Nicolaas Teeuwisse · Ausgewählte Werke · Selected Works XI
Nicolaas Teeuwisse
Ausgewählte Werke · Selected Works XI Nicolaas Teeuwisse OHG · Erdener Str. 5a · 14193 Berlin
2011
Ausgewählte Werke · Selected Works XI
Nicolaas Teeuwisse OHG · Erdener Str. 5a · D-14193 Berlin-Grunewald Telephone: +49 30 893 80 29 19, +49 30 890 48 791 · Mobile: +49 171 483 04 86 Email:nicolaas@teeuwisse.de · www.teeuwisse.de
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Einleitung
Introduction
Der vorliegende Katalog enthält erstmalig eine gemeinsame Auswahl von Handzeichnungen und druckgraphischen Blättern, die anläßlich der TEFAF vom 17. – 27. März 2011 in Maastricht gezeigt werden.
This catalogue contains, for the first time, a joint selection of drawings and prints that will be on display at the TEFAF from 17 to 27 March 2011 in Maastricht.
Die daraus resultierende Synergie bewirkt, dass die unterschiedlichen graphischen Techniken in einem breiteren kunsthistorischen und inhaltlichen Kontext präsentiert werden, um auf diese Weise die charakteristischen und zeitspezifischen Stilmerkmale einer bestimmten Epoche noch anschaulicher und prägnanter darzustellen. Sowohl die Handzeichnung als persönliche und unmittelbare Formulierung dessen, was der schöpferische Künstler gestalterisch zum Ausdruck bringen will – sei es die erste zündende Idee, eine detailliert durchgeführte Vorstudie zu einem Gemälde oder ein aus dem Rückblick entstandenes ricordo –, wie auch das reproduzierende Medium der Druckgraphik, das auf Grund seiner aufwendigeren Verfahrensweise oft bedächtiger, weniger spontan anmutet, beide Kunstgattungen reflektieren auf ihre eigene Weise die schöpferischen Impulse eines Künstlernaturells und vermitteln einen faszinierenden Einblick in die Genese des Kunstwerkes. Der zeitliche Rahmen dieses Katalogs umfaßt dreihundertfünfzig Jahre europäischer graphischer Kunst und reicht von einer kunsthistorisch bedeutenden, Pieter Coecke van Aelst zugeschriebenen Zeichnung – die um 1540 entstanden sein dürfte und die auf Grund ihrer packenden Bildregie und ihres dramatischen Clairobscurs von dem befruchtenden Einfluß der Kunst des italienischen Manierismus zeugt – bis zu den delikaten, hochverfeinerten graphischen Schöpfungen Pierre Bonnards, der mit einem frühen und seltenen Hauptwerk der Druckgraphik der Nabis vertreten ist. Mein Dank gilt folgenden Personen, die mir mit wichtigen Anregungen behilflich gewesen sind: Marco Chiarini, Elis̆ka Fuc̆iková, Huigen Leeflang, Ger Luijten, Nicholas Stogdon, Alexander Graf Strasoldo, Marijn Schapelhouman und Nicolas Turner. Sandra Espig, Stefanie Löhr und Robert Oberdorfer sei für hilfreiche Korrekturen gedankt. Die englische Übersetzung wurde von Robert Bryce besorgt.
The resulting synergy effect means that the various graphic techniques can be seen in a broader context, as regards both their content and art historical significance, and the stylistic features characteristic of a certain period can be brought out in a more vivid and concise manner. Drawings represent a personal and immediate formulation of what a creative artist wishes to express, be it an initial inspirational idea, a detailed preliminary study for a painting or mural, or a ricordo captured in retrospect. The reproductive medium of printmaking, by contrast, often appears less spontaneous and more deliberate because of the greater complexity of the procedure involved. Yet both genres reflect, in their own individual way, the creative stimulus that flows from people with an artistic bent and afford a fascinating insight into the genesis of a work of art. This catalogue spans 350 years of European graphic art. It ranges from a drawing of art historical importance, attributed to Pieter Coecke van Aelst and probably produced around 1540, whose fascinating pictorial composition and dramatic use of chiaroscuro reveal the productive influence of Italian Mannerist art, to the sensitive, highly refined graphic creations of Pierre Bonnard, who is represented with an early and rare masterpiece of Nabis print making. I owe special thanks to the following who have kindly provided me with invaluable suggestions and information: Marco Chiarini, Elis̆ka Fuc̆iková, Huigen Leeflang, Ger Luijten, Nicholas Stogdon, Alexander Graf Strasoldo, Marijn Schapelhouman and Nicolas Turner. I am also grateful to my colleagues, Ruth Baljöhr, Sandra Espig and Robert Oberdorfer, for helpful corrections. Robert Bryce supplied the English translation. Nicolaas Teeuwisse
Nicolaas Teeuwisse
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16. – 17. Jahrhundert
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1. battista d’angolo (genannt Battista del Moro, um 1514 Verona – um 1573 Venedig)
Umkreis. Herakles und die Lernäische Hydra. Radierung. 22,7 x 28,9 cm. 1552. Unbeschrieben. Das leicht und sehr lebendig behandelte Blatt trägt das Monogramm Battista del Moros (Nagler, Die Monogrammisten, I, 1960) sowie die Jahreszahl 1552, dennoch ist es in der gesamten beschreibenden Literatur nicht verzeichnet. Bereits Nagler hatte auf die Tatsache hingewiesen, daß die Aufzählung der druckgraphischen Arbeiten Battistas bei Bartsch recht unvollständig ist. Nagler und Wilhelm Schmidt (Julius Meyer, Allgemeines Künstler-Lexikon, Leipzig 1878, Bd. II, S. 34ff) ergänzten das graphische Œuvre um weitere Blätter, jedoch fehlt die Radierung auch bei diesen Autoren. Als eine zusätzliche Komplikation erweist sich außerdem der Umstand, daß die Druckgraphik Battistas stilistisch sehr uneinheitlich ist, wodurch eine genauere Eingrenzung seiner Produktion erschwert wird. Festzustellen ist außerdem, daß unsere Radierung sich in puncto technischer Behandlung und Stilistik deutlich von den bekannten autographen Blättern des Künstlers unterscheidet. Die Faktur ist wesentlich souveräner, freier und dynamischer als bei der Mehrzahl der Blätter Battistas, die manchmal etwas trocken und schematisch wirken. Von der Hand Marco d’Angolos hingegen, dem Sohn Battistas, existiert eine etwa gleich große Variante im Gegensinn, die in der Wiedergabe der Hydra mit unserer Radierung nahezu identisch ist. Da die frühesten druckgraphischen Arbeiten Marcos das Datum 1565 tragen, ist anzunehmen, daß unsere Radierung als Prototyp für die Version von Marco d’Angolo diente.
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Somit bleibt die Autorschaft dieses faszinierenden Blattes vorerst ungeklärt. Die Radierung besticht durch ihre ungestüme visuelle Gestaltungskraft. Mit bemerkenswerter Verve hat der Künstler die wahrhaft angsterregende Wasserschlange geschildert. Ihr reptilienartiger Körper biegt sich in unzähligen Windungen und hat sich zu einem wüsten Knäuel von bedrohlichen Krallen und zähnefletschenden Drachenmäulern zusammengerollt, um den Angriff des Herakles abzuwehren. Beherzt und energisch schreitet dieser auf das Monster zu, um das Ungetüm aus seinem Versteck herauszulocken; jeder Muskel seines drahtigen, kräftigen Körpers ist angespannt und auf das entscheidende Gefecht konzentriert. Der vom Wind aufgebauschte Überwurf unterstreicht den kämpferischen Impetus und die Dynamik des Geschehens. Das Ganze ist in einer leichten, beweglichen und bemerkenswert spirituellen Radiertechnik ausgeführt, die mit Hilfe einer großen Vielzahl von Schraffurmustern unterschiedlichster Dichte, Strichelungen und Pünktchen ein hohes Maß an Stofflichkeit und flimmernde Hell-Dunkelwerte erzeugt. Das an einem kahlen Ast hängende kleine Tablett mit der Jahreszahl ist ein diskreter Verweis, daß unser anonymer Radierer die graphischen Arbeiten von deutschen Meistern wie Albrecht Altdorfer und Hans Lautensack gekannt haben muss. Prachtvoller, toniger und differenzierter Abdruck mit feinem Rändchen um die gratig zeichnende Plattenkante. Leichte Bereibungen sowie eine fachmännische Restaurierung im Himmel, sonst vorzüglich erhalten.
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1. battista d’angolo (called Battista del Moro, circa 1514 Verona – circa 1573 Venice)
Circle of. Hercules and the Lernean Hydra. Etching. 22.7 x 28.9 cm. 1552. Unrecorded. Although this very lively and suggestively executed print bears the monogram of Battista del Moro (Nagler, Die Monogrammisten, I, 1960) and the date 1552, it is not recorded in any of the descriptive literature. Nagler pointed out that the inventory of Battista’s printed work in Bartsch was far from complete. Although Nagler and Wilhelm Schmidt (Julius Meyer, Allgemeines Künstler-Lexikon, Leipzig 1878, Vol. II, p. 34ff) supplemented the graphic œuvre with additional prints, they do not include the etching. A further complication is that Battista’s printed work is stylistically far from uniform, which makes a more precise classification of his œuvre very difficult. It should also be noted that our etching differs markedly from the body of autograph prints by the artist in terms of technical handling and style. The treatment is far more confident, bold and dynamic than in most of Battista’s prints, which sometimes seem a little dry and schematic. On the other hand, Battista’s son, Marco d’Angolo, produced a variant in reverse which is almost identical with our etching both in size and the rendering of the hydra. As Marco’s earliest prints bear the date 1565, it must be assumed that our etching served as a prototype for Marco d’Angolo’s version.
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The authorship of this fascinating print has therefore still to be established. Its effects are achieved by sheer visual ferocity. Demonstrating remarkable verve, the artist has depicted a truly fearsome serpent, whose scaly body is twisted in countless coils forming a wild tangle of dangerous claws and dragon heads with bared fangs in order to fend off the attack by Hercules, who strides valiantly and vigorously towards the monster in order to lure it from its lair, every muscle of his strong, sinewy body tensed and ready for a fight to the finish. The cloak fluttering in the wind also reflects the dynamic impetus of combat. The whole is executed in a light, nimble and remarkably ingenious etching technique which uses a large number of hatching patterns of varying density, broken lines and little dots to create a keen sense of texture and shimmering chiaroscuro effects. The small tablet suspended from a branch and bearing the date is a discreet hint that our anonymous etcher must have been familiar with the graphic works of such German masters as Albrecht Altdorfer and Hans Lautensack. A superb, tonal and differentiated impression with thread margins around the inky platemark. A very skillfully reaired tear in the sky , minor defects, otherwise in very good condition.
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2.
jan frans van bloemen (genannt Orizzonte, 1662 Antwerpen – 1749 Rom)
Eine weite Campagnalandschaft mit Blick auf das Städtchen Vignanello. Feder- und Pinselzeichnung in Braun, braun und grau laviert; mit einer leichten Quadratur in schwarzer Kreide. 36,9 x 54 cm. Alt bezeichnet: n.poussin.
ven aus der Umgebung Roms, die er mit antiken Ruinen und religiösen oder mythologischen Staffagefiguren versah. Häufig wurde die Staffage von Künstlerkollegen wie dem älteren Bruder Pieter van Bloemen, Giuseppe Passeri, Pompeo Batoni oder Placido Constanzi ausgeführt.
Die weiträumige, hügelige Campagnalandschaft ist in einem sehr flüssigen und breiten Duktus behandelt. Die leicht skizzierten Staffagefiguren im Vordergrund – ein ruhender, nur mit einem Lendentuch bekleideter Mann und eine Nymphe – verleihen der Landschaft einen idealisierenden Zug. Dennoch handelt es sich um die topographisch getreue Wiedergabe eines real existierenden Ortes. Dargestellt ist eine Ansicht des Städtchens Vignanello, das unweit von Viterbo in der Region Latium gelegen ist. Die Silhouette der Stadt ist auch heute nahezu unverändert. Rechts gewahrt man die massige Silhouette des Castello Ruspoli mit seinen barocken Gartenanlagen.
Während das überlieferte malerische Œuvre recht umfangreich ist, sind Handzeichnungen van Bloemens selten. Offenbar malte der Künstler seine Landschaften vielfach direkt, ohne gezeichnete Vorstudien auf die Leinwand. Das Werkverzeichnis von Busiri Vici zählt lediglich einunddreißig Blatt, die Mehrzahl von ihnen Landschaftsskizzen. Topographisch getreue Zeichnungen kommen kaum vor. Demzufolge stellt das vorliegende eindrucksvolle und großformatige Blatt eine wesentliche Bereicherung des gezeichneten Œuvres dar. Die Zeichnung, die auf Grund ihrer spontanen Auffassung wohl direkt vor der Natur geschaffen wurde, ist eine Vorstudie für ein Gemälde, das sich heute in der Sammlung Ruspoli in Rom befindet und von Busiri Vici als „una delle tele più importanti e di maggiori dimensioni del van Bloemen“ charakterisiert wird. Das Werk dürfte um 1740 entstanden sein und zeigt im Vordergrund eine reiche figürliche Staffage, die aus einem Zug von Kutschen und Reitern besteht, der vom Principe Ruspoli angeführt wird (siehe A. Busiri Vici, Jan Frans van Bloemen: Orizzonte e l’origine del paesaggio romano settecentescho, Rom 1974, Nr. 244).
Die Zeichnung ist ein gültiges und künstlerisch einprägsames Beispiel für die Zeichenkunst des aus Antwerpen stammenden Malers und Zeichners Jan Frans van Bloemen. Bloemen war um 1680 zuerst Schüler von Anton Goubau, ging dann anschließend nach Paris und trat 1684 die Reise nach Italien an, wo er bis zu seinem Lebensende verbleiben sollte. In Rom schloß er sich der Gemeinschaft nordischer Künstler Bentvueghels an und erhielt den Spitznamen Orizzonte, den er später als Künstlernamen annahm. Van Bloemen hielt sich vorwiegend in Rom und in der näheren Umgebung der Stadt auf und entwickelte als Landschaftsmaler eine florierende Tätigkeit. Sein großes Ansehen wird durch zahlreiche Werke in den adligen Privatsammlungen Roms dokumentiert; zu seinen Auftraggebern zählten bedeutende Adelsgeschlechter wie die Familien Colonna, Doria Pamphilij und Ruspoli. Bereits von den Zeitgenossen wurde er in einem Atemzug mit Künstlern wie Poussin und Gaspar Dughet genannt. In der Tat kommen van Bloemens Landschaften den Werken Dughets stilistisch sehr nahe. Wie Letzterer widmete Orizzonte sich bevorzugt der Darstellung von Ideallandschaften mit Moti-
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Van Bloemens Zeichenstil erweist sich auf diesem Blatt als äußerst souverän und routiniert. Die wuchtigen, großflächig gesetzten Lavierungen erzeugen markante Helldunkel-Kontraste und eine überzeugende Suggestion des flimmernden Sonnenlichtes. Künstlerisch anspruchsvoll ist auch die abwechslungsreiche Faktur der Zeichnung. Während die Landschaft im Vordergrund mit breiten, flotten Pinselstrichen rasch und sicher charakterisiert ist, hat van Bloemen für die topografisch akkurate Wiedergabe der Architektur eine sorgfältige Federtechnik angewandt. Das subtil beobachtete Spiel von Licht und Schatten auf den Häuserwänden gibt der Darstellung zusätzlich eine große Lebendigkeit.
Jan Frans van Bloemen. Ansicht der Stadt Vignanello, im Vordergrund der Hofstaat der Familie Ruspoli. Ă–l auf Leinwand. Sammlung Ruspoli, Rom.
Falttafel auf der Innenseite Illustration on the inside
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jan frans van bloemen (called Orizzonte, 1662 Antwerp – 1749 Rome)
A Wide Campagna Landscape with a View of the Little Town of Vignanello. Pen and brown ink over a light preliminary drawing in black chalk, brown and grey wash, squared. 36.9 x 54 cm. With an old inscription in the lower right corner: n.poussin. The rolling Campagna landscape is treated in a very fluid and sweeping style. The lightly sketched staffage figures in the foreground – a nymph and a reclining man clad only in a loincloth – lend the landscape an idealistic touch. Nevertheless, this is a topographically faithful rendering of a real place. The view is of the little town of Vignanello not far from Viterbo in the region of Latium. The skyline of the town has changed little to this day. Clearly visible on the right is the massive silhouette of Castello Ruspoli with its famous Baroque gardens. The drawing is a genuine and striking example of the graphic art of the Antwerp-born painter and draughtsman Jan Frans van Bloemen. Bloemen started about 1680 as a pupil of Anton Goubau before moving on to Paris and finally in 1684 to Italy, where he was to remain until the end of his life. In Rome he joined the Bentvueghels club of Dutch and Flemish artists and received the nickname Orizzonte, which he adopted and later used to sign his work. Van Bloemen spent most of his time in Rome and the immediate vicinity of the city, where he flourished as a landscape painter. His high standing is attested by numerous works commissioned by noble Roman families, such as the Colonna, Doria Pamphilij and Ruspoli, and now to be found in their private collections. He was mentioned by his contemporaries in the same breath as artists of the calibre of Poussin and Gaspar Dughet, and in fact van Bloemen’s landscapes are stylistically very close to the works of Dughet. Like the latter, Orizzonte preferred to portray ideal landscapes with motifs from the environs of Rome,
to which he added ancient ruins and religious or mythological staffage figures. Often the staffage elements were executed by fellow artists, such as Giuseppe Passeri, Pompeo Batoni and Placido Constanzi, or by his elder brother, Pieter van Bloemen. While the surviving painted œuvre is extensive, drawings by van Bloemen are rare. In many cases the artist evidently painted his landscapes directly onto the canvas without drawing any preliminary studies. The Busiri Vici catalogue lists only thirty-one works, most of them landscape sketches. Topographically faithful drawings hardly occur at all. Consequently the present impressive, large-format sheet is a major addition to the graphic œuvre. The drawing, the spontaneity of which indicates it was probably done directly from nature, is a preliminary study for a painting now to be found in the Ruspoli Collection in Rome. It is characterized by Busiri Vici as “una delle tele più importanti e di maggiori dimensioni del van Bloemen”. The painting, which was probably produced around 1740, shows in the foreground a rich staffage consisting of a procession of coaches and riders led by Principe Ruspoli (see A. Busiri Vici, Jan Frans van Bloemen: Orizzonte e l’origine del paesaggio romano settecentescho, Rome 1974, no. 244). This work demonstrates van Bloemen’s consummate style of drawing. The sweeping washes create stark chiaroscuro contrasts and a convincing suggestion of shimmering sunlight. Also of artistic interest is the varied treatment of the drawing. While the landscape in the foreground has been swiftly and succinctly portrayed with broad, deft strokes of the brush, van Bloemen has employed a careful pen technique for the topographically accurate rendering of the architecture. The subtly observed play of light and shade on the walls of the houses adds to the vividness of the scene.
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schelte adams bolswert
schelte adams bolswert
(um 1596 Bolsward – 1659 Antwerpen)
(circa 1596 Bolsward – 1659 Antwerp)
Der Einzug Christi in Jerusalem. Kupferstich nach David Vinckboons. 43 x 64 cm. 1612. Hollstein 14.
Christ Entering Jerusalem. Engraving after David Vinckboons. 43 x 64 cm. 1612. Hollstein 14.
Der großformatige Kupferstich ist ein eindrucksvoller Beleg für die handwerkliche Virtuosität des jungen Schelte Adams Bolswert, der in der Werkstatt seines Bruders Boetius (1580–1633) künstlerisch ausgebildet wurde. Die aufwendig arrangierte, figurenreiche Komposition geht auf eine gezeichnete Vorlage des flämischen Malers und Zeichners David Vinckboons zurück, der um 1591 auf Grund seines protestantischen Glaubens von Antwerpen nach Amsterdam übergesiedelt war.
This large-scale engraving is an impressive demonstration of the virtuoso craftsmanship of the young Schelte Adams Bolswert, who received his artistic training in the workshop of his brother Boetius (1580–1633). The crowded, magnificently staged composition is based on a drawing by the Flemish painter and draughtsman David Vinckboons, whose Protestant faith prompted him to move from Antwerp to Amsterdam in or around 1591.
Schelte Adams Bolswert war in seiner Frühzeit, zwischen 1611 und 1617, in Haarlem und Amsterdam tätig, und das vorliegende Blatt ist ein seltenes und bedeutendes Zeugnis seiner Anfänge als Reproduktionsstecher. In der Folgezeit, nach seinem Umzug nach Antwerpen, galt Bolswert bald als einer der begabtesten und angesehensten Graveure der Rubens-Schule, mehr noch, seine Kupferstiche zählen zum Höhepunkt der flämischen Reproduktionsgraphik des 17. Jahrhunderts. Dennoch offenbaren sich auf diesem frühen Blatt bereits alle Vorzüge seiner graphischen Kunst. Das unerhörte technische Raffinement der Stichelführung, die pointierte Aufmerksamkeit für das genrehafte, anekdotische Detail und die meisterhafte Inszenierung der sich über mehrere Raumebenen entwickelnden Landschaft sind ohne Weiteres der künstlerischen Verfeinerung der Vinckboon’schen modellos ebenbürtig. Brillanter, leuchtender und gegensatzreicher Frühdruck mit dem vollen Rand. Geringfügige Altersspuren, sonst vorzüglich erhalten.
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In his early period, between 1611 and 1617, Schelte Adams Bolswert worked in Haarlem and Amsterdam, and the present print is a rare and important testimony from the beginning of his career as a reproductive engraver. Later, after moving to Antwerp, Bolswert soon established a reputation as one of the most gifted and highly regarded engravers of the Rubens school. Not only that, his engravings are among the finest examples of 17th century Flemish reproductive printmaking. Even this early print shows all the distinctive merits of his graphic art. In its unmatched technical finesse, uncanny attention to genre-like detail and skilful arrangement of the multi-tiered landscape, Bolswert proves himself the equal of Vinckboons, the author of the modello. A brilliant, rich impression, printing with extraordinary clarity and contrast, with full margins. Minor ageing, otherwise in mint condition.
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4. pierre brebiette
pierre brebiette
(um 1598 Mantes – 1650 Paris)
(circa 1598 Mantes – 1650 Paris)
Bildnis einer alten Frau mit Straußenfederfächer. Radierung. 15,5 x 11,9 cm. Inventaire du Fonds Français 241.
Portrait of an Old Woman with an Ostrich Fan. Etching. 15.5 x 11.9 cm. Inventaire du Fonds Français 241.
Der Vanitasgedanke ist das eigentliche künstlerische Leitmotiv dieses subtil und eindringlich beobachteten Bildnisses einer alten Frau. Sie ist in Halbfigur dargestellt und hält mit der Rechten einen Straußenfederfächer, während sie mit der Linken drei Tulpenblüten an ihre Nase führt. Ihre Kleidung ist schlicht und bäuerlich, der exotische Fächer und eine Perlenkette um ihren hageren Hals sollen jedoch über ihre niedere Herkunft hinwegtäuschen. Mit Akribie sind die Falten und Furchen ihres runzligen Gesichtes wiedergegeben, ihre klobigen Hände sind nicht die einer feinen Dame, sondern lassen auf ein langes Leben von schwerer körperlicher Arbeit schließen. Trotz der unverkennbaren Spuren ihres Alters versucht die alte Frau zu gefallen. Ihre Eitelkeit macht sie blind für den eigenen körperlichen Verfall und den nahenden Tod.
Vanitas is the real theme of this subtly and closely observed portrait of an old woman. She is shown in half-length figure holding an ostrich fan in her right hand and three tulip blooms in her left, which she is raising to her nose to sniff their scent. Her clothing is that of a simple countrywoman, although the exotic fan and the pearl necklace round her scrawny neck are intended to divert attention from her lowly origins. The folds and creases of her wrinkled face have been rendered with minute attention to detail. Her thick-fingered, slightly swollen hands are not the hands of a fine lady, but testify to a long life of hard physical toil. Despite the evidence of her age, the old woman is trying to make a pleasing impression. Her vanity makes her blind to her own physical decay and approaching death.
Pierre Brebiette, der Autor unseres Blattes, gehört zu den originellsten und begabtesten Radierern, die Frankreich während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Über Brebiettes künstlerische Anfänge ist nur wenig bekannt. Zwischen 1617 und 1625 lebte und arbeitete der Künstler in Rom, wo er eine enge Arbeitsgemeinschaft mit Claude Vignon und dem Verleger François Langlois, genannt Ciartres, einging. Nach seiner Rückkehr in Frankreich wurde diese Zusammenarbeit intensiviert, und es entstand ein umfangreiches druckgraphisches Œuvre, in dem sich Elemente des Caravaggismus mit nordischen Genreelementen verbinden. Brebiettes geistreicher, lebendiger Radierstil verrät eine ausgeprägte satirische Begabung und Sinn für das skurrile Detail.
Pierre Brebiette, the author of this print, was one of the most original and gifted etchers that France produced during the first half of the 17th century. Little is known of his artistic beginnings. Between 1617 and 1625 he lived and worked in Rome, where he entered into a close association with Claude Vignon and the publisher François Langlois, also known as Ciartres. After his return to France this association was intensified and he produced an extensive printed œuvre, in which elements of Caravaggism were combined with Nordic genre elements. Brebiette’s lively etching style betrays a definite satirical gift and an eye for droll detail.
Die vorliegende Radierung ist von größter Seltenheit und fehlt in den Beständen der Bibliothèque Nationale in Paris. Das Inventaire du Fonds Français erwähnt ein Exemplar in der Graphischen Sammlung Albertina in Wien. Ausgezeichneter, nuancierter Druck mit feinem Rändchen um die Einfassungslinie. Minimale Altersspuren, sonst sehr gut erhalten.
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The present etching is extremely rare and is missing from the collections of the Bibliothèque Nationale in Paris. The Inventaire du Fonds Français records an impression in the Graphische Sammlung Albertina, Vienna. A very fine, even and nuanced impression with narrow margins round the borderline. Minor ageing, otherwise very well preserved.
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giuseppe cesari (genannt Cavaliere d’Arpino, 1568 Arpino – 1640 Rom)
Kopf eines bärtigen Mannes mit Turban; verso: Profilkopf eines bärtigen Greises. Schwarze Kreide (recto und verso), mit Spuren von Rötel (nur recto). 11 x 9,6 cm. Mit einer Numerierung in schwarzer Feder in der linken unteren Ecke (recto): 12, verso bezeichnet: Giuseppe d’Arpino. Die ausdrucksstarke und rasch hingeworfene Kopfstudie eines bärtigen Mannes mit Turban stammt aus einem Album, das wohl im 17. Jahrhundert zusammengestellt wurde und das 1980 bei Christie’s in London zur Versteigerung gelangte (Christie’s London, Old Master Drawings, 15. April 1980, Nr. 86). Nebst Zeichnungen von anderen Meistern enthielt der Sammelband eine größere Zahl Kopfstudien von der Hand des Giuseppe Cesari. Die beiden vorliegenden Studien gehören der Frühzeit des Künstlers an und dürften nach Ansicht von Herwarth Röttgen um 1591–93 zu datieren sein. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um Vorstudien für Cesaris Deckenmalereien in der Contarelli-Kapelle in der Kirche S. Luigi dei Francesi in Rom. Das zentrale Gewölbefeld zeigt den Apostel Matthäus, wie er Ephigenia, die Tochter des äthiopischen Königs Egippus, vom Aussatz heilt. Unter den von Röttgen verzeichneten Vorstudien zeigt die Skizze eines bärtigen Greises (R. 29b), die ebenfalls dem oben erwähnten Album angehörte, deutliche stilistische Ähnlichkeiten mit dem asketischen Männerkopf verso auf unserem Blatt (Abb. 1, Seite 20). Möglicherweise handelt es sich um eine Vorstudie für den Kopf des hl. Matthäus. Bei dem bärtigen Mann mit Turban (recto) könnte es sich um einen primo pensiero für den Kopf des Orientalen rechts neben dem Heiligen handeln (Abb. 2, Seite 21). Der flotte, treffsichere zeichnerische Duktus und die Spontaneität der Auffassung scheinen diese Annahme zu bestätigen.
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Giuseppe Cesaris seit den frühesten Anfängen außerordentlich erfolgreiche Karriere war von größtem Prestige, aber am Ende seines Lebens auch von einer gewissen Alterserstarrung und den Auswirkungen eines sich wandelnden Kunstgeschmackes gekennzeichnet (siehe Herwarth Röttgen, Il Cavalier Giuseppe Cesare d’Arpino, Rom 2002). Röttgens Charakterisierung: „Un grande pittore nello splendore della fama e nell’inconstanza della fortuna“ bringt diesen Widerspruch prägnant zum Ausdruck. Cesari zählte zu den einflußreichsten Künstlern in Rom während des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts, später kritisierte der maßgebende Kunsttheoretiker Giovanni Pietro Bellori die Extravaganz und die „maniera fantasticheggiante“ seiner Kunst. Die Amtszeit des Papstes Clemens VIII. (1592–1605) markiert zweifellos den Höhepunkt von Cavaliere d’Arpinos künstlerischer Laufbahn. Cesaris beste Werke aus dieser Schaffenszeit zeichnen sich durch die Leichtigkeit und Spiritualität ihrer Erfindung und durch die heitere Eleganz ihrer Figurenauffassung aus. Die sinnliche Leuchtkraft seines Kolorits und Cesaris ausgeprägter Sinn für kompositorische Gestaltung und suggestive Bilderzählung machen ihn zu einem „Wegbereiter zum Sensualismus des Barock“ (Röttgen). Um 1600 galt Cesari als der berühmteste Maler Roms, überhäuft mit Aufträgen und mit der Ausführung zahlreicher monumentaler Raumdekorationen betraut. Die zwischen 1591–93 erfolgte Ausschmückung der Cappella Contarelli gehört zu den bedeutenden frühen Aufgaben. Wegen Arbeitsüberlastung wurde 1599 schließlich Caravaggio, der einige Jahre zuvor längere Zeit in Cesaris Atelier gearbeitet hatte, mit der Ausmalung der Wände beauftragt. Durch diese Laune des Schicksals entstand eine der bedeutendsten Schöpfungen der europäischen Kunstgeschichte.
Originalgröße / Actual size
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giuseppe cesari (called Cavaliere d’Arpino, 1568 Arpino – 1640 Rome)
Head of a Bearded Man Wearing a Turban; verso: Profile of Bearded Old Man. Black chalk (recto and verso), with traces of red chalk (recto only). 11 x 9.6 cm. Numbered in pen and black ink in the bottom left-hand corner (recto): 12, verso inscribed: Giuseppe d’Arpino. This expressive and rapidly executed head study of a bearded man in a turban comes from an album that was probably compiled in the 17th century and went on auction at Christie’s in London in 1980 (Christie’s London, Old Master Drawings, 15 April 1980, No. 86). In addition to drawings by other masters the anthology contained quite a large number of head studies by Giuseppe Cesari. The two present studies are from the artist’s early period and probably date (according to Herwarth Röttgen) from about 1591–93. It is highly probable that this is one of the preliminary studies for Cesari’s ceiling paintings in the Contarelli Chapel in the church of San Luigi dei Francesi in Rome. The central panel shows the Apostle Matthew healing Ephigenia, the daughter of King Egippus of Ethiopia, from leprosy. Among the preliminary studies recorded by Röttgen, the sketch of a bearded old man (R. 29b), which also belonged to the above-mentioned album, shows clear stylistic resemblances to the ascetic male head on the verso of our sheet (fig. 1). It may be a preliminary study for the head of Saint Matthew. The bearded man wearing a turban (recto) may be a primo pensiero for the head of the oriental figure to the right of the saint (fig. 2). The deft, accurate linework and the spontaneity of the concept seem to confirm this assumption. Giuseppe Cesari’s career was extraordinarily successful right from the outset and brought him great prestige, yet towards the end of his life it was also characterized by a certain hardening of the arteries and the effects of changing tastes in art (see Herwarth Röttgen, Il Cavalier Giuseppe Cesare d’Arpino, Rome 2002). Röttgen’s characterization: “Un grande pittore nello splendore della fama e nell’inconstanza della fortuna” neatly sums up this contradiction. Cesari was one of the most influential artists in Rome in the late 16th and early 17th centuries, although an authoritative theoretician of art, Giovanni Pietro Bellori, later criticized the extravagance and the “maniera fantasticheggiante” of his art.
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The reign of Pope Clemens VIII (1592–1605) undoubtedly marked the high point of Cavaliere d’Arpino’s artistic career. Cesari’s best works from this period are distinguished by the facility and ingenuity of their invention and the serene elegance of their figures. The sensuous brilliance of Cesari’s colours and his strong sense of compositional design and suggestive narrative make him a “pioneer of the sensualism of the Baroque” (Röttgen). Round about 1600 Cesari was considered to be the most famous painter in Rome, swamped with commissions and charged with the execution of numerous monumental room decorations. The decoration of the Cappella Contarelli, executed between 1591 and 1593, was one of his important early commissions. Finally, in 1599, when Cesari’s workload had got too much for him, Caravaggio, who had spent a lengthy period in Cesari’s studio some years earlier, was charged with painting the walls. This trick of fate gave rise to one of the most significant creations in European art history.
Fig. 1. G. Cesari. Head of an Old Man. Graphite. 13.7 x 17 cm. Röttgen 29b.
Fig. 2. G. Cesari. The Apostle Matthew Heals Ephigenia, Daughter of King Egippus of Ethiopia. Fresco. Church of San Luigi dei Francesi. Rome.
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pieter coecke van aelst (1502 Aelst – 1550 Brüssel)
Zugeschrieben. Rebekka und Elieser am Brunnen. Federzeichnung in Braun, grünbraun laviert, mit Gelbweiß gehöht. 20,4 x 30,5 cm. Pieter Coecke van Aelst ist als Maler und Zeichner ebenso vielseitig wie ungreifbar und der Versuch, sein künstlerisches Œuvre näher einzugrenzen, erweist sich auf Grund der spärlichen biographischen Details und der weitverzweigten Werkstattätigkeit als außerordentlich schwer. Nach Carel van Mander war er ein Schüler von Barent van Orley in Brüssel. 1525 ist der Künstler in Antwerpen nachweisbar, wo er zwei Jahre später als Freimeister in die dortige Gilde aufgenommen wurde. In der Folgezeit tat Pieter Coecke sich als Maler von Altarbildern und als Entwerfer von Tapisserien und Glasfenstern hervor. Ein Aufenthalt in Italien ist für den Zeitraum zwischen 1521 und 1524–25 belegt. Im Jahre 1533 hielt Coecke sich in Konstantinopel auf; der posthum verlegte Holzschnittzyklus Moeurs et fachons de faire de Turcz (Hollstein 4) ist ein künstlerisch und kulturhistorisch bedeutendes Zeugnis dieser Reise, die offenbar dem Zweck dienen sollte, den türkischen Sultan Suleiman II. für die flämische Teppichproduktion zu interessieren. Pieter Coeckes zeichnerisches Œuvre ist klein und stilistisch sehr heterogen. Federzeichnungen sind zahlenmäßig am häufigsten vertreten. Das vorliegende Blatt dürfte der italianisierenden Spätphase des Künstlers angehören und schließt sich stilistisch eng einer um 1540 entstandenen Wirtshausszene in Rotterdam (Museum Boijmans-Van Beuningen) an, die in einer vergleichbaren Technik ausgeführt ist und als einzige eigenhändig signierte
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Zeichnung des Künstlers gilt. Die Übereinstimmung im Zeichenstil ist offenkundig, nicht nur im Gesamtbild, sondern auch in Details der zeichnerischen Handschrift. Ganz charakteristisch ist beispielsweise die Art, mit der Coecke die Nasenrücken der Frauen durch einen feinen, geraden Pinselstrich definiert. Beide Zeichnungen bekunden das neue Kunstideal der Renaissance, das sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Inspirationsquellen speist. Unser Blatt ist in einem flüssigen und freien Duktus behandelt und zeigt eine aufwendige figürliche Inszenierung, die durch eine reiche Auslese an unterschiedlichen Bewegungsmotiven besticht. Sehr schön sind die Intimität der Handlung und die behutsame Geste beobachtet, mit der Rebekka Elieser den Wasserkrug überreicht. Die reiche Kleidung der am Brunnen versammelten Frauen und ihre kunstvollen Frisuren gehen direkt auf italienische Vorbilder zurück. Die feinen Abstufungen des Kolorits und die souveränen, effektvollen Höhungen erzeugen eine dynamische Helldunkelwirkung, die von den ClairobscurHolzschnitten Ugo da Carpis und anderer italienischer Formschneider seiner Zeit abgeleitet ist und die deren Wirkung nachzuahmen sucht. Zeichnungen dieser Art dürften Meister der nächsten Künstlergeneration wie Frans Floris und Dirck Barendsz. zu ähnlichen Versuchen in der Clairobscur-Technik angeregt haben (Siehe Van Pisanello tot Cézanne. Keuze uit de verzameling tekeningen in het Museum Boymans-van Beuningen Rotterdam, bearb. von G. Luijten/A.W.F.M. Meij, Rotterdam 1990, Nr. 16, S. 57–59). Doubliert und auf einer Montierung des 18. Jahrhunderts. Aus den Sammlungen P. H. Lankrink (Lugt 2090), P. Sandby (L. 2112) und V. W. Newman (L. 2540).
