Nicolaas Teeuwisse · Ausgewählte Handzeichnungen · Selected Drawings X
Nicolaas Teeuwisse
Nicolaas Teeuwisse OHG · Erdener Str. 5a · 14193 Berlin
Ausgewählte Handzeichnungen Selected Drawings X
2010 Ausgewählte Handzeichnungen Selected Drawings X A selection of drawings will be exhibited at the Tefaf Maastricht, 12–21 March Stand 706 & Galerie André Candillier, Paris, 23–27 March
Nicolaas Teeuwisse OHG · Erdener Str. 5a · D-14193 Berlin-Grunewald Telephone: +49 30 893 80 29 19, +49 30 890 48 791 · Mobile: +49 171 483 04 86 Email: n.teeuwisse@t–online.de · www.teeuwisse.de
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Einleitung Wer die Handzeichnung lediglich als eine Vorstufe zur Malerei oder sogar als eine ihr untergeordnete Kunstform betrachtet, geht am Wesen und der Vielfalt dieses Mediums vorbei. Mehr als das ausgeführte Gemälde reflektiert die Zeichnung die Genese des Kunstwerkes und atmet die Spontaneität und die Unverbrauchtheit der zündenden künstlerischen Idee. Die Wertschätzung der Handzeichnung als Spiegel einer Künstlerpersönlichkeit, gleichsam als genetischer Fingerabdruck eines schöpferischen Individuums, hat eine lange Tradition, was durch die historische Tatsache belegt wird, daß das systematische Sammeln von Zeichnungen schon in der Renaissance seinen Anfang nahm. In dieser Periode erfuhr der Begriff disegno auch eine völlig neue Wertschätzung. Die Zeichnung löste sich aus ihrer engen handwerklichen Bindung als ein Mittel zum Ziel der Malerei und errang jetzt einen höheren Status in der kunsttheoretischen Hierarchie. Von wesentlicher Bedeutung sind in diesem Zusammenhang Federico Zuccaris theoretische Überlegungen gewesen, die das gedankliche Substrat für eine Neubewertung des Mediums gebildet haben. Künstlerische Idee und Zeichnung gehen in seiner Theorie eine enge Symbiose ein. Während die innere Zeichnung (concetto) dem Geiste entspringe, sei „die äußere Zeichnung“, die reine, lineare Gestaltung, die praktische Umsetzung der spirituellen Idee. Das philosophische Konzept Zuccaris markierte einen grundlegenden Gesinnungswandel. Das Primat der Handzeichnung, die nicht länger lediglich eine dienende Funktion als Hilfsmittel oder Studienobjekt besaß, wurde jetzt zum maßgeblichen Prinzip erhoben. Mehr noch: Die Zeichnung galt fortan nicht nur als ebenbürtig, sondern genoß auf Grund ihrer schöpferischen Individualität vielfach einen höheren Stellenwert als vielerlei andere Kunstformen. Der vorliegende Katalog vermittelt in bescheidenem Umfang einen Eindruck von der Mannigfaltigkeit des Mediums. Zeitgeschichtlich am Anfang dieser Auslese steht eine kleine, geistreiche Federzeichnung Jost Ammans, die den jungen Bacchus, Gott des Weines und der Ekstase, darstellt. Die profane, renaissancistisch geprägte Aura des Blattes bekundet ein neues Zeitalter und das gewachsene Selbstverständnis des schaffenden Künstlers. Entsprechend frei und souverän ist denn auch der zeichnerische Duktus. Von packender Individualität ist gleichfalls Simon Vouets delikates Bildnis eines jungen Mannes, der uns aus einer Distanz von fast vier Jahrhunderten offen und selbstsicher in die Augen blickt. Möglicherweise handelt es sich um ein Selbstbildnis des Künstlers. Angesichts der ungeheuren Spontaneität dieser Momentaufnahme wirkt der Begriff Zeit seltsam
relativ, fast irrelevant, und es kommt der universale, bleibende Charakter wahrhaft großer Kunst voll zum Tragen. Etwa fünfzig Jahre später entstand der grandiose Kompositionsentwurf Gaullis, ein seltenes Meisterwerk schwungvoller barocker Gestaltungskraft und ungezähmter schöpferischer Phantasie. Gaulli war zweifellos der begabteste Zögling und Mitarbeiter Gianlorenzo Berninis und der ideale Interpret der von diesem Universalgenie entwickelten Prinzipien illusionistischer Raumgestaltung. Die Entwurfszeichnung für ein Kuppelfresko in der römischen Kirche Sant’Agnese in Piazza Navona erweist dem Begriff des primo pensiero alle Ehre! In der atemberaubenden Bravura der Auffassung, der scheinbar mühelosen Leichtigkeit der zeichnerischen Handschrift und der dramatischen Lichtregie verkörpert das Blatt die Stilprinzipien des römischen Hochbarocks auf vollkommene Weise. Eine solch unbändige zeichnerische Virtuosität hat es nur im Rom Berninis gegeben! Eine zweihundert Jahre später entstandene und ungeachtet der thematischen Verschiedenheit ähnlich bravouröse Zeichnung Adolph von Menzels bildet den chronologischen Abschluß dieses Kataloges. Das Blatt zeugt von einer neuen, positivistischen Geisteshaltung. Die feurige Religiosität Gaullis, eine leidenschaftliche Huldigung des Sakralen und Mystischen, ist nunmehr einer nüchtern registrierenden Wiedergabe der irdischen Welt gewichen. Feder und Bleistift sind analytische Werkzeuge, mit deren Hilfe Menzel sich nicht nur der sichtbaren Wirklichkeit nähert, sondern sie überhaupt erst verständlich werden läßt. Alles ist darstellungswürdig geworden und mit dem bewußten Abrücken von traditionellen, akademischen Sehweisen wird das Zeichnen für ihn zu einem empirischen Verfahren, dessen Zielsetzung es ist, alle Facetten der täglichen Realität zu analysieren und zu klassifizieren, um auf diese Weise dem Chaos und dem fragilen Lebensgefühl der industriellen Gesellschaft eine innere Ordnung abzugewinnen. Trotz der scheinbaren Banalität mancher seiner Bildmotive ist Menzel jedoch nie ein gefälliger Chronist. Sein Zeichenstift adelt die Menschen und Dinge, die ihm darstellungswürdig erscheinen und verleiht ihnen eine ganz eigene Spiritualität. Das vereint die überirdischen Wesen Gaullis und die einfachen Sterblichen Menzels! Mein Dank gilt folgenden Personen, die mir mit wichtigen Anregungen behilflich gewesen sind: Dieter Graf, Barbara Hardtwig, Gero Seelig, Josef Strasser und Nicolas Turner. Sandra Espig, Stefanie Löhr und Robert Oberdorfer sei für hilfreiche Korrekturen gedankt. Die englische Übersetzung wurde von Robert Bryce besorgt. Nicolaas Teeuwisse
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Simon Vouet. Self-portrait (?). Black and red chalk. 14.1 x 11.8 cm. Circa 1620–25. (Cat. no. 5)
Simon Vouet. Self-portrait. Oil on canvas. 45 x 36.5 cm. Circa 1626. Lyon, Musée des Beaux-Arts.
Claude Mellan. Portrait of Simon Vouet. Red chalk. 15.8 x 13 cm. Circa 1626. Paris, Musée du Louvre.
François Perrier. Portrait of Simon Vouet. Etching. 30.2 x 21.2 cm. 1632. Robert-Dumesnil 12.
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Introduction To regard drawing merely as a preliminary stage of painting or indeed as a minor art form is to overlook the essence and diversity of this medium. More than the finished painting, the drawing reflects the creative process inherent in a work of art. Moreover, it exudes the spontaneity and freshness of the initial idea that inspired the artist. The drawing enjoys great esteem as the mirror of an artist’s personality, constituting a creative individual’s genetic fingerprint, so to speak. The appreciation of drawings as objects worthy of appreciation and acquisition dates back to the Italian High Renaissance as the first notable collections of drawings were formed. The term disegno acquired a new prestige at that time. The drawing was liberated from its close association with craftsmanship, in which it was merely seen as a useful device in the genesis of a painting, and accorded a higher status in the hierarchy of art theory. Of crucial importance in this context were the reflections of Federico Zuccari, which supplied the intellectual foundation for a revaluation of the medium. In his theory a close symbiosis is established between the artistic idea and the drawing. Whereas the inner drawing (concetto) has its origins in the mind, “the outer drawing” – the pure linear expression – represents the physical embodiment of the spiritual idea. Zuccaro’s philosophical concept marked a fundamental shift in attitude. The primacy of the drawing, which no longer functioned simply as an aid or object of study, was raised to the status of a definitive principle. More importantly, the drawing was henceforth regarded not merely as being on a par with various other art forms; in many cases it was accorded a higher standing in the light of its creative individuality. The present catalogue, while modest in size, gives an impression of the great diversity of the medium. Marking the chronological beginning of the selection is Jost Amman’s witty little pen-andink drawing of the young Bacchus, the god of wine and ecstasy. Its profane, Renaissance-like atmosphere manifests the dawn of a new era and illustrates the enhanced self-image of the creative artist. The style of drawing is correspondingly forthright and masterful. No less intriguing in terms of its individuality is Simon Vouet’s precious portrait of a young man, whose open and self-confident look travels over almost four centuries to meet our gaze. It is possibly a self-portrait of the artist. Given the overwhelming spon-
taneity of this momentary record, the concept of time appears oddly relative – almost irrelevant in fact – and the eternal, universal character of truly great art comes fully into play. Gaulli produced his magnificent compositional design, a rare masterpiece full of Baroque verve and unbridled creative imagination, some fifty years later. Gaulli was without doubt Gianlorenzo Bernini’s most talented protégé and assistant and an interpreter par excellence of Bernini’s revolutionary conception of illusionistic painting. The preliminary drawing for a part of the decorative scheme of the cupola of S. Agnese in Piazza Navona in Rome does full justice to the term primo pensiero. In the breathtaking brilliance of the concept, the apparently effortless ease of the drawing style and the dramatic handling of the light this sheet perfectly embodies the stylistic principles of the High Baroque in Rome. Draughtsmanship of such rampant virtuosity only ever existed in Bernini’s Rome. The catalogue closes in chronological terms with a drawing by Adolph von Menzel. Produced two hundred years later and devoted to a different theme, it reveals draughtsmanship of similar brilliance. The sheet testifies to a new, positivist spirit. Gaulli’s fervent piety – a passionate homage to the sacred and the mystical – has now given way to a sober representation of life on earth. Menzel uses pen and pencil as analytical tools enabling him not only to come to grips with tangible reality, but to make it comprehensible as such. In his eyes everything is worth depicting. His conscious departure from traditional views transforms his drawing into an empirical procedure, the objective of which is to analyse and classify all the facets of everyday reality and thus to wrest an inner order from the chaos and fragility of life in industrial society. Despite the apparent banality of many of his pictorial motifs Menzel is never a complaisant or superficial chronicler. His pencil ennobles the people and things that strike him as worthy of depiction and gives them a spirituality all their own. This is what unites Gaulli’s celestial beings with Menzel’s simple mortals. I owe a debt of gratitude to Dieter Graf, Barbara Hardtwig, Gero Seelig, Josef Strasser and Nicolas Turner for providing me with invaluable suggestions. My thanks also go to Sandra Espig, Stefanie Löhr and Robert Oberdorfer for their helpful corrections. Robert Bryce supplied the English translation. Nicolaas Teeuwisse
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1.
jost amman
jost amman
(1539 Zürich – 1591 Nürnberg)
(1539 Zurich – 1591 Nuremberg)
Der junge Bacchus. Feder in Schwarz. 18 x 14 cm. Monogrammiert und datiert: JA 1573.
The Young Bacchus. Pen and black ink. 18 x 14 cm. Monogrammed and dated: JA 1573.
Jost Amman wurde in Zürich geboren und wuchs in einem behüteten, humanistischen Milieu auf. Sein Vater war Chorherr und Professor für Rhetorik, Logik und Philologie am Collegium Carolinum der Zürcher Gelehrtenschule. Bereits 1561 siedelte der Künstler nach Nürnberg über, schloß sich der Werkstatt von Virgil Solis an und machte sich bald einen Namen als Entwerfer von Buchillustrationen und Radierer. 1577 erhielt Amman das Bürgerrecht der Stadt Nürnberg. Nach dem Tode von Solis (1562) übernahm er die Leitung der blühenden Werkstatt und trat dessen künstlerisches Erbe an. In der Folgezeit schuf Amman zahlreiche Entwürfe für Glasfenster mit biblischen Themen und fertigte im Auftrag deutscher und schweizer Patrizier Scheibenrisse mit heraldischen Motiven an. Die 1574 erfolgte Eheschließung mit Barbara Wilck, der Witwe eines Nürnberger Goldschmiedes, mag dazu geführt haben, daß Amman sich nunmehr auch intensiv mit dem Entwerfen von Goldschmiedearbeiten beschäftigte.
Jost Amman was born in Zurich, where he grew up in a sheltered, humanist environment. His father was choirmaster and Professor of Rhetoric, Logic and Philology at the Collegium Carolinum of Zurich’s Classical Academy. In 1561 the artist moved to Nuremberg, where he joined the studio of Virgil Solis and soon made a name for himself as an etcher and designer of book illustrations. In 1577 Amman was made a citizen of Nuremberg. Following the death of Solis in 1562 Amman took over the flourishing studio, inheriting its artistic legacy. Subsequently he created numerous designs for stained-glass windows with Biblical themes and heraldic motifs commissioned by German and Swiss patricians. His marriage in 1574 to Barbara Wilck, the widow of a Nuremberg goldsmith, may have been instrumental in Amman’s subsequent close involvement with the design of pieces of gold work.
Ammans zeichnerisches Werk ist daher sehr heterogen und verleiht der bemerkenswerten Vielseitigkeit seiner Begabung Ausdruck. Unklar ist, ob es sich bei der vorliegenden kleinen Zeichnung um eine selbständige Arbeit handelt, oder ob sie vielmehr als primo pensiero für eine Goldschmiedearbeit zu betrachten ist. Das Blatt zeichnet sich durch seine lockere, jedoch konzentrierte zeichnerische Handschrift aus. Mit Hilfe einer sorgfältigen pointierten Federtechnik sind der Körper des jungen Bacchus, das Ziergefäß zu seiner Rechten und das Terrain behandelt, während der Gürtel aus Weinlaub um seine Hüften und sein Kranz in einem spontaneren und skizzenhaft wirkenden Duktus ausgeführt sind. Für die Schattenlagen hat Amman ein dichtes Netzwerk von leicht ondulierten Kreuzschraffuren benutzt, die sich effektvoll von den beleuchteten Partien am Körper abheben. Die Systematik der Strichführung verrät seine Schulung als Radierer. Auf diese Weise hat Amman ein künstlerisch überzeugendes Abbild jugendlicher, rauschhafter Vitalität geschaffen, das in ihrem betont profanen Charakter an Vorbilder der italienischen Renaissance erinnert. Ein stilistisch und ikonographisches sehr verwandtes Blatt befindet sich in der Sammlung des Kunstmuseums Basel (siehe Ausstellungskatalog Von Dürer bis Gober. 101 Meisterzeichnungen aus dem Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel, herausg. von Christian Müller, München 2009, Nr. 34). Doubliert; verso ein Kupferstich des 17. Jahrhunderts. Freie Studienblätter dieser Art sind selten im Œuvre Ammans.
