Selected Works XIII

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Nicolaas Teeuwisse

Ausgewählte Werke · Selected Works XIII



2013

Ausgewählte Werke · Selected Works XIII

Nicolaas Teeuwisse OHG · Erdener Str. 5a ·  14193 Berlin-Grunewald Telephone: +49 30 893 80 29 19, +49 30 890 48 791 · Mobile: +49 171 483 04 86 Email: nicolaas@teeuwisse.de · www.teeuwisse.de


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Tabula rasa ! Mit einem Stoßseufzer der Erleichterung hat der Autor die Arbeit an dem jetzt vorliegenden Katalog unlängst beendet. Der Leser möge mich richtig verstehen: Das Verfassen einer Publikation dieser Art ist eine ziemlich solitäre Angelegenheit und erfordert zweifellos eine mehr oder wenig ausgeprägte autistische Veranlagung. Es ist jedoch nicht so sehr die Sorge um existenzielle Vereinsamung oder fortschreitende geistige Umnachtung, die dem Autor dieser Zeilen zu schaffen macht, sondern vielmehr die immer wiederkehrende bange Frage: „Verflixt! Woher sollen die Dinge das nächste Mal kommen?“ Das Syndrom der tabula rasa, dieses unerbittliche Damoklesschwert, schwebt während der langen Monate der Arbeit an einem Katalog bedrohlich über dem Haupte des Verfassers und trübt die Freude über das Erreichte und Gesammelte nicht unerheblich. Es entsteht der verstörende Eindruck, die ehemals erfreulich sprudelnden Flüsse seien allmählich versiegt. Betrachtet man die deutschen und ausländischen Auktions­ kataloge der siebziger und achtziger Jahre, so kann man nur erstaunt sein angesichts der ungeheuren Vielfalt des Angebots und der Möglichkeiten, die sich einem wachen Auge boten, Seltenes und künstlerisch Wertvolles zu entdecken. Verglichen mit jenen paradiesischen Jahren leben wir heute in einer dürf­ tigen Zeit. Und dennoch… zu guter Letzt ist es dann immer wieder überraschend und tröstlich, nach getaner Arbeit feststellen zu können, wie ungeheuer fruchtbar und ertragreich der Humus unserer abendländischen Kulturlandschaft eigentlich ist! Trotz kriegerischer Zerstörungswut durch die Jahrhunderte, ungeachtet blutiger Revolutionen und verheerender Naturkatastrophen: Dieses fragile, vergängliche und dennoch erstaunlich zähe Material Papier, sei es bedruckt oder mit dem Zeichenstift behandelt, hat in immer noch erfreulichen Mengen alle diese Schicksalsschläge überlebt. In den seltensten Fällen unbeschadet, häufig mit Knickfalten, Eselsohren, Einrissen, Rauchspuren, Wasserflecken und anderen respektlosen Blessuren. Auf geradezu wundersame Weise zeugen diese so delikaten und empfindlichen Relikte vergangener Jahrhunderte von der titanischen Kulturleistung schier unüberschaubarer Heerscharen ehrgeiziger, getriebener und unermüdlich schaffender Künstler.

Viel Entdeckungsfreude bot auch die hier vorgestellte, wunder­ volle Ölstudie Carl Blechens, die trotz ihres bescheidenen Formats die ganze Größe seiner bemerkenswerten Begabung offenbart. 1829 in Rom entstanden, zeigt die delikat erfasste veduta der Ewigen Stadt, welch unauslöschlichen, prägenden und zugleich befreienden Eindruck das Licht und die Atmosphäre des Südens auf den Künstler gemacht haben müssen. Die Reise nach Italien war die Erfüllung eines tiefen, inneren Wunsches Blechens, und der Künstler hatte alle ihm verfüg­ baren finanziellen Mittel aufgeboten, um den Weg gen Süden anzutreten. Auf diesem preziösen Kabinettstück blitzt nun der Geniefunke. Blechen sitzt auf dem Palatin, dem malerischen und anno 1829 noch menschenleeren Hügel der Kaiserpaläste, und vor seinen Augen erstreckt sich realiter die ehrwürdige, jahrtausendealte Kulturlandschaft Roms. Der spontane malerische Duktus zeugt von seiner Begeisterung. Erstaunlich treffsicher, skizzenhaft und verkürzend sind die Vegetation und vereinzelte antike Überreste im Vordergrund wiedergegeben. Sie bilden den Auftakt zum wahren Mysterium dieses kleinen Bildes: der unglaublichen Delikatesse und künstlerischen Sensibilität, mit denen Blechen das Spiel des warmen südlichen Lichtes auf den verwitterten Mauern des Colosseums schildert, die Sabiner Berge in einem filigranen Dunsthauch erscheinen lässt und somit ein anrührendes, zeitloses Abbild landschaftlicher Schönheit entwirft. So kann man dem Urteil Karl Friedrich Schinkels nur zustimmen, der Blechens klein­ for­matige Landschaftsskizzen knapp, aber mit feinsinnigem Understatement als „etwas Wirkliches von Kunst“ lobte. Mein Dank gilt folgenden Personen, die mir mit wichtigen Anregungen behilflich gewesen sind: Stijn Alsteens, Waldemar H. de Boer, Huigen Leeflang, Marijn Schapelhouman, Peter Schatborn, Nicholas Turner. Sandra Espig, Stefanie Löhr und Robert Oberdorfer sei für hilfreiche Korrekturen gedankt. Eveline Deneer und Nadine Keul haben mich tatkräftig und sachkundig bei den Recherchen für diesen Katalog unter­stützt. Die englische Übersetzung wurde – wie immer unnachahmlich elegant – von Robert Bryce besorgt. Nicolaas Teeuwisse

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Tabula rasa ! It was with a deep sigh of relief that I recently finished work on the present catalogue. To avoid any misunderstandings let me explain that preparing a publication of this kind is a rather solitary affair and one that undoubtedly requires a marked autistic predisposition. What perturbs me, however, is not any potential social isolation or progressive mental derangement but rather the recurrent agonising question: “Where, for heaven’s sake, am I going to find things next time?” During the many months I spend working on a catalogue the tabula rasa syndrome hangs over me like a sword of Damocles, considerably tarnish­ ing my pleasure at the works garnered and the progress made. The disconcerting impression I get is that the rivers which once gushed and swirled to my delight are gradually drying up. Contemplating the auction catalogues from Germany and abroad in the 1970s and 80s I am astounded by the tremendous variety on offer and the opportunity for the discerning eye of unearthing rare and artistically valuable works. Compared with those blissful days of yore we are now going through hard times indeed. But in the end, when the work is finished, it is always astonishing and comforting to remark the incredible fertility and productivity of Western culture. For all the destruction wrought by war down the centuries, despite bloody revolutions and devastating natural catastrophes, gratifying quantities of paper – this fragile, ephemeral and yet astonishingly resilient material – have managed to withstand all the strokes of fate, irrespective of whether they have been used for prints or worked on with a pencil. In very few cases has the paper survived un­ damaged. It frequently reveals folds, dog-ears, tears, traces of smoke and water stains or has suffered other undue impairment. In a manner bordering on the wondrous these very delicate and sensitive relics of bygone centuries testify to the colossal cul­ tural achievement of countless hosts of ambitious, fervent and indefatigably creative artists.

A source of great joy to me was the discovery of Carl Blechen’s wonderful oil study, which is included in this catalogue. The modest format notwithstanding, it manifests the entire grandeur of his extraordinary talent. Painted in Rome in 1829, it is an exquisitely rendered veduta of the Eternal City that illustrates what an enduring, indelible and liberating impression the light and atmosphere of the south must have had on the artist. Blechen’s sojourn in Italy was the fulfilment of a long cherished wish and he mustered all the resources he had to finance his journey there. The spark of genius now illuminates this precious little painting. Blechen is sitting on the Palatine, the picturesque hill where the imperial palaces once stood and which was still deserted in 1829. Stretched out before his eyes is the venerable, age-old cultural landscape of Rome. The enthusiasm he feels is reflected in the spontaneous manner of his painting. The roughly sketched and foreshortened vegetation and occasional remains of ancient ruins in the foreground are rendered with astonishing verve. They form the starting point for the veritable secret of this little picture: the incredible finesse and artistic sensitivity with which Blechen portrays the play of the warm southern light on the weathered walls of the Colosseum and shrouds the Sabine Hills in a delicate haze, thus producing an emotive, timeless image of great scenic beauty. With a fine sense of understatement Karl Friedrich Schinkel tersely praised these small-format pictures by the artist as “genuine art” – a view with which one can only concur. I should like to thank Stijn Alsteens, Waldemar H. de Boer, Huigen Leeflang, Marijn Schapelhouman, Peter Schatborn and Nicholas Turner for the valuable suggestions they provided and Sandra Espig, Stefanie Löhr and Robert Oberdorfer for their helpful corrections. Eveline Deneer and Nadine Keul gave me active and informed assistance in researching this catalogue. The English translation – peerlessly elegant as ever – was supplied by Robert Bryce. Nicolaas Teeuwisse

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16. – 17. Jahrhundert

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1. d ominique barrière

1. d ominique barrière

Eine felsige Landschaft mit einem Fischer an einem Fluß und einem zeichnenden Künstler; Eine Campagna­­­­land­­­schaft mit figürlicher Staffage. Federzeichnung in Schwarz. Je ca. 16,2 x 25,6 cm. Um 1646. Mono­ gram­miert: „DB IF“.

Rocky Landscape with Fisherman by River and Artist Sketching; a Campagna Landscape with Staffage Figures. Pen and black ink. Each measuring 16.2 x 25.6 cm. Circa 1646. Monogrammed: “DB IF”.

Der Zeichner und Kupferstecher Dominique Barrière ließ sich um 1640 in Rom nieder, wo sein Name ab 1643 in der Pfarr­ge­ meinde von San Lorenzo in Lucina, in der Nähe des Künst­ler­ viertels um die Via del Babuino, nachweisbar ist. Barrière war ein liebenswürdiger Kleinmeister und gehörte offenbar einer verhältnismäßig großen Schar von Künstlern an, die damals in Rom ihr Glück suchten und im Gegensatz zu den Größen ihrer Zunft wie Claude und Gaspar Dughet nur mühsam ihren Lebens­unterhalt bestreiten konnten. Der Künstler hinterließ ein umfangreiches Œuvre von über zweihundert Stichen, den­noch muss er zeitweilig in Armut gelebt haben, da er zum Unter­halt seiner großen Familie wiederholt auf Spenden der französi­schen Gemeinschaft Saint-Louis-des-Français angewie­sen war.

The draughtsman and etcher Dominique Barrière settled in Rome about 1640, his name being first recorded in 1643 in the parish of San Lorenzo in Lucina, near the artists’ colony around Via del Babuino. Barrière was an engaging Little Master and evidently belonged to the relatively large group of artists who were trying their luck in the Rome of that time and, unlike the big names of their craft such as Claude and Gaspar Dughet, had to struggle to make a living. Although the artist left an extensive œuvre of over two hundred engravings at his death, he must have lived in great poverty for some of the time, as he repeatedly had to turn to the Collège Saint Louis des Français for help in supporting his large family.

(1618 Marseille – 1678 Rom)

Barrière zeichnete südliche Landschaften und Marinen im Stile Lorrains und schuf auch Kupferstiche nach dessen Gemälden. Die beiden vorliegenden Zeichnungen gehören einer Folge von sechsundzwanzig Zeichnungen an, die am 10. Dezember 1979 bei Sotheby’s in London versteigert wurden. Stilistisch stehen die Blätter in engem Zusammenhang mit der Kupferstichfolge Différentes veues de mer, die am Anfang von Barrières Tätigkeit in Rom entstanden ist und 1646 in Paris herausgegeben wurde. Die sehr präzise und systematische Linienführung und die sorg­ fältige, bildmäßige Kompositionsweise legen die Vermu­tung nahe, dass beide Blätter als Vorlagen für Stiche dienen sollten. Marcel Roethlisberger, der dieser Gruppe von Zeichnungen eine Veröffentlichung gewidmet hat, glaubt jedoch, dass diese nicht zum Zwecke der Vervielfältigung geschaffen wurden, sondern vielmehr zu einem selbständigen Album von Feder­ zeichnungen vereinigt werden sollten, die auf kunstvolle Weise den Eindruck von Kupferstichen vortäuschten (siehe M. Roeth­ lis­berger, „Dessins de Barrière et de Guillerot“, Gazette des BeauxArts, Jg. 129, April 1987, S. 139–151, Abb. 9 und 19). Die subtilen Nuancierungen des Federstriches, der von einem tiefen Schwarz im Vordergrund zum Horizont hin in fein abge­stufte Grautöne übergeht, erzeugen eine anmutige HellDunkel-Wirkung und eine effektvolle Raumentfaltung. Trotz einer gewissen Naivität der Zeichnung verzaubern die Kom­ po­si­tionen durch eine liebevolle Aufmerksamkeit für das erzäh­ lerische Detail. Die methodische Strichführung, die der des Kupferstiches sehr ähnlich ist, zeigt, wie sehr der Künstler dem Vorbild von Jacques Callot und seiner Schule und nieder­län­di­ schen Künstlern wie Johannes Glauber, Abraham Genoels und Adriaen van der Cabel verpflichtet war.

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(1618 Marseilles – 1678 Rome)

Barrière drew southern landscapes and seascapes in the style of Lorrain and also did engravings after the latter’s paintings. The two present drawings belong to a set of twenty-six draw­ings which were auctioned at Sotheby’s in London on 10 December 1979. Stylistically they are closely connected with a set of en­gravings called Différentes veues de mer, which date from the beginning of Barrière’s activity in Rome and were published in Paris in 1646. The very precise and systematic linework and the careful, pictorial mode of the composition suggest that both prints were meant to serve as originals for engravings. How­ ever, Marcel Roethlisberger, who has devoted a publication to this group of drawings, maintains that they were not intended for duplication, but for an autonomous album of pen drawings which were to create the false impression of being engravings (see M. Roethlisberger, “Dessins de Barrière et de Guillerot”, Gazette des Beaux-Arts, vol. 129, April 1987, pp. 139–151, figs. 9 and 19). The subtle nuances of the pen strokes, which proceed from a deep black in the foreground through ever fainter grey tones towards the horizon, create a pleasant chiaroscuro effect and make for an efficient use of space. Despite a certain naivety in the drawing, the compositions are enchanting for their loving attention to narrative detail. The methodical linework, which is very similar to that of the engraving, shows how much the artist owed to the example of Jacques Callot and his school as well as to such Dutch artists as Johannes Glauber, Abraham Genoels and Adriaen van der Cabel.


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2. nicolas beatrizet (1515 Thionville – 1565 Rom)

Die Fassade des Palazzo Farnese in Rom. Zwei Kupfer­ stiche. Je ca. 33,7 x 53 cm. Bartsch XV, 270, 102; Robert-Dumesnil IX, 175, 105 (Salamanca) und 176, 106 (Lafreri); Huelsen 1921, 162, Nr. 102 A (Lafreri), 102 C (Salamanca).

Die beiden von Beatrizet geschaffenen Kupferstiche zeigen die Fassade des von Antonio da Sangallo und Michelangelo erbau­ ten Palazzo Farnese in Rom, eines der meist gefeierten Bau­ werke seiner Zeit. Der Vergleich der zwei Kupferstiche liefert darüberhinaus auch aufschlussreiche Informationen über den Vertrieb und Handel mit Druckgraphik im Rom jener Zeit, insbesondere über die Rivalität zwischen den beiden bekann­ testen, dort agierenden Kupferstichverlegern: dem Franzosen Antonio Lafreri (1512–1577), der um 1540 nach Rom gekom­ men war und dem Spanier Antonio Salamanca (1478–1562), der sich bereits 1505 in der Ewigen Stadt niedergelassen hatte.

Reproduktionstiche nach ausgewählten Meisterwerken der antiken Skulptur waren dem Sammelband ebenfalls beigefügt. Der große Erfolg Lafreris war teils das Ergebnis eines intelli­ genten Geschäftskonzepts, das Romreisenden die Möglichkeit bot, die Kupferstiche entsprechend ihrer persönlichen Vorlie­ ben und finanziellen Mittel auswählen und zu einem privaten Sammelband binden zu lassen. Namentlich in den 1540er Jah­ ren entwickelte sich eine erbitterte Rivalität zwi­schen Lafreri und Salamanca. Die Konkurrenten kopierten über einen länge­ ren Zeitraum hinweg die Stiche des Rivalen, so dass heute nicht immer deutlich zu erkennen ist, wem das Lob der Erstveröf­ fentlichung gebührt. Müde gekämpft, beschlossen Salamanca und Lafreri schließlich im Jahre 1553 ihren Wett­bewerb zu beenden und ein gemeinsames Unternehmen zu gründen, das bis zu Salamancas Tod 1562 bestand. Die zwei Ansichten des Palazzo Farnese entstanden kurz vor dem Beginn jener fried­li­ chen Coexistenz. In diesem spezifischen Fall wur­den beide Kupferstiche durch den selben Autor, Nicolas Beatrizet ausge­ führt. Die jeweiligen Unterschiede sind minimal und als auf­ fälligstes Merkmal sticht die abweichende Typographie hervor. Bartsch und Huelsen waren der Ansicht, dass es sich bei Sala­ mancas Version um die Erstfassung des Stiches han­delt, wäh­ rend Michael Bury das Gegenteil vermutet. Der von Salamanca verlegte Druck sei die seitenverkehrte Nachbildung von Lafreris Kupferstich (siehe M. Bury, The Print in Italy. 1550–1620, Kondon 2001, S. 122; Nr. 89, S. 141).

Beide Graphikverleger waren spezialisiert auf den Vertrieb von Darstellungen sowohl antiker als auch zeitgenössischer römi­ scher Bauwerke, für die sie unter anderem Beatrizet als Kupfer­ stecher engagierten. Der bei Lafreri verlegte Kupferstich gehört dem Speculum Romanae Magnificentiae an, einem Album mit Darstellungen der künstlerisch bedeutendsten Bauwerke Roms.

Prachtvolle Drucke. Das Exemplar von Lafreri mit der Platten­ kante an drei Seiten, unten mit feinem Rändchen. Unauffällige Mittelfalte, ganz leichte Gebrauchsspuren, sonst in sehr guter Erhaltung. Das Exemplar von Salamanca mit der ringsum sichtbaren Plattenkante. Geringfügige Gebrauchsspuren, sonst in sehr guter Erhaltung.

Nicolas Beatrizet war nach seiner um 1540 erfolgten Über­sied­ lung nach Rom zuerst als Kupferstecher für dortige Verleger wie Antonio Salamanca und Tommaso Barlacchi tätig. Von 1547– 1560 arbeitete der Künstler im angesehenen Verlag Antonio Lafreris, um sich dann ab etwa 1558 auch als selbständiger Ver­le­ ger hervorzutun. Unter dem Einfluss von Enea Vico und Giorgio Ghisi entwickelte Beatrizet mit der Zeit einen kraftvollen und technisch hoch entwickelten Gravierstil.

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2. nicolas beatrizet (1515 Thionville – 1565 Rome)

The Façade of the Palazzo Farnese in Rome. Two en­­ grav­ings, each measuring approx. 33.7 x 53 cm. Bartsch XV, 270, 102; Robert-Dumesnil IX, 175, 105 (Sala­manca) and 176, 106 (Lafreri); Huelsen 1921, 162, No. 102 A (Lafreri), 102 C (Salamanca). After moving to Rome in or about 1540 Nicolas Beatrizet was first employed as an engraver by local publishers, such as Antonio Salamanca and Tommaso Barlacchi. From 1547 to 1560 the artist worked in the influential publishing house of Antonio Lafreri before setting himself up as an independent publisher around 1558. Under the influence of Enea Vico and Giorgio Ghisi, Beatrizet gradually developed an arresting and technically sophisticated engraving style. The two engravings by Beatrizet show the façade of the Palazzo Farnese in Rome. Built by Antonio da Sangallo and Michel­ angelo, it was one of the most celebrated buildings of its day. A comparison of the two engravings also yields interesting information about the printmaking trade in Rome at that time, especially about the rivalry between the two best known pub­ lishers of engravings: the Frenchman Antonio Lafreri (1512– 1577), who had come to Rome about 1540, and the Spaniard Antonio Salamanca (1478–1562), who had settled in the Eternal City back in 1505. Both publishers specialized in the marketing of prints of both ancient and contemporary Roman edifices, for which they engaged Beatrizet, among others, as an engraver. The engraving published by Lafreri belongs to the Speculum Romanae Magnificentiae, an album containing views of the most artisti-

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cally significant buildings in Rome. Reproductive engravings of selected masterpieces of classical sculpture were also included. Lafreri’s great success was partly the result of an intelligent business plan that offered visitors to Rome an opportunity to select engravings in keeping with their personal preferences and financial means and have them bound as a private anthology. The 1540s in particular witnessed a bitter rivalry between Lafreri and Salamanca. Over a longish period the two rivals copied each other’s engravings, so that today it is not quite clear who deserves the credit for being the first to publish what. Finally, weary of the struggle, Salamanca and Lafreri decided in 1553 to end their competition and found a joint enterprise that lasted until Salamanca’s death in 1562. The two views of the Palazzo Farnese arose shortly before the beginning of the period of peaceful coexistence. In this specific instance both engravings were executed by the same author, Nicolas Beatrizet. The differences in each case are minimal, the most striking feature being the difference in typography. Bartsch and Huelsen took the view that Salamanca’s version of the engraving was the first, while Michael Bury supposes the opposite, maintaining that the print published by Salamanca is a mirror-image copy of Lafreri’s engraving (see M. Bury, The Print in Italy. 1550–1620, London, 2001, p. 122; No. 89, p. 141). Superb impressions. Lafreri’s print with the platemark on three sides and with a narrow margin at the bottom. Unobtrusive central fold, very minor traces of handling, otherwise in excellent condition. The Salamanca print trimmed to the platemark on all sides. Slight traces of handling, otherwise in excellent condition.


Palazzo Farnese in Rome, 2012.

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3. biagio delle lame

3. biagio delle lame

Der Apostel Thomas. Pinselzeichnung in Braun über Graphit, weiß gehöht, auf blauem Papier, auf einem Untersatzkarton montiert. 15,9 x 9,6 cm. Um 1530.

The Apostle Thomas. Point of brush in brown over graphite, white heightening, on blue paper, mounted on a supporting cardboard. 15.9 x 9.6 cm. Circa 1530.

Vasari beschrieb den Bologneser Maler Biagio Pupini als „einen mehr erfahrenen als hervorragenden Mann“. Biagio war ein Schüler des Francesco Francia in Bologna und begab sich an­­ schließend mit seinem Studiengenossen Bartolomeo Ramenghi, genannt Bagnocavallo, nach Rom, wo er von Raphael und dessen Schule maßgeblich beeinflußt wurde. Biagio war außer­ dem ein sehr produktiver Zeichner. Bei der Mehrzahl seiner Blätter handelt es sich um reine Studienzeichnungen, die der Künstler zu eigenen Ausbildungszwecken anfertigte. So schuf er während seines römischen Aufenthalts eine größere Zahl von Nachzeichnungen nach den Fassadenmalereien Polidoro da Caravaggios und eignete sich dessen Stilsprache so gründ­lich an, dass viele seiner Zeichnungen früher Polidoro zugeschrie­ben wurden. Dennoch hat Pupini als Zeichner eine klar erkenn­bare künstlerische Handschrift, die von einer nervösen, beweg­li­ chen Linienführung und einer Vorliebe für Weißhöhungen auf farbigem Papier gekennzeichnet ist. Nach seiner Rückkehr aus Rom war der Künstler vorwiegend in Bologna und in der Emilia-Romagna tätig und beteiligte sich mit Kollegen wie Bagnocavallo und Girolamo da Carpi an der Ausschmückung von Sakralbauten in dieser Region.

Vasari said of the Bologna painter, Biagio Pupini, that he was a “man who was more experienced than outstanding”. Pupini studied under Francesco Francia in Bologna, after which he and a fellow student, Bartolomeo Ramenghi, known as Bagno­ cavallo, went to Rome, where Pupini was strongly influenced by Raphael and his school. Biagio was also a very productive draughtsman. Most of his efforts are pure study drawings, which the artist made for training purposes. Thus during his stay in Rome he created a fair number of reproductions after the façade paintings of Polidoro da Caravaggio, whose style he made so completely his own that many of his drawings used to be attributed to Polidoro. Nevertheless Pupini as a draughts­ man did have clearly recognizable artistic mannerisms, such as edgy, nimble linework and a predilection for white heightening on coloured paper. After his return from Rome the artist worked mainly in Bologna and the Emilia-Romagna and took part with such colleagues as Bagnocavallo and Girolamo da Carpi in the embellishment of ecclesiastical architecture in this region.

(auch genannt Biagio Pupini, 1511–1575, Bologna)

Vorliegende Zeichnung gehört dem Frühwerk Pupinis an und kann dank eines Kupferstichs von Marcantonio Raimondi, der die gleiche Komposition im Gegensinn zeigt (Bartsch XIV, 118, 132), um 1530 datiert werden. Da Raimondi zuletzt 1534 erwähnt wird, erscheint eine Entstehungszeit in diesem Zeit­ raum als plausibel. Möglicherweise handelt es sich bei unserem Blatt trotz des abweichenden Formats um ein modello für den Kupferstich. Die Tatsache, dass der Apostel im Vergleich zum Kupferstich im Gegensinn dargestellt ist, könnte ein Indiz für diese Behauptung sein. Im Allgemeinen sind Pupinis Zeich­ nungen freier und robuster im Duktus, auf unserem Blatt ist der Zeichenstil jedoch sorgfältiger und konzentrierter. Die sub­ tile Anwendung von Halbtönen und die sorgfältigen Weiß­ höhungen, die in Parallelschraffuren aufgetragen sind, lassen den Schluss zu, dass die Zeichnung als Vorlage für einen Kupfer­ stecher gedient haben könnte. Auf Raimondis Kupferstich ist im Vergleich zur Zeichnung eine Änderung der Draperie am linken Ärmel des Apostels erkennbar, wodurch diese ohne Hohlräume eng am Körper des Heiligen anliegt. Diese Ver­­ein­ fachung ist ein Hinweis darauf, dass der Kupferstecher sich offenbar in Bezug auf seine Vorlage gewisse künstlerische Frei­ heiten erlauben konnte. Die Autorschaft Biagio Pupinis wurde von Nicholas Turner bestätigt.

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(also known as Biagio Pupini, 1511–1575, Bologna)

The present drawing belongs to Pupini’s early work and can be dated at about 1530 on the basis of an engraving by Marc­antonio Raimondi showing the same composition in reverse (Bartsch XIV, 118, 132). As the last mention of Raimondi was in 1534, it seems plausible the drawing was done in this period. It may be that this drawing, despite its different format, served as a modello for the engraving. The fact that the drawing is a mirror image of the engraving might be said to support this assumption. In general, Pupini’s drawings are freer and more robust in style, while this drawing is more careful and focused. The subtle use of half-tones and the careful use of white heightening, which is applied in parallel hatchings, permit the conclusion that the drawing might have served as an original for an engraver. Raimondi’s engraving does, however, show a change in the drapery of the Apostle’s left sleeve, making it cling to the arm instead of hanging loosely. This simplification indicates that the engraver was evidently able to allow himself certain artistic freedoms in relation to the original. Biagio Pupini’s authorship has been confirmed by Nicholas Turner.


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cornelis bos

(1506 oder 1510 Herzogenbosch – 1556 Groningen)

4.

cornelis bos

(1506 or 1510 Herzogenbosch – 1556 Groningen)

Venus in der Schmiede des Vulkan. Kupferstich. 28,8 x 38,3 cm. 1546. Hollstein 64.

Venus at Vulcan’s Forge. Engraving. 28.8 x 38.3 cm. 1546. Hollstein 64.

Wesentliche Zeitspannen der Biographie des niederländischen Kupferstechers Cornelis Bos sind bisher ungeklärt, obwohl der Künstler in den 1540er Jahren als einer der Hauptmeister des Ornamentstiches, des sogenannten Floris-Stiles galt. Bos erhielt 1540 das Bürgerrecht der Stadt Antwerpen und wurde noch im selben Jahr als Mitglied der dortigen Lukasgilde auf­genommen. Seine Fortüne nahm jedoch eine dramatische Wen­dung, als er 1544 auf Grund seiner Zugehörigkeit zu der Antwerpener Libertijnen-Sekte aus der Stadt verbannt und seine Besitzungen konfisziert wurden. Bos soll sich in Rom weitergebildet und mit dortigen Künstlern wie Marco da Ravenna und Enea Vico verkehrt haben, dennoch gilt der römi­ sche Aufenthalt heute eher als ungesichert. Vielmehr wird in jüngster Zeit eine Ausbildung in den Niederlanden und ein Aufenthalt in Paris oder Fontainebleau in den 1530er Jahren als wahrscheinlich angenommen. Um 1537/38 war Bos als Kupfer­ stecher und Holzschneider für Jan Cornelisz. Vermeyen und Pieter Coecke van Aelst tätig. Nach seiner Flucht aus Antwer­ pen wanderte Bos in die nördlichen Niederlande aus und hielt sich vermutlich zuerst in Haarlem auf; um 1550 dürfte er sich dann in Groningen niedergelassen haben.

Although the artist was considered in the 1540s to be one of the leading masters of the ornamental engraving known as the Floris style, important gaps remain in the biography of the Dutch engraver Cornelis Bos that have yet to be filled. In 1540, Bos received the freedom of the City of Antwerp and that same year was admitted to membership of the Guild of St. Luke there. His fortunes took a dramatic turn for the worse in 1544, however, when he was banned from the city for belonging to Antwerp’s Libertine Sect and had his possessions confiscated. Bos is supposed to have trained as an artist in Rome and been associated with some of the artists there, such as Marco da Ravenna and Enea Vico, although today it appears that the Roman sojourn is not vouched for. It is now considered more likely that he trained in the Netherlands and spent time in Paris or Fontainebleau in the 1530s. Circa 1537/38 Bos was active as an engraver and wood-engraver for Jan Cornelisz. Vermeyen and Pieter Coecke van Aelst. After his flight from Antwerp, Bos emigrated to the northern Netherlands, where his first stop was presumably Haarlem. He probably settled in Groningen for good about 1550.

Der vorliegende Kupferstich, der zu den Hauptblättern seines druckgraphischen Œuvres zählt, gibt ein 1536 entstandenes Gemälde des Maarten van Heemskerck im Gegensinn wieder, das sich jetzt in Prag befindet. Bos hat mehrere Kupferstiche nach Heemskerck geschaffen und auch dies dürfte als Indiz für den zeitweiligen Aufenthalt des Künstlers in Haarlem zu deuten sein. Heemskerck wiederum ließ sich für seine Bild­ erfindung durch Baldassare Peruzzis Fresko Die Schmiede des Vulkans in der Villa Farnesina in Rom inspirieren. Bos’ Inter­ pretation des Sujets ist in einer schlichten, kraftvollen, fast spröde wirkenden Graviertechnik ausgeführt. Dennoch ver­ leihen die wuchtigen Parallel- und Kreuzschraffuren der Dar­ stellung eine zwingende expressive Kraft und Dynamik, die auch an die druckgraphischen Schöpfungen der Schule von Fontainebleau erinnert. Die imposanten Muskeln verraten unbändige physische Kraft, körperliche Anstrengung und Kon­ zentration. Venus betrachtet das Geschehen scheinbar anteils­ los, während der kleine Amor sich vor der lärmenden Gewalt fürchtet und Schutz bei ihr sucht. Ausgezeichneter, toniger Druck mit feinem Rändchen. Unauffällige Ausbesserungen im unteren Rand, die Ränder verso hinterlegt, sonst vorzüglich erhalten. Aus der Sammlung O. Mascha, Wien (Lugt 1904).

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The present engraving, one of the best in his entire œuvre, is a reproduction in reverse of a painting done by Maarten van Heemskerck in 1536, which is now in Prague. Bos made several engravings after Heemskerck, which may be seen as evidence of the artist’s temporary stay in Haarlem. Heemskerck’s invention, in turn, was inspired by Baldassare Peruzzi’s fresco Vulcan’s Forge in the Villa Farnesina in Rome. Bos’s interpretation of the subject has been executed in a simple, forceful, almost austere engraving technique. Nevertheless, the strong parallel and cross-hatchings lend the scene an irresistibly expressive power and dynamism reminiscent of the prints emanating from the Fontainebleau School. The muscular, sinewy bodies radiate physical power and concentrated effort. Venus looks on with apparent detachment, while little Cupid is frightened by the clamorous din and seeks refuge with her. A very fine impression printed with considerable tone, with narrow margins. Unobtrusive repairs in the lower margin, margins backed verso, otherwise in excellent condition. From the O. Mascha Collection, Vienna (Lugt 1904).


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5. nicolas cochin

5. nicolas cochin

Eine waldige Landschaft mit der Predigt des hl. Johannes d. Täufers. Radierung. 25,7 x 32,3 cm. Inventaire du Fonds Français 21.

A Wooded Landscape with the Sermon of St. John the Baptist. Etching. 25.7 x 32.3 cm. Inventaire du Fonds Français 21.

Nicolas Cochin kam in Troyes als Sohn des Glasmalers Noël Cochin zur Welt und wurde wahrscheinlich von ihm ausgebil­ det, obwohl nahezu nichts über die jungen Jahre des Künstlers bekannt ist. Um 1640 übersiedelte Nicolas mit seinem jüngeren Halbbruder Noël nach Paris und entfaltete hier eine äußerst produktive und erfolgreiche Tätigkeit als Radierer. Ungewiss­ heit herrscht über das Todesdatum des Künstlers. Laut Corrard de Bréban lebte Cochin bis 1686, jedoch ist der Künstler ledig­ lich bis 1649 urkundlich nachweisbar (siehe A. H. F. Corrard de Bréban, Les graveurs troyens, Troyes-Paris 1868).

Nicolas Cochin was born in Troyes as the son of the glass painter Noël Cochin, who probably trained him, although next to nothing is known of the artist’s early years. About 1640 Nicolas moved with his younger half-brother Noël to Paris, where he became an extremely productive and successful etcher. The date of the artist’s death is uncertain. According to Corrard de Bréban, Cochin lived until 1686, although the last documented reference to him dates from 1649 (see A. H. F. Corrard de Bréban, Les graveurs troyens, Troyes-Paris, 1868).