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pieter coecke van aelst (1502 Aelst – 1550 Brussels)
Attributed. Rebecca and Eliezer at the Well. Pen and brown ink, green and brown wash, with cream-coloured heightening. 20.4 x 30.5 cm. As a painter and draughtsman Pieter Coecke van Aelst is as versatile as he is evasive, and any attempt to circumscribe his artistic œuvre is extraordinarily difficult in view of the paucity of biographical details and his widely ramified studio activity. According to Carel van Mander, he was a pupil of Barent van Orley in Brussels. We know that the artist was in Antwerp in 1525 and that two years later he was admitted as a free, independent master to the guild there. Later on, Pieter Coecke distinguished himself as a specialist in altar paintings and a designer of tapestries and stainedglass windows. It has been proved that he stayed in Italy between 1521 and 1524–25. In 1533 Coecke was in Constantinople, and the posthumously published woodcut cycle Moeurs et fachons de faire de Turcz (Hollstein 4), an artistic record of this trip which was evidently intended to interest the Turkish Sultan Suleiman II in Flemish carpet manufacture, is a piece of artistic and cultural history. Pieter Coecke’s graphic œuvre is small and stylistically very heterogeneous. Pen drawings predominate. The present sheet probably belongs to the artist’s late Italianate phase and is stylistically very closely related to an Inn Scene, executed circa 1540 and now in Rotterdam’s Museum Boijmans-Van Beuningen, which shows a comparable technique and is considered to be the
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only drawing by the artist signed in his own hand. The stylistic affinity is quite obvious, not only in the overall picture, but also in details of the graphic treatment. A very characteristic feature, for example, is the way in which Coecke renders the ridges of the women’s noses with a fine straight stroke of the brush. Both drawings manifest a new, Renaissancist artistic ideal, which draws upon a wide range of sources of inspiration. The present drawing, which is done in a free and fluid style, shows an intricate group of figures that owes its appeal to the intriguing variety of body movements. The intimate nature of the proceedings and the discreet gesture with which Rebecca hands Eliezer the water jug are very finely observed. The rich clothing of the women gathered at the well and their elaborate hairstyles are taken directly from Italian models. The fine shades of colour and the masterly use of heightening generate dynamic lighting effects which are inspired by the chiaroscuro woodcuts of Ugo da Carpi and other Italian printmakers of his time whom Coecke was trying to emulate. Drawings of this kind may have inspired masters of the next generation of artists, such as Frans Floris and Dirck Barendsz., to make similar ventures into chiaroscuro technique (see Van Pisanello tot Cézanne. Keuze uit de verzameling tekeningen in het Museum Boymans-van Beuningen Rotterdam, edited by G. Luijten/A.W.F.M. Meij, Rotterdam, 1990, no. 16, pp. 57–59). On a 18th century mount. From the collections of P. H. Lankrink (Lugt 2090), P. Sandby (L. 2112) and V. W. Newman (L. 2540).
P. Coecke van Aelst. A Genre Scene with a Peasant in a Tavern. Pen and brown ink, brown wash, heightened with white. 20.1 x 16.1 cm. Rotterdam, Museum Boymans-Van Beuningen.
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7. michel ii corneille (1642–1708, Paris)
Der hl. Franz von Assisi, die Stigmata empfangend. Federzeichnung in Braun und Rötel, weiß gehöht. 38,5 x 28 cm. Bezeichnend für Corneilles Stil ist der stark italianisierende Charakter seiner graphischen Kunst. Corneille war zuerst Schüler seines Vaters Michel l’Ancien (1603 Orléans – 1664 Paris) und erhielt anschließend eine gediegene akademische Ausbildung bei Pierre Mignard und Charles Le Brun. Im Jahre 1659 wurde der junge Künstler mit dem Rompreis der Académie royale de Peinture et de Sculpture ausgezeichnet und lebte und arbeitete von 1659–63 in der Ewigen Stadt. Die Bekanntschaft mit dem Schaffen großer Vorgänger wie Annibale Carracci und Domenichino wirkte nachhaltig stilprägend auf ihn. Nach seiner Rückkehr in Paris wurde Corneille 1663 als Mitglied in die Akademie aufgenommen. In der Folgezeit machte er sich als Maler von religiösen Kompositionen einen Namen. Neben diesen Staffeleibildern widmete Corneille sich auch der Monumentalmalerei und war mit anderen Akademiemitgliedern wie Charles de Lafosse, den Brüdern Bon und Louis de Boullogne und Jean Jouvenet im Auftrag Ludwigs XIV. an der Ausschmückung zahlreicher Schlösser beteiligt. Dabei dürfte sich die besondere Protektion des Architekten Jules Hardouin-Mansart als sehr hilfreich für den weiteren Verlauf seiner Karriere ausgewirkt haben. Corneille hat ein recht umfangreiches zeichnerisches und druckgraphisches Œuvre hinterlassen. Er war laut Mariette ein leidenschaftlicher Zeichner und beschäftigte sich Zeit seines Lebens intensiv mit Studien nach den großen italienischen Meistern. Bekannt ist eine Sammlung von Kopien nach italienischen Zeichnungen aus dem Besitz des Bankiers und Kunstliebhabers Ever-
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hard Jabach, die in Paris eine der größten Privatsammlungen seiner Zeit gebildet hatte. Von Corneille besaß Jabach über dreihundert Zeichnungen, die zum größten Teil im Pariser Louvre aufbewahrt werden. Der überlegene, bravouröse Zeichenstil, den Corneille sich auf diese Weise aneignete, kommt auch auf dem vorliegenden Blatt voll zum Tragen. Die Zeichnung beeindruckt durch die Klarheit der Auffassung und die Klassizität der Komposition. Auf einer Wolke schwebend, empfängt der hl. Franz mit demutsvoll weit ausgestreckten Armen die Stigmata, während eine Schar kleiner Engel das Geschehen neugierig betrachtet. Geblendet vom überirdischen Licht liegt ein Gefährte des Heiligen zu seinen Füßen. Landschaft und Wolken sind stürmisch belebt. Gekonnt sind figürliche und landschaftliche Elemente miteinander verschmolzen, wodurch ein sehr lebendiges Gesamtbild entsteht. Corneilles Federtechnik ist kraftvoll, effektiv und abwechslungsreich. Die Hauptbestandteile der Komposition sind souverän und zügig in brauner Feder angelegt. Mit raschen, einfachen Kreuzschraffuren und Parallellagen sind die unterschiedlichen Helldunkel-Werte und Schattierungen definiert. Anschließend hat der Künstler mit Rötel die Umrisse der Figuren verfestigt und einzelne Details hervorgehoben. Die treffsicheren und effektvollen Weißhöhungen sind von großem graphischen Reiz und verleihen dem Blatt zusätzlichen Schmelz. Eine stilistisch vergleichbare Zeichnung, welche die Himmelfahrt der Jung frau darstellt (Abb. Seite 29), befindet sich im Metropolitan Museum of Art, New York (siehe J. Bean, 15th – 18th Century French Drawings in the Metropolitan Museum of Art, New York 1986, S. 75, Nr. 75). Verso mit Inschrift in schwarzer Feder: „No 1230 Collection Peyron“; mit dem Stempel der Société de l’Alliance des Arts, Paris (Lugt 61).
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7. michel ii corneille (1642–1708, Paris)
Saint Francis of Assisi Receiving the Stigmata. Pen and brown ink, red chalk, white heightening. 38.5 x 28 cm. Corneille’s style is marked by the strongly Italianate character of his draughtsmanship. His first teacher was his father, Michel l’Ancien (1603 Orléans – 1664 Paris), and later he received a sound academic training from Pierre Mignard and Charles Le Brun. In 1659 the young artist was awarded the Rome Prize of the Académie Royale de Peinture et de Sculpture and he was to live and work in the Eternal City till 1663. His familiarity with the work of such great predecessors as Annibale Carracci and Domenichino had a lasting effect on his style. In 1663, after his return to Paris, Corneille was admitted to membership of the Academy. In the subsequent period he made a name for himself as a painter of religious compositions. In addition to these easel paintings Corneille also devoted himself to monumental painting and – together with such other Academy members as Charles de Lafosse, the Bon brothers, Louis de Boullogne and Jean Jouvenet – was charged by Louis XIV with the interior decoration of numerous châteaux. The special patronage of the architect Jules HardouinMansart was probably very helpful for his later career. Corneille left behind a very extensive drawn and printed œuvre. According to Mariette, he was a keen draughtsman and throughout his life busied himself with studies after the Italian masters. A substantial corpus of drawn copies after 16th and 17th century Italian masters was in the possession of the banker and con-
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naisseur Everhard Jabach, who had assembled in Paris one of the largest private collections of his day. Jabach owned more than 300 drawn copies by Corneille, most of which are now kept in the Paris Louvre. The stylish élan of his drawing style, which Corneille acquired by exercising in this way, is clearly evident in the present drawing, which is impressive for its clarity of vision and the classic nature of the composition. Floating on a cloud, Saint Francis receives the stigmata humbly with outstretched arms, while a host of little angels eagerly look on. Blinded by the celestial light, a companion of the saint lies at his feet. Landscape and clouds are swept by storms. Figures and landscape elements have been skilfully blended to create a very vivid whole. Corneille’s penwork is forceful, effective and varied. The main parts of the composition have been set out swiftly and boldly in brown pen. Rapid, simple cross and parallel hatchings are used to achieve different chiaroscuro effects and shadings. Then the artist uses red chalk to firm up the outlines of the figures and pick out individual details. The deft and effective use of white heightening is of great graphic power and lends the work additional lustre. A comparable drawing in stylistic terms showing the Assumption of the Virgin is in the collection of the Metropolitan Museum of Art, New York (see J. Bean, 15th – 18th Century French Drawings in the Metropolitan Museum of Art, New York 1986, p. 75, no. 75). Verso with inscription in pen and black ink: “No 1230 Collection Peyron”; with the stamp of the Société de l’Alliance des Arts, Paris (Lugt 61).
M. Corneille. The Assumption of the Virgin. Pen and brown ink, brown wash, heightened with white, over black chalk. 31.5 x 19.5 cm. New York, The Metropolitan Museum of Art.
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flämisch um 1560
Zwei weite, baumbestandene Landschaften mit Bauernhäusern und figürlicher Staffage. 2 Radierungen. Je ca. 21 x 29,2 cm. Unbeschrieben. Die suggestiven, lebhaft behandelten Landschaftsdarstellungen weisen stilistische Analogien zur vierundzwanzig Blatt zählenden Kupferstichfolge Landschaften aus der Umgebung von Brüssel des Hans I Collaert (Hollstein IV, 149–172, The New Hollstein, The Collaert Dynasty, V, 1229–1252) auf. Auf Grund der Inschrift auf dem Titelblatt der zweiten, von Claes Jansz. Visscher herausgegebenen Edition galt Hans Bol lange als der Autor der gezeichneten Vorlagen, seine Urheberschaft erscheint aus heutiger Sicht jedoch als nicht gesichert. Collaerts Stiche zeigen eine vergleichbare landschaftliche Entourage und kompositorische Struktur. Der Künstler ist versucht, die weiträumigen, panoramisch behandelten Szenerien mit einer Vielfalt an genrehaften Details auszustatten. So entsteht ein komplexes, räumlich nicht immer überzeugendes Geflecht von Bäumen, Architektur und kleinen, unterschiedlichst agierenden Staffagefiguren und Tieren. Bestimmte topoi, wie die sich überkreuzenden, schlanken Baumstämme, die ornamentale Verästelung und das vom Wind aufgewühlte Blattwerk finden sich auf unseren beiden Radierungen in ähnlicher Form wieder.
Ein weiteres beliebtes Motiv sind mit Körben beladene Landleute, die einen steilen Pfad hinabsteigen. Mensch und Tier wirken sonderbar puppenhaft und schematisch. Insgesamt mutet Collaerts Faktur jedoch etwas trockener und spröder an als unsere beiden Landschaften, die in einer freieren, auf malerische Wirkung bedachten Radiertechnik ausgeführt sind, wenn auch der zeichnerische Duktus primitiver und gröber ist. Bäume und Laub zeigen ein effektvolles Clair-obscur und auch die agierenden Personen sind lebendiger und expressiver charakterisiert. Mit humorvoller erzählerischer Pointe ist auf einem der Blätter vorne rechts die Havarie eines Planwagens skizziert. Eine korpulente Bäuerin rollt kopfüber aus dem Wagen, zwei Enten beobachten das Geschehen mit sichtlichem Erstaunen und schwimmen eiligst davon. Die Identität unseres Radierers bleibt ungeklärt. Beide Blätter besitzen einen betont probedruckartigen Charakter, so daß es sich um einen einmaligen Versuch in der Radiertechnik handeln könnte. Prachtvolle, markante und tonal behandelte Drucke mit dem vollen Rand. Ein Blatt vor Verkleinerung der Platte und mit zahlreichen Nadelproben entlang der Facette. Von größter Seltenheit. Das Rijksprentenkabinett Amsterdam besitzt von letzterem Blatt einen Abzug von der verkleinerten Platte.
Hans I Collaert. Ansicht von Linthaut. Kupferstich. 13,9 x 19,9 cm. The New Hollstein 1238.
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flemish circa 1560
Two Spacious Wooded Landscapes with Farmhouses and Figures. 2 etchings, each measuring circa 21 x 29.2 cm. Unrecorded. These suggestive, vividly treated landscapes show stylistic analogies to the set of twenty-four engravings entitled Landscapes from the Environs of Brussels by Hans I Collaert (Hollstein IV, 149–172, The New Hollstein, The Collaert Dynasty, V, 1229– 1252). Because of the inscription on the title page of the second edition published by Claes Jansz. Visscher, Hans Bol was long considered to have been the author of the original drawings, but today his authorship no longer seems certain. Collaert’s engravings show a comparable landscape layout and compositional structure. The artist is tempted to fill the expansive, panoramic landscapes with a wealth of genre-like details, giving rise to a complex, spatially not always convincing blend of trees, architecture and small, variously employed staffage figures and animals. Certain topoi, like the slender, intertwining tree trunks, the ornamental tracery of the branches, and the wind-tossed foliage, recur in similar form in both these etchings.
Another favourite motif is country folk carrying baskets descending a steep path. People and animals seem strangely puppetlike and schematic. All in all, however, Collaert’s treatment is somewhat drier and more austere. These two landscapes are executed in a freer etching technique aimed at a picturesque effect, even if the linework is cruder and more primitive. Trees and foliage create an effective chiaroscuro and the actors are characterized in a livelier and more expressive way. A comic little scene has been sketched in the right foreground, where a wagon is coming to grief. A stout peasant woman is tumbling head over heels out of the wagon to the evident consternation of two ducks, which are swimming off with all speed. The identity of the etcher remains unclear. Both prints have a definite trial character, so they may represent a one-off exercise in etching technique. Superb impressions, printing with remarkable contrasts and tone, with full margins. One print before the reduction of the plate and with numerous needle scratches along the platemark. Extremely rare. The Rijksprentenkabinett in Amsterdam possesses an impression from the reduced plate of the latter print.
Hans I Collaert. View of the Hallepoort in Brussels. Engraving. 14 x 20 cm. The New Hollstein 1230.
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9. antonio franchi (genannt Lucchese, 1638 Villa Basilica/Lucca – 1709 Florenz)
Herakles und Omphale. Öl auf Papier, auf dünnen Karton aufgezogen. 21,3 x 15,3 cm. Die amüsante und hintersinnige Geschichte von Herakles und Omphale ist seit dem 16. Jahrhundert ein beliebtes Motiv in der abendländischen Kunst. Herakles mußte als Sühne für die Ermordung des Iphitos auf Anordnung des Delphischen Orakels ein Jahr lang als Sklave dienen und wurde an Omphale, die Königin von Lydien verkauft. Dort mußte er Frauenarbeit verrichten, während Omphale sein Löwenfell und seine Keule trug. Als die Königin von der Identität des Sträflings erfuhr, heiratete sie Herakles. Geblendet von seiner Liebe zu Omphale ließ sich der Held herab, Frauenkleider zu tragen und Wolle zu spinnen. Als die Tage seiner Fronarbeit jedoch verstrichen waren, erkannte Herakles seine Verblendung und verließ Omphale. Die Geschichte galt als spöttische Metapher für männliche Verweichlichung. Auf unserem reizvollen bozzetto thront Herakles in selbstbewußter Pose, während er mit der Rechten eine Spindel statt eines Szepters hält. Omphale neigt sich mit einer liebevollen Geste zu ihm hinüber. Ein kleiner Liebesgott dient als verbindendes Element. Er hält mit beiden Händen eine Kette, die als Symbol der Gefangenschaft und im übertragenen Sinne auch als Sinnbild der Fesseln der Liebe zu deuten ist. Vorne rechts liegt Herakles’ Keule achtlos auf dem Boden und zeugt von der Untätigkeit des Helden. Bei der vorliegenden Ölskizze handelt es sich um eine seltene Arbeit des Luccheser Malers Antonio Franchi. Die Biographie Franchis liest sich abwechslungsreich und ist von Aufenthalten in unterschiedlichen italienischen Kunstzentren geprägt. Franchi war in seiner Geburtsstadt zuerst Schüler von Giovanni Domenico Ferrucci und anschließend von Matteo Boselli. Noch während seiner Studienzeit in Lucca frequentierte er die 1640 von Pietro Paolini gegründete Accademia del Nudo. Ab 1655 hielt Franchi sich in Florenz auf, wo Baldessare Franceschini, genannt il Volterrano, zu seinen Lehrmeistern zählte und der junge Künstler erste Versuche als Bildnismaler machte. In der Folgezeit war Franchi abwechselnd in Florenz und Lucca tätig. In letzterer Stadt diente er von 1658–59 dem Kardinal Girolamo Buonvisi als Kleriker und Maler und widmete sich auch dem Studium der Philosophie. Um 1665–67 sehen wir den Künstler in Rom, wo er im künstlerischen Ambiente um Pietro Testa und Antonio Gherardi verkehrte. Gefördert von Volterrano und dem Patronat florentiner Adelsgeschlechter wie den Familien Medici, Strozzi und Capponi, siedelte Franchi 1674 endgültig nach Florenz
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über und etablierte sich in dieser Stadt mit Erfolg als Porträtist und Maler von historischen und mythologischen Sujets, die in einer leichten, graziösen spätbarocken Stilsprache ausgeführt sind. Franchi war darüberhinaus eine vielseitig gebildete Persönlichkeit, die sich auch schriftstellerisch mit Fragen der Religion, Philosophie, Naturwissenschaften und der Kunsttheorie beschäftigte. Das zeichnerische Œuvre des Künstlers ist von größter Seltenheit. Es sind nur vereinzelte gesicherte Arbeiten überliefert: zwei Zeichnungen im Louvre (siehe C. Monbeig Goguel, Dessins Toscans XVIe – XVIIIe Siècles, Tome II 1620–1800, Musée du Louvre, Paris 2005, S. 252, Nrn. 328–329), sowie zwei weitere Blätter im Musée des Beaux-Arts in Lille (siehe Ausstellungskat. Bellezze di Firenze. Disegni fiorentini del Seicento e del Settecento dal Museo di Belle Arti di Lille, bearb. von M. Chiarini, Palazzo Pitti, Florenz 1991, S. 88–91, Nrn. 39–40). Zu den gesicherten Arbeiten zählen außerdem zwei Zeichnungen in der Sammlung des Metropolitan Museum of Art, New York (siehe J. Bean, W. Griswold, 18th Century Italian Drawings in the Metropolitan Museum of Art, New York 1990, S. 67–69, Nrn. 48–49). Darüberhinaus befindet sich eine weitere autographe Zeichnung in römischem Privatbesitz. Alle diese Werke weisen den gleichen skizzenhaften Charakter auf und sind unterschiedslos in einer flüssigen Camaieu-Technik in Tempera oder Öl ausgeführt, die rosabraune Valeurs und helle, weißgelbe Höhungen bevorzugt. Somit stellt die vorliegende Komposition eine bedeutende Erweiterung des Œuvres dar. Unser Blatt besitzt ein nahezu identisches Format wie die beiden in Lille aufbewahrten Zeichnungen und zeigt treffliche stilistische Analogien zu diesen, dem Spätwerk zugehörigen Arbeiten (siehe Abb. Seite 37). Namentlich die Studie Noli me tangere zeigt eine vergleichbare kompositorische Struktur und markante Übereinstimmungen in der Lichtführung und in der räumlichen Staffage. Der Rundtempel im Hintergrund ist nahezu identisch mit dem Gebäude auf unserem Blatt und auch der kleine schwebende Engel am oberen Bildrand kehrt fast unverändert auf unserer Skizze wieder. Die Hauptakteure im Vordergrund sind flüssig und treffsicher behandelt und gewisse typologische Details der Figurenauffassung, wie die flüchtig angedeuteten, klauenartig wirkenden Hände und die summarische Behandlung der Gesichter mit den dunklen, runden Augenhöhlen stellen eine charakteristische Eigenart der Formensprache Franchis dar. Trotz einer gewissen Stereotypie der Ausführung besitzen diese Skizzen eine schwungvolle Leichtigkeit und eine anmutige Grazie, die kennzeichnend ist für die florentiner Malerei des ausgehenden Seicento.
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9. antonio franchi (called Lucchese, 1638 Villa Basilica/Lucca – 1709 Florence)
Hercules and Omphale. Oil on paper, mounted on thin cardboard. 21.3 x 15.3 cm. The amusingly perverse tale of Hercules and Omphale has been a favourite motif in Western art since the 16th century. Having murdered Iphitus, Hercules was commanded by the Delphic Oracle to do penance by serving as a slave for a year. He was sold to Omphale, the Queen of Lydia, who made him do women’s work while she wore his lion skin and carried his club. When the Queen learned the identity of her prisoner, she married Hercules. Blinded by his love for Omphale, the hero let himself be reduced to wearing women’s clothing and spinning wool. When the days of his bondage were over, however, Hercules saw the error of his ways and left Omphale. The story was considered a scornful comment on male effeminacy. This delightful bozzetto shows Hercules seated on a throne in self-confident pose, holding in his right hand a spindle instead of a sceptre. Omphale is leaning over to him with a loving gesture. A small cupid serves as a combining element. In both hands he holds a chain, which is meant to be a symbol of bondage and, in a figurative sense, as a symbol of the fetters of love. In the right foreground Hercules’ club lies neglected on the ground, testifying to the hero’s indolence. The present oil sketch is a rare work by the Lucca painter Antonio Franchi. Franchi led an eventful life spent in various Italian art centres. In his home town Franchi was first a pupil of Giovanni Domenico Ferrucci and then of Matteo Boselli. While still a student in Lucca he attended the Accademia del Nudo founded by Pietro Paolini in 1640. By 1655 he was in Florence, where Baldessare Franceschini, known as il Volterrano, was one of his tutors. It was here that the young artist made his first attempts as a portrait painter. In the following period Franchi was alternately in Florence and Lucca. In the latter town he served as cleric and painter to Cardinal Girolamo Buonvisi in the years 1658–59 and devoted himself to the study of philosophy. Circa 1665–67 we find the artist in Rome, where he moved in the artistic circles around Pietro Testa and Antonio Gherardi. Sponsored by Volterrano and enjoying the patronage of such Florentine noble
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families as the Medici, Strozzi and Capponi, Franchi decided in 1674 to move for good to Florence, where he successfully established himself as a portraitist and painter of historical and mythological subjects, which he executed in the light, gracious style of the Late Baroque. Franchi was also a very versatile and well-educated man who wrote on matters of religion, philosophy, the natural sciences and art theory. The artist’s drawn œuvre is extremely rare. Only occasional works have been confirmed as being by him: two drawings in the Louvre (see C. Monbeig Goguel, Dessins Toscans XVIe – XVIIIe Siècles, Tome II 1620–1800, Musée du Louvre, Paris 2005, p. 252, nos. 328–329) and two more in the Musée des Beaux-Arts in Lille (see the exhibition catalogue Bellezze di Firenze. Disegni fiorentini del Seicento e del Settecento dal Museo di Belle Arti di Lille, by M. Chiarini, Palazzo Pitti, Florence 1991, pp. 88–91, nos. 39–40). Other attested works include two drawings in the collection of New York’s Metropolitan Museum of Art (see J. Bean, W. Griswold, 18th Century Italian Drawings in the Metropolitan Museum of Art, New York 1990, pp. 67–69, nos. 48–49). In addition, there is another autograph drawing in a private collection in Rome. All these works show the same sketchy character and are uniformly executed in a fluid Camaïeu technique in tempera or oils, with a preference for pinkish-brown shades and bright, yellowish-white heightening. The present composition thus represents a significant extension of the œuvre. The format of this sketch is almost identical to that of the two drawings in Lille and shows strong stylistic analogies to these late works. The study Noli me tangere in particular shows a comparable compositional structure and striking correspondences in the use of light and spatial staffage. The round temple in the background is almost identical with the building shown here and the little angel hovering at the top of the picture reappears in this sketch in almost unaltered form. The main actors in the foreground are treated with fluent accuracy, and certain typological details in the figure drawing, such as the fleetingly indicated, claw-like hands and the summary treatment of the faces with the dark round eye sockets, are characteristic of Franchi’s formal idiom. Although somewhat stereotypical in execution, these sketches possess a lightness and panache that is characteristic of Florentine painting of the late Seicento.
A. Franchi. Noli me tangere. Tempera in pinkish-brown and yellowishwhite on paper. 20.2 x 13.6 cm. Lille, MusĂŠe des Beaux-Arts.
A. Franchi. The Virgin Appears to St. Joseph Calasanzio. Tempera in pinkishbrown and yellowish-white on paper. 20.2 x 15.3 cm. Lille, MusĂŠe des Beaux-Arts.
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10. michele greco (oder Grecchi, genannt Lucchese, tätig zwischen 1534–1564 in Rom)
michele greco (or Grecchi, called Lucchese, active between 1534 and 1564 in Rome)
Zwei Friese mit Putten. 2 Kupferstiche. Je ca. 9,7 x 33,5 cm. Unbeschrieben.
Two Friezes with Cherubs. Two engravings each circa 9.7 x 33.5. Unrecorded.
Der Name des Malers, Kupferstechers und Verlegers Michele Greco erscheint im Jahre 1534 zum ersten Mal im Verzeichnis der Accademia di S. Luca in Rom, 1551 ist er als Maler nachgewiesen. Greco fertigte vorwiegend Reproduktionsstiche nach prominenten Künstlern seiner Zeit an, so von Raphael, Michelangelo, Polidoro da Caravaggio und Bandinelli, und allein schon aus diesem Grund haben seine Blätter einen nicht unbedeutenden dokumentarischen Wert. Sein zwischen 1547 und 1564 entstandenes druckgraphisches Œuvre fehlt im Peintre-Graveur von Adam von Bartsch, und Grecos Blätter sind in der Regel rar. So fehlen auch die beiden leicht und spirituell behandelten Friesdarstellungen all’antica bei Nagler und Passavant. Mit Verve hat der Künstler das emsige und fröhliche Treiben der launigen Putten dargestellt. In einer schwungvollen Prozession wird ein nackter Knabe auf einer antiken Sänfte getragen, während seine Gefolgschaft mit Posaune, Flöte, Schlagbecken und Trommeln eine heitere Kakophonie vom Zaun bricht. Auf dem Pendant tragen Putten beflissen Opfergaben zu einem Altar, der von einem Dreiberg gekrönt ist. Ein kleiner Faun mit wehmütigem Gesichtsausdruck spielt auf der Panflöte. Die vielfigurigen, belebten Kompositionen sind sicher und abwechslungsreich gestaltet. Grecos konzentrierte und in ihrer Schlichtheit kraftvolle Kupferstichtechnik betont die Plastizität der Körper und schafft schöne Helldunkel-Übergänge.
The name of the painter, engraver and publisher Michele Greco appears for the first time in 1534 in the catalogue of the Accademia di S. Luca in Rome. In 1551 he is recorded as a painter. Greco mainly did reproductive engravings after prominent artists of his time, such as Raphael, Michelangelo, Polidoro da Caravaggio and Bandinelli. For this reason alone his prints have considerable documentary value. Greco’s printed œuvre, produced between 1547 and 1564, is missing from Adam von Bartsch’s PeintreGraveur and his prints are generally rare. These two spirited, lighthearted friezes rendered all’antica were also unknown to Nagler and Passavant, for example. The artist has enthusiastically portrayed the bustling and boisterous activities of the exuberant cherubs. A lively procession bears a naked boy upon an antique litter, while his retinue makes a joyful noise with trumpet, flute, cymbals and drums. The pendant shows cherubs busily engaged in bearing sacrificial offerings to an altar that is crowned by a triple mount. A little faun with a melancholy look on its face plays on the Pan pipes. The lively, multi-figure compositions are executed in a confident and versatile manner. Greco’s concentrated engraving technique, which is powerful in its simplicity, emphasizes the contours of the bodies and creates fine chiaroscuro transitions.
Prachtvolle, leuchtende und kräftige Drucke mit feinem, gleichmäßigem Rändchen um die Plattenkante. Vollkommen erhalten.
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Superb, strong and rich impressions with thread margins around the platemark. In perfect condition.
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11. francesco grimaldi
francesco grimaldi
(um 1608 Bologna – 1680 Rom)
(circa 1608 Bologna – 1680 Rome)
Umkreis. Die Landschaft mit der kleinen Brücke. Radierung. 25,6 x 35,4 cm. Unbeschrieben. Wasserzeichen: Tre mezze Lune (vgl. Woodward 139 ff, Italien ab spätem 16. Jahrhundert).
Circle of. A Landscape with a Small Bridge. Etching. 25.6 x 35.4 cm. Unrecorded. Watermark: Tre mezze Lune (cf. Woodward 139 ff, Italy, late 16th century or later).
Genaue Angaben zur Autorschaft und Herkunft dieses enigmatischen und skurrilen Blattes fehlen in der beschreibenden Literatur. Nagler verzeichnet zwei ähnliche Monogramme, die er mit Gaspar Dughet in Verbindung bringt (Die Monogrammisten, II, 2872, 2873) und erwähnt „eine Landschaft mit einer Brücke“, die sich damals in einer Privatsammlung in Kiel befand. Der Autor kannte das Blatt jedoch nicht aus eigener Anschauung, was ein Indiz für die außerordentliche Seltenheit der vorliegenden Radierung ist.
The descriptive literature contains no precise information on the authorship and origin of this bizarre and enigmatic print. Nagler records two similar monograms which he associates with Gaspar Dughet (Die Monogrammisten, II, 2872, 2873) and mentions a “Landscape with Bridge”, which at that time was in a private collection in Kiel. The author had not seen the print with his own eyes, however, which is an indication of the extraordinary rarity of the present etching.
Die sehr frei und malerisch behandelte Radierung zeigt eine weite, kulissenhaft gestaffelte Gebirgslandschaft, deren einzelne Bestandteile wie nonchalant angeordnete Versatzstücke wirken. Wir sehen ein phantastisches Konglomerat von knorrigen Bäumen mit weit auswucherndem Geäst, ruppigen Sträuchern, bewachsenen Felsvorsprüngen und kleinen Wasserläufen. In dieser wüsten, unwirtlichen Landschaft bewegen sich einsame Wanderer seltsam verloren. Einzelne Bauten schauen aus der wilden, dichten Vegetation hervor, suggerieren jedoch keine menschliche Aktivität. Oben am Horizont wird eine bizarre Felsformation von einem Fort mit wehendem Wimpel gekrönt. Stilistisch mutet das Blatt sonderlich inkohärent an. Die massige Eiche im Vordergrund, die als Repoussoir dient, dürfte von Landschaftsblättern Francesco Grimaldis inspiriert sein. Eine kürzlich entdeckte, unbeschriebene Radierung des Künstlers zeigt einen stilistisch überraschend ähnlichen Baum (siehe Bassenge, Auktionskalatalog 78, Ausgewählte Graphik aus drei Jahrhunderten. Uncommon Prints from Three Centuries, 30. November 2001, Nr. 5195). An anderen Stellen zeigt sich der Künstler zögerlicher und weniger souverän in der Zeichnung und auch eine räumliche überzeugende Gliederung der Komposition scheint ihm Schwierigkeiten zu bereiten. Vielleicht handelt es sich um den ersten Versuch in der Radiertechnik eines Künstlers aus dem direkten Umfeld Grimaldis? Die an mehreren Stellen erkennbaren Spuren von Fehlätzung unterstreichen den experimentellen, probedruckartigen Charakter des Abzuges, so daß anzunehmen ist, daß die Radierung nur in ganz wenigen Exemplaren überliefert ist oder sogar als Unikum gelten kann. Ausgezeichneter, toniger und malerisch behandelter Abzug mit Rand um die Einfassungslinie, rechts mit feinem Rändchen um die Plattenkante. Geringfügige Altersspuren, sonst vorzüglich erhalten.
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This very free and painterly etching shows a wide mountain landscape of ascending tiers, whose individual components look like carelessly assembled theatrical properties. We see a fantastic conglomerate of gnarled trees with widely spreading branches, tangled shrubbery, overgrown spurs of rock and little streams. Through this desolate, inhospitable landscape move lonely travellers, looking strangely lost. Isolated structures loom amidst the wild, dense vegetation, without there being any suggestion of human activity. High up on the horizon an odd-shaped rock formation is crowned by a fort with flag flying. Stylistically the print makes a strangely incoherent impression. The massive oak in the foreground, which serves as a repoussoir, was probably inspired by the landscape prints of Francesco Grimaldi. A recently discovered, unrecorded etching by the artist shows a tree that is surprisingly similar in stylistic terms (see Bassenge: Auction catalogue 78, Ausgewählte Graphik aus drei Jahrhunderten. Uncommon Prints from Three Centuries, 30 November 2001, no. 5195). In other places the drawing is more hesitant and less confident, and the artist seems to have difficulty in arranging the composition satisfactorily. Could this be the first attempt at an etching by an artist closely associated with Grimaldi? The traces of accidental foul biting at various places underline the experimental character of this print, so that one may assume that only very few impressions exist or that it might even be unique. A very fine, tonal and suggestive impression with margins around the borderline and thread margins around the platemark on the right. Minor ageing, otherwise in excellent condition.
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12.
jan lutma der jüngere (1624–1689, Amsterdam)
Selbstbildnis, zeichnend. Radierung. 15,8 x 13,3 cm. Bartsch, école de Rembrandt 76; Rovinski 74, 76; Hollstein 3. Wasserzeichen: Wappen von Amsterdam (Ash-Fletcher 1). Das Selbstbildnis zeigt den 1624 in Amsterdam geborenen Sohn des berühmten Silberschmiedes Jan Lutma d. Älteren (1584 Emden – 1669 Amsterdam), der selbst von Rembrandt auf dem großartigen radierten Porträt aus dem Jahre 1656 verewigt wurde. Lutma der Jüngere war als Graveur und Silberschmied tätig und wurde 1643 Meister. Im Jahre 1651 hielt der Künstler sich in Rom auf. Es sind keine gesicherten Silberschmiedearbeiten seiner Hand bekannt, aber er schuf ein kleines druckgraphisches Œuvre, das vorwiegend aus Bildnissen und Ornamentstichen besteht. Außerdem gilt er als der Erfinder eines tonalen Druckverfahrens, des sogenannten opus mallei. Es handelt sich um eine der Atelierpraxis der Goldschmiede entstammende Punktiertechnik, bei der mit Hilfe von Punze und Hammer (Lat. malleus) auf der Kupferplatte feine tonale Übergänge erzielt werden. Auf dem suggestiven Selbstbildnis hat Jan Lutma sich in halber Figur en face, im Alter von etwa fünfundzwanzig Jahren dargestellt. Demzufolge dürfte die Radierung Anfang der 1650er Jahre angefertigt sein, kurz nach Entstehung von Rembrandts berühmtem Selbstbildnis, zeichnend von 1648 (White & Boon 22), das zweifellos als Inspirationsquelle gedient hat. Wie Rembrandt blickt der junge Künstler von seiner Arbeit auf; vor ihm, auf einem summarisch angedeuteten Tisch liegt ein weißes Blatt Papier, in der Rechten hält er einen Zeichenstift. Sehr ähnlich ist auch
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die Pose des angewinkelten linken Arms, der entspannt auf dem Arbeitstisch ruht. Die Intensität des Blickes suggeriert, daß Lutma sein Abbild in einem Spiegel betrachtet. Er trägt einen breitkrempigen Hut, dessen Rand das Gesicht fast vollständig im Schatten erscheinen läßt, und ist in einen weiten, mit Tressen geschmückten Übermantel gekleidet. Ein nonchalant um den Hals geschwungenes Tuch verleiht der Darstellung eine informelle Note. Die Radierung ist in einer für einen Anfänger erstaunlich versierten, differenzierten Radiertechnik ausgeführt, die zeigt, wie sehr Lutma dem Beispiel Rembrandts verpflichtet war. Die feinen, dichten Kreuzschraffuren verleihen der Darstellung Plastizität und körperliche Präsenz und geben die unterschiedliche Beschaffenheit von Haut, Haaren und Kleidung lebendig wieder. Subtil ist das Spiel des Lichtes auf dem Antlitz und auf dem Übermantel eingefangen. Das helle, direkt von vorne kommende Tageslicht läßt einen feinen Streifen an der Hutkrempe silberartig aufblitzen, während der breite Hutrand das jugendliche, lebendig charakterisierte Gesicht größtenteils beschattet. Hell leuchten die eindringlich blickenden Augen, die Nasenspitze und die linke Wange aus dieser Schattenpartie hervor. Prachtvoller, nuancierter und harmonischer Abzug mit gleichmäßigem Rändchen um die Plattenkante. Vollkommen erhalten. Die Radierung ist sehr selten. Hollstein weist insgesamt drei Exemplare nach. Bei dem vorliegenden Abzug handelt es sich um das von Hollstein verzeichnete Exemplar des Fürstlich Waldburg Wolfegg’schen Kupferstichkabinetts (Lugt 2542).
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12.
jan lutma the younger (1624–1689, Amsterdam)
Self-Portrait, Drawing. Etching. 15.8 x 13.3 cm. Bartsch, école de Rembrandt 76; Rovinski 74, 76; Hollstein 3. Watermark: Coat of arms of Amsterdam (Ash-Fletcher 1). This intimate self-portrait shows the son of the famous silversmith Jan Lutma the Elder (1584 Emden – 1669 Amsterdam), who was immortalized by none other than Rembrandt in a magnificent etched portrait dating from 1656. Born in Amsterdam in 1624, Lutma the Younger worked as an engraver and silversmith, becoming a master in 1643. In 1651 he was in Rome. No confirmed specimens of his work as a silversmith are known to exist, but he did produce a small printed œuvre consisting of portraits and ornamental engravings. He is also considered to be the inventor of a tonal printing method known as opus mallei, a stippling technique derived from goldsmiths’ workshops, in which a burin and hammer (malleus in Latin) are used to achieve fine tonal transitions on the copperplate. Jan Lutma has done a suggestive half-length portrait of himself en face, at the age of about twenty-five. This means that the etching was probably done in the early 1650s, shortly after Rembrandt’s famous Self-Portrait Drawing at a Window of 1648 (White & Boon 22), which doubtless served as a source of inspiration. Like Rembrandt, the young artist is looking up from his work; in front of him, on a sketchily indicated table, lies a white sheet of paper.