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Amman’s graphic œuvre is thus very heterogeneous, expressing the remarkable versatility of his gifts. It is not clear whether the present little drawing is an independent work or whether it should be regarded as a primo pensiero for a piece of gold work. The sheet is characterized by his free, yet concentrated drawing style. A painstaking, accurate pen technique has been used to render the body of the young Bacchus, the decorative jug on his right and the ground underfoot, while the belt of vine leaves around his hips and his wreath are executed in a more spontaneous and sketchy manner. For the shaded areas Amman has used a dense network of slightly undulating cross-hatchings, which produce an effective contrast with the illuminated parts of the body. The systematic nature of the strokes betrays his training as an etcher. Amman has thus created an artistically convincing image of youthful, ecstatic vitality, the emphatically profane character of which is reminiscent of Italian Renaissance models. A drawing closely related to this one in terms of both style and iconography is to be found in the collection of the Basel Kunstmuseum (see exhibition catalogue Von Dürer bis Gober. 101 Meisterzeichnungen aus dem Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel, edited by Christian Müller, Munich 2009, No. 34). Mounted on a 17th century engraving. Free study sheets of this kind are rare in Amman’s œuvre.
Originalgröße / Actual size
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2. giovanni battista
gaulli (genannt Il Baciccio, 1639 Genua – 1709 Rom)
Teilentwurf zur „Aufnahme der hl. Agnes in das Himmelreich“. Federzeichnung in Braun, braun laviert, weiß gehöht, über einer leichten Vorzeichnung in schwarzer Kreide. 25,5 x 39 cm. Eine souveräne Leichtigkeit und eine mühelos anmutende Treffsicherheit der Zeichnung kennzeichnen diesen Teilentwurf Gaullis für ein Kuppelfresko in der Kirche Sant’Agnese an der Piazza Navona in Rom. Mehrere Ölskizzen sowie eine Reihe von gezeichneten Detailstudien zu diesem Projekt haben sich erhalten (siehe Giovan Battista Gaulli. Il Baciccio, bearb. von M. Fagiolo dell’Arco, D. Graf, F. Petrucci, Mailand 1999, S. 130–133). Bei unserem Blatt handelt es sich um einen primo pensiero im wahrsten Sinne und wir befinden uns ganz am Anfang der künstlerischen Genese dieser nie ausgeführten Kuppeldekoration. Die Szene ist in einem raschen, hochkonzentrierten Duktus skizzenhaft angelegt, bei dem der Künstler die kompositorische Balance der vielfigurigen Szene gleichsam austariert, während er mit flüssigen Lavierungen und Weißhöhungen die HelldunkelVerteilung treffsicher definiert. Von zentraler Bedeutung für ein besseres Verständnis des gesamten Dekorationsschemas ist das detailliert ausgeführte modello in Düsseldorf, das um 1690 entstanden sein dürfte (Abb. 1). Den szenischen Mittelpunkt des Kuppelfreskos bildet die Gestalt der hl. Agnes, die von Maria begleitet, demutsvoll vor Christus mit dem Kreuz und vor Gottvater niederkniet. Eine großformatige und recht bildmäßig durchgeführte gezeichnete Studie befindet sich in New York (Metropolitan Museum of Art, Abb. 2). Es handelt sich um einen Teilentwurf zu den Heiligen und zu den musizierenden Engelscharen auf den Wolken über ihnen, die sich links von der Assunzione befinden. Unser Blatt ist dieser
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Zeichnung stilistisch und kompositorisch engstens verwandt und dürfte auf Grund seiner skizzenhaften Ausführung jener Fassung vorangegangen sein. Gaullis Anstrengungen waren letztendlich nicht von Erfolg gekrönt. Ciro Ferri war 1670 von principe Giovanni Battista Pamphili mit der Ausmalung der Kuppel der Kirche Sant’Agnese beauftragt worden, bei seinem Tod im Jahre 1689 war das Projekt jedoch noch nicht vollendet. Gaulli, der zwischen 1666–72 bereits allegorische Darstellungen der Tugenden für die Kuppelpendentive in der gleichen Kirche ausgeführt hatte, bemühte sich vergeblich um den Auftrag und beabsichtigte offenbar ein neues Projekt nach eigenem Entwurf; stattdessen wurden die Fresken auf künstlerisch wenig gelungene Weise von Ferris Schüler Sebastiano Corbellini fertiggestellt. Als interessant erweist sich schließlich die Fragestellung nach der Datierung unserer Zeichnung, die möglicherweise bereits Mitte der 1670er Jahre entstanden sein dürfte. Stilistisch weist das Blatt enge Parallelen zu zwei Studien von Propheten und Evangelisten in Düsseldorf auf (Abb. 3 und 4), die Gaulli um 1675 in Zusammenhang mit den Fresken für die Kirche Il Gesù ausgeführt hat. Dies würde bedeuten, daß der Künstler sich bereits lange Zeit vor dem Tode seines Rivalen Ferri – und möglicherweise unter dem Eindruck des schleppenden Verlaufs der Ausmalung – mit dem Projekt für das Kuppelfresko geistig auseinandergesetzt hat. Es ist bedauerlich, daß Gaullis geniales Konzept nie zur Ausführung gelangte. Die barocke Leuchtkraft und der geniale Erfindungsreichtum seines Entwurfs stehen seinem Meisterwerk in der Gesù, dem Fresko zum Triumph des Namens Jesu , in nichts nach.
Fig. 2. G. B. Gaulli. Prophets, Saints, and Music-Making Angels in Glory. Pen and brown ink, grey wash over black chalk. 41.3 x 52.8 cm. New York, Metropolitan Museum of Art.
Abb. 1. G. B. Gaulli. Die Himmelfahrt der hl. Agnes. Öl auf Leinwand. 99,4 x 99 cm. Um 1690. Düsseldorf, Kunstmuseum.
Falttafel auf der Innenseite Illustration on the inside
Fig. 3. G. B. Gaulli. Four Prophets. Pen and brown ink, brown wash, heightened with white. 37.3 x 25 cm. Düsseldorf, Kunstmuseum.
Fig. 4. G. B. Gaulli. Four Evangelists. Pen and brown ink, brown wash, heightened with white. 32.8 x 25.3 cm. Düsseldorf, Kunstmuseum.
2. giovanni battista
gaulli (known as Il Baciccio, 1639 Genoa – 1709 Rome)
Detail Study for “The Assumption of St. Agnes”. Pen and brown ink, brown wash, white heightening, over a light preliminary drawing in black chalk. 25.5 x 39 cm. A supreme lightness and a seemingly effortless drawing style are the distinguishing features of Gaulli’s detail study for a fresco in the dome of the church of S. Agnese on the Piazza Navona in Rome. Several oil sketches and a series of detailed studies that he drew for this project have survived (see Giovan Battista Gaulli. Il Baciccio, edited by M. Fagiolo dell’Arco, D. Graf, F. Petrucci, Milan 1999, pp. 130–133). This sheet is a primo pensiero in the truest sense of the word, having been conceived at the very beginning of Gaulli’s project for the decoration of the dome, which never materialized. The artist has sketched the scene rapidly and with great concentration; the many figures notwithstanding, he has produced a balanced overall composition, while at the same time accurately defining the distribution of the chiaroscuro with flowing washes and white heightenings. Crucial to a better understanding of the overall decorative scheme is the detailed modello in Düsseldorf, which probably dates to around 1690 (fig. 1). The centre of the dome fresco is occupied by the figure of St. Agnes who, accompanied by Mary, is kneeling humbly before Christ with the Cross and God the Father. The Metropolitan Museum of Art in New York possesses a largeformat preparatory drawing for a part of the composition (fig. 2); this is a study for the saints and the music-making angels posi-
tioned on the clouds above them to the left of the Assunzione. The present sheet is very closely related to this drawing in stylistic and compositional terms and, given its sketch-like execution, more than likely preceded it. Gaulli’s endeavours ultimately came to no avail. In 1670, principe Giovanni Battista Pamphili commissioned Ciro Ferri to paint the dome of S. Agnese, a project he had failed to complete by the time he died in 1689. Gaulli, who had already executed allegorical Virtues in the four principal pendentives in the same church between 1666 and 1672, evidently planned a new project based on his own design, but his attempts to secure the contract proved unsuccessful. Instead, the frescoes were finished in an artistically unconvincing manner by Ferri’s pupil Sebastiano Corbellini. Finally, there is the interesting question of the date of the present drawing, which may have been executed as early as the mid-1670s. In stylistic terms it reveals close parallels with two studies of prophets and evangelists in Düsseldorf done by Gaulli around 1675 in connection with the frescoes for the Il Gesù Church (fig. 3 and 4). This would mean that the artist had given serious thought to the project for the dome fresco – possibly in the light of the slow progress made with the painting – long before the death of his rival Ferri. Regrettably, Gaulli’s ingenious scheme never came to fruition. The Baroque brilliance and the ingenious inventiveness of his design are on a par with his masterpiece in the Gesù, the fresco on the Triumph of the Name of Jesus.
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pieter de molyn
pieter de molyn
(1595 London – 1661 Haarlem)
(1595 London – 1661 Haarlem)
Eine weite Landschaft mit rastenden Landleuten. Schwarze Kreide, grau und graubraun laviert; Einfassungslinie in schwarzer Feder. 17,8 x 26 cm. Signiert: PMolyn.
A Wide Landscape with Resting Country Folk. Black chalk, grey and greyish-brown wash; borderline in black ink. 17.8 x 26 cm. Signed: PMolyn.
Wie sein Haarlemer Kollege Jan van Goyen war Molyn ein äußerst produktiver Zeichner. Insbesondere in den 1650er Jahren schuf er zahlreiche Blätter, die als selbstständige Kunstwerke betrachtet werden sollten und der stark gestiegenen Nachfrage nach bildhaft ausgeführten Zeichnungen dienten. Es handelt sich ausnahmslos um Kreidezeichnungen, die mit einer grauen oder braunen Lavierung versehen sind. Die Mehrzahl dieser Blätter ist signiert und datiert. Molyn bevorzugte identische Papierformate und auch die vergleichbare kompositorische Struktur dieser Zeichnungen läßt vermuten, daß sie als Serien angefertigt wurden. Die fein durchzeichneten Landschaften sind oft als Querformate angelegt; die Landschaft ist in mehreren parallelen Raumschichten gestaffelt und wird von effektvoll eingesetzten Staffagefiguren belebt. Molyn wandte wahrscheinlich ein ähnliches zeichnerisches Procedere wie van Goyen an. Er beobachtete seine Motive im Freien und machte Skizzen vor Ort, fertigte seine Zeichnungen jedoch im Atelier an. Ihre sorgfältige und behutsame Kompositionsweise legt nahe, daß es sich vorwiegend um imaginäre Landschaften handelt. Kennzeichnend für Molyns Faktur ist eine bewegte, körnige Strichführung der Kreide und die Anwendung von bestimmten, immer wiederkehrenden Abbreviaturen wie beispielsweise den runden Häkchen für die Wiedergabe des Baumschlags. Die flüssige Lavierung schafft weiche Helldunkel-Gegensätze und eine atmosphärische Auflösung der Landschaft, wodurch eine ganz eigene Naturlyrik entsteht.
Like his colleague from Haarlem, Jan van Goyen, Pieter de Molyn was a prolific draughtsman who produced numerous sheets – especially in the 1650s – which satisfied the greatly increased demand for finished, picture-like drawings and should be regarded as separate works in their own right. Without exception they were chalk drawings with grey or brown wash. The majority of these sheets are signed and dated. Molyn preferred identical paper formats, and the comparable compositional structure of these drawings indicates that they were produced as a series. The finely drawn landscapes are often in horizontal format; they are arranged in several parallel layers of space and enlivened by staffage figures placed to good effect. Molyn probably adopted a drawing procedure similar to that employed by van Goyen. He observed his motifs outdoors and drew sketches in situ, but did the drawings in his studio. His cautious and careful method of composition suggests that most of his landscapes are imaginary. The vigorous, granular stroke of the chalk and the use of certain recurrent abbreviations, such as the little round hooks for the depiction of the foliage, are typical features of Molyn’s style. The flowing wash produces soft chiaroscuro contrasts and an atmospheric diffusion of the landscape, engendering a very special natural lyricism.
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Aus der Sammlung A. Glüenstein (Lugt 123).
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From the collection of A. Glüenstein (Lugt 123).
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lelio orsi
lelio orsi
(1508–1587, Novellara)
(1508–1587, Novellara)
Figurenstudie eines bärtigen Mannes (Entwurf für einen Telamon). Federzeichnung in Braun. 19,8 x 7,2 cm.
Figure Study of a Bearded Man (Design for a Telamon). Pen and brown ink. 19.8 x 7.2 cm.
Der aus der emilianischen Kleinstadt Novellara gebürtige Maler und Architekt Lelio Orsi ist zweifellos eine der interessantesten und eigenwilligsten Persönlichkeiten des italienischen Cinquecento. Orsi war seit 1536 als Maler in Reggio tätig, mußte diese Stadt jedoch ein Jahrzehnt später, angeblich wegen seiner Verwicklung in eine Mordaffäre verlassen und kehrte nach Novellara zurück. In seiner Heimatstadt genoß er die besondere Protektion von Alfonso und Camillo Gonzaga, die entfernt mit der gleichnamigen Herrscherfamilie in Mantua verwandt waren und ihm zahlreiche Aufträge erteilten. Mit diesen adligen Gönnern unternahm Orsi auch Studienreisen nach Venedig (1553) und Rom (1554–56).
Born in the little Emilian town of Novellara, the painter and architect Lelio Orsi is undoubtedly one of the most interesting and wayward personalities of the Italian Cinquecento. Having worked as a painter in Reggio for ten years, Orsi was forced to leave the city in 1546, allegedly because of his involvement in a murder case, and returned to Novellara. In his home town he enjoyed the special protection of Alfonso and Camillo Gonzaga, who were distantly related to the ruling family of the same name in Mantua and gave him numerous commissions. In the company of these noble patrons Orsi also undertook study trips to Venice (1553) and Rome (1554–56).
4.