(1610 Troyes – nach 1649 Paris)

Cochins Radierkunst ist entscheidend von dem Vorbild Jacques Callots geprägt. Jean de Saint-Perès, ein Zeitgenosse Cochins, behauptete sogar, dass Callot Nicolas zu seinem legitimen künstlerischen Nachfolger auserwählt hatte. Cochin war außer­ dem von den Radierungen Stefano della Bellas beeinflusst, der zwischen 1639 und 1650 in Paris tätig war und dessen Kompo­ sitionen vielfach von ihm neuinterpretiert wurden. Cochins druckgraphisches Œuvre ist außerordentlich umfangreich. Die Mehrzahl der Blätter ist lediglich mit dem Namen Cochin und der Initiale „N“ bezeichnet, wodurch die stilistische Abgren­ zung zum Schaffen des Halbbruders erschwert wird. Nur fünf­ unddreißig Radierungen, darunter das vorliegende Haupt­blatt, tragen den vollen Namen des Künstlers. Die schöne Radierung demonstriert Cochins Fähigkeit, eine vielfigurige Komposition harmonisch in die Landschaft zu integrieren. Callots Radie­ rung Die Predigt des hl. Ammon (Lieure 406) dürfte für die Kom­position Modell gestanden haben, jedoch ist Cochins Stil klein­teiliger, es wird dem anekdotischen Detail noch mehr Bedeutung beigemessen. Seine Radiertechnik ist handwerk­lich hochentwickelt und verfeinert und zaubert ein samtiges Clair­ obscur hervor. Ein charakterisches Merkmal seines Stils ist die überaus dekorative Gestaltung des üppigen Laubes. Prachtvoller, sehr kontrastreicher Frühdruck mit feinem, bele­ bendem Plattenton; mit breitem Rand. Minimal stockfleckig und vergilbt, sonst vorzügliches, unbehandeltes Exemplar.

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(1610 Troyes – after 1649 Paris)

Cochin’s etching art owes a great deal to his role model, Jacques Callot. Jean de Saint-Perès, a contemporary of Cochin’s, even asserted that Callot had selected Nicolas as his legitimate artis­ tic successor. Cochin was also influenced by the etchings of Stefano della Bella, who was active in Paris between 1639 and 1650 and whose compositions he often re-interpreted. Cochin’s printed œuvre is very extensive. Most of the prints are inscribed merely with the name Cochin and the initial “N”, which makes it hard to distinguish them from those of his half-brother. Only thirty-five etchings, including the present one, bear the full name of the artist. This fine etching demonstrates Cochin’s ability to integrate a multi-figure composition harmoniously into a landscape. Although Callot’s etching The Sermon of St. Ammon (Lieure 406) was probably the model for this composition, Cochin’s style is more intricate and attaches more importance to anecdotal detail. His etching technique is very sophisticated and refined, conjuring up a velvety chiaroscuro. A characteris­ tic feature of his style is the highly decorative rendering of the luxuriant foliage. A superb, richly varied early impression with fine, vivid plate tone; with wide margins. Minor foxing and yellowing, otherwise in excellent, unrestored condition.


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6. johannes jansz. collaert

6. johannes jansz. collaert

zugeschrieben. Blick auf einen Wasserfall. Schwarze Kreide, Pinsel in Grau und Braun, Einfassungslinie in brauner Feder. 46,2 x 38, cm. Um 1646.

attributed. View of a Waterfall. Black chalk, point of the brush in grey, grey wash, borderline in pen and brown ink. 46.2 x 38 cm. Circa 1646.

Die Zeichnungen der niederländischen Italianisanten zeichnen sich durch eine gewisse stilistische Einförmigkeit aus, was die Zuschreibung an einzelne Künstler erschwert. Es handelt sich um flott gezeichnete, direkt vor der Natur entstandene Studien, die in ihrem skizzenhaften Duktus einen gewissen ste­reotypen Charakter besitzen und somit weniger über die per­sönliche Handschrift eines Künstlers aussagen. Unsere Zeichnung eines Wasserfalls lässt sich jedoch gut mit drei gesi­ cherten Blättern des wenig bekannten Amsterdamer Malers und Zeichners Johannes Jansz. Collaert vergleichen, der offen­ bar 1646 eine Reise nach Italien machte. Insbesondere weist eine in der Hamburger Kunsthalle aufbewahrte Ansicht des Wasserfalles in Tivoli, die Collaerts Signatur und jenes Datum trägt, stilistische Analogien zu unserem Blatt auf. Beide Blät­ ter zeigen eine Vorzeichnung in schwarzer Kreide und sind locker und frei mit dem Pinsel ausgeführt. In Nachahmung anderer Italianisanten seiner Zeit wie Cornelis Poelenburch und Bartholomeus Breenbergh, verwendete der Künstler in beiden Fällen einen großformatigen Bogen Zeichenpapier, der in der Mitte gefaltet ist. Die breiten, wuchtigen Lavierungen der Felsblöcke im Vordergrund, die duftige, transparente Wie­ dergabe des Laubes und die Weise, wie einzelne kahle Äste mit dem Pinsel linear behandelt und visuell hervorgehoben sind, sind sowohl auf dem Hamburger als auch auf unserem Blatt sehr ähnlich, wodurch eine Zuschreibung an Johannes Collaert plausibel erscheint.

The drawings of the Dutch Italianates are distinguished by a stylistic uniformity, which makes their attribution to individual artists difficult. These are studies sketched directly from nature which have a certain stereotyped character and thus tell us less about the personal style of an artist. However, this drawing of a waterfall lends itself well to comparison with three autograph drawings of the little-known Amsterdam painter and draughtsman Johannes Jansz. Collaert, who evidently made a trip to Italy in 1646. In particular, a View of the Waterfall at Tivoli, which is preserved in Hamburg’s Kunsthalle and bears Collaert’s signature and that date, shows stylistic analogies with our drawing. Both sheets show a preliminary drawing in black chalk and are executed in a free and easy manner with a brush. In imitation of other Italianates of his time, such as Cornelis Poelenburch and Bartholomeus Breenbergh, the artist used in both cases a large-format sheet of drawing paper folded in the middle. The broad, sweeping washes of the cliffs in the foreground, the airy, transparent rendering of the foliage and the way, in which a few bare branches have been accentuated by brush, are very similar, both in the Hamburg drawing and the present one, which makes an attribution to Johannes Collaert seem plausible.

(um 1622 – nach 1678, Amsterdam)

Collaert kann nur kurz in Italien verweilt haben, denn im Februar 1647 heiratete er in Amsterdam, wo er als Landschafts­ maler tätig war. Nur wenige signierte Gemälde seiner Hand sind überliefert. Diese Werke zeigen in ihrer Kompositions­ weise Anregungen durch Jan Both und Herman Saftleven. Aus zeitgenössischen Quellen geht außerdem hervor, dass der Ita­ lia­nisant Jan Asselijn für die figürliche Staffage auf wenigstens einem der Landschaftsgemälde Collaerts verantwortlich ist. Verso mit mehreren alten Beschriftungen in Graphit: „Waterval te Tivoli“ und „W. Schellings“ (zweifach). Aus der Sammlung H.G.M. (nicht identifizierte Sammlermarke, Lugt 1313 a).

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(c. 1622 – after 1678, Amsterdam)

Collaert must have tarried only briefly in Italy, for in February 1647 he got married in Amsterdam, where he had been work­ing as a landscape painter. Only a few paintings signed by him have survived. The composition of these works shows the in­fluence of Jan Both and Herman Saftleven. Furthermore, contem­­ porary sources indicate that the Italianate Jan Asselijn was re­spon­sible for the staffage figures on at least one of Collaert’s landscape paintings. Verso with several old inscriptions in graphite: “Waterval te Tivoli” and “W. Schellings” (twice). From the H.G.M. Collection (unidentified collector’s mark, Lugt 1313 a).


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7. dirck volkertsz. coornhert

7. dirck volkertsz. coornhert

zugeschrieben. Sechs Sinnsprüche über das Glück. Folge von sechs Kupferstichen. Je ca. 20,3 x 25 cm. The Illustrated Bartsch, Bd. 55, Nr. 96.1; Bulletin van het Rijksmuseum, 46, Nr. 2–3, (1998), S. 322–24.

attributed. Six Sayings about Fortune. Set of six en­gravings, each measuring approx. 20.3 x 25 cm. The Illustrated Bartsch, vol. 55, no. 96.1; Bulletin van het Rijksmuseum, 46, nos. 2–3, (1998), pp. 322–24.

Die vorliegende, außerordentlich seltene Kupferstichfolge wird heute dem Humanisten, Schriftsteller und Graphiker Dirck Volkertsz. Coornhert zugeschrieben. Coornhert wuchs als Sohn eines vermögenden Stoffhändlers in begüterten Verhältnissen in Amsterdam auf. Auf Grund seiner Heirat mit einer wesent­ lich älteren und mittellosen Frau entzogen die Eltern ihm 1539 jede weitere finanzielle Unterstützung. Coornhert siedelte nach Haarlem um, wo er sich in der Folgezeit als Kupferstecher und Holzschneider etablierte. Seit 1547 war der Künstler als Kupferstecher für Maarten van Heemskerck tätig und schuf ein umfangreiches druckgraphisches Œuvre nach dessen Vor­ lagen. Coornhert war nicht nur als Künstler, sondern auch als Dichter und politischer Schriftsteller in Haarlem eine angese­ hene und geachtete Persönlichkeit. 1560 gründete er einen Ver­ lag, bekleidete in der Folgezeit das Amt eines Notars und wurde 1564 zum Stadtsekretär ernannt. Sein beherztes Eintreten für religiöse Toleranz und sein Freidenkertum zwangen ihn 1568 ins Exil, zuerst im niederrheinischen Kleve, dann in Xanten, wo Hendrick Goltzius um 1574 sein Schüler wurde. Erst 1577 kehrte der Künstler nach Haarlem zurück.

The present, extremely rare set of engravings is now attributed to the humanist, writer and printmaker Dirck Volkertsz. Coorn­ hert. Coornhert grew up as the son of a prosperous draper in comfortable circumstances in Amsterdam. After his marriage to a much older and penniless woman in 1539 his parents deprived him of any further financial support. Coornhert moved to Haarlem, where he subsequently established himself as a print­ maker. In 1547 the artist went to work as an engraver for Maarten van Heemskerck and produced an extensive œuvre of reproductive prints after the latter’s originals. Coornhert was an esteemed and respected figure, not only as an artist, poet and political writer in Haarlem. In 1560 he founded a publishing house and later became a notary public. In 1564 he was ap­­ pointed town clerk. His courageous pleas for religious tolerance and his freethinking forced him into exile in 1568, first in Cleves on the lower Rhine, then in Xanten, where Hendrick Goltzius became his pupil round about 1574. Not until 1577 did the artist return to Haarlem.

(1522 Amsterdam – 1590 Gouda)

Möglicherweise war Coornhert selbst der auctor intellectualis der vorliegenden Folge über die Unbeständigkeit des Glücks, denn ihre didaktisch-moralische Aussage stimmt eng mit dem Inhalt seiner Schriften überein. Der Zyklus visualisiert popu­ läre Sinnsprüche über das Glück, die sich als Inschrift unter jeder Darstellung wiederfinden. Fortuna ist eine wankelmütige, unberechenbare Göttin, die Glück oder Unglück ohne Ansehen der Person verteilt. Nur durch aufrechtes, moralisches Verhal­ ten und Besonnenheit ist der Mensch vor ihren Launen gefeit. So wird der Betrachter durch die Darstellungen vor der Unbe­ rechenbarkeit des Schicksals und dem eitlen Streben nach weltlichen Gütern gewarnt. Das Schlussblatt der Folge zeigt die Personifizierung der Fortuna von der Geduld besiegt entkräftet auf dem Boden liegend. Prachtvolle, tonige Frühdrucke mit Rand. Leicht fleckig, gering­fügige Gebrauchsspuren und Erhaltungsmängel, sonst vorzüglich.

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(1522 Amsterdam – 1590 Gouda)

It is possible that Coornhert himself was the auctor intellectualis of the present set of prints about the fickleness of fortune, as their didactic moral content closely matches that of his writings. The cycle shows visual portrayals of popular sayings about fortune, which are reproduced as inscriptions under each portrayal. Fortuna is an inconstant, unpredictable goddess who dispenses fortune or misfortune without respect of persons, and most of the sayings warn the viewer of the whims of fate and the vain striving for worldly goods. Only upright moral conduct and prudence can protect a man from her vagaries. The final sheet of the series shows the personification of Fortuna lying exhausted on the ground, having been defeated by Patience. Superb, early impressions printed with considerable tone, with full margins. Slight foxing, some traces of handling and minor defects, otherwise in excellent condition.


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8. deutsche schule um 1500

Salve Sancta Facies; Brustbildnis Christi im Profil nach links. Holzschnitt mit zeitgenössischem Kolorit. 9,1 x 6,2 cm. Zeitgenössische Beschriftung in brauner Feder: „suster Kathrinne van putk be...“. Unbeschrieben. Der vorliegende seltene Holzschnitt steht in einer langjährigen Bildtradition von Profilbildnissen des Erlösers, die während der zweiten Hälfte des 15. und im 16. Jahrhundert in Italien und nördlich der Alpen in Umlauf waren. Bevor dieser Bildtypus in den graphischen Künsten und in der Malerei introduziert wurde, waren im 15. Jahrhundert Bronzemedaillen mit dem Profilbildnis Christi aus dem Umkreis Pisanellos verbreitet. Der früheste bekannte Prototyp stammt von der Hand Matteo de’ Pastis und entstand zwischen 1441 und 1450 (Florenz, Museo Nazionale del Bargello). Wahrscheinlich zwischen 1492 und 1500 kursierten eine Reihe von italienischen Bronzemedaillen, deren Ikonographie unzähligen Künstlern in ganz Europa nun­mehr zum Vorbild dienen sollte, unter ihnen der anonyme Meister unseres Holzschnittes. Der Prototyp dieser Medaille ist auch heute noch Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. Die Berliner Skulpturensammlung besitzt eine Version mit einer Inschrift auf der Rückseite, die erwähnt, dass es sich um eine Kopie des „wahrhaftigen Abbildes“ (the „true likeness“) Christi handele (Abb. 1, Seite 27). Das Porträt sei der Überlieferung nach auf einen Smaragd graviert, den der osmanische Sultan Bayezid II. (1447–1512) dem Papst Innocenz VIII. als Geschenk überreicht habe, damit jener den Bruder und Rivalen des orienta­lischen Fürsten weiter im Vatikan in Gefangenschaft behielt. Dem mittelalterlichen Brauchtum entsprechend dürfte es sich um ein eindeutiges Beispiel von Mythenbildung handeln, denn diese Überlieferung ist nicht durch historische Fakten belegt und auch der besagte Smaragd hat sich nicht erhalten.

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Im Vergleich zu früheren italienischen Bronzemedaillen zeigt die Physiognomie unseres Christuskopfes ganz individuelle, nordische Charakteristika. Die fliehende Stirn, die kräftige Nase und die vollen Lippen sowie der kurze Bart und die in langen Strähnen auf die Schulter fallenden Haare scheinen auf einen Prototypen außerhalb Italiens zu deuten. Eine These der älteren Forschung lautet, dass der Bildtypus flämischen Ur­sprungs sei und in Zusammenhang stehe mit einem Gemälde in Berlin, das heute dem Brügger Meister von 1499 zugeschrie­ben wird (siehe G.F. Hill, The medallic portraits of Christ, Oxford 1920, S. 36–40, siehe Abb. 3, Seite 27). Es würde zu weit führen, sich mit allen Mysti­fizierungsversuchen, die sich um diese Urfassung ranken, aus­­einanderzusetzen. Ein weiteres Bei­ spiel sei jedoch genannt. Die ausführliche Legende auf Hans Burgk­mairs 1512 entstan­denem Holzschnitt mit dem Profil­ kopf Christi (Bartsch 20, Hollstein 52), beruft sich auf den berühmten Brief des römi­schen Prokonsuls Lentulius, der eine genaue Beschreibung des irdi­schen Aussehens Christi enthält (siehe Abb. 2, Seite 27). Dieser Brief entstand wahr­scheinlich Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahr­hunderts im monasti­ schen Kontext und erlebte während des 15. Jahr­hunderts eine große Verbreitung. Wie unklar die Herkunft der Bildtradition des wahren Ant­ litzes Christi letztendlich auch sein mag, ihre außerordentliche Bekanntheit ist eine unangefochtene Tatsache. Nicht nur Hans Burgkmair, auch Melchior Lorch, Hans Holbein d. Ältere und eine große Zahl von nordeuropäischen und italienischen Künstlern schufen um 1500 weitere Fassungen in gemalter, gezeichneter oder gedruckter Form und dokumentieren somit die große Popularität dieses Themas.


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8. german school circa 1500

Salve Sancta Facies; Bust-length Portrait of Christ in Left Profile. Woodcut with contemporary colouration. 9.1 x 6.2 cm. Contemporary lettering in pen and brown ink: “suster Kathrinne van putk be...”. Unrecorded. The present rare woodcut is one in a long tradition of profile portraits of the Redeemer which were in circulation during the second half of the 15th and the whole of the 16th century in Italy and north of the Alps. In the 15th century, before this type of picture was introduced to the graphic arts and painting, bronze medallions with a profile portrait of Christ were distributed by Pisanello and his circle. The earliest known prototype comes from the hand of Matteo de’ Pasti and was made between 1441 and 1450 (Florence, Museo Nazionale del Bargello). It is likely that between 1492 and 1500 a series of Italian bronze medallions were circulating whose iconography was to serve as a model for countless artists all over Europe, among them the anonymous master of our woodcut. The prototype of this medallion is still the subject of scholarly debate today. The Berlin Sculpture Collection possesses a version with an inscription on the reverse, which mentions that it is a copy of the “true likeness” of Christ. Tradition has it that the portrait was engraved on an emerald and given as a present by the Ottoman Sultan Bayezid II (1447–1512) to Pope Innocent VIII so that the latter would continue to keep Bayezid’s brother and rival a prisoner in the Vatican. In keeping with mediaeval custom this is clearly an example of myth-making, as this version is not supported by the historical facts and the emerald in question has not survived.

In comparison to earlier Italian bronze medallions the phy­ siognomy of this head of Christ exhibits highly individual, Nordic characteristics. The receding forehead, strong nose and full lips as well as the short beard and long hair falling onto the shoulders suggest a prototype outside of Italy. One thesis advanced by earlier researchers was that this type of image was of Flemish origin, being connected with a painting in Berlin that today is attributed to the Bruges Master of 1499 (see G. F. Hill, The Medallic Portraits of Christ, Oxford, 1920, pp. 36–40). It would take us too far afield to deal with all the attempts at mystification in which this original version is shrouded. We may, however, mention one more example. The detailed legend on Hans Burgkmair’s woodcut of 1512 with the head of Christ in profile (Bartsch 20, Hollstein 52) refers to the famous letter of the Roman Proconsul Lentulius, which contains an exact description of the terrestrial appearance of Christ. This letter probably arose at the end of the 13th or the beginning of the 14th century in a monastic context and was widely disseminated during the 15th century. However unclear the origin of the tradition of pictures showing the true face of Christ may be, their extraordinary familiarity is an undisputed fact. Not only Hans Burgkmair, but also Melchior Lorch, Hans Holbein the Elder and a large number of Northern European and Italian artists created further ver­­­sions in painted, drawn or printed form around 1500, thus documenting the great popularity of this theme.

Fig. 1 Italian School, late 15th century. Bronze. Berlin, Bode-Museum Fig. 2 H. Burgkmair. Woodcut. Hollstein 52. München, Staatliche Graphische Sammlung Fig. 3 Master of 1499. Oil on panel. Berlin, Gemäldegalerie

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Fig. 2

Fig. 1

Fig. 3

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9. giovanni battista franco (genannt Il Semolei, um 1510–1561, Venedig)

Eine Gruppe von drei schwebenden Engeln. Radierung. 19,2 x 17,9 cm. Bartsch XVI, 139, 61 II; The Illustrated Bartsch, Bd. 32 (16), 61 (139); Rearick, „Battista Franco and the Grimani Chapel“, in: Saggi e memorie di storia dell’arte, 2 (1958–9), S. 105–139. Laut Vasari ging Battista Franco als Zwanzigjähriger nach Rom, um sich mit ganzer Kraft dem Studium der antiken Skulp­tur und der Kunst Michelangelos zu widmen, von dessen For­men­ kanon er entscheidend geprägt werden sollte. Der umfang­ reiche Corpus an überlieferten Handzeichnungen zeugt von der Intensität, mit der der junge Künstler seine Weiterbil­ dung betrieb. In Rom erlernte Franco auch das Handwerk des Kupferstechers, obgleich nicht bekannt ist, bei welchem Meister er sich mit den verschiedenen druckgraphischen Techniken vertraut machte. Seine Karriere als Maler dagegen begann 1536, als Franco unter der Leitung so berühmter Meister wie Anto­ nio da Sangallo und Vasari in Rom und Florenz an der Aus­ schmückung der Festdekorationen beteiligt war, die anlässlich des Einzuges des habsburgischen Kaisers Karl V. in diesen beiden Städten angefertigt wurden. Francos künstlerische Lauf­ bahn verlief sehr abwechslungsreich und war von seiner großen Vielseitigkeit und Mobilität geprägt. In Florenz bildete Franco sich vor allem als Zeichner weiter, während ihm durch seine Bekanntschaft mit dortigen Künstlern wie Vasari, Ridolfo Ghirlandaio und Bartolommeo Ammanati wichtige Aufträge für Herzog Cosimo I. de’ Medici und Kardinal Francesco Coronaro in Rom zugeteilt wurden. Im Jahre 1545 sehen wir den Künstler in Urbino, wo er in den Dienst des Herzogs Guido­ baldo II. della Rovere trat. In dieser Stadt hat er zudem zahl­ reiche Vorlagen für die herzogliche Majolikamanufaktur im nahegelegenen Castel Durante entworfen. Nach einem erneuten Aufenthalt in Rom um 1549, wo Franco diesmal auch als Mit­

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glied der Komödiengesellschaft des Dichters Giovanni Andrea dell’Anguillara figurierte und weiter mit Bühnendekorationen und Freskenmalereien beschäftigt war, siedelte er Anfang der 1550er Jahre in seine Geburtsstadt Venedig über. Francos Fähigkeiten als Maler und Zeichner brachten ihm bald Aner­ kennung und Bekanntheit und führten zu wichtigen Aufträgen für Kirchen und Palazzi der Serenissima. Die vorliegende Radierung steht in Verbindung mit dem letz­ ten großen Projekt Francos in Venedig, vor dessen Vollendung er verstarb: der Ausmalung der Grimani Kapelle in der Kirche San Francesca della Vigna in Venedig. Der Häresie beschuldigt, anschließend aber freigesprochen, gab der vermögende Patriarch Giovanni Grimani die Dekoration der Kapelle wohl deshalb in Auftrag, um seine religiöse Integrität unter Beweis zu stellen. Zum Zeitpunkt von Francos Tod waren lediglich die Malereien am Gewölbe und zwei Lunetten vollendet. Unsere Radierung gibt eine Szene aus einem der fünfzehn Felder des Gewölbes im Gegensinn wieder. Auf Grund des schlechten Erhaltungs­zustan­ des der einzelnen Malereien besteht Unklarheit hin­sicht­lich der ikonographischen Deutung des aufwendigen Decken­pro­ gramms. Laut Rearick handelt es sich bei unserem Blatt um eine Darstellung der Caritas oder der Theologischen Tugenden. Insgesamt haben sich fünf Zeichnungen und acht Radierungen erhalten (Bartsch 56–58, 61, 65–66, 68, 70), die die Dekoration der Grimani Kapelle dokumentieren (siehe Anne Varick Lauder, Inventaire Général des Dessins Italiens, Bd. VIII Battista Franco, Musée du Louvre, Paris 2009, S. 46, 54, Anmerkung 255, 279–80). Prachtvoller, toniger Druck mit Rand. Minimale Erhaltungs­ mängel, sonst vorzügliches Exemplar. Aus der Sammlung des Reverend James Burleigh (Lugt 1425).


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9. giovanni battista franco (called Il Semolei, c. 1510–1561, Venice)

A Group of Three Hovering Angels. Etching. 19.2 x 17.9 cm. Bartsch XVI, 139, 61 II; The Illustrated Bartsch, vol. 32 (16), 61 (139); Rearick, “Battista Franco and the Grimani Chapel”, in Saggi e memorie di storia dell’arte, 2 (1958–9), pp. 105–139.

Andrea dell’Anguillara while also continuing to be occupied with stage designs and fresco paintings, he moved back to his native city of Venice in the early 1550s. Franco’s skills as a painter and draughtsman soon brought him recognition and fame, leading to important commissions for churches and palazzi in the Serenissima.

According to Vasari, Battista Franco went to Rome at the age of twenty in order to devote himself body and soul to the study of classical sculpture and the art of Michelangelo, whose formal canon was to exert a strong influence on him. The extensive corpus of surviving drawings testifies to the intensity with which the young artist pursued his further training. In Rome, Franco learned the engraver’s trade as well, although it is not known which master introduced him to the various printmaking tech­ niques. His career as a painter, on the other hand, began in 1536 when Franco, under the guidance of such famous masters as Antonio da Sangallo and Vasari in Rome and Florence, was involved in preparing the festive decorations for the entry of the Hapsburg Emperor Charles V into these two cities. In view of his great versatility and mobility Franco’s artistic career was very varied. In Florence, Franco continued his training mainly as a draughtsman, while his acquaintance with such artists as Vasari, Ridolfo Ghirlandaio and Bartolommeo Ammanati brought him in commissions for Duke Cosimo I de’ Medici and Cardinal Francesco Coronaro in Rome. The year 1545 saw the artist in Urbino, where he entered the service of Duke Gui­do­ baldo II della Rovere. In Urbino he made numerous designs for the ducal majolica manufactory in nearby Castel Durante. After another stay in Rome about 1549, where Franco figured as a member of the comedy company of the poet Giovanni

The present etching must be seen in combination with Franco’s last major project in Venice, which was cut short by his death: the decoration of the Grimani chapel in the church of San Fran­ cesca della Vigna in Venice. Having been accused of heresy, though later acquitted, the wealthy patriarch Giovanni Grimani no doubt commissioned the embellishment of the chapel as proof of his religious integrity. At the time of Franco’s death only the paintings on the vault and two lunettes had been com­ pleted. Our etching is a mirror image of a scene from one of the fifteen fields of the vault. In view of the poor state of preser­va­ tion of the individual paintings there is uncertainty concern­ing the iconographical interpretation of the costly ceiling programme. According to Rearick this print is a depiction of Caritas or the Theological Virtues. A total of five drawings and eight etchings have been preserved (Bartsch 56–58, 61, 65–66, 68, 70) to document the decoration of the Grimani chapel (see Anne Varick Lauder, Inventaire Général des Dessins Italiens, vol. VIII Battista Franco, Musée du Louvre, Paris 2009, pp. 46, 54, notes 255, 279–80.)

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A very fine impression with rich tone and margins. Minor defects, otherwise in excellent condition. From the collection of the Reverend James Burleigh (Lugt 1425).


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10. a lessandro maganza 10. a lessandro maganza (1556–1632, Vicenza)

(1556–1632, Vicenza)

Die Himmelfahrt Mariä. Schwarze Kreide, Feder in Braun, braun laviert. 22,7 x 10,8 cm.

The Assumption of Mary. Black chalk, pen and brown ink, brown wash. 22.7 x 10.8 cm.

Der Maler und Freskant Alessandro Maganza, das namhaf­ teste Mitglied dieser Vicentiner Künstlerfamilie, wurde zuerst von seinem Vater Giambattista ausgebildet und ging an­schließend bei Giovanni Antonio Fasolo in die Lehre. Nach dem Tod seines Lehrmeisters im Jahre 1572 verbrachte Maganza vier Jahre in Venedig, wo er mit dem Schaffen führen­ der Künstler jener Jahre wie Tintoretto, Palma il Giovane und Veronese in Berührung kam.

The painter and fresco artist Alessandro Maganza, the most renowned member of this family of artists from Vicenza, was first trained by his father Giambattista before going on to study under Giovanni Antonio Fasolo. After the death of his tutor in 1572 Alessandro spent four years in Venice, where he was exposed to the work of such leading artists of the day as Tintoretto, Palma il Giovane and Veronese. Alessandro must have acquired an extensive knowledge of Venetian painting at some earlier point in his career, as his father was a student and imita­tor of Titian.

Bei der vorliegenden Zeichnung handelt es sich um einen primo pensiero, einen ersten skizzenhaften Entwurf für ein Altar­stück, das die Himmelfahrt Mariä darstellt und damit ein Thema aufgreift, das häufig in Maganza’s Œuvre vorkommt. Unter­ schiedliche Fassungen dieses Sujets befinden sich in der Kathe­ drale von Vicenza, in der Kirche Santa Maria Nascente in Paderno Dugnano und in der Pfarrkirche der Santi Nabore e Felice in Griante. Obwohl die Gesamtkomposition wesentlich differiert, erinnert die Gestalt der Jungfrau auf dem Altar­ stück in Griante stark an die Mutter Gottes auf unserer Zeich­ nung. Überhaupt ist die kompositorische Struktur unseres Blattes charakteristisch für Maganzas religiöse Malerei. Ver­ gleichbare Kompositionsschemata kamen unter anderem für die Krönung der Jung frau im Oratorio del Gonfalone (1945 zer­stört, überliefert durch eine Fotografie, siehe W. de Boer (Herausgeber), I gioielli pittoreschi: virtuoso ornamento della città di Vicenza, Florenz 2008, S. 420, Nr. 400) und den Paradiso in der Kirche Santi Rocco e Teresa (W. de Boer, idem, S. 420, Nr. 400) zur Anwendung. Das dichte Gedränge der Engel und die längliche Form ihrer Flügel sind typische Stilmerkmale, die auch auf unserer Zeichnung erscheinen. Der furiose, ner­ vöse Duktus der Strichführung und das dramatische Clair­ obscur zeigen überdies, wie maßgeblich Alessandro von der Zeichenkunst venezianischer Meister wie Veronese und Palma Giovane beeinflusst wurde. Maganzas Malerei ist stark vom Geist der Kontrarefor­mation und deren künstlerischen Zielsetzungen geprägt. Um ihrem didaktischen Anspruch zu genügen, sollten religiöse Darstel­ lungen nunmehr auf extravagante oder heidnische Themen verzichten und sich vor Gefälligkeit und Leichtsinn hüten. Die gewisse Stereotypie von Maganzas Kompositionen und seine strenge, etwas dogmatisch wirkende Figurenauffassung ent­ sprechen der Suche nach Klarheit und allgemeiner Verständ­ lichkeit, die kennzeichnend ist für diese Epoche. Aus der Sammlung Padre Sebastiano Resta (1653 Mailand – 1714 Rom, Lugt 2992 a). Waldemar H. de Boer hat die Autorschaft Alessandro Maganzas bestätigt.

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The present drawing is a primo pensiero, an initial sketchy draft for an altarpiece depicting the Assumption of Mary, a recurring theme in Maganza’s œuvre. Different versions of this subject are to be found in Vicenza Cathedral, in the church of Santa Maria Nascente in Paderno Dugnano, and in the parish church of Santi Nabore e Felice in Griante. Although the overall composition differs considerably, the figure of the Virgin on the altarpiece in Griante is very reminiscent of the Mother of God in our drawing. In general the compositional structure of this drawing is characteristic of Maganza's religious painting. Comparable compositional schemes were used inter alia for the Coronation of the Virgin in the Oratorio del Gonfalone (destroyed in 1945, a photograph of it survives, see W. de Boer (ed.), I gioielli pittoreschi: virtuoso ornamento della città di Vicenza, Florence, 2008, p. 420, no. 400) and the Paradiso in the church of Santi Rocco e Teresa (W. de Boer, idem, p. 420, no. 400). The dense throng of angels and the length of their wings are typical sty­ listic features which also appear in our drawing. The furious, agitated nature of the linework and the dramatic use of chiar­ oscuro also show how much Alessandro was influenced by the drawing techniques of such Venetian masters as Veronese and Palma Giovane. Maganza’s painting strongly reflects the spirit of the CounterReformation and its artistic aims. For didactic reasons religious portrayals were to dispense with extravagant or heathen themes and shun any sign of easy-going frivolity. The somewhat ste­ reo­t ypical nature of Maganza’s compositions and his austere, seemingly dogmatic way of rendering figures reflect the pursuit of clarity and general accessibility that is characteristic of this period. From the Padre Sebastiano Resta Collection (1653 Milan – 1714 Rome, Lugt 2992 a). Waldemar H. de Boer has kindly confirmed the authorship of Alessandro Maganza.


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11. henri mauperché

11. henri mauperché

Die Bestrafung des Marsyas. Radierung. 19,3 x 26,7 cm. Robert-Dumesnil 27 I (von II). Wasserzeichen: Posthorn.

The Punishment of Marsyas. Etching. 19.3 x 26.7 cm. Robert-Dumesnil 27 I (of II). Watermark: Post horn.

Henri Mauperché war ein vielbeschäftigter Landschaftsmaler, der vor allem für den französischen Hof und für die Pariser Aristokratie tätig war. Nebenbei beschäftigte er sich auch als Graphiker und schuf zwischen 1639 und 1656 etwa fünfzig Radierungen. Es handelt sich vorwiegend um topographische Ansichten und religiöse Szenen, die sich in Ideallandschaften ereignen. Mauperché war ein Schüler des Louis de Boullogne, mit dem er im Jahre 1634 nach Rom reiste. Der Italien­aufent­ halt hat sein malerisches und auch druckgraphisches Werk maß­geblich beeinflusst. Mauperché verkehrte in Rom mit ande­ ren nordeuropäischen Künstlern, die hier die Kunst der Antike studierten und sich von der italienischen Landschaft inspi­ rie­ren ließen. Zu seinem engeren Bekanntenkreis zählten so bedeutende Künstlerpersönlichkeiten wie Claude Lorrain, Sébastien Bourdon und Herman van Swanevelt, die dem Medium der Druckgraphik einen hohen Stellenwert einräumten.