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In his right hand he holds a pencil, while his left arm, crooked at the elbow, lies on the desk in a relaxed pose. The intensity of Lutma’s gaze suggests that he is looking at his reflection in a mirror. He is wearing a hat with a wide brim that overshadows his face almost completely and a loose overcoat embroidered with braid. A scarf flung nonchalantly around his neck adds an informal note. The etching is executed in a technique that is astonishingly professional and differentiated for a beginner, showing how much Lutma owed to Rembrandt’s example. The fine, dense crosshatchings lend the portrayal depth and physical presence, vividly rendering the different textures of skin, hair and clothing. The play of light on the face and overcoat has been subtly caught. The bright daylight coming from straight ahead of him has picked out a fine silvery strip on the brim of his hat, while the broadness of the brim largely overshadows the youthful, alert-looking face. The piercing eyes, the tip of his nose and his left cheek gleam forth from the surrounding shadows. A superb, nuanced and harmonious impression with narrow margins around the platemark. In impeccable condition. The etching is very rare. Hollstein documents a total of three impressions The present impression is the one recorded by Hollstein in the collection (Kupferstichkabinett) of the Princes of Waldburg-Wolfegg (Lugt 2542).
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13. giovanni pietro possenti (1618–1659, Bologna)
Die Schmiede des Vulkan mit Mars und Venus. Radierung. 39,3 x 28,7 cm. Bartsch XIX, 186, I (von II); Le Blanc III, 8; Nagler, Die Monogrammisten II, 565, 7; III, 276, 5 (Pecham); Hollstein XXXI, B Works by Possenti, 9. Die Identität des Monogrammisten GP hat lange für Verwirrung gesorgt und in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Attributionen geführt. Bartsch waren insgesamt sieben Radierungen bekannt, die er einem anonymen Schüler Guido Renis zuschrieb. In der Folgezeit brachte Nagler das kleine Œuvre mit dem aus Augsburg stammmenden Maler und Radierer Georg Pecham in Verbindung. Erst 1994 gelang Nadine M. Orenstein der überzeugende Beweis, daß die zehn bisher bekannten Radierungen von der Hand des in Bologna, Padua und Venedig tätigen Malers und Graphikers Giovanni Pietro Possenti stammen (siehe Nadine M. Orenstein, „Possenti and Hercules“, Print Quarterly, XI, Nr. 1, März 1994, S. 20–25). Alle diese Blätter zeigen die gleiche idiosynkratische künstlerische Handschrift und einen dynamischen, außerordentlich sug-gestiven Radierstil. In Bezug auf Possentis Radiertechnik spricht Bartsch von Schraffuren „faites d’une manière confuse et tournées en différents sens“. Possenti bevorzugte in der Regel kleine Formate. Unsere Radierung nimmt daher durch ihre Größe und die aufwendige Gestaltung ihrer vielfigurigen Komposition eine Sonderstellung im Œuvre ein. Vor einer Felsenhöhle sehen wir fünf Schmiede bei der Arbeit. Die drahtigen, mit fieberhafter Energie geladenen Körper der Männer sind nackt bis auf ein schmales Lendentuch. Einer von ihnen ist nur schemenhaft angedeutet, während er in einer Grotte ein großes, loderndes Feuer schürt. Mit wuchtigen, weit ausholenden Hammerschlä-
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gen bearbeiten zwei der Schmiede ein glühendes Stück Metall auf dem Amboss; ein dritter Mann wendet sich zur Seite und legt behutsam einen soeben angefertigten Brustpanzer auf den Boden. Rechts vorne sitzt der Feuergott Vulkan, der mit düsterer Miene zum Himmel schaut und Zeuge der Untreue seiner Gattin Venus ist, die von Mars entführt wird. Possentis Bildregie ist ungewöhnlich suggestiv und originell. Die Schwere und die Mühsal der irdischen Arbeit stehen in einem dialektischen Bezug zur Leichtigkeit des Sinnenrausches. Kompositorisch sind der schattige irdische Bereich und die offene himmlische Sphäre deutlich von einander abgegrenzt und auch Possentis Radiermethodik trägt diesem Gegensatz Rechnung. In einer ungewöhnlich freien, furiosen Technik und mit Hilfe dichter Kreuz- und Parallelschraffuren, Strichelchen und Pünktchen hat der Künstler die Beschaffenheit des felsigen Terrains und die Anatomie der Gehilfen Vulkans charakterisiert; die düsteren Mienen der Männer und die manieristisch überbetonte, angeschwollene Muskulatur ihrer Körper zeugen von physischer Anstrengung und Leidensdruck. Mars und Venus dagegen sind in einem lockeren, filigranen Duktus behandelt. Von zwei Putten begleitet schweben sie federleicht gen Himmel. Ein Windstoß krümmt die Baumstämme, bauscht Blätter und Wolken auf und scheint den Auftrieb des göttlichen Liebespaares zu beschleunigen. Ausgezeichneter, nuancierter Frühdruck mit der Einfassungslinie, die stellenweise geringfügig angeschnitten ist. Vor der für den zweiten Druckzustand charakteristischen horizontalen Linie im oberen Bilddrittel, vor dem Schriftband und vor dem Wappenschild. Eine unauffällige Quetschfalte vom Druck, minimale Ausbesserungen und Altersspuren, sonst sehr gut erhalten.
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13. giovanni pietro possenti (1618–1659, Bologna)
Vulcan’s Forge with Mars and Venus. Etching. 39.3 x 28.7 cm. Bartsch XIX, 186, I (of II); Le Blanc III, 8; Nagler, Die Monogrammisten II, 565, 7; III, 276, 5 (Pecham); Hollstein XXXI, B Works by Possenti, 9.
blows of their hammers, while a third turns away to lay a just completed breastplate carefully on the ground. In the right foreground sits the god of fire, Vulcan, who gazes up gloomily at the sky to witness his unfaithful consort Venus being abducted by Mars.
The identity of the monogrammist GP was long a source of confusion, which in the past led to different attributions. Bartsch was aware of a total of seven etchings, which he ascribed to an anonymous pupil of Guido Reni. Later on, Nagler associated the minor œuvre with the Augsburg-born painter and etcher Georg Pecham. It was not until 1994 that Nadine M. Orenstein came up with convincing proof that the ten etchings known to date stem from the painter and printmaker Giovanni Pietro Possenti, who was active in Bologna, Padua and Venice (see Nadine M. Orenstein, “Possenti and Hercules”, Print Quarterly, XI, No. 1 March 1994, pp. 20–25).
Possenti’s pictorial narrative is exceptionally suggestive and original. The arduous and laborious nature of terrestrial toil stands in a dialectic relation to the ease of surrender to the senses. Compositionally, the shadowy terrestrial realm and the open celestial sphere are distinctly separate, and Possenti’s etching method takes account of this. By means of an unusually free and dynamic etching technique and with the help of dense cross and parallel hatchings, small pen strokes and stippling the artist has captured the texture of the rocky terrain and the anatomy of Vulcan’s assistants; the sombre faces of the men and their manneristically exaggerated muscles testify to physical effort and the force of passion. Mars and Venus, by contrast, have been treated in a light, delicate style. Accompanied by two cherubs, they float effortlessly skywards. A gust of wind bends the tree trunks, stirs up leaves and clouds and seems to lend impetus to the flight of the divine pair.
All these prints show the same artistic idiosyncrasy and a dynamic, highly suggestive style of etching. On the subject of Possenti’s etching technique Bartsch spoke of hatchings “faites d’une manière confuse et tournées en différents sens”. Possenti generally preferred small formats. Our etching thus owes its special place in the œuvre to its size and elaborate multi-figure composition. At the entrance to a cave we see five blacksmiths at work. The sinewy bodies of the men, charged with feverish energy, are naked except for skimpy loincloths. One of them is only sketchily indicated raking a blazing fire in a grotto. Two of the blacksmiths are pounding a glowing piece of metal on an anvil with mighty
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A very fine, early impression, trimmed on or at places minimally inside the borderline. Before the horizontal line in the upper third of the image that is characteristic for the second state, before the inscription and before the coat of arms. An unobtrusive printer’s crease, minor repairs and traces of ageing, otherwise in very good condition.
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14. girolamo troppa (1630 Rocchette, Sabina – nach 1710 Rom)
Herakles und die Lernäische Hydra; Herakles, Cacus tötend. Federzeichnung in Braun über einer leichten Kreidevorzeichnung, braun laviert, weiß gehöht. 26,7 x 40 cm. Cavaliere Girolamo Troppa war seit 1656 als Maler in Rom tätig und wurde in seinem Schaffen von Meistern wie Giacinto Brandi und Pier Francesco Mola beeinflußt. Er verkehrte im künstlerischen Ambiente des römischen Hochbarocks und arbeitete 1672 mit keinem Geringeren als Giovanni Battista Gaulli zusammen, in der Folgezeit auch mit so unterschiedlichen Künstlerpersönlichkeiten wie Giovanni Battista Beinaschi, Daniel Seiter und Giuseppe Ghezzi. Troppas künstlerische Tätigkeit führte ihn über die Grenzen Latiums bis nach Umbrien und in die Marken. In Anbetracht der Vielfalt der Inspirationsquellen, aus denen seine Kunst sich speist, ist Troppa als Maler eine schwer greifbare Persönlichkeit. Seine Gemälde sind selten und viele seiner Werke wurden in der Vergangenheit in musealen Sammlungen unter anderen Namen geführt. Die gleiche Beobachtung trifft auf das zeichnerische Werk zu, das lange von der Forschung übersehen wurde. Erich Schleier gebührt das Verdienst, unsere Kenntnis über diesen Aspekt von Troppas künstlerischer Tätigkeit durch zwei grundlegende Aufsätze wesentlich verfeinert und das kleine Œuvre durch eine Reihe von neuen Zuschreibungen erweitert zu haben (siehe E. Schleier, „Disegni di Girolamo Troppa nelle collezioni tedesche e altrove“, Antichità viva, XXIX, Nr. 6, 1990, S. 23–34, und idem, „Aggiunte a Girolamo Troppa pittore e disegnatore“, Antichità viva, XXXII, Nr. 5, 1993, S. 16–23). In den beiden Artikeln veröffentlichte Schleier einen Korpus von Zeichnungen, überwiegend Kompositionsskizzen, die bis dahin häufig mit unterschiedlichsten Attributionen in deutschen und ausländischen musealen Sammlungen sowie in Privatbesitz aufbewahrt wurden. Charakteristisch für diese Gruppe von autographen Arbeiten ist eine weitgehende Analogie in der Wahl der Technik. Die Mehrzahl der Blätter sind als Federzeichnungen in Braun mit brauner Lavierung ausgeführt; viele der Zeichnungen tragen eine Inschrift mit dem Künstlernamen, die wohl als eigenhän-
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dige Signatur zu deuten ist. Manche Blätter verraten eine gewisse stilistische Affinität zu Gaulli, insgesamt aber ist Troppas zeichnerischer Duktus energischer, kraftvoller und von einer fieberhaften inneren Dynamik erfüllt, die Elemente der venezianischen Kunst des 18. Jahrhunderts vorwegnimmt. Es ist daher kein Zufall, daß einige seiner Zeichnungen in der Vergangenheit an Gaspare Diziani und Girolamo Brusaferro zugeschrieben wurden. Das vorliegende, meisterhaft behandelte und ungemein suggestive Studienblatt, das qua Format größer ist als die Mehrzahl der bisher bekannten Zeichnungen, läßt sich nicht mit einem Gemälde Troppas in Verbindung bringen. Es könnte sich um eine Kompositionsskizze zu einem größeren, den Werken von Herakles gewidmeten Dekorationszyklus handeln. Die stilistischen Analogien zu den gesicherten Blättern des Künstlers sind offenkundig. Insbesondere zeigen zwei in der Graphischen Sammlung in Düsseldorf aufbewahrte Zeichnungen mit Szenen aus der Passionsgeschichte (Abb. Seite 53) eine sehr ähnliche Behandlung und Lichtführung (siehe E. Schleier, op.cit., 1993, S. 21, Abb. 17–18). Über einer leichten, schwungvollen Vorzeichnung hat Troppa die Protagonisten der beiden Szenen rasch und mit beachtlicher Virtuosität skizziert. Der nervöse, agitierte Duktus der Federführung verleiht der Darstellung ein Höchstmaß an Dynamik und kämpferischem Pathos. Die flüssigen, souverän gesetzten Lavierungen geben den wüst agierenden Gestalten und dem sich aufbäumenden Fabelwesen eine bemerkenswerte Plastizität und physische Präsenz und schaffen ein unruhig flackerndes Chiaroscuro, das der Dramatik des Vorgangs angemessen ist. Mit nur wenigen, breiten Pinselstrichen ist das felsige Terrain andeutungsweise, jedoch szenisch wirksam wiedergegeben. Von großem graphischen Reiz sind die delikaten, sparsam angewandten Weißhöhungen, die reizvolle Lichteffekte hervorrufen und der Darstellung Leichtigkeit und Schwung verleihen. Alles strahlt Bravura und eine traumwandlerisch sichere Beherrschung des Mediums aus. Somit stellt unser Blatt eine wesentliche Bereicherung des zeichnerischen Œuvres Troppas dar.
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14. girolamo troppa (1630 Rocchette, Sabina – after 1710 Rome)
Hercules and the Lernean Hydra; Hercules Killing Cacus. Pen and brown ink over a light preliminary drawing in black chalk, brown wash, heightened with white. 26.7 x 40 cm. In 1656 Cavaliere Girolamo Troppa began his career as a painter in Rome, where his work was influenced by such masters as Giacinto Brandi and Pier Francesco Mola. He moved in the artistic ambience of Roman High Baroque and in 1672 assisted none other than Giovanni Battista Gaulli. In the subsequent period he also collaborated with such artistic personalities as Giovanni Battista Beinaschi, Daniel Seiter and Giuseppe Ghezzi. Troppa’s artistic activity led him over the borders of Latium to Umbria and the Marches. In view of the multiple sources of inspiration that he drew on for his art, Troppa is an elusive personality as a painter. His paintings are rare, and in the past many of his works have been listed in museum collections under a different name. The same observation applies to his drawn œuvre, which was long overlooked by scholars. Erich Schleier deserves the credit for two ground-breaking essays which substantially add to our knowledge of this aspect of Troppa’s artistic activity and expand the small œuvre through a series of new attributions (see E. Schleier, “Disegni di Girolamo Troppa nelle collezioni tedesche e altrove”, Antichità viva, XXIX, No. 6, 1990, pp. 23–34, and “Aggiunte a Girolamo Troppa pittore e disegnatore”, Antichità viva, XXXII, No. 5, 1993, pp. 16–23). In these two articles Schleier published a body of drawings, mainly composition sketches, which until then had often been kept, with the most divergent attributions, in German and foreign museum collections or in private hands. What is characteristic of this group of autograph drawings is their close similarity in the choice of technique. Most of them are pen drawings in brown ink with brown wash. Many of the drawings
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bear an inscription with the name of the artist, which is probably a signature in the artist’s own hand. Quite a few of them show a certain stylistic affinity with Gaulli, but on the whole Troppa’s linework is more energetic, forceful and filled with a feverish inner momentum that anticipates Venetian art of the 18th century, which is why some of his drawings used to be attributed to Gaspare Diziani or Girolamo Brusaferro. The present, masterly and unusually suggestive study sheet, whose format is larger than most of the drawings that have been identified so far, cannot be linked to any painting by Troppa. It could be a composition sketch for a major decorative cycle de-voted to the labours of Hercules. The stylistic analogies to the artist’s confirmed works are self-evident. Two drawings in particular, at present in the Graphic Collection in Düsseldorf and containing scenes of the Passion, show a very similar treatment and use of light (see E. Schleier, op. cit., 1993, p. 21, figs. 17–18). Over a light, spirited preliminary drawing Troppa has sketched the protagonists of the two scenes vigorously and with astounding virtuosity. The hasty, agitated penwork lends the portrayal a maximum of dynamism and sense of combat. The fluid, expertly done washes give the wildly flailing figures and the rearing mythological creatures a remarkable vividness and physical presence, creating an unsettling, fl ickering chiaroscuro appropriate to the drama of the scene. The rocky terrain has been rendered sketchily but effectively with only a few broad strokes of the brush. Great graphic skill is shown in the delicate, sparing use of white heightening, which creates delightful light effects and lends the portrayal flair and panache. Everything radiates stylistic élan and an effortless mastery of the medium, making this drawing an important enrichment of Troppa’s graphic œuvre.
G. Troppa. The Flagellation. Pen and brown ink, brown wash. 24.4 x 15.9 cm. Düsseldorf, Kunstmuseum.
G. Troppa. Christ Crowned with Thorns. Pen and brown ink, brown wash. 23.5 x 15.6 cm. Düsseldorf, Kunstmuseum.
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15. andrea vicentino (auch Andrea Michieli, um 1542 Vicenza – 1617 Venedig)
Die Anbetung der Könige. Grisaillemalerei auf Papier, auf Leinwand aufgezogen. 40,8 x 51,3 cm. Der Maler Andrea Michieli, genannt Andrea Vicentino, erhielt seine erste künstlerische Ausbildung bei dem in seiner Geburtsstadt wirkenden Maler Alessandro Maganza. Um 1575 siedelte Vicentino nach Venedig über, sein Name taucht zuerst im Jahre 1583 in der Fraglia, dem Verzeichnis der venezianischen Malerzunft auf. In der Serenissima vervollkommnete Vicentino seine zeichnerischen Fähigkeiten, indem er Kopien nach den wichtigsten Werken aus dem Palazzo Ducale anfertigte, die er in einem Sammelband verwahrte. Einige dieser Blätter haben sich in Privatsammlungen erhalten. Vicentino zeichnete bevorzugt in Rötel und folgte in dieser Hinsicht dem Beispiel Federico Zuccaros, der dieses Medium systematisch zur Herstellung von gezeichneten Kopien nach Gemälden angewandt hatte. In den 1580er Jahren war Vicentino mit Kollegen wie Jacopo Palma il Giovane und Vincenzo Corona an der Ausführung künstlerischer Großprojekte wie den Deckenmalereien für die Sala del Maggior Consiglio im Palazzo Ducale beteiligt und war hier auch als Gehilfe Tintorettos tätig. Vicentino entwickelte einen dynamischen und treffsicheren Zeichenstil, der durch ein sicheres Formgefühl und eine beachtliche Expressivität hervorsticht. Trotz gewisser eklektischer, der Kunst der venezianischen Spätrenaissance verhafteter Stileigenschaften atmet sein Werk Individualität und einen ausgeprägten Sinn für malerische Wirkung. Seine vicentiner Herkunft verlieh ihm eine gewisse künstlerische Unabhängigkeit und erlaubte ihm, sich frei und unbekümmert aus dem Formenschatz der venezianischen Malerei des Cinquecento zu bedienen (siehe William R. Rearick, Il disegno veneziano del Cinquecento, Mailand 2001, S. 199ff).
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Zuweilen pflegte Vicentino seine Kompositionen auch in der Grisailletechnik vorzubereiten, wie die vorliegende Ölstudie zeigt. Die stilistischen und kompositorischen Anleihen an das Schaffen Paolo Veroneses sind unverkennbar und auch das virtuose fa presto der Ausführung ist ohne das Vorbild Tintorettos nicht denkbar. Gekonnt und abwechslungsreich ist der von zahlreichen Figuren belebten und räumlich vielschichtigen Szene Gestalt gegeben. Die Bravura und die scheinbare Mühelosigkeit des malerischen Vortrages legen nahe, daß das bozzetto in einer kurzen Zeitspanne gemalt wurde. In der Kunsttheorie des 16. Jahrhunderts wurde diese Fähigkeit mit dem Begriff sprezzatura umschrieben und galt als wahrhaftiger Ausdruck des künstlerischen Genies. Über einem dunkelbraunen Malgrund hat der Künstler die monochrome, fein abgestufte Farbigkeit angebracht; das subtile Spiel der unterschiedlichen Grau- und Weisstöne erzeugt ein sehr suggestives Gesamtbild. Das Geschehen findet unter nächtlichem Himmel statt, an zentraler Stelle im Hintergrund gewahren wir die Umrisse eines Mannes, der das Geschehen mit einer Laterne beleuchtet. Die dramatische, flackernde Lichtführung erinnert an den reifen Tizian und an die Kunst Tintorettos. Vicentinos Malstil ist treffsicher und verkürzend. Mit wenigen Pinselstrichen gelingt es ihm, den zahlreichen Protagonisten Plastizität und Körperlichkeit zu verleihen und Raum und Tiefe überzeugend zu strukturieren. Die Ölskizze ist abgebildet in: Julius S. Held, The Oil Sketches of Peter Paul Rubens. A Critical Catalogue, Princeton 1980; Bd. I, Abb. 4. Aus der Sammlung Julius S. Held.
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15. andrea vicentino (also called Andrea Michieli, circa 1542 Vicenza – 1617 Venice)
The Adoration of the Kings. Grisaille painting on paper, mounted on canvas. 40.8 x 51.3 cm. The painter Andrea Michieli, also known as Andrea Vicentino, received his initial artistic training from Alessandro Maganza, a master who worked in his home town. About 1575 Vicentino moved to Venice, where his name appeared for the first time in 1583 in the Fraglia, the register of the Venetian painters’ guild. In the Serenissima Vicentino perfected his graphic skills by making drawn copies of the most important works in the Palazzo Ducale, which he collected in an album. Some of these copies have survived in private collections. Vicentino preferred to draw in red chalk, following the example of Federico Zuccaro, who had made systematic use of this medium to draw copies of paintings. In the 1580s Vicentino took part, together with fellow-artists such as Jacopo Palma il Giovane and Vincenzo Corona, in the execution of such major projects as the ceiling paintings for the Sala del Maggior Consiglio in the Palazzo Ducale, where he worked as an assistant to Tintoretto. Vicentino developed a dynamic and accurate drawing style with an assured sense of form and remarkable expressiveness. Despite certain eclectic stylistic features taken from the art of the Venetian Late Renaissance, his work is imbued with individuality and a strong feeling for picturesque effect. His Vicenza origins bestowed upon him a certain artistic independence, enabling him to draw freely upon the wealth of forms offered by Venetian painting of the Cinquecento (see William R. Rearick, Il disegno veneziano del Cinquecento, Milan, 2001, p. 199 ff.).
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Occasionally Vicentino would use grisaille to make preparatory sketches of his compositions, as the present oil study shows. The stylistic and compositional borrowings from the work of Paolo Veronese are unmistakable and the virtuoso fa presto of the execution would be unthinkable without Tintoretto’s example. The artist demonstrates great skill and versatility in creating a spatially complex scene populated by numerous figures. The bravura and apparent effortlessness of the picturesque rendering suggest that the bozzetto was painted in a short space of time. In 16th century art theory this facility was known as sprezzatura and considered a true expression of artistic genius. Vicentino has applied the monochrome, finely gradated layers of paint over a dark-brown ground; the subtle play of the various grey and white tones creates a very suggestive overall effect. The scene is depicted under a night sky. At a central spot in the background we can make out the outline of a man who is illuminating the proceedings with a lantern. The dramatic use of flickering light is reminiscent of the mature Titian and the art of Tintoretto. Vicentino’s painting style is accurate and reductive. With a few strokes of the brush he manages to give the numerous protagonists a vivid physical presence and to convincingly structure space and depth. This oil sketch is reproduced in Julius S. Held, The Oil Sketches of Peter Paul Rubens. A Critical Catalogue, Princeton 1980; vol. I, fig. 4. From the Julius S. Held Collection.
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16. maarten de vos (1532–1603, Antwerpen)
maarten de vos (1532–1603, Antwerp)
Nach. Die Auferstehung. Kupferstich. 31,9 x 20,6 cm. Hollstein 676.
After. The Resurrection. Engraving. 31.9 x 20.6 cm. Hollstein 676.
Das seltene Blatt erschien im Antwerpener Verlagshaus Aux quatre vents von Hieronymus Cock und ist von der Hand eines anonymen flämischen Kupferstechers. In der Graphischen Sammlung der Veste Coburg wird der Stich unter Anthonie Wierix verwahrt, jedoch entspricht die technische Behandlung unseres Stiches nicht ganz der graphischen Vollendung jenes Meisters. Dennoch ist das Blatt ein gültiges und künstlerisch gelungenes Zeugnis für die Antwerpener Stechertradition jener Epoche. Die Komposition des Floris-Schülers und bedeutenden Romanisten de Vos ist in einer disziplinierten, nicht übermäßig inspirierten, jedoch die zeichnerische Vorlage getreu reproduzierenden Kupferstichtechnik ausgeführt. Die lebendig gestaltete Ikonographie de Vos’ verleiht der Szene eine nicht geringe dramatische Kraft. Markante Details, wie ein Skelett, das sich aus dem weit geöffneten Maul eines Monsters befreit und eine Schlange, die sich um eine gläserne Weltkugel windet, zeugen von der schöpferischen Phantasie des Inventors. Der Kupferstich ist ein charakteristisches Beispiel für eine Gattung von gelehrsamen, moralisierenden religiösen Darstellungen, die im geistigen Klima der Kontrareformation in Antwerpen große Verbreitung fanden.
This rare print by an anonymous Flemish engraver was published by Hieronymus Cock’s publishing house Aux quatre vents in Antwerp. The engraving is entered in the Veste Coburg Graphics Collection under Anthonie Wierix, although the technical treatment of this print does not quite match the graphic perfection of that particular master. Nevertheless, the print is a valid and artistically successful testimonial to the Antwerp engraving tradition of that era. The composition by de Vos, a pupil of Frans Floris and an important and influential Romanist, is executed in a disciplined, if not over-inspired engraving technique that faithfully reproduces the drawn model. De Vos’ vivid iconography lends the scene considerable dramatic power. Striking details, such as a skeleton freeing itself from the gaping maw of a monster and a serpent winding itself around a glass globe, testify to the creative fantasy of the inventor. This engraving is a characteristic example of a genre of scholarly, moralizing religious portrayals, which had a wide circulation in the spiritual climate of Antwerp during the Counter-Reformation.
Ganz ausgezeichneter, gleichmäßiger und harmonischer Druck mit dem vollen Rand. Geringfügige Altersspuren, sonst vorzüglich erhalten.
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A very fine, even and harmonious impression with full margins. Minor ageing, otherwise in perfect condition.
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17.
alexander wiskemann
(tätig in Fulda, Prag und Kassel zwischen 1604–1622)
Zugeschrieben. Venus und Amor. Öl auf Holz. 47 x 36 cm. Verso alte Inventarnummer: F.C. 117. Zu einem entscheidenden Wendepunkt der europäischen Kulturund Geistesgeschichte sammelte Kaiser Rudolf II. um 1600 an seinem Prager Hof einen Kreis von Gelehrten, Literaten und Künstlern um sich, so wie es in ähnlicher Weise mehr als ein Jahrhundert zuvor die Medici in Florenz getan hatten. Künstlerpersönlichkeiten europäischer Statur wie der Bildhauer Adriaen de Vries und die Maler Bartholomäus Spranger und Hans von Aachen entwickelten in Prag eine unverwechselbare, hochverfeinerte spätmanieristische Stilsprache, die von einer Vorliebe für mythologische und erotische Themen gekennzeichnet war. Die Sogwirkung, die von ihrem Schaffen ausging, war von epochaler Bedeutung. Zugereiste Künstler aus Deutschland, Flandern und den Niederlanden wurden in ihren Werkstätten ausgebildet und trugen auf diese Weise entscheidend zur Verbreitung des sogenannten Prager Stils bei. In Deutschland war Hessen nach Sachsen die wichtigste Region, aus der junge Malertalente nach Prag kamen um sich im neuen Stil zu schulen und diesen in ihr Heimatland zurückzuführen. Die Ausbildung bei den rudolfinischen Meistern ersetzte mit der Zeit die obligate Italienreise. Auch der aus Fulda stammende Maler und Zeichner Alexander Wiskemann fand auf diese Weise zur künstlerischen Reife. Die seltenen autographen Werke seiner Hand zeugen davon, dass Wiskemann sich stilistisch von den Hauptmeistern der Prager Schule anregen ließ. Neben Hans von Aachen erwies sich vor allem das Vorbild Bartholomäus Sprangers als stilbestimmend. Wiskemanns 1609 datierte und signierte Zeichnung des Perseus (Bremen, Kunsthalle) geht direkt auf Sprangers Schöpfungen zurück (Abb. 1). Dies trifft ebenso zu für das Blatt Minerva unter den Musen (Düsseldorf, Kunstmuseum), bei der es sich um eine sehr ähnliche Variante eines gezeichneten Originals Sprangers handelt (Abb. 2, S.63. Siehe hierzu auch: Ausstellungskatalog Prag um 1600. Kunst und Kultur am Hofe Kaiser Rudolfs II, Wien 1988, Bd. I, Nr. 258, S. 387–88). Wiskemann führte diese Komposition leicht abgewandelt auch als Gemälde aus, welches sich heute im Prämonstratenserkloster Strahov in Prag befindet und enge stilistische Parallelen zu unserem Venus und Amor aufweist (Abb. 3, S. 63). Beide Werke zeigen eine überaus vergleichbare Figurenauffassung und eine ähnlich subtile und einfühlsame Stoffbehandlung. Die Physiognomie der Venus mit der hohen, glatten Stirn und den kunstvoll geflochtenen Haaren, die von einem erlesenen Perlendiadem geschmückt sind, kehrt in analoger Form auf dem Prager Gemälde wieder. Mit großem maleri-
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schen Feinsinn hat der Künstler das kühle Inkarnat der Venus von den wärmeren Valeurs der kostbaren Stoffe abgesetzt. Das kalte Metall des Schildes bildet einen reizvollen Kontrast zur weichen samtenen Unterlage der Liege der Liebesgöttin und den schweren, goldbestickten Vorhängen. Die subtile Erotik der Darstellung und die vollkommene ästhetische Verfeinerung verleihen dem kleinen Bild den Rang eines erlesenen Beispiels rudolfinischer Kunst. Alexander Wiskemann kehrte spätestens 1615 wieder von Prag ins hessische Fulda zurück, wo er zum Hofmaler der dortigen Fürstäbte ernannt wurde (siehe Elis̆ka Fuc̆iková, „Einige Bemerkungen zur rudolfinischen Sammlung in Prag“, in: Prague and the World, hg. von Lubomír Konecny, Prag 1998, S. 182). Provenienz: Galerie Attems, Graz; seit 1952 in Wiener Privatbesitz. Die Zuschreibung an Alexander Wiskemann wurde von Frau Dr. Elis̆ka Fuc̆iková, Prag, vorgeschlagen.
Abb. 1. A. Wiskemann. Perseus mit dem Kopf der Medusa. Feder in Braun, graubraun laviert 18,3 x 15,2 cm. Bremen, Kunsthalle.
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17.
alexander wiskemann (active in Fulda, Prague and Kassel 1604–1622)
Attributed. Venus and Amor. Oil on panel. 47 x 36 cm. Old inventory number on the verso: F.C. 117. Around 1600, at a crucial moment in European cultural and intellectual history, Emperor Rudolph II brought together a circle of scholars, artists and literary figures at his court in Prague, much in the way that the Medici had done in Florence over a century earlier. Artists of European stature in their field, such as the sculptor Adriaen de Vries and the painters Bartholomäus Spranger and Hans van Aachen, developed in Prague an unmistakable, highly refined late Mannerist style, the distinctive feature of which was a predilection for mythological and erotic themes. The magnetic attraction of their works was of tremendous significance. Artists from Germany, Flanders and the Netherlands came to train in their studios and thus contributed decisively to the dissemination of the Prague style, as it was called. Saxony and Hesse were the main regions in Germany from which talented young painters travelled to Prague to familiarise themselves with the new style and take it back with them to their home country. Training at the hands of the Emperor Rudolph’s master artists gradually came to replace the obligatory tour of Italy. Alexander Wiskemann, a painter and draughtsman from Fulda, was among those who reached artistic maturity in this way. His rare autograph works reveal the extent of the stylistic influence exerted by the leading masters of the Prague school – Hans von Aachen and, in particular, Bartholomäus Spranger. Wiskemann’s drawing of Perseus, signed and dated 1609 (Bremen, Kunsthalle), springs directly from works by Spranger (fig. 1, p. 60). The same
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observation applies for the drawing Minerva among the Muses (Düsseldorf, Kunstmuseum), which is a slightly modified version of an original by Spranger (fig. 2, see also catalogue Prag um 1600. Kunst und Kultur am Hofe Kaiser Rudolfs II, Vienna 1988, vol. I, no. 258, p. 387–88). Wiskemann also executed a painted version of the same composition, now in the Strahov Premonstratensian monastery in Prague, which has close stylistic parallels with our Venus and Amor (fig. 3). Both works reveal a distinctly comparable handling of the figures and a similarly subtle and sensitive treatment of the material. Venus’ physiognomy with her high, smooth forehead and ornately plaited hair decorated with an exquisite pearl diadem is to be found in analogous form in the painting in Prague. The painter has shown great artistic sensitivity in juxtaposing Venus’ cool complexion with the warmer shades of the precious fabrics. The cold metal of the shield forms a delightful contrast with the soft velvet cover of the goddess of love’s lounge bed and the heavy, gold-embroidered curtains. The subtle eroticism of the portrayal and the aesthetic refinement of this little picture make it a superb example of Rudolphine art. In 1615 at the latest Alexander Wiskemann returned from Prague to the Hessian town of Fulda, where he was appointed court painter to the prince-abbots there (see Elis̆ka Fuc̆iková, „Einige Bemerkungen zur rudolfinischen Sammlung in Prag“, in: Prague and the World, ed. Lubomir Konecny, Prague 1998, p. 182). Provenance: Galerie Attems, Graz; in private ownership in Vienna since 1952. The attribution to Alexander Wiskemann has been suggested by Dr. Elis̆ka Fuc̆iková, Prague.
Fig. 2. Alexander Wiskemann. Minerva Among the Muses. Pen and brown ink, grey, blue, red and green wash. 21.5 x 30.5 cm. Düsseldorf, Kunstmuseum.
Fig. 3. Alexander Wiskemann. Minerva Among the Muses. Oil on canvas. Strahovský Klás̆ter, Prague
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18. domenico zenoi
domenico zenoi
(tätig in Venedig zwischen 1560 und 1580)
(active in Venice between 1560 and 1580)
Franz I. von Frankreich vertreibt die Personifizierungen der Laster und der Unwissenheit und betritt den Tempel der Unsterblichkeit. Kupferstich nach Rosso Fiorentino. 30 x 40,5 cm. Robert-Dumesnil VIII, 25, 16; Nagler 15; Herbet III, 35; Renouvier 3, 3. Wasserzeichen Schild mit Einhorn (Woodward 228, Rom, 1575).
Francis I of France Drives Out the Personifications of the Vices and of Ignorance and Enters the Temple of Immortality. Engraving after Rosso Fiorentino. 30 x 40.3 cm. Robert-Dumesnil VIII, 25, 16; Nagler 15; Herbet III, 35; Renouvier 3, 3. Watermark: Shield with unicorn (Woodward 228, Rome, 1575).
Die Komposition geht auf eine im Jahre 1535 oder 36 entstandene und verlorengegangene Zeichnung Rosso Fiorentinos zurück, die durch einen Kupferstich René Boyvins überliefert ist. Das vorliegende Blatt gibt Boyvins Version unter Abwandlung einzelner Details im Gegensinn wieder, unten ist die Komposition um einen Schriftrand mit Groteskenkopf und italienischen Versen erweitert. Eine dritte Fassung stammt schließlich von der Hand des Antonio Fantuzzi (B. XVI, 393, 13).
The composition has its origins in a drawing done by Rosso Fiorentino in 1535 or 1536, which is now lost but recorded in an engraving by René Boyvin. The present work reproduces Boyvin’s version but with modification to a number of details; a text margin with a grotesque head and verses in Italian have been added to the composition. There is also a third version produced by Antonio Fantuzzi (B. XVI, 393, 13).
Eine Ansammlung von wild gestikulierenden Personen mit verbundenen Augen hält sich vor einem Rundtempel auf, der von dem französischen Monarchen Franz I. betreten wird. Die allegorischen Figuren sind als Personifizierungen der Laster zu deuten. Panofsky identifizierte den untersetzten Mann mit dem Stock als die Unwissenheit, umgeben von Luxuria, Desperatio und Superbia. Andere einzelne Gestalten entziehen sich einer genaueren ikonographischen Interpretation (Siehe Dora und Erwin Panofsky, „The Iconography of the Galerie François Ier at Fontainebleau“, Gazette des Beaux-Arts, 6 période VI, vol. 52 (September 1958), S. 119–120). Von dem Maler und Kupferstecher Domenico Zenoi, der um 1560–80 in Venedig tätig war, sind nur spärliche biographische Details überliefert. Der von ihm gegründete Kupferstichverlag dagegen entwickelte in diesem Zeitraum eine bedeutende Tätigkeit in der Serenissima. Bei dem vorliegenden Blatt dürfte es sich um einen Frühdruck handeln, vor der von Nagler verzeichneten Adresse „Zenoi formis“. Prachtvoller, leuchtender und gegensatzreicher Druck mit 43 bis 70 mm breitem Rand. Minimale Gebrauchsspuren und Erhaltungsmängel, sonst unberührtes, museales Exemplar.
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Gathered outside a round temple, which the French monarch is about to enter, is a disorderly throng of blindfolded figures either balancing on clouds in chaotic despair or stooped in grief. The allegorical figures personify vices. Panofsky identified the stocky man with a stick as Ignorance, surrounded by Lust, Despair and Pride. The other figures defy any precise iconographical interpretation, see Dora and Erwin Panofsky, „The Iconography of the Galerie François Ier at Fontainebleau“, Gazette des Beaux-Arts, 6th series 52 (September 1958), pp. 119–120. Biographical details of the painter and engraver Domenico Zenoi, who was active in Venice around 1560 to 1580, are sketchy. However, the publishing firm he set up did a thriving business in the city during this period. A brilliant, sharp and contrasting early impression with wide margins (approx. 43 to 70 mm) around the platemark. Before the change of the address to „Zenoi formis“. Minor ageing, otherwise in impeccable, untreated condition. A very beautiful and excellently preserved print of museum quality.