Von Orsis Tafelbildern und Fresken ist nahezu nichts erhalten geblieben. Auch seine Zeichnungen sind recht selten. Die vorliegende Figurenstudie reiht sich in eine Gruppe von Entwürfen für Karyatiden und Telamonen ein, die in Zusammenhang mit Orsis Tätigkeit als Autor von Fassadenmalereien zu betrachten sind. Alfonso Gonzaga hatte 1563 ein anspruchsvolles urbanistisches Projekt angeordnet, bei dem die Fassaden der Stadt Novellara restauriert und durch Fresken verschönert werden sollten. Die Ausmalung zahlreicher Palazzi wurde Orsi und seinen Gehilfen anvertraut. Obwohl diese Fassadenmalereien nahezu vollständig verloren gegangen sind, ist dieser Aspekt von Orsis Wirken durch ein Korpus von Friesentwürfen, Architektur- und Ornamentzeichnungen dokumentiert (siehe Ausstellungskatalog Lelio Orsi, bearb. von Elio Monducci, Reggio Emilia, Teatro Valli, 1988, Nrn. 99–100). Die vorliegende Figurenstudie ist in ihrer nervösen, bewegten Federtechnik ein gültiges Beispiel für Orsis Zeichenstil. Kennzeichnend ist eine expressive, fast fahrige und kratzige Strichführung, die sich enger Schraffurmuster und starker Helldunkelkontraste bedient. Eine gewisse Exzentrizität ist allen diesen Blättern eigen. Der knochige Kopf des Mannes mit seinen tiefen Augenhöhlen und dem wilden Bart strahlt etwas Düsteres aus und auch die kunstvoll verdrehte Pose verrät eine manieristische Überspitzung. Mit großer Wahrscheinlichkeit fungierte die Gestalt im Kontext einer größeren Fassadendekoration als Träger einer Kronleiste oder eines anderen architektonischen Elements.
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Almost nothing has been preserved of Orsi’s panel paintings and frescoes. His drawings are also very rare. The present figure study is one of a set of designs for caryatids and telamons, which should be seen in connection with Orsi’s work as the author of façade paintings. In 1563 Alfonso Gonzaga launched an ambitious architectural project to restore the façades of the town of Novellara and decorate them with frescoes. Orsi and his assistants were entrusted with the decorative painting of numerous palazzi. Although these façade paintings have nearly all been lost, this aspect of Orsi’s work is documented by a collection of designs for friezes as well as by architectural and ornamental drawings (see the exhibition catalogue Lelio Orsi, edited by Elio Monducci, Reggio Emilia, Teatro Valli, 1988, nos. 99–100). The somewhat nervous and jagged penwork of the present figure study is a valid example of Orsi’s drawing style, which is characterized by expressive, almost edgy and scratchy line work with close hatching patterns and strong chiaroscuro effects. A certain eccentricity is common to all these works. The bony head of the man with its deep eye sockets and wild beard has something gloomy about it, and the artificially contorted pose betrays a mannerist affectation. The figure was very likely intended to form part of a larger façade decoration as the bearer of an ornamental plinth or other architectural element.
Originalgröße / Actual size
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simon vouet
simon vouet
(1590–1649, Paris)
(1590–1649, Paris)
Brustbildnis eines jungen Mannes (Selbstbildnis?). Schwarze und rote Kreide auf bräunlichem, fein strukturiertem Bütten. 14,1 x 11,8 cm. Um 1620–25.
Bust Portrait of a Young Man (Self-portrait?). Black and red chalk on brownish, finely structured laid paper. 14.1 x 11.8 cm. Circa 1620–25.
Simon Vouet ist zweifelsohne die bedeutendste und vielseitigste Künstlerpersönlichkeit, die Frankreich während der Regierungszeit Ludwigs XIII. hervorgebracht hat. Frühbegabt, gebildet und mit einem zielstrebigen Naturell ausgestattet, malte er mit virtuoser Leichtigkeit und bemerkenswerter Auffassungsgabe ein beachtliches Œuvre, in dem sich die wichtigsten künstlerischen Strömungen seiner Zeit widerspiegeln. Vouet verbrachte dreizehn Jahre – von 1614 bis 1627 – in Rom, wo illustre Persönlichkeiten wie Kardinal Maffeo Barberini – der spätere Papst Urban VIII. – und Mitglieder der adligen Familien Giustiniani, Orsini und Doria zu seinen Förderern zählten. In Rom bekannte er sich zum Caravaggismus, wurde geprägt von den Errungenschaften der dort lebenden nordischen Landschafts- und Genremaler, und befaßte sich intensiv mit dem Studium von Werken berühmter Vorgänger und Zeitgenossen wie Carracci, Guercino und Reni. Dabei gelang es ihm, all diese Einflüsse in eine eigenständige und äußerst suggestive Stilsprache zu verwandeln.
Simon Vouet is without a doubt the most important and versatile artistic personality that France produced during the reign of Louis XIII. Talented from an early age, educated and equipped with a natural sense of purpose, he painted with effortless virtuosity and remarkable powers of comprehension, creating a considerable œuvre that reflected the main artistic currents of his time. Vouet spent thirteen years – from 1614 to 1627 – in Rome, where such illustrious personalities as Cardinal Maffeo Barberini – later Pope Urban VIII – and wealthy aristocratic families like the Giustiniani, Orsini and Doria were among his patrons. In Rome he was exposed to Caravaggism and influenced by the achievements of the northern European landscape and genre painters resident there. At the same time he engaged in an intensive study of the works of such renowned predecessors and contemporaries as Annibale Carracci, Guercino, and Guido Reni, finally managing to transform all these influences into a highly suggestive stylistic idiom of his own.
Das wundervoll lebendige kleine Bildnis eines jungen Mannes ist ein seltenes und sehr persönliches Zeugnis der römischen Schaffensjahre. Es besticht durch seine erstaunliche Spontaneität und künstlerische Frische. Mit weit geöffneten Augen blickt der Dargestellte den Betrachter fragend an, als sei er in einem intimen Moment von seinem Gegenüber überrascht worden. Die zersausten, ungekämmten Haare und die nackten Schultern verstärken den informellen Charakter dieser Momentaufnahme und lassen vermuten, daß der junge Mann nach einer wilden, durchzechten Nacht gerade von seinem Schlaflager aufgestanden ist. Entsprechend spontan und frei ist der zeichnerische Duktus dieses delikaten Bildnisses, das um 1620–25 enstanden sein dürfte und qua Technik und Zeichenstil gewisse Übereinstimmungen zu den Bildniszeichnungen Ottavio Leonis aufweist. Für die Annahme, dass es sich um ein Selbstportrait handeln könnte, gibt es überzeugende Gründe. Die Ähnlichkeit der Physiognomie des Modells mit den überlieferten Bildnissen Vouets ist offenkundig, obwohl der Künstler sich ohne das für ihn charakteristische „Van Dyck“ Bärtchen dargestellt hat.
This wonderfully lively little portrait of a young man is a rare and very personal testimony to Vouet’s Roman period. Its appeal lies in its astonishing spontaneity and artistic freshness. With wide open eyes the subject looks questioningly at the beholder, as though he has been surprised by the latter at an intimate moment. The tousled, uncombed hair and the bare shoulders underline the informal character of this momentary glimpse, suggesting that the young man has just been roused from slumber after a night of wild carousing. Hence the spontaneity and freedom of the drawing style of this exquisite portrait, which was probably executed around 1620–25 and whose technique shows certain correspondences with the portrait drawings of Ottavio Leoni. The thesis of a self-portrait is a persuasive one and cannot be dismissed out of hand. The similarity of the subject’s features to other known portraits of the artist is very convincing, although Vouet has portrayed himself without his characteristic “Van Dyck” beard.
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antoine coypel (1661–1722, Paris)
Kopf eines bärtigen Mannes, den Blick nach oben gewandt. Schwarze, rote und weiße Kreide (aux trois crayons). 22,7 x 16,3 cm. Um 1715–17. Diese kraftvolle und markante Kopfstudie besticht durch ihre physische Präsenz und wirkungsvolle mise en page. Coypel war eine absolute Frühbegabung. Erst elf Jahre alt, begleitete er seinen Vater Noel Coypel 1672 nach Rom und erhielt dort entscheidende künstlerische Eindrücke. Der Knabe genoß eine gediegene akademische Ausbildung, kopierte Raphael im Vatikan und erhielt eine Auszeichnung für disegno an der Accademia di S. Luca. Die Bekanntschaft mit dem Universalgenie Gianlorenzo Bernini und dem mächtigen Malerfürsten Carlo Maratta mag weiter stilbildend gewirkt haben. Auf Anraten Roger de Piles widmete Coypel sich auf der Rückreise nach Frankreich in Norditalien dem Studium von Correggio, Tizian und Veronese. Mit diesem wertvollen Potential an visuellen Eindrücken gerüstet, kehrte der junge Künstler 1676 nach Paris zurück und begann dort eine wechselvolle, von Höhen und Tiefen gekennzeichnete Karriere. 1681 wurde Coypel in die Akademie aufgenommen; 1685 erfolgte seine Ernennung zum Peintre ordinaire des Herzogs von Orléans, dem Bruder des Königs; Coypel genoß fortan die besondere Protektion des Hauses Orléans. Der Ausbruch des Pfälzischen Erbfolgekrieges im Jahre 1689 bedeutete eine vorübergehende Krise für die Karriere Coypels, da wichtige Staatsaufträge fast für ein Jahrzehnt zum Erliegen kamen. Die Suche nach neuen Auftraggebern ging mit einem Stilwandel ein-
Abb. 1. A. Coypel. Kopfstudie einer jungen Frau. Schwarze, rote und weiße Kreide. 22,3 x 17,2 cm. Paris, Musée du Louvre. 18
her. Hatte Coypel sich bis dahin auf eine religiöse und mythologische Monumentalmalerei à la Lebrun spezialisiert, so wandte er sich jetzt der Kabinettmalerei zu und wurde zu einem feurigen Verfechter des rubénisme, einer Stilrichtung, für die das Primat leuchtender, sinnlicher Farbigkeit und barocker Gestaltungskraft bestimmend war (siehe Nicole Garnier, Antoine Coypel (1661–1722), Paris 1989). Die vorliegende Zeichnung stammt aus der späten Schaffenszeit Coypels, die etwa um 1700 einsetzt. In dieser Periode wandte sich der Künstler erneut einer mehr klassizistischen Malweise zu und errang mit Interpretationen von wenig bekannten Themen der Antike bedeutende Achtungserfolge. Unser Blatt steht in Zusammenhang mit dem um 1715–17 entstandenen Gemälde Aeneas und Achates erscheinen Dido im Tempel (Arras, Musée des Beaux-Arts, Garnier Nr. 128). Die Kopfstudie ist eine Vorzeichnung für den bärtigen Greis, der unmittelbar rechts vom Thron der Königin Dido steht. Insgesamt sechs weitere Detailstudien zu diesem Gemälde, die alle aux trois crayons ausgeführt sind, haben sich erhalten (Garnier 498–503). Eine Studie für eine der Hofdamen Didos, die im Pariser Louvre aufbewahrt wird, besitzt eine nahezu identische Blattgröße wie unsere Zeichnung (Abb. 1). Charakteristisch für alle diese Blätter ist ein kraftvoller, sehr treffsicherer Zeichenstil, in dem sich Anleihen an große Vorgänger wie Raphael, Carracci und Rubens zu einem ausdrucksstarken und souveränen Duktus verdichten.
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antoine coypel (1661–1722, Paris)
Head of a Bearded Man Gazing Upwards. Black, red and white chalk (aux trois crayons). 22.7 x 16.3 cm. Circa 1715–17. This powerful and distinctive study of a head has a fascinating physical presence and a highly effective mise en page. Coypel’s abundant talent surfaced at an early age. In 1672, at the age of eleven, he accompanied his father Noel Coypel to Rome, where the works of art he encountered left a lasting impression. Antoine received a sound academic training; he copied the works of Raphael in the Vatican and was given an award for disegno at the Accademia di San Luca. In Rome he made the acquaintance of the universal genius Gianlorenzo Bernini and the powerful prince of painters Carlo Maratta, who may also have influenced his style. On the advice of Roger de Piles, Coypel interrupted his return journey to France to spend time studying the works of Correggio, Titian and Veronese in Northern Italy. Invested with the valuable potential resulting from his visual impressions, the young artist returned in 1676 to Paris, where he began a chequered career marked by ups and downs. In 1681 Coypel was accepted into the Academy; in 1685 he was appointed peintre ordinaire to the Duke of Orléans, the brother of the king, and from then on enjoyed the special protection of the House of Orléans. The outbreak of the Nine Years’ War in 1688 marked a temporary caesura in Coypel’s career, as important state commissions
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evaporated for almost a decade. His search for new patrons was accompanied by a change in style. Hitherto Coypel had specialised in monumental religious and mythological paintings à la Lebrun. Now, however, he turned to cabinet painting, becoming a passionate advocate of rubénisme, a style in which pre-eminence was given to warm, sensuous colours and Baroque verve (see Nicole Garnier, Antoine Coypel (1661–1722), Paris 1989). This drawing stems from Coypel’s late period, beginning around 1700, when he reverted to a more classical style of painting and achieved considerable succès d’estime with his interpretations of little known themes from antiquity. The present sheet is related to the painting Aeneas and Achates Appear Before Dido in the Temple and dates to around 1715–17 (Arras, Musée des BeauxArts, Garnier No. 128). Our study of a head is a preparatory sketch for the bearded old man standing immediately to the right of Queen Dido’s throne. Six other detail studies for this painting, all of which were executed aux trois crayons, have survived (Garnier 498–503). A study for one of Dido’s ladies-in-waiting, which is now kept in the Louvre in Paris, is of almost identical size as the present drawing (fig. 1). A characteristic feature of all these sheets is a vigorous and unerring draughtmanship, in which borrowings from such illustrious predecessors as Raphael, Carracci und Rubens are interwoven, producing a distinctive style that is both masterful and highly expressive.
A. Coypel. Énée et Achate apparaissant dans le temple à Didon. Oil on canvas. 39 x 57 cm. Arras, Musée des Beaux-Arts.
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giovanni david (1743 Cabella Ligure – 1790 Genua)
Arkadische Landschaft mit antiken Ruinen, Orientalen und Hirten. Federzeichnung in Grauschwarz und Aquarell. 19,8 x 31,2 cm. Um 1775.
und Holland trugen dazu bei, Davids künstlerischen Horizont zu erweitern (siehe M. Newcome Schleier/G. Grasso, Giovanni David Pittore e incisore della famiglia Durazzo, Turin, 2003).
In der Gesamtperspektive der italienischen Kunst des Settecento nimmt das Schaffen Giovanni Davids eine besondere Stellung ein, die auf die bemerkenswerte Originalität und schöpferische Kraft seiner Bildwelt zurückzuführen ist. David war ein begnadeter Radierer und sein umfangreiches druckgraphisches Werk, das größtenteils zwischen 1775–79 entstanden ist, besticht durch technische Experimentierfreude und Esprit. So erprobte er früher als Goya die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten der Aquatintatechnik; einzelne Blätter der Caprichos verraten den Einfluß, welche Davids Radierungen auf Goya ausgeübt haben. David war auch ein verdienstvoller Maler. Der Schmelz und die raffinierte Eleganz seines um 1775 entstandenen Selbstbildnisses legen ein eindrucksvolles Zeugnis seiner Fähigkeiten auf diesem Gebiet ab.