Henri Mauperché was much in demand as a landscape painter, being the recipient, in particular, of commissions from the French court and the Parisian aristocracy. In addition he worked as a printmaker, producing some fifty etchings between 1639 and 1656. These were mostly topographical views and religious scenes set in ideal landscapes. Mauperché was taught by Louis de Boullogne, with whom he travelled to Rome in 1634. His stay in Italy was to have a formative influence on his paintings and printmaking. During his time in Rome Mauperché associated with other northern European artists, who had come to Italy to study the art of antiquity and drew inspiration from the Italian countryside. Among his closer acquaintances were such pro­ minent artistic figures as Claude Lorrain, Sébastien Bourdon and Herman van Swanevelt, who attached great importance to printmaking.

(um 1602–1686, Paris)

Die vorliegende mythologische Szene illustriert die Vorzüge von Mauperchés Radierkunst auf anschauliche Weise. Das Gesche­ hen findet in einer üppigen, leicht und virtuos skizzierten Wald­ kulisse statt und wirkt fast beiläufig in dieser wunderbar atmosphärisch erfassten Szenerie. Mauperchés Strichführung ist leicht, spirituell und auf eine betont malerische Wirkung ausgerichtet. Dies offenbart sich auch in dem lebhaften Clair­ obscur, das durch den Gegensatz von tiefschwarz geätz­ten Partien und weissen, unbehandelten Stellen erzeugt wird. Prachtvoller, gegensatzreicher Frühdruck mit belebendem Plat­ tenton, mit Rand um die deutlich zeichnende Facette. Vor der späteren Überarbeitung und Änderung des Sujets. Gering­fügig stockfleckig, leichte Altersspuren, sonst vollkommen erhalten.

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(c. 1602–1686, Paris)

The present mythological scene vividly illustrates Mauperché’s merits as an etcher. The scene, portrayed against a lush wood­ land backdrop sketched with effortless mastery, appears almost incidental in this wonderfully atmospheric setting. Mauperché’s linework is light, imaginative and intended to produce a painterly effect. This is apparent in the vigorous chiaroscuro that arises from the contrast between the parts etched in jet black and the places that are white and untreated. A superb, contrasting early impression with invigorating plate tone and margins around the distinct platemark. Before the later reworking and change in the subject matter. Slightly foxed, minor ageing, otherwise in perfect condition.


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12. m onogrammist l. k.

12. monogrammist l. k.

Die Landschaft mit dem Wasserfall. Radierung nach Hendrick Goltzius. 11,2 x 14,2 cm. Wasserzeichen: Bekröntes Wappen mit Doppeladler und Initiale M (ähnlich Briquet 326, Brünn, 1589–91).

Landscape with Waterfall. Etching after Hendrick Goltzius. 11.2 x 14.2 cm. Watermark: Double-headed Eagle in Shield with Crown and Initial M (similar to Briquet 326, Brünn, 1589–91).

Bei der vorliegenden Radierung handelt es sich um eine kon­ geniale Wiederholung im Gegensinn von Hendrick Goltzius’ Clairobscur-Holzschnitt Die Landschaft mit dem Wasserfall (Bartsch 242; Hollstein 378; Bialler 49). Goltzius schuf den Holzschnitt zwischen 1597–1600 und unsere Radierung dürfte auf Grund des Wasserzeichens unmittelbar danach entstan­ den sein – ein untrügliches Indiz für den Bekanntheitsgrad, den Goltzius’ druckgraphisches Werk im nordeuropäischen Raum genoss. Das Blatt ist in einer freien, malerischen Radiertechnik behandelt, die den atmosphärischen Valeurs der Vorlage sehr nahe kommt. Auch das Format ist nahezu identisch mit dem Goltzius’schen Prototypen. Die Radierung ist von größter Sel­ tenheit und es ist lediglich ein weiteres Exemplar bekannt. Es handelt sich um einen Abzug ohne das Monogramm, der in der Albertina in Wien aufbewahrt wird (siehe Ausstellungs­ katalog N. Bialler, Chiaroscuro-Woodcuts – Hendrick Goltzius and his Time, Amsterdam-Ohio 1993; S. 176, Abb. 97). Bei unserem Blatt dürfte es sich um einen unbeschriebenen frühen Druck­ zustand, vor der Löschung des Monogramms, handeln. Nach Ansicht von Marjolein Leesberg könnte Lukas Kilian als Autor der Radierung in Betracht kommen; das Monogramm ist dem von Nagler beschriebenen Zeichen des Künstlers sehr ähnlich (G. K. von Nagler, Die Monogrammisten, Bd. IV, 1165). Lukas Kilian war unbestritten der bedeutendste Repräsentant der ein­flussreichen und weitverzweigten Augsburger Kupfer­ste­ cher­familie. Bezeichnend für sein Frühwerk sind Reproduk­ tions­stiche nach italienischen Meistern und Künstlern des rudolphinischen Kreises. In diesem künstlerischen Umfeld dürfte Kilian auch Bekanntschaft mit dem druckgraphischen Schaffen des Hendrick Golzius gemacht haben.

This etching is an ingenious repetition in reverse of Hendrick Goltzius’ chiaroscuro woodcut Landscape with Waterfall (Bartsch 242; Hollstein 378; Bialler 49). Goltzius produced the woodcut between 1597 and 1600 and the watermark on our etching would indicate that it arose immediately afterwards – an unmistakable sign of the degree of familiarity with Goltzius’ printed œuvre in northern Europe. The work is the result of a free, painterly etching technique which approximates very closely to the atmospheric values of the original. The format, too, is almost identical with Goltzius’ prototype. The etching is of great rarity. Only one other example appears to be known, an impression without the monogram in the Albertina in Vienna (see exhibition catalogue N. Bialler, Chiaroscuro Woodcuts – Hendrick Goltzius and his Time, Amsterdam-Ohio 1993; p. 176, fig. 97). Our impression is in all likelihood an unrecorded early state before the deletion of the monogram. Marjolein Leesberg is of the opinion that Lukas Kilian could be considered the author of the etching; the monogram is very similar to the artist’s sign recorded by Nagler (G. K. von Nagler, Die Monogrammisten, Vol. IV, 1165). Lukas Kilian was without doubt the most prominent representative of the influential and widely dispersed Augsburg family of engravers. Characteristic of his early work are reproductive prints after Italian masters and artists of the Rudolphinian circle. In this artistic environment Kilian probably came into contact with the printed œuvre of Hendrick Golzius.

(Lucas Kilian?, 1579–1637, Augsburg)

Prachtvoller, markanter Frühdruck, mit einem delikaten Hauch von Plattenton und zahlreichen Wischspuren, die Plattenkante gratig druckend. Vollrandig. Minimal gebräunt und knitter­fal­ tig im Rand, sonst vorzüglich frisches, unbehandeltes Exemplar.

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(Lukas Kilian?, 1579–1637, Augsburg)

A very fine, strong impression with a light platetone and wiping marks, showing touches of burr along the platemark; printed on the full sheet. Some minor staining in the margins and a few small nicks at the sheet edges, otherwise in impeccably fresh, untreated condition.


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13. lambert suavius

13. lambert suavius

Die Apostel Petrus und Johannes heilen den Gelähmten. Grabstichel und Diamantnadel. 30,9 x 42,8 cm. 1553. Hollstein 23 II. Wasserzeichen: Kleines Wappen mit Schriftzug Nivelles (vgl. Briquet 9869–70, Bayonne, Paris, ab 1544).

St. Peter and St. John Healing a Lame Man. Burin and diamond-tip needle. 30.9 x 42.8 cm. 1553. Hollstein 23 II. Watermark: Small coat-of-arms with lettering Nivelles (cf. Briquet 9869–70, Bayonne, Paris, after 1544).

Die bemerkenswert vielseitige Künstlerpersönlichkeit Lambert Suavius – er betätigte sich als Architekt, Dichter, Maler, Zeich­ ner und Graphiker – gehörte in Lüttich dem humanistischen Kreis um Lambert Lombard an, dessen Schüler und Schwager er war. Nach seiner Weiterbildung in Italien war er zuerst in Lüttich und seit den 1550er Jahren in Antwerpen und Frank­ furt tätig. Suavius fertigte eine Reihe von Reproduktions­stichen nach Vorlagen seines Lehrmeisters Lombard an, schuf darüber hinaus jedoch auch Kupferstiche nach eigener Erfindung, wie dieses eindrucksvolle und seltene Hauptblatt seines Œuvres belegt. Suavius muss sich als Kupferstecher bald einen Namen gemacht haben, denn kein Geringerer als Vasari erwähnt den Künstler in seine Vite lobend.

Lambert Suavius, an artistic celebrity of considerable versatility, was active as an architect, poet, painter, draughtsman and printmaker. He was a member of the humanist circle in Liège that gathered around his brother-in-law, Lambert Lombard, under whom he studied. After undergoing further training in Italy, he worked first in Liège and, from the 1550s onwards, in Antwerp and Frankfurt. Although he produced a series of repro­ ductive engravings after originals by his tutor, Lombard, Suavius also made engravings of his own invention, as this impressive and rare sample of his œuvre proves. Suavius must have been quick to make a name for himself as an engraver, as none other than Vasari mentions the artist approvingly in his Vite.

(eigentl. Lambert Zutman, um 1510 Lüttich – zwischen 1574–76 Frankfurt a. M.)

Nicht nur als eigenständige Bilderfindung, auch in technischer Hinsicht ist die Darstellung der wundersamen Heilung des Gelähmten eine einzigartige Leistung. Der Künstler bedient sich einer sehr nuancierten, feinmaschigen Graviertechnik, die eine subtile Oberflächen- und Lichtbehandlung erzeugt. Wahr­ scheinlich arbeitete Suavius mit einer Diamantnadel, einem Werkzeug, das ihm ermöglichte, ein filigranes Netzwerk von Linien und unterschiedlichen Schraffurmustern zu gravieren und fein abgestufte Tonwerte zu erzielen. Jedes Detail besitzt metallische Schärfe, und die daraus resultierende Linien­schön­ heit ist ein wesentliches Stilmerkmal seiner Stichtechnik. Sua­­ vius hat fraglos die Kupferstiche Giorgio Ghisis gekannt, der unmittelbar vor dem Entstehungsdatum unseres Blattes für den Antwerpener Verleger Hieronymus Cock tätig gewesen war; die technische Bravura von Suavius’ Gravierstil ist eng mit der Methodik des Mantovaner Meisters verwandt. Größte Auf­ merksamkeit ist auch der Wiedergabe der imposanten, bärtigen Männerköpfe gewidmet, die bemerkenswert eindringlich und abwechslungsreich gestaltet sind. Der Figurenkanon zeigt ein von der italienischen Kunst der Renaissance geprägtes Schön­ heitsideal. So ist die biblische Szene von einem profanen Geist erfüllt, der so bezeichnend für die Kunst der flämischen Roma­ nisten ist. Ganz ausgezeichneter, nuancierter und gleich­mäßi­ ger Druck mit feinem Rändchen. Vorzügliches, unbehandeltes Exemplar.

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(real name: Lambert Zutman, circa 1510 Liège – between 1574 and 1576 Frankfurt a. M.)

The portrayal of the miraculous healing of the lame man is a unique achievement not only as an original invention, but also in a technical sense. The artist uses a finely nuanced, intricate engraving technique which generates a subtle treatment of sur­ face and light. It is likely that Suavius worked with a diamondtip needle, a tool that enabled him to engrave a filigree network of lines and different cross-hatching patterns, thus obtaining finely gradated tonal values. Every detail has a metallic precision, and the resultant beauty of line is an essential feature of his engraving technique. Suavius was doubtless familiar with the engravings of Giorgio Ghisi, who had been active for the Antwerp publisher Hieronymus Cock immediately before the publication date of our print; the technical brilliance of Suavius’ engraving style is closely related to the methods of the Mantuan Master. The utmost attention is paid to the rendering of the impressively bearded male heads, which are remarkably memorable and variously formed. The figurative canon reveals an ideal of beauty typical of the Italian art of the Renaissance. Thus this biblical scene is filled with the profane spirit typical of the art of the Flemish Romanists. A very fine, contrasting and harmonious impression with narrow margins. In excellent, unrestored condition.


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14. a ntonio tempesta (1555 Florenz – 1630 Rom)

„Il bello Narciso; La belissima Diana“, zwei Grotesken­ porträts im Profil. Zwei Radierungen, in der Mitte zusammengefügt. Je ca. 14,7 x 10,8 cm. Bartsch XVII, 180, 1368 und 1369; The Illustrated Bartsch, Bd. 37 (17), S. 203; S. Samek Ludovici, “Caricature inedite di Antonio Tempesta”, in: Studi di biblioteconomia e storia del libro in onore di Francesco Barberi, Roma 1976, S. 513–517. Der in Florenz geborene Maler und Kupferstecher Antonio Tempesta begann seine Karriere als Schüler von Santi di Tito und lernte anschließend bei dem aus Flandern stammenden Jan van der Straet, genannt Stradanus, mit dem er von 1563 bis 1565 unter der Ägide Giorgio Vasaris an der Dekoration des Salone dei Cinquecento im Palazzo Vecchio mitarbeitete. Von etwa 1580 an war Tempesta in Rom tätig, wo er sich mit dem flämischen Maler Mathijs Bril anfreundete. Gemeinsam mit Bril beteiligte er sich im Auftrag des Papstes Gregor XIII. an der Ausmalung der Loggien im dritten Geschoss des Vatikanischen Palastes. Obwohl Tempesta bereits in den 1580er Jahren Vorlagen für andere Kupferstecher angefertigt hatte, stammen die ersten von ihm selbst ausgeführten Blätter aus dem Jahr 1589 und mar­ kieren somit den Anfang einer äußerst produktiven und erfolg­ reichen Karriere. Unsere beiden Radierungen gehören einer Gruppe von insgesamt zwölf Blatt an, die Bartsch irr­tüm­li­cher­ weise als Folge von römischen Helden und Heldinnen, „repré­ sen­tés d’une manière grotesque et des plus burlesques“ bezeich­ nete. Zweifellos entstammen Tempestas Bilderfindungen jedoch der Ritterdichtung Orlando Furioso des Ludovico Ariosto. Seine karikierende Wiedergabe der Charaktere Ariostos geht auf eine Bildtradition zurück, die mit den grotesken Porträts des Leo­nardo da Vinci ihren Anfang genommen hatte. In unserem

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spe­zifischen Fall wurde Tempesta vermutlich von dem Kupfer­ stich „Otto teste grottesche delle Divinità dell’Olimpo“ Ambrogio Brambillas (Mailand, tätig in Rom 1575–1590) angeregt. Das Blatt zeigt acht Karikaturen von griechischen Göttern und Göttinnen, unter ihnen auch Narziss und Diana. Wie erhabene Olympier sehen diese wunderlichen Kreaturen wahrhaftig nicht aus. Es handelt sich um ein buntes Sammelsurium von menschlichen Ungeheuern, die mit ihren grotesk verzerrten Physiognomien den Mythos der göttlichen Schönheit Lügen strafen. Darstellungen dieser Art erfreuten sich auf Grund ihres derben, volkstümlichen Humors nicht nur in Italien, sondern auch in Flandern großer Beliebtheit. Bevor der Maler und Kupferstecher Brambilla um 1575 nach Rom ging, lebte und wirkte er in Mailand, wo er der Accademia della Val di Blenio angehörte, einer literarischen Gesellschaft, die eine große Vor­ liebe für Parodie und Satire entwickelte. Aus diesem Grunde waren ihre Mitglieder fraglos auch mit Leonardos teste caricate und den grotesken teste composte des Arcimboldo vertraut (siehe F. Paliaga, „Giovanni Ambrogio Brambilla, le teste di carattere di Leonardo e la commedia dell’arte“, in: Raccolta Vinciana 26 (1995), S. 225). In Rom tat sich Brambilla als Kupferstecher, Kartograph und Illustrator hervor und arbeitete für namhafte Verleger wie Claude Duchet, Pietro de’ Nobili und Nicolas van Aelst. Auf diesem Wege dürfte Brambilla auch mit Antonio Tempesta in Kontakt getreten sein. Wenngleich Italien während der zweiten Hälfte des Cinquecento eine reiche Tradition an Grotesken­ porträts vorweisen kann, bleibt Tempestas Karikaturfolge ein Einzelfall. Die Blätter dieses Zyklus sind von großer Seltenheit. Prachtvolle, tonige Drucke mit Rand. Minimal stockfleckig, verso leicht knitterfaltig, sonst vorzüglich erhalten.


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14. a ntonio tempesta (1555 Florence – 1630 Rome)

“Il bello Narciso; La belissima Diana”, two grotesque por­ traits in profile. Two etchings joined together in the middle. Each measuring approx. 14.7 x 10.8 cm. Bartsch XVII, 180, 1368 and 1369; The Illustrated Bartsch, vol. 37 (17), p. 203; S. Samek Ludovici, “Caricature inedite di Antonio Tempesta”, in Studi di biblioteconomia e storia del libro in onore di Francesco Barberi, Rome, 1976, pp. 513–517. The Florence-born painter and engraver Antonio Tempesta began his career as a pupil of Santi di Tito and then studied under Jan van der Straet, a native of Flanders also known as Stradanus, with whom he collaborated from 1563 to 1565 under the aegis of Giorgio Vasari on the decoration of the Salone dei Cinquecento in the Palazzo Vecchio. From about 1580 Tempesta was working in Rome, where he became friends with the Flemish painter Mathijs Bril. Together with Bril he took part in a commission for Pope Gregory XIII to paint the loggias on the third floor of the Vatican Palace. Although Tempesta had already done designs for other engravers in the 1580s, the first prints he executed by himself date from the year 1589, thus marking the beginning of an extremely productive and successful career. These two etchings belong to a group of twelve prints in all, which Bartsch mistakenly described as a set of Roman heroes and heroines, “représentés d’une manière grotesque et des plus burlesques”. There can be no doubt, however, that Tempesta’s inventions come from Ludovico Ariosto’s epic Orlando Furioso. His caricatures of Ariosto’s characters go back to a pictorial tradition which began with the grotesque portraits of Leonardo da Vinci. In this spe­

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cific case Tempesta was probably inspired by the engraving Otto teste grottesche delle Divinità dell’Olimpo by Ambrogio Bram­ billa (Milan, active in Rome 1575–1590). The print shows eight caricatures of Greek gods and goddesses, including Narcissus and Diana. But these bizarre creatures hardly look like lofty Olympians. They are a motley collection of human monsters, whose grotesquely distorted physiognomies give the lie to the myth of divine beauty. The coarse folk humour contained in portrayals of this kind ensured them great popularity not only in Italy, but also in Flanders. Before the painter and engraver Brambilla went to Rome in or about 1575, he lived and worked in Milan, where he belonged to the Accademia della Val di Blenio, a literary society with a great predilection for parody and satire. For this reason their members were doubtless familiar with Leonardo’s teste caricate and the grotesque teste composte of Arcimboldo (see F. Paliaga, “Giovanni Ambrogio Brambilla, le teste di carattere di Leonardo e la commedia dell’arte”, in Raccolta Vinciana 26 (1995), p. 225). In Rome, Brambilla distinguished himself as an engraver, car­ tographer and illustrator, working for such renowned pub­ lishers as Claude Duchet, Pietro de’Nobili and Nicolas van Aelst. In this way Brambilla may also have come into contact with Antonio Tempesta. Although Italy can boast a rich tra­ dition of grotesque portraits during the second half of the Cinquecento, Tempesta’s caricature cycle remains an isolated case and the prints of this cycle are extremely rare. Superb impressions with rich tone and margins. Very slightly foxed, minor creasing verso, otherwise in excellent condition.


G. A. Brambilla. Otto teste Grottesche delle divinità dell’Olimpo. Engraving. Florence, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi.

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18. Jahrhundert

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15. l ouis carmontelle (eigentlich Louis Carrogis, 1717–1806, Paris)

Pierre-Victor-Joseph de Brünstatt, Baron de Besenval. Radierung. 27,9 x 18,7 cm. P. de Baudicour 2, PortalisBéraldi 3; Gruyer 122; Inventaire du Fonds Français 2. Louis Carmontelle, hochbegabter Chronist seiner Epoche, war Sohn eines Schusters und als Künstler Autodidakt. Auf Grund seines Naturtalents und seiner gewandten Umgangsformen gelang ihm der Sprung in die höchsten Kreise der französischen Gesellschaft, doch sind die Anfänge seiner künstlerischen Lauf­ bahn nur sehr lückenhaft dokumentiert. 1763 trat Carmontelle in den Dienst des Herzogs von Orléans, an dessen Hofe er sich bis zum Ausbruch der französischen Revolution als Organisa­ tor von Festlichkeiten, Theaterautor und Porträtist hervortat. Aus dieser Periode stammt auch seine Änderung von Carrogis in den wohlklingenderen Namen Carmontelle, um sich dem aristokratischen Milieu besser anzupassen. Um 1757/58 begann Carmontelle intensiv und mit erstaunli­cher Gewandtheit, Porträts zu zeichnen. Als er 1763 seine Tätigkeit im Hause Orléans antrat, hatte seine Porträtgalerie bereits erheblichen Umfang angenommen. Bis zu seinem Tod sollte der Künstler Persönlichkeiten aus seinem privaten Umfeld, adelige Gönner und Besucher am Hofe des Herzogs porträtieren, unter ihnen berühmte Gäste wie Voltaire, Benjamin Franklin und der junge Mozart. Seine meisterhaften, niemals banalen Por­trät­ zeichnungen vermitteln ein ungewöhnlich lebendiges Bild vom täglichen Leben im vorrevolutionären Frankreich und bie­ten einen visuellen Querschnitt der Gesell­schaftsschichten des Ancien Régime. Carmontelle pflegte Repliken seiner Porträtzeichnungen als Freundschaftsgaben zu verschenken, verwahrte die Original­ zeichnungen jedoch in einem Album. Der Versteigerungs­kata­

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log seines Nachlasses aus dem Jahre 1807 verzeichnet nicht weniger als siebenhundertfünfzig gezeichnete Bildnisse. Ein Album mit etwa fünfhundertundzwanzig Bildnissen – darunter das Porträt des Barons de Besenval – wird heute im Musée Condé in Chantilly aufbewahrt. Aus diesem enormen Fundus von etwa siebenhundertfünfzig Porträtzeichnungen wurden lediglich fünf Blatt von Carmontelle selbst als Radierung repro­ duziert und in limitierter Auflage in Umlauf gebracht. Unser Bildnis gehört diesem kleinen und seltenen Œuvre an (siehe F. A. Gruyer, Les portraits de Carmontelle, Paris 1902). Pierre-Victor-Joseph de Brünstatt, Baron de Besenval, ent­ stammte einer bedeutenden Schweizer Patrizierfamilie. 1767 wurde er zum Befehlshaber des Schweizer Garderegiments am französischen Königshof ernannt. Besenval verkehrte in höchsten aristokratischen Kreisen, war mit dem Grafen von Artois und dem Herzog von Choiseul befreundet und erfreute sich der Gunst Marie Antoinettes. Im Jahre 1789 war Besenval Oberkommandant der Garnison von Paris. Am 12. Juli jenes Jahres traf er die schicksalhafte Entscheidung, seine Truppen aus der Stadt abzuziehen, wodurch der Sturm auf die Bastille ermöglicht wurde. Besenval wurde wenig später bei einem Fluchtversuch gestellt, verhaftet und wegen Hochverrat vor ein Revolutionsgericht gestellt. Dank seines Verteidigers Raymond de Sèze wurde er jedoch freigesprochen und starb, geschwächt von der langen Haft, im Jahre 1794. Besenval genoss zu seinen Lebzeiten den Ruf eines umgänglichen, kultivierten und kunst­ liebenden Mannes. Aus diesem Grunde wurde er 1761 zum associé-libre der Académie royale ernannt. Ausgezeichneter, harmonischer Druck mit breitem Rand. Minimale Altersspuren, sonst vorzüglich erhalten.


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15. l ouis carmontelle (real name Louis Carrogis, 1717–1806, Paris)

Pierre Victor, baron de Besenval de Brünstatt. Etching. 27.9 x 18.7 cm. P. de Baudicour 2, Portalis-Béraldi 3; Gruyer 122; Inventaire du Fonds Français 2. Louis Carmontelle, a highly gifted chronicler of his times, was the son of a cobbler and, as an artist, self-taught. Although a combination of natural talent and mastery of the social graces enabled him to rise to the highest circles of French society, there are a lot of gaps in our knowledge of the early part of his artis­ tic career. In 1763 he entered the service of the Duc d’Orléans, at whose court he distinguished himself as an organizer of festivities, playwright and portraitist up to the outbreak of the French Revolution. During this period he changed his name from Carrogis to the more mellifluous Carmontelle so as to fit better into his aristocratic milieu.

an album. The 1807 Auction Catalogue of works left at the painter’s death records no less than 750 drawn portraits. Today an album containing some 520 portraits – including the portrait of Baron de Besenval – is to be found in the Musée Condé in Chantilly. From this enormous fund of about 750 portrait drawings only five were reproduced as etchings by Carmontelle himself and circulated in a limited edition. Our portrait belongs to this small and rare œuvre (see F. A. Gruyer, Les portraits de Carmontelle, Paris, 1902).

In 1757/58 Carmontelle began to draw portraits, showing great dedication and astonishing skill. By the time he went to work for the House of Orléans his portrait gallery had assumed con­si­ derable dimensions. For the rest of his life the artist was to exe­cute portraits of personalities he encountered privately, noble patrons and visitors to the court of the duke, including such luminaries as Voltaire, Benjamin Franklin and the young Mozart. His masterly, never banal, portrait drawings convey an un­usual­ly vivid picture of daily life in pre-Revolutionary France, offering a visual cross-section of the various social strata of the ancien régime.

Pierre Victor, baron de Besenval de Brünstatt, came from a pro­minent Swiss patrician family. In 1767 he was appointed commander of the Swiss Guard Regiment at the French Royal Court. Besenval moved in the highest aristocratic circles, being a friend of the Count of Artois and the Duc de Choiseul and enjoying the favour of Marie Antoinette. In 1789 Besenval was in command of the Paris garrison. On 12 July of that year he took the fateful decision to withdraw his troops from the city, thus paving the way for the storming of the Bastille. Shortly afterwards Besenval was caught trying to escape, arrested and arraigned before a revolutionary tribunal on a charge of high treason. Thanks to the efforts of his defence counsel, Raymond de Sèze, he was, however, acquitted, but died in 1794 debili­ tated by his long imprisonment. In his lifetime Besenval enjoyed the reputation of being an amiable, cultivated man and lover of the arts. For this reason he was appointed associé libre of the Académie royale in 1761.

Carmontelle was in the habit of presenting his friends with replicas of his portrait drawings while keeping the originals in

A very fine, harmonious impression with wide margins. Minor ageing, otherwise in excellent condition.

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16. charles-michel-ange 16. charles-michel-ange challe challe (1718–1778, Paris)

(1718–1778, Paris)

Ein Winkel des Forum Romanum mit den Ruinen der Maxentius-Basilika. Schwarze und weisse Kreide auf graueme Papier. 30,4 x 42,4 cm. Signiert in brauner Feder: „MA Challe“.

A Corner of the Forum Romanum with the Ruins of the Basilica of Maxentius. Black and white chalk on greyish paper. 30.4 x 42.4 cm. Signed in pen and brown ink: "MA Challe".

Der Maler, Architekturzeichner und Graphiker Charles-MichelAnge Challe wurde bei Jean André, François Lemoyne und François Boucher ausgebildet. 1741 gewann er den ersten Preis der Académie royale und war anschließend, von 1742 bis 1749 als Stipendiat der Académie de France in Rom tätig. Die römi­ schen Jahre sollten sich als entscheidend für Challes künstleri­ sche Weiterentwicklung erweisen. Er verkehrte hier in einem Kreis gleichgesinnter, junger französischer Kunststuden­ten, die sich intensiv mit der Antikenrezeption befassten und in imagi­ nären Architekturcapriccios die Größe Roms heraufbeschwo­ ren. Als Treffpunkt diente ihnen das unweit der Akademie gelegene Geschäft des Buchhändlers und Graphikverlegers Jean Bouchard, wo Challe Giovanni Battista Piranesi begegnete, der 1740 aus Venedig nach Rom gekommen war und erst am Anfang seiner so bedeutsamen künstlerischen Laufbahn stand. Im Kreis der in Rom tätigen italienischen und ausländischen Künstler gewann Piranesi durch Veröffentlichungen von Gra­ phikfolgen, wie den Antichità Romane de’ tempi della Repubblica (1748) bald größte Autorität und hat so auch das künstlerische Œuvre Challes auf maßgebliche Weise beeinflusst.

The painter, architectural draughtsman and printmaker, Charles-Michel-Ange Challe, received his training from Jean André, François Lemoyne and François Boucher. Having won first prize at the Académie royale in 1741, he subsequently held a scholarship at the Académie de France in Rome from 1742 to 1749. Challe’s years in Rome proved crucial for his artistic development. He associated with like-minded young French art students who were intensely interested in the reception of antiquity and evoked the splendour of Rome in imaginary archi­ tectural capriccios. They used to meet at the premises of the bookseller and print publisher, Jean Bouchard, not far from the Academy. Here Challe met Giovanni Battista Piranesi, who had come to Rome from Venice in 1740 and was at the outset of what was to prove a significant artistic career. Piranesi’s pub­ lications and series of prints, such as the Antichità Romane de’ tempi della Repubblica (1748), were the source of the consider­ able authority he enjoyed among the group of Italian and foreign artists in Rome and he exerted a major influence on Challe’s artistic œuvre. Challe was very prolific as a draughtsman in Rome, producing a large number of drawn landscapes, designs for festive decorations and architectural capriccios in the style of Piranesi, which are deeply indebted to the drawing style of his great Venetian model.

Challe erwies sich in Rom als ein sehr produktiver Zeichner. Er schuf ein große Zahl von gezeichneten Landschaften, Ent­ würfen für Festdekorationen und Architekturcapriccios in der Art Piranesis, die dem Zeichenstil seines großen veneziani­schen Vorbildes zutiefst verpflichtet sind. Die vorliegende, einfühlsam beobachtete Ruinenlandschaft offenbart eine mehr poetische Seite von Challes Begabung. Das Blatt dürfte in der römischen Schaffenszeit entstanden sein und stellt die Ruinen der Maxentius-Basilika auf dem Forum Romanum dar. Die imposanten antiken Überreste dominieren den Bildausschnitt, und Challe hat sie recht wirklichkeits­ge­ treu und ohne die Dramatik und die exuberante Vorstellungs­ kraft, die für Piranesi so bezeichnend sind, wiedergegeben. Die einzelnen Staffagefiguren verleihen der Landschaft eine lyrisch-pastorale Note, die gewaltigen, von Efeu überwucherten Überreste künden wehmütig von der vergangenen Größe Roms.

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The present, sensitively observed landscape with ruins reveals a more poetic side of Challe’s talent. The work, probably produced during the time he spent in Rome, depicts the ruins of the Basilica of Maxentius on the Forum Romanum. The detail is dominated by the imposing ancient remains which Challe has rendered accurately and without the drama and exuberant imagination that are so characteristic of Piranesi. The individual staffage figures lend the landscape a lyrical, pastoral note, while the massive ruins overgrown with ivy are a wistful testimony to Rome’s former grandeur.


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17. jean-louis demarne

17. jean-louis demarne

Pastorale Szene mit einem Hirtenpaar. Radierung. 27,3 x 37,5 cm. Hippert & Linnig I, 186, 34.

Pastoral Scene with Shepherd Couple. Etching. 27.3 x 37.5 cm. Hippert & Linnig I, 186, 34.

Der aus Brüssel stammende Jean-Louis Demarne ging nach dem frühen Tod seines Vaters im Kindesalter nach Paris, wo er von seiner Mutter bei einem Tapetenmaler in die Lehre gege­ ben wurde. Aus Unzufriedenheit mit seiner neuen Lebens­situa­ tion flüchtete Jean-Louis mit einem Kameraden aus Paris, um sich auf eigene Faust weiterzubilden. Nach Wanderungen durch Holland und Flandern landete Demarne schließlich in der nord­französischen Stadt Le Havre, um von dort aus nach West­ indien zu reisen; akuter Geldmangel hinderte ihn jedoch an diesem Unterfangen. Nach Paris zurückgekehrt, wurde JeanLouis von dem Akademiemaler Gabriel Briard als Schüler auf­ genommen, bei dem er acht Jahre blieb. Anfänglich zum Histo­ rienmaler ausgebildet, konkurrierte er 1772 um den Prix de Rome, unterlag aber gegen David. Er wandte sich daraufhin mit Erfolg der Landschaftsmalerei zu und wurde in diesem Genre stark von niederländischen Meistern des 17. Jahrhunderts wie Dujardin, Berchem, Potter und Ruijsdael geprägt. Nagler be­merkt dazu: „[Demarne] verfertigte Landschaften mit TierStaffage, See-und Schlachtenstücke, Mondschein- und Winter­ szenen, die mit den besten Meistern wetteifern; Geist, Grazie, Mannigfaltigkeit und lebendige Wahrheit sind seine Vorzüge.“

Following the early death of his father, Jean-Louis Demarne left his native Brussels as a child and went to Paris, where his mother apprenticed him to a wallpaper painter. Dissatisfied with his new life, Jean-Louis fled from Paris with a friend to continue his training on his own. After making his way through Holland and Flanders, Demarne ended up in the northern French port town of Le Havre, from where he planned to sail to west India. This venture was thwarted by an acute lack of funds, however. Back in Paris, Jean-Louis was taken on as a pupil by the Academy painter Gabriel Briard, with whom he remained for eight years. Originally trained as a historical painter, he contended for the Prix de Rome in 1772, but was beaten by David. He subsequently turned his hand success­ fully to landscape painting, a genre in which he was greatly influenced by 17th century Dutch masters such as Dujardin, Berchem, Potter and Ruijsdael. Nagler comments as follows: “(Demarne) created landscapes with animal staffage, seascapes and battle scenes, moonlight and winter scenes which can hold their own against those of the best masters; his outstanding qualities are his esprit, gracefulness, diversity and living truth.”

