Handelszeitung 02.11.2022

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standort zentralschweiz | 31

PANTHERMEDIA/WALTER EGLOFF

Handelszeitung Nr. 44 | 3. November 2022

Alpnachersee: Er ist kein eigenständiger See, sondern ein Seitenarm des Vierwaldstättersees. Er liegt in den beiden Kantonen Nid- und Obwalden und ist bei Anglern und Anglerinnen wegen der vielen Felchen sehr beliebt.

MARC GLÄSER

«Das gab es bei uns noch nie» Der CEO von Stöckli über Marco Odermatt, Swissness – und warum er nicht auf Langlaufski, sondern den Textilbereich setzt.

INTERVIEW: FLORIAN FELS

Glückwunsch, Marco Odermatt hat den Vertrag mit Stöckli verlängert. Das kostet sicherlich eine Stange Geld? Es haben uns nicht viele zugetraut, dass wir diesen Ausnahmesportler nach seinen Erfolgen im Gesamtweltcup und bei den Olympischen Spielen halten können. Und dann gleich um vier weitere Jahre. Ja, das kostet etwas. Aber ich kann Ihnen ­sagen: Er ist jeden Franken wert. Werden Ihre Ski jetzt deshalb teurer? Wenn wir die Preise erhöhen müssen, dann eher wegen der massiven Verteuerung der Materialien. Die Preiserhöhungen kommen im Monatsrhythmus. Wir

«Ja, der kommt von der Uhrenindustrie, der hat keine Ahnung.» sprechen von gut 10 bis 15 Prozent im Jahresvergleich. Und dass der Holzlieferant Hess Ende des Jahres zumacht, hilft auch nicht gerade. Ein anderer Lieferant hat uns gerade informiert, dass sein Produkt ab dem nächsten Monat um 20 Prozent teurer wird. Dann müssen wohl auch die Ski teurer werden. Um wie viel genau? Je nach Modell haben wir die Preise für die kommende Saison um 5 bis 10 Prozent erhöht. Wäre Mikaela Shiffrin nicht eine besser Wahl, um das USA-Geschäft anzukurbeln? Marco Odermatt ist schon seit 15 Jahren bei uns. Er ist aktuell der beste Skifahrer der Welt, und als Schweizer verkörpert er perfekt unsere Swissness. Das ist authentischer für unsere Schweizer Marke als Mikaela Shiffrin. Marco Odermatt repräsentiert für mich die moderne Schweiz. Das heisst? Marco ist weltoffen, kulturell interessiert, aufgeschlossen und authentisch. Er geht mit einem gesunden Selbstbewusstsein durch die Welt, ist ambitioniert und nennt konkret seine Ziele. Gleichzeitig ist er bodenständig, bescheiden und mit einer gewissen Demut unterwegs. Also typische Schweizer Werte gepaart mit ­Offenheit und Zugänglichkeit. Das gefällt uns, das passt zu uns.

