Jakob Carstens und dem Neoklassizismus des Jacques Louis David geprägt. Benvenuti nahm intensiv am künstlerischen Leben der Stadt teil. Er war ein regelmäßiger Gast des Salons der Angelika Kauffmann, unterhielt enge freundschaftliche Beziehungen zu Vincenzo Camuccini und Antonio Canova und verkehrte mit in Rom tätigen ausländischen Künstlern wie Bertel Thorvaldsen und Christian Gottlieb Schick. In den römischen Jahren gehörte Benvenuti außerdem der Accademia dei Pensieri an, einer von Felice Giani gegründeten Arbeitsgemeinschaft junger Künstler, die in der Privatwohnung Gianis in der Via di Ripetta beheimatet war und zu deren weiteren Mitgliedern Camuccini, Luigi Sabatelli und Giuseppe Bossi zählten. Es handelte sich um eine Art von privater Zeichenakademie, in der sich aufstrebende Talente in künstlerischem Wettstreit an von Giani bestimmten Themen schulten. Benvenuti brachte es bald zu großem Ansehen und Erfolg, was durch eine eindrucksvolle Reihe von öffentlichen Aufträgen dokumentiert wird. Seit 1803 hatte der Künstler einen Lehrstuhl für Malerei an der Akademie von Florenz inne und wurde 1807

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zu deren Direktor ernannt. In dieser Funktion verhalf er der neoklassizistischen Malerei in Florenz zum Durchbruch und erhob das von ihm vertretene akademische Kunstideal zur dominierenden Stilrichtung. Nach dem 1809 erfolgten Regierungsantritt von Elisa Baciocchi-Bonaparte als Großherzogin von Toskana war Benvenuti auch für einige Jahre als Hofmaler in Florenz tätig. Zu den bedeutendsten Aufträgen, die Benvenuti in Florenz zuteil wurden, zählen die Fresken für den Herkulessaal im Palazzo Pitti, die der Künstler zwischen 1817–1829 im Auftrag des Großherzogs Ferdinand III. von Habsburg-Lothringen ausführte (Abb. S. 51). Die monumentalen Malereien sind in einem akademischen Idiom ausgeführt, in dem sich Anleihen an Raphael und die Carracci-Schule mit Stilelementen des David’schen Neoklassizismus verbinden. Benvenuti war ein produktiver Zeichner, der die Kompositionen seiner Gemälde und Fresken durch zahlreiche Vorstudien akkurat und gewissenhaft vorbereitete. Bei der Mehrzahl dieser Studienarbeiten handelt es sich um Bleistift- oder Kreidezeichnungen, die in einer klaren, linearen Formsprache behandelt sind. Farbige Arbeiten wie die vorliegende Pastellstudie, die in Zusammenhang mit den Dekorationen für den Palazzo Pitti entstanden sein dürfte, sind dagegen sehr selten und zeigen einen weitaus lebendigeren, weniger eklektischen Aspekt seiner Kunst. Treffsicher und dynamisch hat Benvenuti die Anatomie des nackten Kriegers charakterisiert. Der aufwärts strebende linke Arm verdeckt den Kopf des Mannes, der einen von einem Adler gekrönten, antiken Zierhelm trägt. Der Schmelz der Oberflächenbehandlung und das warme, weiche Licht verleihen der Darstellung einen fast barokken Impetus. Benvenutis flüssiger, tonaler Zeichenstil erinnert an die Figurenstudien des Gaetano Gandolfi und veranschaulicht, wie sehr sein Klassizismus auch der Bologneser Tradition verbunden war.


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15. pietro benvenuti (1769 Arezzo – 1844 Florence)

Nude Study of an Ancient Warrior with Left Arm Raised and Right Arm Resting on a Boulder. Pastel. 63 x 46.2 cm. Circa 1817–29. Together with Vincenzo Camuccini, Pietro Benvenuti is one of the outstanding representatives of Italian Neoclassicism. He had a precocious talent, and his work reflects a very wide range of stylistic impulses. By the time he was twelve Benvenuti was studying at the Academy in Florence, where his teachers included Giuseppe Piattoli. Upon completing his apprenticeship in 1792 Benvenuti went to Rome, where he made a thorough study of the works of Raphael and Michelangelo and was influenced by the art of Asmus Jakob Carstens and the Neoclassical style of Jacques Louis David. Benvenuti took an intensive part in the city’s artistic life: he was a regular guest at the salon of Angelika Kauffmann, maintained close friendly relations with Vincenzo Camuccini and Antonio Canova, and had contacts with foreign artists working in Rome, such as Bertel Thorvaldsen and Christian Gottlieb Schick. In his Roman years Benvenuti also belonged to the Accademia dei Pensieri, an association of young artists founded by Felice Giani, which met at Giani’s home in the Via di Ripetta and whose other members included Camuccini, Luigi Sabatelli and Giuseppe Bossi. It amounted to a kind of private drawing academy in which up-and-coming talents honed their skills in artistic competition among themselves on themes chosen by Giani. Benvenuti soon achieved fame and fortune, as can be seen from his impressive number of public commissions. In 1803 the artist was appointed professor of painting at the Florence Academy

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and became its director in 1807. In this capacity he helped Neoclassicist painting achieve a breakthrough in Florence and made his preferred academic artistic ideal the dominant style. After Napoleon appointed his sister, Elisa Baciocchi-Bonaparte, Grand Duchess of Tuscany in 1809, Benvenuti became court painter in Florence for a few years. Among Benvenuti’s most important Florence commissions are the frescoes for the Hall of Hercules in the Palazzo Pitti, which the artist did between 1817 and 1829 for Grand Duke Ferdinand III of Habsburg-Lorraine. These monumental paintings are executed in an academic idiom that combines borrowings from Raphael and the Carracci school with stylistic elements of Davidian Neoclassicism. Benvenuti was a prolific draughtsman who produced numerous preliminary studies for the compositions of his paintings and frescoes. Most of these studies are pencil or chalk drawings done in a clear linear style. On the other hand, works in colour like the present pastel, which probably arose in connection with the decorations for the Palazzo Pitti, are very rare and reveal a much livelier, less eclectic aspect of his art. Benvenuti has modelled the anatomy of this naked warrior accurately and dynamically. The raised left arm covers the head of the man, who wears an ancient ornamental helmet surmounted by an eagle. The lustre of the surface treatment and the warm, soft light give the portrayal an almost Baroque thrust. Benvenuti’s fluid, tonal drawing style is reminiscent of the figure studies of Gaetano Gandolfi, which shows that he also owed much to the Bolognese Classicist tradition.


Pietro Benvenuti. Hercules Fighting the Centaurs. Fresco painting. Florence, Palazzo Pitti.