Nicht zuletzt auch als Zeichner offenbart David sein vielseitiges Talent. Mythologische und historische Themen, Genresujets und allegorische Motive verdichten sich scheinbar mühelos zu höchst originellen und eigenständigen Bilderfindungen. Ebenso vielseitig ist die Skala der angewandten künstlerischen Mittel, die Davids Neigung zu ungezügelter Phantastik und erzählerischer Dramatik wirksam Ausdruck verleihen. Das vorliegende Blatt dürfte in Zusammenhang mit zwei radierten arkadischen Landschaften (Grasso 157, 158, Abb. 1) entstanden sein, die der Künstler um 1775, wohl in Venedig geschaffen hat. Möglicherweise handelt es sich um eine Vorstudie zu einer weiteren, nicht ausgeführten Radierung, denn die stilistischen und kompositorischen Übereinstimmungen mit den beiden existierenden Radierungen sind offenkundig. Die aus einem niedrigen und schrägen Blickwinkel beobachtete Szene überzeugt durch ihre komplexe Kompositionsweise und ihre fast bühnenhaft wirkende Raumgestaltung. Ein spitzer Baumstumpf vorne rechts und weitere kahle Baumstämme im Hintergrund bilden diagonale Bildachsen, welche die innere Dynamik der Komposition steigern. Eine ähnliche Kompositionsweise findet sich auf einer ebenfalls um 1775 entstandenen Federzeichnung wieder, welche die Inspiration eines Poeten darstellt (Abb. 2). Mensch und Tier sind lebhaft und mit Esprit observiert und sogar die steinerne Brunnenmaske sprudelt vor Leben. Das sanfte, weiche Kolorit erzeugt vibrierendes, mediteranes Licht und intensiviert den Stimmungsgehalt der Ruinenlandschaft.
David verdankte seinen künstlerischen Aufstieg der Unterstützung eines einzigen Mannes, des Genueser Diplomaten und Mäzens Giacomo Durazzo, der ihn während seiner gesamten Laufbahn tatkräftig förderte und ihm zahlreiche Studienaufenthalte im Ausland ermöglichte. So schickte Durazzo den jungen Künstler 1770 nach Rom, wo er von keinem Geringeren als Domenico Corvi ausgebildet wurde. 1775 ließ sich David für einige Jahre in Venedig nieder, wo auch Durazzo sich in diplomatischer Mission aufhielt. Um 1780 erfolgte die endgültige Rückkehr Davids nach Genua, wo er bis zu seinem Tode leben und arbeiten sollte. Zahlreiche Reisen nach Frankreich, England
Abb. 1. G. David. Arkadische Landschaft. Radierung und Aquatinta. 22,7 x 32,6 cm. Newcome Schleier/Grasso 158. 22
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giovanni david (1743 Cabella Ligure – 1790 Genoa)
Arcadian Landscape with Ancient Ruins, Orientals and Herdsmen. Pen and greyish-black ink and watercolour. 19.8 x 31.2 cm. Circa 1775.
England and Holland helped to expand David’s artistic horizon (see M. Newcome Schleier/G. Grasso, Giovanni David Pittore e incisore della famiglia Durazzo, Turin, 2003).
In the overall perspective of Italian Settecento art the work of Giovanni David occupies a special place by virtue of its remarkable originality and the creative power of its imagery. David was a gifted etcher, and his extensive printed work, most of which was done between 1775 and 1779, owes its appeal to the artist’s verve and willingness to experiment with new techniques. Thus he anticipated Goya in exploring the possibilities offered by aquatint, while some of the Caprichos betray the influence David’s etchings had on Goya. David was also a respectable painter. The lustre and refined elegance of his self-portrait (c. 1775) are an impressive testimony to his skills in this field.
Another aspect of David’s talent is demonstrated by his work as a draughtsman. Mythological and historical themes, genre subjects and allegorical motifs seem to blend effortlessly into highly original and inventive creations. Equally varied is the scale of artistic means used, which give effective expression to David’s penchant for eccentric fantasy and dramatic narrative. It is likely that the present drawing arose in connection with two etched Arcadian landscapes (Grasso 157, 158, fig. 1), which the artist produced around 1775, probably in Venice. It may have been a preliminary study for another etching that was never executed, as the stylistic and compositional matches with the two existing etchings are self-evident. The capriccio creates an unusual effect through its low and oblique angle of observation, complex composition and almost stage-like layout. A jagged tree stump in the right foreground and other bare tree trunks in the background form diagonal axes which reinforce the inner dynamic of the composition. A similar method of composition is used in a pen-andink drawing, which was also done about 1775 and represents the inspiration of a poet (fig. 2). People and animals – even the gurgling stone gargoyle – are endowed with life and rendered with wit. The soft, gentle colouring creates a vibrant, Mediterranean light and intensifies the mood of this arcadian landscape with ruins.
David owed his artistic rise to the support of a single man, the Genoese diplomat and patron of the arts Giacomo Durazzo, who actively promoted him throughout his entire career and provided him with numerous opportunities to study abroad. In 1770, for example, Durazzo sent the young artist to Rome, where he was trained by none other than Domenico Corvi. In 1775 David settled for a few years in Venice, where Durazzo was also staying in connection with his diplomatic duties. Some time around 1780 David finally returned to Genoa, where he was to live and work until his death. However, numerous trips to France,
Fig. 2. G. David. The Inspiration of a Poet. Pen and grey wash, black and white chalk. 20.9 x 30.4 cm. Private collection. 24
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8. johann georg von
dillis
johann georg von dillis
(1759 Grüngiebing – 1841 München)
(1759 Grüngiebing – 1841 Munich)
Lesendes Mädchen. Graphit, braune und rote Kreide, im Oval, aus verschiedenen Papierteilen zusammengefügt und vom Künstler selbst auf Büttenpapier montiert. 16,5 x 13,8 cm. Eigenhändig bezeichnet, signiert und datiert: „Nach dem Leben gezeichnet von G. Dillis 1789.“
Girl Reading. Graphite, brown and red chalk, in an oval frame, composed of various pieces of paper and mounted on laid paper by the artist himself. 16.5 x 13.8 cm. Inscribed, signed and dated in the artist’s own hand: “Drawn from life by G. Dillis 1789.”
Innerhalb des umfangreichen zeichnerischen Œuvres von Johann Georg von Dillis stellen die Porträtdarstellungen eine kleine, aber qualitativ hochwertige Gruppe dar. Es handelt sich um Kinderporträts, Bildnisse von Personen aus dem engsten Familienkreis, Freunden und Bekannten, sowie Studien von Bauern und Volkstypen. Viele dieser Blätter haben einen rein privaten Charakter und waren nie für die Öffentlichkeit oder den Verkauf vorgesehen. In künstlerischer Hinsicht überzeugen diese Porträtzeichnungen, die vorwiegend in den späten 1780er und vor allem in den 1790er Jahren entstanden sind, jedoch durch die zeitlos wirkende Frische und Unmittelbarkeit ihrer künstlerischen Anschauungsweise. Besondere Erwähnung verdienen in diesem Zusammenhang die psychologisch einfühlsamen und meisterhaft beobachteten Bildnisse des jüngeren Bruders Johann Cantius (1779–1856), zu dem Dillis eine besondere Zuneigung empfand (siehe Ausstellungskatalog Johann Georg von Dillis. Die Kunst des Privaten, bearb. von Barbara Hardtwig, MünchenHamburg 2003/04).
Portraits occupy a small but exclusive place in the extensive drawn œuvre of Johann Georg von Dillis. They feature children, members of the inner family circle, friends and acquaintances as well as studies of peasants and other folk types. Many of these works are of a purely private nature and were never intended for public display or sale. From an artistic point of view, however, these portrait drawings, most of which were done in the late 1780s and 1790s, have a timeless effect owing to the freshness and immediacy of their artistic vision. Deserving of special mention in this connection are the psychologically sensitive and brilliantly observed portraits of his younger brother Johann Cantius (1779– 1856), for whom Dillis had a special affection (see exhibition catalogue Johann Georg von Dillis. Die Kunst des Privaten, edited by Barbara Hardtwig, Munich-Hamburg 2003/04).
Die intime und delikat behandelte Darstellung eines lesenden Mädchens ist ein gültiges Beispiel für Dillis’ Porträtkunst jener Schaffensphase. Das kleine, in ein Oval eingepasste Brustbild zeigt ein etwa achtjähriges Mädchen, das in die Lektüre eines Buches vertieft ist. Ihr sanftes, kindliches Gesicht mit den offenen, über die Schultern fallenden Locken ist leicht aus der Frontalansicht nach rechts gewendet. Die Leichtigkeit der Strichführung macht deutlich, daß es sich um eine spontane Skizze nach dem Leben handelt. Treffend hat Dillis die Haltung des Mädchens beobachtet, das konzentriert mit beiden Händen das Buch hält und völlig von der Außenwelt abgeschlossen zu sein scheint. Die Anmut des Kindergesichtes wird noch erhöht durch die delikate, sparsame Verwendung farbiger Kreide, welche die pulsierende Wärme des Inkarnats und die Färbung des kastanienbraunen Haares wirksam betont. Sehr delikat ist der weiche Mund mit den zart geröteten Lippen charakterisiert. Die Identität des Mädchens ist unbekannt. Möglicherweise war sie eine Angehörige einer der vornehmen Familien, zu denen Dillis auf Grund seiner Tätigkeit als Zeichenlehrer Zutritt hatte.
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This intimate and delicately handled portrayal of a girl reading is a valid example of Dillis’s portrait art at the time. The small, oval-framed, half-length portrait shows a girl about eight years of age engrossed in a book. Her soft, childish face with its long, wavy, undressed hair falling over her shoulders is shown from the front, turned slightly to the right. The lightness of the line work makes clear that this is a spontaneous sketch done from life. Dillis has accurately observed the posture of the girl, who is concentrating on the book she is holding in both hands, apparently completely oblivious to the outside world. The sweetness of the child’s face is heightened by the delicate, sparing use of coloured chalk, which effectively brings out the vibrant warmth of the complexion and the colouring of the chestnut-brown hair. The soft, pink-lipped mouth is rendered with great delicacy. The identity of the girl is unknown. She may have been a member of one of the distinguished families to which Dillis had access in his capacity as an art teacher.
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balthasar anton dunker
balthasar anton dunker
(1746 Saal bei Stralsund – 1807 Bern)
(1746 Saal near Stralsund – 1807 Bern)
Idyllische südliche Landschaft mit figürlicher Staffage. Federzeichnung in Schwarz über Graphit und Aquarell. 29 x 22,2 cm. Signiert und datiert: „Dessiné par B. A. Dunker 1775“.
Idyllic Southern Landscape with Figures. Pen and black ink over graphite and watercolour. 29 x 22.2 cm. Signed and dated: “Dessiné par B. A. Dunker 1775”.
In zarten Farben hat Dunker die Atmosphäre der pittoresken südlichen Landschaft einfühlsam eingefangen und mit feinen, spitzen Federstrichen die Beschaffenheit von Terrain und Vegetation präzise charakterisiert. Markant zeichnen sich das üppige Laub einer Eiche und die kahlen Äste eines toten Baumes vor dem diesigen Himmel ab. Am Rande eines Sandweges hat sich ein Krämer für eine Verschnaufpause hingesetzt und seine schwere Last abgeladen; eine Bauernfrau mit Kind auf dem Rücken betrachtet neugierig seine Ware. Die Landschaft strahlt eine milde, unbeschwerte Poesie aus, die noch ganz dem Geist des französischen Rokoko verhaftet ist. In seinem kleinteiligen Zeichenstil und seiner Vorliebe für genrehafte, figurale Gestaltung ist das vorliegende Blatt ein anmutiges und ganz charakteristisches Beispiel für die Zeichenkunst Dunkers. Sorgfältig komponierte Landschaftsdarstellungen dieser Art sollten in erster Linie den Betrachter erquicken und seinem Auge Zerstreuung bieten.
Using delicate colours Dunker has sensitively captured the atmosphere of the picturesque southern landscape and neatly rendered the texture of terrain and vegetation with deft strokes of the pen. The lush foliage of an oak and the bare branches of a dead tree stand out against the hazy sky. At the edge of a dirt track an itinerant trader has shed his heavy burden and sat down for a rest, while a peasant woman with a child on her back regards his wares with interest. The landscape radiates a mild, lighthearted, poetic quality which owes much to the spirit of the French Rococo. The detailed drawing style and preference for genrelike figures make the present work a delightful and highly characteristic example of Dunker’s graphic art. Carefully composed landscapes of this kind were primarily intended to gladden the beholder and please the eye.
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Der Maler und Radierer Balthasar Anton Dunker war seinem ersten Lehrmeister Jakob Philipp Hackert 1765 nach Paris gefolgt. Er trat dort bei Johann Georg Wille in die Lehre ein und bildete sich bei Joseph-Marie Vien und Noel Hallé in der Historienmalerei weiter. Dunker verweilte jedoch nicht lange auf den Höhen der grande peinture. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wandte er sich der Radierkunst zu und verdingte sich als Reproduktionsstecher. 1772 arbeitete Dunker in Basel als Graveur in der Werkstatt von Christian von Mechel und siedelte im folgenden Jahr nach Bern über, wo er bis zu seinem Tode ansässig sein sollte. In seiner neuen Heimat entfaltete Dunker eine durchwegs fruchtbare Tätigkeit. Er tat sich als Graphiker hervor und übersetzte bis in die 1780er Jahre hinein Landschaftszeichnungen seines Lehrers und Freundes Hackert in das Medium der Radierung. Er war erfolgreich als Illustrator tätig und schuf ein umfangreiches zeichnerisches und malerisches Œuvre, das im Sinne des Zeitgeistes von einer heiteren, idyllischen Landschaftsauffassung geprägt war.
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In 1765 the painter and etcher Balthasar Anton Dunker followed his first teacher, Jakob Philipp Hackert, to Paris, where he apprenticed himself to Johann Georg Wille and continued his study of historical painting under Joseph-Marie Vien and Noel Hallé. But Dunker did not long remain in the lofty world of grande peinture. He turned to etching to earn his living and became a reproductive engraver. By 1772 Dunker was working in Basel as an engraver in the studio of Christian von Mechel before moving the following year to Bern, where he was to spend the rest of his life. Dunker proved a productive worker in his new home. He distinguished himself as a printmaker, doing reproductive prints after landscape drawings by his teacher and friend Hackert up to the 1780s. He was also successful as an illustrator, creating an extensive graphic and painted œuvre which, in keeping with the zeitgeist, was marked by a serene, idyllic concept of landscape.
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10. franz de paula ferg (1689 Wien – 1740 London)
franz de paula ferg (1689 Vienna – 1740 London)
Eine Ruinenlandschaft mit Staffagefiguren. Grisaillemalerei auf Papier, auf Büttenkarton aufgezogen. 20,3 x 15,9 cm.
