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Ausstellungskatalog »175 Jahre Eisenbahn in Bad Soden« Roger Fritz: »Boulevard der Eitelkeiten«

Nahverkehr, exemplarisch

Der ausstellungskatalog zu »175 Jahre Eisenbahn in Bad Soden«

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»Nur Proleten können sich in solche Kästen zusammenpferchen lassen«, meinte Herzog Wilhelm von Nassau im Jahr 1838 zum neuen Transportmittel Eisenbahn – ein Sentiment, das gerade dieser Tage in Sachen Neun-Euro-Ticket auch von weniger blaublütigen PSKutschern noch immer zu hören ist. Wer sich dennoch dem Thema Nahverkehr exemplarisch und kulturhistorisch nähern mag, findet im jüngst erschienenen Bad Sodener Ausstellungskatalog »… Transport von Personen, Thieren, Waaren und Gegenständen aller Art … 175 Jahre Eisenbahn in Bad Soden am Taunus 1847 – 2022« überreiches Anschauungsmaterial. Dr. Christiane Schalles, die Autorin dieser Dokumentation, lässt mit einer schier unglaublichen Detailfülle Hessens erste Nebenstrecke für den Personenverkehr lebendig werden. Im damaligen Deutschland war dies erst die zweite Nebenbahn dieser Art (nach Baden-Oos von Baden-Baden aus). Für die Strecke nach Soden lagen die Dinge weit komplizierter, denn die geplante Taunus-Eisenbahn führte durch drei souveräne Herrschaftsgebiete: die Freie Stadt Frankfurt, das Großherzogtum Nassau und das Großherzogtum Hessen. Die erste Fahrt vom damals nassauischen Amtsstädtchen Höchst am Main in den ebenfalls nassauischen Kurort Soden am Fuß des Taunus fand am 22. Mai 1847 statt. Soden war damals noch eine ziemlich kleine Landgemeinde, die herzoglich-nassauische Regierung hatte dort jedoch bereits Geld für den Kurbetrieb investiert. Zusammen mit der ebenfalls in dieser Zeit fertig gestellten Königsteiner Straße war Soden für die damalige Zeit außerordentlich gut erreichbar. Otto von Bismarck kam gerne zur Jagd, wenn er in der Frankfurter Paulskirche, dem Sitz der ersten deutschen Nationalversammlung, zu tun hatte. Graf Leo Tolstoi, Felix Mendelssohn Bartholdy oder Iwan Turgenjew waren prominente Kurgäste. Trink- und Badekuren gab es schon seit 1701 in Soden, aus den Heilquellen abgefülltes Wasser wurde in manchem Frankfurter Lokal ausgeschenkt, bereits 1820 wurden jährlich rund 15.000 Krüge verschickt. »Altbewährtes Bad und klimatischer Kurort« titelte 1884 ein Faltblatt. Dampfloks mit Kohle-Tender verbanden Soden mit der Welt. Nach Frankfurt brauchte die Bahn ½ Stunde (wie heute mit der S 3), nach Wiesbaden eine, nach Köln vier, nach Berlin neun und Petersburg 46 Stunden. Im Jahr 1907 verkehrten täglich 32 Züge zwischen Soden und Frankfurt und Wiesbaden. Der großzügig illustrierte Katalog (die fabelhafte Gestaltung stammt von Mira Laaf) bietet Postkarten, Stiche, Pläne, Skizzen, Dokumente, Fahrkarten, Aktienprospekte, kolorierte Fotografien und viel Hintergrund, etwa zum Heil- und Kurgewerbe oder den Hauptbahnhöfen Frankfurt und Wiesbaden, zur Industrie- und Gewerbegeschichte, zu Streckenführung, Ausflugszielen wie Biebrich, zu Infrastruktur, zur Stadt- und Regionalgeschichte. Nicht nur für Eisenbahn-Fans geeignet.

In diesem Buch gibt Margot Unbescheid den Blick frei auf das turbulente, verstörende, oft anstrengende, manchmal traurige, aber auch überraschend wunderbare Leben mit einem von Demenz betroffenen Angehörigen – damit endlich alle wissen, was zu tun ist, wenn es erst los- und dann auch weitergeht mit der Demenz.

Ein Buch mit viel Stil

Roger Fritz‘ »Boulevard der Eitelkeiten«

roger Fritz: Boulevard der Eitelkeiten. Schirmer/mosel, münchen 2022. 320 Seiten, Format: 15,2 x 22,8 cm, gebunden. 235 Fotografien, 34 €. An seinen Film »Frankfurt Kaiserstraße« von 1981 erinnern sich vermutlich noch die wenigsten, das Bild von Frankfurt hat er damit mitgeprägt. Jetzt gibt es sein letztes Werk. »Boulevard der Eitelkeiten« von Roger Fritz, kurz vor seinem Tod noch vollendet, versammelt 235 Porträtfotografien und 80 persönliche Erinnerungen von den 50er Jahren bis heute. An Mario Adorf gibt es einen Brief, über Gerhard Richter »eine nicht so schöne Geschichte«, Urheberschaft betreffend. Voller Achtung ist er für Barbara Sukova, der Auftrag, »einen nicht bestraften Nazi oder so etwas zu fotografieren«, führte ihn 1956 zu Hjalmar Schacht. Oft war er einfach so dabei, oder er kannte sie als Schauspieler, Regisseur, Gastronom. Roger Fritz verkehrte mit den Schönen, Reichen, Kreativen, Mächtigen und Berühmten so selbstverständlich als ob er schon immer dazugehörte, dabei hatte er sich auch das Fotografieren selbst beigebracht, war Bäcker, Kellner, Baustoff-Großhändler gewesen. Gehörte zum Gründungsteam der Zeitschrift »Twen«, die ursprünglich »Feuerkreis« heißen sollte. Roger Fritz war ein People-Fotograf, bevor es das gab, meint Hubert Burda in seinem Geleitwort, ein Porträtist des Lebensgefühls »hinter dem Siegestor« (also Richtung Schwabing) in München, aber nicht nur dort. Auf Romy Schneider folgen die Beatles, Mick Jagger, Uschi Obermeier, Hardy Krüger, davor war Luchino Visconti. Tatsächlich beherrschen seine Porträts die Kunst des Halbnahen, haben die richtige Mitte zwischen Nähe und Ferne – und seine Texte tun das auch. Wunderbare Miniaturen sind dabei, wunderbare Anekdoten, nie zu sehr auf die Zehen oder ins Peinliche rutschend. So zum Beispiel, dass Helmut Schmidt von seiner Bürotür das Schild »Bundeskanzler« entfernen und durch »Nolde-Zimmer« ersetzen ließ, weil er dessen Kunst im Arbeitszimmer hatte. Zu Helmut Berger heißt es: »Damit wage ich mich an ein Thema! Eigentlich wäre es ein ganzes Buch.« Wird dann aber doch klein und rund und geschliffen. Hier erzählt und fotografiert einer ohne grelle Effekte. Das ist altmodisch wohltuend und ein schönes Vermächtnis. Vale, Roger!

Alf Mayer

christiane Schalles: »… Transport von Personen, Thieren, Waaren und Gegenständen aller Art …« 175 Jahre Eisenbahn in Bad Soden am Taunus 1847 – 2022. Ausstellungskatalog und Dokumentation. Stadt Bad Soden am Taunus (Hg.), 2022. 186 Seiten, 15 Euro. Verkauf über Stadtbücherei und Stadtmuseum und die Bad Sodener Buchhandlungen Gundi Gaab und Boris riege.

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