(1754 Brüssel – 1829 Battignoles)

Demarne schuf auch ein kleines druckgraphisches Œuvre von radierten Landschaften mit Tieren und figürlicher Staffage, die Naglers oben zitierte Vorzüge deutlich unter Beweis stellen. Unsere Pastorale Szene ist in einer lebendigen und differen­zier­ ten Radiertechnik behandelt, die wesentlich von holländi­schen Meistern wie Paulus Potter und Karel Dujardin beeinflusst ist. Zudem sind stilistische Parallelen zum druckgraphischen Schaffen de Boissieus unübersehbar. Leicht und treffsicher sind Terrain, Vegetation, Mensch und Tier behandelt. Dichte Kreuzschraffuren wechseln sich ab mit transparent behandel­ ten Partien, wodurch eine reizvolle, vibrierende Lichtwirkung ent­steht. Eine hübsche junge Hirtin sitzt unter einer Eiche und füttert eine Ziege. Mit ihrem klassischen Profil und ihrer antiki­sierenden Frisur wirkt sie etwas verloren in dieser rustikalen, nordischen Flachlandschaft. Prachtvoller, kontrastreicher und lebendiger Druck mit gleichmäßigem Rändchen um die gratig zeichnende Plattenkante. Minimale Altersspuren, sonst vorzüglich erhalten.

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(1754 Brussels – 1829 Battignoles)

Demarne also created a modest printed œuvre of etched landscapes replete with animals and figurative staffage that clearly illustrate the qualities Nagler referred to above. Our Pastoral Scene has been executed using a lively and sophisticated technique that was strongly influenced by Dutch masters like Paulus Potter and Karel Dujardin. Moreover, there is no overlooking the stylistic parallels with the printed work of de Boissieu. The terrain, vegetation, people and animals are treated with a light­ ness of touch and great accuracy. Dense cross-hatching alternates with transparent areas to produce a delightful, pulsating light effect. A pretty young shepherdess is sat beneath an oak tree feeding a goat. Her classical profile and hairstyle make her look a little out of place in this flat, bucolic, northern landscape. A superb, richly varied and vibrant impression with thread margins around the inky platemark. Minor ageing, otherwise in impeccable condition.


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18. johann georg von dillis

18. johann georg von dillis

Der modernde Baumstamm. Radierung auf Velin. 17 x 24,2 cm. 1793. Andresen 31.

The Rotting Tree-trunk. Etching on wove paper. 17 x 24.2 cm. 1793. Andresen 31.

„Frei und malerisch behandelte Blätter in Ruysdael’s Geschmack und unmittelbar an Ort und Stelle nach der Natur auf das Kupfer radirt“, auf diese Weise beschreibt Andresen das vor­ liegende Blatt und sein Pendant „Die alte Weide am Bach“, die beide offenbar auf Motive aus dem Englischen Garten in München zurückgehen. Die direkt nach der Natur skizzierten Blätter überraschen durch die Frische und Unmittelbarkeit der Naturauffassung und ihren ungestümen zeichnerischen Duktus. Im Vergleich zum Gegenstück wirkt die Kompositon hier offener und transparenter. Die Natur erscheint nicht wie ein undurchdringliches Geflecht von Sträuchern und Gestrüpp, sondern ist vielmehr von einer Tendenz zum Pittoresken erfüllt. Dennoch sind auch hier Anregungen durch die niederlän­di­ sche Landschaftsradierungen des 17. Jahrhunderts, insbesondere durch Jacob van Ruisdael unübersehbar.

“Freely and painterly treated sheets in Ruysdael’s taste and etched directly onto the copper from nature at the site.” Thus Andresen’s description of the present print and its pendant The Old Willow by the Stream, both clearly based on motifs taken from the English Garden in Munich. The vigorous linework of these two sketches done directly from nature reveal a startling freshness and spontaneity. In comparison to the companion piece this composition is more open and transparent. Instead of an impenetrable tangle of shrubbery and undergrowth, nature is shown from its picturesque side. However, the influence of the 17th century Dutch landscape etchings, especially those of Jacob van Ruisdael, is unmistakable.

(1759 Grüngiebing – 1841 München)

Prachtvoller, kontrastreicher Druck mit dem vollen Rand. Vorzüglich erhalten. Aus der Sammlung Stechow (Lugt 2371).

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(1759 Grüngiebing – 1841 Munich)

A superb, rich impression with full margins. In perfect condition. From the Stechow Collection (Lugt 2371).


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19. jacques gamelin

19. jacques gamelin

Squelette de fantaisie (Sitzendes Skelett, mit der Rechten einen Stab haltend). Radierung. 24,2 x 28,5 cm. 1778. Baudicour 39; Inventaire du Fonds Français 12.

Squelette de fantaisie (Seated Skeleton, Holding Staff in Right Hand). Etching. 24.2 x 28.5 cm. 1778. Baudicour 39; Inventaire du Fonds Français 12.

Die schaurige, jedoch künstlerisch spannungsvolle Darstellung entstand im Zusammenhang mit dem 1779 veröffentlichten anatomischen Tafelwerk Nouveau Receuil d’Osteologie. In einem spartanisch kargen, gruftartigen Raum sitzt ein Skelett auf einer steinernen Bank. Das Gerippe lehnt rücklings an einer Steinplatte, die von einer Draperie verhüllt wird, und hält die langen knochigen Beine ausgestreckt, während die Füße krampfhaft verkrümmt sind. Mit der Rechten hält der Tote einen Holzstab, während er mit der Linken gestikuliert. Die beklemmende Leere des Raumes, die lediglich von einem dia­ gonalen Schlagschatten belebt wird, unterstreicht den morbi­den Charakter der Szene. Gamelin bedient sich einer schlichten, jedoch differenzierten und feinteiligen Radiertechnik, welche die Monumentalität dieser ausdrucksstarken und eindringlichen Vanitasdarstellung steigert.

This eerie, yet artistically intriguing portrayal arose in connec­ tion with the collection of anatomical plates entitled Nouveau Recueil d’Osteologie and published in 1779. A skeleton sits on a stone bench in a barely furnished, crypt-like room. Its back is supported by a stone slab shrouded in drapery, while its long, bony legs are stretched out and its toes curled convulsively. In its right hand the cadaver holds a wooden staff, while the left hand gesticulates. The oppressive emptiness of the room, which is enlivened only by a stark diagonal shadow, reinforces the morbid character of the scene. Gamelin uses a simple, but differentiated and accurate etching technique, which heightens the monumental character of this expressive and arresting reminder of the vanity of human existence.

(1738–1803, Carcasonne)

Die Biographie Jacques Gamelins liest sich wie ein Abenteuer­ roman und ist von dramatischen Zäsuren gekennzeichnet. Zuerst Schüler an der Akademie in Toulouse, bildete er sich 1763/64 an der Académie Royale in Paris weiter, übersiedelte anschließend nach Rom, wo er zum Hofmaler des Papstes Klemens XIV. berufen wurde und eine vornehme Venezia­nerin heiratete. Nach Etappen in Toulouse und Montpellier trat Gamelin 1793 im bereits fortgeschrittenen Alter eine militäri­ sche Karriere an, erhielt im darauffolgenden Jahr den Rang eines capitaine du génie und betätigte sich als Maler von Feld­ schlachten, an denen er persönlich teilnahm. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte der Künstler als Professor für Historien- und Porträtmalerei an der École Centrale in Carca­ sonne; die Veröffentlichung eines aufwendigen anatomischen Tafelwerkes, des oben genannten Nouveau Receuil d’Osteologie überstieg jedoch Gamelins finanzielle Möglichkeiten und führte letztlich seinen Bankrott herbei. Ausgezeichneter, nuancierter Druck mit breitem Rand. Bezeichnet, wohl von anderer Hand in Feder: „Gravé par Gamelin“. Leichte Altersspuren, sonst sehr gut erhalten.

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(1738–1803, Carcasonne)

The biography of Jacques Gamelin reads like an adventure story punctuated by dramatic turning points. Initially a student at the Academy in Toulouse, he continued his training at the Académie royale in Paris in the years 1763/64 before moving to Rome, where he was appointed court painter to Pope Clement XIV and married a fine Venetian lady. In 1793, after stints in Toulouse and Montpellier, Gamelin embarked on a military career, despite being of an advanced age for such a step, and attained the rank of a capitaine du génie (Captain of Engineers) the following year. He became a painter of battles in which he had personally taken part. The artist spent the last years of his life as a professor of historical and portrait painting at the École Centrale in Carcasonne. However, the publication of a costly illustrated textbook of anatomy, the above-mentioned Nouveau Recueil d’Osteologie, exceeded Gamelin’s financial resources and ultimately led to his bankruptcy. A very fine, differentiated impression with wide margins. Inscribed, probably by another hand, in pen: “Gravé par Gamelin”. Minor ageing, otherwise in very good condition.


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20. j ohann daniel herz (1693–1754, Augsburg)

Gesamtpanorama der Stadt Jerusalem mit Szenen aus der Passion Christi. Kupferstich von einer Platte. 82,6 x 123,5 cm (Blattgröße). Um 1735. Nicht im Berliner Ornamentstichkatalog; Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon, Bd. XVI, S. 567; Nagler 2. Eine vollständige Auflistung des umfangreichen druckgraphi­ schen Œuvres des Augsburger Kupferstechers und Verlegers Johann Daniel Herz fehlt bislang. So sind beispielsweise die Angaben bei Nagler recht summarisch. Eine Ursache dafür dürfte in der Tatsache begründet liegen, dass die Unterschei­ dung zwischen den eigenhändigen Stichen des Künstlers und den Verlagsarbeiten oft recht schwierig ist. Herz war ein sehr produktiver Kupferstecher, der an namhaften Großprojekten wie Paul Deckers monumentaler Architectura civilis (1711–16) und der Neuen Reitkunst des Johann Elias Ridinger mitgearbeitet hat. Die außerordentlich eindrucksvolle Gesamtansicht von Jerusa­ lem ist von größter Seltenheit und darüber hinaus eine techni­ sche Meisterleistung, da es sich um einen Abzug von einer Kupferplatte handelt und die Druckpresse entsprechend groß gewesen sein muss. Herz hatte sich in Augsburg offenbar auf die Herstellung großformatiger Blätter spezialisiert, wie eine Reihe von vergleichbaren Stichen zeigt, und unser Panorama ist ein überzeugender Beweis seines handwerklichen Könnens auf diesem Gebiet. Laut der Inschrift handelt es sich um eine eigene Invention des Künstlers. Herz zeigt die Heilige Stadt aus der Vogelperspektive und bietet dem Betrachter ein atemberau­ bendes Panorama, das durch seine ungeheure Tiefen­wirkung und seinen Detailreichtum besticht. Die Stadt ist von einer hohen Mauer mit Zinnen und pittoresken Wehrtürmen umge­ ben. Innerhalb dieser Befestigung nimmt man einen fan­tasti­ schen urbanen Mikrokosmos von orientalischen Palästen, Tempeln, Amphitheatern und unterschiedlichsten Bauten wahr,

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die in einer sorgfältigen und äusserst detailreichen Gravier­ technik wiedergegeben sind. Abertausende winzige Gestalten bevölkern die Straßen und Plätze der Stadt und betätigen sich auf unterschiedlichste Weise. Wir sehen einen Gladiatoren­ kampf, Menschen, die promenieren oder Zerstreuung suchen oder Alltagsbeschäftigungen nachgehen. Geschickt hat der Künstler die einzelnen Szenen der Leidensgeschichte in dieses unüberschaubare Labyrinth versetzt und keine Episode ausge­ lassen. Dadurch entsteht ein kurioser Effekt, denn die akribisch geschilderten Szenen, die sich simultan an verschiedenen Orten im Straßengewirr der Stadt abspielen, wirken fast verloren vor der überwälti­gen­den Architekturkulisse. Der Betrachter wird daher aufgefordert, das Gesamtpanorama mit größter Auf­ merksamkeit zu erforschen und diese Tätigkeit ähnelt fast einem Suchspiel. Einzelne, in Miniaturform dargestellte Szenen wie das Letzte Abendmahl, die Geißelung oder das Ecce Homo zeigen kompositorische und stilistische Anregungen durch Jacques Callot. Die Passionsgeschichte beginnt oben am Horizont auf klein­ stem Format und fast beiläufig mit dem Einzug Christi in Jeru­ salem, während der dramatische Kulminationspunkt, die Kreuzigung vorne links im Vordergrund, am ganz entgegen­ge­ setzten Ende der Stadt abgebildet und erst nach längerem Hinschauen erkennbar ist. Die Darstellung Jerusalems ist in zwei unterschiedlichen Fassungen bekannt. Die weitere Variante zeigt unten eine Legende, die mit den winzigen Nummern in der Darstellung korrespondiert und die einzelnen Szenen erklärt. Prachtvoller, kontrastreicher Druck, bis auf die Ein­fassungs­ linie beschnitten und angerändert. Minimale Erhaltungs­mängel, sonst – auch in Anbetracht der Größe des Blattes – vorzüg­li­ ches Exemplar.


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20. j ohann daniel herz (1693–1754, Augsburg)

A Bird’s-eye View of the City of Jerusalem with Scenes from the Passion of Christ. Engraving from a plate. 82.6 x 123.5 cm (sheet size). Circa 1735. Not in Berliner Ornamentstichkatalog; Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon, vol. XVI, p. 567; Nagler 2. There is no complete list of the works in the extensive printed œuvre of the Augsburg engraver and publisher, Johann Daniel Herz. The information provided by Nagler, for instance, is sparse. One probable explanation is that it is often very hard to distinguish between the artist’s own engravings and those he published. Herz was a very prolific engraver who participated in prominent large-scale projects such as Paul Decker’s monumental Architectura civilis (1711–16) and Johann Elias Ridinger’s New Equestrian Skills. This highly impressive panorama of Jerusalem is extremely rare and moreover a technical tour de force, as it is an impression from a single copper plate, which indicates that the press must have been correspondingly large. In Augsburg, Herz had evidently specialized in the production of large-format prints, as a number of comparable engravings show, and our panorama is convincing proof of his skilful craftsmanship in this field. According to the inscription it is an invention by the artist himself. Herz offers the beholder a bird’s-eye view of the Holy City whose incredible sense of depth and wealth of detail are breathtaking. The city is surrounded by a high wall with battle­ ments and picturesque towers. Inside these fortifications we can make out a fantastic urban microcosm of Eastern palaces, temples, amphitheatres and all sorts of other structures which

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are rendered in a careful and highly detailed engraving technique. Thousands of tiny figures populate the streets and squares of the city and occupy themselves in all sorts of ways. We see a gladiatorial combat, people out for a stroll or seeking diversion or engaging in everyday pursuits. The artist has cleverly inserted the individual scenes of the Passion story in this chaotic labyrinth, omitting not a single episode. This produces a curious effect, as the painstakingly depicted scenes seem almost lost against the overwhelming backdrop of architecture and massed humanity and take place simultaneously at various locations in the maze of city streets. The viewer is thus called upon to explore the huge panorama with the closest attention, an activity reminiscent of a game of hunt-the-thimble. Individual scenes portrayed in miniature form, such as the Last Supper, the Scourging or the Ecce Homo, show compositional and stylistic inspirations from Jacques Callot. The Passion story begins at the top right, on the horizon, in the smallest format and almost casually, with the Entry of Christ into Jerusalem, while the dramatic culmination, the Crucifixion, is portrayed in the left foreground, at the opposite end of the city, and is only discernible after much peering. The portrayal of Jerusalem is known in two different versions. The other variant shows at the bottom a legend which corresponds to the tiny numbers in the portrayal and explains the individual scenes. Magnificent, richly varied impression, trimmed to the borderline and remargined. A few minor defects, minor restorations along the sheet edges,otherwise – particularly in view of the size of the print – in excellent condition.


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21. f rancesco londonio

21. f rancesco londonio

Die Folge der 12 Pastoralen für Lord Exeter. 12 Radier­ ungen, weiß gehöht auf graugrünem Bütten. Je ca. 21,5 x 28,5 cm. 1763–64. Nagler 35–46, Scola 53–54, je I (von III), 55 I (von II), 56 I (von III), 57 I (von II), 58 II (von IV), 59–64, je I (von II).

Suite of 12 Pastorals for Lord Exeter. Twelve etchings with white heightening on greyish-green laid paper, each measuring approx. 21.5 x 28.5 cm. 1763–64. Nag­ ler 35–46, Scola 53–54, I each (of III), 55 I (of II), 56 I (of III), 57 I (of II), 58 II (of IV), 59–64, I (of II).

Der komplette, 1764 in Neapel entstandene Zyklus – von Nagler zutreffend als „Kapitalfolge“ bezeichnet – zeigt die Vorzüge der Radierkunst Francesco Londonios auf anschauliche Weise. Mensch und Tier sind feinsinnig und mit einem besonderen Blick für ihre ganz spezifischen Eigenheiten charakterisiert. Londonio ist ein Meister in der Wiedergabe von liebevoll beobachteten alltäglichen Begebenheiten, seine Schafe, Ziegen und Rinder sind unvergleichlich lebendig getroffen und ver­ strömen beinahe Stallgeruch. Kein menschliches Detail entgeht seiner Aufmerksamkeit und so gelingt Londonio eine vollkom­ mene Evokation pastoralen Lebens. In dieser Hinsicht erweist sich dieser so sympathische Künstler zutiefst von der Radier­ kunst der holländischen Italianisanten des 17. Jahrhunderts beeinflusst und auch das graphische Œuvre des Johann Hein­ rich Roos dürfte zweifellos stilbildend gewirkt haben. Die subtil applizierten Weißhöhungen und das farbige Papier verleihen den in einer feinen, filigranen Radiertechnik behandelten Szenen einen ganz besonderen Schmelz.

The complete cycle, created in Naples in 1764 – and aptly described by Nagler as a “major suite” – vividly exemplifies Francesco Londonio’s skills as an etcher. Man and beast are subtly characterized with a particular eye for their very spe­ cific properties. Londonio is a master at rendering lovingly observed everyday situations – his sheep, goats and cattle are incomparably lifelike and smell of the farmyard. No human detail escapes his attention either, which enables Londonio to achieve a perfect evocation of pastoral life. In this respect the extremely likable artist was deeply influenced by the etchings of the 17th century Dutch Italianates, while the printed œuvre of Johann Heinrich Roos must have had an effect on his style as well. The subtly applied white heightening and coloured paper lend the scenes – which are treated in a fine, delicate etching technique – a very special lustre.

(1723–1783, Mailand)

Der 1723 in Mailand geborene Künstler entdeckte bereits in jugendlichem Alter seine Begabung für die Tiermalerei und erwarb sich schnell Anerkennung auf diesem Gebiet. Von kei­nem Geringeren als Benigno Bossi in die Radierkunst einge­wiesen, entwickelte er auch hier eine beträchtliche Meisterschaft, wie diese anmutige und lyrische pastorale Folge beweist. Ausgezeichnete, nuancierte Drucke der ersten Auflage, mit breitem Rand. Vor der Auflage von Antonio Franchetti. Vereinzelte leichte Alters- und Gebrauchsspuren, sonst in vorzüglich schöner Erhaltung.

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(1723–1783, Milan)

Born in Milan in 1723, the artist discovered his gift for paint­ ing animals at an early age and soon gained recognition in this field. Introduced to the art of etching by none other than Benigno Bossi, he acquired a considerable mastery of this medium too, as this appealing and lyrical pastoral cycle shows. Very fine, differentiated impressions of the first edition, with wide margins. Before the edition of Antonio Franchetti. Minor isolated traces of ageing and handling, otherwise in impeccable condition.


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22. i saac de moucheron

22. i saac de moucheron

Eine Waldlandschaft mit einer Herde ruhender Dam­hirsche. Federzeichnung in Grau und Braun, Aquarell und Deckfarben; Einfassungslinie in brauner Feder. 22,7 x 34 cm. Signiert und datiert: „Moucheron Fecit 1742“.

Forest Landscape with a Resting Herd of Fallow Deer. Pen and grey and brown ink, watercolour and gouache; borderline in pen and brown ink. 22.7 x 34 cm. Signed and dated: “Moucheron Fecit 1742”.

Diese prachtvolle und vollkommen farbfrisch erhaltene Wald­ landschaft gehört dem Spätwerk des Amsterdamer Malers und Zeichners Isaac de Moucheron an. Die Arbeit entstand im Jahre 1742, zwei Jahre vor seinem Tod. Isaac trug den Namen seines Großvaters mütterlicherseits, des Rembrandtschülers Isaac de Jouderville (1613 – vor 1648), und wurde von seinem Vater, dem angesehenen italianisierenden Landschaftsmaler Frederick de Moucheron (1633–1686) ausgebildet. Von 1695 bis 1697 hielt der junge Künstler sich zu Studienzweckenen in Rom auf und trat dort der Künstlergemeinschaft der Bentveughels bei. Auf Grund seiner kunstvoll komponierten Landschafts­ darstellungen wurde ihm von seinen Zunftbrüdern der respekt­ volle Spitzname „Ordonnantie“ verliehen. Nach seiner Rück­ kehr nach Amsterdam entwickelte Moucheron sich zu einem erfolgreichen und vielbeschäftigten Maler von idealisierenden Veduten und arkadischen Landschaften, die in ihrem lyrischen Stimmungsgehalt den prägenden Einfluss von Gaspar Dughet und Claude Lorrain verraten.

This splendid, perfectly preserved forest landscape is one of the late works of the Amsterdam painter and draughtsman, Isaac de Moucheron, which he produced in 1742 two years before his death. Isaac was given the first name of his maternal grand­ father, Isaac de Jouderville (1613 – up to 1648), who was a pupil of Rembrandt, and was trained by his father, the prominent Italianate landscape painter Frederick de Moucheron (1633– 1686). From 1695 to 1697 the young artist went to study in Rome, where he joined the artistic society of the Bentveughels. His artistically composed landscapes resulted in him being respectfully called “Ordonnantie” by fellow members of the guild. After his return to Amsterdam Moucheron developed into a successful and very busy painter of idealised vedute and Arcadian landscapes, whose lyrical mood reveals the strong influence of Gaspar Dughet and Claude Lorrain.

(1667–1744, Amsterdam)

Die vorliegende bildmässig durchkomponierte Waldlandschaft ist als ein autonomes Kunstwerk zu betrachten, worauf auch die vollendete und äußerst verfeinerte technische Durch­füh­rung deutet. Arbeiten dieser Art des Künstlers waren im 18. Jahr­hun­ dert begehrte Sammlerstücke.

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(1667–1744, Amsterdam)

The present forest landscape, which has been carefully com­ posed, should be regarded as an autonomous work of art, as is also indicated by its consummate and technically sophisticated execution. Highly finished drawings of this kind by the artist were coveted collectors’ items in the 18th century.


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23. charles pierre joseph normand

23. charles pierre joseph normand

Les formes acerbes (Grobe Umgangsformen). Radierung nach einer Zeichnung von Louis Lafitte. 33,8 x 38 cm.

Les formes acerbes (Harsh Manners). Etching after a drawing by Louis Lafitte. 33.8 x 38 cm.

In der Mitte der Komposition ist der revolutionäre Politiker Joseph Le Bon in der Gestalt eines schaurigen Menschen­fres­ sers dargestellt, der das Blut der zahlreichen Opfer trinkt, die er zur Guillotine geschickt hat. Le Bon war Abgesandter des Nationalkonvents in der Region Pas-de-Calais und in der Stadt Arras und führte die revolutionären Verordnungen so radikal und skrupellos durch, dass er beim Volk bald den Ruf eines grausamen Potentaten besaß. Ein gewisser Poirier, ein Anwalt aus Dünkirchen, welchen die Inschrift als den auctor intellectualis der Komposition ausweist, wurde bald einer der erbittertsten Gegner Le Bons. Er verfasste verschiedene Pamph­ lete gegen den Revolutionspolitiker, darunter die Schrift Les angoisses de la mort, ou idées des horreurs des prisons d’Arras, welcher die Personifizierung der Wahrheit auf unserer Komposition in der erhobenen rechten Hand hält. Der Maler und Zeichner Louis Lafitte (1770–1828) fertigte nach der Idee Poiriers eine Zeichnung an, die von Charles Normand durch die vorliegende seltene Radierung reproduziert wurde.

In the centre of the composition the revolutionary politician Joseph Le Bon is presented in the shape of a bloodthirsty canni­ bal who is drinking the blood of the numerous victims he has sent to the guillotine. Le Bon, who was the deputy to the Natio­ nal Convention for the department of Pas-de-Calais and mayor of Arras, carried out the revolutionary directives in such a radical and unscrupulous way that he soon acquired the repu­ tation of a cruel tyrant among the general public. A certain attorney from Dunkirk called Poirier, whom the inscription identifies as the auctor intellectualis of the composition, soon became one of Le Bon's bitterest opponents. He wrote various pamphlets criticising the revolutionary politician, including one called Les angoisses de la mort, ou idées des horreurs des prisons d’Arras, which the personification of Truth in our composition is holding aloft in her right hand. The painter and draughts­man Louis Lafitte (1770–1828) did a drawing illustrating Poirier’s ideas that was reproduced by Charles Normand in the present rare etching.

Am 25. Juli 1794 wurde Le Bon selbst vor dem National­kon­ vent angeklagt, jedoch dank der geschickten Verteidigung des Anwalts Barère freigesprochen, der darlegte, dass Le Bon während seiner Herrschaft lediglich etwas „grobe Umgangs­ formen“ (des formes un peu acerbes) an den Tag gelegt habe. Letztendlich erwies sich diese Strategie jedoch als wenig erfolg­ reich, denn bereits am 2. August 1794, unmittelbar nach dem Sturz Robespierres, wurde Le Bon ein zweites Mal angeklagt. Weitere Untersuchungen zu Le Bons’ Verhalten während der Terrorherrschaft wurden am 7. Mai 1795 eingeleitet. Wenige Tage später veranlasste sein Widersacher Poirier die Veröf­ fentlichung der vorliegenden Karikatur, welche die öffentliche Meinung in dieser Sache beeinflussen sollte. Im ersten Druck­ zustand enthüllt die auf einer Wolke thronende Personi­fizie­rung der Menschenrechte die Wahrheit, indem sie der Veritas, welche das Pamphlet Poriers hält, einen Schleier vom Leibe zieht. Le Bon wurde am 17. Juli 1795 zum Tode verurteilt und wenige Monate später in Amiens hingerichtet.

On 25 July 1794 Le Bon himself was arraigned before the Natio­ nal Convention only to be acquitted by the clever arguments of his defence counsel, Barère, who said that during his rule Le Bon had merely demonstrated “manners that were a little harsh” (des formes un peu acerbes). In the end, however, this strategy proved to be not very successful, as on 2 August 1794, immediately after the fall of Robespierre, Le Bon was charged for a second time. Further investigations into Le Bon’s conduct during the Reign of Terror were instituted on 7 May 1795. A few days later his adversary Poirier organised the publica­tion of the present caricature, which was to influence public opinion in this case. In the first state the personification of the Rights of Man enthroned upon a cloud reveals the Truth by removing a veil from the body of Veritas who is holding Poirier’s pamphlet. Le Bon was sentenced to death on 17 July 1795 and executed a few months later in Amiens.

(1765 Goyencourt – 1840 Paris)

Bei unserem Blatt handelt es sich um ein Exemplar des zweiten Druckzustandes aus dem Jahre 1810. An die Stelle der allego­ rischen Gestalt der Menschenrechte tritt nun die Personifi­zierung des Gesetzes (Loi) und unterstreicht damit die Tatsache, dass Poirier und seine Anhänger das Recht auf ihrer Seite hatten. Ausgezeichneter, gleichmäßiger Druck mit Rand. Minimale Altersspuren und Randmängel, sonst sehr gutes Exemplar.

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(1765 Goyencourt – 1840 Paris)

Our impression is from the second state dating from the year 1810. The allegorical figure of the Rights of Man has been replaced by the personification of the Law (Loi), thus underlining the fact that Poirier and his adherents had the law on their side. A very fine impression with even margins. Minor ageing and defects in the margins, otherwise in very good condition.


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24. pietro antonio novelli

24. pietro antonio novelli

Die Hll. Hieronymus und Nikolaus. Feder in Braun, grau und braun laviert, mit schwarzer Kreide leicht quadriert. 41,4 x 27,6 cm.

Saints Jerome and Nicholas. Pen and brown ink, grey and brown wash, lightly squared off with black chalk. 41.4 x 27.6 cm.

Der in Venedig geborene Maler und Zeichner Pietro Antonio Novelli erhielt seine erste Ausbildung bei Jacopo Amigoni (1682–1752). 1768 wurde er Mitglied der Accademia in Venedig. In den frühen 1770er Jahren reiste Novelli nach Bologna, wo er die Arbeiten der Carraci und Guido Renis studierte. Von 1779 bis 1782 hielt sich der Künstler in Rom auf und wurde in seinem Schaffen maßgeblich beeinflusst durch die Kunst Raffaels und den römischen Klassizismus, wie ihn Anton Raphael Mengs (1728–1779) mustergültig vertrat. Novelli selbst betrachtete sich in erster Linie als Historienmaler, schuf ein umfangreiches zeichnerisches Œuvre und führte zahlreiche Altarbilder und dekorative Fresken für Auftraggeber in Venedig, Bologna, Udine, Padua und Rom aus.

The Venetian-born painter and draughtsman Pietro Antonio Novelli received his initial training from Jacopo Amigoni (1682–1752). In 1768 he became a member of the Accademia in Venice. In the early 1770s Novelli travelled to Bologna, where he studied the works of Carraci and Reni. The artist spent the years from 1779 to 1782 in Rome, where his work was strongly influenced by the art of Raphael and the Roman Classicism eminently typified by Anton Raphael Mengs (1728–1779). Although Novelli regarded himself primarily as a painter of historical scenes, he did create an extensive corpus of drawings and executed numerous altarpieces and decorative frescoes for patrons in Venice, Bologna, Udine, Padua and Rome.

(1729–1804, Venedig)

Trotz gewisser Abweichungen in der Komposition kann die vorliegende Zeichnung mit einem Altarstück Novellis mit dem gleichen Sujet in Verbindung gebracht werden, das 1791 für einen den Heiligen Nikolaus und Hieronymus geweihten Altar im Dom zu Udine entstanden ist. Zwischen 1846 und 1847 wurde der Altar nunmehr der Madonna della Provvidenza gewid­ met und Novellis Gemälde entfernt. Aus Carlo Someda de Marco’s Veröffentlichung über den Dom von Udine geht hervor, dass das bewusste Altarstück 1970 in der Sakristei aufbewahrt wurde (siehe C. Someda de Marco, Il Duomo di Udine, Udine 1970, S. 409). Der Zusammenhang zwischen unserer Zeich­ nung und dem Altarbild wird bestätigt durch die Tatsache, dass die Maße unseres Blattes sich proportional zu denen des Gemäl­ des verhalten. Die auf der Zeichnung angegebene Breite in venezianischem Fuß korrespondiert exakt mit der Breite des Gemäldes. Die Tatsache, dass das Gemälde etwa 60 cm höher ist als das angegebene Maß auf der Zeichnung, kann dadurch erklärt werden, dass die Komposition unten um eine gemalte Kartusche erweitert wurde. Vieles spricht daher dafür, in der vorliegenden Zeichnung eine detaillierte Vorstudie zum aus­ geführten Altarbild von Udine zu sehen. Es handelt sich um ein Spätwerk Novellis und entsprechend flüssig und scheinbar mühelos ist der Zeichenstil des Künstlers. Die wuchtigen HellDunkel-Kontraste und die sehr frei applizierten Lavierungen verleihen dem Blatt eine markante Note.

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(1729–1804, Venice)

Despite certain discrepancies in the composition, the present drawing may be seen in association with a Novelli altarpiece devoted to the same subject that was made in 1791 for an altar in Udine Cathedral consecrated to Saints Nicholas and Jerome. Sometime between 1846 and 1847 the altar was reconsecrated to the Madonna della Provvidenza and Novelli’s painting was removed. According to Carlo Someda de Marco’s book on Udine Cathedral, the altarpiece in question was preserved in the sacristy as of 1970 (see C. Someda de Marco, Il Duomo di Udine, Udine, 1970, p. 409). The connection between our draw­ing and the altarpiece is confirmed by the fact that the dimensions of our print are proportionate to those of the paint­ ing. The width in Venetian feet as given on the drawing corresponds exactly with the width of the painting. The fact that the painting is about 60 cm higher than the dimension given on the drawing can be explained by the fact that the composition was extended at the bottom by the addition of a painted cartouche. It is prob­able that the present drawing was intended as a detailed pre­liminary study for the finished altarpiece of Udine. This is a late work by Novelli and the drawing style of the artist is correspondingly fluid and apparently effortless. The strong chiar­oscuro contrasts and very freely applied washes give the sheet a striking appearance.