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18. Jahrhundert
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19.
giovanni david (1743 Cabella Ligure – 1790 Genua)
Der blinde Demokrit. Radierung auf festem, venezianischem Bütten. 29,9 x 21,2 cm. (1775). Grasso 117 I (von III). Wasserzeichen: Tre Lune. Vor dem Gesamtpanorama der italienischen Kunst des Settecento nimmt das Schaffen Giovanni Davids eine Sonderstellung ein, die auf die bemerkenswerte Originalität und schöpferische Kraft seiner Bildwelt zurückzuführen ist. David war ein begnadeter Radierer und sein umfangreiches druckgraphisches Werk, das größtenteils zwischen 1775–1779 entstanden ist, besticht durch seine technische Experimentierfreude und Esprit. So erprobte er zeitlich eher als Goya die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten der Aquatintatechnik; einzelne Blätter der Caprichos verraten den Einfluß, den Davids Radierungen auf Goya ausgeübt haben. David verdankte seinen künstlerischen Erfolg der Protektion eines einzigen Mannes, des Genueser Diplomaten und Mäzens Giacomo Durazzo, der ihn während seiner gesamten Laufbahn energisch förderte. So verblieb David 1770 auf Veranlassung Durazzos in Rom, wo er von keinem Geringeren als Domenico Corvi ausgebildet wurde. 1775 ließ sich der Künstler für mehrere Jahre in Venedig nieder, wo auch Durazzo sich in diplomatischer Mission aufhielt. Der venezianische Aufenthalt markiert einen Höhepunkt im künstlerischen Schaffen Davids, wie die vorliegende Radierung – unstrittig eines der Hauptblätter des gesamten graphischen Œuvres – eindrucksvoll belegt. Abgesehen von der technischen Bravura der Ausführung, in der sich Anleihen an Castiglione und Giovanni Battista Tiepolo zu einer künstlerisch sehr gelungenen Synthese verdichten, macht die Komposition deutlich, auf welch persönliche Weise David mythologische Sujets interpretierte und diese zu höchst originellen Bilderfindungen verwan-
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delte. David zeigt den griechischen Philosophen Demokrit vor einer suggestiven und pittoresken Ruinenkulisse, gespenstisches Mondlicht beleuchtet die Szenerie. Der Weise hält ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien, links von ihm spendet eine Öllampe spärliches Licht. Auf einem steinernen Podest befinden sich weitere Bücher und ein Astrolabium und verweisen auf die Gelehrsamkeit des Philosophen, der sich in der Einsamkeit der Vervollkommnung seines Wissens widmet. Davids Bildregie besitzt eine innere Magie, die sich einer eindeutigen Interpretation entzieht. Demokrits angespannte, verdrehte Pose scheint zu suggerieren, daß der alte Mann bei der nächtlichen Lektüre vom Schlaf übermannt wurde und unruhig schlummert. Oder sind die krampfhaft verschlossenen Augen und die Hilflosigkeit seiner Gestik ein Verweis auf die Legende, wonach Demokrit sich freiwillig durch die Sonne das Augenlicht nehmen ließ, weil dieses ihn daran hinderte, die Welt mit dem geistigen Auge zu erforschen? Das Blatt liegt in dem sehr seltenen ersten Druckzustand vor, bei dem oben am Himmel noch eine weiße, unbehandelte Stelle sichtbar ist. Im zweiten Druckzustand ist der Himmel vollendet und das Kapitell rechts im Vordergrund mit einer dunklen Schattenlage versehen. Im dritten, endgültigen Druckzustand wurde die Platte nochmals überarbeitet, die Helldunkelkontraste sind dank weiterer Strichlagen intensiviert. Im unteren Schriftrand erscheinen der Künstlername und das auf Horaz zurückgehende Motto: „Integer vitae scelerisque purus“ (Der im Lebenswandel Unbescholtene und von Schuld Reine). Prachtvoller, leuchtender und kontrastreicher Druck mit gleichmäßigem Rand um die teilweise gratig zeichnende Plattenkante. Minimale Altersspuren, sonst vollkommen erhalten.
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19. giovanni david (1743 Cabella Ligure – 1790 Genoa)
The Blind Democritus. Etching on firm, Venetian laid paper. 29.9 x 21.2 cm. (1775). Grasso 117 I (of III). Watermark: Tre Lune. Giovanni David’s œuvre occupies a special place in Italian art of the Settecento thanks to its remarkable originality and powerful imagery. David was a gifted etcher and his extensive printed work, most of which was done between 1775 and 1779, is striking for its technical experimentation and ingenuity. He preceded Goya in exploring the artistic potential of the aquatint technique; some of Goya’s caprichos betray the influence of David’s etchings. David owed his artistic success to the patronage of a single man, the Genoese diplomat and patron of the arts Giacomo Durazzo, who vigorously sponsored him throughout his career. Thus in 1770 David remained at Durazzo’s insistence in Rome, where he was trained by none other than Domenico Corvi. In 1775 the artist settled for some years in Venice, while Durazzo was there on a diplomatic mission. The Venetian sojourn marks a high point in David’s artistic output, as the present etching – indisputably one of the most important works in his entire graphic œuvre – impressively proves. Apart from the technical brilliance of the execution, in which borrowings from Castiglione and Giovanni Battista Tiepolo are combined to form a very successful artistic synthesis, the composition shows the very personal way in which David interpreted mythological subjects, transforming them into highly original pictorial inventions. David shows the Greek philosopher Demo-
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critus against a background of atmospheric and picturesque ruins illuminated by ghostly moonlight. The sage has an open book on his knee, while on his left an oil lamp emits a feeble light. More books and an astrolabe are to be found on a stone rostrum, indicating the learning of the philosopher, who devotes himself to perfecting his knowledge in solitude. David’s narrative sense has an inner magic that ultimately eludes interpretation. The tense, contorted pose of Democritus’ body seems to suggest that the old man was overcome by drowsiness during his nocturnal reading and has fallen into an uneasy slumber. Or are the tightly closed eyes and the futility of his gestures a reference to the legend of how Democritus deliberately blinded himself by exposing his eyes to the sun, as his sight prevented him from exploring the world with his mind’s eye? The print is available in the very rare first state, in which a white, unrestored patch is still visible up in the sky. In the second state the sky has been completed and the column capital in the right foreground shows additional hatching. In the third and final state the plate has been reworked yet again and the chiaroscuro contrasts have been intensified by further line shading. Inscribed in the lower margin are the artist’s name and a motto taken from Horace: “Integer vitae scelerisque purus” (“Blameless in life and free from sin”). A superb, tonal and rich impression with even margins around the inky platemark. Minimal signs of ageing, otherwise in perfect condition.
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Originalgröße / Actual size
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20. joachim martin falbe (1709–1782, Berlin)
joachim martin falbe (1709–1782, Berlin)
Zugeschrieben. Brustbildnis eines jungen Mannes mit Hut, nach rechts blickend. Radierung. 7,9 x 7,5 cm. Unbeschrieben.
Attributed. Half-length Portrait of a Young Man with Hat, Looking to the Right. Etching. 7.9 x 7.5 cm. Unrecorded.
Das informelle, einfühlsam beobachtete Bildnis eines jungen Mannes besticht durch die Leichtigkeit und den Esprit der Ausführung und durch seine subtile Lichtführung. Ebenso lebendig ist die psychologische Charakterisierung des kecken jungen Mannes, der lässig einen weichen, breitkrempigen Hut trägt und die Haare im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengeflochten hat. Der freie, schwungvolle Duktus der diagonalen Parallelschraffuren und der Gebrauch von feinen Punktierungen erinnern an die Radiermethodik Joachim Martin Falbes, so daß eine Zuschreibung an diesen Künstler als plausibel erscheint. Das Bildnis eines Mannes mit Federbarett, in die Ferne blickend (Soldan 16) zeigt eine ähnlich konzentrierte Radiertechnik und eine vergleichbare Helldunkel-Wirkung auf Gesicht und Kleidung, die durch den geschickten Einsatz des weißen Papiertons erzielt wird. Möglicherweise handelt es sich um ein Bildnis des jungen Malerkollegen Christian Bernhard Rode, der zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Radierung etwa fünfundzwanzig Jahre alt war.
This informal, sympathetically observed portrait of a young man owes its charm to its carefree air and subtle use of light. Equally lively is the psychological characterization of the sitter, who jauntily wears a soft, broad-brimmed hat and his hair twisted into a ponytail at the nape of the neck. The free, vigorous use of diagonal parallel hatchings and fine stippling are reminiscent of the etching method of Joachim Martin Falbe, so that an attribution to this artist seems plausible. The Portrait of a Man Wearing a Plumed Beret Gazing into the Distance (Soldan 16) shows a similarly concentrated etching technique and a comparable chiaroscuro effect on face and clothing, which is achieved by the clever use of the white paper tone. It may be a portrait of the artist’s young fellow painter, Christian Bernhard Rode, who was about twenty-five when this etching was done.
Joachim Martin Falbe wurde von Johann Harper und Antoine Pesne ausgebildet, dessen enger Mitarbeiter er fünfzehn Jahre war. Falbe war ein gefragter und talentierter Porträtist der Berliner Gesellschaft der friderizianischen Epoche und wurde 1764 zum Mitglied der dortigen Akademie ernannt. Das druckgraphische Werk ist selten und nicht sehr umfangreich und entstand in der bemerkenswert kurzen Zeitspanne zwischen 1750–52, was darauf hindeutet, daß das Radieren für Falbe offenbar nur eine Nebentätigkeit darstellte. Stilistisch wurde Falbe durch seinen Zeitgenossen Christian Wilhelm Ernst Dietrich (1712– 1774) und französische Graveure des Rokoko beeinflußt.
Joachim Martin Falbe was trained by Johann Harper and Antoine Pesne, whose close collaborator he was for fifteen years. Falbe was a talented society portrait painter in Berlin during the era of Frederick the Great and his work was much in demand. In 1764 he became a member of the Berlin Academy. Falbe’s printed œuvre is small and rare. All of his prints were made during a period of only two years between 1750 and 1752, suggesting that printmaking was merely a sideline. Stylistically, Falbe is indebted to his contemporaries Christian Wilhelm Ernst Dietrich (1712–1774) and the French printmakers of the Rococo period. An excellent, nuanced and tonal impression with narrow, even margins around the platemark. In perfect condition.
Ausgezeichneter, nuancierter und toniger Druck mit gleichmäßigem Rändchen um die Plattenkante. Vorzüglich erhalten.
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thomas frye (1710 Dublin – 1762 London)
Eine modisch gekleidete junge Frau mit Perlenkette und Perlendiadem. Schabkunstblatt. 55,3 x 39,7 cm. 1762. Chaloner-Smith 25. Der irisch-britische Maler und Mezzotintstecher Thomas Frye debütierte in den frühen 1730er Jahren in London als Porträtmaler. Nachdem Frye 1744 von hochwertigen Kaolinfunden in Amerika erfahren hatte, beantragte er kurz darauf ein Patent zur Porzellanherstellung. Um 1747 gehörte er zu den Mitbegründern der Bow Manufaktur in Stratford-le-Bow in der Grafschaft Essex, die zu einer der frühsten und bedeutendsten Porzellanmanufakturen Englands zählt. Unter Fryes Führung entwickelte sie in den 1750er Jahren eine blühende und qualitativ anspruchsvolle Tätigkeit, zeitweilig beschäftigte der Künstler mehr als dreihundert Mitarbeiter. Frye entwarf selbst Porzellan und war vermutlich auch als Dekorationsmaler tätig. Gesundheitliche Gründe zwangen ihn, sich 1759 aus der Manufaktur zurückzuziehen. In der Folgezeit war Frye wieder als Porträtist tätig und begann mit der Herausgabe von Schabkunstblättern nach eigenen Inventionen. Im Jahre 1760 wurde die Bildnisfolge Twelve Mezzotint Prints from Designs in the Manner of Piazzetta, Drawn from Nature and as Large as Life in London zur Subskription angeboten. Es handelt sich um lebensgroße Charakterköpfe in unterschiedlichen Gemütszuständen und Haltungen, die durch zusätzliche Attribute wie Bücher und Kerzen eine genrehafte Ausprägung erhalten. Die vorliegende Porträtdarstellung einer jungen Frau stammt aus dem Zyklus Life-sized Heads, Second Series, die 1762 vom Künstler in London verlegt wurde und mit den folgenden Worten
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umschrieben wurde: „Ladies, very elegantly attired in the fashion, and in the most agreeable attitudes“. Das anmutige Bildnis zeigt Frye auf der Höhe seiner Kunst und illustriert anschaulich das eminent hohe künstlerische Niveau der englischen Mezzotinto-Produktion jener Epoche. Durch ihr lebensgroßes Format strahlt die Darstellung eine beachtliche Präsenz aus, obwohl das ebenmäßige, puppenhaft wirkende Antlitz der Frau etwas unpersönlich wirkt. Mit Hilfe von Wiegemesser und Schabeisen gelingen Frye subtile tonale Valeurs und sanfte Übergänge, die das weibliche Inkarnat pulsierend warm und lebensnah erscheinen lassen. Mit liebevoller Aufmerksamkeit hat Frye Einzelheiten des Gesichts wie Augenbrauen und Wimpern minuziös charakterisiert. Weiches Licht betont die edle Form von Stirn und Nase und läßt den kleinen Mund weich und deli-kat erscheinen. Die erstaunlich lebhafte und fast tastbare Stoffbehandlung steigert den künstlerischen Reiz des Blattes. Mit sichtlicher Freude hat der Künstler die unterschiedliche Beschaffenheit von feinem, filigranem Spitzenhemd, weichem Pelzkragen und kostbarem Brokatstoff des Überkleides charakterisiert. Kristallklar hebt sich die mit einer koketten Schleife dekorierte Perlenkette vom Busen der Frau ab; die leuchtenden Edelsteine und das kühle Edelmetall des Diadems bilden einen wirksamen Kontrast zur Weichheit des sorgfältig frisierten Haares. Prachtvoller, außerordentlich nuancierter und harmonischer Druck mit Rand um die Plattenkante. Geringfügige Altersspuren, ein feiner Einriß im rechten Rand hinterlegt, sonst sehr schönes, unbehandeltes Exemplar.
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thomas frye (1710 Dublin – 1762 London)
A Fashionable Lady, with a Pearl Necklace and Pearl Diadem. Mezzotint. 55.3 x 39.7 cm. 1762. Chaloner-Smith 25. The Anglo-Irish painter and mezzotint engraver Thomas Frye made his debut as a portrait painter in London in the early 1730s. In 1744, after hearing of the discovery of valuable kaolin deposits in America, Frye applied for a patent to manufacture porcelain. By about 1747 he was one of the co-founders of the Bow Manufactory at Stratford-le-Bow in the county of Essex, which was one of the earliest and most important porcelain manufactories in England. Under Frye’s management it developed in the 1750s into a flourishing enterprise turning out high-quality products, with the artist sometimes employing more than three hundred workers. Frye designed porcelain himself and probably also worked as a decorative painter. In 1759, ill health forced him to give up his activity in the manufactory. Frye subsequently went back to painting portraits, beginning with the publication of mezzotints after his own inventions. In 1760 a set of portraits entitled Twelve Mezzotinto Prints from Designs in the Manner of Piazzetta, Drawn from Nature and as Large as Life was offered for subscription in London. The set consisted of lifesize character heads in different moods and poses, with additional attributes such as books and candles providing a genre-like touch. The present portrait of a young woman comes from a cycle called Life-sized Heads, Second Series, which was published by the artist in London in 1762 and described in the following words: “Ladies,
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very elegantly attired in the fashion, and in the most agreeable attitudes”. This charming portrait shows Frye at the height of his form and illustrates vividly the high artistic standard of English mezzotint production at that time. Its life-size format gives the portrayal a considerable presence, although the regularfeatured, doll-like face of the woman seems somewhat impersonal. Using a chopping knife and scraper, Frye achieves subtle tonal values and soft transitions which make the female flesh seem warm and vibrantly alive. With loving attention to detail Frye has minutely characterized every feature of the face, such as eyebrows and eyelashes. Soft light emphasizes the noble form of the forehead and nose and the delicate shape of the soft little mouth. The astonishingly vivid and almost palpable rendering of material enhances the artistic charm of the piece. The artist has evidently enjoyed rendering the various textures of the fine, lace-trimmed chemise, the soft fur collar, and the costly brocade of her gown. Set off by a flirtatious bow, the pearl necklace stands out from the woman’s bosom with crystal clarity. The gleaming precious stones and the cool precious metal of the diadem form an effective contrast to the softness of the carefully coiffed hair. A superb, highly differentiated and harmonious impression with margins round the platemark. Minor ageing, a small repaired tear in the right-hand margin, otherwise in superb, untreated condition.
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carl wilhelm kolbe der ältere (1757 Berlin – 1835 Dessau)
Salomon Gessners Denkmal bey Zürich. Radierung auf elfenbeinfarbenem Velin. 40,2 x 30,8 cm. Um 1800. Martens 307 II. Die stimmungsvolle und feinsinnig beobachtete Szene spiegelt die tiefe Verehrung wider, die Carl Wilhelm Kolbe für den beliebten und einflußreichen Schweizer Schriftsteller, Maler und Graphiker Salomon Gessner empfand. „Wüßte man es nicht aus seinen Gedichten, so würde man es auf seinen radirten Blättern sehen, daß dieser Mann die Natur in jedem Kraut, in jedem Halme fühlte ...“, so urteilte Kolbe über Gessner (zitiert nach U. Martens, Der Zeichner und Radierer Carl Wilhelm Kolbe d. Ä., Berlin 1976, S. 16).
tenem Alter zur Kunst. Auf Empfehlung Daniel Chodowieckis nahm er 1790 das Studium an der Berliner Akademie auf. Kolbe erwies sich als ein talentierter Schüler und wurde bereits 1795 in die Reihen der Akademiemitglieder aufgenommen. Noch im selben Jahr siedelte der angehende Künstler nach Dessau über und fand dort seine endgültige Wirkungsstätte. 1798 wurde er vom Fürsten Leopold Friedrich Franz von Anhalt (1740– 1817) zum Hofkupferstecher und Lehrer für Zeichnen und französischen Sprachunterricht an der Hauptschule in Dessau berufen.
Kolbe verband eine tiefe Seelenverwandschaft mit dem um eine Generation älteren Gessner, der sein künstlerisches Schaffen grundlegend beeinflusst hat. Gessner, als Maler und Graphiker Autodidakt, fand im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung zu einer sehr eigenständigen Landschaftsauffassung, die von einer Symbiose aus tiefer Naturverbundenheit und idyllischer Verklärung gekennzeichnet ist. Als Künstler errang er große Popularität mit reich gestalteten arkadischen Landschaften, die von mythologischen Staffagefiguren, Fabelwesen und Hirten bevölkert sind. Imposante Bäume mit üppigem Blattwerk, Wasserfälle, pittoreske Felsenpartien und Grotten sind bevorzugte kompositorische Elemente.
Das vorliegende Gedenkblatt dürfte kurz nach 1800 entstanden sein. Der beschauliche Charakter der Darstellung ist dem kommemorativen Thema angemessen. Zwei filigran und wunderbar lebendig behandelte Trauerweiden umrahmen das schlichte, antikisierende Denkmal. Ein elegantes Paar beim Sonntagspaziergang hält andächtig vor dem Monument inne, die kleine Tochter deutet neugierig fragend auf das dem Dichter und Künstler gewidmete Ehrenmal. Links vorne, im kühlen Schatten einer der Weiden, sitzt ein Herr auf einer Bank und ist in die Lektüre seines Buches vertieft. Das Ganze atmet eine Atmosphäre von stiller Introspektion und bürgerlicher Behaglichkeit. Kolbes Radierung ist ein anmutiges Zeitdokument, das auf subtile und persönliche Weise von seiner Verehrung für den Schweizer Lehrmeister kundet.
Kolbes eigener künstlerischer Werdegang ist ohne das prägende Vorbild Gessners nicht denkbar. Wie Letzterer gelangte Kolbe, der gleichzeitig auch als Philologe tätig war, erst in fortgeschrit-
Prachtvoller, harmonischer und nuancierter Druck mit dem vollen Rand. Minimale Altersspuren, sonst vorzüglich erhalten.
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carl wilhelm kolbe the elder (1757 Berlin – 1835 Dessau)
Monument to Salomon Gessner near Zurich. Etching on ivory-coloured wove paper. 40.2 x 30.8 cm. Circa 1800. Martens 307 II. This atmospheric and sensitively observed scene reflects the deep respect that Carl Wilhelm Kolbe felt for the popular and influential Swiss writer, painter and printmaker Salomon Gessner. “If one were not aware of it from his poems, one would see from his etchings that this man felt nature in every plant, in every blade of grass ...” Such was Kolbe’s opinion of Gessner (quoted in U. Martens, Der Zeichner und Radierer Carl Wilhelm Kolbe d. Ä., Berlin 1976, p. 16). Kolbe had a deep intellectual affinity with Gessner – his senior by a generation – who profoundly influenced his artistic œuvre. As a self-taught painter and printmaker, Gessner developed in the course of his artistic career a highly idiosyncratic approach to landscape, which combined a deep attachment to nature with idyllic transfiguration. As an artist he achieved great popularity with lavishly conceived Arcadian landscapes populated by mythological figures, fabulous creatures and shepherds. Impressive trees with luxuriant foliage, waterfalls, picturesque crags and grottoes were his preferred compositional elements. Kolbe’s own artistic career is inconceivable without Gessner’s powerful example. Like the latter, Kolbe, who was also active as a philologist, only took up art as an adult. In 1790, on the recom-
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mendation of Daniel Chodowiecki, he began a course of study at the Berlin Academy. Kolbe proved a talented pupil and was admitted to membership of the Academy in 1795. That same year the budding artist moved to Dessau, which was to be his final working place. In 1798 Prince Leopold Friedrich Franz von Anhalt (1740–1817) appointed him court engraver and teacher of drawing and French at the secondary school in Dessau. The present print probably dates from shortly after 1800. The contemplative character of the portrayal is appropriate to the commemorative theme. Two weeping willows with their wonderfully filigreed foliage frame the simple, classical-style monument. A well-dressed couple out for a Sunday stroll pause reverently in front of the monument devoted to the poet and artist, while their little daughter gestures inquiringly towards it. In the left foreground, in the cool shade of one of the willows, a gentleman is seated on a bench absorbed in a book. The whole scene is imbued with silent introspection and bourgeois contentment. Kolbe’s etching is a charming product of its time that bears subtle and personal witness to the veneration he felt for his Swiss mentor. A superb, harmonious and nuanced impression, printed on the full sheet. Minor of ageing, otherwise in mint, untreated condition.
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jean etienne liotard (1702–1789, Genf)
Nach. Brustbildnis des Prinzen Henry von Wales, Herzog von Cumberland. Radierung und Kupferstich. 40,2 x 30,8 cm. Um 1755. Der aufgeweckte Knabe schaut den Betrachter mit erstaunlich wachem und selbstbewußtem Blick an. Das fein geschnittene Gesicht unter der leichten Perücke verrät Noblesse und die großen Kinderaugen zeugen von Intelligenz und einem lebhaften Naturell. Dargestellt ist Prinz Henry Frederick, Herzog von Cumberland als Zehnjähriger. Das Kartenhaus rechts auf dem Tisch ist ein subtiler Verweis auf sein jugendliches Alter, sonst wirkt der alerte Knabe in seinem eleganten, spitzenverzierten Rock wie ein kleiner Erwachsener. Das Pastellbildnis Liotards, das als Vorlage diente und heute in Windsor Castle aufbewahrt wird, ist eines seiner anmutigsten Kinderbildnisse, und die Radierung gibt das zeichnerische Raffinement des Künstlers und sein wahrhaft meisterliches psychologisches Charakterisierungsvermögen kongenial wieder. Das Blatt wurde unter direkter Anleitung Liotards angefertigt. Die verfeinerte Radiertechnik mit ihrer Vielfalt an delikaten, engmaschigen und eigenwilligen Schraffurmustern und die effektvolle Lichtführung belegen, daß Liotard einen wesentlichen Anteil an der Realisierung des Blattes gehabt haben muß. Wunderschön ist das Spiel des milden Lichtes auf dem Kartenhaus, auf dem sanften Gesicht des Kindes und auf der Spitzenverzierung seiner Kleidung wiedergegeben. Diese ist nicht kleinteilig, sondern erstaunlich souverän und skizzenmäßig charakterisiert. Die leuchtend hellen Farbkleckse des weißen Papiers kontrastieren mit engen Parallelschraffuren und locker hingeworfenen Strichelungen, die jedoch aus der Weitsicht eine betörende Suggestion von Stofflichkeit erzeugen. Liotard soll während seiner Pariser Schaffensperiode die sehr beträchtliche Summe von 30.000 Livres im Jahr verdient haben, dennoch empfand der Künstler nach einem Aufenthalt von acht
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Jahren in dieser Stadt das Bedürfnis zu neuen Ufern aufzubrechen. Die Rivalität der Pariser Künstlerschaft und die verweigerte Aufnahme in die Académie Royale müssen ihm diesen Schritt erleichtert haben, so daß Liotard im Jahre 1753 nach London übersiedelte. In England genoß Liotard hohes Ansehen bei dortigen connaisseurs und Sammlern wie Horace Walpole, der Zutritt zu König George II. und seiner Gemahlin blieb ihm jedoch verwehrt. Vielmehr fand er die ihm gebührende Anerkennung am Hofe von Augusta, Prinzessin von Wales und Witwe des ältesten Sohnes des Monarchen, wo ein freier und kunstsinniger Geist herrschte. Ein sichtbarer Beleg dafür sind die Pastellbildnisse, die Liotard von der Prinzessin und ihrer großen Kinderschar anfertigte und die in ihrer bemerkenswerten Spontaneität und Lebensnähe von weniger rigiden höfischen Zwängen zeugen. Das wunderbar lebendige Bildnis des Prinzen Henry gehört diesem Zyklus an. Der geschäftstüchtige Liotard hatte direkt nach seiner Ankunft in England den Kontakt zu dortigen Kupferstichverlegern gesucht, um durch Reproduktionsstiche für seine Kunst zu werben. Die Inschrift auf unserem Blatt bekundet, daß die Radierung unter Anleitung Liotards entstanden ist und von ihm selbst an zwei Londoner Adressen vertrieben wurde. Auf diese Weise konnten nicht nur potentielle Auftraggeber angezogen werden, die Herausgabe von Stichen nach eigenen Inventionen bedeutete auch eine zusätzliche Einnahmequelle. Da das Blatt sehr selten ist, müssen die effektive Auflage und somit der tatsächliche wirtschaftliche Erfolg jedoch eher gering gewesen sein (siehe Duncan Bull, Jean-Etienne Liotard (1702–1789), Rijksmuseum Dossiers, Amsterdam 2002, S. 27–28). Prachtvoller, scharfer und gegensatzreicher Druck mit Rand um die Plattenkante. Zwei unauffällige Quetschfalten vom Druck im unteren Bereich der Darstellung, minimale Gebrauchsspuren, sonst vorzüglich erhalten.
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jean etienne liotard (1702–1789, Geneva)
Half-length Portrait of Prince Henry of Wales, Duke of Cumberland. Etching and engraving. 40.2 x 30.8 cm. Circa 1755. This bright young boy looks at the beholder with an astonishingly alert and self-confident gaze. The finely chiselled features under the lightweight wig are indicative of noble birth, and the large childlike eyes testify to intelligence and a lively nature. The subject is Prince Henry Frederick, Duke of Cumberland, at the age of ten. The house of cards on the table to the right is a subtle reference to his tender years, as otherwise the wide-awake young boy in his elegant, lace-trimmed coat would look like a small grown-up. The pastel portrait by Liotard that served as the model and is now in Windsor Castle is one of his most charming child portraits, and the etching brilliantly reveals the graphic refinement of the artist and his truly masterly psychological insight. The print was made under Liotard’s direct supervision. The highly sophisticated etching technique with its multitude of delicate, dense and original hatching patterns and the effective use of light show that Liotard must have played a major part in the production of the print. The mild play of light on the house of cards, the smooth face of the child and the lace trimmings of his clothing are beautifully rendered. The costume is not shown in intricate detail, but in bold outline. The bright patches produced by the white paper contrast with close parallel hatchings and casually executed broken lines which from a distance create a delightful suggestion of materiality. Although Liotard is supposed to have earned the very considerable sum of 30,000 livres a year during his Paris period, he nevertheless felt the need to terminate his stay and head for pastures
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new after spending eight years in the city. The rivalry of the Parisian art circles and his rejection by the Académie Royale must have made this step easier for him. In 1753, Liotard moved to London, where he was held in high esteem by English connoisseurs and collectors such as Horace Walpole, although he did not succeed in being presented to King George II and his Consort. He found more worthy recognition at the court of Augusta, Princess of Wales and widow of the eldest son of the monarch, where a freer and more artistic spirit prevailed. Visible proof of this is provided by the pastel portraits that Liotard produced of the Princess and her large brood of children, whose remarkable spontaneity and lifelike quality testify to a less rigid protocol. This wonderfully lively portrait of Prince Henry belongs to this cycle. Directly after his arrival in England Liotard, ever the efficient businessman, sought contacts with local print publishers in order to gain custom for his art by means of reproductive prints. The inscription on the print proudly tells us that the etching was made “according to the Directions of the Author” and sold by him at two London addresses. This was not just a way of attracting potential clients; the publication of prints after his own works also meant an additional source of income. But as the print is very rare, the effective edition and hence the actual financial success cannot have been great (see Duncan Bull, JeanEtienne Liotard (1702–1789), Rijksmuseum Dossiers, Amsterdam, 2002, pp. 27–28). A superb, sharp and crisp impression, printing with remarkable contrasts. With margins around the platemark. Two unobtrusive printer’s creases on the lower part of the portrait, minimal traces of handling, otherwise in perfect condition.
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24. johann heinrich meyer (1755–1829, Zürich)
johann heinrich meyer (1755–1829, Zurich)
Waldinneres mit einem musizierenden Paar unter einer Eiche. Radierung. 55,4 x 43,9 cm. 1796. Nicht bei Nagler; wohl Brun 13.
A Woodland Scene with a Couple Playing Music under an Oak. Etching. 55.4 x 43.9 cm. 1796. Not in Nagler; probably Brun 13.
Die imposante und suggestive Waldlandschaft ist ein gültiges Beispiel für die empfindsame und poetische Naturauffassung des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Sinnfällig erinnert die idyllische Szenerie an ein vergangenes goldenes Zeitalter, in dem der Mensch unbeschwert, frei und in innigem Einklang mit der Natur leben konnte. Das majestätische, weit auswuchernde Geäst der Eiche fungiert als Symbol der Unsterblichkeit und der ungestümen Lebenskraft der Natur. Ein Paar in antiker Tracht musiziert auf Panflöte und Lyra, ein kleiner Knabe hat sich an die junge Frau angeschmiegt und hört ihrem Spiel aufmerksam zu. Alles atmet Frieden und glückselige Natur verbundenheit.
This imposing and suggestive wooded landscape is a good example of the sentimental and poetic view of nature that prevailed in the late 18th century. The idyllic scenery seems to symbolize a lost golden age, in which people could live free from care in close harmony with nature. The majestically spreading branches of the oak function as a symbol of immortality and the anarchic life force of nature. A couple in classical dress are making music with Pan pipes and lyre, while a small boy has snuggled up to the young woman and is listening attentively to their playing. The whole scene radiates peace and happy harmony with nature.
Der Autor unseres Blattes, der literarisch gebildete Johann Heinrich Meyer, wandte sich erst verhältnismäßig spät, im siebenundzwanzigsten Lebensjahr den graphischen Künsten zu und schulte sich autodidaktisch auf diesem Gebiet. Dabei orientierte er sich am Schaffen von Schweizer Kollegen wie Salomon Gessner und Ludwig Heß. Er kopierte anfangs Kompositionen des Ersteren und unternahm mit Hess Wanderungen durch die Schweiz, um sich künstlerisch weiterzubilden und zu einer eigenständigen Naturauffasung zu gelangen. Meyer war ein produktiver Künstler, der ein umfangreiches druckgraphisches und zeichnerisches Œuvre schuf, dennoch sind seine Blätter heute eher selten. Bei der vorliegenden Radierung handelt es sich um einen frühen Druckzustand, vor zahlreichen weiteren Arbeiten. So ist beispielsweise das Wasser des kleinen Stroms im Vordergrund noch größtenteils weiß belassen und auch der Himmel ist unvollendet und zeigt nicht die parallelen Strichlagen des endgültigen Druckzustandes. Prachtvoller, markanter und kontrastreicher Abzug mit Rand um die deutlich zeichnende Plattenkante. Geringfügige Altersspuren, sonst vollkommen erhalten.
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The author of this print, Johann Heinrich Meyer, had a literary background and turned to printmaking relatively late, teaching himself the necessary skills at the age of twenty-seven. He took the work of his Swiss colleagues, such as Salomon Gessner and Ludwig Hess, as a guide. He began by copying the compositions of the former, while with Hess he went on walking tours of Switzerland in order to improve his technique and find his own vision of nature. Although Meyer was a prolific artist who produced an extensive printed and drawn œuvre, his works tend to be rare today. The present etching is an early, unfinished state.Thus, for example, the water of the little stream in the foreground has been largely left white; the sky is also incomplete and does not yet show the parallel hatchings typical for the final state. A superb, black and rich trial proof with margins around the distinct platemark. Slight signs of ageing, otherwise in perfect condition.
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25. adam friedrich oeser (1717 Preßburg – 1799 Leipzig)
Der Totenkopf eines sieben Monate alten Kindes. Aquarell und Pinsel in Grau, die Darstellung gerahmt von einer mehrfachen Einfassungslinie in Aquarell und schwarzer Feder. 21,1 x 28,9 cm. Um 1791. Der Maler, Zeichner, Radierer und Bildhauer Adam Friedrich Oeser erhielt seine künstlerische Ausbildung in Wien bei Jacob van Schuppen, Daniel Gran und Martin van Mytens d. J. Durch seinen Freund Raphael Donner wurde er in die Bildhauerei eingewiesen und wandte sich auf dessen Anregung der Kunst der Antike zu. Seit 1739 war Oeser in Dresden tätig, wo er sich vor allem auf dem Gebiet der Dekorationsmalerei hervortat. Als sehr folgenreich erwies sich die enge Bekanntschaft mit dem Archäologen und Kunstschriftsteller Johann Joachim Winckelmann, der ab 1754 bei Oeser wohnte und von ihm Zeichenunterricht erhielt. Winckelmanns epochale Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst ist das Substrat der kunsttheoretischen Diskussionen, die im Hause Oesers geführt wurden. Durch den Siebenjährigen Krieg aus Dresden vertrieben, fand Oeser 1759 schließlich seine endgültige Wirkungsstätte in Leipzig. 1764 wurde er zum Direktor der kurz zuvor von Christian Ludwig Hagedorn gegründeten Akademie ernannt und erhielt gleichzeitig eine Berufung als kurfürstlicher Hofmaler. In Leipzig entfaltete Oeser eine sehr produktive Tätigkeit als Decken- und Dekorationsmaler. Er war eine angesehene Persönlichkeit im geistigen und künstlerischen Leben der Stadt und übte eine einflußreiche Lehrtätigkeit aus. Sein berühmtester Schüler war zweifellos Johann Wolfgang von Goethe, der von 1766–1768 bei ihm Zeichenuntericht erhielt.
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Oeser blieb Goethe auch nach dieser Zeit freundschaftlich verbunden, besuchte ihn mehrfach in Weimar und erhielt durch dessen Fürsprache zahlreiche Aufträge. Mit liebevoller Aufmerksamkeit und großem zeichnerischen Feinsinn hat Oeser den Schädel eines sieben Monate alten Kindes dargestellt. Die fein verästelten Blutgefässe an Stirn und Schläfen und die rötlich schimmernde Textur des kleinen Schädels, wo der Abdruck der Kopfhaut noch sichtbar ist, sind akribisch, fast ehrfurchtsvoll wiedergegeben und zeugen gleichzeitig von einem naturwissenschaftlichen Interesse, das typisch ist für das Zeitalter der Aufklärung. Durch die wirkungsvolle mise-en-page vor einem leeren Hintergrund atmet die Darstellung eine stille, feierliche Kraft. Im übertragenen Sinne ist der kleine Totenkopf eine Metapher der Unwägbarkeit des Lebens. Oeser verneigt sich vor dieser philosophischen Erkenntnis und erinnert an ein neugeborenes Wesen, das über Nacht aus dem Leben weggerafft wurde. Die sorgfältig gezeichnete lineare Umrahmung hat Trompe-l’oeil Charakter und lenkt den Blick des Betrachters auf den Kinderschädel. Die Zeichnung diente als Modell für eine Radierung, die der befreundete und ebenfalls in Leipzig tätige Kupferstecher Johann Friedrich Bause im Jahre 1791 anfertigte (Keil 22). Das in Rot gedruckte Blatt, das in einer sehr differenzierten Punktiertechnik behandelt ist, liegt im zweiten Druckzustand vor und überträgt die zeichnerische Brillanz des Originals auf kongeniale Weise in das Medium der Reproduktionsgraphik. Neben der vorliegenden Fassung sind Varianten in Braun und mehrfarbige Abdrucke in Purpurrot und Gelb bekannt.