Sie betonen die Swissness. Was heisst das genau? Für mich steht Stöckli für die Schweizer Industrie. Mit einem starken Export­ fokus. Zentraler USP ist «Swiss made», und das heisst Qualität, heisst Präzision, heisst Langlebigkeit und damit gleichzeitig Nachhaltigkeit. «Swiss made» ist per se viel nachhaltiger als alle unsere Hauptkonkurrenten: Das sind Marken, die zum grössten Teil in Osteuropa produzieren. Die verwenden Strom, der vorwiegend aus der Kohleverbrennung stammt. Wir beziehen zu 99 Prozent nachhaltigen Strom, hauptsächlich aus Wasserkraft. Kann man die Ski, die Odermatt fährt, auch als Privatkunde, -kundin kaufen? Die Ski unterscheiden sich von der Kon­ struktion und vom Material her nicht sehr, eher in der Materialdicke respektive Materialstärke, weil bei den Profis ganz andere Kräfte wirken. Aber Ski mit einer FIS-Geometrie, also Rennski, können Sie auch bei uns kaufen. Und bei uns sind es dieselben Leute, die die Serienski bauen und die Rennski für den Weltcup. Warum eigentlich der Holzkern in all Ihren Ski drin? Das ist eine Qualitätsfrage. Der Holzkern verbessert die Performance und macht sie langlebiger. Ein Ski mit Kunststoffkern verliert nach zwei bis drei Jahren seine Spannung. Ein Ski mit Holzkern dagegen hält die Spannung in der Regel über bis zu zehn Jahre. Wie nachhaltig ist Stöckli? Nachhaltigkeit hat schon eine grosse Bedeutung für uns, weil der Skisport in der Natur stattfindet. Natürlich müssen wir der Umwelt Sorge tragen. Wir haben in den letzten Jahren immer auch in Nachhaltigkeit investiert. Beispiele? Unsere Wasseraufbereitungsanlage verwendet ein Jahr lang dasselbe Wasser in der Schleiferei. Das wird immer wieder aufbereitet. Dann: Bis zum Sommer 2023 werden wir ein Wärmespeicherprojekt umgesetzt haben. Wir pressen die Ski mit rund 140 Grad Celsius, die Hitze gewinnen wir aus heissem Wasser – da haben wir einen Kreislauf entwickelt, mit dem wir künftig 30 Prozent Energie sparen. Und das als Grossverbraucher mit einem Verbrauch von 1,5 Gigawatt im Jahr. Das Recyceln von Ski mit den vielen verklebten Schichten aus Holz, Kunststoff und Metall ist aber ein Problem.

Das ist ein grosses und spannendes Thema und wir sind hoch motiviert, hier ­Lösungen zu finden. Wir sprechen mit EPFL und ETH darüber, was wir hier ­machen können. Im Endeffekt müssen wir unser Leimsystem so anpassen, dass man die Schichten wieder trennen kann. Man kann sie heute trennen, aber nur mit sehr grossem Energieaufwand. Ihre Kernkompetenz ist der Pistenski. In den letzten Jahren boomt das Tourengehen, haben Sie den Zug verpasst? Natürlich sind wir eher als SkipistenMarke bekannt, aber wir machen schon lange auch sehr gute Tourenski. Es sind nicht die leichtesten auf dem Markt, weil wir Holzkerne verbauen und dadurch viel Wert auf die Stabilität und somit auch auf die Downhill-Performance legen. Denn nach einem anstrengenden Aufstieg soll man sich auf eine tolle Abfahrt freuen dürfen, und da ist man mit einem stabilen Ski besser bedient. Viele würden auch gerne einen Langlaufski von Stöckli ausprobieren. Das ist eine komplett andere Herstellungsmethode. Dafür bräuchten wir eine

Der Transformer Name: Marc Gläser Funktion: CEO Stöckli Swiss Sport AG Alter: 54 Familie: verheiratet zwei Kinder Ausbildung: lic. oec. HSG Karriere: Seit 2014 CEO bei Stöckli und seit 2016 Mitinhaber (10%). Davor war er zwölf Jahre beim Uhrenhersteller Maurice Lacroix, zuletzt als CEO. Seine Karriere startete er bei Unilever und Feldschlösschen. Unternehmen Stöckli Swiss Sport wurde 1935 gegründet und befindet sich heute mehrheitlich im Besitz der Familie Kaufmann. Am Standort Malters LU beschäftigt das Unternehmen rund 200 Mitarbeitende. Der Umsatz liegt bei rund 55 Millionen Franken.