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16.

johann jakob dorner d. j. (1775–1852 München)

Ein Bauerngehöft an einem Gebirgsbach. Aquarell über einer leichten Bleistiftvorzeichnung, weiße Pastellkreide. 21 x 27,5 cm. Signiert und datiert: „Dorner 1833“. Die intime Landschaftsimpression besticht durch ihren koloristischen Feinsinn und ihre vollkommene Erhaltung. Die subtil abgestufte Farbgebung hat nichts von ihrer ursprünglichen Frische verloren und schafft ein Höchstmaß an atmosphärischer Wahrhaftigkeit. Mit sanften Grün, Braun- und Grautönen hat Dorner die Eigenart des herbstlichen Laubes und des Terrains einfühlsam charakterisiert. Für die Wiedergabe des schäumenden, frischen Wassers eines kleinen Gebirgsbaches hat der Künstler weiße Pastellkreide benutzt, die unversehrt und pulverartig auf dem Paper aufliegt. Aus dem Kamin eines malerischen Bauernhofes kringelt feiner Rauch zum Himmel empor. Dorners Beherrschung der Aquarelltechnik ist von großer handwerklicher Raffinesse. Das dunkle Grau des Rauches ist um einige Nuancen kräftiger als das reich modulierte Grauweiß des imposanten Wolkengebildes am Himmel, und erscheint somit wundervoll flüchtig und naturgetreu. Auf der kleinen Holzbrücke sind die Umrisse eines Wanderers mit zarten Bleistiftlinien kaum sichtbar angedeutet. Dorner verzichtete letztendlich jedoch auf diese genrehafte Zutat, wodurch die Darstellung erheblich an Stimmungsgehalt gewinnt. Auf diese Weise entsteht ein Naturabbild von stiller Größe, zeitlos in seiner andächtigen Wiedergabe des Wechsels der Jahreszeiten. Johann Jakob Dorners recht langes und wechselvolles Leben war durch Achtungserfolge, aber gleichzeitig auch durch viele persönliche Mißgeschicke gekennzeichnet. Dorner war eine ausge-

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sprochene Frühbegabung. Bereits im Alter von sechs Jahren bekam er künstlerischen Unterricht von seinem Vater Johann Jakob d. Älteren (1741–1813). Nach Abschluß seines Schulstudiums wandte er sich ab 1796 gänzlich der Landschaftsmalerei zu. Auf Studienreisen durch Bayern, Österreich, Frankreich und Italien schärfte er seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet und wurde vor allem durch das Studium Claude Lorrains und der niederländischen Meister des 17. Jahrhunderts entscheidend in seiner Entwicklung geprägt. Seit 1803 war Dorner in München als Landschaftsmaler, Zeichner und Graphiker tätig und erhielt 1808 eine Ernennnung zum Inspektor der dortigen Galerie. Sein künstlerisches Wirken wurde 1818 durch eine Augenkrankheit unterbrochen, die erst 1822 geheilt wurde. Es begann eine zweite Schaffensperiode, die jedoch von einer erneuten Erkrankung an schwarzem Star beeinträchtigt wurde, welche Dorners Sehfähigkeit endgültig einschränkte. Ein weiterer Schicksalsschlag ereignete sich 1843, als der Künstler infolge eines Schlaganfalls halbseitig gelähmt wurde und seine Stellung als bayerischer Kunstbeamter verlor. Offenbar verfügte Dorner über ein starkes Naturell und einen ausgeprägten Überlebenswillen, denn es gelang ihm erneut, sich von diesem Leiden zu erholen und bis zu seinem Tod im Jahre 1852 künstlerisch tätig zu sein. Namentlich in seinem Spätwerk befreit Dorner sich aus der Abhängigkeit einer idealistischen, von Claude Lorrain geprägten Landschaftstradition und wendet sich einer spontaneren Naturbeobachtung zu, die in ihrer zeichnerischen Frische und in der subtilen Erfassung von Licht und Atmosphäre an die Werke seines großen Malerkollegen Johann Georg von Dillis erinnert. Aus der Sammlung Johann Nepomuk Seiler. Auf der originalen, zeitgenössischen Sammlermontierung.


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johann jakob dorner the younger

16.

(1775–1852 Munich)

Farm by a Mountain Stream. Watercolour over a light preliminary drawing in pencil, white chalk. 21 x 27.5 cm. Signed and dated: “Dorner 1833”. This intimate landscape impression owes its charm to its subtle colourism and perfect preservation. The finely graduated colours have lost none of their original freshness, creating a maximum of atmospheric verisimilitude. Using gentle greens, browns and grays, Dorner has sensitively captured the unique features of the autumnal foliage and terrain. To render the fresh, foaming waters of the little mountain stream the artist has employed white pastel chalk which lies on the paper in intact powdered form. A fine column of smoke rises heavenwards from the chimney of a picturesque farmhouse. Dorner’s mastery of watercolour technique involves very fine craftsmanship. The dark gray of the smoke is a few shades deeper than that of the richly modulated grayish white of the imposing cloud formation in the sky, making it appear wonderfully transient and true to life. The outlines of a traveller drawn with faint pencil lines are barely visible on the little wooden bridge. Yet in the end Dorner dispensed with this genre-like staffage figure, thus enhancing the solitary mood of the scene. The result is a nature study of silent grandeur, timeless in its reverent rendering of the changing seasons. Johann Jakob Dorner’s very long and eventful life was marked by many a succès d’estime, but also by many personal misfortunes. His was a very precocious talent. By the age of six he was receiv-

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ing artistic instruction from his father, Johann Jakob the Elder (1741–1813). From 1796 onwards, after completing his schooling, he devoted himself entirely to landscape painting. On study trips through Bavaria, Austria, France and Italy he honed his skills in this field, his development being crucially influenced by the study of Claude Lorrain and the 17th century Dutch masters. By 1803 Dorner was active in Munich as a landscape painter, draughtsman and printmaker, being appointed Inspector of the Gallery there in 1808. His artistic activities were interrupted in 1818 by an eye disease that was not cured until 1822. There began a second creative period which, however, was impaired by another attack of amaurosis that caused permanent damage to Dorner’s sight. Fate struck the artist another blow in 1843, when he suffered a stroke that paralysed one side of his body, causing him to give up his post at the Bavarian art gallery. Clearly Dorner had a strong constitution and a stubborn determination to survive, for he again succeeded in recovering from this malady and worked as an artist until his death in 1852. Particularly in his late work Dorner managed to shake off the influence of the idealistic landscape tradition of Claude Lorrain, turning to a more spontaneous observation of nature, which in its graphic freshness and subtle capturing of light and atmosphere is reminiscent of the works of his great fellow-painter Johann Georg von Dillis. From the Johann Nepomuk Seiler Collection. On the original, contemporary collector’s mount.


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17. anselm feuerbach

anselm feuerbach

(1829 Speyer – 1880 Venedig)

(1829 Speyer – 1880 Venice)

Gewandstudie zur „Iphigenie“. Schwarze Kreide mit Weißhöhung auf graugrünem Papier. 39,5 x 26,8 cm. Bezeichnet: „Iphigenie“. Um 1862.

Drapery study for “Iphigenia”. Black chalk, heightened with white, on grayish green paper. 39.5 x 26.8 cm. Inscribed: “Iphigenie”. Circa 1862.