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25. adam friedrich oeser (1717 Preßburg – 1799 Leipzig)
Skull of a Seven-month-old Child. Watercolour and brush in grey, the subject framed by a multiple borderline in watercolour and pen and black ink. 21.1 x 28.9 cm. Circa 1791. Adam Friedrich Oeser, a painter, draughtsman, etcher and sculptor, received his artistic training in Vienna from Jacob van Schuppen, Daniel Gran and Martin van Mytens the Younger. He was introduced to sculpture by his friend, Raphael Donner, who also advised him to study classical art. From 1739 Oeser was active in Dresden, where he distinguished himself primarily as a decorative painter. His close acquaintance with the archaeologist and art writer, Johann Joachim Winckelmann, who lodged with Oeser from 1754 and received drawing lessons from him, proved to be of momentous import. Winckelmann’s epoch-making essay Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (Thoughts on the Imitation of Greek Works in Painting and Sculpture) reflects the discussions on art theory that were held in Oeser’s house. Forced to leave Dresden by the Seven Years War, Oeser ultimately settled in Leipzig in 1759, where he was to live and work until his death. In 1764 he was appointed director of the Academy founded shortly before by Christian Ludwig Hagedorn and simultaneously assigned to the position of painter at the court of the Elector. Oeser became a prolific painter of ceilings and stage scenery in Leipzig. A wellrespected figure in the intellectual and cultural life of the city, he was also influential as a teacher. His most famous pupil was undoubtedly Johann Wolfgang von Goethe, to whom he gave drawing lessons between 1766 and 1768. Oeser later remained
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on friendly terms with Goethe, visiting him Weimar on several occasions and receiving numerous commissions thanks to his intercession. Oeser demonstrates loving attention to detail and great sensitivity as a draughtsman in his depiction of the skull of a sevenmonth-old child. The finely ramified blood vessels on the forehead and temples and the reddish hue of the little skull, on which the impression left by the scalp is still visible, are rendered with a meticulousness bordering on the reverential, manifesting a scientific interest typical of the Age of Enlightenment. The effective mise-en-page against an empty background gives the work a sense of strength, solemnity and tranquillity. Figuratively speaking, the little skull acts as a metaphor of the unpredictability of life. In humble realization of this, Oeser calls to mind a newborn child, whose life has been snatched away overnight. The carefully drawn borderline is designed to deceive the eye (trompe-l’oeil) and draw the observer’s attention to the child’s skull. The drawing served as a model for an etching produced in 1791 by Johann Friedrich Bause, an engraver friend of Oeser’s who also worked in Leipzig (Keil 22). The present impression of the second state, printed in red, reveals the use of a very subtly differentiated stippling technique, which brilliantly transports the outstanding draughtsmanship of the original to the medium of graphic reproduction. Apart from the present version other variants in brown are known to exist, as are multi-coloured proofs in crimson and yellow.
Johann Friedrich Bause. Skull of a Seven-month-old Child. Etching, printed in red. 12.5 x 18.7 cm. 1791. Keil 22.
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26. johann gottlieb prestel (1739 Grönenbach – 1808 Frankfurt a. M.)
Ruines du Théatre de Paestum En Lucanie. Chute D’eau. Farbige Aquatintaradierung, mit weißer Deckfarbe gehöht, stellenweise mit Gouache ankoloriert; auf einem zeitgenössischen Verlagsuntersatz mit der Adresse von J. G. Reinsheimer, Frankfurt a. M. 47,4 x 65,2 auf 59 x 75,5 cm. 1793. Nicht bei Nagler und Heller-Andresen. Der Maler und Radierer Johann Gottlieb Prestel hatte sich nach Lehrjahren in Venedig, Rom und Florenz und nach längeren Aufenthalten in Augsburg, Nürnberg und Zürich – hier malte er 1775 ein Bildnis Goethes – schließlich 1783 in Frankfurt am Main niedergelassen. Prestel galt als exzentrisch und eigenbrötlerisch, in Frankfurt fand der rastlose Künstler jedoch eine dauerhafte Betätigung. Er verabschiedete sich von der Malerei und widmete sich nunmehr ganz der Druckgraphik, einem Gebiet, auf dem er es zur einer derartigen Meisterschaft brachte, daß seine Zeitgenossen von der „Prestel’schen Manier“ sprachen. Vor allem in der Ausübung der kürzlich zuvor von Jean Baptiste Le Prince eingeführten Aquatintatechnik gelangte Prestel bald zu einer bemerkenswerten Virtuosität, wie die vorliegende gestochene Veduta aus dem Spätwerk belegt. Als Vorlage diente eine Gouache des römischen Architekten und Pannini-Schülers Alessandro Moretti, der in den 1780er Jahren auch in Frankfurt und Berlin tätig war. In ihrem technischen Raffinement bringt die Radierung nicht nur die Vorzüge der Prestel’schen Manier voll zum Tragen, sie ist darüber hinaus auch ein interessantes Zeug-
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nis für die Antikenrezeption im 18. Jahrhundert. Dargestellt sind die Überreste des nur wenige Jahrzehnte zuvor wiederentdeckten dorischen Neptuntempels in Paestum, die aus der Untersicht und stark verkürzt wiedergegeben sind, wodurch eine dramatische Raum- und Tiefenwirkung erzeugt wird. Die Szene mutet wie ein riesiges Bühnenbild an. Vereinzelte winzige Staffagefiguren – einige von ihnen in pittoresker orientalischer Tracht – spazieren über das Ruinengelände, das mit Bruchstücken übersät und von wildem Gestrüpp überwuchert ist. Es herrscht eine besinnliche und elegische Stimmung, die dem Vergänglichkeitsgedanken angemessen und charakteristisch für die nostalgische Antikenrezeption des 18. Jahrhunderts ist. Die grandiosen antiken Überreste künden von vergangener Größe und der Nichtigkeit des menschlichen Tuns. Die milde, verhaltene Farbigkeit steigert den poetischen Stimmungsgehalt der Darstellung. Wirkungsvoll hebt sich das warme Rotbraun des felsigen Terrains von den subtil und reich abgestuften Grau- und Brauntönen der Tempelarchitektur ab. Um die Darstellung künstlerisch zu vollenden, bediente Prestel sich nicht nur drucktechnischer Verfahren, sondern wandte auch zeichnerische Mittel an. Mit wenigen, treffsicheren Pinselstrichen hat der Künstler den locker bewölkten Himmel duftig und suggestiv skizziert. Die Staffagefiguren vorne sind mit leuchtenden Gouachefarben ankoloriert und bilden so reizvolle koloristische Akzente. Prachtvoller, farbfrischer Druck mit vollem Rand. Leichte Gebrauchsspuren, sonst im Originalzustand.
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26. johann gottlieb prestel (1739 Grönenbach – 1808 Frankfurt am Main)
Ruines du Théatre de Paestum En Lucanie. Chute D’eau. Colour aquatint etching, heightened with white, coloured in places with gouache; on a contemporary publisher’s mounting with the address of J. G. Reinsheimer, Frankfurt a. M. 47.4 x 65.2 on 59 x 75.5 cm. 1793. Not in Nagler and Heller-Andresen. After spending the years of his apprenticeship in Venice, Rome and Florence with longish stays in Augsburg, Nuremberg and Zurich – where he painted a portrait of Goethe in 1775 – the painter and etcher Johann Gottlieb Prestel finally settled down in Frankfurt am Main in 1783. Although considered to be an eccentric and a loner, it was in Frankfurt that the restless artist found a lasting occupation. Abandoning painting, he devoted himself wholly to printmaking, a field in which he achieved such mastery that his contemporaries spoke of the “Prestel manner”. It was in his application of the aquatint technique introduced shortly beforehand by Jean Baptiste Le Prince that Prestel soon attained a remarkable virtuosity, as can be seen from the present etched veduta from his later work. The original was a gouache by the Roman architect and Pannini pupil Alessandro Moretti, who was also active in Frankfurt and Berlin in the 1780s. In its technical refinement the etching not only does full justice to the
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unique strengths of the Prestel manner, but also casts an interesting light on how the 18th century viewed classical antiquity. Shown here are the remains of the Doric temple of Neptune in Paestum that had only been discovered a few decades earlier. They are viewed from a low-level angle and rendered with extreme foreshortening, creating a dramatic sense of space and depth. The scene resembles a huge stage set. Isolated little staffage figures – some of them in picturesque oriental dress – wander about the ruined site, which is strewn with crumbling blocks of masonry and overgrown with rank vegetation. A contemplative and elegiac mood prevails in keeping with the sense of transience and nostalgia so typical of 18th century attitudes. The grandeur of the ancient remains testifies to past greatness and the futility of human endeavour. The mild, subdued tints enhance the poetic mood of the scene. The warm reddish brown of the rocky terrain contrasts effectively with the subtly and richly gradated grey and brown tones of the temple architecture. In order to give it a proper finish, Prestel used both printmaking and drawing. With a few accurate brush strokes and great lightness of touch the artist has sketched in the soft white clouds of the sky. The staffage figures in the foreground have been picked out with bright gouache paints, which adds a charming touch of colour. A superb impression with fresh colours and full margins. Minor traces of handling, otherwise in mint condition.
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27. maria katharina prestel
maria katharina prestel
(1747 Nürnberg – 1794 London)
(1747 Nuremberg – 1794 London)
Eine waldige Landschaft bei stürmischem Himmel („Vue du Côte de Stralenberger Hof près le Village d’Oberrode près Francfort sur le Maijn“). Aquatintaradierung in Schwarzgrün. 56,5 x 42,5 cm. (1784). Schwaighofer II, 77; Kiermeier-Debre/Vogel 2214.
A Wooded Landscape Under a Stormy Sky (“Vue du Côte de Stralenberger Hof près le Village d’Oberrode près Francfort sur le Maijn”). Aquatint etching in blackish green. 56.5 x 42.5 cm. (1784). Schwaighofer II, 77; Kiermeier-Debre/Vogel 2214.
Die Nürnberger Malerin und Kupferstecherin Maria Katharina Höll war Johann Gottlieb Prestels begabteste Schülerin und wurde 1772 seine Ehefrau. Maria Katharina gebar ihm vier Kinder, die alle später den Künstlerberuf wählten, und war gleichzeitig seine wichtigste Mitarbeiterin. Sie spielte jedoch keineswegs eine untergeordnete Rolle im Atelierbetrieb, sondern entwickelte sich zu einer eigenständigen und international angesehenen Reproduktionsstecherin. Das Künstlerehepaar spezialisierte sich auf druckgraphische Nachbildungen von Gemälden und Zeichnungen alter Meister und Zeitgenossen, die vorwiegend in der kürzlich zuvor eingeführten Aquatintatechnik ausgeführt waren und sich durch ein hohes Maß an technischer Meisterschaft auszeichnen.
The Nuremberg painter and engraver Maria Katharina Höll was Johann Gottlieb Prestel’s most gifted pupil and, in 1772, she became his wife. Maria Katharina bore him four children – all of whom went on to become artists – and was also his most important collaborator. Yet her role in the work of the studio was far from subordinate, as she developed into an internationally esteemed reproductive engraver in her own right. The couple specialized in making reproductive prints after paintings and drawings of old masters and contemporaries, which were mainly executed in the recently introduced aquatint technique and were distinguished by a high degree of technical mastery.
Maria Katharina muß auch im privaten Lebensbereich eine selbstbewußte Frau gewesen sein. 1786 trennte sie sich von ihrem Mann – ein für damalige Zeiten ungewöhnlicher Vorgang – und siedelte nach London über, das Ende des 18. Jahrhunderts als bedeutendes Zentrum der Reproduktionsgraphik florierte. Ihre Strebsamkeit und ihr künstlerisches Prestige führten dazu, daß sie bei führenden Verlegern wie John Boydell und Molteno Colnaghi Beschäftigung fand und sich auch in England als selbständige Künstlerin behaupten konnte. Die vorliegende großformatige Aquatintaradierung gibt ein Gemälde eines namhaften Künstlerkollegen Katharinas, des Frankfurter Landschaftsmalers Christian Georg Schütz d. Älteren (1718–1791) wieder und überzeugt durch die subtile Anwendung der Aquatintatechnik, welche den Stimmungsgehalt und die unterschiedlichen tonalen Valeurs und Lichtwerte der Vorlage adäquat einzufangen sucht. Die hochaufragenden Laubbäume sind abwechslungsreich, duftig und malerisch behandelt. Hell leuchten einzelne Äste und Blätter aus dem dunklen, dichten Laubwerk hervor. Dramatisch wirkungsvoll ist der stürmisch bewegte Himmel mit den bleischweren Regenwolken charakterisiert. Ein Hirte sucht mit seiner Herde eilig Schutz vor dem aufkommenden Gewitter, während ein Wandererpaar im Vordergrund scheinbar unbekümmert seinen Weg verfolgt. Die weiche, fein abgestufte Aquatintakörnung verleiht der Darstellung einen weichen, samtigen Schmelz und erzeugt ein suggestives Abbild pastoralen Lebens. Ausgezeichneter, nunacierter und kontrastreicher Probedruck vor aller Schrift. Mit Rand um die tief eingeprägte Plattenkante. Leichte Altersspuren, sonst vollkommen erhalten.
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Maria Katharina must have been a determined woman in private life as well. In 1786 she divorced her husband – an unusual thing to do at the time – and moved to London, which in the late 18th century was a flourishing centre of printmaking. Her industry, ambition and artistic prestige led to her being employed by such leading publishers as John Boydell and Molteno Colnaghi while enabling her to assert herself as an independent artist in England as well. The present large-format aquatint etching reproduces a painting by a well-known fellow artist of Katharina’s, the Frankfurt landscape painter Christian Georg Schütz the Elder (1718–1791), and owes its power to the subtle application of the aquatint technique in order to capture the mood and various tonal and light values of the original. The towering trees are picturesquely forbidding. Individual branches and leaves gleam brightly out of the dark, dense foliage. The stormy sky with its leaden rain clouds is shown to great dramatic effect. A shepherd and his flock hastily seek shelter from the gathering storm, while a travelling couple in the foreground continue on their way with apparent unconcern. The soft, finely gradated aquatint grain lends the portrayal a soft, velvety lustre, creating a suggestive evocation of pastoral life. A very fine, rich and nuanced trial proof before letters. With margins around the platemark. Minor ageing, otherwise in impeccable condition.
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28. godfried schalcken (1643 Made – 1706 Den Haag)
Nach. Amor und Psyche. Schabkunstblatt. 41,1 x 31 cm. Goodwin (McArdell) 218. Die Frage der Autorschaft dieses anmutigen und technisch souverän behandelten Mezzotintos erweist sich als schwierig und ist bis heute nicht überzeugend geklärt worden. Goodwin verzeichnet das Blatt in seinem Œuvrekatalog der Schabkunstblätter James McArdells und weist lediglich einen Abdruck vor der Schrift nach, der sich im British Museum in London befindet. In dem Werkverzeichnis von Chaloner-Smith fehlt der Stich jedoch und auch stilistisch unterscheidet sich das Blatt von autographen Arbeiten McArdells. Die „Lennox-Boyd database“ beschreibt drei unterschiedliche Druckzustände. Der erste Etat ist vor den Namen von Schalcken und McArdell und vor der Inschrift, der Schriftrand ist gereinigt. Im zweiten Druckzustand wurde die Platte überarbeitet, das Blatt ist mit den beiden Künstlernamen und der Inschrift versehen. Im dritten Druckzustand ist die Inschrift typographisch nur geringfügig abgewandelt. Möglicherweise handelt es sich hier um einen vermeintlichen Druckzustand, da Chaloner-Smith kein Exemplar nachweist. Unser Abzug ist demzufolge ein unbeschriebener Probedruck, dessen wesentlichstes Merkmal der ungereinigte, noch samtig schwarze Schriftrand ist. Wie eingangs angedeutet, ist die Autorschaft MacArdells fraglich. Möglicherweise wurde der Stich von einem unbekannten englischen oder niederländischen Kupferstecher geschaffen, der sich ungefragt des Namens und somit des Prestiges des bekannten Kollegen bediente. Dennoch übersetzt das Blatt die kostbare Feinmalerei Godfried Schalckens kongenial in das Medium
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der Schabkunsttechnik. Schalcken lebte zwischen 1692–97 in London, wo er vorwiegend als Porträtmaler der englischen Aristokratie tätig war. Seine kleinformatigen Nachtstücke mit Kerzenbeleuchtung erfreuten sich im 18. Jahrhundert, zum Entstehungszeitpunkt unseres Mezzotintos, einer besonderen Beliebtheit. Die intime Szene schildert eine Episode aus den Metamorphosen von Apuleius. Die Protagonistin Psyche war so schön, daß sie die Eifersucht der Venus auf sich lud. Diese beauftragte Amor, in Psyche Liebe zu einem beliebigen häßlichen Sterblichen zu erwecken. Stattdessen verliebte Amor sich selbst in sie. Er führte sie in einen Palast, besuchte Psyche aber nur während der Nacht und verbot ihr, ihn zu betrachten. Die Szene schildert den Moment, in dem Psyche, Opfer ihrer Neugierde, beim Schein einer Lampe den schlafenden Geliebten betrachtet. Amor, durch einen Tropfen heißen Öls aufgeweckt, erzürnt sich über den Wortbruch und verläßt Psyche. Reumütig sucht Psyche ihren Geliebten auf der ganzen Welt und muß verschiedene, übermenschliche Aufgaben erfüllen, die Venus ihr auferlegt hat. Die letzte dieser Prüfungen erweist sich als fatal. In der Unterwelt öffnet Psyche ein Kästchen, das einen tödlichen Schlaf enthält, dem sie erliegt. Schließlich erhört Jupiter Amors Klagen und stimmt der Heirat mit Psyche zu, die daraufhin in den Olymp aufgenommen wird. Das Thema wird als Allegorie für die Reise der Seele durch das Leben gedeutet und symbolisiert die Vereinigung mit dem Göttlichen nach irdischem Leiden und Tod. Prachtvoller, toniger und nuancierter Druck mit Rand um die Plattenkante. Minimale Altersspuren, sonst vorzüglich erhalten.
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28. godfried schalcken (1643 Made – 1706 The Hague)
After. Cupid and Psyche. Mezzotint. 41.1 x 31 cm. Goodwin (McArdell) 218. Establishing the authorship of this charming and masterly mezzotint has proved a difficult task and has still not been satisfactorily resolved. Goodwin recorded the print in his œuvre catalogue of mezzotints by James McArdell, noting just one proof before letters in the British Museum in London. However the engraving is missing from the catalogue of works by Chaloner-Smith and also differs stylistically from autographed works of McArdell’s. The Lennox-Boyd database describes three different states. The first is before letters, with the inscription space cleaned. In the second state the plate has been reworked and the print bears the names of Schalcken and McArdell. In the third state only the typography of the inscription has been slightly altered. It is possible that the existence of this state has merely been assumed, as Chaloner-Smith provides no evidence of an impression. Our proof is thus an unrecorded trial proof, before the inscription space was cleaned. As indicated at the outset, McArdell’s authorship is questionable. It is possible that the engraving was the work of an unknown English or Dutch engraver, who borrowed the name and hence the prestige of his more famous colleague without permission. Nevertheless the print brilliantly translates Godfried Schalcken’s exquisite paintwork to the mezzotint medium. From 1692 to
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1697 Schalcken was in London, where he was mainly active as a portrait painter of the English aristocracy. His small-scale, candlelit night-pieces enjoyed great popularity in the 18th century, when the present mezzotint was executed. This intimate scene depicts an episode from the Metamorphoses of Apuleius. The protagonist, Psyche, was so beautiful that she excited the jealousy of Venus, who gave Cupid the task of making Psyche fall in love with some ugly mortal. Instead, Cupid fell in love with her himself and took her off to a palace. However, he only visited Psyche at night and forbade her to look at him. The present scene shows the crucial moment when Psyche yields to her curiosity and gazes at her sleeping lover by the light of an oil-lamp. Cupid, awakened by a drop of hot oil, is angry that Psyche has broken her word and leaves her. Forlorn and repentant, she seeks her lover all over the world and has to perform various superhuman tasks which Venus has set her. The last of these tasks proves fatal. In the underworld Psyche opens a casket containing a deadly sleep to which she succumbs. Finally, Jupiter hears Cupid’s lamentations and agrees to let him wed Psyche, who is subsequently admitted to Olympus. The story is seen as an allegory of the journey of the soul through life, symbolizing union with the divine after earthly suffering and death. A superbly rich, tonal impression with margins around the platemark. Minor ageing, otherwise in perfect condition.
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29. georg friedrich schmidt
georg friedrich schmidt
(1712 Schönerlinde – 1775 Berlin)
(1712 Schönerlinde – 1775 Berlin)
Die Frau des Künstlers, lesend. Radierung. 23,5 x 17,8 cm. 1761. Nagler 113, Wessely 106 III.
The Artist’s Wife, Reading. Etching. 23.5 x 17.8 cm. 1761. Nagler 113, Wessely 106 III.
Das liebevoll und einfühlsam erfasste Porträt zeigt die Frau des Künstlers Dorothee Luise Videbant in halber Figur, an einem Tisch sitzend und mit der Lektüre eines Buches beschäftigt. Sie trägt ein leichtes, dekolletiertes Kleid von schlichter Eleganz und ein filigranes Halstuch aus schwarzer Spitze. Eine kokette Spitzenhaube mit Federschmuck und zwei kostbare Ohrhänger zeugen von der gutbürgerlichen Herkunft der Dargestellten. Die Gattin des Künstlers blickt gerade vom aufgeschlagenen Buch hoch und fixiert den Betrachter, während sie die rechte Hand in einer belehrenden Geste erhebt. Die intime Szene, die ein gemaltes Porträt Schmidts reproduziert, ist nicht nur in künstlerischer Hinsicht anziehend und einprägsam, sondern vermittelt darüber hinaus auch ein anmutiges Zeitbild. Die Frau des Künstlers liest nicht irgendeinen der damals beliebten gefühlvollen Damenromane, sondern beschäftigt sich mit den Schriften Friedrichs des Großen, des Philosophen von Sans Souci. Dorothees Pose zeugt von einem neuen weiblichen Selbstbewußtsein und spiegelt die Welt des aufgeklärten preußischen Bürgertums zur Regierungszeit des „roi-philosophe“ wider.
This lovingly and sensitively executed half-length portrait shows the artist’s wife, Dorothee Luise Videbant, seated at a table with a book. She wears a light, low-cut dress of simple elegance and a filigreed neckerchief of black lace. A coquettish plumed lace bonnet and two costly earrings attest to the subject’s middle class origins. The wife of the artist has just raised her eyes from her open book to look at the beholder, while her left hand is raised in a finger-wagging gesture. This intimate scene, which reproduces a painted portrait of Schmidt’s, is not only attractive and memorable from an artistic point of view, but also gracefully conveys an image of the times. The artist’s wife is not reading any of the then popular sentimental romances, but studying the writings of Frederick the Great, the philosopher of Sans Souci. Dorothee’s pose testifies to a new female self-confidence reflecting the world of the enlightened Prussian bourgeoisie during the reign of the “roi-philosophe”.
Georg Friedrich Schmidt zählt mit Daniel Chodowiecki und Johann Wilhelm Meil zu den bedeutendsten graphischen Künstlern des preußischen Rokoko. Er war überdies auch ein begabter und subtiler Porträtist. Der Künstler hatte von 1737 bis 1743 in Paris gelebt und gearbeitet und dort mit Künstlern wie Nicolas de Larmessin und Hyacinthe Rigaud verkehrt. Eine Freundschaft verband ihn mit Johann Georg Wille, dessen Stil er in manchen seiner Porträtzeichnungen sehr nahe kommt. Trotz seiner protestantischen Herkunft wurde Schmidt mit königlichem Erlass 1742 in die Académie Royale aufgenommen. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in St. Petersburg am Hofe der Zarin Elisabeth, wo 1761 auch die vorliegende Radierung entstanden ist, sollte Georg Friedrich Schmidt für den Rest seines Lebens in Berlin tätig sein. Prachtvoller, differenzierter und klarer Druck mit breitem Rand um die deutlich zeichnende Plattenkante. Minimale Altersspuren, sonst vollkommen erhaltenes, unbehandeltes Exemplar.
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Together with Daniel Chodowiecki and Johann Wilhelm Meil, Georg Friedrich Schmidt was one of the most significant graphic artists of the Prussian Rococo. He was also a gifted and subtle portraitist. From 1737 to 1743 the artist had lived and worked in Paris, where he had associated with artists such as Nicolas de Larmessin and Hyacinthe Rigaud. He was friends with Johann Georg Wille, whose style he comes very close to in quite a few of his portrait drawings. Despite his Protestant origins, Schmidt was admitted to the Académie Royale by royal decree in 1742. After spending some years in St. Petersburg at the court of the Empress Elisabeth, where the present etching was executed in 1761, Georg Friedrich Schmidt was to live and work in Berlin for the rest of his life. A superb, differentiated impression with wide margins around the distinct platemark. Minor ageing, otherwise in perfect, unrestored condition.
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30. georg friedrich schmidt
georg friedrich schmidt
(1712 Schönerlinde – 1775 Berlin)
(1712 Schönerlinde – 1775 Berlin)
Der Mann mit der Pelzmütze. Radierung. 7,9 x 6,1 cm. 1735. Nagler 138; Wessely 142.
Man with Fur Cap. Etching. 7.9 x 6.1 cm. 1735. Nagler 138; Wessely 142.
Das sehr konzentriert und fein behandelte Blatt ist von großer Seltenheit und zählt zu den ersten Versuchen des Künstlers in der Radiertechnik. Georg Friedrich Schmidt stammte aus ärmlichen Verhältnissen und entdeckte früh seine Neigung zum Künstlerberuf. 1727 trat er das Studium an der Berliner Akademie an, wo er drei Jahre lang bei dem Kupferstecher Georg Paul Busch ausgebildet wurde. 1730 wurde Schmidt für einen sechsjährigen Militärdienst als Artillerist eingezogen. In seiner Freizeit muß er sich jedoch künstlerisch betätigt haben, wie aus der Jahreszahl 1735 auf unserer Radierung hervorgeht.
This very concentrated and finely executed print is of great rarity, being one of the artist’s first attempts at etching. Georg Friedrich Schmidt came from a poor background and discovered his artistic bent early. In 1727 he began a course at the Berlin Academy, where he was trained for three years by the engraver Georg Paul Busch. In 1730 Schmidt was called up for military service and spent six years in the artillery. He must have practised art in his free time, however, as this etching dates from 1735.
Das hübsche kleine Blatt gibt ein Gemälde Rembrandts wieder und zeugt von einer neuen Wertschätzung des großen niederländischen Meisters, die in den 1730er Jahren angefangen hatte und im graphischen Schaffen zahlreicher deutscher und österreichischer Radierer ihren Niederschlag fand. Gemeinsam mit dem gleichaltrigen Christian Wilhelm Ernst Dietrich zählt Schmidt zu den frühesten Protagonisten dieses RembrandtRevivals. Bemerkenswert ist das erstaunlich hohe künstlerische Niveau von Schmidts Interpretation. Auf kleinstem Format ist ein Summum an Atmosphäre und Stofflichkeit erzielt worden. Die Radiertechnik ist äußerst detailliert und feinmaschig und gibt das Inkarnat und die unterschiedlichen Texturen von Pelz, Kleidung und Schmuck abwechslungsreich und überzeugend wieder. Die subtile Lichtführung verleiht dem Porträt größte Lebendigkeit und Expressivität. Prachtvoller, sehr harmonischer und nuancierter Abzug mit feinem Rändchen um die gratige Plattenkante. Leichte Altersspuren, vereinzelte Montierungsreste an den Ecken verso, sonst vorzüglich erhalten.
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This neat little print reproduces a painting of Rembrandt’s and testifies to the reawakening of interest in the great Dutch master, which had begun in the 1730s and found its reflection in the graphic œuvre of numerous German and Austrian etchers. Together with his coeval, Christian Wilhelm Ernst Dietrich, Schmidt was one of the earliest protagonists of this Rembrandt revival. What is remarkable is the amazingly high artistic standard of Schmidt’s interpretation. A maximum of atmosphere and texture has been achieved in the smallest of formats. The etching technique is extremely detailed and intricate, convincingly reproducing the flesh tints and different textures of fur, clothing and jewellery. The subtle distribution of light lends the portrait great vitality and expressiveness. A superb and differentiated impression with small margins around the inky platemark. Minor ageing, occasional remains of old paper hinges at the corners verso, otherwise in perfect condition.
Originalgröße / Actual size
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31. emanuel steiner (1778–1831, Winterthur)
emanuel steiner (1778–1831, Winterthur)
„Eine hügeliche Waldpartie mit Wasserfall und einer Mühle, im Geschmacke Ruysdaels radiert und von sehr gefälliger Wirkung“. Radierung. 39,5 x 32,4 cm. Nagler 2.
“A Hilly Stretch of Woodland with Waterfall and Mill, etched in the style of Ruysdael and with very pleasing effect”. Etching. 39.5 x 32.4 cm. Nagler 2.
Der Landschaftsmaler und Radierer Emanuel Steiner war ein Schüler von Johann Rudolf Schellenberg, der in den letzten drei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts in Basel und Winterthur eine äußerst produktive Tätigkeit als Radierer und Illustrator entfaltet hatte. 1796–98 bildete Steiner sich bei Anton Graff in Dresden künstlerisch weiter und verblieb anschließend 1803–04 in Rom und Paris. In der Folgezeit war Steiner in Winterthur als Landschafts- und Blumenmaler, Zeichner und Radierer tätig; seine Kupferstichsammlung bildet den Grundstock der Sammlung des dortigen Graphischen Kabinetts.
The landscape painter and etcher Emanuel Steiner was a pupil of Johann Rudolf Schellenberg, who had an extremely productive career as an etcher and illustrator in Basel and Winterthur in the last three decades of the 18th century. In the years 1796– 98 Steiner received further artistic training from Anton Graff in Dresden, after which he spent the years 1803–04 in Rome and Paris. In the subsequent period Steiner worked in Winterthur as a painter (specializing in landscapes and floral themes), draughtsman and etcher. His collection of engravings forms the basis of the holdings of the Graphisches Kabinett there.
Steiner wurde in seiner Zeichenkunst anfangs stark vom Beispiel der niederländischen Meister des 17. Jahrhunderts geprägt. Er arbeitete jedoch auch direkt nach der Landschaft und offenbart in den Studien dieser Art ein freieres und spontaneres Naturempfinden. In stilistischer Hinsicht erinnern Steiners Radierungen auf Grund ihrer differenzierten Technik und malerischen Behandlung an das druckgraphische Schaffen Johann Christian Reinharts.
Steiner’s drawing style was initially strongly influenced by the example of the 17th century Dutch masters, yet he also worked directly from the landscape, and these studies show a freer and more spontaneous feeling for nature. The differentiated technique and painterly treatment of Steiner’s etchings are reminiscent of the printmaking style of Johann Christian Reinhart.
Die pittoreske waldige Landschaft, die von einzelnen Staffagefiguren belebt wird, strahlt ein Höchstmaß an empfindsamer Naturlyrik aus. Motivische Anleihen an die niederländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts – insbesondere an die Kunst Jacob van Ruisdaels – verbinden sich mit einer romantischen, idyllisch geprägten Naturauffassung. In einer minuziösen, deskriptiven Radiertechnik sind die kleinsten Einzelheiten von Vegetation und Terrain mit liebevoller Aufmerksamkeit charakterisiert. Das Blatt spiegelt die wachsende Wertschätzung wider, die der Kunst Jacob van Ruisdaels zur Neige des 19. Jahrhundert entgegengebracht wurde und für die Goethes 1816 veröffentlichter Aufsatz „Ruysdael als Dichter“ das kunsttheoretische Fundament gelegt hat. Prachtvoller, leuchtender und kontrastreicher Frühdruck, vor aller Schrift. Mit Rand um die tief eingeprägte Plattenkante. Geringfügig stockfleckig, leichte Altersspuren, sonst vollkommenes, unbehandeltes Exemplar.
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The picturesque wooded landscape, enlivened by isolated staffage figures, is shot through with sentimental nature lyricism. Motifs borrowed from 17th century Dutch landscape painting – especially from the work of Jacob van Ruysdael – are combined with a romantic, idyllic vision of nature. Using a meticulous, descriptive etching technique, the artist renders the tiniest details of vegetation and terrain with loving care. The print reflects the growing value placed on the art of Jacob van Ruysdael in the early 19th century, for which Goethe’s 1816 essay “Ruysdael als Dichter” (Ruysdael as Poet) had laid the theoretical foundation. A superb impression, printing with great clarity and contrast, before letters. With margins around the distinct and inky platemark. Slightly foxed, minor ageing, otherwise in perfect, unrestored condition.
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32.
carlo antonio tavella
carlo antonio tavella
(1668 Mailand – 1738 Genua)
(1668 Milan – 1738 Genoa)
Eine weite baumbestandene Landschaft mit rastenden Wanderern an einem Bächlein. Federzeichnung in Braun über einer leichten Graphitvorzeichnung. 37,8 x 27,7 cm. Um 1702.
A Wide Tree-covered Landscape with Travellers Resting by a Stream. Pen and brown ink over a light preliminary drawing in graphite. 37.8 x 27.7 cm. Circa 1702.
Carlo Antonio Tavella war zu seinen Lebzeiten ein angesehener und vielbeschäftigter Landschaftsmaler, der in seinen Jugendjahren längere Zeit in der Emilia Romagna und in der Toskana verbrachte und in Florenz mit dem Schaffen Crescenzio Onofris bekannt wurde. 1695 hielt sich der Künstler in Mailand auf, wo er im Atelier des Pieter Mulier, genannt il Cavalier Tempesta Aufnahme fand. Tavellas Malerei besitzt unverkennbar eklektische Stileigenschaften und speist sich aus vielfachen Inspirationsquellen. Neben Tempesta war es vor allem die Landschaftskunst von Gaspar Dughet und Salvator Rosa, die sich als stilprägend erwies und auch Einflüsse der Genueser Malerei, insbesondere der pastoralen Genreszenen von Scorza und Castiglione sind unübersehbar. Tavella malte für viele Genueser Maler wie Domenico und Paolo Girolamo Piola die Landschaftshintergründe, während auf seinen eigenen Werken die figürliche Staffage häufig von Malerkollegen wie die Piolas und Alessandro Magnasco ausgeführt wurde. Seine Landschaften wirken allgemein etwas gekünstelt und formelhaft und lassen den Reiz spontaner Naturbeoachtung vermissen.
Carlo Antonio Tavella was in his lifetime a respected and very active landscape painter, who in his youth spent quite some time in the Emilia Romagna and Tuscany and became familiar with the work of Crescenzio Onofri in Florence. In 1695 the artist was in Milan, where he was admitted to the studio of Pieter Mulier, known as il Cavalier Tempesta. Tavella’s painting possesses unmistakably eclectic stylistic features, drawing upon many different sources of inspiration. Apart from Tempesta, it was mainly the landscape art of Gaspar Dughet and Salvator Rosa which most shaped his style, although the influence of Genoese painting, particularly the pastoral genre scenes of Scorza and Castiglione, is unmistakable. Tavella painted the landscape backgrounds for many Genoese painters, such as Domenico and Paolo Girolamo Piola, while in his own works the staffage figures were often provided by fellow painters, such as the Piolas and Alessandro Magnasco. His landscapes generally seem somewhat artificial and stereotyped, lacking the charm of a spontaneous observation of nature.
Tavella hinterließ überdies ein recht umfangreiches Œuvre von dekorativen, frei und routiniert behandelten Federzeichnungen. Oft handelt es sich um Entwurfszeichnungen für Gemälde, die vielfach mit eigenhändigen Annotationen, Maßangaben und mit dem Namen des Auftraggebers versehen sind. Das vorliegende, charakteristische Blatt zeigt den für Tavella typischen spröden, etwas fahrigen und leicht erkennbaren Zeichenstil (vgl. M. Chiarini, I disegni italiani di paesaggio dal 1600 al 1750, Mailand 1972, S. 64, Tafel 120). Der vom Wind zerzauste, pittoreske Baum im Vordergrund ist ein häufig wiederkehrendes Repoussoirmotiv, während die flott skizzierten, kleinen Staffagefiguren dekorativ und ohne größeren inhaltlichen Bezug zueinander in der weiträumigen Landschaft angeordnet sind. Verso befindet sich eine eigenhändige Annotation mit Maßangaben, dem Datum 1702 und einer Widmung an den „Ill.mo Sig. Fran.co M. Serra Genova“.
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Tavella also left behind a large œuvre of decorative, free and routinely handled pen drawings. Many of them are preliminary drawings for paintings, often containing the artist’s own annotations, measurements and the name of the client. The present drawing shows Tavella’s typically austere, somewhat hasty and easily recognizable drawing style (cf. M. Chiarini, I disegni italiani di paesaggio dal 1600 al 1750, Milan, 1972, p. 64, plate 120). The picturesquely wind-tossed tree in the foreground is a frequently recurring repoussoir motif, while the deftly sketched little staffage figures are arranged decoratively in the spacious landscape without any particular relation to one another. On the verso there is an annotation in the artist’s own hand giving measurements, the date 1702, and a dedication to the “Ill.mo Sig. Fran.co M. Serra Genova”.
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33.
paul troger (1698 Welsberg – 1762 Wien)
Die Schmerzensmutter Maria, von Engeln getröstet. Radierung und Kupferstich. 34,5 x 22,2 cm. Nagler 14; Heller-Andresen 4; Aschenbrenner/Schweighofer 291; Ausstellungskatalog Paul Troger und Brixen: Sonderausstellung zum 300. Geburtstag von Paul Troger, hrsg. von L. Andergassen, Brixen 1998, S. 106, 4.4. Das druckgraphische Schaffen Paul Trogers ist bis heute nicht umfassend erforscht und selten. Nagler beschreibt insgesamt dreiundzwanzig Radierungen, von denen zwei Blatt als fraglich gelten, und auch in der 1965 erschienenen Monographie von W. Aschenbrenner und G. Schweighofer erfuhr das Œuvre keine Erweiterung (Paul Troger. Leben und Werk. Salzburg 1965). Trogers Radierungen zeichnen sich durch eine individuelle und hochentwickelte technische Behandlung aus und bestechen nicht zuletzt auch durch die Originalität ihrer Ikonographie. Die vorliegende Radierung gibt seitenrichtig ein um 1728/30 entstandenes Gemälde Trogers wieder, das sich heute in der Erzabtei St. Peter in Salzburg befindet. Psychologisch eindringlich ist die Pose der trauernden Mutter Gottes charakterisiert, die vor Schmerz in sich versunken auf einer steinernen Bank sitzt. Die Haltung ihres wuchtigen Körpers drückt seelische Erschöpfung und stilles Leiden aus. Marias Kopf mit den verschlossenen Augen ist müde zur Seite geneigt, ihre Hände ruhen kraftlos auf ihrem Schoß. Eine Schar kleiner Engel spricht der Madonna Trost zu, am Boden betrachtet einer von ihnen sinnend die Passionswerkzeuge. Das Blatt ist in einer abwechslungsreichen und konzentrierten Radiertechnik behandelt, die jedoch weniger malerisch und frei ist als bei Troger üblich. Der Künstler hat sich eines
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engen Liniengewebes von unterschiedlich dichten Kreuzlagen, leichten Parallelschraffuren, Strichelchen und feinen Pünktchen bedient, um treffsicher Plastizität, Stofflichkeit und ein weiches Chiaroscuro zu suggerieren. Die leuchtenden Lichtflecke des weißen Papiers lassen das Geschehen in einem hellen, überirdischen Schein erstrahlen. Eine gewisse Solidität der Faktur und die Tatsache, daß Trogers Autorschaft in der Legende und nicht durch eine Signatur innerhalb der Darstellung festgehalten wird, dürften laut Heinz Widauer jedoch eher für eine Reproduktionsgraphik von anderer Hand sprechen („Paul Troger (1698–1762): sein Werk im Spannungsfeld des europäischen Barock“, Barockberichte, 38/39, Salzburg 2005, S. 608). Über Trogers Jugend und die Lebensjahre zwischen 1716–1724 ist enttäuschend wenig bekannt. Feststeht, daß der Künstler eine mehrjährige Bildungsreise nach Italien unternahm und sich in Rom, Bologna und Padua aufhielt. Von grundlegender Bedeutung für seine künstlerische Entwicklung wurde ein längerer Verbleib in Venedig, wo Giovanni Battista Piazzetta, Sebastiano Ricci und vor allem auch Giovanni Battista Pittoni den Künstler maßgeblich prägten. Nach seiner Rückkehr aus Italien um die Mitte der 1720er Jahre schuf Troger in rastloser Tätigkeit ein Gesamtwerk von beachtlichem Umfang; gemeinsam mit Daniel Gran und Raphael Donner zählt er zu den wichtigsten Repräsentanten des österreichischen Barocks. Prachtvoller, gegensatzreicher und nuancierter Druck mit Rand um die Plattenkante. Mit dem Künstlernamen, die Verlegeradresse von Winkler größtenteils gelöscht. Minimale Altersspuren, sonst vollkommen erhalten.