Landscape with Ruins and Figures. Grisaille on paper, mounted on handmade cardboard. 20.3 x 15.9 cm.
Der Maler und Radierer Franz de Paula Ferg erhielt seine erste künstlerische Ausbildung bei seinem Vater Adam Pankratz Ferg und lernte anschließend bei Georg Andreas Washuber, Hans Graf und Joseph Orient. Fergs wechselhafte Biographie ist das Exempel eines Kleinmeisters auf Wanderschaft, der in verschiedenen europäischen Kleinstädten seine Fortüne versuchte. Ferg verließ Wien im Jahre 1718 und hielt sich in der Folge in Bamberg und Leipzig auf, wo er Johann Alexander Thiele kennenlernte, den er nach Dresden begleitete und dessen Landschaften er staffierte. 1720 ging der Künstler nach einem Aufenthalt in Norddeutschland nach London, wo er als Autor von Ruinenlandschaften, Marinen und Genrebildern tätig war.
The painter and etcher Franz de Paula Ferg received his initial artistic training from his father, Adam Pankratz Ferg, and subsequently studied under Georg Andreas Washuber, Hans Graf and Joseph Orient. Ferg’s chequered career epitomizes that of a peripatetic minor master who tried his luck in various European towns. Ferg left Vienna in 1718 and later spent time in Bamberg and Leipzig, where he made the acquaintance of Johann Alexander Thiele, whom he accompanied to Dresden and for whose landscapes he provided the staffage. In 1720, after a sojourn in northern Germany, the artist went to London, where he produced landscapes with ruins, seascapes and genre scenes.
Die vorliegende Ölgrisaille ist ein charakteristisches und seltenes Beispiel für Fergs Landschaftskunst und dürfte auf Grund der stilistischen und thematischen Analogien mit der von ihm radierten Folge Capricci fatti per F.F. (Heller-Andresen 1) um 1726 in London entstanden sein. Eine vergleichbare Gruppe von Studien in der selben Technik befindet sich in Wien (siehe Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina, herausg. von A. Stix, Wien 1933, Bd. IV, S. 165, Nrn. 2026–2033). Ferg bevorzugte kleine Formate, seine Capriccios sind sorgfältig und geistreich komponiert und zeichnen sich durch eine miniaturhaft feine Behandlung aus. Ganz charakteristisch ist seine Vorliebe für in Rückenansicht gezeigte Repoussoir-Figuren, welche die Tiefenwirkung intensivieren. Ferg soll nach anfänglichen Erfolgen verarmt in London gestorben sein. Auf einen Mangel an Talent mag dieses Schicksal nicht zurückzuführen sein. Sehr gekonnt und flüssig ist die Pinselführung auf unserer Grisaillemalerei. Der markante Baumstumpf, die pittoreske Ruinenarchitektur sowie der leichte Wolkenhimmel sind suggestiv und atmosphärisch wiedergegeben, während die treffsicher gesetzten Höhungen eine delikate, vibrierende Lichtwirkung erzeugen und den idyllischen Stimmungsgehalt der Szene steigern.
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The present oil grisaille is a rare example of Ferg’s landscape art. Judging by the stylistic and thematic analogies with a suite of etchings by Ferg with the title Capricci fatti per F.F. (HellerAndresen 1), it was probably produced in London in 1726. A comparable group of studies in the same technique is in Vienna (see Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina, published by A. Stix, Vienna 1933, vol. IV, p. 165, nos. 2026–2033). Ferg preferred small formats, and his capriccios are carefully and imaginatively composed, being distinguished by a miniature-like fineness of treatment. Very characteristic is his predilection for repoussoir figures shown from behind, which reinforce the sense of depth. After initial successes Ferg allegedly died a pauper in London. Such a fate could not have been due to lack of talent. The brushwork in this grisaille is very skilful and fluid. The striking tree stump, the picturesque ruins and the faintly clouded sky are rendered suggestively and atmospherically, while the accurate use of heightening generates a delicate, vibrant light effect that enhances the idyllic mood of the scene.
Originalgröße / Actual size
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11. lorenzo de’ ferrari
lorenzo de’ ferrari
(1680–1744, Genua)
(1680–1744, Genoa)
Studienblatt eines nackten Jünglings mit erhobenen Armen. Schwarze Kreide, weiß gehöht, auf graugrünem Papier. 41 x 55,5 cm. Um 1726–30.
Study sheet of a naked youth with raised arms. Black chalk and white heightening on greenish-grey paper. 41 x 55.5 cm. Circa 1726–30.
Barocke Anmut und Leichtigkeit charakterisieren dieses schöne Studienblatt aus der reifen Schaffenszeit des Lorenzo de’ Ferrari. Es handelt sich um die Vorstudie zu einem schwebenden Engel auf dem Altarstück Die Glorie der Jung frau, das Lorenzo zwischen 1726–30 schuf und das sich heute in der Sammlung der Galleria di Palazzo Bianco in Genua befindet. Der flüssige, scheinbar mühelose Zeichenstil und die weiche Körpermodellierung sind Ausdruck einer souveränen Beherrschung des Mediums. Eine weitere Vorstudie, welche die Gesamtkomposition des Altarstückes zeigt, wird ebenfalls in Genua aufbewahrt (Gabinetto Disegni e Stampe, Palazzo Rosso, Abb. 1).
Baroque grace and lightness of touch characterize this fine study sheet from Lorenzo de’ Ferrari’s mature period. It is a preliminary study for a hovering angel intended for an altarpiece called The Glory of the Virgin that Lorenzo produced between 1726 and 1730 and is now in the collection of Genoa’s Galleria di Palazzo Bianco. The fluid, apparently effortless drawing style and the soft contours of the body reveal a complete mastery of the medium. Another preliminary study showing the overall composition of the altarpiece is also in Genoa (Gabinetto Disegni e Stampe, Palazzo Rosso, fig. 1).
Der Maler und Zeichner Lorenzo de’ Ferrari war der Sohn von Gregorio de’ Ferrari und Margherita Piola und ist das bedeutendste Mitglied der zweiten Generation der sogenannten Casa Piola, dieser so einflußreichen und produktiven Werkstatt, welche die Genueser Malerei ab etwa 1650 über ein Jahrhundert geprägt hat. Lorenzo war Schüler seines Vaters und wurde in seinen jungen Jahren entscheidend von der Kunst Guido Renis und Anthony van Dycks, der mehrere Jahre in Genua tätig gewesen war, beeinflußt. Lorenzo arbeitete anfangs als Gehilfe seines Vaters, entwickelte mit der Zeit jedoch einen unverkennbar eigenen Stil und führte zahlreiche Aufträge für religiöse und profane Wand- und Deckenmalereien aus, wodurch er sich zu einem der angesehensten Vertreter der illusionistischen Dekorationsmalerei in Genua emporschwang. Aus der Sammlung Santo Vanni (1807–85, Genua).
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The painter and draughtsman Lorenzo de Ferrari was the son of Gregorio de’ Ferrari and Margherita Piola and the most important member of the second generation of what is known as the Casa Piola, the influential and productive studio which dominated Genoese painting for a century starting from around 1650. Lorenzo was a pupil of his father and was decisively influenced in his young years by the art of Guido Reni and Anthony van Dyck, who had been active for several years in Genoa. Lorenzo initially worked as an assistant to his father, but in time developed an unmistakable style of his own. He executed numerous commissions for religious and secular murals and ceiling paintings, and eventually became one of the most esteemed representatives of illusionist decorative painting in Genoa. From the collection of Santo Vanni (1807–85, Genoa).
Lorenzo de’ Ferrari. The Assumption of the Virgin. Red chalk. 47.5 x 34 cm. Circa 1726–30. Genoa, Palazzo Rosso, Gabinetto Disegni e Stampe. 33
12. johan tobias sergel (1740–1814, Stockholm)
johan tobias sergel (1740–1814, Stockholm)
Eine tanzende Bacchantin. Rötelzeichnung. 17 x 18,5 cm.
Dancing Maenad. Red chalk drawing. 17 x 18.5 cm.
Bei dem in einem schwungvollen und flüssigen Duktus ausgeführten Blatt handelt es sich um eine Studie für ein Reliefmedaillion, die Sergel während seines ersten römischen Aufenthaltes (1767–78) ausgeführt hat. Der Künstler war im Sommer 1767 nach einer längeren Reise mit Etappen in Stralsund, Berlin, Dresden, Wien, Triest und Venedig in der Ewigen Stadt eingetroffen, wo der Anblick der antiken Kunstschätze ihn so bewegte, daß er nach eigener Auskunft die ersten vier Monate nicht arbeiten konnte. Sergel gestand überraschend selbstkritisch: „Nach meiner Ankunft in Rom – am 27. August 1767 – erkannte ich, daß es keine anderen Meister gibt, denen man zu folgen hat, als die Antike und die Natur. Ich hatte es hinlänglich weit gebracht, um einzusehen, daß ich nichts konnte, so daß es nötig war, aufs neue zu studieren, genauso wie man einem Kind die ersten Lehren beibringt“ (zitiert nach Werner Hofmann, Johan Tobias Sergel, Kunsthalle Hamburg, 1975, S. 140). Sergel ging in Rom nach einem systematischen Studienplan vor. Tagsüber zeichnete er nach der Antike und studierte die Werke großer italienischer Vorgänger wie Raphael und Annibale Carracci, um sich abends dem Aktstudium zu widmen.
The drawing, executed in a spirited and fluid style, is a study for a relief medallion that Sergel had made during his first stay in Rome (1767–78). The artist had arrived in the Eternal City in summer 1767 after a lengthy journey with stops in Stralsund, Berlin, Dresden, Vienna, Trieste and Venice, where the sight of the ancient art treasures moved him so deeply that by his own account he was unable to work for four months afterwards. Sergel confessed with surprising self-criticism: “After my arrival in Rome – on 27 August 1767 – I realized that there were no other masters to follow than classical antiquity and nature. I had progressed far enough to see that I could not do anything properly, so I had to start to study anew, just like a child learning its first lessons” (quoted after Werner Hofmann, Johan Tobias Sergel, Kunsthalle Hamburg, 1975, p.140). In Rome, Sergel followed a systematic course of study. His days were spent in drawing – the works of classical antiquity serving as his models – and studying the works of such great Italian predecessors as Raphael and Annibale Carracci, while his evenings were devoted to nude studies.
Die vorliegende Zeichnung gehört einer Gruppe von Rötelzeichnungen an, die als Versuche und Vorstudien für architektonischskulpturale Projekte und antikisierende Reliefs in Rom entstanden sind. Es handelt sich um Bildhauerzeichnungen im wahrsten Sinne des Wortes. Die Figur der tanzenden Mänade ist Teil eines größeren, antiken Bacchantinnenreliefs, das Sergel in der Villa Borghese sah. In einem treffsicheren, bewegten Duktus hat er die Pose der ekstatisch tanzenden Frau zeichnerisch erfaßt. In ihrer rechten Hand trägt sie den Thyrsosstab, während sie mit ihrer Linken ein Opfertier hält. Im Unterschied zum antiken Modell hat Sergel die Szene in ein Oval eingefaßt; die Gestalt der Bacchantin hebt sich vor einem durch wuchtige, vertikale Parallelschraffuren definierten Hintergrund ab. Die Zeichnung ist abgebildet bei: Ragnar Josephson. Sergels Fantasi. Stockholm 1956, Bd. I, S. 63, Abb. 55, 56. Provenienz: Johann Gustav Sergel, Gut Sponga, Ärila.
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The present drawing is one of a set of red chalk drawings which were meant as experimental preliminary studies for architectural or sculptural projects and antique reliefs in Rome. Hence they are sculptural drawings in the truest sense of the word. This figure is part of a larger, classical-style dancing maenad relief that Sergel had seen in the Villa Borghese. With vigorous but accurate strokes he has captured the ecstatic pose of the dancing woman, who carries a thyrsus in her right hand and a sacrificial animal in her left. In contrast to his classical model, Sergel has placed the scene in an oval frame, with the figure of the maenad standing out against a background composed of stark, vertical parallel hatchings. The drawing is reproduced in: Ragnar Josephson. Sergels Fantasi. Stockholm 1956, vol. I, p. 63, figs. 55, 56. Provenance: Johann Gustav Sergel, Sponga Manor, Ärila.
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13. melchior steidl
melchior steidl
(1657 Innsbruck – 1727 München)
(1657 Innsbruck – 1727 Munich)
Entwurf für das Chorfresko mit Maria Immaculata für die Schönenbergkirche bei Ellwangen. Feder in Rotbraun, grau laviert. 32 x 19,5 cm. 1711. Unten signiert, bezeichnet und datiert: „Melchior Steidl Mahler I:F:/ gezeichnet in Ellwange[n] a: 1711.“
Design of a Choir Fresco with Maria Immaculata for Schönenberg Church near Ellwangen. Pen and reddishbrown ink, grey wash. 32 x 19.5 cm. 1711. Signed, inscribed and dated at the bottom: „Melchior Steidl Mahler I:F:/gezeichnet in Ellwange[n] a: 1711.“
Über die frühe Ausbildung des Freskanten und Altarblattmalers Melchior Steidl ist wenig bekannt. Erst als Geselle bei dem Münchener Hofmaler Johann Anton Gumpp wird Steidls Künstlerpersönlichkeit faßbar. Die von Meister und Schüler gemeinsam vorgenommene neuartige Ausmalung der Stiftskirche von St. Florian bot Steidl die Gelegenheit, sich als Freskant zu etablieren: Er entwickelte sich zu einem gefragten Künstler und führte zahlreiche Aufträge in Süddeutschland und Oberösterreich aus. Zu seinen bedeutendsten Werken zählen die Ausmalung der Kaisersäle in Kremsmünster und der Bamberger Residenz sowie seine Arbeiten in Fulda.
Little is known of the early training given to Melchior Steidl, a painter of frescoes and altarpieces. Only after he became a journeyman with the Munich court painter Johann Anton Gumpp did his artistic personality begin to emerge. The master and his pupil jointly painted the new-style frescoes in the collegiate church of St. Florian. This gave Steidl the opportunity to establish himself as a fresco painter and thereafter he was in great demand as an artist, carrying out numerous commissions in Southern Germany and Upper Austria. Prominent among his achievements are the painting of the Imperial Rooms in Kremsmünster and the Bamberg Residenz and the works he executed in Fulda.