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25. carlo enrico di san martino (Ivrea (?) – 1726 Rom)

Vera effigie di Paoluccio della Cerra, detto comunemente Pulcinella. Schabkunstblatt. 11 x 8 cm. A. de Vesme, “Carlo Enrico di San Martino”, in: Maso Finiguerra. Rivista della stampa incisa e del libro illustrato, V (1940), S. 273, Nr. 2; F.C. Greco, Pulcinella. Maschera del mondo, Napoli 1990, S. 105, 107–8, Kat.-Nr. 1.2. Graf Carlo Enrico di San Martino, der Autor dieses enigmati­ schen und faszinierenden kleinen Bildnisses, entstammte einer Adelsfamilie aus dem Piemont und war ein Nachfahre des Markgrafen Arduin von Ivrea, der nach dem Tod Otto II. im Jahre 1002 König von Italien wurde. Bereits in jugendlichem Alter ging San Martino nach Rom, wo er in der päpstlichen Garde diente und unter Papst Alexander VIII. (1689–1691) und Innocenz XII.(1691–1700) zum Kommandanten aufstieg. Anschließend wurde der Adelige zum Befehlshaber der päpst­ lichen Truppen in der Romagna berufen. In diesem Zeitraum war San Martino auch schriftstellerisch tätig. Er verfasste vor­ wiegend Poesie, trat der 1690 in Rom gegründeten Accademia dell’Arcadia bei und unterhielt enge freundschaftliche Bezie­ hungen zu ihrem Kustoden, dem Literaten und Historiker Gio­ vanni Mario Crescimbeni (1663–1728). Zahlreiche Gedichte San Martinos erschienen ab 1700 in Rom und Venedig unter seinem akademischen Pseudonym Luciano Cinureo. Kaum bekannt ist, dass San Martino sich ebenfalls als Zeich­ ner und Kupfer­stecher betätigte, ist. Neben seiner Beteiligung am Entwurf für das Grabmonument von Papst Alexander VIII. (siehe E. J. Olszewski, Cardinal Pietro Ottoboni (1667–1740) and the Vatican Tomb of Pope Alexander VIII, Philadelphia 2004), zu dem sich eine an San Martino zugeschriebene Studien­zeich­ nung in Windsor Castle erhalten hat, verzeichnet De Vesme insgesamt drei druckgraphische Arbeiten des dilettierenden Künstlers. Das vorliegende Blatt nimmt eine besondere Stel­ lung im kleinen Œuvre ein, weil es in der maniera nera, dem italienischen Synonym für die Schabkunsttechnik, ausgeführt wurde. De Vesme vermutet, dass San Martino die Technik auf einer Reise nach Österreich oder Großbritannien erlernt hat, da das Schabkunstverfahren in Italien, bis auf wenige Arbeiten

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von Antonio Taddei und Giovanni Antonio Lorenzi, wenig gängig war (siehe: C. Wax, The Mezzotint. History and Technique. London 1990, S. 36). Laut der Inschrift lag unserem Blatt ein Gemälde Ludovico Carraccis (1555–1619) zugrunde, das heute nur durch San Martinos Darstellung überliefert ist. Es wird angenommen, dass es sich bei dem Gemälde um ein Porträt einer realen Person handelt, die für die Gestalt des Pulcinella, eines der herausragenden Charaktere der italienischen commedia dell’arte, Pate gestanden hat. Es gibt in der Theaterforschung eine gängige Theorie, die behauptet, dass die Figur des Pulci­ nella auf einen Bauern von grotesker Erscheinung zurückgeht, der in Acerra, unweit von Neapel zur Welt kam. Heute befin­ det sich dort ein dem Pulcinella gewidmetes Museum. Daher erscheint es plausibel, dass die Inschrift auf San Martinos Schabkunstblatt irrig ist und „dell Acerra“ statt „della Cerra“ lauten sollte (siehe: M. A. Carr, Stravinsky’s Pulcinella: A Facsimile of the Sources and Sketches, Middleton 2010, S. 59, Anmerkung 42). Dennoch bleibt der Ursprung dieser markanten Theaterge­ stalt nicht eindeutig geklärt und ist Gegenstand anhaltender Debatten in der Forschung (siehe: F. C. Greco, Pulnicella. Maschera del mondo, Neapel 1990, S. 108). Das Bildnis übt trotz seines kleinen Formats eine zwingende Faszination aus. Dargestellt ist ein Mann zweifellos bäuerlicher Herkunft mit dem Namen Paoluccio, dessen runzliges Gesicht schlau und listig wirkt. Er trägt einen offenen Kittel, der Hemd­ ausschnitt zeigt den dürren Hals und die knochige Brust eines älteren Mannes. Eine nonchalant getragene Mütze mit koket­ ter Feder verleiht seinem Aussehen etwas Possierliches, als wolle er mit diesem modischen Attribut über seinen niedrigen sozialen Status hinwegtäuschen. Dennoch haftet dem Mann auch etwas Unheimliches an. Die subtil angewandte Schab­ kunsttechnik schafft ein effektvolles Clairobscur und hebt die Plastizität des zerfurchten und sauertöpfisch blickenden Antlitzes hervor. Prachtvoller, markanter Druck mit feinem Rändchen. Mini­ male Altersspuren, sonst vorzüglich erhalten. Von größter Seltenheit.


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25. carlo enrico di san martino (Ivrea (?) – 1726 Rome)

Vera effigie di Paoluccio della Cerra, detto comunemente Pulcinella. Mezzotint. 11 x 8 cm. A. de Vesme, “Carlo Enrico di San Martino”, in Maso Finiguerra. Rivista della stampa incisa e del libro illustrato, V (1940), p. 273, No. 2; F. C. Greco, Pulcinella. Maschera del mondo, Naples, 1990, p.105, pp. 107–8, Cat. No. 1.2. Count Carlo Enrico di San Martino, the author of this enigmatic and fascinating little portrait, came from a noble Piedmont family and was a descendent of Margrave Arduin of Ivrea, who became King of Italy after the death of Otto II in 1002. While still a youth San Martino went to Rome, where he served in the Papal Guard, whose commander he became under Pope Alexander VIII (1689–1691) and Pope Innocent XII (1691–1700). He was then appointed to the command of the papal troops in the Romagna. During this period San Martino was also active as a writer, composing mainly poetry. He was admitted to the Accademia dell’Arcadia, which had been founded in Rome in 1690, and maintained close friendly relations with its custodian, the historian and man of letters Giovanni Mario Crescimbeni (1663–1728). Numerous poems by San Martino appeared from 1700 onwards in Rome and Venice under his academic pseudo­ nym of Luciano Cinureo. The fact that San Martino also tried his hand as a draughtsman and engraver is little known. Besides his participation in the design of a tomb for Pope Alexander VIII (see E. J. Olszewski, Cardinal Pietro Ottoboni (1667–1740) and the Vatican Tomb of Pope Alexander VIII, Philadelphia, 2004), for which a study drawing attributed to San Martino has been preserved in Windsor Castle, De Vesme records a total of three prints by this dilettante artist. The present print occupies a special place in the limited œuvre as it was executed in the maniera nera, the Italian synonym for the mezzotint technique. De Vesme surmises that San Martino learned the technique while travelling in Austria or Britain,

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since mezzotint was not very common in Italy apart from a few works by Antonio Taddei and Giovanni Antonio Lorenzi (see: C. Wax, The Mezzotint. History and Technique, London, 1990, p. 36). According to the inscription, this print was based on a painting by Ludovico Carracci (1555–1619), a painting whose existence is only known now through San Martino’s work. It is assumed that the painting was a portrait of a real person who was the original for the figure of Pulcinella, one of the main characters in the Italian commedia dell’arte. There is a theory current among historians of theatre, according to which the figure of Pulcinella goes back to a peasant of grotesque appear­ ance who was born in Acerra near Naples. Today the town has a museum dedicated to Pulcinella. It therefore seems plausible that the inscription on San Martino’s mezzotint is erroneous and should read “dell Acerra” instead of “della Cerra” (see M. A. Carr, Stravinsky’s Pulcinella: A Facsimile of the Sources and Sketches, Middleton, 2010, p. 59, note 42). Nevertheless, the origins of this quaint theatrical character are still not entirely clear and subject to ongoing debates among scholars (see F. C. Greco, Pulnicella. Maschera del mondo, Naples, 1990, p. 108). Despite its small format the portrait exerts a compelling fascination. It shows a man of indisputably peasant stock who is called Paoluccio and whose wrinkled face has a sly and cunning look. He wears a smock with an open collar revealing the scrawny neck and bony chest of an elderly man. A cap cocked at a rakish angle with a jaunty plume adds a droll touch to his appearance, as though he wanted his style of dress to distract attention from his lowly social status. Still, the man does have something uncanny about him. The subtle use of the mezzotint technique creates a strong chiaroscuro effect and adds to the liveliness of the furrowed, sour-looking face. A superb, vivid impression with narrow margins. Minimal signs of ageing, otherwise in excellent condition. Extremely rare.


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26. jakob matthias schmutzer

26. jakob matthias schmutzer

Eine weite gebirgige Landschaft mit einem rastenden Mann und einer jungen Frau mit Korb im Vordergrund. Schwarze Kreide, grau und braun laviert. 42,7 x 58, 1 cm. Signiert und datiert in brauner Feder: „Schmuzer 1794, in Wien“.

A Wide Mountain Landscape with a Man Taking a Rest and a Young Woman with a Basket in the Foreground. Black chalk, grey and brown wash. 42.7 x 58. 1 cm. Signed and dated in pen and brown ink: “Schmuzer 1794, in Wien.”

Zuerst als Architekturzeichner und Maler in Wien und Preß­ burg ausgebildet, wandte Schmutzer sich nach seiner Rück­ kehr in Wien der Kupferstichtechnik zu und ging zu diesem Zweck 1762 bei Johann Georg Wille in Paris in die Lehre. Nach­ dem der Künstler sich 1766 endgültig in seiner Geburtsstadt niedergelassen hatte, wurde er noch im gleichen Jahr zum Direk­ tor der neugegründeten Kupferstecher-Akademie ernannt und 1767 zum Hofkupferstecher berufen. Obwohl vornehmlich mit der Druckgraphik befasst, war Schmutzer auch ein begabter und produktiver Zeichner. Dieses breit angelegte, souverän komponierte Landschaftsblatt ist ein charakteristisches Beispiel seiner Zeichenkunst. Es ist in einem flüssigen, scheinbar mühe­ losen Duktus gezeichnet und atmet eine lyrische, pastorale Atmosphäre. Das Metropolitan Museum in New York besitzt drei stilistisch vergleichbare Zeichnungen identischen Formats, die etwa zeitgleich, um 1795/96 entstanden sind und Land­ schaftsmotive aus der Umgebung von Mödling bei Wien zum Gegenstand haben. Unser Blatt dürfte ebenfalls auf Impres­­ sionen aus dieser Gegend zurückgehen, jedoch verleihen die anti­ken Bauten, die links oben auf einem Gebirgskamm zu erkennen sind, der Komposition eine idealisierende Note.

Schmutzer initially trained as an architectural draughtsman and painter in Vienna and Bratislava. After returning to Vienna, he turned his attention to engraving and, in 1762, went to study the technique under Johann Georg Wille in Paris. After the artist had finally settled in his native city in 1766, he was appoint­ed director of the newly founded Engraving Academy that same year and court engraver in 1767. Although mainly active as a printmaker, Schmutzer was also a gifted and productive draughtsman. This sweeping, confidently composed landscape is a characteristic example of his drawing style. It is done in a fluid, apparently effortless style and exudes a lyrical, pastoral atmosphere. The Metropolitan Museum in New York has three stylistically comparable drawings of identical format, which were done at roughly the same time, i.e. around 1795/96, and feature landscape motifs in the vicinity of Mödling near Vienna. The present drawing probably also goes back to impres­ sions from this neighbourhood. However, the classical buildings atop the mountain crest at the top left give the composition an idealized note.

(1733–1811, Wien)

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(1733–1811, Vienna)


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27. jakob matthias schmutzer

27. jakob matthias schmutzer

Bildnis eines jungen Mannes im Profil. Rötelzeichnung. 45,5 x 40,5 cm.

Portrait of a Young Man in Profile. Red chalk drawing. 45.5 x 40.5 cm.

Jakob Matthias Schmutzer war ein unermüdlicher Zeichner, der seine Fähigkeiten durch eine eiserne Disziplin und eine tägliche Übungspraxis verfeinerte. Es sind demzufolge zahl­ reiche Kopf- und Figurenstudien überliefert, die zwischen den 1760er Jahren und 1805 entstanden sind und somit einen Zeit­ raum von über vier Jahrzehnten umfassen. Besonders ein­drucks­ voll und prägnant wirken die überlebensgroßen Studienköpfe, die aus unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachtet sind und eine große Vielfalt in puncto Gesichtsausdruck und Charak­ terdarstellung an den Tag legen. Diese Blätter sind vorwie­gend in Rötel ausgeführt, einem vor allem in Frankreich beliebten Zeichenmedium. Schmutzer hat den Gebrauch dieser Tech­nik bei Johann Georg Wille in Paris gelernt, und auch die ange­ wandte Zeichenmethodik stammt direkt von seinem Lehr­ meister. Bei dem vorliegenden Bildnis hat sich der Künstler der präzisen Wiedergabe der Physiognomie und der geistigen Ver­ fassung des Dargestellten gewidmet, dessen Blick angestrengte Konzentration und innere Unruhe verrät. Das jugendliche Gesicht mit der prononcierten Nase und den fleischigen, offenen Lippen ist durch ein fein abgestuftes Netz von wuchtigen und leichteren Kreuzschraffuren modelliert, während die lockigen Haare mit einer freieren Strichführung behandelt sind. Die dis­­ziplinierte Zeichentechnik erinnert an die Methodik des Kupfer­ stechers. Mehr noch als um ein reales Bildnis handelt es sich bei dieser Kategorie von Zeichnungen um Ausdrucksstudien. Das Zeichnen von Charakterköpfen war ein Grundpfeiler des akademischen Unterrichts seit der Ära Charles Le Bruns, dessen 1698 veröffentlichte theoretische Abhandlung Conférence sur l’expression génerale et particulière Generationen von Kunst­ studenten geprägt hat. Schmutzer wurde zweifelsohne durch Wille und durch das Beispiel des mit seinem Lehrmeister befreun­deten Jean-Baptiste Greuze zu dieser Bildgattung angeregt.

Jakob Matthias Schmutzer was a tireless draughtsman, who honed his skills through iron discipline and a daily exercise routine. Consequently there are numerous head and figure studies extant which were made between the 1760s and 1805 – covering a period of over four decades. A particularly vivid impression is made by the larger-than-life head studies, observed from every conceivable angle and varying greatly as to facial expression and character portrayal. These drawings were mainly executed in red chalk, a drawing medium particularly popular in France. Schmutzer had learned the use of this technique from Johann Georg Wille in Paris, and the drawing methods applied are derived directly from his tutor. In the present por­ trait the artist has concentrated on giving a precise rendering of the subject’s physiognomy and state of mind, with the young man’s gaze betraying anguished concentration and inner tur­ moil. The youthful face with the prominent nose and the full, open lips is represented by a finely gradated network of vigorous and more refined cross-hatchings, while the wavy hair is ren­ dered with a freer use of line. The disciplined drawing technique is reminiscent of the methods of an engraver. But drawings in this category are devoted more to studies of expression than to realistic portraits. The drawing of character heads had been a staple of academic instruction since the days of Charles Le Brun, whose theoretical treatise Conférence sur l’expression génerale et particulière – published in 1698 – has influenced generations of art students. Schmutzer was doubtless inspired to choose this type of picture by the example of Jean-Baptiste Greuze, who was a friend of his tutor’s.

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28. g iovanni domenico tiepolo

28. g iovanni domenico tiepolo

Der Tod des hl. Petrus Martyr von Verona. Federzeich­ nung in Grauschwarz. 19,5 x 28,5 cm. Mit alter Bezeich­nung in Feder: „Maniera di Tintoretto“ (verblasst) und „N 305“ (verso). Wasserzeichen: Buch­staben AM.

The Death of Saint Peter Martyr of Verona. Pen and greyish-black ink. 19.5 x 28.5 cm. With old pen inscription: “Maniera di Tintoretto” (faded) and “N 305” (verso). Watermark: Letters AM.

Das Blatt mit seinem energischen, stark verkürzenden Duktus entstammt dem Frühwerk des Künstlers und kann mit einer Gruppe von Zeichnungen in der gleichen Technik in Verbin­ dung gebracht werden, die sich in der Sammlung Robert Leh­ mann im Metroplitan Museum of Art, New York, in Stuttgart, London (British Museum), St. Petersburg (Eremitage), Dres­ den, Besançon und Montpellier befinden. Die Werkgruppe wird um 1760 datiert. Wie bei der vorliegenden Zeichnung sind diese Blätter ausnahmslos in einer Federtechnik ausgeführt, die auf Lavierungen verzichtet. Der nervöse, dynamische Impe­ tus des Zeichenstils charakterisiert sie als reine Studienblätter, bei denen der Künstler Einfälle zügig notiert und nach befrie­ digenden kompositorischen Lösungen sucht. In puncto Bild­ gestaltung und Thematik sind gleichzeitig Parallelen zum druck­graphischen Œuvre des Künstlers unübersehbar , wie bei­spiels­weise zu den Radierungen Die Steinigung des hl. Stefan (Succi 72) oder dem Martyrium des hl. Johann Nepomuk (Succi 76). So kommt die Pose der beiden Steine werfenden Männer in ganz ähnlicher Form auf den Radierungen vor. Die Kompo­­ sition hat eine betont diagonale Ausrichtung, die die Gewalt­ tätigkeit des Moments wirksam unterstreicht. Die Mörder bäumen sich wie ein Rudel wilder Raubtiere über dem dar­nie­ derliegenden Heiligen auf, ihre drahtigen Körper sind ange­ spannt und verraten die tödliche Wucht ihres Angriffs. Links entflieht ein Mönch in Panik dem tragischen Geschehen.

This drawing, with its energetic, radically reductionist style, belongs to the artist’s early work and may be seen in association with a group of drawings in the same technique, which are to be found, variously, in the Robert Lehmann Collection in the Metropolitan Museum of Art, New York; in Stuttgart; London (British Museum); St. Petersburg (Hermitage); Dresden; Besançon and Montpellier. The group is dated circa 1760. As in the case of the present drawing, all these works without exception are executed in a penwork technique that dispenses with washes. The terse, edgy style of drawing reveals them to be pure study sheets on which the artist quickly jotted down ideas in search for satisfactory compositional solutions. At the same time there are unmistakable parallels, in respect of composition and theme, with the artist’s printed œuvre, such as the etchings The Stoning of Saint Stephen (Succi 72) and the Martyrdom of Saint Johann Nepomuk (Succi 76). Thus the pose of the two stone-throwers occurs in a very similar form in the etchings. The composition has a marked diagonal thrust, which effectively reinforces the violent nature of the moment. The murderers rear up over the prostrate saint like a pack of wild animals, their sinewy bodies tensed to maintain the deadly impetus of the attack. To the left a monk flees from the scene in panic.

(1727–1804, Venedig)

Der hl. Petrus Martyr von Verona (um 1205–1252) trat im Alter von 16 Jahren dem Dominikanerorden bei. Er tat sich als Pre­ di­ger in fast allen Städten Ober- und Mittelitaliens hervor und wurde mit zahlreichen wundersamen Ereignissen in Verbin­ dung gebracht. Petrus wirkte zudem als Inquisitor und wurde 1252 auf dem Weg nach Mailand wegen seines kompromiss­ losen Vorgehens gegen die Irrlehre der Katharer von gedungenen Mördern getötet. Bereis 1253 wurde Petrus vom Papst Inno­ cenz IV. kanonisiert. Eine weitere Zeichnung Giandomenicos mit dem gleichen Sujet wird im Musée d’Art et d’Archéologie in Besançon aufbewahrt. Provenienz: Christie’s, Manson & Woods, Important Old Master Drawings, London, 6. Juli 1977, Nr. 67.

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(1727–1804, Venice)

Saint Peter Martyr of Verona (c. 1205–1252) joined the Dominican order at the age of 16. He became known as a preacher in nearly all the towns of upper and central Italy and was associated with many wondrous happenings. Peter was also active as an Inquisitor and, because of his uncompromising opposition to the Albigensian heresy, was murdered by hired killers on the road to Milan in 1252. The very next year Peter was canonized by Pope Innocent IV. Another drawing of Gian­ domenico’s on the same subject is to be found in the Musée d’Art et d’Archéologie in Besançon. Provenance: Christie’s, Manson & Woods, Important Old Master Drawings, London, 6 July 1977, No. 67.


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29. g iovanni domenico tiepolo

29. giovanni domenico tiepolo

Die Künste huldigen Papst Pius VI. Radierung. 42,6 x 31,5 cm bzw. 34,1 x 22,9 cm. 1775. De Vesme 98; Rizzi (1970) 154; Rizzi (1971) 158; Succi 180.

The Arts Pay Homage to Pope Pius VI. Etching. 42.6 x 31.5 cm and 34.1 x 22.9 cm. 1775. De Vesme 98; Rizzi (1970) 154; Rizzi (1971) 158; Succi 180.

Die komplexe, vielfigurige Komposition, die von barocker Verve und stürmischer Dynamik beseelt ist, diente als Fron­tispiz für die zweite und nachfolgenden Ausgaben von Giandomenico’s Catalogo. Virtuos hat der Künstler die unterschiedlichen Prota­ gonisten und die zahlreichen sinnfälligen Attribute zu einer majestätischen Komposition geschmiedet, bei der die Allegorien der Malerei, der Musik und der Architektur Papst Pius VI. in demutsvoller Geste die Ehre erweisen. Der Papst selbst thront auf einem Felsblock und hält das Kreuz im Arm, wäh­rend er mit der rechten Hand einen Kelch mit Hostie hochhebt. Über ihm tümmelt sich ein grandioses Gewimmel von Engeln und Cherubinen, die das wuchtige päpstliche Wappen, das Sym­ bol seiner weltlichen Macht, mit vereinten Kräften stemmen. Tiepolo ist hier auf der Höhe seiner Kunst. Fast lässt die über­ schwängliche und großartige Inszenierung vergessen, dass die katholische Kirche unter eben diesem Papst eine der tiefsten Krisen ihrer zweitausendjährigen Geschichte durchlebte. Wäh­ rend des Pontifikats von Pius VI., mit bürgerlichem Namen Giovanni Angeli Graf Braschi (1717–1799), kam es in Öster­reich und Deutschland wiederholt zu staatlichen Eingriffen, die darauf abzielten, den päpstlichen Einfluss in den jeweiligen Län­ dern entscheidend zu beschneiden. Das Oberhaupt der katho­ lischen Kirche wurde schließlich selbst Opfer der europäischen Machtpolitik, als der Kirchenstaat 1796 von französichen Trup­ pen besetzt wurde. Im Februar 1798 rief Napoléon Bonaparte in Rom die Republik aus; der Papst wurde zuerst nach Siena, dann nach Florenz verbannt und schließlich nach Frankreich deportiert, wo er im Sommer 1799 im Exil verstarb.

This complex, multi-figure composition, which is animated by Baroque verve and tempestuous dynamism, served as the fron­ tispiece to the second and subsequent editions of Gian­dome­ nico’s Catalogo. With the skill of a virtuoso Giandomenico has forged the various protagonists with their many conspicuous attributes into a majestic composition in which allegoric figures symbolizing painting, music and architecture humbly pay their respects to Pope Pius VI. The Pope himself is enthroned upon a rock, holding the cross in his left hand and a goblet contain­ ing the Host in his right. Above him is a teeming throng of angels and cherubim, whose collective strength holds up the massive papal coat-of-arms, the symbol of his secular power. Here Tiepolo is at the pinnacle of his art. The extravagant and grandiose spectacle almost permits one to forget that, under this same pope, the Catholic Church was going through one of the deepest crises in its two-thousand-year history. During the pontificate of Pius VI (real name Giovanni Angeli, Count Braschi; 1717–1799) there were repeated instances of state intervention in Austria and Germany aimed at radically circumscribing papal influence in these countries. The head of the Catholic Church himself became a victim of European power politics when the Papal States were occupied by French troops in 1796. In February 1798 Napoleon Bonaparte proclaimed the Roman Republic, and the pope was banished, first to Siena, then to Florence and finally deported to France, where he died in exile in the summer of 1799.

Die vorliegende Komposition ist von zwei Platten gedruckt. Die ornamentale Umrahmung mit Eichenlaub und Perlleiste stammt vermutlich von anderer Hand. Exemplare mit dieser Zierleiste sind von großer Seltenheit. Prachtvoller, gegensatzreicher und prägnanter Druck mit Rand. Vorzügliches, unbehandeltes Exemplar.

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The present composition has been printed from two plates. The ornamental framework with oak leaves and pearl moulding is presumably the work of another artist. Prints with this decorative border are very rare. A superb, very clear and vivid impression with margins. In excellent, unrestored condition


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30. j oseph marie vien

30. j oseph marie vien

zugeschrieben. Kopfstudie eines bärtigen Mannes. Öl auf Papier, auf Leinwand aufgezogen. 34,8 x 27,4 cm.

attributed. Head Study of a Bearded Man. Oil on paper, mounted on canvas. 34.8 x 27.4 cm.

Der Kopf eines bärtigen, älteren Mannes ist mit bemerkens­wer­ ter Virtuosität und Sinn für psychologische Durchdringung wiedergegeben. Der Blick des würdigen Greises ist nach oben gerichtet, mit flüssigen, treffsicheren Pinselstrichen hat der Künstler den imposanten wallenden Bart und die dichten, locki­ gen Haare abwechslungsreich und chromatisch sehr dif­feren­ ziert geschildert. Das Inkarnat ist pulsierend warm und durch­ blutet, und strahlt eine große innere Energie und Vitalität aus. Das Antlitz des Mannes weist große Übereinstimmung mit einem männlichen Modell auf, das auf mehreren vollendeten Gemälden und Ölstudien Viens wiederkehrt. Vien studierte zwischen 1744–1750 als Pensionaire an der Académie de France in Rom; bei dem Malermodell handelte es sich um einen Bett­ ler, dem der Künstler 1747 in den Straßen der Stadt begegnet war. So diente der bärtige Mann als Prototyp für den sitzen­den Mann vorne rechts auf dem 1748 vollendeten Gemälde Sainte Marthe prêchant l’Évangile à Tarascon (Tarascon, Église SainteMarthe). Wenige Jahre später figurierte er auf dem frühen, 1750 entstandenen Hauptwerk Viens, L’Ermite endormi (Paris, Musée du Louvre). Siehe Thomas Gaehtgens, Jacques Lugand, Joseph-Marie Vien 1716–1809, Paris 1988, S. 136–137, 139–140, Nrn. 32 und 51; siehe vergleichsweise die Abbildungen Nrn. 32, 40, 51, 52. Die Ähnlichkeit unseres Charakterkopfes mit auto­ graphen Werken Viens und die hohe Malkultur, die den großen italienischen Vorgängern des Seicento zutiefst verpflichtet ist, lassen die Autorschaft Viens als sehr plausibel erscheinen.

The head of an elderly bearded man has been rendered with remarkable virtuosity and psychological sensitivity. His gaze is directed upwards and the artist has used deft, accurate strokes of the brush to convey in a varied and chromatically very differentiated manner the imposing flowing beard and the thick, wavy hair. The warm, very ruddy complexion emanates great inner energy and vitality. In many respects the man’s face matches that of a male model found in several of Vien’s paintings and oil studies. Vien was a pensioner (scholarship holder) at the Académie de France in Rome from 1744 to 1750; the painter’s model is a beggar whom the artist met in the streets of the city in 1747. The bearded man thus served as the prototype of the man sitting in the right foreground of the painting Sainte Marthe prêchant l’Évangile à Tarascon (Tarascon, Église Sainte-Marthe) completed in 1748. A few years later he figured in Vien’s early main work (1750) L'Ermite endormi (Paris, Musée du Louvre). See Thomas Gaehtgens, Jacques Lugand, Joseph-Marie Vien 1716–1809, Paris 1988, pp. 136–137, 139–140, nos. 32 and 51; cf. figs. 32, 40, 51, 52. The similarity of our character head with works by Vien as well as the sophisticated painting culture, which owes a considerable debt to the great Italian predecessors of the Seicento, make it appear plausible that Vien is the author.

(1716 Montpellier – 1809 Paris)

J. M. Vien. L’Ermite endormi. Paris, Musée du Louvre.

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(1716 Montpellier – 1809 Paris)


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31. j ohann ignaz zimbal (1722 Wagstadt – 1795 Wien)

Der Evangelist Johannes schreibt auf Patmos die Apokalypse. Radierung. 27,3 x 18,5 cm. Heller-Andresen 2; nicht bei Nagler; Wilhelm Soldan, „Die Radierungen von Johann Ignatz Zimbal“, in: Galerie Bassenge Berlin, Auktionskatalog 56, 1990, Teil II, S. 51, 2; L. Slavícek, „Johann Cimbal as etcher“, in: Ex Fumo Lucem. Baroque Studies in Honour of Klára Garas, Budapest 1999, S. 112–113, 115, Abb. 5. Der Maler und Radierer Johann Ignaz Zimbal gehört einer Gruppe österreichischer Künstler des Spätbarock an, deren Biographien in den vergangenen Jahrzehnten dank intensiver Forschung allmählich genauere Konturen angenommen haben und deren Schaffen somit eine neue Wertschätzung erfahren hat. Die bekanntesten Künstler dieser Epoche, wie Paul Troger, Franz Anton Maulbertsch und Michelangelo Unterberger zählten zu den Ersten, die eine eingehende kunsthistorische Würdigung erfuhren, andere Meister ihrer Generation hin­ gegen, unter ihnen Zimbal, harren noch einer umfassenden Erkundung ihres Œuvres. Johann Ignaz Zimbal, Sohn eines Zimmermanns, begann seine künstlerische Ausbildung an der Wiener Akademie im Jahre 1742 und studierte an dieser Lehranstalt bis 1745, als das Institut für mehrere Jahre seine Lehrtätigkeit einstellen musste. In der Folgezeit blieb Zimbal der Akademie verbunden und beteiligte sich Anfang der 1750er Jahre an mehreren akademischen MalerWettbewerben. Symptomatisch für viele Künstler seiner Gene­ ration ist die Tatsache, dass über Zimbals zeichnerisches und druckgraphisches Werk bisher weitaus weniger bekannt ist als über seine Malerei. Wie Slavícek ausführt, schuf die Existenz einer eigenständigen Zeichnungs- und Kupferstichakademie in Wien, zu der Künstler wie Troger und Maulbertsch enge Beziehungen unterhielten, in den 1750er Jahren die wesentlichen Voraus­ setzungen für ein künstlerisches Klima, in dem akademische Maler sich an die Technik der Druckgraphik herantasten konn­ ten. Künstler wie Franz Karl Palko, Franz Sigrist und Zimbal entdeckten die Radierung als bevorzugtes künstlerisches Medium, da sie weniger technische Erfahrung erforderte als

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der Kupferstich und eine freiere, malerische Ausdrucksweise erlaubte. Als Schöpfungen nicht-professioneller Kupferstecher, die sich mehr für die expressiven Möglichkeiten des Mediums als für handwerkliche Vollendung interessierten, verzaubern die Blätter dieser Meister durch ihre Spontaneität und Frische. Entsprechend kurz ist der Weg von der ursprünglichen künst­ lerischen Idee bis zu ihrer endgültigen Umsetzung. Das druck­ graphische Œuvre jener Künstler ist dementsprechend sehr klein. Oft handelt es sich um private Exkurse auf dem Gebiet der Graphik, um Fingerübungen, die dem persönlichen Ver­ gnügen des Künstlers dienten. Genauso verhält es sich mit dem erlesenen druckgraphischen Schaffen Zimbals, von dem wir heute lediglich fünf Radierungen kennen, die alle von extremer Seltenheit sind. Wilhelm Soldan gebührt das Verdienst, im Jahre 1990 das bis dahin bekannte Œuvre von drei Blatt um zwei weitere Radierungen erweitert zu haben. Unser Blatt ist in einer virtuos freien und spontanen Radier­ technik behandelt, die dem raschen Duktus einer Federskizze nahekommt. Obwohl kein Gemälde Zimbals mit dem glei­ chen Sujet überliefert ist, deutet die malerische Qualität der Radierung daraufhin, dass die Komposition auf ein Altarstück Zimbals der 1760er oder 1770er Jahre zurückgeht. Auch die Inschrift „Zimbal inven.“ dürfte auf einen gemalten Proto­t ypen hinweisen. In ihrem effektvollen Clairobscur kundet die Radierung von Zimbals Auseinandersetzung mit der venezia­ nischen Malerei des Settecento. Mit angespannter Konzen­tra­ tion bringt der demütig kniende Evangelist seine Visionen zu Papier, während ein Engel auf den siebenköpfigen Drachen und das apokalyptische Weib deutet, das in der Exegese mit Maria gleichgesetzt wurde. Die Darstellung atmet größte Spi­ri­ tualität, und überzeugt durch ihre höchst originelle Ikono­gra­ phie und eine scheinbar mühelose Beherrschung des Mediums. Prachtvoller, gegensatzreicher Druck mit Rand. Leichte Alters­ spuren, sonst vorzüglich erhalten. Aus der Sammlung E. H. (nicht bei Lugt). Ein weiterer Abzug dieser Radierung befindet sich in der Albertina, Wien; wir konnten keine zusätzlichen Exemplare nachweisen.


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31. j ohann ignaz zimbal (1722 Wagstadt – 1795 Vienna)

St. John the Evangelist Writing the Apocalypse on Patmos. Etching. 27.3 x 18.5 cm. Heller-Andresen 2; not in Nag­ ler; Wilhelm Soldan, “Die Radierungen von Johann Ignatz Zimbal” in Galerie Bassenge, Berlin, Auction Catalogue 56, 1990, Part II, p. 51, 2; L. Slavícek, “Johann Cimbal as Etcher”, in Ex Fumo Lucem. Baroque Studies in Honour of Klára Garas, Budapest, 1999, pp. 112–113, 115, fig. 5. The painter and etcher Johann Ignaz Zimbal belongs to a group of Austrian artists of the Late Baroque whose biographies have, thanks to intensive research, gradually assumed clearer con­ tours in recent decades and whose work has consequently under­ gone reassessment. The best known artists of this period, such as Paul Troger, Franz Anton Maulbertsch and Michelangelo Unterberger, were among the first to be assigned their rightful place in the history of art, while other masters of their genera­ tion, including Zimbal, still await a comprehensive apprecia­tion of their œuvre. Johann Ignaz Zimbal, the son of a carpenter, began his artistic training at the Vienna Academy in 1742 and studied there until 1745, when it was forced to cease its teaching activities for several years. In the subsequent period Zimbal continued his association with the Academy and, in the early 1750s, took part in several academic painting competitions it organized. It is symptomatic of many artists of his generation that far less is known about Zimbal’s drawn and printed œuvre than about his painting. As Slavícek points out, in the Vienna of the 1750s the existence of an independent Drawing and Engraving Aca­ demy (Zeichnungs- und Kupferstichakademie), with which artists like Troger and Maulbertsch maintained close relations, created the necessary artistic climate in which academic painters could venture into the realm of printmaking. Artists such as Franz Karl Palko, Franz Sigrist and Zimbal found that etching was their preferred artistic medium, as it required less technical

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experience than engraving and permitted a freer, more painterly mode of expression. As the creations of non-professional print­ makers, who were more interested in the expressive potential of the medium than in perfect craftsmanship, the works of these masters owe their appeal to their spontaneity and fresh­ ness. As a consequence the time lapse between the original artistic idea and its final realization is correspondingly short and the production of those artists is often very limited. They often amount to private excursions into the field of graphics, finger exercises undertaken for the artist’s personal pleasure. This is precisely the case with Zimbal’s exquisite printed work, of which only five etchings are known to have survived to the present day, all of them extremely rare. Two of these five were only discovered in 1990 – the credit for the find belongs to Wilhelm Soldan. Our print is treated in a virtuoso performance of free and spon­ taneous etching that resembles the speedy informality of a penand-ink sketch. Although no painting of Zimbal’s devoted to this subject is extant, the painterly quality of the etching indi­ cates that the composition is derived from an altarpiece by the artist dating from the 1760s or 1770s. The inscription “Zimbal inven.” also suggests a painted prototype. The effective use of chiaroscuro betrays Zimbal’s debt to the Venetian painting of the Settecento. With tense concentration the humbly kneeling Evangelist commits his visions to paper, while an angel points to the seven-headed dragon and the apocalyptic woman who in the Exegesis is identified with Mary. The portrayal is imbued with great spirituality and is convincing for its highly original iconography and apparently effortless mastery of the medium. A superb, contrasting impression with margins. Minor ageing, otherwise in impeccable condition. From the E. H. Collection (not in Lugt). Another impression of this etching is in the Alber­tina, Vienna; we could find no evidence of any additional impressions.