neue Fabrik mit viel Volumen und sehr hohe Investition für Maschinen. Diese Ski werden ja überwiegend in einer Spritzgusstechnik produziert, das lohnt sich erst bei einer Menge von 150 000 bis 200 000 Paar Ski. Sie waren der erste CEO von Stöckli, der nicht aus der Familie stammt, und sind inzwischen mit 10 Prozent am Unternehmen beteiligt. Ihre Bilanz? Als ich hier startete, verkaufte Stöckli etwa 35 000 Ski im Jahr, die in Malters produziert wurden. Ich habe damals gesagt, so 75 000 müssten eigentlich möglich sein. Da hat man mich angeschaut und gedacht: Ja, der kommt von der Uhren­ industrie, der hat wirklich keine Ahnung. Ich sehe die letzten acht Jahre als eine erfolgreiche Transformation mit einer klaren Ausrichtung auf den Skisport. Konkret? 2015 haben wir die Vision entwickelt, dass wir die beste Skisportmarke der Welt sein wollen. Als ich 2014 anfing, hatten wir drei Geschäftsbereiche: Retail (eigene StöckliShops in der Schweiz), Bike und Ski. Wir haben dann den Bike-Bereich geschlossen, das Retailgeschäft komplett neu ausgerichtet, inklusive Ausstieg aus dem Sommergeschäft, und uns konsequent auf die Skisportmarke Stöckli konzentriert. Heute sind wir eine Skisportmarke mit einer Produktion in der Schweiz und ­ einem weltweiten Vertrieb über den ­ ­Fachhandel. Also quasi gesundgeschrumpft? Wir haben nicht nur reduziert und fokussiert. Wir haben gleichzeitig hohe Millionenbeträge in die Modernisierung der Skimanufaktur investiert, Kapazitäten ausgebaut und die Qualität erhöht. Wir haben in den USA eine Tochtergesellschaft gegründet, die Märkte Deutschland und Frankreich betreuen wir direkt, und wir haben einen innovativen E-Shop lanciert. Zudem haben wir die Skitextilmarke Stöckli ausgebaut. Ein Zukunftsbereich für uns. Zahlen? Wir kommunizieren nur einen Umsatz von circa 55 Millionen Franken. Wir haben eine gute, angemessene Profitabilität für eine Firma, die auch in die Produktion investieren muss. Reich werden wir nicht, aber wir haben einen schönen Erfolg. Wie gross ist das Textilgeschäft? Umsatzmässig sind es heute gut 5 Prozent, und das wollen wir auf rund 10 bis

15 Prozent in den nächsten drei bis fünf Jahren steigern. Woher soll das Wachstum kommen? Hauptsächlich aus Nordamerika, also den USA und Kanada. 2016 haben wir dort eine Tochterfirma gegründet, auch ein Resultat des Fokus auf das Skigeschäft und die Skisportmarke Stöckli. Im grössten Skimarkt der Welt haben wir innerhalb der letzten fünf Jahre den Umsatz verfünffacht. Wir verkaufen in Nordamerika heute rund 15 000 Paar Ski. Wir hätten dieses Jahr 18 000 Paar Skis verkaufen

«Idealerweise wartet er noch, bis ich pensioniert bin.» können, aber aus Kapazitätsgründen war das nicht möglich. Das gab es bei uns noch nie. Dort gibt es sicher noch grosse Wachstumschancen. Nächstes Jahr wollen wir die 70 000-Paar-Ski-Marke an­ visieren. Mehrheitsaktionär Diego Kaufmann als Verwaltungsratspräsident ist im besten Manageralter. Konkurrenz für Ihren CEO-Posten? Wir haben eine perfekte Arbeitsteilung und idealerweise wartet er noch, bis ich pensioniert bin. Aber da müssten Sie ihn schon selbst fragen. Soweit ich es ver­ stehe, ist er sehr zufrieden mit der aktuellen Situation. Rückblickend: Würden Sie bei Stöckli etwas anders machen? Insgesamt bin ich schon sehr zufrieden mit der Transformation und der Ausrichtung des Unternehmens. Wir haben auch die schwierigen personellen Schnitte, die damit verbunden waren, sehr fair und rücksichtsvoll umgesetzt. Wir haben von 250 Mitarbeitenden auf 200 reduziert. Vielleicht hätte man die Retail-Neuausrichtung und den Ausstieg aus dem BikeBereich ein bis zwei Jahre früher durchziehen können. Vielleicht würde ich mir rückblickend noch mehr Zeit lassen für die ersten Massnahmen – nicht schon nach drei Monaten anfangen, etwas zu verändern, sondern ruhig zwölf Monate alles anschauen und verstehen, um dann umfassendere, drastischere Schritte vorzunehmen. Aber der finanzielle und qualitative Erfolg ist insgesamt schon sehr ­erfreulich.


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