Artefakte moderner Archäologie – Katalog

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virtuell und live! 25.   Juni  –  3.  Juli 2011 www.uni-leipzig.de/wunderkammer/artefakte und im Pöge-Haus am Neustädter Markt Hedwigstraße 20, 04315 Leipzig



Artefakte moderner Archäologie ist eine Ausstellung der «Wunderkammer» des Instituts für Kunstpädagogik der Universität Leipzig. Das Ausstellungsanliegen ist es, einen Ausschnitt der Produktkultur des späten 19. bis 21. Jahrhunderts mit einem «Augenzwinkern» zu präsentieren. Das Ausstellungsprojekt wird von Studierenden der schulischen und außerschulischen Kunstpädagogik im Studienmodul «künstlerische Arbeit mit modernen Medien» (Betreuung: Prof. Andreas Wendt und Dr. Roland Meinel) realisiert. Die Artefakte werden neben der virtuellen Ausstellung im Juni 2011 für eine Woche zum «Kunstfest am Neustädter Markt» im Pögehaus in «echt» zu sehen sein. Dieser Katalog beinhaltet die Beschreibungen zu den einzelnen Ausstellungsobjekten, die ebenfalls auf der Website zu finden sind: www.uni-leipzig.de/wunderkammer/artefakte


Christbaumkugel 48 × 60 × 48 mm Glas mit Silbernitratlegierung Fundort: Leipzig gefunden am 12. April 2011

Die Christbaumkugel aus der Massenproduktion. Handdekoriert und bemalt. Hergestellt in Tschechien. Fallengelassen in Leipzig. Dazwischen dunkle Jahre in der Schachtel. Tragisch. Aber es sind ja noch ein paar andere da.


Christbaumkugel

Das Einzelschicksal und traurige Ende einer Kugel. Alle Jahre wieder. In tausenden von Haushalten. Es war Frühling. Die Sonne schien und die Staubflusen tanzten in der Luft. Also höchste Zeit für den klassischen Frühjahrsputz. Was uns da in die Hände fiel, war eigentlich schon längst in Vergessenheit geraten. Diese braungraue alte Pappschachtel, zusammengefaltet und fixiert durch rostige Tackerklammern, welche sie dennoch nicht vor dem allmähligen Auseinanderfallen bewahren können. Diese tschechisch-anmutende Schrift auf dem Rand der Verpackung und der modrige Geruch lies Erinnerungen in uns aufkommen an ein etwas anderes Weihnachten. Ohje, also das klingt schon ziemlich dramatisch, aber am Ende war es das auch, zumindest ein wenig. Wir öffneten also diese raue Verpackung und da waren sie: Fünf Christbaumkugeln, welche die Farbigkeit von 50 hatten. Eine trashiger als die Andere, aber zu DDR-Zeiten, laut Hörensagen, gab es ja nichts woran man sich erfreuen konnte, eben voll der Renner dieses Produkt aus der Sowjetunion. Wie es die Ungeschicklichkeit oder das Schicksal, die Ursache ist bis heute noch nicht geklärt, so wollte, sollte eine von diesen Kugeln das letzte Mal das Sonnenlicht in ihren Glimmpartikeln widerspiegeln. Denn einmal schlecht zugegriffen, rutschte sie uns durch die Finger, fiel auf den Laminatboden und mit einem mittellauten »Knack« brach ein Stück aus ihr heraus. „Oh nein! Aber naja, die Goldene … eh nicht so schön.“ drang es in den Flur der Wohnung. Da war sie hin, eine von fünf Christbaumkugeln. Was das Schicksal der anderen Vier angeht, so bleibt dies im Dunkeln bis die Schachtel erneut geöffnet wird. Doch auch wenn diese einmal nicht mehr sein werden, so ist uns doch die Möglichkeit gegeben in den nächsten Laden in der Vorweihnachtszeit zu

Wie wärs denn mal mit einem etwas ausgefalleneren Schmuck? – Die Weihnachtsgurke

spazieren um als Ersatz einen genauso/besser/schlimmer aussehenden Baumschmuck zu erwerben. Wie wärs denn mal mit einer sauren Gurke am Baum? Nochmal zurück zum „etwas anderen Weihnachten“. Hier konnte die goldene Kugel noch ein letztes Mal ihrer Funktion nachkommen und das in einer Art und Weise wie sie wahrscheinlich noch nie eine Christbaumkugel zuvor erlebt hat. Weihnachten 2010 durfte sie, entgegen der Tradition, aber passend zu ihrem für heutige Verhältnisse geschmacklosen Aussehen, an unserem 1,50 m hohen Kaktus hängen. Die Christbaumkugel ist tot. Lang lebe die Christbaumkugel!