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19. Jahrhundert

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32. carl blechen (1798 Cottbus – 1840 Berlin)

Blick auf das Colosseum in Rom vom Palatin. Öl auf Papier, auf Holz aufgezogen. 31,9 x 18,7 cm. Eigen­ händig bezeich­net und datiert: „Colosseum a Roma (18)29“. Diese prachtvolle, atmosphärisch subtil erfasste Ansicht des Colosseums in Rom stellt eine wesentliche Bereicherung des Œuvres con Carl Blechen dar. Es handelt sich um eine wahr­ haf­tige Neuentdeckung, denn Paul Ortwin Rave, dem Autor des 1940 erschienenen und heute noch maßgeblichen Werk­ver­ zeichnisses, war die vorliegende Ölstudie nicht bekannt. Blechen hatte sich im Herbst 1828 auf den Weg nach Italien gemacht und war damit einem drängenden inneren Verlangen gefolgt. Seine Reise gen Süden sollte sich insgesamt auf etwas länger als ein Jahr belaufen. Blechen folgte der damals bei Künstlern und Bildungsreisenden üblichen Route, die ihn von Venedig über die Städte Mittelitaliens nach Rom führte, wo er Anfang Dezember 1828 eintraf und fünf Monate verbrachte. Einmal in der citta eternà angelangt, fand er sofort Aufnahme bei der dort lebenden deutschen und auswärtigen Künstlerschaft. Blechen frequentierte den damals beliebten Künstlertreff, das famose, heute noch existierende Caffè Greco unweit der Spanischen Treppe, wohnte im selben Haus, in dem der Nestor der deut­ schen Künstlergemeinschaft, Joseph Anton Koch und Johann Christian Reinhart lebten und nahm an gemeinsamen Zeichen­ sitzungen deutscher Künstler teil. Anfang Mai 1829 begab sich Blechen dann nach Neapel, wo er etwa zwei Monate lebte und arbeitete und auf zahlreichen Ausflügen die malerische Umgebung der süditalienischen Hauptstadt erkundete. Die Italienreise wurde zu einer prägenden und befreienden Erfah­ rung Blechens Leben und löste eine entscheidende Wende in seinem Schaffen aus. So bekunden die zahlreichen in Italien

entstanden Studienblätter und Ölstudien das neue Interesse für die Freilichtmalerei und bestechen durch die Frische und Unmittelbarkeit ihrer Naturauffasung, siehe Abb. S. 90 und 92. Blechens eminente Begabung für die Wiedergabe des süd­ lichen Lichts, das er mittels prägnanter Hell-Dunkel-Effekte in all seinen unter­schiedlichen Tonwerten einzufangen wusste, macht ihn zu einem Vorläufer einer atmosphärisch aufgefass­ten Land­schafts­malerei und verbindet ihn mit Zeitgenossen wie dem norwegi­schen Maler Thomas Fearnley, dem Franzosen Jean-Baptiste-Camille Corot, der etwa zeitgleich in Rom ver­ weilte, und deut­schen Kollegen wie Friedrich Wasmann, Johann Martin von Rohden und Ernst Fries. Unsere Studie zeigt eine Ansicht vom antiken römischen Palast­ hügel, dem Palatin, in nordöstlicher Richtung. Der Blick des Betrachters wird von drei rundbogigen Öffnungen eines rui­nö­ sen Bauwerkes vorne über den nur teilweise sichtbaren Kon­stan­­ tinsbogen in Richtung des Colosseums geführt, dessen mächtige Arkaden und verwitterte Mauern mit großem maleri­schem Feinsinn erfasst sind und in einem milden, frühen abend­lichen Licht erstrahlen. Rechts hinter diesem Wahrzeichen des anti­ken Roms erkennt man die Umrisse der Trajan-Thermen auf dem Colle Oppio und weitere Bauten, die summarisch, aber bildlich prägnant wiedergegeben sind. Am Horizont erstrecken sich die dunstigen, blaugrau gefärbten Sabiner Berge unter einem filigranen, zartblauen Frühlingshimmel. Die getreue, schlichte Wiedergabe von Licht und Farbe ist zum alles beherrschenden Bildgegenstand geworden, der Künstler hat bewusst auf jede anekdotische Aussage verzichtet. Ebenso betont das schmale, längliche Format die majestätische Weite der jahrtausendealten Stadtlandschaft auf suggestive Weise.

C. Blechen. Grabmal der Cecilia Metella. Öl auf Papier. 6,4 x 28,3 cm. 1829. Berlin, Nationalgalerie, Sammlung der Zeichnungen.

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C. Blechen. Die Ruinen des Septizoniums auf dem Palatin. Öl auf Papier, auf Holz. 18 x 33,5 cm. 1829. Winterthur, Stiftung Oskar Reinhart.

Falttafel auf der Innenseite Illustration on the inside

Stilistisch fügt sich die Arbeit nahtlos in das während der römi­ schen Schaffenszeit entstandene Œuvre ein. Mehrere im Jahre 1829 entstandene Ölstudien zeigen einen vergleichbaren tem­pe­ ramentvollen und verkürzenden Duktus und eine über­ein­stim­ mende koloristische Auffassung. Eine kleinformatige Ölstudie des Grabmals der Cecilia Metella (Berlin, Nationalgalerie) weist eine ähnliche sparsame, doch effektive Pinselführung auf; das zarte, mit einem leichten Gelbton melierte Blau des Himmels schließt sich qua Färbung unserer Studie eng an. Es gibt jedoch nur einzelne spezifisch römische Ruinenveduten im Werk Blechens, der in Rom hauptsächlich Motive aus der direkten Umgebung der Stadt aufgegriffen hat. Stilistisch am nächsten, auch im Format, steht die Ölstudie Die Ruinen des Septizoniums auf dem Palatin (Rave 811), das in der Stiftung Oskar Reinhart in Winterthur aufbewahrt wird. Im Format wesentlich größer ist die Ölstudie Das Forum Romanum (Rave 810) in der Öster­ reichischen Galerie in Wien. Die rechts unten befindliche Auf­ schrift mit der Feder „Colosseum a Roma 29“ ist, laut Ansicht von Prof. Helmut Börsch-Supan, zweifelsfrei eigenhändig. Eine im Duktus vergleichbare Beschriftung ist auf dem Bildnis der

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Francesca Primavera aus dem gleichen Jahr (Rave 1569, ehemals Sammlung Walther Unus, Berlin) erkennbar, wie auch auf zahl­reichen, in Rom entstanden Zeichnungen (Rave 712–714, 716, 717, 719–720, 723–725, 733–735, 769, 773–775, 777, 780, 782–783). Angesichts Blechens kleinformatiger Arbeiten in Öl auf Papier stellt sich die Frage, ob diese Skizzen als vorbereitendes Stu­­dien­ material oder nicht eher als kleine komponierte Gemälde zu betrachten sind. Die sorgfältige Kompositionsweise unseres Bildes dürfte für die zweite Annahme sprechen. Blechens „Landschaftsskizzen“ erfreuten sich nach seiner Rückkehr in Berlin großer Beliebtheit in gewählten Sammlerkreisen, und kein Geringerer als Karl Friedrich Schinkel lobte sie als „etwas Wirkliches von Kunst“ und „kleine Bildchen“ (Jutta SchenkSorge, „Neapel sehen und malen!“, in: Carl Blechen. Zwischen Romantik und Realismus, Berlin 1990, S. 40). Ein Gutachten von Prof. Helmut Börsch-Supan vom 24. März 2012 liegt bei.


32. carl blechen (1798 Cottbus – 1840 Berlin)

View of the Colosseum in Rome from the Palatine Hill. Oil on paper, mounted on panel. 31.9 x 18.7 cm. Inscribed and dated by the author: “Colosseum a Roma (18)29” This superb, atmospherically subtle oil study of the Colosseum in Rome is a valuable addition to the œuvre of Carl Blechen. It is a genuine rediscovery, as it was unknown to Paul Ortwin Rave, the compiler of the still authoritative catalogue of Blechen’s work, which first appeared in 1940. In the autumn of 1828 Blechen had set off for Italy in pursuit of an inner personal desire. His journey to the south was to last just over a year. He followed the usual route taken at the time by artists and cultural tourists, which took him from Venice through the towns of central Italy to Rome, where he arrived in early December 1828 and stayed for five months. Once in the città eterna, he was immediately taken in by the German and foreign artistic community there. Blechen frequented a popular artists’ haunt, the prestigious Caffè Greco near the Spanish Steps, which still exists today. He lived in the same house as Joseph Anton Koch, the doyen of the German artistic community, and Johann Christian Rein­ hart, and attended joint drawing sessions of German artists. At the beginning of May 1829 Blechen set off for Naples, where he lived and worked for about two months. He went on many expeditions to explore the picturesque surroundings of the southern Italian capital. The Italian journey was a formative and liberating experience in Blechen’s life, triggering a radical change in his creative work. The numerous study sheets and oil studies he produced in Italy heralded a new interest in openair painting and are appealing for the freshness and direct­ ness of their approach to nature, see ill. p. 90 and 92. Blechen’s evi­dent gift for rendering the southern light, which he cleverly captured using vivid chiar­oscuro effects in all his different tonal values, links him with such contemporaries as the Nor­we­gian painter Thomas Fearn­ley, the Frenchman Jean-BaptisteCamille Corot – who was in Rome at roughly the same time – and German colleagues like Friedrich Wasmann, Johann Martin von Rohden and Ernst Fries. The present study shows a view seen from the Palatine Hill in a north-easterly direction. The viewer’s gaze is led from three round-arched openings of a ruined building in the foreground via the only partly visible Arch of Constantine towards the Colosseum, whose huge arcades and weather-beaten walls are painted with great artistic subtlety in a mild, early evening light. On the right, behind this landmark of Ancient Rome, we glimpse the outlines of Trajan’s Baths on the Colle Oppio and other

structures, which are sketchily but vividly rendered. On the horizon we see the hazy, bluish-grey shapes of the Sabine Hills beneath a clear, pale blue spring sky. The faithful and simple rendering of light and colour is the pre­dominant theme of the picture, the artist having deliberately dispensed with any anecdotal message. Similarly, the long narrow format suggestively emphasizes the majestic sweep of a townscape that goes back thousands of years. Stylistically the painting fits neatly into the work of Blechen’s Roman period. Several oil studies produced in 1829 show a comparably temperamental and reductionist style and use of colour. A small-format oil study, the Tomb of Cecilia Metella (Berlin, Nationalgalerie) reveals similarly economical, but effective brushwork; the pale blue of the sky, slightly mingled with yellow, closely resembles the colouring of our study. There are, however, only a few views of specifically Roman ruins in Blechen’s work, as in Rome he mainly adopted motifs from the immediate environs of the city. Stylistically closest to the present painting (also as to format) is the oil study Die Ruinen des Septizoniums auf dem Palatin (Rave 811), which is to be found in the Oskar Reinhart Foundation in Winterthur. An oil study much larger in format is Das Forum Romanum (Rave 810) in the Österreichische Galerie in Vienna. The pen inscription below right “Colosseum a Roma 29” is, in the view of Pro­fes­sor Helmut Börsch-Supan, certainly an autograph. An inscription comparable in style is discernible both on the Portrait of Fran­ cesca Primavera from the same year (Rave 1569, formerly Walther Unus Collection, Berlin) and on numerous drawings produced in Rome (Rave 712–714, 716, 717, 719–720, 723–725, 733–735, 769, 773–775, 777, 780, 782–783). Blechen’s small-format works in oil on paper raise the question as to whether these oil sketches are to be regarded as prepara­ tory studies or as paintings in their own right. The careful composition of our picture would seem to support the second assumption. After his return to Berlin, Blechen’s landscape sketches were greatly prized in select collector circles and no less a figure than Karl Friedrich Schinkel praised them as “some­ thing real in art” and “little pictures” (Jutta Schenk-Sorge, “Neapel sehen und malen!” in Carl Blechen. Zwischen Romantik und Realismus, Berlin, 1990. p. 40). An appraisal by Prof. Helmut Börsch-Supan, dated 24 March 2012, is enclosed.

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33. johannes bosboom

33. johannes bosboom

Das Innere der Noorderkerk in Hoorn. Aquarell, weiß gehöht. 50 x 41 cm. Signiert: „J. Bosboom“. Um 1880.

The Interior of the Noorderkerk in Hoorn. Watercolour, white heightening. 50 x 41 cm. Signed: “J. Bosboom”. Circa 1880.

Das stimmungsvolle Kircheninterieur gehört zu einer Gruppe von Zeichnungen und Aquarellen, die der Maler und Aquarel­ list Johannes Bosboom anläßlich seines Aufenthaltes in der nordholländischen Stadt Hoorn im September 1880 geschaffen hat. Bosboom malte in der Folgezeit mindestens acht Aquarelle, die den Innenraum der spätgotischen Noorderkerk zum Gegen­ stand haben, jedoch handelt es sich bei unserer Fassung frag­los um die bedeutendste und künstlerisch anspruchsvollste Variante dieses Sujets.

This atmospheric church interior belongs to a set of drawings and watercolours which the painter and water-colourist Johannes Bosboom created in the course of a stay in the northern Dutch town of Hoorn in September 1880. Although Bosboom subsequently painted at least eight watercolours of the interior of the Late Gothic Noorderkerk, our version is unquestionably the most significant and artistically ambitious variant of this subject.

(1817–1891, Den Haag)

Der Künstler zählt zu den renommiertesten Repräsentanten der Haager Schule. Nebst Landschaften und bäuerlichen Genre­ bildern malte Bosboom seit den 1840er Jahren Kirchen­interieurs und fand damit zum eigentlichen Hauptthema seines künst­ lerischen Schaffens. Er begab sich damit bewußt in die Tradi­ tion großer Vorgänger des 17. Jahrhunderts wie Pieter Jansz. Saenredam und Emmanuel de Witte, gewann dieser Bildgat­ tung jedoch eine eigenständige Interpretation ab. Vor allem in seinem aquarellierten Schaffen offenbart sich eine verfeinerte Malkultur, die ganz den ästhetischen Prinzipien seiner Epoche entspricht und von luministischen Prinzipien geprägt ist. Die breite, flüssige Pinselführung, die anstelle von Detailreichtum primär auf atmosphärische Wirkung abzielt, erinnert an die Malweise der Schule von Barbizon. Obwohl Bosboom auf unse­ rem Blatt nicht auf die Darstellung von Staffagefiguren verzich­ tet hat, spielen diese in dem subtil beobachteten Mikrokosmos von Licht und Dunkelheit eine lediglich untergeordnete Rolle. Die Wiedergabe des dämmrigen, goldenen Nachmittagslichtes und des malerisch reizvollen Kontrastes zwischen der puristisch weißen Architektur und den satten, gedämpften Brauntönen von Kirchenmobiliar, Gebälk und Gewölbe ist zum eigent­li­ chen Bildgegenstand erhoben. So entsteht eine meditative, zeit­ lose Atmosphäre, die ihre Wirkung auf den Betrachter nicht verfehlt. Provenienz: Sammlung J. Bingham, Utrecht; Kunsthandlung Frans Buffa & Söhne, Amsterdam, Oktober 1916; Sammlung Ed. van Dam, Amsterdam 1917. Ausstellungen: Kunsthandlung Frans Buffa & Söhne, Johannes Bosboom, Amsterdam, Oktober 1916; Pulchri Studio, Ere Tentoonstelling Johannes Bosboom, Den Haag 1917, Nr. 65. Literatur: W. Marius, G. H. Martin, Johannes Bosboom, Den Haag 1917, S. 150, Abb. 48.

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(1817–1891, The Hague)

The artist is one of the most respected representatives of the Hague School. In addition to landscapes and rustic genre paintings Bosboom had been painting church interiors since the 1840s and found therein the real focus of his artistic work. He thus consciously took his place in the tradition of his great 17th century predecessors, such as Pieter Jansz. Saenredam and Emmanuel de Witte, while still giving this kind of paint­ ing a unique interpretation of his own. His watercolours, in particular, reveal a refined painting technique which wholly corresponds to the aesthetic principles of his time and is informed by luminist principles. The broad, fluid brushwork, which is primarily aimed at atmospheric effect instead of a wealth of detail, is reminiscent of the Barbizon school’s style of painting. Although in our drawing Bosboom has not dispensed with the portrayal of staffage figures, they play a distinctly subordinate role in the subtly observed microcosm of light and darkness. The rendering of the dim, golden afternoon light and the strik­ ing contrast between the pure white architecture and the deep, dark brown tones of the church furnishings, beams and vault is the real subject of the picture. The result is a meditative, timeless atmosphere whose effect is not lost on the viewer. Provenance: J. Bingham Collection, Utrecht; Kunsthandlung Frans Buffa & Söhne, Amsterdam, October 1916; Collection Ed. van Dam, Amsterdam. 1917. Exhibitions: Kunsthandlung Frans Buffa & Söhne, Johannes Bosboom, Amsterdam, October 1916; Pulchri Studio, Ere Tentoonstelling Johannes Bosboom, The Hague, 1917, no. 65. Literature: W. Marius, G. H. Martin, Johannes Bosboom, The Hague, 1917, p. 150, fig. 48.


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34. a lexis chaitaignier

34. a lexis chaitaignier

L’homme accablé par le Malheur (Ein Mann, vom Unglück überwältigt). Kupferstich. 40,5 x 46,5 cm. (1804). Inventaire du Fonds Français, Après 1800, IV, 12.

L’homme accablé par le Malheur (Man Overwhelmed by Misfortune). Engraving. 40.5 x 46.5 cm. (1804). Inventaire du Fonds Français, Après 1800, IV, 12.

Alexis Chaitaignier, der Autor dieses stimmungsvollen und zutiefst romantisch geprägten Blattes greift hier das traditio­ nelle Thema der Melancholia auf und gelangt zu einer originel­ len Neuinterpretation dieses Bildmotivs. Ein sitzender junger Mann mit markantem Profil und lockigen, verwehten Haaren sitzt unter dem Stumpf einer verwitterten, vom Winde zer­ zausten Eiche und grübelt düster in sich hinein. Seine Pose ist resigniert. Der Blick des Mannes richtet sich auf einen anti­ ken Sarkophag, dessen Längsseite vom üppigen, dichten Laub eines stämmigen Baumes verdeckt wird. Auf dem aufgewühl­ ten Meer geht ein Segelschiff unter, das offenbar das rettende Signal eines Leuchtturms am Horizont übersehen hat. Ein kühles, nächtliches Licht beleuchtet Antlitz und Hemdkragen des Melancholikers. Das Blatt ist in einer wuchtigen und abwechslungsreichen Graviertechnik ausgeführt, welche die unterschiedliche Beschaffenheit von Terrain und Vegetation plastisch und fast haptisch greifbar wiedergibt. Die stür­ mischen Wellen und der verhangene Himmel sind dagegen in einem feineren, teilweise pointierenden Duktus behandelt.

Alexis Chataignier, the author of this atmospheric and profoundly Romantic print, has turned here to the traditional theme of melancholia and achieved an original re-interpretation of this motif. A young man with a strong profile and wavy, tousled hair is sitting under the stump of a weather-beaten, windblown oak, brooding gloomily. His pose is resigned. The man’s gaze is directed at an ancient sarcophagus, whose long side is covered by the dense, luxuriant foliage of a sturdy tree. Amid the surging waves of a stormy sea a sailing ship is sinking, having apparently overlooked the warning signal from a lighthouse on the horizon. A cool, nocturnal light illuminates the face and collar of the melancholy man. The work is executed in a powerful and varied engraving technique, which renders the different textures of terrain and vegetation with almost tactile accuracy. The tempestuous waves and overcast sky, on the other hand, are given a finer treatment, in some cases involving stippling.

(1772 Nantes – 1817 Paris)

Der heute wenig bekannte Zeichner und Kupferstecher Alexis Chaitaignier war ein Schüler von François Marie Isidore Qué­ verdo in Paris und tat sich hier zuerst als Buchillustrator hervor. Während der Wirren der französischen Revolution fertige er Flugblätter an. In den nachfolgenden Jahre schuf Chaitaignier mehrere Bildnisse Bonapartes und stach einen umfangreichen Zyklus von Kostümen und Uniformen aus der Zeit des Kon­ sulats, des Direktoriums und des 1. Kaiserreiches. Die vorlie­ gende freie Komposition zählt zweifellos zu den gelungensten Leistungen seines druckgraphischen Œuvres. Prachtvoller, gratiger Druck mit feinem Rand um die Platten­ kante unten sowie mit gleichmäßigem Rand um die Dar­stel­ lung. Geringfügige Erhaltungsmängel, sonst gutes Exemplar.

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(1772 Nantes – 1817 Paris)

The now little known draughtsman and etcher Alexis Cha­ taignier was a pupil of François Marie Isidore Quéverdo in Paris, where he first made his mark as a book illustrator. During the upheavals of the French Revolution he produced leaflets. In the subsequent years Chataignier did several portraits of Bonaparte and produced an extensive cycle of engravings show­ ing the costumes and uniforms from the periods of the Con­ sulate, Directory and First Empire respectively. The present free composition doubtless belongs to the most successful achievements of his printed œuvre. A superb impression with traces of burr, with thread margins round the platemark at the bottom, otherwise with even margins. Minor defects, otherwise in very good condition.


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35. frank duveneck

35. frank duveneck

Brustbildnis eines bärtigen Mannes mit verschränkten Armen. Öl auf Malpappe. 69 x 48,5 cm. Um 1870–75.

Half-length Portrait of a Bearded Man with Arms Folded. Oil on cardboard. 69 x 48.5 cm. Circa 1870–75.

Der Maler, Bildhauer und Radierer Frank Decker wuchs als Sohn einer deutschen Einwandererfamilie in Kentucky auf. Nach dem Tode seines Vaters und der zweiten Heirat seiner Mutter nahm er den Namen seines Stiefvaters an und nannte sich fortan Frank Duveneck. 1870 ging Duveneck nach Mün­ chen und studierte an der dortigen Akademie der bildenden Künste bei Wilhelm Diez Malerei. Er unterhielt während seiner Münchener Studienzeit enge freundschaftliche Beziehungen zu Wilhelm Leibl und setzte sich wohl auf dessen Anregung intensiv mit der Malerei von Diego Velásquez und Frans Hals auseinander. Wie Leibl praktizierte Duveneck eine virtuose Primamalerei und stellte sein beachtliches technisches Können mit einer Reihe von realistischen Porträts unter Beweis.

The painter, sculptor and etcher, Frank Decker, was born into a German immigrant family that had settled in Kentucky. After the death of his father and his mother’s second marriage he assumed the name of his stepfather and was subsequently known as Frank Duveneck. In 1870 Duveneck went to Munich, where he studied painting under Wilhelm Diez at the Academy of Fine Arts. During his student days in Munich he struck up a close friendship with Wilhelm Leibl, on whose recom­menda­ tion he took a vivid interest in the paintings of Diego Velásquez and Frans Hals. Like Leibl, Duveneck was a masterful alla prima painter, whose considerable technical skills are evidenced by a series of realistic portraits.

(1848 Covington – 1919 Cincinatti)

Nach einem kurzen Intermezzo in den Vereinigten Staaten, wo sich der Künstler mit seinen Genrebildern und Porträts öffent­ liches Ansehen erwarb, nahm Duveneck 1875 sein Studium an der Münchener Akademie wieder auf und wurde mit William Merritt Chase und J. Frank Currier zum Anführer einer großen Gruppe amerikanischer Kunststudenten. Seit 1878 übte Duve­ neck in München eine einflußreiche Lehrtätigkeit aus. Seine Schüler – als „Duveneck Boys“ bekannt – bildeten mit ihm in dem bayrischen Ort Polling eine Studien- und Arbeitsge­mein­ schaft. In der Folgezeit lehrte Duveneck in Florenz und in Venedig. Um 1880 traf er hier auf James McNeill Whistler und Otto Bacher, durch die er zur Radiertechnik fand und mit Erfolg venezianische Sujets produzierte. Das stimmungsvolle und eindringliche Brustbildnis eines jungen bärtigen Mannes offenbart in seiner breiten, wuchtigen Mal­ weise und seinem verhaltenen, erdigen Kolorit den prägenden Einfluss der Malkultur Wilhelm Leibls. Die Palette ist auf wenige Grau- und Brauntöne reduziert, welche die subtil erfass­ ten Nuancen des leuchtenden Inkarnats wirkungsvoll zur Gel­ tung bringen. Mit feinen, spitzen Pinselstrichen sind die Licht­ reflexe auf dem üppigen, weichen Bart und dem dichten Haar meisterhaft charakterisiert. Der monochrom gehaltene dunkel­ braune Fond wird durch einzelne zinnoberrote Farbakzente belebt. Ganz im Sinne des Leibl’schen Realismus handelt es sich bei dem Dargestellten um einen Mann einfacher sozialer Herkunft. Der schlichte, graue Kittel weist ihn als einen Arbei­ ter oder Handwerker aus, und dieses Kleidungsstück fungiert als programmatisches Bekenntnis. Trotz seiner körperlichen Tätigkeit ist der Mann nachdenklich und in sich gekehrt dar­ gestellt. Wie Leibl betont Duveneck somit die Würde und die geistige Tiefe des einfachen arbeitenden Menschen.

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(1848 Covington – 1919 Cincinatti)

After a brief intermezzo in the United States, where he gained public recognition for his genre paintings and portraits, Duve­neck decided in 1875 to resume his studies at the Munich Academy where, together with William Merritt Chase and J. Frank Currier, he became the leader of a large group of American art students. From 1878 Duveneck was influential as a teacher in Munich. His students – known as the “Duveneck Boys” – joined him in forming a study and working group in the Bavarian village of Polling. Duveneck subsequently taught in Florence and Venice. It was here around 1880 that he met James McNeill Whistler and Otto Bacher, who introduced him to etching and paved the way for the successful Venetian subjects he produced. This atmospheric and intense half-length portrait of a bearded young man with its broad, powerful painting style and restrained, earthy colouring reveals the strong influence of Wil­ helm Leibl’s style of painting. The palette is reduced to a few tones of green and brown, which are very effective in bringing out the subtly rendered nuances of the vivid complexion. Fine strokes with the tip of the brush suffice to characterise in masterly fashion the reflections of the light on the soft, fulsome beard and bushy hair. The monochrome, dark brown back­ ground is invigorated by occasional dashes of vermilion. In keeping with Leibl’s realism, the subject is a man of humble social origins. The simple grey smock marks him off as a worker or craftsman and as an item of clothing it makes a program­ matic statement. Despite his physical activity the man is pensive and portrayed as being lost in thought. Like Leibl, Duveneck thus emphasises the dignity and spiritual depth of the simple working man.


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36. l udwig emil grimm

36. l udwig emil grimm

Lotte Hassenpflugs vier Kinder und Ideke, Ludwig Emil Grimms Tochter. Radierung. 12,9 x 18,6 cm. 1837–38. Stoll 47.

Lotte Hassenpflug’s Four Children and Ideke, Ludwig Emil Grimm’s Daughter. Etching. 12.9 x 18.6 cm. 1837–38. Stoll 47.

Ludwig Emil Grimm war der jüngste Bruder der berühmten Sprachwissenschaftler und Schriftsteller Jacob und Wilhelm Grimm. Ludwig begann seine Künstlerlaufbahn als Schüler der Kasseler Akademie, wo er von 1804–1808 studierte. In dieser Zeit schloss er Bekanntschaft mit bedeutenden Persönlich­kei­ ten des geistigen Lebens, wie Clemens und Bettina Brentano, Friedrich Karl von Savigny und Achim von Arnim. Ab 1809 bildete er sich an der Münchner Akademie dank der finan­ziel­ len Unterstützung seiner Brüder weiter. Er wurde von Carl Ernst Christoph Hess in die unterschiedlichen Druck­techni­ ken eingewiesen und studierte Malerei bei Andreas Seidl. 1832 heiratete Grimm seine erste Frau Marie Böttner und wurde Professor an der Akademie in Kassel. Im folgenden Jahr wurde seine Tochter Frederike (Ideke) geboren. Unsere Radierung zeigt Ideke, außen rechts, mit den Kindern seiner Schwester Charlotte. Als Nesthäkchen, einzige Tochter und Schwester in der Grimm-Familie wurde Charlotte tief von ihrem Vater und Brüdern verehrt. Nach dem Tode der Mutter im Jahre 1808 kümmerte sie sich um Haushalt und Familie. 1822 heiratete sie den Staatsmann Ludwig Hassenpflug und verließ den Grimm­ schen Haushalt, blieb den Brüdern jedoch zutiefst verbunden. Sie gebar sechs Kinder, von denen vier – die auf der Radierung dargestellten Carl, Friedrich, Ludwig und Dorothea – ein hohes Alter erreichten. Charlotte erholte sich von der Geburt ihrer jüngsten Tocher Dorothea nicht mehr und starb kurz darauf im Jahre 1833. Die Radierung entstand vermutlich um 1837– 38. Idekes Porträt geht auf eine am 23. Mai 1837 datierten Zeich­nung von Grimm zurück, die sich heute im Histori­schen Museum in Hanau befindet (siehe: E. Koolman, Stationen: aus Ludwig Emil Grimms Lebenserinnerungen und Briefen, Hanau 1992, S. 77).

Ludwig Emil Grimm was the youngest brother of the famous philologists and writers, Jacob and Wilhelm Grimm. Ludwig began his career as an artist at the Kassel Academy, where he studied from 1804 to 1808. In this period he made the acquain­ tance of such intellectual luminaries as Clemens and Bettine Brentano, Friedrich Karl von Savigny and Achim von Arnim. In 1809 he went to study at the Munich Academy thanks to the financial support of his brothers. He was introduced to the various printing techniques by Carl Ernst Christoph Hess and studied painting under Andreas Seidl. In 1832 Grimm married his first wife Marie Böttner and became a professor at the Kassel Academy. The following year his daughter Frederike (Ideke) was born. Our etching shows Ideke, at far right, with the children of his sister Charlotte. As the youngest child as well as the only daughter and sister in the Grimm family, Char­ lotte was doted on by her father and brothers. After the death of their mother in 1808 she looked after the household and family. In 1822 she married the statesman Ludwig Hassen­pflug and left the Grimm household, while still remaining very close to her brothers. She bore six children, of which four – Carl, Friedrich, Ludwig and Dorothea, all shown in the etching – lived to a ripe old age. Charlotte did not survive the birth of her youngest daughter, Dorothea, and died soon after­ wards in 1833. The etching was probably executed about 1837/38. Ideke’s portrait is derived from a drawing by Grimm dated 23 May 1837, which is now to be found in the Historical Museum in Hanau (see: E. Koolman, Stationen: aus Ludwig Emil Grimms Lebenserinnerungen und Briefen, Hanau, 1992, p. 77).

(1790 Hanau – 1863 Kassel)

Prachtvoller Druck mit Plattenton und breitem Rand. Die Namen der Porträtierten in Bleistift unterhalb der Darstellung geschrieben. Geringfügig fleckig im unteren Rand, leichte Gebrauchsspuren, sonst sehr gut erhalten.

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(1790 Hanau – 1863 Kassel)

A superb, rich impression printed with delicate plate tone and wide margins. The names of the sitters are written in pencil under the portrayal. Minor foxing in the lower margin, slight handling traces, otherwise in very good condition.


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37. c hristian august günther (1759 Pirna – 1824 Dresden)

„Charakteristische Darstellung der Baeume als Lections Blätter für geübte Landschaftszeichner, Mahler u. Kupfer­ stecher ...“ Titelblatt in französischer und deutscher Sprache, 12 Radierungen in Schwarz gedruckt, 12 Radierungen mit Aquatinta in Braun. Je ca 23,1 x 18,5 cm (Blattgröße). Im Orig. Halblederband. Fried­ rich August Leo, Leipzig, 1802. Diese reizvolle Anleitung für Landschaftskünstler von der Hand des sächsischen Malers, Zeichners und Radierers Christian August Günther war früheren Autoren wie Nagler und HellerAndresen nicht bekannt und ist von größter Seltenheit. Das zweisprachige Titelblatt deutet darauf hin, dass das Büchlein offenbar nicht nur einer deutschen, sondern auch einer aus­ wärtigen Leserschar zugänglich sein sollte, jedoch gelangten offenbar nur wenige Exemplare in Umlauf. Das französiche Titelblatt erwähnt mit unterschwelligem patriotischen Stolz, dass es sich größtenteils um „deutsche“ Baumsorten handele. Mit bemerkenswertem künstlerischen Feinsinn hat Günther eine Auswahl von Laub- und Nadelbäumen dargestellt, darun­ ter Eiche, Tanne, Trauerweide, Birke und Buche. Die unter­ schiedlichen Bäume liegen jeweils in zweifacher Fassung vor: als reine Radierung behandelt bzw. in einer Version mit Aqua­ tinta in Braun. Vor allem die Aquatintablätter genügen einem hohen künstlerischen Anspruch, der über den didaktischen Zweck hinausgeht. Günthers Beherrschung der Aquatinta­ technik ist beachtlich. Ist der Künstler bei den radierten Baum­

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darstellungen um eine möglichst objektive Wiedergabe bemüht, so handelt es sich bei den in der Aquatintatechnik ausge­führ­ ten Varianten um sorgfältig komponierte und abwechslungs­ reiche Naturausschnitte. Die feine Körnung der Aquatinta schafft samtigweiche tonale Übergänge und eine subtile Hell­ dunkelwirkung. Die Bäume erstrahlen in einem milden elegi­ schen Licht. Auf manchen Blättern erscheint die Natur reglos, dann wieder wird das Laub von einem stürmischen Wind aufgewühlt, wodurch der romantische Stimmungsgehalt der Darstellungen gesteigert wird. Christian August Günther war ein Schüler von Adrian Zingg an der Dresdner Akademie. Er wurde 1789 Pensionär und 1810 Mitglied der dortigen Akademie und erhielt dort 1815 eine Professur. Günther tat sich vor allem auf dem Gebiet der Land­ schaftsmalerei hervor; er arbeitete teils nach der Natur, teils inspiriert durch literarische Quellen wie Geßners Idyllen, Ossian und Fénelon. Die Motive für seine Landschaftskunst fand er in seiner sächsischen Heimat, insbesondere in der Umgebung von Dresden und in der malerischen Sächsischen Schweiz. Auch mehrere von ihm geschaffene Graphikfolgen, darunter die 1798 erschienenen Pittoreskischen Reisen durch Sachsen zeugen von seinen topographischen Erkundungen. Prachtvolle, reich differenzierte Drucke mit dem vollen Rand. Stellenweise geringfügig stockfleckig, der Einband mit Alters­ spuren, sonst vorzügliches Exemplar.