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33.
paul troger (1698 Welsberg – 1762 Vienna)
The Mater Dolorosa Maria, Comforted by Angels. Etching and engraving. 34.5 x 22.2 cm. Nagler 14; HellerAndresen 4; Aschenbrenner/Schweighofer 291; exhibition catalogue Paul Troger und Brixen: Sonderausstellung zum 300. Geburtstag von Paul Troger, published by L. Andergassen, Brixen, 1998, p. 106, 4.4. Paul Troger’s printed work is rare and still not comprehensively researched. Nagler describes a total of twenty-three etchings, two of which are considered questionable, and even the monograph by W. Aschenbrenner and G. Schweighofer (Paul Troger, Leben und Werk, Salzburg 1965) did not add anything to the existing œuvre. Troger’s etchings are distinguished by an individual and technically sophisticated treatment, not the least of their charms being the originality of their iconography. The present etching reproduces a painting executed by Troger around 1728/30, which is now in St. Peter’s Archabbey in Salzburg. The pose of the sorrowing Mother of God sitting griefstricken on a stone bench reveals deep psychological insight. The posture of her heavy body expresses mental exhaustion and silent suffering. Maria’s eyes are closed and her head is wearily inclined to the side, while her hands rest feebly in her lap. A host of little angels speak words of comfort to the Madonna, while at the foot of the picture one of them looks pensively at the instruments of the Passion. The scene is rendered by means of a varied and concentrated etching technique, which however is less free and painterly than is customary with Troger. The artist has used a
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close network of lines and cross-hatchings of various degrees of density, light parallel hatchings, small strokes and fine stippling in order to accurately suggest three-dimensionality, texture and a soft chiaroscuro. The bright patches of light provided by the white paper bathes the scene in a luminous, ethereal light. According to Heinz Widauer, however, a certain solidity of treatment and the fact that Troger’s authorship is given in the legend and not by a signature within the image tend to suggest that this is a reproductive print by another artist (“Paul Troger (1698–1762): sein Werk im Spannungsfeld des europäischen Barock”, Barockberichte, 38/39, Salzburg 2005, p. 608). Regrettably, little is known about Troger’s youth and his life in the years 1716–1724. What is certain is that the artist undertook a study trip to Italy lasting several years, which included stays in Rome, Bologna and Padua. Of fundamental significance for his artistic development was a longish sojourn in Venice, where the artist was definitively influenced by Giovanni Battista Piazzetta, Sebastiano Ricci and above all Giovanni Battista Pittoni. After his return from Italy in the mid-1720s the indefatigable Troger created an œuvre of considerable dimensions. Together with Daniel Gran and Raphael Donner he ranks among the outstanding representatives of the Austrian Baroque. A very fine impression, printing with great clarity and contrast, with margins around the platemark. With the artist’s name, and with the address of the publisher Winkler largely deleted. Minor ageing, otherwise in impeccable condition.
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Originalgröße / Actual size
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34. pierre alexandre wille
pierre alexandre wille
(1748–1821, Paris)
(1748–1821, Paris)
Apoll, mit seinem Bogen einen Pfeil abschießend. Radierung. 13,6 x 8,2 cm. 1763. Nagler 7.
Apollo Shooting an Arrow from his Bow. Etching. 13.6 x 8.2 cm. 1763. Nagler 7.
Die hübsche kleine Radierung ist von großer Seltenheit. Das Blatt fehlt in den Repertorien von Le Blanc und Heller-Andresen und schon Nagler wies auf die Rarität der eigenhändigen Radierungen des jüngeren Wille hin. Pierre Alexander war der Sohn des namhaften und einflußreichen Hofkupferstechers und Zeichners Johann Georg Wille (1715 bei Gießen – 1808 Paris), der seit 1736 in Paris eine sehr fruchtbare und produktive Tätigkeit entwickelt hatte. Der Filius erhielt eine gediegene zeichnerische Ausbildung bei seinem Vater und erlernte die Malerei bei so renommierten Künstlern wie Jean-Baptiste Greuze und Joseph Marie Vien, um sich anschließend auf eine anekdotische Genremalerei im Stil der holländischen Feinmaler des 17. Jahrhunderts und seines Lehrmeisters Greuze zu spezialisieren. Etliche seiner Erfindungen wurden von seinem Vater und dessen Schüler durch Reproduktionsstiche vervielfältigt. Ludwig XVI. ernannte Wille fils zum Hofmaler, nach der Revolution und während der Herrschaft Napoleons geriet der Künstler jedoch mehr und mehr in Vergessenheit.
This pretty little etching is of great rarity. It is missing from the reference works of Le Blanc and Heller-Andresen, and even Nagler points out the rarity of autograph etchings by the younger Wille. Pierre Alexandre was the son of the well-known and influential court engraver and draughtsman Johann Georg Wille (1715 near Giessen – 1808 Paris), who had been engaged in very fruitful and productive work in Paris since 1736. The son was given sound graphic training by his father and learned painting from such renowned artists as Jean-Baptiste Greuze and Joseph Marie Vien before finally deciding to specialize in anecdotal genre painting in the style of the Dutch fine painters of the 17th century and of his tutor Greuze. Several of his works were duplicated by his father and the latter’s pupils as reproductive engravings. Louis XVI appointed Wille fils court painter, but after the Revolution and during the Napoleonic period the artist increasingly fell into oblivion.
Die vorliegende Radierung – wohl eine Erstlingsarbeit des jungen Künstlers – entstand im Jahr seiner Aufnahme in das Atelier von Vien und ist in einer graziösen, klassizistischen Stilsprache ausgeführt, die unverkennbar auf das Beispiel des Lehrmeisters zurückgeht. Vor einer summarisch angedeuteten Landschaftskulisse sehen wir Apoll, der nicht nur Gott des Lichtes, der Heilung, der Musik und der Künste, sondern auch der Patron der Bogenschützen war. Der leichtfüßige, anmutige Gott, die Verkörperung der jugendlichen männlichen Schönheit, hat gerade einen Pfeil abgeschossen und schaut prüfend, ob er sein Ziel getroffen hat. Der Figurenstil des schlanken, feminin anmutenden Körpers und die tänzerische Eleganz seiner Pose sind wesentlich von der Malerei Viens beeinflusst. Die Darstellung ist in einer leichten, beweglichen und filigranen Radiertechnik ausgeführt, die der Szene eine heitere, unbeschwerte Note verleiht.
The present etching – probably one of the young artist’s first works – dates to the year he was admitted to the Vien studio and is executed in a graceful, Classicist style unmistakably derived from the example of his tutor. Against a sketchily indicated landscape background we see Apollo, who was not only the god of light, healing, music and the arts, but also the patron of archers. The lissom youth, the embodiment of young manly beauty, has just discharged an arrow and is looking critically to see if he has hit his target. His slender, almost feminine figure and the dancerlike elegance of his pose are largely influenced by Vien’s painting. The portrayal is executed in a light, agile and delicate etching technique, which lends the scene a happy, carefree note. A very fine, harmonious impression with margins. Minor ageing, otherwise excellently preserved. From the Johann Nepomuk Seiler Collection (1793 Munich – 1876 Kempten, not in Lugt).
Ausgezeichneter, nuancierter Druck mit Rand. Minimale Altersspuren, sonst vorzüglich erhalten. Aus der Sammlung Johann Nepomuk Seiler (1793 München – 1876 Kempten, nicht bei Lugt).
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35. tiberius dominikus wocher (1728 Mimmenhausen bei Salem – 1799 Reute bei Waldsee)
tiberius dominikus wocher (1728 Mimmenhausen near Salem – 1799 Reute near Waldsee)
Brustbildnis eines bärtigen Orientalen. Radierung. 13,3 x 10,3 cm. Um 1773–76. Nagler 2.
Bust Portrait of a Bearded Oriental. Etching. 13.3 x 10.3 cm. Circa 1773–76. Nagler 2.
Der aus dem schwäbischen Ort Mimmenhausen gebürtige Maler und Radierer Tiberius Wocher ist einer jener begabten Kleinmeister, die sich während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf die Porträt- und Genremalerei spezialisierten und dabei eine Vorliebe für eine pittoreske, exotische Themenwahl an den Tag legten. Der Künstler wird 1767 als Hofmaler des Fürstbischofs von Konstanz, des Kardinals Franz Konradt von Rodt erwähnt und ist in der Folgezeit bis etwa 1780 in Bern ansässig und tätig.
Born in the Swabian village of Mimmenhausen, the painter and etcher Tiberius Wocher was one of those gifted Little Masters who specialized in portrait and genre painting during the second half of the 18th century, showing a predilection for picturesque, exotic themes. In 1767 the artist is mentioned as being court painter to the Prince Bishop of Constance, Cardinal Franz Konradt von Rodt, and is subsequently resident and active in Bern until about 1780.
Das delikate druckgraphische Werk umfasst lediglich sieben Radierungen und ist selten. Nagler bemerkt dazu: „Die Blätter dieses Meisters sind kräftig radiert, und kommen in schönen Abdrucken nicht häufig vor. Die Figuren sind im asiatischen Kostüm mit Turbanen dargestellt, ungefähr in der Weise Rembrandts“. Unser Bildnis eines pittoresk gekleideten, bärtigen Orientalen ist in einer flotten und sicheren Radiertechnik behandelt, welche die Spontaneität einer Federzeichnung ausstrahlt. Die eigenwillige Lichtführung und die sehr markanten HelldunkelKontraste verleihen der Darstellung beträchtliche Expressivität und einen fremdartigen Zauber.
His delicate printed work comprises a mere seven etchings and is of great rarity. Nagler notes: “The works of this master are strongly etched and fine impressions are infrequent. The figures are shown in Asian costume with turbans, roughly in the Rembrandt manner.” This portrayal of a picturesquely clad, bearded Oriental is treated in a deft and assured etching technique which has all the spontaneity of a pen-and-ink drawing. The unusual distribution of light and the very vivid chiaroscuro contrasts are very expressive and lend the portrayal an exotic fascination.
Prachtvoller, nuancierter Druck mit dem vollen Rand. Vollkommen erhalten.
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A superb impression with full margins. In perfect condition.
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19. Jahrhundert
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36. françois aubertin (1773 Metz – 1821 Gent)
Le Fumeur (Der Raucher). Radierung, Aquatinta und Punktiermanier nach Jean-Baptiste Isabey. 32,2 x 24,6 cm. Um 1804. Le Blanc 7; Courboin 1924, 911; Inventaire du Fonds Français, après 1800, 1, 204. François Aubertin, der Autor dieses skurrilen und fesselnden Porträts seines Malerkollegen Jacques-Luc Barbier, trat in jugendlichem Alter dem Freiwilligenbataillon des Generals Marceau bei und war anschließend 1795 in Mainz in deutsche Gefangenschaft geraten. Bis zum Friedensschluß von Lunéville im Jahre 1801 war Aubertin als Kupferdrucker und Graveur in Dresden, Leipzig und Berlin tätig und experimentierte hier erfolgreich mit dem in Deutschland noch relativ unbekannten AquatintaDruckverfahren. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich verdiente er in Paris seinen Lebensunterhalt als Reproduktionsstecher. Weitere Etappen seiner Vita führten ihn nach Metz, Brüssel und Gent, wo er 1821 infolge exzessiven Alkoholmißbrauchs oder durch Selbstmord verstarb. Das Porträt des Malers Jacques-Luc Barbier (1769 Nîmes – 1860 Passy) besticht durch das technische Raffinement der Ausführung und die Exotik seiner Ikonographie. Als ebenso farbig und abwechslungsreich erweist sich die Biographie des Dargestellten. Der Geschichts- und Bildnismaler Barbier war ein Schüler Jacques-Louis Davids. Er wurde auf Fürsprache Ludwigs XVI. nach Amerika entsandt, um ein Bildnis George Washingtons zu malen. Wenig später wurde Barbier ein feuriger Anhänger der französischen Revolution. Er diente als Berufssoldat in einem Husarenregiment und wurde auf Empfehlung Davids zum Kunstkommissar ernannt und nach Flandern entsandt, um Kunstwerke für den Louvre zu konfiszieren. Um 1797 nahm Barbier seine Tätigkeit als Maler wieder auf und beteiligte sich mit Erfolg an den Ausstellungen des Pariser Salons. Seine Ehe mit der englischen Sängerin und Diva Mademoiselle Walbonne, die damals
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am Théatre Italien brillierte, stärkte Barbiers soziales Prestige und machten ihn zu einer bekannten Erscheinung in der Pariser Gesellschaft (siehe Ausstellungskatalog Regency to Empire. French Printmaking 1715–1814, herausg. von V. I. Carlson, J. W. Ittmann, Baltimore-Boston-Minneapolis 1985, Nr. 119, S. 326–328). Aubertins Radierung gibt eine Bildniszeichnung Isabeys im Gegensinn wieder. Barbier, der auf Grund seines auffallend attraktiven Äußeren ein sehr gefragtes Modell war und für Maler wie Ingres, Isabey, Gérard posiert hatte, ist in einer extravaganten, dandyhaften Kostümierung dargestellt. Die flache Mütze mit Quaste, die Jacke mit ornamentalen Strickmustern und die lange Pfeife erinnern entfernt an die Tracht der Soulioten, der albanischen Krieger im Griechischen Freiheitskrieg, während Barbiers kunstvolle oreilles de chien Frisur, sein plissiertes Hemd, Krawatte und Weste dem raffinierten Modediktat des Pariser Directoire entsprechen. Aubertins hochentwickelte Punktiertechnik und eine ausgesprochen differenzierte Anwendung des Aquatintakorns erweisen sich als ein probates Mittel, um die Beschaffenheit von Inkarnat, Haaren und Stoffen überzeugend und abwechslungsreich darzustellen. Die blanke Haut des feminin wirkenden Gesichtes mit den großen, ausdrucksstarken Augen ist von filigranen Locken umspielt. Mit feinsten Punktierungen sind Schattierungen und ein flauschiger Oberlippenbart angedeutet. Meisterhaft suggestiv ist der flüchtige, hauchdünne Rauch wiedergegeben, welcher der Pfeife und den sinnlichen Lippen des Pariser Gesellschaftslöwen entweicht. Prachtvoller, gegensatzreicher und differenzierter Druck mit Rand um die Plattenkante. Geringfügige Bereibungen und Altersspuren im weißen Rand, vereinzelte Montierungsreste verso, sonst sehr gut erhalten.
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36. françois aubertin (1773 Metz – 1821 Ghent)
Le Fumeur (The Smoker). Etching, aquatint and stipple engraving after Jean-Baptiste Isabey. 32.2 x 24.6 cm. Circa 1804. Le Blanc 7; Courboin 1924, 911; Inventaire du Fonds Français, après 1800, 1, 204. François Aubertin, the author of this strangely compelling portrait of his fellow painter Jacques-Luc Barbier, joined the volunteer battalion of General Marceau at an early age and was subsequently taken into German captivity at Mainz in 1795. Up until the Treaty of Lunéville in 1801, Aubertin worked as a printer and engraver in Dresden, Leipzig and Berlin, where he experimented successfully with the aquatint printing technique, which was still relatively unknown in Germany at the time. After his return to France he earned his living as a reproductive engraver in Paris. Later stages of his career took him to Metz, Brussels and Ghent, where he died in 1821, either as a result of alcohol abuse or suicide. This portrait of the painter Jacques-Luc Barbier (1769 Nîmes – 1860 Passy) owes its appeal to the technical finesse of the execution and the exotic iconography. The biography of the sitter was equally colourful and eventful. A painter of portraits and historical scenes, Barbier was a pupil of Jacques-Louis David. With the backing of Louis XVI he was sent to America to paint a portrait of George Washington. Not long afterwards Barbier declared himself an ardent supporter of the French Revolution, serving as a professional soldier in a hussar regiment. On David’s recommendation he was appointed art commissioner and sent to Flanders to confiscate artworks for the Louvre. Round about 1797 Barbier resumed his work as a painter and took part successfully in the exhibitions of the Paris Salon. His marriage to the
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English singer and diva Mademoiselle Walbonne, who at that time was the star attraction of the Théatre Italien, enhanced Barbier’s social prestige and made him a familiar figure in Parisian society (see exhibition catalogue Regency to Empire. French Printmaking 1715–1814, edited by V. I. Carlson and J. W. Ittmann, Baltimore-Boston-Minneapolis, 1985, no. 119, pp. 326–328). Aubertin’s etching reproduces a portrait drawing by Isabey in reverse. Barbier, who on account of his strikingly attractive appearance was much in demand as a model and had sat for such painters as Ingres, Isabey and Gérard, is portrayed in an extravagant, foppish costume. The flat cap with tassel, the jacket with ornamental knitted patterns and the long pipe are vaguely reminiscent of the costume of the Albanian Souliot warriors in the Greek War of Liberation, while Barbier’s elaborate oreilles de chien hair style, his pleated shirt, cravat and waistcoat are in keeping with the high fashion dictates of the Parisian Directoire. Aubertin’s sophisticated stippling technique and a highly differentiated application of the aquatint grain prove effective means of rendering complexion, hair and the texture of the fabrics convincingly and inventively. The smooth skin of the almost feminine face with its large, expressive eyes is framed with delicate ringlets. The finest stippling is used for shading and to hint at a wispy moustache. Wonderfully suggestive is the fleeting, gossamer-like smoke which escapes from the pipe and the sensuous lips of this Parisian socialite. A very fine impression, printing with great clarity and contrast, Minor rubbing and traces of ageing in the margins, occasional remains of old hinges on the verso, otherwise in very good condition.
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37.
pauline auzou
pauline auzou
(1775–1835, Paris)
(1775–1835, Paris)
Gewandstudie. Schwarze und weiße Kreide auf blauem Papier. 45,5 x 45,5 cm.
A Drapery Study. Black and white chalk on blue paper. 45.5 x 45.5 cm.
Die Malerin Pauline Desmarquets-Auzou war eine Schülerin des Klassizisten Jean-Baptiste Regnault. Die Künstlerin debutierte 1793 auf dem Pariser Salon und erwarb sich in der Folgezeit vor allem als Historienmalerin größere Bekanntheit. Ihr Prestige auf diesem Gebiet ist bemerkenswert, da Frauen nur in beschränktem Maße am akademischen Kunstunterricht teilnehmen konnten und Künstlerinnen sich vor allem der Porträt- und der Genremalerei widmeten. Auzou war auch selbst als Kunstpädagogin tätig. Sie stand etwa zwei Jahrzehnte lang einer privaten Malschule vor, an der vornehmlich weibliche Studenten ausgebildet wurden, und war eine vielbeschäftigte Künstlerin. Zu ihren Förderern zählten illustre Persönlichkeiten ihrer Zeit wie Kaiserin Marie-Louise von Habsburg, die zweite Gattin Napoleons, die Duchesse du Berry und König Ludwig XVIII. Auzous Historienbilder zeichnen sich durch ihre anmutige, gefällige Stilsprache aus; die liebevoll beobachteten genrehaften Details verleihen den Darstellungen eine feminine Grazie (siehe A. Sutherland Harris/ L. Nochlin, Women Artists 1550–1950, New York 1976, S. 46, 210–212).
The painter Pauline Desmarquets-Auzou was a pupil of the Classicist Jean-Baptiste Regnault. The artist made her debut at the Paris Salon in 1793 and in the subsequent period acquired quite a reputation, mainly as a painter of historical scenes. Her prestige in this field is remarkable, as women had only limited access to academic instruction in art, and female artists devoted themselves chiefly to portrait and genre painting. Auzou was also active as an art teacher. For about two decades she headed her own private painting school, where mainly female students were trained, while also keeping very busy as an artist. Her sponsors included such illustrious personalities of her day as the Empress Marie-Louise of Habsburg, Napoleon’s second consort, the Duchesse du Berry, and King Louis XVIII. Auzou’s historical scenes are distinguished by their pleasing artistic idiom, with the lovingly observed genre-like details lending the portrayals a feminine grace (see A. Sutherland Harris / L. Nochlin, Women Artists 1550–1950, New York, 1976, pp. 46, 210–212).
Als Zeichnerin demonstriert Auzou jedoch einen anderen Aspekt ihrer Begabung. So zeigen ihre weiblichen Aktstudien ein unbestechliches Formgefühl und eine sinnliche Linienschönheit, die an Piere-Paul Prud’hon erinnern. Die vorliegende großformatige Gewandstudie besticht durch die Schlichtheit und Größe der Auffassung und durch ihren zeichnerischen Feinsinn. Auch hier macht sich der Einfluß Prud’hons bemerkbar. Mit großer Ökonomie der Mittel ist das Spiel des weichen, vibrierenden Lichtes auf dem schweren, in breiten Falten herunterfallenden Stoff eingefangen. Die wuchtigen Faltenwürfe sind mit wenigen, treffsicheren Linien suggestiv und plastisch definiert. Die großflächigen Wischungen und die sparsam eingesetzten, pointierten Weißhöhungen erzeugen eine betörende Lichtwirkung und verleihen dem Blatt renaissancistische Grandeur. Aus dem Familiennachlaß der Künstlerin.
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As a draughtswoman, however, Auzou demonstrated another aspect of her talent. Her female nude studies show an uncompromising sense of form and a sensuousness of line reminiscent of Pierre-Paul Prud’hon. The present large-format drapery study owes its charm to the simplicity and scale of the project and its fine graphic sense. Prud’hon’s influence is again noticeable here. With great economy of means the artist has caught the play of the soft, vibrant light on the heavy fabric as it falls in broad folds. The massive drapes are defined with a few accurate lines giving a strong suggestion of depth. The sweeping wipes and the sparing, pointed use of white heightening create a stunning light effect and lend the study a Renaissance-like grandeur. From the estate of the artist.
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38. ludwig buchhorn
ludwig buchhorn
(1770 Halberstadt – 1856 Berlin)
(1770 Halberstadt – 1856 Berlin)
Bildnis Karl Friedrich Schinkel. Lithographie auf bräunlichem Velin. 33 x 22 cm. Ausstellungskatalog Karl Friedrich Schinkel: Architektur, Malerei, Kunstgewerbe, Berlin, Schloß Charlottenburg, 1981, S. 110, Nr. 1c.
Portrait of Karl Friedrich Schinkel. Lithograph on brownish wove paper. 33 x 22 cm. Exhibition catalogue Karl Friedrich Schinkel Architektur Malerei Kunstgewerbe, Berlin, Schloß Charlottenburg, 1981, p. 110, no. 1c.
Die seltene Lithographie gibt eine Marmorbüste Schinkels wieder, die der Berliner Bildhauer Christian Friedrich Tieck, Bruder des Dichters Ludwig Tieck, im Jahre 1819 geschaffen hat. Das Porträt wurde von dem Kunsthistoriker und langjährigen Intimus Schinkels Gustav Friedrich Waagen auf Grund seiner Lebendigkeit und Wahrheitstreue hoch gelobt und gilt mit Recht als bestes Schinkel-Bildnis. Schinkel war zum Entstehungszeitpunkt der Büste bereits ein erfolgreicher und aufstrebender Architekt. Er hatte in Berlin die Neue Wache erbaut und war mit der Fertigstellung des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt beschäftigt. Das Brustbildnis, das offenkundig von römischen Imperatorenbildnissen angeregt wurde und leicht heroisierende Züge aufweist, kündet von der respektvollen Verehrung, die der nur wenig jüngere Tieck dem Universalgenie Schinkel entgegenbrachte. Das Gesicht mit den schönen, welligen Locken und den edlen, markanten Zügen verrät Entschlossenheit, jugendliche Dynamik und eine wache Intelligenz.
This rare lithograph reproduces a marble bust of Schinkel which the Berlin sculptor Christian Friedrich Tieck (brother of the poet Ludwig Tieck) had made in 1819. The portrait was highly praised by the art historian and longstanding confidant of Schinkel, Gustav Friedrich Waagen, on account of its vitality and trueness to the original; it is rightly considered to be the best Schinkel portrait. At the time the bust was created Schinkel was already enjoying success as an up-and-coming architect. He had built the Neue Wache in Berlin and was busy completing the Schauspielhaus (Theatre) at Gendarmenmarkt. This portrait bust, with its slightly heroic air clearly inspired by likenesses of Roman emperors, testifies to the respect, not to say veneration, in which the only slightly younger Tieck held the universal genius Schinkel. The face with its fine, wavy hair and strong noble features radiates resoluteness, youthful dynamism and an alert intelligence.
Ludwig Buchhorn wählte für seine Lithographie nach antiker Tradition die Profilansicht. Diese etwas distanziert wirkende Darstellungsweise verleiht dem Porträt eine puristische Kraft. Das Blatt ist in einem breiten und treffsicheren Duktus angelegt, der die geistige Energie und Willenskraft des Porträtierten souverän zum Ausdruck bringt. Der Maler und Graphiker Ludwig Buchhorn war ein Schüler Daniel Bergers an der Berliner Akademie. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit für die Chalkographische Gesellschaft in Dessau lebte und arbeitete der Künstler seit 1806 in Berlin. In seiner Geburtstadt tat er sich erfolgreich als Graphiker, Porträtzeichner und Maler hervor und bekleidete seit 1812 mehrere akademische Ämter. Ausgezeichneter, gegensatzreicher und nuancierter Druck mit breitem Rand. Minimale Altersspuren und Erhaltungsmängel, sonst vorzüglich erhalten.
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True to classical tradition, Ludwig Buchhorn chose to do his lithograph in profile. This somewhat austere mode of presentation gives the portrait a concentrated force. The print is executed in a sweeping yet accurate style, which perfectly expresses the sitter’s mental energy and strength of will. Buchhorn, a painter and printmaker, was a pupil of Daniel Berger at the Berlin Academy. After several years spent in the employ of the Chalcographic Society in Dessau, the artist lived and worked from 1806 onwards in Berlin. In his home town he distinguished himself not only as a printmaker and portraitist but also as a painter, and after 1812 held several academic posts. An excellent, contrasting and nuanced impression with wide margins. Minimal ageing and defects, otherwise in perfect condition.
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39.
franz caucig
franz caucig
(1755 Görz – 1828 Wien)
(1755 Gorica – 1828 Vienna)
Zwei Frauen beweinen den toten Patrokles vor dem Scheiterhaufen. Federzeichnung in Grau, grau laviert. 25,2 x 36,8 cm. Signiert und datiert: Franc.o Caucig (1)827.
Two Women Bewail the Dead Patrocles Before the Funeral Pyre. Pen and grey ink, grey wash. 25.2 x 36.8 cm. Signed and dated: Franc.o Caucig (1)827.
Der aus der slowenischen Stadt Gorizia stammende Maler Franz Caucig studierte zuerst an der Wiener Akademie und bildete sich ab 1779 in Bologna und Rom weiter, wo er sich dem Neoklassizismus zuwandte und freundschaftliche Beziehungen zu Felice Giani und Antonio Canova knüpfte. Caucig verbrachte insgesamt ein Jahrzehnt (1781–1791) in der Ewigen Stadt und begab sich anschließend nach Mantua, wo er im Auftrag der Wiener Akademie Gipsabgüsse antiker Skulpturen und Zeichnungen nach Werken alter Meister anfertigte. Ein längerer Studienaufenthalt in Venedig (1791–97) bildete den Abschluß der italienischen Wanderjahre. Nach seiner Rückkehr nach Wien erhielt Caucig 1798 eine Professur an der dortigen Akademie und wurde 1820 Direktor dieser Lehranstalt.
Born in the Slovene town of Gorica, the painter Franz Caucig studied first at the Vienna Academy and from 1779 underwent further training in Bologna and Rome, where he adopted the Neo-classicist style and established friendly ties with Felice Giani and Antonio Canova. Caucig spent a total of ten years (1781– 1791) in the Eternal City before moving to Mantua, where he made plaster casts of classical sculptures and drawings after works of old masters for the Vienna Academy. A longish study trip to Venice (1791–1797) marked the end of his Italian peregrinations. After his return to Vienna in 1798, Caucig was appointed a professor at the Academy, later becoming its director in 1820.
Caucig verfolgte eine streng klassizistische Stilrichtung, die vom französischen Neoklassizismus, der Kunst Angelika Kauffmanns und Pompeo Batonis sowie der gran maniera der Bologneser Malerei des 17. Jahrhunderts geprägt war. Die erhabene Strenge seiner Kompositionen, die Vorliebe für mythologische und biblische Themen und die sonore Farbgebung zeugen von seiner dogmatischen künstlerischen Gesinnung. Caucig war ein versierter Zeichner, der als Medium oft lavierte Federzeichnungen mit Bister oder Sepia benutzte. Das vorliegende Blatt demonstriert seine Vorliebe für klare lineare Gestaltung und einen wohlstrukturierten Bildaufbau. Die einzelnen Protagonisten und ihre Gesten sind trefflich und mit sicheren Strichen definiert, detailliert sind auch das dekorative Beiwerk wie die Rüstung des gefallenen Kriegers und die antiken Gefäße sowie die Silhouette der Stadt Troja dargestellt. Die flüssige und transparente Lavierung setzt treffliche Akzente und erzeugt eine lebendige Helldunkel-Wirkung. So entsteht eine handwerklich recht virtuose, jedoch künstlerisch etwas starr wirkende Interpretation des mythischen Geschehens. Das Entstehungsdatum 1827, ein Jahr vor dem Tode des Künstlers, zeigt, daß Caucig Zeit seines Lebens den neoklassizistischen Stilprinzipien verpflichtet blieb.
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Caucig had a strictly classicist style shaped by French Neo-classicism, the art of Angelika Kauffmann and Pompeo Batoni as well as the gran maniera of 17th century Bolognese painting. The austere severity of his compositions, the predilection for mythological and biblical themes, and the resonant colouring testify to his dogmatic artistic credo. Caucig was an expert draughtsman who often used washed pen drawings with bistre or sepia as his medium. The present drawing demonstrates his predilection for clear linear forms and a well-structured layout. The individual protagonists and their gestures are splendidly rendered with confident strokes, while the various embellishments, like the armour of the fallen warrior, the classical vessels and the skyline of Troy, are appropriately detailed. The fluid and transparent wash is used to great effect, creating a vivid chiaroscuro. The result is a highly professional, yet artistically somewhat stiff interpretation of the mythical scene. The date of execution – 1827 – one year before the artist’s death, shows that Caucig remained true to his Neo-classicist principles all his life.
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40. gilles françois joseph closson (1796–1852, Lüttich)
Eine weite Landschaft in der Umgebung von Lüttich. Öl auf Papier, Vorzeichnung in schwarzer Kreide. 33 x 41,5 cm. Um 1837. Der belgische Maler, Aquarellist und Zeichner François Closson war zwischen 1817 und 1824 Schüler von Antoine Gros in Paris. Zwischen 1825 und 1829 lebte und arbeitete Closson in Italien, wo er sich der Vedutenmalerei zuwandte und mit diesen Werken zur künstlerischen Reife gelangte. Zu Studienzwecken schuf Closson einen beträchtlichen Fundus an Landschaftsskizzen in Öl, die vor Ort und unter freiem Himmel entstanden sind und ein waches Auge für die unterschiedlichen Lichtverhältnisse und farbigen Valeurs der südlichen Landschaft bekunden (Abb. 1 und 2). Während die im Atelier entstandenen Ansichten von Rom und Neapel von einer romantisierenden Naturauffassung zeugen, bestechen die Ölskizzen auf Papier durch ihre zeitlose Frische der Beobachtung und ihre subtile Erfassung von flüchtigen Naturphänomenen. Viele dieser Studien, die sowohl als künstlerische Fingerübungen wie auch als Vorlagen für Gemälde gedacht waren, sind unvollendet. Der beabsichtigte Kontrast zwischen
flüssig und duftig behandelten Landschaftspartien, Himmel und Wolken und den weißen, unfertig belassenen Passagen ist von großem ästhetischen Reiz und betont den spontanen Charakter dieser Landschaftsimpressionen. Closson kehrte 1837 nach Lüttich zurück, und wurde zum Professor an der dortigen Akademie ernannt. Die vorliegende Studie dürfte kurz nach diesem Datum entstanden sein und zeigt die panoramische Ansicht einer Landschaftsszenerie aus der direkten Umgebung Lüttichs. Sanfte Hügel reihen sich unter einem majestätischen herbstlichen Wolkenhimmel aneinander. Ein straffer Wind bauscht die vorbeiziehenden Wolken dramatisch auf und jagt sie über die friedliche Landschaft hinweg. Mit wenigen pastosen Pinselstrichen hat Closson das Spiel des abendlichen Sonnenlichtes auf den Cumuluswolken meisterhaft eingefangen. Bei dem Fluß, der sich in sanften Biegungen zum Horizont windet, dürfte es sich um die Maas handeln. Die Bockmühle sowie die Vegetation und Staffage im Vordergrund sind mit wenigen Kreidestrichen summarisch, jedoch wirkungsvoll charakterisiert.
Abb. 1. G.-F.-J. Closson. Antike Ruinen in Rom (Thermen von Caracalla?). Öl auf Papier. 30.9 x 37.6 cm. London, National Gallery.
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Falttafel auf der Innenseite Illustration on the inside
40. gilles françois joseph closson (1796–1852, Liège)
A Wide Landscape in the Environs of Liège. Oil on paper, preliminary drawing in black chalk. 33 x 41.5 cm. Circa 1837. The Belgian painter, watercolourist and draughtsman François Closson studied under Antoine Gros in Paris from 1817 to 1824. Between 1825 and 1829 Closson lived and worked in Italy, where he devoted himself to painting vedute, thereby attaining artistic maturity. For study purposes Closson created a considerable fund of landscape sketches in oil, done on the spot and in the open air, which betray a keen eye for the different quality of light and colour presented by southern landscapes (fig. 1 and 2). While the views of Rome and Naples done in the studio reflect a romantic view of nature, the oil sketches on paper owe their charm to the timeless freshness of their observation of nature and their subtle capture of fleeting natural phenomena. Many of these studies, which were intended either as artistic exercises or originals for paintings, are unfinished. The deliberate con-
trast between the fluid and hazy parts of the landscape, clouds and sky, on the one hand, and the parts that have just been left white, on the other, has a great aesthetic appeal and underlines the spontaneous character of these landscape impressions. In 1837 Closson returned to Liège, where he was appointed professor at the Academy. The present study, which was probably produced shortly after this date, shows a panoramic view of a scenic landscape in the immediate vicinity of Liège. A row of gentle hills lies under a majestic autumn sky. A stiff wind is dramatically billowing the passing clouds, chasing them across the peaceful landscape. Closson has brilliantly caught the play of the evening sunlight on them with a few thickly applied strokes of the brush. The river, which wends its way in gentle bends to the horizon, is probably the Meuse. The post-mill as well as the vegetation and staffage in the foreground are characterized summarily but effectively with a few chalk strokes.
Fig. 2. G.-F.-J. Closson. Study of Trees. Oil on paper. 40.5 x 52 cm. Private Collection.
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41. jules louis philippe coignet
jules louis philippe coignet
(1798–1860, Paris)
(1798–1860, Paris)
Baumstudie. Öl auf Malpappe. 40,5 x 32 cm. Verso mit dem Atelierstempel (Lugt 451 c).
Study of a Tree. Oil on cardboard. 40.5 x 32 cm. Verso with the studio stamp (Lugt 451 c).
Die delikate und flüssig behandelte Studie ist ein gültiges Beispiel für die Bestrebungen der französischen Freilichtmalerei, wie sie seit dem frühen 19. Jahrhundert von Künstlern wie Corot und den Malern der Schule von Barbizon praktiziert wurde. In ihrer Naturverbundenheit, Bescheidenheit und Sensibilität für das Erfassen der flüchtigen Erscheinungen von Licht und Atmosphäre besitzt diese Ölstudie gleichsam einen allgemeingültigen Charakter. Auf jedes genrehafte Element und auf jede Andeutung eines typischen Lokalkolorits ist verzichtet worden. So könnte diese intime Naturimpression im Grunde überall entstanden sein, denn Coignet entwickelte während seiner künstlerischen Karriere eine lebhafte Reisetätigkeit und war als Landschaftsmaler in Italien, auf Sizilien, in der Normandie, der Bretagne und in anderen Regionen Frankreichs tätig.
This delicate and fluid study is a good example of the efforts of French plein-air painting as practised from the early 19th century onwards by artists like Corot and the painters of the Barbizon School. In its closeness to nature, unpretentiousness and the care taken to capture fleeting phenomena of light and atmosphere, this oil study may be said to possess a general validity. All genrelike elements and indications of local colour have been dispensed with. Thus this intimate nature impression could basically have been produced anywhere, as Coignet was a keen traveller throughout his artistic career, being active as a landscape painter in Italy, Sicily, Normandy, Brittany and other regions of France.