Die sehr fein durchgeführte Gewandstudie entstand um 1862 in Rom als Vorarbeit für die erste Fassung der Iphigenie (Darmstadt, Hessisches Landesmuseum). Als Modell posierte die Schustersfrau Anna Risi, Feuerbachs zeitweilige Lebensgefährtin und die Verkörperung seines klassischen Schönheitsideals. Die Iphigenie ist ein frühes Hauptwerk der römischen Schaffensphase, das erste rein klassische Gemälde Feuerbachs, welches das Sehnsuchtsmotiv aufgreift und sein Streben nach einer von der antiken Geisteswelt geprägten, idealistischen Malerei zum Ausdruck bringt.

This very subtly executed drapery study arose about 1862 in Rome as a preliminary work for the first version of Iphigenia (Darmstadt, Hessisches Landesmuseum). The model was Anna Risi, a cobbler’s wife who embodied Feuerbach’s classical ideal of beauty and was his mistress for some years. Iphigenia is an important early work of Feuerbach’s Roman phase and his first purely classical painting, which takes up the nostalgia motif and expresses his striving for an idealistic style of painting inspired by classical antiquity.

Feuerbach ging bei den Vorbereitungen für seine Gemälde äußerst umsichtig und gewissenhaft vor. Er fertigte zahlreiche Kompositions- und Detailskizzen an, um auf diese Weise zu einer ausgereiften Konzeption zu gelangen. Da der Künstler fortwährend von Zweifeln am eigenen Können geplagt wurde, wurden viele dieser Studien vom ihm vernichtet. Bereits in jugendlichem Alter hatte sich Feuerbachs zeichnerisches Talent offenbart. An der Düsseldorfer Akademie und anschließend in München war er bestrebt gewesen, seinen Zeichenstil durch unendliches Üben weiter zu entwickeln. Auf der Suche nach zeichnerischer Perfektion entschloß sich Feuerbach 1852 bei Thomas Couture in Paris in die Lehre zu gehen. Das systematische und konsequente Zeichnen nach der Natur stand im Mittelpunkt des Unterrichts im Atelier von Couture, und Feuerbachs Zeichenstil verfeinerte sich wesentlich unter dessen Anleitung, wie auch die vorliegende Studie beweist. So sind die effektvolle Kombination von schwarzer und weißer Kreide und die Verwendung von farbigem Papier Stilelemente, die Feuerbach bei Couture erlernte und die er fortan für die Mehrzahl seiner Studien anwenden sollte. Eindrucksvoll zeigt die Gewandskizze, wie andächtig und konzentriert Feuerbach um die vollendete Form rang. Es handelt sich um eine Detailstudie für den Faltenwurf unterhalb des rechten Arms der Iphigenie, der in der gemalten Fassung flüssiger und weicher wirkt. Mit einem spitzen Zeichenstift hat Feuerbach die Umrisse der Draperie definiert; durch eine subtile Wischtechnik erzielt der Künstler weiche Übergänge, während die Weißhöhungen das sanfte Spiel des Lichtes auf dem Stoff wirksam hervorheben.

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Feuerbach used to prepare his paintings in a very conscientious manner, drawing numerous compositional and detail sketches in order to arrive at a mature conception. The artist was constantly plagued by doubts about his own skill and consequently destroyed many such studies. Feuerbach’s talent as a draughtsman emerged at an early age. At the Düsseldorf Academy and later in Munich he strove to develop his drawing style through relentless practice. In 1852 Feuerbach’s search for graphic perfection made him decide to study under Thomas Couture in Paris. In Couture’s studio the emphasis was on systematic and single-minded drawing from nature, and Feuerbach’s drawing technique was considerably refined under the latter’s guidance, as the present study shows. The effective combination of black and white chalk and the use of coloured paper are stylistic elements that Feuerbach learned from Couture and was thereafter to use in most of his studies. This sketch clearly demonstrates how devoted and focused Feuerbach was in his struggle for formal perfection. It is a detailed study for the drapery beneath Iphigenia ’s right arm, which in the painted version makes a softer and more flowing impression. Feuerbach has used a sharp pencil to trace the outlines of the drapery and a refined stumping technique to achieve wonderfully soft transitions, while the white highlights effectively bring out the gentle play of light on the material.


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18.

jean-augustedominique ingres (1780 Montauban – 1867 Paris)

Bildnis der Lady Jane Montagu in ganzer Figur, auf einer antiken Liege ruhend. Radierung, silhouettiert, mit Bleistift und Pinsel in Braun überarbeitet. 34,7 x 46,3 cm. Signiert: „Ingres Del“. Die Genese dieses einzigartigen Kunstwerkes – eine Symbiose aus Radierung und Zeichnung – ist so rätselhaft, wie der Blick der schönen, von Ingres verewigten Lady Jane Montagu. Es handelt sich um das einzig bekannte Exemplar dieser Radierung, die weder bei Delteil noch bei H. Schwarz („Ingres Graveur“, Gazette des Beaux-Arts, Paris 1959, S. 329–342) beschrieben ist. Wir wissen nur wenig über Ingres Tätigkeit als Graphiker. Neben einigen eigenhändigen Lithographien ist lediglich eine Radierung des Künstlers bekannt: das 1816 in Rom entstandene Bildnis des Erzbischofs Gabriel Cortois de Pressigny (Delteil 1, Abb. S. 59). Obwohl dieses Blatt heute allgemein als eine autographe Arbeit Ingres’ betrachtet wird, sind letzte Zweifel bezüglich seiner Autorschaft niemals vollständig ausgeräumt worden. So äußerte Jean Adhémar im Vorwort des Ingres gewidmeten Bandes des Inventaire du Fonds Français die Vermutung, daß dieses Bildnis möglicherweise nicht von der Hand Ingres’ stamme. Die technische Vollendung dieser Radierung ließe sich nur schwerlich mit den ersten Versuchen eines Anfängers in diesem Medium vereinbaren. Möglicherweise käme daher der gleichzeitig in Rom lebende und mit Ingres befreundete Kupferstecher Claude-Marie-François Dien (1787–1865) als Autor des Bildnisses in Frage. Man kann sich aber ebenso gut vorstellen, daß Ingres dieses Erstlingswerk unter direkter Anleitung seines befreundeten Kollegen geschaffen hat. Ungeachtet dieser Problematik muß man feststellen, daß unser Bildnis der Lady Jane Montagu überraschende stilistische Parallelen mit dem Bischofsporträt vorweist. Die Faltenwürfe und Schattierungen der Kleidung sind mit ähnlich schlichten, leichten Parallelschraffuren und zielstrebig gesetzten Strichen wiedergegeben. Beide Darstellungen sind in einer sehr leichten und transparenten Technik ausgeführt. Die stilistischen Übereinstimmungen offenbaren sich vor allem in der freien und abkürzenden Wiedergabe der floralen Verzierungen an den Ärmeln und am Gewand des kirchlichen Würdenträgers, sowie an der Kopfbedeckung und am Saum des Schleiers der jungen Frau (Abb. S. 61). Es mag daher als nicht unplausibel erscheinen, daß beide Blätter vom gleichen Autor geschaffen sein könnten.