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37. c hristian august günther (1759 Pirna – 1924 Dresden)

Characteristic Portrayal of Trees as an Exercise for Draughts­men, Painters and Engravers Studying Land­ scape ... Title page in French and German, 12 etchings printed in black, 12 etchings with aquatint in brown, each measuring approx. 23.1 x 18.5 cm (sheet size). In original half-leather binding. Published by Fried­ rich August Leo, Leipzig, 1802. This charming study guide for landscape artists from the hand of the Saxon painter, draughtsman and printmaker Christian August Günther was not known to earlier authors such as Nagler or Heller-Andresen and is extremely rare. The bilingual title page indicates that the booklet was intended not only for a German, but also for an international readership, although it appears that only a few copies came into circulation. The French title page mentions with a suggestion of patriotic pride that most of the tree species dealt with are “German”. With remarkable artistic subtlety Günther has portrayed a selection of deciduous and coniferous trees, including oak, fir, weeping willow, birch and beech. The various trees are shown in two versions: one as a pure etching, the other as an aquatint in brown. The aquatint sheets, in particular, are of a high artis­ tic standard that goes beyond the didactic purpose. Günther’s mastery of the technique is considerable. In the case of the out­

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line etchings the artist has been at pains to achieve as objective a rendering of the trees as possible, while the aquatints are care­ fully composed and highly diversified views of nature. The fine grain of the aquatint creates ultra-soft tonal transitions and a subtle chiaroscuro effect. The trees appear in a mild elegiac light. In some scenes nature appears motionless, while in the others the trees’ foliage is tossed by stormy winds, which heightens the Romantic mood. Christian August Günther studied under Adrian Zingg at the Dresden Academy. He became a boarder in 1789 and in 1810 a member of the Academy, being promoted to professor there in 1815. Günther distinguished himself mainly in the field of land­ scape painting, taking his inspiration sometimes from nature and sometimes from literary sources, such as Gessner’s Idyllen, Ossian and Fénelon. He found the motifs for his landscape art in his Saxon homeland, especially the environs of Dresden and the picturesque region known as Saxon Switzerland. He also created several sets of prints, including the Pitoreskische Reisen durch Sachsen (1798), that testify to his topographical explorations. Superb, finely differentiated impressions, printed on the full sheet. Slightly foxed in places, the binding showing signs of ageing, otherwise in excellent condition.


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38.

paul huet (1803–1869, Paris)

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paul huet (1803–1869, Paris)

Herbstlicher Wald mit einem kleinen Bach. Aquarell. 46,5 x 30 cm. Mit dem roten Atelierstempel (Lugt 1268).

Autumnal Wood with Small Stream. Watercolour. 46.5 x 30 cm. With red studio stamp (Lugt 1268).

Paul Huet lernte ab 1820 an der Pariser École des Beaux-Arts bei Antoine-Jean Gros und Pierre Narcisse Guérin und gilt als einer der Begründer der romantischen Landschaftsmalerei in Frank­ reich. Von wesentlicher Bedeutung für seinen künstlerischen Werdegang war der freundschaftliche Umgang mit Eugène Delacroix und Richard Parkes Bonington, die ihm wesentliche künstlerische Impulse vermittelten. Als ebenso entscheidend erwies sich der durch Bonington angeregte Kontakt mit der englischer Malerei seiner Epoche, insbesondere 1824 der Besuch der ersten Ausstellung der Werke John Constables in Frank­ reich. Michelet bezeichnete Huet mit Recht als „rénovateur du paysage français“.

Paul Huet, who was admitted to the Parisian École des Beaux Arts in 1820 and studied under Antoine-Jean Gros and Pierre Narcisse Guérin, is considered one of the founders of Romantic landscape painting in France. Of key significance for his artistic career were his friendships with Eugène Delacroix and Richard Parkes Bonington, who were important sources of inspiration. It was Bonington who introduced Huet to the English painting of the day, particularly through his 1824 visit to the first exhibition of the works of John Constable in France. Michelet rightly described Huet as the “rénovateur du paysage français”.

Huet widmete sich seit den 1820er Jahren intensiv der Plein­ airmalerei und zu seinen ersten Versuchen auf diesem Gebiet zählen die großartigen Freilichtstudien, die er in jener Zeit im Park von Saint-Cloud malte. Als Landschaftler pur sang pflegte der Künstler Zeit seines Lebens eine sehr intensive Reisetätig­ keit, die ihn u.a. in die Normandie, in die Auvergne, nach Süd­ frankreich, Spanien, Italien, Holland und Belgien führte. Bezeichnenderweise war es vor allem die nordische Natur, die Huet wesentlich inspiriert hat. Die Betonung des Stimmungs­ elementes in seinen Landschaften und die künstlerische Erfas­ sung des Lichtes in allen seinen unterschiedlichen Valeurs machen ihn zu einem Vorläufer der fast um ein Jahrzehnt jünge­ ren Generation der Schule von Barbizon und zu einem der Hauptvertreter der sogenannten Paysage intime. Huet war ein sehr begabter Aquarellmaler, der die tonalen und atmosphärischen Möglichkeiten des Mediums subtil beherrschte. Die stimmungsvolle Naturstudie eines herbstlichen Waldes dürfte dem Spätwerk des Künstlers angehören. Der schlichte, unspektakuläre Naturausschnitt zeugt von seiner bemerkens­ wert frischen Beobachtungsgabe und einem tiefen Natur­empfin­ den. Eine leise Melancholie durchzieht den herbstlichen Wald. Die schlanken, kahlen Baumstämme verleihen der Kompo­si­ tion eine beschwingte Rhythmik, welche durch das gewählte Hochformat betont wird. Meisterhaft sind die gedämpften Valeurs vom Terrain, Wasser und Laub abgemischt. Huets Technik ist großflächig und souverän, verliert sich nie im Detail und erreicht so ein bestimmtes Maß an Abstraktion, was in ge­wisser Weise die Aquarelle Cézannes vorwegzunehmen scheint.

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From the 1820s onwards Huet devoted himself intensely to open-air painting. His first ventures in this field include the magnificent plein air studies which he painted in the park of Saint-Cloud at that time. As a landscape artist pur sang, Huet was an inveterate traveller, visiting such places as Normandy, the Auvergne, the south of France, Spain, Italy, Holland and Belgium. Significantly, he drew his main inspiration from the nordic countryside. The stressing of the element of mood in his landscapes and the artistic treatment of light in all its different textures make him a precursor of the Barbizon school – representing a generation almost a decade younger – and one of the main exponents of the paysage intime. Huet was a very gifted water-colourist with a keen mastery of the tonal and atmospheric potential of the medium. This moodladen nature study of a wood in autumn probably belongs to the artist’s late work. The simple, unspectacular depiction testi­ fies to his remarkably fresh gift of observation and profound feeling for nature. A gentle melancholy pervades the autumnal wood. The bare, slender tree trunks lend the composition a pleasing rhythm which is reinforced by the choice of the upright format. The blending of the muted tints of terrain, water and foliage is masterly. Huet’s technique is sweeping and confident, never getting lost in detail and thus achieving a certain measure of abstraction that sometimes seems to anticipate the water­ colours of Cézanne.


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39. rudolf jordan

39. rudolf jordan

Porträt des Künstlers Rudolf Jordan, nach Andreas Achenbach. Lithographie. 24,4 x 19,9 cm. 1833.

Portrait of the Artist Rudolf Jordan, after Andreas Achen­bach. Lithograph. 24.4 x 19.9 cm. 1833.

Rudolf Jordan wurde zuerst als Stallmeister ausgebildet, bevor er sich mit neunzehn Jahren auf Anraten Wilhelm Wach der Malerei zuwandte. 1833 trat er sein Studium an der Düssel­dor­ fer Akademie an, wo er bis 1840 lernte. Nachdem er einige Jahre bei Friedrich Wilhelm von Schadow und Karl Ferdinand Sohn gearbeitet hatte, etablierte er sich 1848 in Düsseldorf als selbständiger Künstler und wurde schnell zu einem der höchst angesehenen Vertreter der Düsseldorfer Malschule. Seine ersten Genregemälde, Die Familie des Fischers aus dem Jahre 1832 und der 1834 während seiner Düsseldorfer Lehrzeit ent­standene „Heiratsantrag auf Helgoland“ wurden auf der Ber­ liner Akademieausstellung von der Öffentlichkeit gefeiert. Diese Werke setzten Maßstäbe für eine neue Gattung der Genre­ malerei, in welcher Jordan beachtliche Erfolge erzielte: ethno­ graphische, anekdotisch geprägte Darstellungen aus dem Leben der Fischer, das er auf mehreren Reisen an die Küste Nord­ deutschlands, Hollands und Belgiens beobachtete. Wie die Datierung auf unserem Blatt belegt, entstand die Lithographie im Januar 1833, unmittelbar vor Jordans Studienantritt an der Düsseldorfer Akademie. Außerdem lässt das Monogramm rechts oben darauf schließen, dass das Porträt auf ein Gemälde Andreas Achenbachs zurückgeht. Letzterer besuchte zehn Jahre früher als Jordan die Düsseldorfer Akademie und machte 1832/33 gemeinsam mit seinem Vater eine Studienreise durch die Niederlande. Die Randeinfälle, die neben drei grotesken Köpfen und einem Pferd, Fischer und Boote an der Küste zei­gen, belegen die Vorliebe beider Künstler für die maritime Malerei. Kurioserweise ist es das dritte Porträt des jungen Rudolf Jordan, auf dem er Pfeife rauchend dargestellt ist. Offenbar war die imposante, mit Quasten geschmückte Tabakspfeife ein charak­ teristisches Attribut des jungen Kunststudenten. Dieser blickt den Betrachter selbstbewusst und mit heiter-verschmitztem Blick an, während flüchtiger Rauch seinen Lippen entweicht.

Rudolf Jordan was first trained as a groom before turning to painting at the age of nineteen on the advice of Wilhelm Wach. In 1833 he began a course of study at the Düsseldorf Academy, where he stayed until 1840. After working for some years with Friedrich Wilhelm von Schadow and Karl Ferdinand Sohn, he set himself up as an independent artist in 1848 in Düsseldorf and quickly became one of the most respected representatives of the Düsseldorf school. His first genre painting The Fisherman’s Family (1832) and the Marriage Proposal on Heligoland, done in 1834 during his student days in Düsseldorf, were enthusiastically received by the public at the Berlin Academy Exhibition. These works set standards for a new kind of genre painting in which Jordan scored notable successes: ethnographic, anecdotal portrayals of the life of the fishermen, which he observed on several trips to the coasts of Holland, Belgium and northern Germany. The date on this lithograph tells us that it was done in January 1833, immediately before Jordan commenced his studies at the Düsseldorf Academy. The monogram at the top right also permits the conclusion that the portrait derives from a painting by Andreas Achenbach. The latter attended the Düsseldorf Academy ten years earlier than Jordan and went on a study trip through the Netherlands with his father in 1832/33. The margin sketches, which apart from three grotesque heads and a horse show fishermen and their boats on the coast, reveal the predilection of both artists for maritime painting. Curiously enough, this is the third portrait of young Rudolf Jordan smok­ ing a pipe. Evidently the impressively betasselled pipe was a characteristic attribute of the young art student, who looks at the viewer with a self-confident, mischievous smirk, while smoke escapes from his lips.

(1810 Berlin – 1887 Düsseldorf)

Ausgezeichneter, nuancierter Druck mit dem vollen Rand. Leicht stockfleckig, alte Montierungsreste verso, eine kleine unauffällige Falte in der rechten unteren Ecke, Gebrauchs­ spuren, sonst sehr gut erhalten.

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(1810 Berlin – 1887 Düsseldorf)

An excellent, finely nuanced impression with full margins. Slightly foxed, traces of previous mounting on the verso, a small, unobtrusive crease in the lower right-hand corner, minor traces of handling, otherwise in very good condition.


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40. wilhelm von kaulbach

40. wilhelm von kaulbach

Hermes, der Bote der Götter. Bleistiftzeichnung. 37 x 25,5 cm. Signiert in brauner Feder: „WKaulbach“. Um 1845.

Hermes, Messenger of the Gods. Pencil drawing. 37 x 25.5 cm. Signed in pen: “WKaulbach”. Circa 1845.

Wilhelm von Kaulbach war ein talentierter und außerordent­ lich produktiver Zeichner. Seine erstaunliche Frühbegabung geht aus der Tatsache hervor, dass er nach seinem Studien­ antritt an der Düsseldorfer Akademie im Laufe eines Jahres von der Elementarklasse bis zur Oberstufe aufrückte. Kein Geringerer als Peter von Cornelius setzte sich mit der Kraft seiner Autorität für den jungen Künstler ein und empfahl ihn für mehrere Staatsstipendien. Im Jahre 1826 ging Kaulbach auf Veranlassung von Cornelius nach München, wo er Letzterem bei der Ausführung der Fresken im Herzog Max-Palais, in der Residenz und bei anderen Projekten assistierte. Der Karton für die Hunnenschlacht (1834–37) markierte Kaulbachs künst­ lerischen Durchbruch. König Ludwig I. ernannte ihn zum Hof­ maler und innerhalb kürzester Zeit stieg Kaulbach zu einem der angesehensten und meistbeschäftigten Historienmaler Deutsch­lands auf. Das vorliegende Studienblatt entstand wahr­ schein­lich in Zusammenhang mit der Ausmalung des Treppen­ hauses im Neuen Museum in Berlin, einem der bedeutendsten Auf­träge seiner gesamten Laufbahn, an dem Kaulbach von 1845 bis 1865 arbeitete. Die Darstellung ist in einem treff­siche­ ren, konzentrierten Duktus ausgeführt, der in seinem linearen Purismus an die Zeichenkunst der Nazarener erinnert und zutiefst dem maßgeblichen Beispiel des Peter Cornelius ver­ pflichtet ist. Die klare Linienführung, die mit einem souverä­ nen Formgefühl einhergeht, verleiht dem Blatt eine kraftvolle Schlichtheit und eine überzeugende Dynamik.

Wilhelm von Kaulbach was a gifted and extremely productive draughtsman. How early his talent manifested itself may be seen from the fact that, upon admission to the Düsseldorf Aca­ demy in 1822, he completed the whole course of study from the elementary class to the senior grade within one year. Peter von Cornelius threw his support behind the young artist, putting a number of stipends his way. In 1826 Kaulbach went at Cor­ nelius’ insistence to Munich, where he helped the latter in the execution of frescoes for the Herzog Max-Palais, the Residenz and other projects. The cartoon for the Battle of the Huns (1834– 37) marked Kaulbach’s artistic break­through. King Ludwig I of Bavaria appointed him court painter and in the space of a few years Kaulbach rose to become the most respected and bestpaid painter of historical scenes in Germany. The present study sheet probably arose in connec­tion with the monumental paint­ ings in the stairwell of the Neues Museum in Berlin, which were among the most important commissions of Kaulbach’s career and with which he was occupied from 1845 to 1865. The drawing is executed in a masterly, concentrated style derived from the graphic purism of the Nazarenes, which would be incon­ceivable without the influential example of Peter von Cornelius. Clear linework combined with an unerring sense of form lend the drawing a powerful simplicity and a vivid sense of movement.

(1805 Arolsen – 1874 München)

Provenienz: Katalog der 23. Ausstellung der Berliner Secession. Zeichnende Künste, November–Dezember 1911, Nr. 502. Aus der Sammlung Gustav Engelbrecht (Lugt 1148).

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(1805 Arolsen – 1874 Munich)

Provenance: Katalog der 23. Ausstellung der Berliner Secession. Zeichnende Künste. Nov.–Dec. 1911, no. 502. From the collection Gustav Engelbrecht (Lugt 1148).


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41. j ohann adam klein

41. j ohann adam klein

„Des Metallwaarenfabrikanten Joseph Feil Ehefrau“; „Der Metallwaarenfabrikant Joseph Feil“. 2 Radierungen. Je ca. 17,6 x 13,3 cm. Um 1814–15. Jahn 150 II, 151 II.

The Wife of the Metal Goods Manufacturer Joseph Feil; the Metal Goods Manufacturer Joseph Feil. Two etchings, each measuring 17.6 x 13.3 cm. approx. Circa 1814–15. Jahn 150 II, 151 II.

Der Radierer, Lithograph und Maler Johann Adam Klein ist vor allem als Autor von Tierdarstellungen und ländlichen Genreszenen bekannt, die von einer nüchternen, realistischen Gesinnung geprägt sind. In seinem unbestechlichen, phrasen­ losen Wirklichkeitssinn erweist sich Klein als ein charak­teristi­ scher Vertreter des Biedermeiers. Seine beachtlichen zeich­neri­ schen Qualitäten hatte sich der Künstler auf den zahlrei­chen Studienreisen und Wanderungen, die er in seiner Jugend in Österreich, der Schweiz und Italien unternahm, angeeignet. Kleins Vorliebe galt der Wiedergabe von Pferden und Haus­ tieren. Daneben widmete er sich auch der Darstellung von historischen Episoden aus der Zeit der Befreiungskriege sowie Charakterisierungen ausländischer Volkstypen. Bildnisse sind in dem radierten Werk eine Seltenheit. Bereits C. Jahn, der Autor des 1863 erschienenen druckgraphischen Werkverzeich­ nisses bezeichnete die beiden vorliegenden Porträts, die um 1814/15 in der Wiener Frühzeit des Künstlers entstanden sind, als von größter Seltenheit. Die Eheleute Feil sind bis zur Brust in Profilansicht dargestellt. Die frei und leicht radierten Por­träts sind unten oval gefasst und heben sich nach oben vor einem neutralen Fond ab. Möglicherweise hatten die Bildnisse eine kommemorative Funktion, denn Antonie Feil, geb. Kammer­ huber war am 19. November 1814 in Wien verstorben. Ihr Por­ trät unterscheidet sich vom männlichen Bildnis durch eine größere zeichnerische Delikatesse und psychologische Ein­ fühl­samkeit. Behutsam und konzentriert hat Klein die Kontur von Stirn, Nase und Mund charakterisiert, feine Punktierungen verleihen dem Gesicht Fülle und Plastizität. Ebenso transparent und leicht ist die mädchenhafte, antikisierende Frisur mit den koketten Ringellöckchen an den Schläfen wiedergegeben. Die Haare sind am Hinterkopf zu einem Büschel geflochten und werden von einem schmalen Band zusammengehalten, deren Schleife dem Bildnis eine feminine Leichtigkeit verleiht. In ihrer Schlichtheit und Nüchternheit der Charakterisierung sind die beiden Bildnisse künstlerisch überzeugende Beispiele des realistischen bürgerlichen Porträts.

The printmaker, lithographer and painter, Johann Adam Klein, is mainly known for his animal studies and rural genre scenes which reveal a sober, realistic approach. His unerring and straightforward sense of reality makes Klein a characteristic representative of the Biedermeier period. The artist acquired his considerable drawing skills in the course of numerous study trips and walking tours undertaken as a young man in Austria, Switzerland and Italy. Klein’s main interest was the rendering of horses and domestic animals, but he also recreated scenes from the period of the Napoleonic wars and produced characterizations of foreign types of people. Among his etchings por­ traits are a rarity. C. Jahn, the author of the catalogue raisonné of his printed œuvre that appeared in 1863, described the two present portraits, executed circa 1814/15 during the artist’s early period in Vienna, as being extremely rare. The Feils are shown bust-length in profile. The neatly etched portraits are rounded off at the bottom and set off at the top against a neutral background. The portraits may have had a commemorative function, as Antonie Feil, née Kammerhuber, had died in Vienna on 19 November 1814. Her portrait differs from that of her husband in that it is drawn with greater delicacy and psychological sensitivity. Klein has taken great care in forming the contours of forehead, nose and mouth; fine stippling is used to lend the face fullness and depth. A touch of lightness is added by the girlish, almost classical hairstyle with its playful ringlets at the temples. The hair is drawn into a knot at the back and kept in place by a narrow band tied in a feminine bow. In their simplicity and soberness of characterization the two etchings are excellent examples of the application of bourgeois realism to the art of portraiture.

(1792 Nürnberg – 1875 München)

Ausgezeichnete, klare Drucke mit breitem, gleichmäßigem Rand. Geringfügig stockfleckig, leichte Altersspuren, sonst vorzüglich erhalten.

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(1792 Nuremberg – 1875 Munich)

Very fine, clear impressions with margins. Slightly foxed, minor ageing, otherwise in excellent condition.


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42. jacques antoine marie lemoine (1751 Rouen – 1824 Paris)

Autoportrait accompagné d’autres têtes (Selbstbildnis und andere Köpfe). Lithographie auf Velin. 19 x 19,9 cm. 1819. Neil Jeffares, „Jacques-Antoine-Marie Lemoine (1751–1824)“, in: Gazette des Beaux-Arts, 6, 133 (1999), S. 125, Nr. 180. Obwohl für Lemoine, so wie für seinen Vater und seinen Groß­ vater eigentlich der Beruf des Notars vorgesehen war, ent­schloss er in etwa zwanzigjährigem Alter sich der Malerei zu widmen. 1771 begann er sein Studium an der Académie Royale de dessin in Rouen, wo er von Jean-Baptiste Decamps, dem Leiter dieser Lehranstalt, ausgebildet wurde. Wenige Jahre später übersie­ delte Lemoine nach Paris über und studierte an der École des Beaux-Arts unter Jean-Jacques Lagrenée, der ihn als Schüler an Maurice-Quentin de la Tour empfahl. Die Studienzeit bei La Tour lässt sich nicht belegen, doch vollzieht sich um 1777 ein stilistischer Wandel in Lemoines Werk – er schuf zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich Porträtzeichnungen und Pastelle –, der auf eine engere Bekanntschaft mit La Tour schließen lässt. Etwa 1785 begann Lemoine eine erfolgreiche Karriere als Minia­ turmaler. Er erwies sich als sehr begabt auf diesem Gebiet. Nach dem Tod seiner Frau kehrte der Künstler wahrscheinlich nach Rouen zurück, wo er 1799 eine Professur für Zeichnen an der École de Marine erhielt. Von 1813 an beschäftigte sich Lemoine intensiv und mit großer Anerkennung mit der Malerei auf Por­­zellan.

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Das vorliegende sehr seltene Selbstbildnis dokumentiert nicht nur die zeichnerischen Fähigkeiten des reifen Künstlers, es han­­delt sich auch um die einzige Lithographie, die Lemoine geschaf­ fen hat. Das Entstehungsdatum 1819 dieses Blattes spricht Bände. Nicht nur erschien in diesem Jahr die erste franzöische Übersetzung von Aloys Senefelders Lehrbuch der Stein­druckerey, zur gleichen Zeit wurde auch in Rouen, Lemoines Geburts­ stadt, die erste lithographische Handpresse in Gebrauch genom­ men. Ob das Selbstbildnis auf dieser Presse oder in Paris ge­druckt wurde, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Die neue Technik muß Lemoine angesprochen haben, denn sie war im Grunde eine technische Weiterentwicklung der Kreide­zeich­ nung, auf die sich Lemoine spezialisiert hatte. Die amüsante Randleiste mit den têtes d’expression wurde offenbar hinzu­ge­ fügt um den leeren Raum auf dem lithographischen Stein aus­ zufüllen. Das Selbstbildnis entspricht einem damals gängigen Format und sollte offenbar ausgeschnitten werden. Der Künst­ ler dürfte für sein Porträt auf eine frühere Zeichnung zurück­ gegriffen haben, denn das füllige Gesicht und die lockigen Haare wirken erstaunlich jugendlich für einen achtund­sech­zig­ jährigen Mann. Nur die auf die Nasenspitze herunter­gerutschte Brille verleiht ihm einen ernsten, sinnenden Ausdruck. Ganz ausgezeichneter Druck mit dem vollen Rand. Etwas stockfleckig und angestaubt, leichte Altersspuren, sonst sehr gut erhalten.


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42. jacques antoine marie lemoine (1751 Rouen – 1824 Paris)

Autoportrait accompagné d’autres têtes (Self-Portrait and other Heads). Lithograph on wove paper. 19 x 19.9 cm. 1819. Neil Jeffares, “Jacques-Antoine-Marie Lemoine (1751–1824)”, in Gazette des Beaux-Arts, 6, 133 (1999), p. 125, no. 180. Although Lemoine, like his father and grandfather before him, was originally destined for the profession of a notary public, he decided at the age of about twenty to devote himself to painting. In 1771 he began his studies at the Académie Royale de dessin in Rouen, where he was trained by Jean-Baptiste Decamps, the director of the Academy. A few years later Lemoine moved to Paris and studied at the École des Beaux-Arts under Jean-Jacques Lagrenée, who recommended him as a pupil to Maurice-Quentin de la Tour. Although there is no proof that he studied under La Tour, a stylistic change did take place in Lemoine’s work around 1777, at which time he was mainly doing portrait drawings and pastels, which suggests a closer acquaintance with La Tour. Round about 1785 Lemoine began a successful career as a painter of miniatures and proved to be very gifted in this field. After the death of his wife the artist probably returned to Rouen, where he was appointed professor of draw­ ing at the École de Marine in 1799. In 1813 Lemoine became intensely preoccupied with painting on porcelain, for which he won great acclaim.

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The present, very rare self-portrait not only documents the graphic skills of the mature artist – it is also the only litho­graph Lemoine ever made. The date of origin of this print – 1819 – speaks volumes. Not only was this the year that saw the appearance of the first French translation of Aloys Senefelder’s Lehrbuch der Steindruckerey, it was also the year in which the first lithographic hand-press came into use in Rouen, Lemoine’s native city. Whether the self-portrait was printed on this press or in Paris can no longer be ascertained today. The new tech­ nique must have appealed to Lemoine, as it was basically a technical development of chalk drawing, in which Lemoine had specialized. The amusing side strip with the têtes d’expression was obviously added to fill up the empty space on the litho­ graphic stone. The Self-Portrait corresponds to a format that was common at the time and was evidently meant to be cut out. The artist must have consulted an earlier drawing for his por­ trait, since the full face and curly hair look astonishingly youth­ ful for a man of sixty-eight. Only the glasses that have slipped down to the tip of his nose give him a serious, thoughtful appearance. A very fine impression with full margins. Scattered foxing and surface soiling, minor ageing, otherwise in very good condition.


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43. j ohann august nahl der jüngere

43. johann august nahl the younger

Vier Ansichten von Johann Heinrich von Danneckers Marmorstatue Ariadne auf dem Panther. 4 Kupfer­stiche. Je ca. 24 x 17,5 cm. 1814. Bezeichnet in brauner Feder im unt. Rand: „Ariadne ... 1tes–4tes Blatt“.

Four Views of Johann Heinrich von Dannecker’s Marble Statue of Ariadne on a Panther. Four engravings, each measuring 24 x 17.5 cm. 1814. Inscribed in brown pen in lower margin: “Ariadne ... 1tes–4tes Blatt”.

Der aus Stuttgart stammende Bildhauer Johann Heinrich Dan­­ necker zählt zu den bedeutendsten Vertretern des deutschen Klassizismus. 1803 schuf der Künstler das Tonmodell zu Ariadne auf dem Panther, einer seiner erfolgreichsten Skulpturen. Dan­ necker befreite die Figur aus ihrem erzählerischen Kontext und gelangte zu einer höchst originellen Bildform, bei der die schwungvolle Aufwärtsbewegung des Körpers zur Metapher für geistige Wachsamkeit wird. Die vollplastische, von allen Seiten sichtbare Skulptur verkörpert das klassizistische Ideal der Synthese von seelischer Tiefe und physischer Vollkom­men­ heit. Schon das 1805 vollendete Gipsmodell erntete eine beacht­ liche öffentliche Resonanz. Zwischen 1810 und 1814 fertigte Dan­necker für den Frankfurter Bankier Simon Moritz von Beth­mann die Marmorfassung an, die in einem eigens dazu errich­teten „Ariadneum“ ihre Aufstellung fand und alsbald zu den populärsten Bildwerken des 19. Jahrhunderts zählte.

The Stuttgart-born sculptor Johann Heinrich Dannecker was one of the most significant representatives of German Classicism. In 1803 the artist created the clay model for Ariadne on a Panther, which was to be one of his most successful sculptures. Dannecker freed the figure from its narrative context and achieved a highly original type of image in which the vigorous upward movement of the body becomes a metaphor for mental alertness. The well-rounded sculpture, visible from all sides, incorporates the Classicist ideal of a synthesis of intellectual depth and physical perfection. Even the plaster model of 1805 drew considerable public attention. Between 1810 and 1814 Dannecker produced the marble version for the Frankfurt banker Simon Moritz von Bethmann. The finished sculpture was placed in a specially made “Ariadneum” and soon came to be regarded as one of the most popular pieces of statuary of the 19th century.

Der Maler und Graphiker Johann August Nahl d. J. (1752 Zolli­ kofen – 1825 Kassel) ist der Autor der vorliegenden reizvollen Kupferstichfolge. Als Vorlagen dienten ihm Zeichnungen von der Hand des Kupferstechers Johann Friedrich Wilhelm Müller, der mit der Nichte Danneckers verheiratet war und 1814 Pro­ fessor an der Dresdner Akademie wurde. Nahl wiederum war ein Schüler Heinrich Tischbeins in Kassel und bildete sich in Paris, Rom und Neapel teilweise autodidaktisch künstlerisch weiter. Der Künstler arbeitete anfangs in einem vom Rokoko geprägten klassizistischen Idiom, das um 1800 einer mehr puri­ stischen, neoklassischen Auffassung wich. Mit großer Öko­ nomie der Mittel ist es Nahl gelungen, die kühle, distanzierte Ästhetik der Marmorstatue kongenial in das Medium des Kupferstichs zu übertragen. Er zeigt die Skulptur in vier unter­ schiedlichen Ansichten und demonstriert damit, dass sie von allen Seiten betrachtet, kanonische Schönheit und klassische Vollkommenheit besitzt.

The present charming set of engravings was done by the painter and printmaker, Johann August Nahl the Younger (1752 Zollikofen – 1825 Kassel). The originals were drawn by the engraver Johann Friedrich Wilhelm Müller, who was married to Dan­ necker’s niece and became a professor at the Dresden Academy in 1814. Nahl, in turn, was a pupil of Heinrich Tischbein’s in Kassel and trained in Paris, Rome and Naples, being partly self-taught. The artist originally worked in a Rococo-type Clas­ si­cist idiom, which circa 1800 yielded to a more purist Neo­ classical approach. With great economy of means Nahl has succeeded brilliantly in transferring the cool, reserved aesthetic of the marble statue to the engraving medium. He shows four different views of the sculpture, thus demonstrating that, whatever side it is shown from, it possesses canonical beauty and classical perfection.

(1752 Zollikofen – 1825 Kassel)

Die Kupferstichfolge ist selten und war weder Nagler noch Heller-Andresen bekannt. Ausgezeichnete Drucke mit dem vollen Rand. Leichte Alters- und Gebrauchsspuren, sonst in einheitlicher und schöner Erhaltung.

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(1752 Zollikofen – 1825 Kassel)

This set of engravings is rare and was known neither to Nagler nor to Heller-Andresen. Superb impressions with full margins. Slight traces of ageing and handling, otherwise in uniformly fine condition.


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44. antonio de pian

44. antonio de pian

Der alte Turm. Lithographien mit grüngrauer Ton­ platte. 40,7 x 31,1 cm. (1820). Schwarz, Die Anfänge der Lithographie in Österreich, 155, 1 I (von II).

The Old Tower. Lithograph with greenish-grey tint stone. 40.7 x 31.1 cm. (1820). Schwarz, Die Anfänge der Lithographie in Österreich, 155, 1 I (of II).

Der Architektur- und Dekorationsmaler und Lithograph Antonio de Pian erhielt seine künstlerische Ausbildung in Venedig und Wien und zeigt sich in seinem Frühwerk von den Architektur­ capriccios Canalettos beeinflusst. 1821 wurde er in der österrei­ chischen Hauptstadt zum Hoftheatermaler ernannt. Das druck­ graphische Werk, das insgesamt fünfzehn Lithographien zählt, entstand vorwiegend in den Jahren 1820–21 und verrät de Pians Schulung als Bühnenmaler und seinen ausgeprägten Sinn für dramatische und effektvolle Inszenierungen. Ganz im Ein­klang mit dem herrschenden Zeitgeschmack spielt das Stilprinzip des „Pittoresken“ eine eminente Rolle in de Pians Ikonographie und veranschaulicht die romantische Sehnsucht nach vergange­ nen Epochen. Ein hochaufragender, verfallener mittelalterli­ cher Turm dominiert die Komposition. Vorne gleitet ein Last­ kahn über das reglose Wasser, in dem sich Himmel und Archi­ tektur effektvoll spiegeln. Es herrscht eine Atmosphäre ent­ rückter Stille, welche der Komposition eine fast metaphysische Qualität verleiht und Ausdruck einer zutiefst romantischen Gesinnung ist.

The architectural and ornamental painter and lithographer, Antonio de Pian, received his artistic training in Venice and Vienna, and his early work shows the influence of Canaletto’s architectural capriccios. In 1821 he was appointed court theatrical painter in the Austrian capital. His printed œuvre, numbering fifteen lithographs in all, arose mainly in the years 1820– 21; it betrays de Pian’s training as a stage designer and his marked feeling for dramatic and effective set-pieces. Entirely in keeping with the prevailing taste of his period, the stylistic principle of the “picturesque” plays a pre-eminent role in de Pian’s iconography and illustrates the Romantic yearning for past epochs. A tall, crumbling mediaeval tower dominates the composition. In the foreground a small barge glides over the motionless surface of the water, in which the sky and the buildings are perfectly reflected. The atmosphere is one of silent reverie, which lends the composition an almost metaphysical quality that profoundly expresses the Romantic ethos.