Die Freskierung der Wallfahrtskirche auf dem Schönenberg bei Ellwangen erfolgte in den Jahren 1711 bis 1712. Für das Chorfresko haben sich drei Entwürfe überliefert (siehe J. Strasser, Melchior Steidl (1657–1727). Die Zeichnungen, herausg. vom Salzburger Barockmuseum, München-Berlin 1999, Nrn. 25–27.), die der Ausführung bereits sehr nahe kommen. Vorliegende, bisher in der Literatur nicht verzeichnete Zeichnung stimmt zwar im Kompositionsaufbau und Hauptsujet mit den bekannten Entwürfen überein, jedoch fällt vor allem eine thematische Abweichung im unteren Teil der Komposition auf: Anstelle der Vertreibung aus dem Paradies hatte Steidl zunächst die Figur des Todes geplant. So handelt es sich bei vorliegender Zeichnung vermutlich um einen früheren Entwurf, den Steidl seinen Auftraggebern zuerst vorgelegt hat. Wir danken Herrn Dr. Josef Strasser für die mündliche Bestätigung am 13. Januar 2010.
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The frescoes in the pilgrimage church on Schönenberg Hill near Ellwangen were painted in 1711/12. Three designs for the choir fresco are recorded (see J. Strasser, Melchior Steidl (1657–1727). Die Zeichnungen, Salzburger Barockmuseum, Munich-Berlin 1999, No. 25–27), all of which are very similar to the actual painting. While the present drawing, unpublished hitherto in the literature, matches the known designs as regards the main subject and the compositional structure, there is a striking thematic divergence in the lower part of the composition. Instead of the expulsion from paradise Steidl originally planned the figure of death. Hence the present drawing is presumably an earlier design that Steidl first presented to his clients. We are grateful to Dr. Josef Strasser for kindly confirming the authorship.
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14.
luigi ademollo (1764 Mailand – 1849 Firenze)
Der Tod des Germanicus. Federzeichnung in Schwarz über einer leichten Vorzeichnung in Bleistift, Braun laviert, weiß gehöht; Einfassungslinie in schwarzer Feder. 44,5 x 70 cm. Um 1800. Das eindrucksvolle Blatt ist ein charakteristisches Beispiel für Ademollos Zeichenkunst um 1800 und besticht durch seine verfeinerte und detaillierte, neoklassizistische Stilsprache. Die Darstellung zeugt zudem von Ademollos Vorliebe für theatralische Inszenierungen, die dem Künstler die Möglichkeit bieten, eine Vielzahl an unterschiedlichen Bewegungsmotiven und Gemütsregungen darzustellen. Nicht zuletzt verdeutlicht das hohe qualitative Niveau der Ausführung, weshalb Ademollo gemeinsam mit Künstlern wie Vincenzo Camuccini, Felice Giani und Giuseppe Cades zu den führenden Vertretern des italienischen Neoklassizismus zählt. Geschildert istder römische Feldherr Germanicus auf dem Sterbebett, dem seine Frau Agrippina und seine nächsten Familienangehörigen beistehen. Die von zahlreichen Protagonisten belebte Handlung spielt sich gleichsam auf einer Bühne ab; die schweren Draperien links und rechts im Hintergrund fungieren wie ein Theatervorhang. Ganz kennzeichnend für Ademollo ist eine liebevolle Aufmerksamkeit für das archäologische Detail. Die architektonische Entourage der Szene und Einzelheiten, wie die Rüstungen der römischen Krieger, die fein plissierten Kleider der Frauen oder die kostbaren antiken Gefäße sind mit größter Präzision wiedergegeben, wodurch ein Eindruck historischer Authentizität hervorgerufen wird.
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Nero Claudius Germanicus (15 v. Chr. – 19 n. Chr.) war ein Großneffe des ersten römischen Kaisers Augustus und Adoptivsohn seines Nachfolgers Tiberius. Er heiratete Agrippina, eine Enkelin des Augustus, die ihm neun Kinder gebar. Germanicus tat sich als Heerführer hervor und wurde vor allem durch seine Feldzüge in Germanien bekannt. Trotz einiger vermeintlicher oder tatsächlicher Siege gelang es ihm letztendlich jedoch nicht, die aufmüpfige Provinz zu befrieden. Germanicus wurde von Tiberius zurückgerufen, bezeichnenderweise in Rom mit einem Triumphzug geehrt, um dann in den Osten des Reiches entsandt zu werden. Nach Etappen in Griechenland und Kleinasien fiel Germanicus im Jahre 19 n. Chr. in der syrischen Stadt Antiochia einer politischen Intrige zum Opfer und wurde angeblich von seinem politischen Rivalen Gnaeus Calpurnius Piso, der kurz zuvor Statthalter von Syria geworden war, vergiftet. Die genauen Umstände seines Todes sind jedoch nie eindeutig aufgeklärt worden. Im Gegensatz zu seinem Adoptivvater Tiberius war der glücklose Germanicus im ganzen Reich sehr beliebt und die Nachricht seines Todes wurde mit Bestürzung aufgenommen, wie durch eine große Zahl von Ehrendenkmälern und Totenehrungen belegt wird. Verso vom Künstler eigenhändig bezeichnet: „Morte di Germanicho datta da Pisone con fatuchierie per ordine di Tiberio / Agripina sua Moglie e suoi figli“ (Der Tod von Germanicus, auf Befehl von Tiberius von Piso mit Hexerei betrieben/ Agrippina seine Frau und seine Kinder).
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14.
luigi ademollo (1764 Milan – 1849 Florence)
The Death of Germanicus. Pen and black ink over a faint preliminary drawing in pencil, brown wash, white heightening; borderline in black ink. 44.5 x 70 cm. Circa 1800. This impressive sheet is a characteristic example of Ademollo’s drawing style around 1800 and owes its appeal to the refinement and detail of its Neoclassicist idiom. The portrayal also shows Ademollo’s predilection for theatrical staging effects, which enable the artist to show a large number of different types of movement and expressions of emotion. Not least among the picture’s virtues is the high quality of execution, which is why Ademollo, together with such artists as Vincenzo Camuccini, Felice Giani and Giuseppe Cades, is numbered among the leading representatives of Italian Neoclassicism. The subject of the picture is the Roman general Germanicus, who is lying on his death bed surrounded by his wife Agrippina and the members of his immediate family. The scene, enlivened by numerous protagonists, is taking place as on a stage, with the heavy drapery in the left and right background acting like a theatre curtain. Very characteristic of Ademollo is the loving attention he pays to archaeological detail. The architectural settings of the scenes and details, such as the armour of the Roman soldiers, the finely pleated garments of the women and the antique vessels are rendered with the utmost precision, thus creating an impression of historical authenticity.
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Nero Claudius Germanicus (15 B.C. – 19 A.D.) was a greatnephew of Augustus, the first Roman Emperor, and an adoptive son of his successor, Tiberius. He married Agrippina, a granddaughter of Augustus, who bore him nine children. Germanicus distinguished himself as a general and was mainly known for his German campaigns. Despite a number of victories, real or supposed, he ultimately failed to pacify the rebellious province. Germanicus was recalled by Tiberius, who put on a show of honouring him with a triumphal procession in Rome, only to be subsequently sent to the eastern reaches of the Empire. In 19 A.D., after spending time in Greece and Asia Minor, Germanicus fell victim to a political intrigue in the Syrian city of Antioch and was poisoned, allegedly by his political rival Gnaeus Calpurnius Piso, who had just been appointed governor of Syria. The exact circumstances of his death have never been conclusively established, however. Unlike his adoptive father Tiberius, the luckless Germanicus was very popular throughout the Empire, and the news of his death was received with great dismay, as is proven by the large number of monuments and memorial services in his honour. On the verso is written in the artist’s own hand: “Morte di Germanicho datta da Pisone con fatuchierie per ordine di Tiberio / Agripina sua Moglie e suoi figli” (The death of Germanicus by sorcery at the order of Tiberius of Piso / Agrippina his wife and his children).
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jean-achille benouville
jean-achille benouville
(1815–1891, Paris)
(1815–1891, Paris)
Blick auf den Nemisee mit der Stadt Genzano im Hintergrund. Federzeichnung in Braun, Aquarell und Deckfarben. 37 x 55,8 cm. Um 1845.
View of Lake Nemi with the Town of Genzano in the background. Pen and brown ink, watercolour and gouache. 37 x 55.8 cm. Circa 1845.
Das prachtvoll erhaltene, großformatige Blatt zeigt eine malerische Uferpartie des Nemisees in den Albaner Bergen, etwa dreißig Kilometer südöstlich von Rom. Seit der Antike hat die spektakuläre landschaftliche Entourage des Nemisees, der vulkanischen Ursprunges ist, eine große Anziehungskraft auf römische Patrizier ausgeübt, die hier Erholung suchten und Villen erbauten. Im Hintergrund gewahrt man die Umrisse des Städtchens Genzano, das wie ein Adlernest auf einem Gebirgskamm gelegen ist.
This superbly preserved, large sheet shows a picturesque section of the shore of Lake Nemi in the Alban Hills, some thirty kilometres south-east of Rome. Since ancient times the spectacular landscape around Lake Nemi had exerted a great attraction on Roman patricians who sought recreation and built villas here. In the background one can discern the skyline of the town of Genzano, perched like an eagle’s nest on a mountain range.
15.
Im 18. und 19. Jahrhundert wurde der Nemisee zu einem beliebten Reiseziel bei der in Rom lebenden Künstlerschaft. Maler wie John Robert Cozens, Jakob Philipp Hackert und William Turner verewigten den Ort auf zahlreichen Veduten, bei denen sie meist von oben gesehene Panoramaansichten des Sees mit seinen steilen, bergigen Ufern bevorzugten. Ungewöhnlich ist daher der von Benouville gewählte Standpunkt unten am Ufer des Sees, bei dem der Künstler in Nahansicht das duftige Laub einer Steineiche, einen umgestürzten Baumstamm, Sträucher und Felsenblöcke pointiert und wunderbar stofflich dargestellt hat. Die majestätische Stille der weiten Landschaft ist eindrucksvoll und verleiht dem Ganzen eine meditative Qualität. Subtil hat der Künstler das Funkeln des Lichtes auf der reglosen, kühlen Wasseroberfläche eingefangen. Benouvilles Aquarelltechnik, die unnachahmlich weiche Übergänge und fein abgestufte Helldunkelgegensätze hervorzaubert, besitzt in ihrer Frische der Naturbeobachtung eine zeitlose Schönheit. Die Sparsamkeit der Mittel verrät gleichzeitig größte Beherrschung des Mediums. So gelingt es dem Künstler beispielsweise, mit einem einzigen, langgezogenen und feinen Strich das Aufblitzen des Wasserspiegels am Horizont naturgetreu und suggestiv wiederzugeben. Benouville wurde von Léon Cogniet und François Picot ausgebildet und unternahm von 1838 an mehrere Italienreisen. Als ein Erlebnis von größter Tragweite erwies sich ein mehrmonatiger Aufenthalt in Rom im Jahre 1843, bei dem Benouville intensiv mit Corot zusammenarbeitete. Die italienische Landschaft mit ihrem ganz eigenen, mediterranen Licht wurde von nun an zum zentralen Thema seiner Kunst. Eine besondere Bedeutung kommen in diesem Zusammenhang Benouvilles Gouachen und Aquarelle zu, die seit 1844 in steter Folge entstanden. In ihrer vibrierenden Leichtigkeit und Flüssigkeit der malerischen Handschrift lassen sie sich stilistisch zwischen Pierre Henry de Valenciennes und Corot einordnen.
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In the 18th and 19th centuries the lake, which is of volcanic origin, became a favourite destination for artists residing in Rome. Painters like John Robert Cozens, Jakob Philipp Hackert and William Turner eternalized the Lago di Nemi in vedute in which they mostly preferred panoramic views of the lake, showing its steep, craggy banks. So the vantage point selected by Benouville is unusual: down on the bank of the lake, where the artist has given us a detailed and wonderfully in-depth close-up of the feathery foliage of a holm-oak, a fallen tree trunk, bushes and boulders. The majestic stillness of the broad landscape is impressive. With subtlety and vividness the artist has caught the shifting play of light on the motionless surface of the water. Benouville’s watercolour technique, which conjures up breathtakingly soft transitions and the finest chiaroscuro, is one of genuine mastery, the freshness of its observation of nature giving it a timeless beauty. The economy of means betrays absolute mastery of the medium. It is impressive to see, for example, how naturally and suggestively the artist has rendered with a single, fine white brush stroke the light reflected on the water along the far bank. The artist trained under Léon Cogniet and François Picot, and in 1838 undertook what was to be the first of several Italian tours. A stay of several months in Rome in 1843, during which Benouville collaborated very closely with Corot, proved to be a very formative experience. Thereafter the Italian landscape, bathed in its special Mediterranean glow, was to become a central theme of his art. Of particular importance in this connection are Benouville’s gouaches and watercolours, which appeared regularly from 1844 onwards. Their vivacity, lightness of touch and fluid use of colour place them stylistically somewhere between Pierre Henry de Valenciennes and Corot.
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eduard daege
eduard daege
(1805–1883, Berlin)
(1805–1883, Berlin)
Stehender weiblicher Akt mit gefesselten Händen. Schwarze und rote Kreide, Kohle, mit einer Bleistiftquadratur. 52,5 x 23,9 cm. Monogrammiert: Ed. Dg. Um 1835.
Standing Female Nude with Bound Hands. Black and red chalk, charcoal, squared in pencil. 52.5 x 23.9 cm. Monogrammed: Ed. Dg. Circa 1835.
Der Historienmaler Eduard Daege wurde an der Berliner Akademie ausgebildet, wo er sich als Meisterschüler von Karl Wilhelm Wach bald künstlerisch hervortat. Ab 1826 beteiligte er sich regelmäßig an den Ausstellungen der dortigen Akademie, auf denen er mit religiösen und allegorischen Themen vertreten war. Von 1832 bis 1833 unternahm Daege eine Italienreise und ließ sich nach seiner Rückkehr in Berlin nieder. Daege war ein gutbeschäftigter und recht erfolgreicher Künstler, der sich auf die Historienmalerei und auf italienische und biblische Genreszenen spezialisierte. Namentlich in seiner religiösen Malerei spiegelt sich der Einfluß der Kunst der Nazarener wider. 1835 wurde Daege gemeinsam mit Carl Blechen, Johan Christian Clausen Dahl und Johann Wilhelm Schirmer als „Geschichtsmaler“ in die Berliner Akademie aufgenommen. Zahlreiche öffentliche Ämter, die dem Künstler in der Folgezeit zufielen, sind Ausdruck seines damaligen Renommees.
The history painter Eduard Daege was trained at the Berlin Academy, where he soon distinguished himself artistically as a master-class student of Karl Wilhelm Wach. From 1826 onwards he contributed regularly to the exhibitions at the Academy, where he was represented by religious and allegorical themes. From 1832 to 1833 Daege traveled in Italy and after his return settled in Berlin. Daege was a much-sought-after and highly successful artist who specialized in historical themes and Italian and Biblical genre scenes. His religious painting in particular reflected the influence of the Nazarenes. In 1835, together with Carl Blechen, Johan Christian Clausen Dahl and Johann Wilhelm Schirmer, Daege was admitted to the Berlin Academy as a “history painter”. The numerous public offices the artist later held are an indication of his renown.
16.