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Die dargestellte Lady Jane Montagu war die Tochter des William Montagu, 5th Duke of Manchester, und Lady Susan Gordon. Über das kurze Leben der 1815, in ihrem einundzwanzigsten Lebensjahr verstorbenen Adelstochter ist nahezu nichts bekannt (siehe H. Naef, Die Bildniszeichnungen von J.-A.-D. Ingres, Bern 1978, Bd. II, S. 5ff). Mehrere Entwurfszeichnungen Ingres’ für ein Grabmal der Lady Jane Montagu sind bewahrt geblieben. Unklar ist, ob Ingres tatsächlich den Auftrag zur Gestaltung eines Denkmals erhalten hat, oder ob er sich in seiner Bildgestaltung von Grabmälern der Antike und der Renaissance inspirieren ließ. Das Musée Ingres in Montauban verwahrt insgesamt sieben Blätter, darunter eine große und sehr detailliert ausgeführte Zeichnung in Aquarell (Abb. S. 63), die 1860 datiert ist (siehe G. Vigne, Dessins d’Ingres. Catalogue raisonné des dessins du musée de Montauban, Paris 1995, Nrn. 2578–2585). Eine weitere großformatige und sehr fein durchgeführte Zeichnung befindet sich heute in der National Gallery of Victoria in Melbourne (Abb. S. 65). Es betrifft eine 1816 entstandene Federzeichnung in Braun mit Lavierungen in Ocker und Braun, die in ihrem klaren und eleganten Klassizismus unserer Variante sehr nahe kommt (siehe Ausstellungskatalog Ingres. In Pursuit of Perfection. The Art of J.-A.-D. Ingres, Louisville-Fort Worth 1984, S. 100–101, Nr. 36, S. 187). Im Unterschied zu unserem Blatt wird die Darstellung hier an beiden Seiten von zwei korinthischen Pilastern und einem Vorhang eingerahmt; hinter dem Ruhebett der Jane Montagu steht ein antiker Kandelaber, und die Rückwand ist durch eine Vertäfelung deutlicher artikuliert. In ihrem horizontalen Format und in der kompositorischen Fokussierung auf die Gestalt der liegenden Frau unterscheidet sich die Melbourner Fassung wesentlich von der aquarellierten Bleistiftzeichnung in Montauban (Vigne Nr. 2584). Die Aufmerksamkeit des Künstlers richtet sich hier in erster Linie auf die genaue Wiedergabe der Architektur eines skulpturalen Grabmals, das auf Prototypen der italienischen Frührenaissance zurückgeht. Ingres hat dazu ein Hochformat gewählt und die Darstellung um eine Vielzahl an Details bereichert. Entsprechend der traditionellen Todessymbolik ziehen zwei Genien einen Vorhang zu, und die reich verzierte architektonische Umrahmung des Grabmals ist mit großer Präzision wiedergegeben. Im Unterschied zur früheren Fassung wirkt die Gestalt der Verstorbenen im architektonischen Kontext kleiner und auch ihr Gesichtsausdruck mutet distanzierter und weniger persönlich an.



J.-A.-D. Ingres. Bildnis des Erzbischofs Gabriel Cortois de Pressigny. Radierung. 1816. Delteil 1 III.

Falttafel auf der Innenseite Illustration on the inside


Auf unserem Blatt hat Ingres die durch ihn oder einen ihm nahestehenden Künstler angefertigte Radierung sorgfältig ausgeschnitten und auf einen größeren Bogen Papier geklebt, den er großflächig mit brauner Tusche einfärbte. Mit einzelnen feinen Bleistiftlinien und zahlreichen Pinselstrichen in hellem Braun hat der Künstler die Darstellung sorgfältig überarbeitet. Die Effizienz seiner Methodik ist beeindruckend. Ingres’ delikate Pinseltechnik schafft mit größter Ökonomie der Mittel ein Höchstmaß an Atmosphäre und Helldunkelwirkung und läßt die Darstellung in einem milden Licht erstrahlen. Mit traumwandlerischer Sicherheit gelingt es ihm beispielsweise, mit nur wenigen Strichen die Faltenwürfe unter der antiken Liege fast greifbar plastisch zu erfassen. Die Stofflichkeit von Gegenständen und Kleidung ist in ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit charakterisiert: man spürt die Weichheit des großen Kissens und das feine Plissee des Untergewandes und des langen Mantels der jungen Frau. Diese schaut den Betrachter mit einem melancholischen, verträumten Blick direkt in die Augen; ihr sanftes und ebenmäßig gebildetes Gesicht ruht auf ihrer rechten Hand. Lady Jane wirkt in sich gekehrt, als schaue sie bereits in eine andere Welt. Das von Ingres angewandte Verfahren steht keineswegs vereinzelt in seinem Œuvre da. Ingres war ein unermüdlich schaffender Künstler, der fortdauernd experimentierte und nach der ultimativen künstlerischen Formulierung suchte. So sind mehrere Beispiele bekannt, bei denen Ingres druckgraphische Vorlagen von eigener und fremder Hand nachträglich mit dem Pinsel überarbeitete. Bei dem berühmten Gruppenbildnis der Familie Gatteaux aus dem Jahre 1850 handelt es sich ebenfalls um eine Kombination von Druckgraphik und Zeichnung. Auch hier stützte sich Ingres auf Reproduktionsstiche von Claude-Marie-François Dien nach eigenen Porträt-

zeichnungen, die er sorgfältig entlang der Konturen ausschnitt, auf Karton klebte und mit Bleistift überarbeitete, um sie anschließend in eine größere Komposition zu integrieren (siehe Ausstellungskatalog Goya bis Picasso. Meisterwerke der Sammlung Jan Krugier und Marie-Anne Krugier Poniatowski, Graphische Sammlung Albertina, Wien 2005, S. 48–49).

J.-A.-D. Ingres. Bildnis Cortois de Pressigny (Detail).

J.-A.-D. Ingres. Bildnis Lady Jane Montagu (Detail).

Der Schlüssel zur Datierung unseres Blattes dürfte in dem stilistischen Vergleich mit der wenig größeren Zeichnung in Melbourne liegen. Im Unterschied zu jener Variante, wo das Ruhebett einen reichen Lotuspalmettenschmuck besitzt und die Kissen und Stoffe detaillierte Ornamentmuster aufweisen, zeichnet sich unser Blatt durch eine strengere und puristische Auffassung aus. Bewußt ist auf jedes dekorative Beiwerk verzichtet worden, um die Aufmerksamkeit des Betrachters gänzlich auf die sinnende junge Frau zu lenken. Ihre Pose stimmt fast völlig mit der Variante in Melbourne überein, auf unserem Blatt fehlt lediglich das Buch in der rechten Hand der Lady Jane. Es erscheint daher als wahrscheinlich, daß unsere Komposition eine frühere Entwicklungsphase darstellt, die der Melbourner Fassung unmittelbar voranging. Das Bildnis zieht den Betrachter unweigerlich in seinen Bann. Trotz der schweigsamen, meditativen Stimmung geht von der Darstellung eine fast aufwühlende innere Spannung aus. Diese Dialektik ist Ausdruck aller großen Kunst. Mit beeindruckender zeichnerischer Sicherheit hat Ingres ein intimes und anrührendes Meisterwerk von zeitloser Schönheit geschaffen. Aus dem Nachlaß von Hans Naef (1920–2000), Autor des fünfbändigen Verzeichnisses der Porträtzeichnungen Ingres’.