(1784 Venedig – 1851 Wien)

Ausgezeichneter, fein abgestufter Frühdruck mit dem vollen Rand; vor den Abzügen mit blauer und rosa Tonplatte. Vor­ züglich erhalten.

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(1784 Venice – 1851 Vienna)

A superb, delicate and nuanced early impression with full margins; before the proofs with blue and pink tint stones. In perfect condition.


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45. lorenzo quaglio der jüngere

45. lorenzo quaglio the younger

Bühnenbildentwurf: Antiker Architekturprospekt mit Säulenhof und Reiterstandbild für die Oper „Idomeneo“ von W. A. Mozart. Schwarze Feder und Aquarell. 36 x 51 cm. Signiert: „Lorenzo De Quaglio invenit et fecit ...“.

Stage Design: Ancient Architectural Prospect with Colon­ naded Courtyard and Equestrian Statue for the Opera “Idomeneo” by W. A. Mozart. Pen and black ink and watercolour. 36 x 51 cm. Signed: “Lorenzo De Quaglio invenit et fecit ...”.

Der Architektur- und Theatermaler, Lithograph und Genre­ maler Lorenzo Quaglio war Spross einer großen, aus Ober­ita­ lien stammenden Künstlerfamilie, die sich Ende des 18. Jahr­ hunderts in München niedergelassen hatte. Lorenzo wurde von seinem Vater Giuseppe und seinem Bruder Angelo ausge­ bildet. Er war seit 1812 als Dekorationsmaler und Bühnen­bild­ ner am Münchener Hoftheater tätig, wandte sich jedoch später erfolgreich der Genremalerei zu. Der vorliegende Dekor­entwurf für Mozart’s Oper Idomeneo dürfte zwischen 1812 und 1815 ent­standen sein und besticht durch die Akkuratesse der Zeich­ nung und die effektvolle Lichtführung. Die in der Unten­ansicht und von einem schrägen Winkel aus beobachtete Säulen­archi­ tek­tur entfaltet eine imposante Tiefenwirkung und verleiht der Darstellung Grandeur und Monumentalät. Die virtuose Beherr­ schung der Zentralperspektive ist ohne das Beispiel der Archi­ tektur­pros­pekte der Künstlerfamilie der Galli-Bibiena nicht denkbar.

An architectural and theatrical painter, lithographer and genre painter, Lorenzo Quaglio was the scion of a large family of artists from Northern Italy who had settled in Munich in the late 18th century. Lorenzo was trained by his father Giuseppe and his brother Angelo. From 1812 he worked as a decoration painter and stage designer at the court theatre in Munich, later turning his hand successfully to genre painting. The present set design for Mozart’s opera Idomeneo, which probably dates to 1812–15, derives its fascination from the accuracy of the draw­ ing and the effective distribution of light. The columnar architecture, observed from a low vantage point and an oblique angle, creates an impressive sense of depth, thus imbuing the scene with grandeur and monumentality. The consummate mastery of the central perspective is inconceivable without the examples of the architectural prospects produced by the GalliBibiena family of artists.

(1793–1869, München)

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(1793–1869, Munich)


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46.

alessandro sanquirico (1777–1849, Mailand)

46.

alessandro sanquirico (1777–1849, Milan)

Die Krönung von Kaiser Ferdinand I. zum König von Lombardo-Venetien im Mailänder Dom. Federzeich­ nung in Schwarz, grau laviert. 30 x 38,9 cm. Um 1838.

The Coronation of Emperor Ferdinand I as King of Lombardy-Venetia in Milan Cathedral. Pen and black ink, grey wash. 30 x 38.9 cm. Circa 1838.

Mit erstaunlicher Akribie und Detailversessenheit hat San­ quirico die feierliche Krönung, die am 1. September 1838 im Mailänder Dom stattfand, dargestellt. Eine opulente Fest­archi­ tektur verhüllt die gotische Struktur des Kirchenbaus. Unter einem riesigen Baldachin thront der glücklose Kaiser Ferdi­ nand I., umgeben von einem Heer von kirchlichen und höfi­schen Würdeträgern. Sanquirico hat es sich wahrlich nicht leicht gemacht! Jeder Protagonist des aufwendigen Hofstaates ist mit miniaturistischer Präzision porträtmäßig dargestellt, der Gekrönte selbst blickt etwas mürrisch und anteilslos in die Ferne.

Sanquirico has portrayed the solemn coronation that took place in Milan Cathedral on 1 September 1838 with meticulous pre­ cision and astonishing attention to detail. Opulent drapes and hangings cover the Gothic structures of the church. Under a huge canopy the luckless Emperor Ferdinand I sits on his throne surrounded by a host of ecclesiastical and court dignitaries. Sanquirico certainly did not make things easy for himself. Each one of the numerous court officials has been portrayed with miniaturistic precision, while the wearer of the crown stares straight ahead of him with sullen indifference.

Ferdinand I. (1793–1875) war der älteste Sohn des Römischen Kaisers Franz II. und seiner Kusine Maria Theresa von NeapelSizilien. Der Prinz wurde als Kind von einer schwachen Gesundheit geplagt, litt an einem Wasserkopf, Epilepsie und einer Reihe von anderen genetisch bedingten Gebrechen und war als Jugendlicher schwer erziehbar. Dennoch wurde Ferdi­ nand im Jahre 1830 zum König von Ungarn gekrönt. Faktisch besaß er jedoch keine Regierungsgewalt, denn Fürst Metter­ nich agierte im Auftrag des Vaters als der eigentliche politische Entscheidungsträger. 1835 folgte Ferdinand seinem verstorbe­ nen Vater auf dem Kaiserthron nach, eine feierliche Krönung fand bezeichnenderweise nicht statt. Die eigentlichen Regie­ rungs­­geschäfte wurden auch jetzt stellvertretend von einer dreiköpfigen Staatskonferenz wahrgenommen. Auf Grund seiner offenkundigen Führungsmängel erhielt der Kaiser im Volks­ mund den Beinamen der Gütige. So war denn auch die hier dargestellte Krönung zum König von Lombardo-Venetien, die sich am 1. September 1838 vollzog, ein reiner Formalakt. 1848 dankte Ferdinand freiwillig ab und übergab die Regierung seinem Neffen Franz Joseph. Der Autor unseres Blattes, der Maler und Bühnenbildner Ales­ sandro Sanquirico galt während der ersten Hälfte des 19. Jahr­ hunderts als einer der bedeutendsten Vertreter seiner Zunft. Ursprünglich als Architekt ausgebildet, verfügte er über pro­ funde Kenntnisse der verschiedenen abendländischen Baustile. Seine phantasievollen, prunkhaften und kühnen Bühnen­kon­ struktionen für die Mailander Scala erfreuten sich außeror­dent­ licher Beliebtheit und machten seinen Namen in ganz Europa bekannt. Sanquiricos Mitgliedschaft in der kaiserlichen Aka­ demie in Wien mag ein weiterer Grund gewesen sein, weshalb dem Künstler die Ehre zuteil wurde, die feierliche Zeremonie bildlich darzustellen.

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Ferdinand I (1793–1875) was the eldest son of the Holy Roman Emperor Francis II and his cousin Maria Theresa of Naples and Sicily. As a child the prince was dogged by poor health, suffering from hydrocephaly, epilepsy and a number of other genetically caused ailments, and was ungovernable as a youth. Nevertheless, Ferdinand was crowned King of Hungary in 1830. In fact, however, he had no power to rule, as Prince Metternich, acting on behalf of his father, was the real power behind the scenes. In 1835 Ferdinand succeeded his deceased father on the imperial throne, although – significantly – there was no coronation ceremony. The real business of government was conducted in his name by a three-man State Conference. In view of his obvious lack of leadership qualities the Emperor was popularly known as the Kind-Hearted. Thus his coronation as King of Lombardy-Venetia, which took place as shown here on 1 September 1838, was a pure formality. In 1848 Ferdinand abdicated voluntarily in favour of his nephew, Franz Joseph. The author of our drawing, the painter and stage designer Ales­ sandro Sanquirico, was considered to be one of the most significant representatives of his craft during the first half of the 19th century. Originally trained as an architect, he had a profound knowledge of the various occidental building styles. His imagi­ native, sumptuous and bold sets for Milan’s La Scala enjoyed extraordinary popularity and made his name known through­ out Europe. Sanquirico’s membership of the Imperial Academy in Vienna may have been another reason why the artist was honoured with the commission to make a pictorial representation of the coronation ceremony.


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47. peter christian skovgaard (1817 Ringsted – 1875 Kopenhagen)

Landschaftsimpression von der Insel Møn. Schwarze Kreide und Ölfarben auf Leinwand. 58,5 x 40,6 cm. Um 1843. Peter Christian Skovgaard gilt als ein bedeutender Vertreter der Malerei des dänischen goldenen Zeitalters und das, obwohl er kein Schüler von Eckersberg war. Er lernte 1831–1835 an der Kopenhagener Akademie bei Johann Ludwig Lund, aber es ist überliefert, dass Skovgaard an einigen der von Eckersberg organisierten Studienausflügen teilnahm. Sein besonderes Interesse galt während der Ausbildung an der Akademie der niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts, die er in der Königlichen Sammlung (dem späteren Statens Museum for Kunst) studierte. Bedeutsam für seine künstleri­ sche Entwicklung war auch die Tatsache, dass Skovgaard früh ein Interesse für die heimische Natur und Landschaft Däne­ marks entwickelte. Er gehörte dem engeren Kreis des Kunst­ historikers N. L. Høyen an, der seine Schüler lehrte, anstelle der obligaten Italienreise die landschaftliche Schönheit des eigenen Landes zu entdecken. Skovgaard mißfiel die seiner Ansicht nach zu theoretisch orientierte Ausbildung an der Aka­ demie und er brach sein Studium ab, um sich autodidaktisch weiterzubilden. Zu diesem Zweck unternahm er mit seinen Studienfreunden Godtfred Rump und Johan Thomas Lundbye Ausflüge in die freie Natur, um direkt vor Ort zu malen. Als prägendes Erlebnis erwies sich der Sommer 1843, den Skovgaard

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mit Lundbye an der Kattegat-Küste verbrachte, wo der Künstler aufgewachsen war. Hier entstanden zahlreiche Naturstudien, deren Frische und Unmittelbarkeit der Beobachtung von einem intensiven Naturerlebnis zeugen. Die vorliegende Ölskizze dürfte in Zusammenhang mit dem in diesem Jahre entstandenen Gemälde Die Steilküste von Møn (Maribo, Storstrøms Kunstmuseum, Abb. Seite 129) geschaf­ fen worden sein. Die pittoresken Kreidefelsen Møns Klint gehörten zu den bevorzugten Landschafsmotiven des jungen Malers. Skovgaard hatte eine besondere Vorliebe für Baum­ darstellungen. Mit raschen Kreidestrichen hat der Künstler im unfertig belassenen Vordergrund die Vegetation skizziert, während sich im Mittelgrund ein schlanker, wohlpropor­tio­ nierter Baum erhebt, dessen Laub und filigranes Geäst sich markant vor dem grau-violetten, herbstlichen Himmel abzeich­ nen. In dieser Naturstudie ist es das abendliche Gegenlicht, das die Vegetation in gedämpften, jedoch reich nuancierten Farb­ akkorden aufleuchten läßt. Eine Senke des Terrains gibt den Blick auf das reglose Meer und die sonnenbeleuchteten Kreide­ felsen Møns Klint frei. Winzig klein leuchten die Segel einzel­ ner Schiffe am Horizont auf und verleihen der Darstel­lung eine beschaulich-meditative Note. Der malerische Puris­mus und das verhaltene, gedämpfte Kolorit erinnern an Caspar David Fried­ rich, der wenige Jahrzehnte zuvor auf der Ost­see­insel Rügen vergleichbare Landschaftsimpressionen geschaf­fen hatte.


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47. peter christian skovgaard (1817 Ringsted – 1875 Copenhagen)

Landscape Impression of the Island of Møn. Black chalk and oil colours on canvas. 58.5 x 40.6 cm. Circa 1843. Peter Christian Skovgaard is considered to be an important representative of the painting of the Danish Golden Age despite not having been a pupil of Eckersberg. He studied under Johann Ludwig Lund at the Copenhagen Academy from 1831 to 1835, but it is recorded that Skovgaard took part in some of the study trips organized by Eckersberg. While at the Academy he took a particular interest in Dutch 17th century landscape painting, which he studied in the Royal Collection (later the Statens Museum for Kunst). Also of importance for his artistic progress was the fact that Skovgaard developed an interest in Denmark’s own countryside and landscapes at an early age. He belonged to the inner circle of the art historian N. L. Høyen, who taught his students that instead of the obligatory Italian tour they should discover the beautiful landscapes of their own country. Skovgaard disliked what he considered to be the excessively theoretical training at the Academy and broke off his studies to become self-taught. To this end he undertook excursions into the countryside with his fellow students, Godtfred Rump and Johan Thomas Lundbye, to paint directly from nature in the open air. A key experience came in the summer of 1843,

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which Skovgaard spent with Lundbye on the Kattegat coast, where the former had grown up. This resulted in numerous nature studies whose freshness and directness of observation testify to an intensive study of nature. The present oil sketch was probably made in connection with the painting The Steep Coast of Møn (Maribo, Storstrøms Kunst­ museum), executed that same year. The picturesque chalk cliffs at Møns Klint were among the young painter’s favourite land­ scape motifs. Skovgaard had a particular love of rendering trees. With rapid chalk lines the artist has sketched in the vegetation in the unfinished foreground, while in the middle distance a slender, well-proportioned tree is situated, whose leaves and delicate branches are outlined starkly against the violet-grey autumnal sky. In this nature study it is the evening light that illuminates the vegetation, revealing muted, yet richly nuanced colour tones. A dip in the terrain permits a view of the motion­ less surface of the sea and the sunlit chalk cliffs of Møns Klint. The tiny sails of occasional ships gleam on the horizon, lending the scene a contemplative note. The painterly purism and restrained colouration are reminiscent of Caspar David Fried­ rich, who had created comparable landscape impressions on the Baltic island of Rügen several decades earlier.


P. C. Skovgaard. The Steep Coast of Møn. 1843. Maribo, Storstrøms Kunstmuseum.

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48. e berhard wächter (1762 Balingen – 1852 Stuttgart)

Der Spiegel der Lais. Feder- und Pinselzeichnung in Graubraun über Graphit, weiß gehöht, auf blauem Papier. 32,8 x 24,8 cm. Alte Beschriftung in Bleistift auf dem Untersatzkarton: „Der Spiegel der Lais. / Orig. Karton von Waechter /zum Taschenbuch für Damen 1802“. Der Historienmaler Eberhard Wächter absolvierte eine beacht­ liche künstlerische Ausbildung. Er war von 1781 bis 1783 Schüler von Nicolas Guibal und Adolf Friedrich Harper an der Hohen Karlsschule in Stuttgart und bildete sich 1784 auto­ didaktisch in Mannheim weiter. 1785 begab er sich nach Paris, wo er bei namhaften Künstlern wie Jean-Baptiste Regnault, Jacques-Louis David und Antoine-Jean Gros lernte. Im Jahre 1793 verweilte er kurze Zeit in Stuttgart, um im folgenden Jahr nach Rom zu gehen, wo er bis 1798 tätig sein sollte. In Italien fand er zum katholischen Glauben und unterhielt freund­schaft­ liche Beziehungen zu Joseph Anton Koch und Asmus Jakob Carstens. Der Mangel an Aufträgen zwang ihn schließlich 1798 nach Wien überzusiedeln, wo er als Buchillustrator für den Cotta’schen Verlag seinen Lebensunterhalt verdiente. In Wien gewann er Einfluss auf künftige Nazarener Künstler wie Fried­ rich Overbeck und Franz Pforr, die in seiner Kunst erneuernde Tendenzen entdeckten (siehe P. Koster, Eberhard Wächter (1762–1852). Ein Maler des deutschen Klassizismus, Bonn 1968, S. 129–130). 1808 trat Wächter erneut den Weg nach Rom an, wurde aber in Stuttgart von den Wirren der napoleonischen

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Kriege an der Weiterreise behindert. Wächter sollte den Rest seines langen Lebens in Stuttgart verbringen, wo er in selbst­ gewählter Abgeschiedenheit eine bescheidene Karriere als Historienmaler begann und von 1810 bis 1817 als Inspektor der Königlichen Kupferstichsammlung tätig war. Wächters Malerei war von formaler Strenge und einer puristischen Auslegung des Klassizismus gekennzeichnet, die jedoch in seiner Zeit von vielen jungen Künstlern als richtungsweisend betrachtet wurde. Die vorliegende Zeichnung Wächters diente als Vorlage für eine Buchillustration. Sie zeigt eine Szene aus der Erzählung Der Spiegel der Lais, die von dem Autor Ludwig Ferdinand Huber (1764 Paris – 1804 Ulm) verfasst und in dem Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1802 (Tübingen 1802, S. 164–166) veröf­ fent­licht wurde. Die Geschichte handelt von der einst betörend schönen griechischen Kurtisane Lais, die mit dem Fortschrei­ ten der Jahre ihren Anblick im Spiegel nicht länger ertragen konnte und diesen Aphrodite, der Göttin der Liebe widmete. Die Erzählung geht zurück auf ein Epigramm, das früher Plato zugeschrieben wurde, aber jüngeren, hellenistischen Datums ist. Die Episode diente dem Zweck sittlicher Erziehung, denn die Moral der Geschichte ist, dass eine junge Frau, die allzu­ sehr von ihren körperlichen Reizen überzeugt is,t bald durch die Zeit vom Gegenteil überzeugt wird. Diese Botschaft passte perfekt in den Kontext der erzieherischen Taschenbücher für Damen, die während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine wahrhaftige Hausse erlebten.


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48. e berhard wächter (1762 Balingen – 1852 Stuttgart)

The Mirror of Lais. Pen and point of brush and greyish-brown ink over graphite, white heightening, on blue paper. 32.8 x 24.8 cm. Old lettering in pencil on the cardboard mounting: „Der Spiegel der Lais. / Orig. Karton von Waechter /zum Taschenbuch für Damen 1802“. A painter of historical scenes, Eberhard Wächter underwent a remarkable artistic training. In the years 1781–1783 he studied under Nicolas Guibal and Adolf Friedrich Harper at the Hohe Karlsschule in Stuttgart and in 1784 continued to teach him­ self in Mannheim. In 1785 he went to Paris, where he took tuition from such well-known artists as Jean-Baptiste Regnault, Jacques-Louis David and Antoine-Jean Gros. In 1793 he spent a short time in Stuttgart before proceeding the following year to Rome, where he was to live and work until 1798. In Italy Wächter adopted the Catholic faith and maintained friendly relations with Joseph Anton Koch and Asmus Jakob Carstens. In 1798 a lack of commissions finally forced him to move to Vienna, where he earned his living as a book illustrator for the Cotta Verlag publishing house. In Vienna he influenced such future Nazarene artists as Friedrich Overbeck and Franz Pforr, who discovered in his art signs of renewal (see P. Koster, Eber­ hard Wächter (1762–1852). Ein Maler des deutschen Klassizismus, Bonn, 1968, pp. 129–130). In 1808, Wächter set off for Rome

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again but was held up in Stuttgart by the turmoil of the Napo­ leonic Wars. Wächter was to spend the rest of his long life in Stuttgart where, in self-imposed isolation, he embarked upon a modest career as a painter of historical scenes and, from 1810 to 1817, held the post of Inspector of the Royal Engravings Col­ lection. Wächter’s painting was marked by formal severity and a purist interpretation of Classicism, a view shared by many young artists in his time. This drawing by Wächter served as the original for a book illustration. It shows a scene from the story The Mirror of Lais written by Ludwig Ferdinand Huber (1764 Paris – 1804 Ulm) and published in the Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1802 (Tübingen, 1802, pp. 164–166). The story concerns a once enchantingly beautiful Greek courtesan called Lais, who with the passage of time can no longer bear to look at her reflection in the mirror and so dedicates the latter to Aphrodite, the Goddess of Love. The story has its origins in an epigram that used to be attributed to Plato, but is of more recent date. The episode served the purpose of moral upbringing, for the moral of the story is that a young woman who is all too confident of her physical charms will in time become convinced of the opposite. This message fitted perfectly in the context of the uplifting pocket books for ladies which were very much en vogue in the first half of the 19th century.


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49. edgar hilaire germain degas (1834–1917, Paris)

Das Bidet. Monotypie auf Bütten. 7,5 x 5,2 cm. Um 1880. Janis 193, Cachin 150. Um 1876–77 begann Degas sich in seinem druckgraphischen Werk mit der Welt der Prostitution auseinanderzusetzen und mit dieser provokativen Themenwahl bewies der Künstler, wie rigoros und radikal er in seinen Bestrebungen war, la Vie moderne auch in seinen niederdrückendsten Facetten darzu­ stellen. Degas erwies sich mit dieser Sujetwahl auch als Kind seiner Epoche, denn etwa zeitgleich erschienen zwei aufsehen­ erregende naturalistische Romane, die das Großstadtphä­no­ men der Prostitution zum Gegenstand hatten: Marthe, histoire d’une fille von Joris-Karl Huysmans und der vielbeachtete Roman La Fille Élisa von Edmond de Goncourt. Bei Degas’ Szenen aus den maisons closes handelt es sich vorwiegend um kleinformatige Monotypien, ein Druckverfahren, bei dem der Künstler die Darstellung direkt mit Druckfarbe auf die Metallplatte zeichnet und weder Radiernadel noch Grabstichel benutzt. Dieses Technik erlaubt in der Regel nur einen einzigen Abdruck, aber Degas pflegte häufig zwei oder drei Abzüge herzustellen, die entsprechend blasser sind und anschliessend mit Pastell über­ arbeitet wurden. Degas’ schonungslose Schilderungen der täglichen Realität in den Pariser Bordellen dürften in seiner Zeit als äußerst provozierend und schockierend empfunden worden sein. Aus diesem Grunde verbarg der Künstler diesen Aspekt seines künstlerischen Schaffens Zeit seines Lebens vor den Augen der Öffentlichkeit. Die Darstellung der Körper der Prostituierten, die mit kühler Objektivität und einem fast

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voyeuristischen Vergnügen in intimsten Posen dar­gestellt sind, erlaubte Degas den nackten weiblichen Leib in allen seinen expressiven Möglichkeiten zu erkunden. Bis vor nicht all zu langer Zeit wurden diese Schöpfungen als anrüchig und amora­ lisch betrachtet, was aus der Tatsache hervorgeht, dass eine der Originalzinkplatten dieses Zyklus in der soge­nannten „Hölle“ der Pariser Bibliothèque Nationale unter Ver­schluss gehalten wurde (siehe Xavier Rey, „Le corps exploité: Degas dans les maisons closes“, in: Ausstellungskatalog Degas et le nu, Boston-Paris 2011–2012, S. 97). Den heutigen Betrach­ter beein­ drucken diese Impressionen aus der heimlichen Welt der maisons closes durch die ungeheure Schärfe der Charakteri­sie­rung und die virtuose zeichnerische Erfassungsgabe, mit der Degas das Treiben von Dirnen und Kunden in den dämm­rigen Salons und Schlafzimmern fast analytisch nüchtern und ohne morali­ schen Zeigefinger geschildert hat. Keinem Künst­ler vor oder nach ihm ist es gelungen, die Auswüchse des menschlichen Eros so eindringlich zu schildern. Unsere Darstellung einer Prostituierten, die sich auf einem Bidet hockend säubert, demonstriert Degas’ zeichnerisches Können. Scheinbar in Sekundenschnelle, mit nur wenigen Strichen hat der Künstler den intimen Vorgang summarisch, jedoch unübertrefflich akkurat charakterisiert. Die Monotypie wurde 1934 als Vignette in Ambroise Vollards Ausgabe des Romans La Maison Tellier von Guy de Maupassant reprodu­ ziert. Françoise Cachin, Autorin des catalogue raisonné der Monotypien, konnte kein Exemplar dieses Blattes nachweisen.


Blattgröße im Original: 17,7 x 15 cm

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49. edgar hilaire germain degas (1834–1917, Paris)

The Bidet. Monotype on laid paper. 7.5 x 5.2 cm. Circa 1880. Janis 193, Cachin 150. About 1876/77 Degas began to tackle the subject of prosti­tution in his printed work, a provocative theme chosen to show how rigorous and radical he was in his determination to portray la vie moderne even in its most depressing aspects. This choice of subject also revealed Degas as a child of his time, as two sen­sa­ tional naturalistic novels had just appeared about that moment which dealt with prostitution as a big city phenomenon: Marthe, histoire d’une fille by Joris-Karl Huysmans and the much acclaimed La Fille Élisa by Edmond de Goncourt. Degas’s scenes from the maisons closes are mainly small-format monotypes, a printing technique in which the artist draws directly onto the metal plate with printer’s ink without using either an etching needle or a burin. This technique generally permits just a single proof, but Degas often used to produce two or three impressions, which were correspondingly paler and subsequently were re­worked with pastel. Degas’s unsparing depictions of the daily reality in the Parisian brothels would probably have been seen as extremely provocative and shocking at that time. For this reason the artist was always careful to conceal this aspect of his creative work from the eyes of the public. The portrayal of the bodies of the prostitutes, which are observed with cool, impersonal objectivity and an almost voyeuristic pleasure in the most intimate poses, enabled Degas to explore all the

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expressive possibilities of the nude female body. Until fairly recently these creations were regarded as indecent and immoral, as may be seen from the fact that one of the original zinc plates of this cycle was kept under lock and key in the so-called “hell” of the Bibliothèque Nationale de France in Paris (see Xavier Rey, “Le corps exploité: Degas dans les maisons closes” in the exhibition catalogue Degas et le nu, Boston-Paris 2011–2012, p. 97). What strikes the modern viewer about these impressions from the secret world of the maisons closes is the extraordinary power of the characterization and the brilliant draughtsman’s skills which Degas has drawn on to capture the activities of prostitutes and their clients in the dimly lit salons and bed­ rooms with a sober, analytical eye and without any moral atti­ tudinizing. No artist before or since has succeeded in showing the aberrations of the human libido so vividly. This portrayal of a prostitute squatting on a bidet washing her­­self demonstrates Degas’s graphic skill. It would appear that in the space of a few seconds and with only a few lines the artist has caught the intimate act in brief outline yet with incredible accuracy. The monotype was reproduced in 1934 as a vignette in Ambroise Vollard’s edition of the novel La Maison Tellier by Guy de Maupassant. Françoise Cachin, the author of the catalogue raisonné of monotypes, has been unable to trace any impression of this print.


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50. giorgio morandi

50. giorgio morandi

Piccola natura morta con tre oggetti. Radierung auf festem Kupferdruckpapier. 12,5 x 15,7 cm. Signiert. Auflage 100 num. Ex. 1961. Vitali 131.

Piccola natura morta con tre oggetti. Etching on wove paper. 12.5 x 15.7 cm. Signed. Edition of 100 numbered impressions, 1961. Vitali 131.

Seit den frühesten Anfängen seines künstlerischen Schaffens hat sich Morandi auch in seinem druckgraphischen Werk mit dem Stilleben auseinandergesetzt und unermüdlich auf diesem Gebiet experimentiert. Es handelt sich um geniale Variationen zu einem Thema, bei denen der Künstler in Nachahmung seines großen Vorbildes Paul Cézanne die Gesetzmäßigkeit alltäg­li­ cher Objekte wie Gefäße, Flaschen, Kannen und Vasen unter­ sucht, diese Objekte zu vollendeten Kompositionen zusammen­ schmiedet und ihnen auf diese Weise eine zeitlose, universale Präsenz verleiht.

Since the earliest beginnings of his career Morandi was pre­ occupied with the subject of still life in his printed work and experimented tirelessly in this field. The result was ingenious variations on a theme in which the artist, in imitation of his great role model, Paul Cézanne, probed the inner essence of everyday objects – such as vessels, bottles, pitchers and vases – and forged these objects into finished compositions, thus endowing them with a timeless, universal presence.

(1890–1964, Bologna)

Morandi hat sich sein ganzes Leben mit dem Medium der Radierung beschäftigt, seine früheste Arbeit stammt aus dem Jahre 1912. Er arbeitete mit größter schöpferischer Konzen­tra­ tion und hohem technischem Raffinement. Ein Indiz für die Effizienz seiner Arbeitsweise ist die Tatsache, dass die Mehr­ zahl seiner Radierungen in einem einzigen Arbeitsvorgang, ohne vorbereitende Druckzustände geschaffen wurden. Und sogar im Falle mehrerer Etats handelt es sich um kaum wahr­ nehmbare Korrekturen oder Akzentverschiebungen, die das Erscheinungsbild der Komposition nicht wesentlich ändern. Auf Grund seiner handwerklichen Meisterschaft erhielt Morandi 1930 eine Professur für die Radierkunst an der Accademia di belle Arti in Bologna und hatte dieses Amt bis 1956 inne. Milton Glaser, ein amerikanischer Schüler Morandis, lobte das serene Arbeitsklima. Die Radierkurse fanden in einer ruhigen, beschau­ lichen Atmosphäre statt und die Vorzüge der emilianischen Küche waren ein beliebtes Gesprächsthema. Lediglich in dem entscheidenden Moment, wenn ein Schüler dabei war, seine Kupferplatte in das Säurebad einzutauchen, machte sich eine erhöhte Anspannung im Raum bemerkbar. Morandi verhielt sich immer identisch. Er verharrte einen Moment im Schwei­gen, legte dann seine Hand auf die Schulter des Schülers und sagte: „Corraggio!“ (siehe Ausstellungskatalog Morandi. 50 Gravures, Galerie Berggruen, Paris 1979). Das vorliegende, delikate Stilleben ist die letzte druckgraphi­ sche Arbeit des Künstlers. Trotz des intimen Formats und der Bescheidenheit des Sujets strahlt die Kompo­sition eine monumentale Grandeur aus. Ein feines Netz von eng geführten Schraffuren überzieht die Darstellung und lässt die wenigen alltäglichen Gegenstände in einem magischen, flimmernden Licht erstrahlen. Die Vollendung von Technik und Komposition macht deutlich, weshalb man Morandi den „Chardin nach dem Kubismus“ genannt hat. Prachtvoller, nuancierter Druck mit dem vollen Rand.

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(1890–1964, Bologna)

All his life Morandi was active as an etcher, his earliest work dating from 1912. He worked with great creative concentra­ tion and a high degree of technical finesse. An indication of the efficiency of his way of working is the fact that most of his etchings were printed in a single run, without preparatory states. Even in the event of there being several states, these involved barely perceptible corrections or shifts of emphasis which did not substantially alter the appearance of the com­ position. Being a master of his craft, Morandi was appointed professor of etching at the Accademia di belle Arti in Bologna in 1930, a post he held until 1956. Milton Glaser, an American pupil of Morandi’s, praised the serenity of his classes. The etching courses took place in a quiet, contemplative atmosphere, and the delights of the Emilian cuisine were a favourite topic of conversation. Only at the crucial moment, when a student was about to dip his copperplate into the acid bath, did a feeling of tension become noticeable. Morandi’s behaviour never varied. He remained silent for a moment, laid his hand on the student’s shoulder and said: “Corraggio!” (see exhibition catalogue Morandi. 50 Gravures, Galerie Berggruen, Paris, 1979). The present, delicate still life is the artist’s last print and thus rounds off a richly creative career and an admirably unrelenting search for artistic truth. Despite the intimate format and the modesty of the subject the composition radiates a monumental grandeur. A fine network of dense cross-hatchings covers the portrayal, making the few everyday objects appear in a magical, shimmering light. The perfection of technique and composi­ tion makes it clear why Morandi was called the “post-Cubist Chardin”. A superb impression of great clarity, printed on the full sheet.


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künstlerverzeichnis / index of artist names Barrière, Dominique Beatrizet, Nicolas Blechen, Carl Bos, Cornelis Bosboom, Johannes Carmontelle, Louis Chaitaignier, Alexis Challe, Charles-Michel-Ange Cochin, Nicolas Collaert, Johannes Jansz. Coornhert, Dirck Volkertsz. Degas, Edgar Hilaire Germain Demarne, Jean-Louis Deutsche Schule um 1500 Dillis, Johann Georg von Duveneck, Frank Franco, Giovanni Battista Gamelin, Jacques Grimm, Ludwig Emil Günther, Christian August Herz, Johann Daniel Huet, Paul Jordan, Rudolf Kaulbach, Wilhelm von Klein, Johann Adam Lame, Biagio delle Lemoine, Jacques Antoine Marie Londonio, Francesco Maganza, Alessandro Mauperché, Henri Monogrammist L.K. Morandi, Giorgio Moucheron, Isaac de Nahl, Johann August d. J. Normand, Charles Pierre Joseph Novelli, Pietro Antonio Pian, Antonio de Quaglio, Lorenzo d. J. San Martino, Carlo Enrico di Sanquirico, Alessandro Schmutzer, Jakob Matthias Skovgaard, Peter Christian Suavius, Lambert Tempesta, Antonio Tiepolo, Giovanni Domenico Vien, Joseph Marie Wächter, Eberhard Zimbal, Johann Ignaz

8 10 90 16 94 46 96 50 18 20 22 134 52 24 54 98 28 56 100 102 58 106 108 110 112 14 114 62 32 34 36 138 64 118 66 68 120 122 70 124 74 126 38 40 78 82 130 84


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Tefaf Maastricht March 15–24, 2013 Please visit our exhibition From Duvet to Morandi – European Works on Paper Tefaf on Paper, stand no. 708 Opening hours: Daily 11am – 7pm Sunday, March 24, 11am – 6pm

N Exhibition in Paris April 4–13, 2013 We will show a selection of Old Master drawings at "Dessins au Quartier Drouot" Galerie Air de Chasse 16, rue de la Grange Batelière 75009 Paris Telephone: +49 171 4830486 Opening hours: April 4, 5pm – 9pm April 5–6 and 8–13, 11am – 6pm We look forward to seeing you there.


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