Ausgebildet bei dem Landschaftsmaler Jean-Victor Bertin entfernte Coignet sich mit der Zeit von dem strengen Klassizismus seines Lehrmeisters. Der Künstler errang in den 1830er Jahren beachtlichen Erfolg mit romantisch-pittoresken Landschaften, für die er die Sujets auf Reisen in Griechenland, Ägypten und im Orient sammelte. Unsere Baumstudie zeigt auf Grund ihrer spontanen, phrasenlosen Naturbetrachtung jedoch einen persönlichen und mehr privaten Aspekt seiner Kunst. Mit treffsicheren und pointierten Pinselstrichen sind die unterschiedlichen Texturen des Baumstammes, die fein abgestuften Valeurs des Mischwaldes und das Spiel des spätnachmittäglichen Lichtes auf den Felsen subtil und einfühlsam wiedergegeben. Es herrscht eine meditative Stimmung, die von einem tiefen Respekt für die ewige Lebenskraft und Schönheit der Natur zeugt.
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Trained by the landscape painter Jean-Victor Bertin, Coignet gradually distanced himself from the stringent Classicism of his tutor. The artist achieved considerable success in the 1830s with romantically picturesque landscapes, for which he collected the subjects on trips to Greece, Egypt and the Near East. However, this tree study with its spontaneous, unaffected observation of nature reveals a more personal and private aspect of his art. The various textures of the tree trunk, the finely gradated shades of the mixed woodland and the play of the late afternoon light on the rocks are subtly and sensitively rendered with deft and accurate strokes of the brush. The mood is meditative, testifying to a deep respect for the eternal life force and beauty of nature.
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42. carl ludwig frommel
carl ludwig frommel
(1789 Schloß Birkenfeld – 1863 Ispringen)
(1789 Schloss Birkenfeld – 1863 Ispringen)
Sechs Radierte Blätter... 6 Radierungen auf gewalztem China. 48,7 x 46,8 cm (Blattgr.). Im grauen OriginalPappumschlag. 1839. Andresen 15.
Six Etched Sheets... Six etchings on Chine appliqué. 48.7 x 46.8 cm (sheet size). In the original grey cardboard envelope. 1839. Andresen 15.
Der aus Südwestdeutschland stammende Carl Frommel war ein produktiver und technisch sehr versierter Kupferstecher, obwohl seine eigentliche Vorliebe Zeit seines Lebens der Landschaftsmalerei galt. Er erlernte bei Christian Haldenwang in Karlsruhe die Kupferstichtechnik, ging dann 1809 zur künstlerischen Weiterbildung nach Paris und lebte und arbeitete anschließend von 1813–1817 in Rom. Im Jahre 1817 wurde Frommel zum Professor der Malerei und Kupferstechkunst an der Karlsruher Akademie ernannt. Er führte die neuentwickelte Technik des Stahlstiches in Deutschland ein und eröffnete 1824 eigens zu diesem Zweck gemeinsam mit dem Engländer Henry Winkles eine Werkstatt in Karlsruhe, die eine sehr rege, über die Grenzen Deutschlands hinausreichende Verlagstätigkeit entwickelte.
A native of south-west Germany, Carl Frommel was a productive and technically very accomplished printmaker, although landscape painting was his lifelong passion. He learned the engraving technique from Christian Haldenwang in Karlsruhe before going to Paris in 1809 to perfect his artistic skills, after which he lived and worked in Rome from 1813 to 1817. In 1817, Frommel was appointed professor of painting and engraving at the Karlsruhe Academy. He introduced the newly developed technique of steel engraving to Germany and in 1824, together with the Englishman Henry Winkles, opened a workshop in Karlsruhe for this very purpose. It soon generated a brisk publishing business whose activities extended beyond Germany.
Frommels druckgraphisches Œuvre ist entsprechend umfangreich und umfaßt Reproduktionsstiche nach Claude Lorrain, Radierungen mit italienischen Landschaftsmotiven nach eigener Erfindung sowie Stahlstichpublikationen, wie die 103 Blatt zählende Folge Das pittoreske Italien (1837–1840) und den Zyklus 50 Bilder zu Virgil’s Aeneide. Ganz im Sinne eines bürgerlichen Bildungsauftrages dienten viele dieser Ausgaben eindeutig didaktischen Zwecken. Bei der vorliegenden, im Karlsruher Eigenverlag erschienenen Folge handelt es sich um druckgraphische Arbeiten Frommels aus dem Zeitraum 1835–1838. Es sind pittoreske Phantasieszenerien, die auf Landschaftsmotive aus dem Schwarzwald zurückgehen und diese durch einen geschickten Gebrauch von figürlicher und architektonischer Staffage romantisch überhöhen. Ganz im Einklang mit dem herrschenden Zeitgeschmack wirken die malerisch arrangierten Landschaften etwas artifiziell und verraten eine Neigung zum Eklektizismus. Künstlerisch herausragend hingegen ist das stimmungsvolle Titelblatt der Folge. Es ist in einer äußerst verfeinerten und filigranen Radiertechnik ausgeführt, die die Nuancen des Lichtes auf dem Laub, den verwitterten Baumstämmen und dem brüchigen Mauerwerk treffsicher einfängt und durch die Wahrhaftigkeit der Naturauffassung überzeugt. Ausgezeichnete, gegensatzreiche Drucke mit dem vollen Rand. Etwas stockfleckig, leichte Altersspuren, sonst vorzüglich erhalten. Aus der Sammlung Johann Nepomuk Seiler (1793 München – 1876 Kempten, nicht bei Lugt).
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Frommel’s printed œuvre is accordingly extensive and comprises reproductive engravings after Claude Lorrain, etchings with Italian landscape motifs of his own invention, and publications of steel engravings, such as the 103-sheet suite Picturesque Italy (1837–1840) and the cycle 50 Illustrations to Virgil’s Aeneid. Very much in keeping with middle-class educational ideals, many of these editions clearly served didactic purposes. The present suite, printed by Frommel’s own publishing house in Karlsruhe, contains a group of etchings which were done between 1835–1838. It comprises fantasy landscapes based on motifs from the Black Forest, which have been romantically enhanced by the adroit use of staffage figures and architectural elements. In harmony with the prevailing taste at the time, the picturesquely arranged landscapes have a somewhat artificial look and betray an unmistakable tendency to eclecticism. Outstanding in artistic terms, however, is the vibrant and atmospheric title page of the series. It is executed in an very refined and intricate etching technique, which accurately captures the nuances of light on the foliage, the weather-beaten tree trunks and the crumbling masonry. The faithful rendering of nature gives the picture conviction. Very fine, contrasting impressions with full margins. Some foxing, minor ageing, otherwise in excellent condition. From the Collection of Johann Nepomuk Seiler (1793 Munich – 1876 Kempten, not in Lugt).
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43. christian friedrich gille (1805 Ballenstedt – 1899 Dresden)
Disteln. Öl auf Papier, auf Malpappe aufgezogen. 36 x 27,8 cm. Gilles Ölskizzen und zeichnerische Studien nach der Natur, die den heutigen Betrachter durch ihre zeitlose künstlerische Frische und Spontaneität in Erstaunen versetzen, sind nahezu kontinuierlich von den späten 1820er Jahren bis in die Zeit um 1870/80 hinein in einer großen Fülle entstanden. Um so befremdlicher ist es, daß Gilles künstlerisches Schaffen in seiner Zeit kaum gewürdigt wurde. Der Künstler lebte in bescheidenen Verhältnissen und war oft darauf angewiesen, mit Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der aus einer kleinen Ortschaft im Harz gebürtige Christian Friedrich Gille kam 1825 nach Dresden und wurde an der dortigen Akademie zuerst zum Kupferstecher ausgebildet. Als prägend für seine weitere künstlerische Entwicklung erwiesen sich die Studienjahre bei Johann Christian Clausen Dahl, der Gille von 1827–30 in die Prinzipien der Landschaftsmalerei einwies. Gilles Karriere als freischaffender Maler war in der Folgezeit, von einzelnen bescheidenen Erfolgen abgesehen, vorwiegend von mangelnder Anerkennung geprägt. Aus finanzieller Not wandte er sich in den 1830 Jahren der Lithographie zu und war später unter anderem als Reproduktionsstecher, Illustrator, Porzellanmaler und Zeichenlehrer tätig. Eine kleine Pension von der Dresdener Akademie und die Unterstützung privater Förderer erlaubten ihm die künstlerische Arbeit in fortgeschrittenem Lebensalter (siehe G. Spitzer, Christian Friedrich Gille 1805–1899, Leipzig 1994). Von den Zeitgenossen kaum wahrgenommen, gilt Gille heute als einer der bedeutendsten Dresdener Landschaftskünstler der Romantik. Es sind an erster Stelle Gilles Ölstudien, die zu seiner späteren Anerkennung beigetragen haben und ihn als Vorläufer einer objektivierenden und realistischen Landschaftsanschauung ausweisen. Die Bildvorwürfe dieser Studien, die direkt vor der Natur gemalt sind, sind denkbar nüchtern und unprätentiös und beeindrucken durch ihre erfrischende Naturnähe und Unmittelbarkeit. Trotz dieser scheinbaren Anspruchslosigkeit ist Gilles Kunst niemals spröde. Seine tiefe Ehrfurcht vor der Natur in ihren vielfältigen und manchmal bescheidensten Erscheinungsformen und seine unkonventionelle Sicht auf die uns umgebende Welt strahlen eine ganz eigene Lyrik aus. Entsprechend freizügig, locker und unabhängig vom damaligen Zeitgeschmack ist Gilles Malstil. Der unbestechliche Wirklichkeitssinn und die Phrasenlosigkeit seiner Kunst haben den jungen Adolph von Menzel in seiner Entwicklung beeinflußt. Wie bei Menzel dienten Gilles Ölskizzen der systematischen Erkundung einer unendlich viel-
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schichtigen Natur und der Perfektionierung der eigenen künstlerischen Fähigkeiten und waren nicht als Vorstudien für Gemälde gedacht. In seinen ausgeführten Staffeleibildern, die in einer konventionellen, idealisierenden Landschaftsauffassung behandelt sind, erweist sich Gille ganz als Kind seiner Zeit. Gille selbst hat die entscheidenden Anregungen für seine Ölstudien nach der Natur zweifellos von seinem Lehrmeister Dahl erhalten. Anders als Dahl jedoch, der diese Art von Studien zunächst als Hilfsmittel für im Atelier ausgeführte Gemälde sah, betrachtete Gille die spontane malerische Erfassung der Landschaft im Freien als eine autonome künstlerische Aufgabe, die er über mehr als ein halbes Jahrhundert mit bewundernswerter Zielstrebigkeit und Konsequenz verfolgt hat (siehe Abb. S. 141). Die vorliegende Studie von Disteln, die auf Grund des breiten malerischen Vortrags wohl dem Spätwerk angehört und in den 1860er Jahren entstanden sein dürfte, illustriert die Vorzüge seiner künstlerischen Anschauungsweise überzeugend und einprägsam. Namentlich in den späten Ölstudien gelangt der Künstler zu einer immer unbefangeneren Naturanschauung und zu einer meisterhaften Wiedergabe der wechselnden Lichtverhältnisse und flüchtigen atmosphärischen Phänomene. Die stille, bescheidene Kraft des Bildvorwurfs und die flüssige, breite und souveräne Pinselführung verleihen der Darstellung eine zeitlose Präsenz. Wie Arabesken sind die dornigen Stengel der Disteln mit ihren weißen und violetten Blüten suggestiv und künstlerisch reizvoll auf der Bildfläche angeordnet, das dichte Blattwerk von zwei Wiesenkräutern ganz oben bildet einen kompositorischen Kontrapunkt. Das satte, reich modulierte Grün von Stengeln und Blättern kontrastiert wirksam mit dem gelbbraunen Malgrund. Die Wiederentdeckung Gilles ist vor allem dem Wirken des Privatsammlers Johann Friedrich Lahmann (1858–1937) zu verdanken, der als erster auf den großen Fundus an hinterlassenen Ölstudien und Zeichnungen aufmerksam wurde und einen erheblichen Teil des Œuvres erwarb. Nach seinem Tode gelangte eine qualitätvolle Auswahl von Werken Gilles durch Vermächtnis in den Besitz der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden sowie der Kunsthalle Bremen, dem Geburtsort Lahmanns. Der größte Teil des Sammlung wurde jedoch im Jahre 1938 bei Rudolph Lepke in Berlin versteigert, wodurch der geschlossene Charakter des Gesamtœuvres für immer verloren ging. Provenienz: Sammlung Johann Friedrich Lahmann; Kunstauktionshaus Rudolph Lepke, Berlin, April 1938; Sammlung Walther Unus, Berlin.
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43. christian friedrich gille (1805 Ballenstedt – 1899 Dresden)
Thistles. Oil on paper, mounted on painting board. 36 x 27.8 cm. Gille’s oil sketches and studies drawn from nature, which amaze modern-day observers with their timeless artistic freshness and spontaneity, were produced in great profusion almost continuously from the late 1820s to about 1870/80. This makes it all the harder to understand why Gille’s artistic output was scarcely appreciated in his lifetime. The artist lived in modest circumstances and was often forced to take on casual jobs to make ends meet. Born in a little village in the Harz Mountains, Christian Friedrich Gille went to Dresden in 1825 and trained at the Academy there, initially as an engraver. His further artistic development was determined by the years he spent studying under Johann Christian Clausen Dahl (1827–30), who instructed Gille in the principles of landscape painting. Gille’s subsequent career as a freelance painter was mainly characterized by lack of recognition, a few modest successes notwithstanding. In the 1830s financial difficulties caused Gille to turn to lithography and he later worked variously as a reproductive engraver, illustrator, porcelain painter and drawing master. A small pension from the Dresden Academy and the support of private sponsors enabled him to continue his artistic activities to an advanced age (see G. Spitzer, Christian Friedrich Gille 1805–1899, Leipzig 1994). Though barely noticed by his contemporaries, Gille is now considered to be one of the most important Dresden landscape artists of the Romantic period. It is primarily Gille’s oil studies that have brought him this late recognition, revealing him to be the pioneer of an objective and realistic view of landscape. The subjects of these studies, which were painted en plein air directly from nature, are entirely sober and unpretentious, owing their effect to their immediacy and closeness to nature. Despite this apparent simplicity, Gille’s art is never austere. His deep respect for nature in its manifold and humblest manifestations and his unconventional view of the world about us radiate a highly individual lyricism. Gille’s painting style is correspondingly free-ranging, relaxed and independent of the prevailing taste of his day. The uncompromising realism of his art and its freedom from clichés influenced the development of the young Adolph von Menzel. As in Menzel’s case, Gille’s oil sketches served the systematic
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exploration of an infinitely complex nature and the perfecting of his own artistic skills, and were not intended as preliminary studies for paintings. In his easel paintings, which rest on a conventional, idealistic concept of landscape, Gille reveals himself as very much a man of his time. Gille himself doubtless received the key inspiration for his oil studies from nature from his tutor Dahl. But unlike Dahl, who saw this kind of oil study primarily as an aid for paintings to be done in the studio, Gille regarded the spontaneous capture of a landscape in the open air as an artistic form in its own right and one which he pursued for more than half a century with admirable single-mindedness and consistency (see illustration). The present study of thistles, which in view of its broad picturesque lines probably belongs to the late work and was done in the 1860s, convincingly and memorably illustrates the advantages of his artistic vision. Especially in the late oil studies the artist attained an increasingly uninhibited view of nature and a masterly rendering of changing lighting conditions and fleeting atmospheric phenomena. The silent unassuming power of the subject and the fluid, broad and consummate brushwork lend the portrayal a timeless presence. The thorny stalks of the thistles with their white and violet blooms have been artfully arranged in a manner suggestive of arabesques, while the dense foliage of two meadow plants right at the top forms a compositional counterpoint. The deep, richly modulated green of the stalks and leaves contrasts effectively with the yellowish-brown painting base. Most of the credit for Gille’s rediscovery goes to the private collector Johann Friedrich Lahmann (1858–1937), who was the first to notice the large fund of oil studies and drawings the artist had left and acquired a considerable part of the œuvre, some of which he bequeathed to the Staatliche Kunstsammlungen in Dresden and the Kunsthalle in Bremen, the city in which he was born. The bulk of the collection, however, was sold at auction by Rudolph Lepke in Berlin in 1938, which deprived the œuvre of its cohesiveness. Provenance: Johann Friedrich Lahmann Collection; Kunstauktionshaus Rudolph Lepke, Berlin, April 1938; Walther Unus Collection, Berlin.
Christian Friedrich Gille. Grassland. Oil on paper. 28.5 x 37.6 cm. Dresden, Gemäldegalerie Neue Meister.
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44. francesco hayez
francesco hayez
(1791 Venedig – 1882 Mailand)
(1791 Venice – 1882 Milano)
Selbstbildnis des Künstlers beim Zeichnen. Lithographie auf gewalztem China. 45,5 x 36,6 cm. Im Stein signiert, mit dem Monogrammstempel des Künstlers. Um 1830. Calabi (Saggio sulla Litografia. La prima produzione italiana in rapporto a quello degli altri paesi sino al 1840) 34.
Self-portrait of the Artist Drawing. Lithograph on Chine appliqué. 45.5 x 36.6 cm. Signed on the stone, with the stamped monogram of the artist. Circa 1830. Calabi (Saggio sulla Litografia. La prima produzione italiana in rapporto a quello degli altri paesi sino al 1840) 34.
Das seltene, lithographierte Selbstbildnis zeigt den etwa vierzigjährigen Künstler, in einem Lehnsessel sitzend und zeichnend. Er ist in einen weiten Malerkittel gekleidet, auf dem Kopf trägt er ein weiches Samtbarett. Diese Attribute seines Berufsstandes trägt der gefeierte Meister, der um 1830 auf dem Zenit seines Ruhms stand, mit stolzem Selbstbewußtsein. Hayez blickt von seinem Blatt auf und fixiert den Betrachter mit eindringlichem, melancholischem Blick. Die dunklen, sprechenden Augen, die Nase und der Mund, sowie das krause Haar der Backenbärte und einer Locke, die unter dem Barett hervorschaut, sind mit großer Sensibilität charakterisiert. Die weichen Übergänge und die subtile Lichtführung auf dem Gesicht und auf den wunderbar lebendig wiedergegebenen Händen des Künstlers zeigen, daß Hayez, der Virtuose der italienischen Romantik, sich nicht nur in der Malerei, sondern auch in der Technik der Lithographie eine große Meisterschaft angeeignet hatte. Zwischen 1828–1834 hatte der Künstler eine Reihe von Arbeiten in diesem Medium angefertigt, die von dem Mailander Verleger Vassalli herausgegeben wurden. Unser Blatt dürfte um 1831 entstanden sein und besticht durch seine Unmittelbarkeit und Lebensnähe.
This very rare, lithographed self-portrait shows the artist at the age of about forty, sitting on a chair and drawing. He is dressed in a loose painter’s smock and on his head is a soft velvet beret. The celebrated master, who was at the height of his fame around 1830, bears these attributes of his profession with proud confidence. Hayez is looking up from his sheet of paper and is fixing the beholder with a penetrating, melancholy gaze. The dark, eloquent eyes, the nose and the mouth, the curly hair of his side whiskers and the lock peeping out from under the beret are rendered with great sensitivity. The soft transitions and the subtle play of light on the face and the wonderfully lifelike hands of the artist show that Hayez, the virtuoso of Italian Romanticism, had acquired great mastery not only in painting, but also in lithography. Between 1828 and 1834 the artist used this technique to produce a series of works which were published by the Milanese publisher Vassalli. The present portrait, which probably dates to about 1831, relies not on Romantic sublimation, but on closeness to life and realistic simplicity to exert its impact.
Ausgezeichneter Druck mit Rand. Minimal stockfleckig, leichte Altersspuren, sonst gut erhalten.
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A superb, contrasting impression with margins. Some foxing, slight aging, otherwise well preserved.
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45. robert kummer
robert kummer
(1810–1889, Dresden)
(1810–1889, Dresden)
Südliche Landschaft mit einem meditierenden Mönch. Bleistiftzeichnung. 18,4 x 23,9 cm. Signiert und datiert: R. Kummer. Rom. 1835.
A Southern Landscape with a Meditating Monk. Pencil drawing. 18.4 x 23.9 cm. Signed and dated: R. Kummer. Rome. 1835.
Robert Kummer wurde 1825 in jugendlichem Alter von fünfzehn Jahren Schüler der Dresdener Akademie und erhielt seine künstlerische Ausbildung bei Carl August Richter und Johan Christian Clausen Dahl. Er debütierte 1830 erfolgreich als Landschaftsmaler und erhielt ein königliches Reisestipendium, das ihm den ersten Studienaufenthalt in Italien (1832/33) ermöglichte. 1834 erwarb der Sächsische Kunstverein zwei seiner Ölgemälde mit Motiven aus Capri und Pozzuoli. Im gleichen Jahr reiste Kummer erneut nach Italien und war bis 1837 in Rom sesshaft. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland lebte der Künstler bis zu seinem Tode in Dresden und tat sich als Vertreter einer spätromantischen Landschaftsmalerei in seiner Geburtstadt erfolgreich hervor.
Robert Kummer became a pupil of the Dresden Academy in 1825 at the early age of fifteen and received his artistic training from Carl August Richter and Johan Christian Clausen Dahl. He made a successful debut as a landscape painter in 1830, receiving a royal travel stipend that enabled him to make his first study trip to Italy (1832/33). In 1834, the Saxon Art Association acquired two of his oil paintings featuring motifs from Capri and Pozzuoli. That same year Kummer again travelled to Italy and was resident in Rome until 1837. After his return to Germany the artist lived in Dresden until his death, enjoying a successful career in his native town as a representative of Late Romantic landscape painting.
Die intime, stimmungsvolle Szene aus dem Frühwerk, die eine weite Küstenlandschaft am Golf von Neapel wiedergibt, ist in einem präzisen und konzentrierten Duktus ausgeführt. Mit spitzem Bleistift hat der Künstler die unterschiedliche Beschaffenheit von Terrain und Vegetation aufmerksam und liebevoll skizziert. Die Textur der verwitterten Baumstämme und das üppige Laub der imposanten Steineichen sind abwechslungsreich und künstlerisch anspruchsvoll charakterisiert, während die subtile Wischtechnik weiche Übergänge erzeugt. Die einsame Gestalt eines meditierenden Mönchs erhöht den romantischen Stimmungsgehalt der Darstellung und erinnert thematisch an Carl Blechen.
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This intimate, atmospheric scene from his early work, showing a wide coastal landscape on the Gulf of Naples, is executed in a precise and concentrated style. Employing a sharp pencil, the artist has attentively and lovingly rendered the different textures of terrain and vegetation. The weathered trunks and luxuriant foliage of the imposing holm oaks have been depicted with a high standard of artistry, while a subtle wipe technique has been used to produce convincingly soft transitions. The solitary figure of a meditating monk enhances the Romantic mood of the scene and is thematically reminiscent of the work of Carl Blechen.
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carl august lebschée
carl august lebschée
(1800 Schmiegel – 1877 München)
(1800 Schmiegel – 1877 Munich)
Siebzehen / in Kupfer radirte Studien / von / C:Lebschée / Landschaft-Maler. Titelblatt, 16 Radierungen auf 9 Blatt gedruckt. 5,5 x 7,5 cm bzw. 8,5 x 12,8 cm. Im graugrünen Original-Papierumschlag. Andresen 3, Nagler 2.
Seventeen / studies etched in copper / by / C: Lebschée / Landscape Painter. Title page, 16 etchings printed on 9 sheets. 5.5 x 7.5 cm and 8.5 x 12.8 cm. In the original greyish-green original paper envelope. Andresen 3, Nagler 2.
Die seltene Suite ist ein charakteristisches Beispiel für die romantische Landschaftsauffassung, wie sie in den 1820er Jahren in München praktiziert wurde. Lebschée war seit 1814 Schüler der Münchener Akademie, wo er bei Wilhelm von Kobell, Johann Georg Dillis und Johann Jakob Dorner die Landschaftsmalerei erlernte, während er von Carl Ernst Christoph Heß in der Radierkunst unterwiesen wurde. Lebschées gediegene handwerkliche Ausbildung spiegelt sich im künstlerischen Qualitätsniveau dieser delikat behandelten Folge von waldigen Landschaften wider. Auf kleinem Format ist ein Summum an atmosphärischer Dichte und romantischem Stimmungsgehalt erreicht worden.
This rare suite is a characteristic example of the Romantic idea of landscape as practised in Munich in the 1820s. In 1814, Lebschée was admitted to the Munich Academy, where he studied landscape painting under Wilhelm von Kobell, Johann Georg Dillis and Johann Jakob Dorner, while also receiving instruction in the art of etching from Carl Ernst Christoph Hess. Lebschée’s sound training as a craftsman is reflected in the artistic quality of this delicately treated set of wooded landscapes, in which a maximum of atmospheric density and romantic mood has been achieved within a small format.
Die bildmäßigen und kompositorisch konzentrierten Darstellungen sind mit einem engmaschigen Netz feiner, abwechslungsreicher Schraffuren überzogen, die reiche tonale Abstufungen und eine lebhafte Helldunkel-Wirkung erzeugen. Lebschée besitzt eine ausgesprochene Vorliebe für das pittoreske und erzählerische Detail, wirkt jedoch nie klischeehaft. Einzelne Motive zeigen den Einfluß Adrian Zinggs und der romantischen Landschaftstradition der Dresdener Schule. Ausgezeichnete, nuancierte Drucke mit dem vollen Rand, das letzte Blatt auf einem unterschiedlichen zeitgenössischen Untersatz. Das Papier etwas gebräunt, stockfleckig; das Schlußblatt der Folge mit Leimspuren an den Ecken und einem kleinen Papierverlust rechts unten. Aus der Sammlung Johann Nepomuk Seiler (1793 München – 1876 Kempten, nicht bei Lugt).
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These tautly composed studies are covered with a dense network of fine, varied hatchings, which create rich tonal gradations and a lively chiaroscuro effect. Lebschée has a marked predilection for picturesque narrative detail which, however, is never allowed to descend into cliché. Individual motifs show the influence of Adrian Zingg and the Romantic landscape tradition of the Dresden school. Excellent, nuanced impressions with full margins, the final print in the series on a different, contemporary mounting. The paper is somewhat discoloured and foxed; the final print with unobtrusive traces of glue at the corners, a minor paper loss at the bottom right corner. From the Johann Nepomuk Seiler Collection (1793 Munich – 1876 Kempten, not in Lugt).
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47. adolph von menzel
adolph von menzel
(1815–1905, Berlin)
(1815–1905, Berlin)
Studienblatt mit zwei eleganten jungen Frauen, einer Kopfstudie sowie der Studie einer Hand. Bleistiftzeichnung, gewischt. 20,9 x 12,9 cm. Monogrammiert und datiert: A. M. 92, mit einer eigenhändigen Widmung: „Herrn Rummel zur Erinnerung 96“.
Study Sheet with Two Elegant Young Women, a Head Study and the Study of a Hand. Pencil drawing and stumping. 20.9 x 12.9 cm. Monogrammed and dated: A. M. 92, with a dedication in the artist’s own hand: „Herrn Rummel zur Erinnerung 96“.
Das anmutige und virtuos aufgefaßte Studienblatt gehört dem Spätwerk des Künstlers an und zeigt Menzel auf der Höhe seiner Kunst. Studienzeichnungen mit Halbfiguren in unterschiedlichsten Posen kommen in den 1890er Jahren in größerer Zahl vor, jedoch sind es vorwiegend Darstellungen älterer Menschen.
This charming and brilliant study sheet, which belongs to the artist’s late work, shows Menzel at the top of his form. Although half-length figure study drawings in various poses appear frequently in the 1890s, they usually show older people.
Die vorliegende Zeichnung dürfte in Zusammenhang mit den Vorstudien für die Kissinger Gouachen entstanden sein – es handelt sich um genrehaft belebte, vielfigurige Darstellungen der dortigen Promenade und Ausflugslokale (1890–93, Tschudi 673, 674 und 676) –, jedoch kam sie auf keiner dieser Kompositionen zur Verwendung. Sie gehörte zu dem „Vorrat“ an gezeichneten Bilderfindungen, die Menzel mit fast manischem Schaffensdrang sammelte. Was ihn am vorliegenden Sujet gereizt haben mag, ist das Wechselspiel zwischen der unterschiedlichen Stoffbehandlung der modischen, femininen Kleidung und der Frische des jugendlichen, weichen Inkarnats. Die stark abkürzende, jedoch künstlerisch völlig überzeugende Wiedergabe der koketten, reich geschmückten Hütchen ist eine zeichnerische Glanzleistung. Durch eine fein abgestufte Strichdichte des Zeichenstiftes und subtile Wischeffekte gelingt Menzel ein Höchstmaß an Stofflichkeit und Lebensnähe. Subtil und einfühlsam ist das Spiel des weichen Lichtes auf den jungen Frauengesichtern wiedergegeben. Mit einer hauchdünnen Linie sind die Umrisse ihrer Gesichter treffsicher definiert. Details, wie einzelne, sich kräuselnde Ringellöckchen, das im Nacken geflochtene volle Haar und die feinen Ohrmuscheln sind mit einem körnigeren, unterschiedlich dichten Strich behandelt, wodurch weichste Übergänge entstehen. Es sind eher alltägliche Frauen, die Menzel uns hier zeigt – das Mädchen rechts oben hat er auch en face porträtiert und sie schaut uns mit verträumten Puppenaugen an – , dennoch gelingt es ihm, diesen anonymen Wesen Grazie, Anmut und in gewisser Weise auch Unsterblichkeit zu verleihen.
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The present drawing probably came about in connection with the preliminary studies for the Kissinger gouaches. These were genre-like, multi-figure portrayals of the local promenade and the hostelries catering to day-trippers (1890–93, Tschudi 673, 674 and 676), yet it was not used for any of these compositions. It belonged to the “stock” of pictorial inventions that Menzel collected with an almost manic creative urge. What may have appealed to him in the present subject is the interplay between the differently treated textures of the fashionable, feminine clothing and the freshness of the soft, youthful flesh tints. The starkly reductive, though artistically wholly convincing rendering of the coquettish, richly decorated little hats is a triumph of draughtsmanship. Using finely graded variations in the pencil line and subtle wipe effects, Menzel creates an intense sense of texture and trueness to life. The play of the soft light on the young women’s faces is rendered with subtlety and sensitivity. Gossamer-thin lines are used to outline their faces with perfect accuracy. Individual details, such as the ringlets, the pleat in the nape of the neck and the delicate auricles, have been treated with a grainier line of varying thickness, giving rise to the softest of transitions. It is likely that these are ordinary women whom Menzel is showing us here – the girl at the top left has had her portrait made en face and is gazing at us with dreamy doll’s eyes – yet he has managed to endow these anonymous beings with grace, charm and a certain immortality.
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48. domenico ii quaglio
domenico ii quaglio
(1786 München – 1837 Hohenschwangau)
(1786 Munich – 1837 Hohenschwangau)
Ansicht der Kathedrale von Orvieto. Bleistiftzeichnung. 67,9 x 71,4 cm. Signiert: „DQuaglio ft“, eigenhändig bezeichnet: „Cathedrale in Orvieto“. 1830.
A View of Orvieto Cathedral. Pencil drawing. 67.9 x 71.4 cm. Signed: „DQuaglio ft“, and inscribed in the artist’s own hand: “Cathedrale in Orvieto”. 1830.
Die Darstellung beeindruckt allein schon durch ihr monumentales Format und ist eine künstlerische tour de force! Mit ungeheurer Präzision und zeichnerischer Disziplin hat Domenico Quaglio die Architektur eines der bedeutendsten gotischen Sakralbauten Italiens wiedergegeben. Dank einer hochentwickelten, traumwandlerisch sicheren Bleistifttechnik gelingt es ihm, die feinen Details der filigranen Ornamentik, der Wimperge und Pinakel kristallklar zu charakterisieren. Sogar die Portalreliefs Lorenzo Maitanis sind in ihren Einzelheiten deutlich erkennbar. Die Kathedrale ist aus der Untersicht erfasst, wodurch die Fassade majestätisch aufragt und die räumliche Ausdehnung des imposanten Baus wirkungsvoll akzentuiert wird. In einem lockeren Duktus sind einzelne Staffagefiguren skizziert, die der Zeichnung eine allzu große Rigidität nehmen und dem Ganzen eine leichte, unbeschwerte Note verleihen. Eine derartig souverän und detailliert durchgeführte Zeichnung dürfte mehrere Tage konzentrierter Arbeit vor Ort abverlangt haben. Der Künstler wird sein Blatt an einem Zeichenbrett befestigt und zwecks größerer Stabilität eine Reisestaffelei benutzt haben. Mit dem Lineal sind die Hilfslinien für die akkurat konstruierte Perspektive gezogen. Man kann sich leicht vorstellen, wie sich die Lokalbevölkerung neugierig um den beflissenen Zeichner geschart hat, um ihm bei seiner Fleißarbeit zuzuschauen.
The drawing, impressive enough in terms of its sheer size, is an artistic tour de force! Domenico Quaglio has rendered the architecture of one of Italy’s most important sacred buildings with immense precision and disciplined draughtsmanship. Using a sophisticated and seemingly effortless pencil technique, he has succeeded in capturing with crystal clarity the finest details of the filigreed ornamentation, Gothic gables and pinnacles. Even Lorenzo Maitani’s portal reliefs are clearly recognizable down to the last detail. The cathedral is viewed from a low angle, causing the façade to rise up majestically, thereby effectively accentuating the scale of the imposing structure. A few staffage figures have been casually sketched in to prevent the drawing from appearing excessively rigid, thus giving the whole a lighter, carefree note. Such a masterly and detailed drawing must have taken several days of concentrated work on the spot. The artist will have mounted his sheet on a drawing board, probably using a travelling easel to ensure greater stability. Auxiliary lines have been drawn with a ruler to ensure accuracy of perspective. One can easily imagine the local populace gathering curiously around the industrious draughtsman to see him perform his never-ending task.
Der Architektur- und Theatermaler, Radierer und Lithograph Domenico Quaglio war Sproß einer aus Oberitalien stammenden Künstlerfamilie, die sich Ende des 18. Jahrhunderts in München niedergelassen hatte. Domenico war Schüler seines Vaters Giuseppe und wurde weiter von Carl Ernst Christoph Hess und Joseph Mettenleiter künstlerisch ausgebildet. Seit 1803/04 war er als Dekorationsmaler am Münchener Hoftheater tätig. Domenico Quaglio gilt als der Begründer der Münchener Architekturmalerei und zählt zu den bedeutendsten Vedutenmalern der deutschen Romantik. Die vorliegende Ansicht dürfte während einer Italienreise entstanden sein, die der Künstler 1830 unternahm und während derer er etwa 120 historische Bauwerke mit wissenschaftlicher Akribie zeichnerisch erfasste. Viele seiner Zeichnungen und Gemälde besitzen daher neben ihren künstlerischen Meriten auch einen beachtlichen architekturhistorischen Dokumentationswert.
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An architectural painter, scenographer, etcher and lithographer, Domenico Quaglio was the scion of an artistic family originating from Northern Italy that settled in Munich at the end of the 18th century. Domenico was a pupil of his father Giuseppe and received further artistic training from Carl Ernst Christoph Hess and Joseph Mettenleiter. In 1803/04 he was appointed stage designer at Munich’s Hoftheater. Domenico Quaglio is considered to be the founder of Munich architectural painting and is one of the most important veduta painters of German Romanticism. The present view was probably produced during a trip the artist undertook to Italy in 1830, when he made drawings of around 120 historic buildings with scrupulous accuracy, so that many of his drawings and paintings, quite apart from their artistic merits, also have considerable documentary value for architectural history.
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49. luigi sabatelli
luigi sabatelli
(1772 Florenz – 1850 Mailand)
(1772 Florence – 1850 Milan)
Die Vision Daniels (Ich hatte während der Nacht eine Vision: Die vier Winde des Himmels wühlten das große Meer auf. Dann stiegen aus dem Meer vier große Tiere herauf; jedes hatte eine andere Gestalt.). Radierung. 45,7 x 64,5 cm. 1809. Nicht bei Nagler, Le Blanc und Heller-Andresen; Luigi Sabatelli: Disegni e Incisioni, Uffizi, Florenz 1978, Nr. 61.
The Vision of Daniel (I had a vision in the night, and, behold, the four winds of the heavens blew upon the great sea. And four great beasts came up from the sea, each one different.) Etching. 45.7 x 64.5 cm. 1809. Not in Nagler, Le Blanc, or Heller-Andresen; Luigi Sabatelli: Disegni e Incisioni, Uffizi, Florenz 1978, Nr. 61.
Der Maler und Radierer Luigi Sabatelli zählt zu den markantesten Vertretern des Neoklassizismus in Italien. Nach dem Kunststudium in seiner Geburtsstadt Florenz lebte und arbeitete Sabatelli zwischen 1789 und 1794 in Rom, wo er mit der neoklassischen Formenwelt vertraut wurde. Er wurde vor allem vom Klassizismus Davids angeregt und tendierte zu einer strengen, puristischen Auslegung dieser Stilrichtung, wie sie sich beispielsweise im Werke des David-Schülers François-Xavier Fabre offenbart. 1795 kehrte Sabatelli nach Florenz zurück. Unter dem Einfluß Antoine-Jean Gros’, des Kolorismus von Rubens und der venezianischen Maler des Cinquecento entwickelte Sabatelli eine lebhaftere, malerische Stilsprache, in der sich der Übergang vom Neoklassizismus zur Romantik vollzieht. Die Auffassung des Sublimen, die im Schaffen zeitgenössischer englischer Künstler wie Flaxman and Runciman eine dominierende Rolle spielt, sollte auch Sabatellis Werk grundlegend prägen. Charakteristisch für Sabatellis Zeit ist seine eklektisch gefärbte Themenwahl, die aus Themen der Bibel, der antiken Mythologie und der alten griechischen und römischen Geschichte ihre Inspiration schöpft.