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18.

jean-augustedominique ingres (1780 Montauban – 1867 Paris)

Full-length Portrait of Lady Jane Montagu reclining on an antique chaise longue. Etching, silhouetted, extensively reworked with pencil and brush and brown wash. 34.7 x 46.3 cm. Signed: “Ingres Del”. The genesis of this unique work of art – a symbiosis of etching and drawing – is as enigmatic as the gaze of the lovely Lady Jane Montagu whom Ingres has immortalized. This is the only known impression of this etching, which has not been described either by Delteil or by H. Schwarz (“Ingres Graveur”, Gazette des Beaux-Arts, Paris 1959, pp. 329–342). We know little of Ingres’ activity as a printmaker. Apart from a small number of lithographs by his own hand, only one etching by the artist is known to exist: the Portrait of the Archbishop Gabriel Cortois de Pressigny, which was done in Rome in 1816 (Delteil 1, ill. p. 59). Although this print is generally accepted today as an autograph work, the doubts concerning its authorship have never been completely laid to rest. In his preface to the volume on Ingres in the Inventaire du Fonds Français Jean Adhémar speculated that this portrait might not be by Ingres at all. According to Adhémar it is hard to see how such a technically accomplished print could be a first attempt by someone new to the medium. The author of the portrait might therefore very well be the engraver Claude-MarieFrançois Dien (1787–1865), who was a friend of Ingres and lived in Rome at the same time. But one can just as well imagine that Ingres produced this tyro effort under the direct guidance of his friend and colleague. Quite apart from this problem it has to be said that our Portrait of Lady Jane Montagu shows startling stylistic parallels with the bishop’s portrait. The folds and shaded areas of the clothing are rendered with similarly simple, light parallel hatchings and deftly drawn lines. Both portraits are executed in a very light and transparent technique. The stylistic analogies are mainly evident in the neatness of the floral adornments on the sleeves and garment of the church dignitary, as well as on the headdress and seam of the young woman’s veil (ill. p. 61). It is therefore not implausible that both works might be by the same author. The Lady Jane Montagu of the portrait was the daughter of William Montagu, 5th Duke of Manchester, and Lady Susan Gordon. Almost nothing is known about the life of this young noblewoman, who died in 1815 at the age of only twenty-one (see H. Naef, Die Bildniszeichnungen von J.-A.-D. Ingres, Bern 1978, Vol. II, p. 5ff). Several preparatory drawings by Ingres of a tomb for Lady Jane Montagu have been preserved. It is not clear whether Ingres did in fact receive a commission to design a monu-

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ment or whether his imagery was inspired by classical and Renaissance prototypes. The Musée Ingres in Montauban preserves a total of seven study sheets, including a large and very detailed drawing in watercolor dated 1860 (see G. Vigne, Dessins d’Ingres. Catalogue raisonné des dessins du musée de Montauban, Paris 1995, nos. 2578–2585). Another large and highly finished drawing is now kept in the National Gallery of Victoria, Melbourne. This drawing, dating from 1816 and executed in pen and brown ink with ochre and brown wash, displays a serene and elegant classicism which comes very close to our version (see exhibition catalogue Ingres. In Pursuit of Perfection. The Art of J.-A.-D. Ingres, Louisville-Fort Worth 1984, pp. 100–101, no. 36, p. 187). In contrast to our sheet, however, the composition is framed by two Corinthian pilasters and a curtain on both sides, while behind Lady Jane Montagu’s daybed stands an antique candelabra, and the rear wall appears more elaborate by the addition of panelling (ill. p. 65). In its horizontal format and compositional focus on the figure of the reclining woman the Melbourne version differs radically from the watercolor in Montauban (Vigne no. 2584). Here the artist’s attention is directed mainly at the exact rendering of the architecture of a sculpted tomb, prototypes of which date to the Early Italian Renaissance. Ingres has chosen an upright format for this purpose and enriched the portrayal with numerous additional details. In keeping with the traditional symbolism of mortality two genies are closing a curtain, and the richly ornate architecture framing the tomb is depicted with great precision. In contrast to the earlier version the architectural context makes the figure of the deceased seem smaller and even gives her facial expression a more distant and impersonal look (ill. p. 63). For the present work Ingres had carefully cut out the etching produced either by himself or an artist closely associated with him and stuck it onto a larger sheet of paper, which served as a neutral background and was entirely covered with a broad area of opaque brown wash. The artist then carefully reworked the portrait by means of single sharp pencil lines and delicate brushwork in different shades of brown. The efficiency of his method is impressive. With great economy of means Ingres’ delicate brush technique creates a maximum of atmospheric and chiaroscuro effects and makes the scene appear in a soft light. Masterfully Ingres has succeeded, for instance, in rendering the drapery under the chaise longue in an amost tactile way. The materiality of the objects and clothing is brought out by the differences in texture: one can feel the softness of the large cushion and the fine pleats of the young woman’s garment and long cloak as she


J.-A.-D. Ingres. The Tomb of Lady Jane Montagu. Pencil and watercolour. 39 x 31.5 cm. 1860. Montauban, MusĂŠe Ingres.

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looks the beholder directly in the eyes with a melancholy, dreamy gaze, her beautiful and even-featured face resting on her right hand. Lady Jane seems turned in on herself, as though she were already looking into another world. The technical procedure employed by Ingres is far from unique in his œuvre. Ingres was a tirelessly creative artist who was always experimenting and searching for the ultimate artistic formulation. Several examples are known of Ingres using pencil and brush to rework prints done by himself or others. The famous Group Portrait of the Gatteaux Family from the year 1850 is another specimen of a synthesis of print and drawing. In this very case Ingres based himself on reproductive engravings by the same Claude-Marie-François Dien after his own portrait drawings, which he carefully cut out along the contours, stuck onto pasteboard and reworked in pencil, before integrating them in a larger composition (see exhibition catalogue Goya bis Picasso. Meisterwerke der Sammlung Jan Krugier und Marie-Anne Krugier Poniatowski, Graphische Sammlung Albertina, Vienna 2005, pp. 48–49).

A stylistic comparison with the slightly larger drawing in Melbourne gives useful information concerning the chronology of the present work. In contrast to that version, where the day bed is richly ornamented with lotus palms and the cushions and materials have detailed decorative patterns, our sheet is characterized by a more severe and purist approach. All ornamental details have been deliberately dispensed with so as to focus the beholder’s attention entirely on the pensive young woman. Her pose matches that of the Melbourne version almost exactly, except that the book in Lady Jane’s right hand is missing here. It therefore seems likely that our composition represents an earlier stage of development, directly preceding the Melbourne version. The portrait casts an irresistible spell on the beholder. Despite the mood of silent meditation the scene still radiates an almost stirring inner tension. This dialectic is intrinsic to all great art. With impressive sureness of touch Ingres has created an intimate and moving masterpiece of timeless beauty. From the estate of Hans Naef (1920–2000), author of the catalogue raisonné of Ingres’ portrait drawings.