Die vorliegende Aktstudie einer stehenden jungen Frau legt Zeugnis von Daeges zeichnerischem Talent ab. Die Studie hat eine beachtliche Präsenz und ist in einem flüssigen, souveränen Zeichenstil ausgeführt. Reizvoll ist der Kontrast zwischen den summarisch angedeuteten Beinen und dem detailliert behandelten Gesicht und Oberkörper der exotisch anmutenden Schönheit. Mit einer spitzen Kreidelinie sind die Umrisse von Armen, Brüsten und Bauch treffsicher definiert, während der subtile Einsatz von roter Kreide dem weiblichen, fülligen Körper Plastizität verleiht und die Wärme des Inkarnats hervorhebt. Eine subtile Wischtechnik erzeugt weiche Helldunkel-Übergänge, während einzelne markante Details wirksam hervorgehoben sind. So hat der Künstler mit einem spitzen Kohlestift die langen, pechschwarzen Haarsträhnen graphisch effektvoll betont, und auch die gefesselten Hände sind weich und mit großer zeichnerischer Delikatesse wiedergegeben. Auf diese Weise hat der Künstler ein überzeugendes und sinnliches Abbild weiblicher Anmut geschaffen.
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The present nude study of a young woman standing testifies to Daege’s talent as a draughtsman. The study has a considerable presence and is treated in a fluid, masterly drawing style. There is a delightful contrast between the sketchily indicated legs and the detail of the face and upper body of this exotic beauty. Sharply pointed chalk has been used for the accurate outlines of her arms, breasts and belly, while the subtle use of red chalk adds contours to the ample female body and enhances the warmth of the flesh-tints. A subtle wiping technique generates soft chiaroscuro transitions, while striking individual details are also brought out effectively. The artist has used a sharp charcoal pencil to emphasize the long, jet black strands of hair to good effect, and the bound hands are rendered tenderly and with great delicacy. He has thus created a convincing and sensuous image of feminine charm.
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17. joseph von führich (1800 Kratzau – 1876 Wien)
Die Verkündigung an die Hirten. Federzeichnung in Braun. 26,2 x 38,7 cm. Um 1824–30. Monogrammiert. Wörndle 197. Der in der nordböhmischen Ortschaft Kratzau geborene Künstler erhielt den ersten Unterricht bei seinem Vater Wenzel Führich. 1819 errang Führich mit zwei Bildern einen großen Achtungserfolg auf der Ausstellung der Akademie in Prag. Gefördert durch Graf Christian Clam-Gallas trat er im nächsten Jahr sein Kunststudium an der dortigen Akademie an. In den frühen 1820er Jahren beschäftigte Führich sich intensiv mit dem romantischen Gedankengut. Er las Novalis, Tieck, Wackenroder und die Schriften der beiden Brüder Schlegel und tat sich auch als Illustrator hervor. Sein Illustrationszyklus zu Tiecks Genoveva, an dem der Künstler in den Jahren 1824–25 arbeitete, erwies sich als großer künstlerischer Erfolg und ermöglichte ihm dank der Fürsprache des Fürsten Metternich ein Reisestipendium nach Italien. Anfang 1827 traf Führich in Rom ein. Er verkehrte im Kreise der deutschen Künstlerschaft, die sich im Café Greco traf, und machte durch Joseph Anton Koch Bekanntschaft mit den Nazarenern Julius Schnorr von Carolsfeld, Philipp Veit und Friedrich Overbeck. Diese Verbindung erwies sich als so befruchtend und richtungweisend, daß Führich bald dem Lukasbund beitrat und sich vollig mit dessen künstlerischen und religiösen Bestrebungen identifizierte. Unter der Leitung Overbecks war Führich 1827–29 an der Vollendung der Fresken im Tasso-Saal im Casino Massimo beteiligt, um anschließend im Sommer 1829 nach Prag zurückzukehren. In seiner 1844 erschienenen Autobiographie schilderte Führich seine letzten Tage in Rom auf anrührende Weise: „Meine Freunde hatten mir ein Abschiedsmahl bereitet, wobei alle ernsteren deutschen Künstler erschienen ... Der Abschied fand in einer der schönstgelegenen Osterien vor Porta Salara statt, von wo man eine herrliche Aussicht über die Campagna in die Sabiner- und Lateiner-Gebirge genießt; wehmütige Heiterkeit war die herrschende Stimmung, die sich bald der ganzen Gesellschaft mitgeteilt hatte. Meine Freunde begleiteten mich mit Fackeln nach Hause“ (zitiert nach M. Bernhard, Deutsche Romantik Handzeichnungen, München 1973, Bd. I, S. 432).
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Die Verkündigung an die Hirten ist ein künstlerisch bedeutendes Beispiel für das frühe zeichnerische Schaffen Führichs. Das Blatt dokumentiert gleichzeitig die Vielschichtigkeit und die Reichweite seiner künstlerischen Inspirationsquellen. Während seiner akademischen Ausbildung in Prag war Führich wesentlich von der altdeutschen Kunst und der Graphik Albrecht Dürers geprägt. In Rom widmete er sich nun intensiv dem Studium der Malerei der italienischen Renaissance und wandte sich unter dem Einfluß Overbecks den künstlerische Idealen der Nazarener zu, deren bedeutendster österreichischer Vertreter er in der Folgezeit wurde. Heinrich von Wörndle datierte die vorliegende Zeichnung um 1824, jedoch könnte die Verkündigung an die Hirten auf Grund ihrer stilistischen Nähe zu einigen Blättern der römischen Schaffenszeit auch einige Jahre später, um 1827– 28 entstanden sein (Abb. 1). Die Darstellung besticht durch ihre souveräne Kompositionsweise. Sehr subtil und sinnfällig ist das Interagieren zwischen der schwebenden Engelschar, dem Erzengel und den erstaunten Hirten dargestellt. Jede einzelne Gestalt besticht durch ihre individuelle Mimik und abwechslungsreiche Gestik. Gleiches gilt für die Tiere der Herde, die lebendig und mit liebevoller Aufmerksamkeit charakterisiert sind. Sehr harmonisch und räumlich überzeugend gestaltet sich der Übergang von der Figurengruppe vorne zu der weiten südlichen Landschaft im Hintergrund, die sich unter einem nächtlichen Sternenhimmel entfaltet. Die Zeichnung ist in einer äußerst konzentrierten und pointierten Federtechnik behandelt, die dank subtiler Variationen der Strichdichte reiche tonale Abstufungen erzielt und durch die Vielfalt ihrer Schraffurmuster beeindruckt. Die wundervoll leicht und transparent skizzierten Engel gehen typologisch auf Albrecht Dürer zurück und sind in ihrem akkuraten zeichnerischen Duktus wesentlich von seinem Beispiel geprägt. In seinem Bestreben nach linearer Verfeinerung und zeichnerischem Purismus zeigt sich Führich gleichzeitig den Idealen der nazarenischen Bewegung zutiefst verpflichtet.
J. von FĂźhrich. Eliezar und Rebekka am Brunnen. Federzeichnung. 28,1 x 11,4 cm. 1828. Berlin, Kupferstichkabinett.
Falttafel auf der Innenseite Illustration on the inside
17. joseph von führich (1800 Kratzau – 1876 Vienna)
The Adoration of the Shepherds. Pen and brown ink. 26.2 x 38.7 cm. Circa 1824–30. Monogrammed. Wörndle 197. Born in the north Bohemian town of Kratzau (now Chrastava), the artist was first taught by his father, Wenzel Führich. In 1819, Führich scored a great succès d’estime with two pictures he contributed to the annual exhibition of the Prague Academy. Sponsored by Count Christian Clam-Gallas, he began to study art at that same Academy the following year. In the early 1820s Führich was intensely preoccupied with the ideas of the Romantic movement, reading Novalis, Tieck, Wackenroder and the writings of the two Schlegel brothers, while also distinguishing himself as an illustrator. His illustrations for Tieck’s Genoveva, on which the artist worked in the years 1824–25, turned out to be a great artistic success and, thanks to the intervention of Prince Metternich, earned him a grant for a study trip to Italy. Early in 1827 Führich arrived in Rome, where he moved in the circle of German artists who met in the Café Greco, and made the acquaintance, through Joseph Anton Koch, of the Nazarenes Julius Schnorr von Carolsfeld, Philipp Veit and Friedrich Overbeck. This connection turned out to be so fruitful and inspiring that Führich soon joined the Brotherhood of Saint Luke and identified himself completely with its artistic and religious activities. From 1827 to 1829, Führich took part, under the supervision of Overbeck, in the completion of the frescoes in the Tasso Hall in the Casino Massimo before returning to Prague in summer 1829. In his autobiography, published in 1844, Führich movingly describes his last days in Rome: “My friends had prepared for me a farewell supper, which all the more serious German artists attended ... The farewell took place in one of the most beautifully situated inns outside Porta Salara, with a lovely view over the Campagna towards the Sabine and Latian Hills; cheerful nostalgia was the prevailing mood, which soon spread to the whole company. My friends saw me home by torchlight” (quoted after M. Bernhard, Deutsche Romantik Handzeichnungen, Munich 1973, vol. I, p. 432).
The Adoration of the Shepherds is an artistically significant example of Führich’s early drawing style. The work also documents the variety and range of his artistic sources of inspiration. During his academic training in Prague Führich was heavily influenced by old German art and the drawings of Albrecht Dürer. Later in Rome he devoted himself intensely to the study of Italian Renaissance painting and, under the influence of Overbeck, found himself drawn to the artistic ideals of the Nazarenes, whose most prominent Austrian representative he subsequently became. Although Heinrich von Wörndle dated the present drawing at about 1824, an exact chronological assignment is difficult. Because of its stylistic proximity to the drawings of the Roman period, the Adoration of the Shepherds could equally well have been done some years later, say 1827–28 (fig. 1). Führich was an excellent draughtsman, and all the works he produced after 1824 demonstrate impressive clarity and accuracy of line. Our sheet owes its effect to its masterly composition. The interaction between the angelic host, the Archangel and the astonished shepherds is presented with great subtlety and clarity. Each figure is given its own individual expression and gestures. The same applies to the animals of the herd, which are characterized vividly and with loving attention to detail. The transition from the group of figures in the foreground to the wide southern landscape in the background, stretched out under the starry night sky, is managed with great harmony and spatial dexterity. Führich’s penwork is extremely concentrated and succinct throughout. He achieves rich tonal gradations by means of subtle variations in the thickness of line and employs a wide variety of hatching patterns to great effect. The wonderfully light and transparently sketched angels are inspired by Albrecht Dürer, whose accurate drawing style they reflect. At the same time, in his striving for graphic refinement and his purism of line Führich shows himself to be true to the ideals of the Nazarene movement.
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18. franz innocenz
kobell
franz innocenz kobell
(1749 Mannheim – 1822 München)
(1749 Mannheim – 1822 Munich)
Arkadische Landschaft mit figürlicher Staffage. Federzeichnung in Braun und Aquarell. 18,3 x 22,3 cm. Um 1810–15.
Arcadian Landscape with Figures. Pen and brown ink and watercolour. 18.3 x 22.3 cm. Circa 1810–15.
Franz Kobell war ein äußerst produktiver Zeichner, der von seinem neun Jahre älteren Bruder Ferdinand ausgebildet und während seines Aufenthalts in Rom (1779–84) entscheidend von der idealistischen Landschaftsmalerei Lorrains und Poussins geprägt wurde. Bei der Mehrzahl der in Italien ausgeführten Landschaftskompositionen handelt es sich um lavierte Federzeichnungen, aquarellierte Blätter kommen dagegen weniger häufig vor. Als Zeichner legte Kobell eine fast systematische Arbeitsweise an den Tag, indem er bestimmte kompositorische Elemente wie Wasserfälle, pittoreske Felsenpartien und Baumgruppen gekonnt und abwechslungsreich miteinander kombinierte. Es handelt sich mit anderen Worten um ständig wechselnde Variationen auf ein Thema. Er stützte sich bei diesem Procedere nicht auf Naturstudien, sondern erfand die Ideallandschaften schnell und freihändig aus dem Gedächtnis und entsprechend umfangreich ist daher auch das zeichnerische Œuvre.
Franz Kobell was an extremely prolific draughtsman who was trained by his brother Ferdinand – his senior by nine years – and decisively influenced by the idealistic landscape painting of Lorrain and Poussin during his sojourn in Rome (1779–84). Most of the landscape compositions he executed in Italy are pen-and-ink drawings with wash, while watercolour sheets occur less frequently. As a draughtsman Kobell adopted a very systematic approach, skilfully and imaginatively combining certain compositional elements such as waterfalls, picturesque sections of cliff and groups of trees. In other words he produced constant variations on a theme. In adopting this procedure he did not rely on nature studies, but instead drew freely on his memory in dashing off his ideal landscapes. Hence his drawn œuvre is correspondingly extensive.
Diese fast serielle Produktion von Ideallandschaften erschwert die Datierung der einzelnen, meist unbezeichneten Arbeiten wesentlich. Aquarellierte Blätter kommen bereits in den römischen Jahren vor, sind jedoch in stilistisch kaum unterschiedlicher Form auch im Spätwerk vertreten. Das vorliegende Blatt dürfte jedoch auf Grund stilistischer Analogien mit einzelnen datierten Blättern um 1810–15 in München entstanden sein. Trotz einer gewissen Standardisierung der Bildregie überzeugt die Darstellung durch ihre Frische der Naturbeobachtung und eine subtile Anwendung der Aquarelltechnik.
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This almost serial production of ideal landscapes greatly impedes the dating of individual works, most of which are unmarked. Although watercolour sheets occur in the Roman period, they are also represented in the late work in a style that is basically unchanged. In the case of the present drawing, however, stylistic analogies with certain other dated works appear to indicate that it was executed in Munich between 1810 and 1815. Despite a certain standardization of theme the present image is striking for the freshness of its observation of nature and subtle use of watercolour technique.
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19. adolph von menzel (1815 Breslau – 1905 Berlin)
Auf einem Stuhl sitzende Dame im Ballkleid, aus einem Suppentässchen löffelnd. Federzeichnung in Schwarz, grau laviert. 17,3 x 10,6 cm. Signiert und datiert: Ad. Menzel. 78. Menzel, der rastlose Perfektionist, pflegte seine Gemälde mit größter Akkuratesse und mit unzähligen Detailstudien vorzubereiten. Diese reizvolle Zeichnung einer jungen, elegant frisierten und in eine prunkvolle Abendrobe gekleidete Frau entstand im Zusammenhang mit dem 1878 vollendeten Gemälde Das Ballsouper (Berlin, Nationalgalerie). Ganz vorne, an zentraler Stelle, erkennen wir auf dem Bild die Gestalt einer jungen Frau in fast identischer Pose. Im Berliner Kupferstichkabinett befinden sich zwei Vorstudien in Bleistift, bei denen die Frau in der gleichen Haltung sitzt, während sie eine kleine Suppentasse mit Unterteller in der linken Hand balanciert und den Löffel mit der Rechten zum Mund führt. Bei unserem Blatt handelt es sich jedoch nicht um eine direkte Vorstudie zum Gemälde, sondern vielmehr um einen ricordo des Künstlers. Die für Menzel eher ungewöhnliche Ausführung der Zeichnung mit Feder, Pinsel und Tusche deutet darauf hin, daß es sich um eines der im Œuvre Menzels eher seltenen Einzelblätter handeln dürfte, die vor allem in den 1870er Jahren entstanden sind. Die verfeinerte, hochkonzentrierte Behandlung und die souveräne Art der Lavierung sind ein weiteres Indiz dafür, daß die Zeichnung als autonomes Kunstwerk betrachtet werden sollte. Unnachahmlich virtuos ist die Leichtigkeit des Striches bei der Wiedergabe der kunstvollen Hochfrisur und der Rüschen am Ballkleid. Meisterhaft sind die vibrierenden Lichtreflexe auf dem seidenen Ballkleid eingefangen, während der Sessel mit nur wenigen Strichen angedeutet ist.