The painter and etcher Luigi Sabatelli is one of the leading representatives of Neoclassicism in Italy. After studying the arts in his native town of Florence, Sabatelli went on to work in Rome between 1789 and 1794; here he became acquainted with Neoclassicism. He was especially inspired by Jacques-Louis David and practiced a pure version of his style similar to that of David’s pupil François-Xavier Fabre. In 1795 Sabatelli returned to Florence. Under the influence of Antoine-Jean Gros and the colorism of Rubens and Venetian painting of the Cinquecento, Sabatelli developed a more lively, painterly stylistic language in which the transition from Neoclassicism to Romanticism is evident. The idea of the Sublime, which plays a major part in the work of contemporary English artists such as Flaxman and Runciman, has also become important to Sabatelli’s work. His eclectic choice of themes from the Bible, legends, antique mythology, and Greek and Roman history is a characteristic phenomenon of the art of his time.
Die meisterhaft ausgeführte Darstellung der Vision Daniels ist ein charakteristisches Beispiel dieser neuen, stark romantisch geprägten Attitude. In einer hochindividuellen, dramatisch bewegten Inszenierung schildert Sabatelli die Erscheinung des alttestamentarischen Weissagers (Buch Daniel 7, 1–28), in der vier apokalyptische Tiere dem Meer entsteigen. Mit seiner detaillierten Schilderung der angsterregenden Fabeltiere folgt Sabatelli dem Urtext des Propheten sehr genau. Ganz dem spektakulären Gehalt der Szene angemessen ist Sabatellis Anwendung der Radiertechnik, die ungemein vielseitig ist und sich einer bemerkenswert abwechslungsreichen Skala von graphischen Abbreviaturen bedient. Gekurvte Parallellagen, Kreuzschraffuren unterschiedlichster Dichte, Pünktchen und Strichelchen verbinden sich zu einem graphischen Muster von betörender, tonaler Wirkung. Prachtvoller, gegensatzreicher und gleichmäßiger Druck mit dem vollen Rand. Leichte Gebrauchsspuren, sonst vorzüglich erhalten.
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The artist’s masterly depiction of Daniel’s vision is a typical example of this new Romantic attitude. In a remarkably individual, expressive scenario Sabatelli illustrates the vision of the Old Testament prophet (Daniel, chapter 7, 1–28), in which four apocalyptic beasts emerge from the sea. Sabatelli closely follows the biblical text in his detailed rendering of the fantastic and terrifying creatures. His skilful and highly developed etching technique allows him to describe the extraordinary scene with maximum drama. Curved parallel lines and crosshatching of varying densities, stipple dots and short strokes connect to a dense graphic pattern that establishes astonishing tonal effects. A superb, contrasting, and even impression with margins around the platemark. Slight handling traces, otherwise perfect.
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50. ludwig ferdinand schnorr von carolsfeld (1788 Königsberg – 1853 Wien)
Studienblatt mit einem rechten Arm und einer linken Hand, die eine Schale halten. Schwarze Kreide und Rötel auf graugrünem Papier. 21,3 x 31 cm. Um 1839. Verso mit dem Nachlaßstempel. Die Studie ist eine Vorzeichnung für das monumentale Wandgemälde „Die Speisung der Fünftausend“ (Johannesevangelium 6, 1–15), das Schnorr von Carolsfeld im Jahre 1839 für das Refektorium des armenischen Mechitaristenklosters in Wien ausgeführt hat. Die auf Leinwand gemalte Komposition nimmt die ganze Breite des Refektoriums (6 m) ein und folgt oben dem Verlauf des Gewölbes. Dargestellt ist die erste wundersame Brotvermehrung, wie sie in den vier Evangelien beschrieben wird. Unsere Zeichnung ist eine Vorstudie für den Knaben in der Mitte der Komposition, der Jesus eine Schale reicht (siehe Abb. S. 157). Die vielfigurige, räumlich komplex strukturierte Komposition schildert nicht nur den eigentlichen Vorgang, sondern auch eine Reihe von Folgeereignissen und besticht durch eine konzentrierte dramaturgische Inszenierung, die dem Betrachter die emotionale Teilnahme am Geschehen ermöglichen sollte. Eindringlich und abwechslungsreich sind die unterschiedlichen Gemütsregungen und Gesten der einzelnen Protagonisten charakterisiert. Obwohl das Honorar nach den Worten Schnorr von Carolsfelds „kärglich“ war, stellte der Auftrag einen Prestigerfolg für den Künstler dar. Das Gemälde gehört zu den bedeutendsten Werken der nazarenischen Bewegung in Österreich, im Rang mit den Fresken der Casa Bartholdy in Rom und in der Münchener Residenz vergleichbar. In ihrer puristischen Linienschönheit und ihrem unbestechlichen Formgefühl offenbart unsere Vorstudie, wie stark Schnorr von Carolsfeld den künstlerischen Prinzipien der Nazarener verpflichtet war.
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Zuerst von seinem Vater Hans Veit Friedrich Schnorr von Carolsfeld ausgebildet, studierte Ludwig ab 1804 an der Wiener Akademie unter Heinrich Füger. Hier kam er mit den katholischen Kreisen der Wiener Romantik in Berührung und wurde maßgeblich von den Anschauungen Friedrich von Schlegels beeinflusst. Seit 1811 entwickelte sich zwischen den Brüdern Ludwig und Julius Schnorr von Carolsfeld und Ferdinand und Friedrich Olivier eine fruchtbare Arbeitsgemeinschaft; die Bekanntschaft mit Joseph Anton Koch, der 1812–15 in Wien lebte und arbeitete, erwies sich als ein weiterer bedeutender stilprägender Faktor. 1818, nach dem Tode Heinrich Fügers, bewarb sich Schnorr von Carolsfeld vergeblich um eine Professur an der Wiener Akademie; sein Bruder Julius traf im selben Jahr in Rom ein, wo er sich den Nazarenern anschloß. Die weitere künstlerische Laufbahn Schnorr von Carolsfelds stand unter einem günstigen Stern. Er wurde tatkräftig von Erzherzog Johann gefördert und war für diesen von 1818 bis 1828 als Kammermaler in der Steiermark tätig. Auf Fürsprache seines Mentors wurde Schnorr von Carolsfeld 1835 zum Mitglied der Wiener Akademie ernannt; 1843 erfolgte die Berufung zum Oberkustos der kaiserlichen Gemäldesammlung im Schloß Belvedere. Auch sein Wirken als Lehrer blieb nicht folgenlos. Moritz von Schwind gilt als sein bedeutendster Schüler. Verso mit einer Studie eines antiken weiblichen Kopfes. Aus der Sammlung Franz Winzinger (Lugt 2600a, recto), verso mit dem Nachlaßstempel.
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50. ludwig ferdinand schnorr von carolsfeld (1788 Königsberg – 1853 Vienna)
Study Sheet with Right Arm and Left Hand Holding a Bowl. Black and red chalk on grey-green paper. 21.3 x 31 cm. Circa 1839. Verso with estate stamp. This study is a preliminary drawing for the monumental mural “The Feeding of the Five Thousand” (St. John 6, 1–15), which Schnorr von Carolsfeld executed in 1839 for the refectory of the Armenian Mechitarist Monastery in Vienna. Painted on canvas, the composition encompasses the whole width of the refectory (6 m) and follows the course of the vault above. What is shown is the first miracle of the loaves and fishes, as described in the four Gospels. Our drawing is preparatory for the small boy standing in the centre of the composition to the left of Jesus. The multi-figure, spatially complex composition not only depicts the miraculous occurrence itself, but also a number of subsequent events. The effect is that of a coherent dramatic production in which the beholder is able to participate emotionally in what is going on. The various emotions and gestures of the individual protagonists are well brought out. Although the fee was, as Schnorr von Carolsfeld put it, “meagre”, the commission constituted a succès d’estime for the artist. The painting belongs to the most important works of the Nazarene movement in Austria, ranking with the frescoes of the Casa Bartholdy in Rome and the Munich Residenz. In its purity of line and uncompromising sense of form this preliminary study reveals how much Schnorr von Carolsfeld owed to the artistic principles of the Nazarenes.
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Initially trained by his father, Hans Veit Friedrich Schnorr von Carolsfeld, Ludwig went on to study under Heinrich Füger at the Vienna Academy in 1804. Here he came into contact with the Catholic circles of Viennese Romanticism and was strongly influenced by the views of Friedrich von Schlegel. Starting in 1811, a fruitful association developed between the Schnorr von Carolsfeld brothers (Ludwig and Julius) and the Olivier brothers (Ferdinand and Friedrich). Their acquaintanceship with Joseph Anton Koch, who lived and worked in Vienna between 1812 and 1815, proved another significant stylistic influence. In 1818, after the death of Heinrich Füger, Ludwig applied unsuccessfully for a professorship at the Vienna Academy. That same year his brother Julius arrived in Rome, where he joined the Nazarenes. Ludwig’s later artistic career got off to an auspicious start. He was vigorously backed by his sponsor Archduke Johann, who employed him as a chamber painter in Styria from 1818 to 1828. At the instance of his mentor, Ludwig was made a member of the Vienna Academy in 1835 and appointed senior custodian of the Imperial collection of paintings at Schloss Belvedere in 1843. Nor was his work as a teacher without influence. Moritz von Schwind is held to be his most important pupil. On the verso a study of a classical female head. From the Franz Winzinger Collection (Lugt 2600a, recto), verso with the estate stamp.
L. F. Schnorr von Carolsfeld. The Feeding of the Five Thousand. Oil on canvas. Vienna, Armenian Mechitarist Monastery.
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51. jean pierre sudre
jean pierre sudre
(1783 Albi – 1866 Paris)
(1783 Albi – 1866 Paris)
La Tête de l’Odalisque. Lithographie nach Ingres. 49,4 x 49,4 cm. 1827. Béraldi XII, S. 63.
La Tête de l’Odalisque. Lithograph after Ingres. 49.4 x 49.4 cm. 1827. Béraldi XII, p. 63.
Ingres hatte seine Grand Odalisque mit nur geringem Erfolg auf dem Pariser Salon des Jahres 1827 ausgestellt. Das 1814 in Rom entstandene Gemälde stieß beim Publikum und bei der offiziellen Kunstkritik auf Ablehnung wegen der als unnatürlich und manieriert empfundenen Proportionen der nackten Haremssklavin und des provozierenden erotischen Gehaltes der Darstellung. Heutigen Betrachtern fällt es schwer, zu verstehen, daß die außerordentliche malerische Verfeinerung und Eleganz dieses Meisterwerkes den Zeitgenossen offenbar verschlossen blieben. Dennoch hat das Gemälde seit seiner Entstehung einen maßgeblichen Einfluß auf die französische Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts ausgeübt und Lichtgestalten der Moderne wie Matisse und Picasso in ihrer Anschauungsweise wesentlich geprägt (siehe Ausstellungskatalog Ingres. The Pursuit of Perfection, bearb. von P. Condon, M. B. Cohn und A. Mongan, Louisville – Fort Worth, 1983–84, S. 126ff).
Ingres had been only moderately successful in exhibiting his Grande Odalisque at the Paris Salon of 1827. The painting done in Rome in 1814 was rejected by the general public and official art critics alike because of the proportions of the naked harem slave, which were felt to be unnatural and affected, and the provocative erotic charge of the portrayal. Today’s observers find it hard to understand that the ultimate in picturesque refinement and elegance of this masterpiece was evidently invisible to the artist’s contemporaries. Nevertheless, the painting exercised a powerful influence on 19th and 20th century French painting and left its mark in the vision of such Modernist luminaries as Matisse and Picasso (see exhibition catalogue Ingres. The Pursuit of Perfection, by P. Condon, M. B. Cohn and A. Mongan, Louisville – Fort Worth, 1983–84, p. 126ff).
Diesem Prestige entspricht eine Reihe von graphischen Reproduktionen, die bereits in den 1820er Jahren veröffentlicht wurden. 1826 gab Delpech eine kleine lithographierte Fassung heraus; im gleichen Jahr schuf der Autor unseres Blattes, Jean Pierre Sudre, eine großformatige Lithographie, für die Ingres eigens eine sehr qualitätvolle Vorzeichnung geliefert hatte. Die graphische Nachbildung weicht in einem Detail vom Gemälde ab, indem Ingres die Darstellung im Vordergrund um ein kleines Stilleben ergänzte. Ingres muß die handwerklichen Fähigkeiten des Lithographen Sudres geschätzt haben, der aus Albi stammte, unweit von Ingres’ Geburtsort Montauban. Wie Ingres war auch Sudre aus dem Atelier Davids hervorgegangen und diese Gemeinsamkeit mag die Beziehungen verfestigt haben, denn bereits 1827 entstand die vorliegende Lithographie, die nur Kopf und Schultern der Odalisque lebensgroß wiedergibt. Das Blatt ist in einer verfeinerten und hochentwickelten Technik ausgeführt, die Ingres’ Qualitätsansprüchen vollends genügt haben mag. Mit subtilen, eng geführten Schraffurmustern ist das Inkarnat weich und einfühlsam modelliert. In einem breiteren Duktus ist die Stofflichkeit des orientalischen Kopftuchmusters plastisch und fast tastbar herausgearbeitet. Die nackten, weich gerundeten Schultern und der melancholische, sinnliche Blick der jungen Frau strahlen eine latent erotische Anziehungskraft aus, der sich auch der heutige Betrachter nicht entziehen kann. Prachtvoller, nuancierter Druck mit breitem Rand. Leichte Altersspuren, geringfügig stockfleckig, sonst vorzüglich erhaltenes Exemplar.
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Thie impact of Ingres’s creation is reflected by a series of graphic reproductions published as early as the 1820s. In 1826 Delpech published a small lithographed version. That same year the author of this print, Jean Pierre Sudre, created a large-format lithograph, for which Ingres had specially supplied a high-quality preliminary drawing. The graphic copy deviates from the painting in one detail in that Ingres supplemented the portrayal by adding a small still life in the foreground. Ingres must have appreciated the craftsmanlike skills of the lithographer Sudre, who came from Albi, a town not far from Ingres’ birthplace, Montauban. Like Ingres, Sudre was also a product of David’s studio, and having this point in common may have consolidated their relations, since the present lithograph, which only reproduces the head and shoulders of the odalisque in life size, was produced as early as 1827. The print has been executed in a refined and sophisticated technique that probably fully satisfied Ingres’ quality standards. The flesh tints have been modelled softly and sensitively with subtle, dense hatching patterns. In a broader style, the material of the oriental headdress has been elaborately rendered in a way that makes it almost palpable. The naked, softly rounded shoulders and the melancholy, sensuous gaze of the young woman radiate a latent erotic attraction irresistible to the modern observer. A superb, nuanced impression, printed on the full sheet. Minor ageing and foxing, otherwise in perfect condition.
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52. abraham teerlink
abraham teerlink
(1776 Dordrecht – 1857 Rom)
(1776 Dordrecht – 1857 Rome)
Eine weite Campagnalandschaft mit einem Kuhhirten auf einem Waldweg. Federzeichnung in Braun über einer leichten Graphitvorzeichnung, grau und braun laviert; Einfassungslinie in schwarzer Feder. 21 x 30,3 cm. Signiert: A.Teerlink.
A Wide Campagna Landscape with a Cowherd on a Forest Path. Pen and brown ink over a light graphite preliminary drawing, grey and brown wash; borderline in pen and black ink. 21 x 30.3 cm. Signed: A. Teerlink.
Die sehr fein durchgeführte, bildmäßige Landschaftsdarstellung ist ein charakteristisches Beispiel für Teerlinks Zeichenstil, der wesentlich von der Kunst der niederländischen Italianisanten des 17. Jahrhunderts geprägt wurde. Teerlink war ein Schüler von Michiel Versteegh und Jan Kelderman. Ein Reisestipendium von Louis Bonaparte, König von Holland, ermöglichte ihm 1807 einen Studienaufenthalt in Paris, wo er sich im Atelier von David künstlerisch weiterschulte. Ende 1808 reiste Teerlink nach Rom und lebte und arbeitete hier bis zu seinem Tode. Teerlink machte in Italien eine erfolgreiche Karriere als Landschaftsmaler und entwickelte sich zu einer führenden Persönlichkeit unter der in Rom lebenden holländischen Künstlerschaft. In reifem Alter heiratete er die wesentlich jüngere toskanische Malerin Anna Muschi.
This very fine, picturesque landscape is a very characteristic example of Teerlink’s drawing style, which was strongly influenced by the art of the 17th century Dutch Italianates. Teerlink was a pupil of Michiel Versteegh and Jan Kelderman. In 1807, a travel stipend from Louis Bonaparte, King of Holland, enabled him to make a study trip to Paris, where he continued his artistic training in David’s studio. In late 1808, Teerlink travelled to Rome, where he lived and worked until his death. Teerlink had a successful career in Italy as a landscape painter and was a leading figure in the Dutch artistic community in Rome. Late in life he married the much younger Tuscan painter Anna Muschi.
Die Zeichnung ist in einem detaillierten und konzentrierten Duktus ausgeführt. Kompositorisch und stilistisch wesentlich dem Vorbild holländischer Italianisanten wie Nicolaes Berchem und Adam Pynacker verpflichtet, ist es mehr die souveräne Technik als die Originalität der Erfindung, die beeindruckt. Vegetation und Landschaft sind in einer akkuraten Federtechnik stofflich und räumlich überzeugend charakterisiert. Die flüssigen, subtil und treffsicher gesetzten Lavierungen erhöhen den Stimmungsgehalt der Landschaft und suggerieren eine Atmosphäre pastoraler Harmonie und Friedens. Aus den Sammlungen A. G. Weigel, Leipzig (handschriftlicher Vermerk), W. Kunis (Lugt 2635) und Holtkot (nicht bei Lugt).
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This drawing is executed in a detailed and concentrated manner. In terms of composition and style it closely follows the example of such Dutch Italianates as Nicolaes Berchem and Adam Pynacker, and so it is the masterly technique rather than any originality or inventiveness that is impressive. A meticulous pen technique has been used to convincingly render the texture and layout of the vegetation and the landscape. The fluid, subtle and accurately applied washes enhance the mood of the landscape and suggest an atmosphere of pastoral harmony and peace. From the collections of A. G. Weigel, Leipzig (handwritten note), W. Kunis (Lugt 2635) and Holtkot (not in Lugt).
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53. pierre bonnard (1867 Fontenay-aux-Roses – 1947 Le Cannet/Cannes)
Petites Scènes Familières. 19 Lithographien auf Chine volant. 4to-kl. folio (Blattgröße). Monogrammiert mit dem Pinsel in Blau und Rot. 1893. Roger-Marx 6–24; Bouvet 6 – 24. Bei den Petites Scènes Familières handelt es sich um das erste illustrierte Werk, das Bonnard als Graphiker geschaffen hat und das 1893 vom Pariser Verleger F. Froment in Buchform herausgegeben wurde. Die subtil und humorvoll beobachteten Szenen, die in einer genial verkürzenden und prägnanten Stilsprache behandelt sind und den jungen Bonnard bereits auf der Höhe seiner Kunst zeigen, illustrieren musikalische Kompositionen von Claude Terrasse, dem Schwagers des Künstlers. Der Zyklus gilt als ein frühes Meisterwerk der Nabis und verkörpert die ästhetischen Prinzipien ihres Stils auf exemplarische Weise. Bonnard, der anfänglich eine Juristenlaufbahn angestrebt hatte, war zuerst als Autodidakt künstlerisch tätig und begann 1887 das Kunststudium an der bekannten Pariser Académie Julian. Inspiriert durch die Bekanntschaft mit dem Schaffen Gauguins und Emile Bernards schloß er sich 1889 der Künstlergruppe der Nabis an und gehörte bald gemeinsam mit seinem Freund Edouard Vuillard zu den wichtigsten Mitgliedern dieser innovativen und schöpferischen Künstlergemeinschaft. Bonnard zeigte sich in seiner künstlerischen Entwicklung nicht nur den fortschrittlichen Tendenzen in der französischen Malerei gegen-
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über aufgeschlossen, sondern wurde auch tiefgehend vom Erlebnis der japanischen Kunst geprägt. Der betont dekorative Charakter seiner graphischen Kunst, die daraus resultierende extreme Vereinfachung von Form und Raum und die bewegliche, kalligraphische Linienführung sind ohne das Beispiel des japanischen Farbholzschnitts nicht denkbar. Mit größter Ökonomie der künstlerischen Mittel gelingt es ihm, Szenen aus dem familiären Bereich und dem Großstadtleben unnachahmlich suggestiv und humorvoll darzustellen und auch den bescheidensten Aspekten des Alltagslebens einen ganz eigenen Zauber und Poesie zu verleihen. Der zeichnerische Duktus ist schwungvoll, heiter und besitzt eine fast musikalische Qualität, welche die melodischen Strukturen der Kompositionen von Claude Terrasse kongenial in das Schwarzweißmedium der Lithographie übersetzt. Vor dem Erscheinen der Buchausgabe druckte Bonnard etwa zwanzig komplette Folgen von Probedrucken auf Chine volant. Es handelt sich um Abzüge vor dem typographischen Text, die vom Künstler mit dem Pinsel monogrammiert wurden und wohl für den engeren Freundeskreis vorgesehen waren. Vom Titelblatt, das hier nicht vorliegt, sind lediglich zwei Exemplare bekannt. Stattdessen besitzt die vorliegende Folge den einfachen, vom Künstler selbst beschrifteten Umschlag aus graugrünem Büttenpapier. Unser Exemplar stammt direkt aus dem Familiennachlaß von Claude Terrasse.
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53. pierre bonnard (1867 Fontenay-aux-Roses – 1947 Le Cannet/Cannes)
Petites Scènes Familières. 19 lithographs on Chine volant. 4to crown octavo folio (sheet size). Monogrammed with the brush in blue and red. 1893. Roger-Marx 6 – 24; Bouvet 6 – 24. The Petites Scènes Familières are the first illustrated work that Bonnard produced as a printmaker, being issued in book form by the Parisian publisher F. Froment in 1893. The subtly and humorously observed scenes, which are treated in an ingeniously reductive and terse stylistic idiom and show the young Bonnard at the top of his form, illustrate musical compositions by Claude Terrasse, the artist’s brother-in-law. The cycle, considered to be an early masterpiece of the Nabis, embodies the aesthetic principles of their style in exemplary fashion. Bonnard, who had originally intended to become a lawyer, was initially self-taught as an artist before beginning to study art at the renowned Académie Julian in Paris in 1887. In 1889, inspired by his familiarity with the œuvres of Gauguin and Emile Bernard, he joined the group of artists Les Nabis and soon belonged, together with his friend Edouard Vuillard, to the most prominent members of that innovative and creative artistic community. In the course of his artistic development Bonnard was not only receptive to the progressive artistic tendencies in French painting, but was
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also profoundly influenced by his encounter with Japanese art. The emphatically decorative character of his graphic art, the extreme simplification of form and space it entailed, and the nimble, calligraphic linework would be inconceivable without the example of the Japanese colour woodcut. With great economy of means he succeeded in portraying scenes of family life and inner-city living in an inimitably suggestive and humorous way that lent even the humblest aspects of everyday life a magic and poetry all of their own. The drawing style is lively, spirited and possesses an almost musical quality, which ingeniously translates the melodic structures of Claude Terrasse’s compositions to the black-andwhite medium of lithography. Before the publication of the book edition Bonnard printed about twenty complete series of trial proofs on Chine volant. These were impressions before the typographical text that had been monogrammed by the artist with the brush and were probably intended for close friends. Only two impressions of the title page are known to exist, which is missing here. Instead, the present series possesses the simple envelope of grey-green, hand-made paper with lettering by the artist himself. Our copy originates directly from the family estate of Claude Terrasse.
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54.
edgar hilaire germain degas (1834–1917, Paris)
La sortie du bain. Radierung, Kaltnadel und Aquatinta auf cremefarbenem Velin mit teilweise sichtbarem Wasserzeichen „Freres“. 12,7 x 12,7 cm. Um 1879– 80. Delteil 39 XV (of XVII); Adhémar 49; Reed and Shapiro 42 XX (of XXII). Verso mit dem roten Degas Atelierstempel (Lugt 657). Edgar Degas ist zweifellos einer der größten graphischen Künstler aller Zeiten. Nur wenige seiner Zeitgenossen waren von einem ähnlichen Perfektionsdrang und einer solch unerbittlichen Strenge im Umgang mit sich selbst beseelt wie dieser geniale und melancholische Einzelgänger. Namentlich in seinem druckgraphischen Werk kommen Degas’ fast selbstquälerische Attitüde und sein unbezwingbares Bedürfnis, gefundene künstlerische Lösungen ständig auf ihre Gültigkeit zu überprüfen, ganz klar zum Ausdruck. Die große Zahl unterschiedlicher Druckzustände zeugt von einer höchst konzentrierten Arbeitsmethodik, die von Selbstzweifeln, ständigen Korrekturen und größter schöpferischer Gestaltungskraft gekennzeichnet ist. La sortie du bain ist dafür unstrittig der eindruckvollste Beweis. An keiner Radierung hat Degas so intensiv und zielstrebig gearbeitet, was durch die Zahl von nicht weniger als zweiundzwanzig unterschiedlichen Druckzuständen belegt wird, eine Tatsache, die dem Blatt einen singulären Status im gesamten druckgraphischen Schaffen verleiht (Abb. Seite 169). Jeder einzelne Druckzustand ist gekennzeichnet von – oft minimalen – Änderungen, Ergänzungen und neuen künstlerischen Ausdrucksmitteln für die Wiedergabe von Licht, Atmosphäre und Texturen. Es wird berichtet, daß Degas die Radierung im Hause seines Freundes Alexis Rouart anfing, nachdem ihn Glatteis an der Heimkehr behindert hatte. Das Blatt entstand um 1879/80, in einer Schaffensphase, in der der Künstler intensiv mit innovativen Drucktechniken experimentierte. Bereits im ersten Druckzustand hat Degas die Grundzüge der Komposition klar definiert und in den folgenden zwölf Druckzuständen kommt es lediglich zu subtilen Akzentverschiebungen, die jedoch überraschende Veränderungen des Gesamtbildes bewirken. Während beispielsweise das Erscheinungsbild der Radierung im siebten Druckzustand eher puristisch anmutet und auf klare Schwarz-Weißkontraste reduziert ist, gelangt der Künstler in den folgenden Etats zu immer mehr verfeinerten graphischen Formeln. Degas’ Radiernadel schafft ein dichtes, patchworkartiges Muster von
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eigenwilligen Schraffuren und hochdekorativen, filigranen Oberflächenstrukturen, die eine warme, vibrierende Lichtwirkung erzeugen. Das graphische Erscheinungsbild der Wandtapete, des Fauteuils und der Badewanne im Vordergrund sowie des perspektivisch kühn verkürzten Kamins zeigen ständige Metamorphosen, die von dem unermüdlichen Gestaltungswillen des Künstlers zeugen. Im vierzehnten Druckzustand ist der Körper der badenden Frau mit einer delikaten Aquatintakörnung versehen, die ihre Konturen weich und verschwommen erscheinen läßt und eine überzeugende Suggestion von warmer, pulsierender Körperlichkeit hervorruft. Interessanterweise entfernte Degas im letzten Druckzustand den Aquatintaton auf ihrem Körper, wodurch das ursprüngliche Erscheinungsbild der frühesten Etats wiederhergestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die Kupferplatte jedoch bereits so stark abgenutzt, daß es unmöglich war, weitere Abzüge zu drucken. Trotz der großen Zahl von Druckzuständen ist die Radierung sehr selten. Es wurden nur einzelne Abzüge von jedem Etat abgezogen, so daß sich die Gesamtauflage auf einige Dutzend Exemplare beläuft, die sich vorwiegend in musealem Besitz befinden (siehe Ausstellungskatalog Degas, Paris-Ottawa-New York 1988/89, S. 305ff). Es sind jedoch nicht nur diese technischen Finessen, die La sortie du bain zu einem erlesenen Kunstwerk machen. Der Wesenszug, der vielleicht am meisten hervorsticht, ist die absolute Originalität von Degas’ künstlerischer Anschauungsweise und sein einzigartiges Talent für pointierte Charakterisierung. Auf kleinstem Raum ist ein Summum an Atmosphäre, fluktuierendem Licht und sinnlicher Stofflichkeit geschaffen worden. Mit messerscharfem Beobachtungssinn hat Degas den plumpen, etwas unförmigen Körper der Frau charakterisiert, die sich ungelenk aus der Badewanne hochstemmt. Die gedämpfte Beleuchtung unterstreicht die Intimität der Szene. Ein Dienstmädchen breitet einen weichen Bademantel aus, humorvoll beobachtet der Künstler, wie ihr kokettes Gesichtchen über dem Rand hervorschaut. Die dekorativen Stoffmuster, die Blumenvasen auf dem Kamin und das bequeme Fauteuil strahlen häusliche Behaglickeit aus und zeugen von einer Atmosphäre weiblicher Vertraulichkeit. Prachtvoller, nuancierter und in den tonalen Abstufungen sehr differenzierter Druck mit dem vollen Rand. Minimale Altersspuren, eine unauffällige Quetschfalte vom Druck im unteren Rand, verso im linken Rand vereinzelte Montierungsreste, sonst unbehandeltes, vorzüglich erhaltenens Exemplar.
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54.
edgar hilaire germain degas (1834–1917, Paris)
La sortie du bain. Etching, drypoint and aquatint on cream-coloured wove paper with partially visible watermark “Freres”. 12.7 x 12.7 cm. Circa 1879–80. Delteil 39 XV (of XVII); Adhémar 49; Reed and Shapiro 42 XX (of XXII). With the red Degas Atelier stamp (Lugt 657) at the upper left verso. Edgar Degas is indisputably one of the greatest printmakers of all time. Few of his contemporaries can have been driven by such a desire for perfection and such an unrelenting self-imposed severity as this brilliant artist and melancholy loner. Degas’ almost self-tormenting approach and his uncontrollable urge to constantly check the validity of his artistic solutions are particularly evident in his printed work. The large number of different impressions testifies to a highly concentrated method of working characterized by self-doubt, constant corrections and immense creativity. La sortie du bain unquestionably provides very impressive evidence of this. On no other etching did Degas work so intensively and purposefully, as can be seen from the number of different states, numbering twenty-two in all, a fact that gives this work a unique status in the artist’s entire printed œuvre (see illustration). Each individual state often displays only minimal changes, additions and new artistic means of expression for the rendering of light, atmosphere and textures. The story goes that Degas began the etching at the home of his friend, Alexis Rouart, after slippery ice had prevented him from going straight home. The etching was done around 1879/80 during a phase in which the artist was experimenting intensively with innovative printing techniques. In the very first state Degas clearly defined the basic elements of the composition, and the following twelve states merely show subtle shifts of emphasis, which nevertheless bring about surprising changes in the overall picture. While, for example, the seventh state of the etching has a rather austere appearance, having been reduced to clear black-and-white contrasts, the artist achieves increasingly refined graphic formulas in the states that follow. Degas’ etching needle
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creates a dense, patchwork-like pattern of individual hatchings and highly decorative, filigree surface structures that generate a warm, vibrant light effect. The graphic appearance of the wallpaper, the armchair and the bathtub in the foreground as well as the boldly foreshortened perspective of the fireplace show metamorphoses testifying to the tireless creative determination of the artist. In the fourteenth state the body of the bathing woman has been given a fine aquatint grain, which makes her contours appear soft and hazy, creating a convincing suggestion of warm, pulsating physicality. Interestingly enough, in the last state Degas removed the aquatint tone from her body, thus restoring the original appearance of the earliest states. By this time, however, the copperplate was so worn that it was impossible to print more impressions. The etching is very rare despite the large number of states. Only single impressions were printed from each state, so that the entire edition came to just a few dozen impressions, most of which are in museum collections (see exhibition catalogue Degas, Paris-Ottawa-New York 1988/89, p. 305ff). However it is not only these technical refinements that make La sortie du bain such an exquisite work of art. The most striking features are the absolute originality of Degas’ artistic vision and his unique talent for pointed characterization. Minimum space has been used to create maximum atmosphere, fluctuating light and physical sensuousness. Degas’ razor-sharp powers of observation enable him to portray the ungainly, somewhat shapeless body of the woman as she heaves herself awkwardly out of the bathtub. The muted light adds to the intimacy of the scene. A servant girl holds up a soft dressing gown, and the artist observes good-humouredly how her pert little face peeps out over the top of it. The decorative textile patterns, the flower vases on the mantelpiece and the comfortable armchair radiate domestic cosiness and create an atmosphere of feminine familiarity. A very fine, sparkling impression with very distinct tonal gradations, printed on the full sheet. Minor ageing, an unobtrusive horizontal printer’s crease in the lower margin, and unobtrusive remains of adhesive tape on the reverse; otherwise in mint, untouched condition.
Edgar Degas. La sortie du bain in twenty-two successive states. 1879–1880. Reed and Shapiro 42 I to XXII.
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55. giovanni fattori (1825 Livorno – 1908 Florenz)
giovanni fattori (1825 Livorno – 1908 Florence)
Paese con macchiette. Radierung und Aquatinta auf Zink, auf elfenbeinfarbenem Velin gedruckt. 13,2 x 20,8 cm. Chiappini 73.
Paese con macchiette. Etching and aquatint on zinc, printed on ivory-coloured wove paper. 13.2 x 20.8 cm. Chiappini 73.
Die beiden Feldarbeiter verschwinden in einem fast abstrakten Liniengewebe und sind kaum erkennbar in der sie umgebenden, atmosphärisch durchdrungenen Landschaft. Die Natur stöhnt unter der gnadenlosen Mittagshitze; flimmerndes, grelles Sonnenlicht läßt das Laub der Bäume aufblitzen und schafft ein rhythmisches und reich differenziertes Clairobscur in der dichten Vegetation.
Two farm labourers, lost amid an almost abstract network of lines, are barely discernible in the surrounding sun-drenched landscape, which groans under the merciless noonday heat, while the shimmering, glaring sunlight catches the leaves on the trees, making them gleam and creating a rhythmic and richly differentiated chiaroscuro in the dense vegetation.
Giovanni Fattori war ein unübertroffener Meister in der Wiedergabe von Licht und Atmosphäre und entwickelte in den 1880er Jahren eine absolut eigenständige und neuartige Formensprache. Die Radierung gibt mit leichten Variationen sein um 1875 entstandenes Gemälde Ortolani (Die Gemüsebauern) wieder. Um eine reiche tonale Wirkung zu erzielen, verwendete Fattori oft Zinkplatten. Das weiche Metall erlaubt einen spontaneren, freieren zeichnerischen Duktus und erweist sich als ideales Medium, um eine große Skala malerischer und atmosphärischer Effekte zu erzielen. Die Auflagen sind jedoch kleiner als bei Kupferplatten. Bedingt durch den experimentellen Charakter von Fattoris Radierkunst können die einzelnen Abzüge eines selben Blattes außerdem stark unter einander differenzieren. Leuchtender und differenzierter zeitgenössischer Abzug mit breitem Rand. Leichte Altersspuren, sonst vollkommen erhalten.
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In the 1880s Giovanni Fattori, an unsurpassed master in the rendering of light and atmosphere, developed an absolutely original and novel formal idiom. This etching reproduces with slight variations his painting Ortolani (The Market Gardeners; c. 1875). In order to obtain a rich tonal effect, Fattori often used zinc plates. The soft metal permits a more spontaneous, freer drawing style and is an ideal medium for producing a wide scale of painterly and atmospheric effects. The print runs are, however, smaller than in the case of the copper plates. Because of the experimental character of Fattori’s etching the individual proofs of one and the same print may differ considerably. A brilliant and differentiated contemporary impression with large margins. Minor ageing, otherwise in perfect condition.
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künstlerverzeichnis / index of artist names Angolo, Battista d’ Aubertin, François Auzou, Pauline Bloemen, Jan Frans van Bolswert, Schelte Adams Bonnard, Pierre Brebiette, Pierre Buchhorn, Ludwig Caucig, Franz Cesari, Giuseppe Closson, Gilles François Joseph Coecke van Aelst, Pieter Coignet, Jules Louis Philippe Corneille, Michel II David, Giovanni Degas, Edgar Hilaire Germain Falbe, Joachim Martin Fattori, Giovanni Flämisch um 1560 Franchi, Antonio Frommel, Carl Ludwig Frye, Thomas Gille, Christian Friedrich Greco, Michele Grimaldi, Francesco Hayez, Francesco Kolbe, Carl Wilhelm d. Ä. Kummer, Robert Lebschée, Carl August Liotard, Jean Etienne Lutma, Jan der Jüngere Menzel, Adolph von Meyer, Johann Heinrich Oeser, Adam Friedrich Possenti, Giovanni Pietro Prestel, Johann Gottlieb Prestel, Maria Katharina Quaglio, Domenico II Sabatelli, Luigi Schalcken, Godfried Schmidt, Georg Friedrich Schnorr v. Carolsfeld, Ludwig F. Steiner, Emanuel Sudre, Jean Pierre Tavella, Carlo Antonio Teerlink, Abraham Troger, Paul Troppa, Girolamo Vicentino, Andrea Vos, Maarten de Wille, Pierre Alexandre Wiskemann, Alexander Wocher, Tiberius Dominikus Zenoi, Domenico
6 120 124 10 14 162 16 126 128 18 130 22 134 26 68 166 73 170 30 34 136 74 138 38 40 142 78 144 146 82 42 148 86 88 46 92 96 150 152 98 102, 104 154 106 158 108 160 110 50 54 58 115 60 116 64
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Tefaf Maastricht March 18–27, 2011 Please visit our exhibition From Vicentino to Picasso – European Works on Paper Tefaf on Paper, stand no. 708 Opening hours: Daily 11 am – 7 pm Sunday, March 20, 11 am – 6 pm
Exhibition in Paris March 29 – April 2, 2011 We will show a selection of drawings at Galerie André Candillier 26, rue de Seine 75006 Paris Telephone: +33 1 43 54 59 24 Opening hours: Tuesday to Saturday, 11 am – 7 pm We look forward to seeing you there.
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Alexander Wiskemann, Adam Friedrich Oeser Johann Gottlieb Prestel
Nicolaas Teeuwisse · Ausgewählte Werke · Selected Works XI
Nicolaas Teeuwisse
Ausgewählte Werke · Selected Works XI Nicolaas Teeuwisse OHG · Erdener Str. 5a · 14193 Berlin