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J.-A.-D. Ingres. Portrait of Lady Jane Montagu. Pen and brown ink, ochre and brown wash, over pencil. 41 x 56 cm. 1816. Melbourne, National Gallery of Victoria.

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19. johann adam klein

johann adam klein

(1792 Nürnberg – 1875 München)

(1792 Nuremberg – 1875 Munich)

„Der Gesellschaftslauf“; „Der Eiswalzer“. 2 Federzeichnungen in Schwarz über Bleistift, grau und braun laviert. Je ca 8,8 x 13,4 cm. Signiert und datiert: „JAK fecit 1824“.

“Formation Skating”; “Waltzing on Ice”. Pen and black ink, gray and brown wash, over pencil. Each sheet measuring circa 8.8 x 13.4 cm. Signed and dated: “JAK fecit 1824”.

Die beiden amüsanten Darstellungen eines Eisvergnügens sind Vorstudien für zwei Radierungen, die als Illustrationen für das 1825 von Friedrich Campe in Nürnberg herausgegebene Buch Der Eislauf oder das Schlittschuhfahren, ein Taschenbuch für Jung und Alt. Mit Gedichten von Klopstock, Goethe, Herder, Cramer, Krummacher... dienten. Im Vergleich zu den endgültigen Radierungen, die ebenfalls beiliegen, dokumentieren die Zeichnungen Kleins Urfassung für die graphischen Nachbildungen. Die Herren, die sich mit lässiger Eleganz dem Paarlauf oder dem Eistanz widmen, tragen Frack und Zylinder, während auf den Radierungen die Kleidung und die Kopfbedeckungen der einzelnen Personen abwechslungsreicher gestaltet sind. Auch die landschaftliche Staffage ist im Unterschied zur endgültigen Fassung nur andeutungsweise wiedergegeben. Klein war ein unermüdlicher und versierter Zeichner. Die Darstellungen sind in einer sorgfältigen und gepflegten Zeichentechnik ausgeführt, die in ihrem nüchternen Wirklichkeitssinn den Geist des Biedermeiers auf vollkommene Weise verkörpert. Klein zeigt ehrenwerte Bürger in einer friedlichen Welt, die freudig und beflissen in ihren Zeitvertreib aufgehen. Die originelle und geistreiche mise en page gibt die schwungvolle Eleganz des Eislaufens überzeugend wieder.

These amusing portrayals of skaters are preliminary studies for two etchings which served as illustrations for a book published by Friedrich Campe in Nuremberg in 1825 under the title Ice Skating. A Handbook for Young and Old. With poems by Klopstock, Goethe, Herder, Cramer, Krummacher... In comparison to the final etchings, which are also enclosed, the drawings document Klein’s original versions for the graphic reproductions. Here the gentlemen devoting themselves with such elegant nonchalance to pair or figure skating are all wearing tail-coats and top hats, whereas in the etchings the clothing and headgear of the individual skaters are less uniform. Another contrast with the final version is that the landscape staffage here is rendered only sketchily. Klein was a skilled and meticulous draughtsman. The portrayals are executed in careful and stylish penmanship, the sober realism of which perfectly embodies the Biedermeier spirit. Klein shows us a peaceful world of respectable citizens happily absorbed in the exercise of their demanding pastime. The original and humorous mise-en-page convincingly renders the graceful panache of skating.

Die beiden Radierungen Jahn 268 II (von IV) und 269 II (von IV) erhöhen den Seltenheitswert dieses Ensembles. Es handelt sich um frühe Druckzustände, vor der Schrift und der Nummer und vor der späteren Überarbeitung.

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The two etchings Jahn 268 II (of IV) and 269 II (of IV) enhance the rarity value of this ensemble. They are early impressions, before all letters and numbers and before the subsequent reworking of the plates.


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20. adolph von menzel (1815 Breslau – 1905 Berlin)

Bildnis einer alten Frau im Profil und eine Detailstudie derselben. Bleistift, teilweise gewischt, und schwarze Kreide. 20,4 x 13 cm. Monogrammiert und datiert: „AM (18)90“. Es ist nicht vermessen zu behaupten, daß Adolph von Menzel der genialste Zeichner ist, den Deutschland im 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. Menzel, als Künstler im wesentlichen Autodidakt, war ein geradezu manischer Zeichner und gleichsam mit seinem Bleistift verheiratet. Die rastlose Erfassung der sichtbaren Wirklichkeit war dem eingeschworenen Junggesellen eine wahre Lust und seine eigentliche raison d’être und fungierte gleichzeitig als eine Art mentaler Gymnastik, die ihn Zeit seines langen Lebens geistig rege und wachsam gehalten hat. Menzels messerscharfe Beobachtungsgabe und Schlagfertigkeit waren so legendär wie gefürchtet. Als Zeichner war Menzel ein Alleskönner; keine Hürde erschien ihm zu hoch, mehr noch, es gab kein Sujet, das seiner Aufmerksamkeit nicht würdig war. Selbst die banalsten, alltäglichsten Gegenstände werden durch seine Zeichenkunst geadelt und erhalten eine ganz eigene Poesie, die über ihre reine Stofflichkeit hinausgeht. Schon frühzeitig war Menzel von dem Prozeß des Alterns und der eigenen Vergänglichkeit fasziniert. Die zahlreichen gezeichneten Selbstbildnisse belegen, wie er mit einem kühl beobachtenden, fast distanzierten Blick den eigenen körperlichen Verfall registriert. Diese Unnahbarkeit war wohl durch die Ernsthaftigkeit seines Charakters bedingt. Der junge Menzel wuchs unter sehr widrigen äußeren Bedingungen auf. Seine Eltern waren 1830 mit den drei Kindern von Breslau nach Berlin übergesiedelt, in der Hoffnung hier bessere Lebensumstände für die Familie vorzufinden. Infolge des frühzeitigen Todes des Vaters mußte Adolph mit siebzehn Jahren die väterliche Steindruckerei übernehmen und für die Versorgung der Mutter und der beiden Schwester gerade stehen. Menzel hat also nie die Freuden einer unbeschwerten Jugend gekannt. Bereits auf den frühen Selbstbildnissen wirkt der junge Künstler sonderbar ältlich und introvertiert, und seine extreme Kleinwüchsigkeit dürfte weiter zu seiner Vereinsamung beigetragen haben. Nur durch unerbittliche Arbeit und eiserne Selbstdisziplin gelang es Menzel, sich aus den bescheidenen Verhältnissen seiner Jugend emporzuarbeiten und während seines Lebens größtes künstlerisches Prestige zu erwerben, etwas, das diesem notorisch eigenbrötlerischen und uneitlen Mann übrigens herzlich wenig bedeutet haben mag. Aus Menzels späten Lebensjahren stammt eine größere Gruppe von Bleistiftzeichnungen, auf denen er in der ihm eigenen andächtigen und konzentrierten Weise neue künstlerische Aus-