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Menzels Ballsouper, diese geniale Schilderung von prunkvollem, höfischem Treiben, vom warmen Schein der unzähligen Kristalleuchter auf nackter Haut, auf kostbaren Stoffen, schneidigen Galauniformen und goldenen Stuccodekorationen, war eine seiner erfolgreichsten Schöpfungen. Auch in Frankreich fand das Werk große Beachtung. Kein Geringerer als Edgar Degas war von dem Gemälde so angetan, daß er eine wohl aus dem Gedächtnis gezeichnete Ölskizze anfertigte. Und Degas’ Freund, der Schriftsteller und Kunstkritiker Edmond Duranty widmete dem Bild folgende berühmte, an Zola erinnernde Passage: „Welch ein inneres Knistern im Hirn und Brust des Malers, wenn er all diese Geschöpfe ergreift, umarmt – diese kleinen, grimassierenden Wesen, die doch hochgestellte Personen sind, die dicken Damen, welche die Geschicke ganzer Völker in ihren Händen halten ..., das Wilde, Unförmige, das sich unter Stickereien und Spitzen verbirgt, dieses Chaos, diese Gegensätze, der Sturm der Instinkte, der Begehrlichkeiten...“ (zitiert nach Ausstellungskatalog Adolph von Menzel. Das Labyrinth der Wirklichkeit, herausg. von C. Keisch, M. U. Riemann-Reyher, Paris-Washington-Berlin 1996–97, S. 302). Es ist fraglich, ob sich die „kleine Excellenz“ in dieser wortgewaltigen Schilderung wiedererkannt haben mag. Menzels Bestreben nach objektiver Wahrheit kannte keine moralischen Kategorien und Begriffe wie schön oder häßlich. In seinem universalen schöpferischen Kosmos war schlichtweg Alles darstellungswürdig. Ebenso falsch ist die häufig verbreitete Ansicht, daß der verstockte Junggeselle Menzel keinen Sinn für weibliche Schönheit und Grazie besaß. Viele seiner Bleistiftstudien von jungen Frauen, die er während der Genese des Ballsoupers skizzierte, betören durch den Schmelz ihrer Behandlung und sind unnachahmlich lebensnah, fast liebevoll in ihrer Beobachtungsweise. Menzel zeichnet herrliche Arme und Schultern, hinreissende Dekolletés und schön geschnittene Frauengesichter, die sehr wohl auf ein waches Auge für weibliche Reize schließen lassen.
Originalgröße / Actual size
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19. adolph von menzel (1815 Breslau – 1905 Berlin)
Lady in a Ball Dress Sat on a Chair, Ladling Soup from a Little Bowl. Pen and black ink, grey wash. 17.3 x 10.6 cm. Signed and dated: Ad. Menzel. 78. Menzel was an unrelenting perfectionist who was very meticulous in the preparation of his paintings, for which he would carry out countless detailed studies. He produced this delightful drawing of an elegantly coiffured young lady clad in a magnificent evening gown in connecting with the painting Das Ballsouper (Berlin, Nationalgalerie), which he completed in 1878. Positioned prominently in the centre foreground of the painting is the figure of a young lady in almost identical pose. The Berliner Kupferstichkabinett has two preliminary studies in pencil showing a lady with the same posture balancing a little soup bowl and saucer in her left hand while lifting the spoon to her mouth with her right hand. The present sheet is not a preliminary study for the painting, however, but served as a ricordo for the artist. The execution of the drawing in pen, brush and ink, which is quite unusual for Menzel, indicates that this is one of the comparatively rare single sheets in Menzel’s œuvre, most of which date to the 1870s. The refined, highly concentrated treatment and the masterful application of wash are further signs that the drawing should be seen as an autonomous work of art in its own right. The delicacy of line depicting the elaborate, upswept hairstyle and the frills on the ball dress is of unmatched virtuosity. The vibrating reflections of the light on the silk dress are captured in consummate fashion, while a few strokes suffice to outline the chair.
Menzel’s Ballsouper, a brilliant depiction of a splendid courtly occasion with the warm light of the countless chandeliers shining on bare skin, precious fabrics, dashing gala uniforms and golden stucco decoration, was one of his most successful works. It also met with great acclaim in France. None other than Edgar Degas was so taken with the painting that he made an oil sketch of it, probably from memory. Degas’ friend, the writer and art critic Edmond Duranty, resorted to prose reminiscent of Zola to describe the painting: “How the painter’s heart and mind must surge and swell as he seizes and embraces all these creatures – these little grimacing characters who, in reality, are persons of high station, the portly ladies who hold the fates of entire nations in their hands..., the fervour and unshapeliness concealed beneath the lace and embroidery, and the chaos, the contradictions, the stormy instincts and passions”... (quoted from exhibition catalogue Adolph von Menzel. Das Labyrinth der Wirklichkeit, published by C. Keisch, M. U. Riemann-Reyher, ParisWashington-Berlin 1996–97, p. 302). It is doubtful whether the “little Excellence”, as he was called, would have recognised himself in that purple passage. Menzel’s quest for objective truth knew no moral categories or terms such as beautiful or ugly. In his universal creative cosmos absolutely everything was worth portraying. Equally false is the widely held view that this convinced bachelor had no appreciation of female beauty and grace. Many of the pencil studies of young women that Menzel sketched in preparation for the Ballsouper are not only of a bewitching radiance, but are also amazingly true to life, having been observed with almost tender devotion. Menzel draws exquisite arms and shoulders, stunning decolletés and beautifully shaped women’s faces, which indicate that the artist was certainly amenable to female charms.
E. Degas. The „Ballsouper“. Oil on panel. 45.5 x 66.5 cm. Strasbourg, Musée des Beaux-Arts. 54
Adolph von Menzel. The Ballsouper. Oil on canvas. 71 x 98 cm. 1878. Berlin, Nationalgalerie.
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jean-baptiste müntzberger
jean-baptiste müntzberger
(1794–1878, Genf)
(1794–1878, Geneva)
Wiesenstück mit Bärenklau und einer Brombeerranke. Öl auf Papier, auf Leinwand aufgezogen. 35 x 27 cm. Monogrammiert. Um 1830.
Section of Meadow with Common Hogweed and Blackberry Tendril. Oil on paper, mounted on canvas. 35 x 27 cm. Monogrammed. Circa 1830.
Die delikate Naturstudie ist ein anschaulicher Beweis für die hohe Malkultur der Biedermeierzeit, zumal es sich in diesem Fall nicht um das Werk einer Koryphäe, sondern um die Arbeit eines relativ unbekannten Kleinmeisters aus der französischen Schweiz handelt. Immerhin war Müntzberger ein Schüler des französischen Historien-, Genre- und Porträtmalers Georges Pierre Paul Joseph Chaix (1784–1834) und des Landschafts- und Genremalers Adam Töpffer (1766–1847), die beide in Genf tätig waren.
This delicate nature study offers vivid proof of the high standard of painting in the Biedermeier period, especially as it is not the work of one of its leading lights, but of a relatively unknown minor master from French-speaking Switzerland. All the same, Müntzberger studied under the French historical, genre and portrait painter Georges Pierre Paul Joseph Chaix (1784–1834) and the landscape and genre painter Adam Töpffer (1766–1847), both of whom worked in Geneva.
Mit einer akkuraten, treffsicheren Pinselführung hat der Künstler die aus dem Dickicht von Wiesenkräutern und Sträuchern emporragenden Stengel und Blätter des Wiesen-Bärenklaus (Heracleum sphondylium) charakterisiert; typische Merkmale der Pflanze wie die auffällig großen Blattscheiden und die schirmförmigen Dolden sind mit botanischer Genauigkeit wiedergegeben. Eine widerspenstige Brombeerranke bahnt sich ihren Weg durch das Gestrüpp, mit winzigen blauen, gelben und roten Farbtupfern sind die Blüten von Feldblumen subtil, aber effektvoll hervorgehoben. Für die Wiedergabe der Bäume im Hintergrund hat der Künstler weniger Bindemittel verwendet und diese mit einem relativen trockenen Pinsel frei und duftig skizziert, wobei der gelbliche Malgrund wirksam durchschimmert. So entsteht ein reizvoller Kontrast zwischen dem satten Farbklang der saftigen, feuchten Wiesenpflanzen im Vordergrund und dem stimmungsvollen, verhaltenen Kolorit des Waldes. Das zarte Blau des leicht bewölkten Himmels verleiht der Landschaft eine sommerliche, heitere Note. Es handelt sich gleichsam um ein kleines Andachtsbild für die ewige, unbändige Lebenskraft der Natur.
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Displaying accurate brushwork, the artist has depicted the stem and leaves of the common hogweed (Heracleum sphondylium) as they rise up out of the tangle of meadow flowers and shrubs. Typical features of the plant, such as the strikingly large leaf sheaths and umbrella-shaped umbels, are rendered with botanical precision. An unruly blackberry tendril forces its way through the undergrowth, while the blossoms of the wild flowers are subtly but effectively picked out with tiny little blue, yellow and red dabs of paint. The artist has used fewer bonding agents to render the trees in the background, sketching them freely and airily with a relatively dry brush. Meanwhile, the yellowish priming effectively shimmers through, producing a delightful contrast between the rich colours of the moist, sappy wild flowers in the foreground and the atmospheric, restrained colouring of the wood. The delicate blue of the slightly cloudy sky lends the landscape a cheerful, summery note. The effect is one of a devotional tribute to the eternal, unbridled forces of nature.
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franz skarbina
franz skarbina
(1849–1910, Berlin)
(1849–1910, Berlin)
Studie einer eleganten jungen Frau mit Regenschirm, von hinten gesehen. Feder- und Pinselzeichnung in Schwarz auf bräunlichem Zeichenkarton. 27,5 x 19,1 cm. Signiert und datiert: „Skarbina Nov. 1878.“
Study of an Elegant Young Woman with an Umbrella, seen from behind. Pen and point of brush and black ink on brownish drawing cardboard. 27.5 x 19.1 cm. Signed and dated: „Skarbina Nov. 1878.“
Die flotte und subtil beobachtete Studie einer hübschen jungen Frau in Rückenansicht ist eine frühe Arbeit Franz Skarbinas, der in seinen besten Blättern dem von ihm so bewunderten künstlerischen Vorbild Adolph von Menzel sehr nahe kommt. Skarbina war der Sohn eines aus der kroatischen Hauptstadt Zagreb eingewanderten Goldschmiedes. Er studierte an der Berliner Akademie, an der er seit 1878 auch als Dozent tätig war. Von 1885 bis 1886 verblieb Skarbina längere Zeit in Belgien und Frankreich; in Paris wurde er maßgeblich von der Kunst des französischen Impressionismus geprägt. Nach seiner Rückkehr nach Berlin galt Skarbina bald als einer der Hauptvertreter der naturalistischen Malerei in Deutschland; 1898 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Secession.
This sprightly and well observed study of a pretty young woman seen from behind is an early work by Franz Skarbina, whose best drawings bear a very close resemblance to those of Adolph von Menzel, an artist he greatly admired and tried to model himself on. Skarbina was the son of a goldsmith who had emigrated from the Croatian capital of Zagreb. He studied at the Berlin Academy, where he stayed on as a teacher after 1878. From 1885 to 1886 Skarbina lived and worked in Belgium and France. In Paris he was greatly influenced by the art of the French Impressionists. After his return to Berlin, Skarbina soon came to be considered as one of the main representatives of naturalistic painting in Germany. In 1898 he was one of the founding members of the Berlin Secession.
In seinem Frühwerk schuf Skarbina eine Reihe von kleinformatigen Bildern in Öl, Aquarell und Gouache, in denen er die bunten, vielseitigen Aspekte des Berliner Straßenlebens in einer realistischen, von Menzel beeinflußten Stilsprache einzufangen suchte. Die vorliegende Studie gehört dieser Stilphase an. Skarbinas Federtechnik ist frei und treffsicher und besitzt eine große Spontaneität, die der Flüchtigkeit des beobachteten Vorganges angemessen ist. Die anonyme, junge Frau mit ihrem gefälligen Profil und ihrem elegant gerafften Kleid kann sich jeden Moment aus dem Blickfeld des Betrachters entfernen.Von großer graphischer Delikatesse ist der Gegensatz zwischen dem feinen, filigranen Liniengeflecht, mit dem die Kleidung der Frau plastisch und fast stofflich greifbar wiedergegeben ist, und den wuchtigen Schraffuren und Pinselstrichen, die zur Definierung der Schattenlagen eingesetzt sind. Es ist kein Zufall, daß auch die schwungvolle, kalligraphische Signatur an Menzel erinnert.
In his early work Skarbina produced a number of small-format pictures in oil on paper, watercolour and gouache, in which he sought to capture the many different aspects of Berlin street life in a realistic style influenced by Menzel. The present study dates from this stylistic phase. Skarbina’s penwork is free, deft and of great spontaneity, as befits the fleeting nature of what is observed. The anonymous young woman with her pretty profile and elegantly gathered dress may leave the observer’s field of vision at any moment. Of great graphic delicacy is the contrast between the fine, filigree weave of lines used to render the woman’s clothing in a way that one can almost feel its texture, and the vigorous hatchings and brush strokes used to create areas of shadow. It is no accident that the bold calligraphic signature is also reminiscent of Menzel.
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künstlerverzeichnis / index of artist names
Ademollo, Luigi Amman, Jost Benouville, Jean-Achille Coypel, Antoine Daege, Eduard David, Giovanni Dillis, Johann Georg von Dunker, Balthasar Anton Ferg, Franz de Paula Ferrari, Lorenzo de’ Führich, Joseph von Gaulli, Giovanni Battista Kobell, Franz Innocenz Menzel, Adolph von Molyn, Pieter de Müntzberger, Jean-Baptiste Orsi, Lelio Sergel, Johan Tobias Skarbina, Franz Steidl, Melchior Vouet, Simon
38 6 42 18 44 22 26 28 30 32 46 8 50 52 12 56 14 34 58 36 16
4 Orsi (detail)
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