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drucksformen erkundete. Menzel hat in den späten 1880er Jahren mit den ersten Porträts alter Männer und Frauen angefangen und diese Thematik über fast zwei Jahrzehnte vertieft; das Karlsbader Skizzenbuch aus dem Jahre 1903 (Berlin, Kupferstichkabinett) bildet den zeitlichen Abschluß dieser Werkgruppe. Es handelt sich um Kopfstudien alter Menschen, die aus nächster Distanz gezeichnet sind und die fast schonungslos den Prozeß des Alterns in all seinen Facetten schildern (Abb. S.71). Der Anstoß zu dieser so fesselnden Sujetwahl dürfte engstens mit der eigenen Biographie des Künstlers verwoben und aus einem Prozeß der Selbstreflektion hervorgegangen sein. Menzel war damals bereits über siebzig Jahre alt und befand sich, trotz aller öffentlichen Ehrungen, in einem künstlerischen Engpaß. Seine Malerei galt vielen als altmodisch, was nicht wenig zur Vereinsamung und Verbitterung des Künstlers beigetragen haben mag. Das eigentliche Thema dieser so bewegenden Porträtstudien ist die Würde des alternden Menschen, der sich auf der letzten Etappe seines Lebensweges befindet, und diese Motivwahl dürfte einem tiefen inneren Bedürfnis des Künstlers entsprochen haben. Die vorliegende Zeichnung ist ein eminentes Beispiel jener Bildgattung und zeigt Menzel auf der ganzen Höhe seiner Kunst. Fast ehrfürchtig hat sich der Künstler seinem Modell angenähert: eine in Gedanken versunkene, bäuerlich wirkende Frau, deren Züge von einem Leben voller Mühsal gezeichnet sind. Menzels brilliante Zeichentechnik schafft eine verblüffende Skala an Nuancierungen grauer und schwarzer Töne. Die Beschaffenheit des Bleistiftstrichs reicht von feinen, hauchdünnen Linien – man beachte die einzelnen aufstehenden und gekräuselten Haare ganz oben am Kopf der Frau – bis zu wuchtigen, körnigen Strichen, die ein sattes, saturiertes Schwarz ergeben. Das Gesicht der grübelnden Frau erscheint wie eine Landschaft voller Furchen, Runzeln und Falten; wunderbar sind die schattige Augenpartie, die kräftige Nase und der eingefallene Mund, sowie das große, so plastisch wirkende Ohr aus diesem linearen Geflecht herausgearbeitet. Durch eine subtile Wischtechnik gelingt es Menzel, die Weichheit der alten, runzligen Haut unnachahmlich lebensnah zu suggerieren. So entsteht ein ergreifendes, zeitloses Abbild unabdingbaren körperlichen Verfalls. Hier ist ein leibhaftiger Mensch in einem Moment größter Intimität wiedergegeben, sinnend über das eigene Leben. Aus dem schweigsamen, pietätvollen Dialog zwischen Künstler und namenlosem Modell ergibt sich ein Spannungsmoment von allgemein menschlicher Reichweite, der an Dürers Bildnis der Mutter erinnert und Menzels Schöpfung auf eine vergleichbar hohe künstlerische Stufe emporhebt.


Originalgröße / Actual size

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20. adolph von menzel (1815 Breslau – 1905 Berlin)

Portrait of an Old Woman in Profile with a Detailed Study of the Same. Pencil and black chalk, with stumping, on light buff wove paper. 20.4 x 13 cm. Monogrammed and dated: “AM (18)90”. It is not presumptuous to state that 19th century Germany produced no greater or more versatile a draughtsman than Adolph von Menzel. Largely self-taught as an artist, Menzel was an utterly dedicated draughtsman who was wedded to his pencil. To this confirmed bachelor the restless committal to paper of visible reality was a genuine passion and his sole reason for living, while at the same time functioning as a form of mental exercise which kept him intellectually active and alert throughout his long life. Menzel’s razor-sharp gift of observation and ready wit were as legendary as they were feared. As a draughtsman Menzel was an all-round talent – no hurdle seemed too high for him. Not only that, there was no subject that was not worthy of his attention. Even the most banal everyday objects are ennobled by his graphic bravura and acquire a radiance of their own that goes beyond their merely physical presence. Menzel’s fascination with the process of aging and his own mortality appeared at an early age. The numerous self-portraits he drew show how he registered his own physical decay with cool

objectivity. This detachment was probably due to the seriousness of his character. The young Menzel grew up under very adverse external conditions. In 1830 his parents had left Breslau and moved with their three children to Berlin in the hope of finding better conditions for bringing up a family there. The early death of his father forced Adolph to take over the running of his father’s lithographic press at the age of seventeen and assume responsibility for keeping his mother and two sisters. Menzel never knew the joys of a carefree youth. Even in his early self-portraits the young artist seems strangely old and introverted for his age, and his extreme shortness of stature probably contributed further to his isolation. Only by means of unremitting labour and iron self-discipline did Menzel succeed in working his way up out of the modest circumstances of his youth and attaining great artistic prestige during his lifetime, although it is highly unlikely that this meant much to such a notoriously solitary and unassuming man. Menzel’s later years saw the genesis of quite a large number of pencil drawings in which he explored new artistic forms of expression in his typically deferential and introspective manner. Menzel made his first portraits of old men and women in the late 1880s and he was to become more deeply preoccupied with this theme for almost two decades. The Carlsbad Sketchbook of 1903 (Berlin, Kupferstichkabinett) marks the chronological conclusion

Jacob Hilsdorf. Menzel drawing. Photograph. 1904.

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A. von Menzel. Head of an Old Woman in Lost Profile. Pencil with stumping. 18.1 x 11.6 cm. 1886. Berlin, Kupferstichkabinett.

A. von Menzel. Head of an Old Woman. Pencil and black chalk. 31 x 22.5 cm. 1894. Zurich, Private collection.

to this group of works. It consists of head studies of old people drawn in close-up and depicting almost despairingly the process of aging in all its aspects. The impulse to turn to such an absorbing genre must have been the product of the artist’s own biography and a process of self-reflection. By this time Menzel was over seventy years old and he found himself, for all his public honours, at an artistic impasse. His painting was seen by many as old-fashioned, which must have contributed in no small way to the artist’s isolation and embitterment. The real theme of these moving portrait studies is the dignity of the aging individual who finds him- or herself on the last lap of their journey through life, and this choice of motif must have corresponded to a deep inner need in the artist.

lation. Menzel’s brilliant draughtsmanship creates an astonishing scale of nuances of gray and black tones. The texture of the pencil stroke ranges from fine, paper-thin lines – note the unruly, frizzy hairs at the very top of the woman’s head – to the strong, sweeping strokes that produce a rich deep black. The face of the brooding woman seems like a landscape full of furrows, wrinkles and creases; the overshadowed eyes, the strong nose, the sunken mouth, and the large, vividly detailed ear are wonderfully realized through this intricate network of lines. By means of a subtle wiping technique Menzel manages to suggest the softness of the old, wrinkled skin in a way that is inimitably lifelike. The result is a deeply moving, timeless reflection of relentless physical decay. A living human being has been captured here at a moment of greatest intimacy, musing over her own life. The silent, reverential dialogue between artist and anonymous model creates a moment of tension universal in its human scope that is reminiscent of Dürer’s Portrait of the Artist’s Mother and raises Menzel’s creation to comparable artistic heights.

The present drawing is an eminent example of that genre and shows Menzel at the zenith of his artistic powers. The artist has approached his model almost humbly: a rustic-looking woman lost in thought, whose features are marked by a life full of tribu-

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21.

jacobus pelgrom

jacobus pelgrom

(1811–1861, Amsterdam)

(1811–1861, Amsterdam)

Waldinneres mit zwei Männern im Gespräch. Federzeichnung in Schwarz über schwarzer Kreide, braun und grau laviert. 54,1 x 41,2 cm. Monogrammiert und datiert: „J.P. 1842“.

A Wooded Landscape with Two Men Conversing. Black chalk, brown and gray wash, over black chalk. 54.1 x 41.2 cm. Monogrammed and dated: “J.P. 1842”.

Das sehr stimmungsvolle Blatt beeindruckt durch die Monumentalität der Komposition. Drei riesige Buchen füllen mit ihren ausladenden Ästen und dichtem Laub die gesamte Bildfläche aus. In einer verfeinerten und abwechslungsreichen Technik hat Pelgrom die charakteristische Beschaffenheit jedes einzelnen Baumes dargestellt. Mit Kreidelinien unterschiedlicher Dichte sind zuerst die Umrisse der majestätischen Bäume treffsicher gezeichnet. Anschließend hat Pelgrom mit kurzen Kreide- und Pinselstrichen die verwitterten Baumrinden detailliert, fast plastisch wiedergegeben, während flüssige Lavierungen in Grau und Braun die glatten Stellen der Baumstämme und Äste andeuten. Die tote Buche links vorne mit ihren kahlen Ästen hebt sich wirkungsvoll von den beiden anderen Bäumen ab, deren dichtes, weit auswucherndes Laub Lebenskraft und Wachstum suggeriert.

This highly atmospheric drawing owes its impressiveness to the monumentality of its composition. Three huge beeches fill up the entire surface of the picture area with their widely spread branches and dense foliage. By employing a refined and varied technique, Pelgrom has represented the characteristic texture of each individual tree. First, chalk lines of varying density were used to capture accurately the outlines of the majestic trees. Then, with short chalk and brush strokes, Pelgrom has put in the details of their weathered bark, giving it an almost tactile quality, while gray and brown washes were applied for the characterisation of the smooth parts of the trunks and branches. The dead beech in the left foreground with its bare branches stands out starkly from the two other trees, whose dense, luxuriant foliage suggest vigour and growth.

Der 1811 in Amsterdam geborene Jacobus Pelgrom war vor allem als Landschaftsmaler bekannt. Er war ein Schüler von Jan Willem Pieneman und Pieter Bartholomeusz. Barbiers, dürfte jedoch vor allem durch das alles überragende Beispiel des Barend Cornelis Koekkoek (1803–1862) zu einer romantisch geprägten Landschaftsauffassung gelangt sein. Wie Letzterer fand Pelgrom seine Motive in der waldigen und malerischen Landschaft der Provinz Gelderland, die sich so sehr von der flachen Polderlandschaft um Amsterdam unterschied. Während Pelgrom in seinem malerischen Werk oft zu sehr vom Publikumsgeschmack seiner Zeit beeinflußt war, offenbart sich in seinen Zeichnungen eine freiere und originellere Begabung. Die vorliegende, sehr aufwendig behandelte Zeichnung dürfte im Atelier angefertigt worden sein, wobei Pelgrom in der freien Natur gemachte Skizzen benutzte. Wie es auch oft bei Koekkoek der Fall ist, wirkt die figürliche Staffage – ein Eseltreiber und ein Wanderer mit Hund – etwas gestellt. Derartig anspruchsvolle und bildmäßig durchgeführte Kompositionen, die den Status eines selbständigen Kunstwerkes besitzen, waren zweifellos für den Verkauf gedacht. Ein stilistisch sehr ähnliches Blatt mit identischem Format befindet sich in der Sammlung des Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam (siehe Marius van Dam, Miscellanea delineata. Nederlandse tekeningen 1780–1860 uit de collectie Ploos van Amstel Knoef in Museum Boijmans Van Beuningen Rotterdam, Rotterdam 2007, Kat. Nr. 17, S. 100–101).

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Born in Amsterdam in 1811, Jacobus Pelgrom was chiefly known as a landscape painter. Although he studied under Jan Willem Pieneman and Pieter Bartholomeusz. Barbiers, it was probably the overwhelming example of Barend Cornelis Koekkoek (1803– 1862) that was mainly responsible for bringing him round to a romantic notion of landscape. Like the latter, Pelgrom found his motifs in the picturesque forests of Gelderland province, which was so different from the flat polder landscape around Amsterdam. While Pelgrom’s painted work was often too strongly influenced by the public taste of his time, his drawings reveal a more independent and original talent. The present highly finished drawing was probably done in the studio on the basis of sketches Pelgrom had made in the open air. As is often also the case with Koekkoek, the staffage figures – a donkey-driver and a man out walking with his dog – seem a bit stagy. Such ambitious full-scale compositions, which count as works of art in their own right, were undoubtedly intended for sale. A stylistically very similar drawing with an identical format is in the collection of the Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam (see Marius van Dam, Miscellanea delineata. Nederlandse tekeningen 1780–1860 uit de collectie Ploos van Amstel Knoef in Museum Boijmans Van Beuningen Rotterdam, Rotterdam 2007, cat. no. 17, pp. 100–101).


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künstlerverzeichnis / index of artist names

Benvenuti, Pietro Bloemaert, Abraham Dorner, Johann Jakob d. J. Ducros, Abraham-Louis-Rodolphe Ehrensvärd, Carl August Feuerbach, Anselm Floris, Frans Francken II, Frans Gaudar de la Verdine, Augustin Gessner, Salomon Hackert, Jakob Philipp Huet, Jean-Baptiste Marie Ingres, Jean-Auguste-Dominique Klein, Johann Adam Le Prince, Jean-Baptiste Menzel, Adolph von Parme, Julien de Pelgrom, Jacobus Roos, Johann Heinrich Suvée, Joseph Benoît Zingg, Adrian

48 6 52 20 24 56 8 12 26 28 30 32 58 66 34 68 38 72 16 44 46


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Nicolaas Teeuwisse · Ausgewählte Gemälde und Handzeichnungen · Selected Paintings and Drawings VIII

Nicolaas Teeuwisse

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Ausgewählte Gemälde und Handzeichnungen Selected Paintings and Drawings VIII


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