Christbaumkugel

Die Christbaumkugel. Keine Erfindung aus den USA. Unglaublich. Wie, wann, wo. Hier kommts. Man mag es kaum glauben, aber Weihnachtsbäume waren schon immer mit Massenprodukten bestückt. Na gut, vielleicht nicht von Anfang an, aber seit die industrielle Produktion Einzug gehalten hat, unterscheiden sich Christbaumkugeln nur noch voneinander durch ihre Farbe. Okay, auch das ist ein wenig übertrieben, aber seien wir doch mal ehrlich, sobald es Oktober wird und die Geschäfte ihre Weihnachtsdekorationen für Zuhause in die Regale stellen, strahlt uns ein Einheitsbrei in tausend Facetten entgegen. Doch wie kam es eigentlich zu diesem Boom am Baum? Einer Legende zufolge entstand die erste Christbaumkugel aus Glas im Jahre 1847 von einem Lauschaer Glasbläser dem dieses Material billiger erschien als das teure Obst, welches sonst den Festbaum verzierte. Nachweislich dokumentiert ist jedoch erst ein Jahr später die Bestellung von sechs Dutzend Weihnachtskugeln in einem Auftragsbuch eines Glasbläsers. Die Nachfrage ist also da und hier kommt die Massenfertigung ins Spiel. 1867 wurde im thüringischen Lauscha eine Gasanstalt erbaut in der nun schnell und einfach dünnwändiger Baumschmuck hergestellt werden konnte. Ab 1870 wurde die gesundheitsgefährdende Zinn-Blei-Legierung durch Silbernitrat ersetzt, welche bis heute den Spiegelglanz der Kugeloberfläche ermöglicht. Zehn Jahre später kommt nun doch die USA in der Christbaumkugel-Chronik vor. Frank Winfield Woolworth, ja genau, der Typ von der Kaufhaus-Kette, importierte die Christbaumkugel, welche dadurch an Popularität gewann. Zahlreiche internationale Hersteller folgten in den Jahren danach. Die maschinelle Massenproduktion fand jedoch Einzug durch die in der DDR Volkseigenen Betriebe Glaskunst und Glasschmuck. Bis heute ist Lauscha für seine traditionelle Christbaumkugel-Herstellung bekannt. Und die Moral vom Christbaumschmuck? Es gibt ihn schon lange und es wird ihn weiterhin geben, denn er gehört nunmal zur Tradition des Weihnachtsfestes. Dem einen ist sie heilig, dem anderen unwichtig. Doch was auch passiert, für 12.99 Euro gibt es immer ein Set im Kaufhausregal.


Christbaumkugel

Autor Ulrike Neufeld Literatur http://de.wikipedia.org/wiki/Christbaumschmuck Links http://about.me/ulrike.n http://www.uni-leipzig.de/studienart/sites/wunderkammer/artefakte/ Fotos Ulrike Neufeld (Christbaumkugel) Richard Huber (Weihnachtsgurke)


Compact Kassette 100 × 63,5 × 9 mm

Kunststoff, Magnetband Fundort: Leipzig gefunden am 12. April 2011

Die Kassette besteht aus Kunststoff. Im Inneren befinden sich zwei Spulen, auf welchen ein Magnetband aufgezogen ist. Die Kassette wird genutzt um Tonspuren zu konservieren. Sie wurde auf dem Heinrich-Schütz-Platz, unter einer Bank gefunden.


Compact Kassette

Vom Fund der Kassette Als ich an einem Dienstagvormittag, auf dem Weg zur Universität,über den Karl-Ritterplatz lief, viel mein Blick zufällig auf eine Bank. Ein kleines Objekt,welches sich unter ihr befand, erweckte mein Interesse. Es war eine Kassette. Sie zeigte keine Gebrauchsspuren, schien also nicht einmal besonders alt gewesen zu sein. Wer um alles in der Welt hatte, ausgerechnet hier, eine Kassette liegen lassen? Es gibt doch längst modernere Möglichkeiten, Tonspuren zu konservieren. Weshalb lag dort also kein MP3-Player oder eine CD? Tatsache ist, dass die Compact Kassette von diesen Medien längst vom Markt gedrängt wurde. Die Generation „Walkman“ hat schon seit den späten 90er Jahren ihre Berechtigung verloren. Niemand sitzt heutzutage vor seinem Radio und kopiert die neusten Charts. Kampagnen wie „Home Taping is killing Musik“ sind längst Geschichte. Es ist wirklich seltsam, da kritisieren Alle die neue Seuche der Internetpiraterie,welche die Musikindustrie in ihrer Existenz bedroht, obwohl dieses Problem schon seit mehr als 30 Jahren, durch den Siegeszug der Tonbandkassette, präsent ist. Nach kurzer Abwesenheit sammelte ich meine Gedanken und steckte die Kassette ein. Schließlich musste ich meinen Termin wahrnehmen. Aber dieses kleine Ding ließ mir keine Ruhe. Wer hatte es dort verloren? Ein Sammler? Ein hoffnungsloser Romantiker, welcher eine Kassette für seine Liebste aufgenommen hatte? Was wurde aufgenommen? Wieso nutzt ein Mensch noch diese unpraktische Form der Datenspeicherung? Aus Nostalgie? Endlich zu Hause angekommen, brannte ich darauf zu erfahren, was sich auf diesem Medium befand. Sofort steckte ich sie in meinen alten Rekorder und drückte die Playtaste. Die Kassette war leer.

Autor Philipp Haucke Links http://de.wikipedia.org/wiki/Compact_Cassette Fotos Philipp Haucke


Der Spatz 40 x 40 x 20 mm bemalter Gips Fundort: Dortmund gefunden am 23. Februar 2009

In der Wohnung, einer verstorbenen Dame, des Dortmunder Stadtteils Renninghausen wurde die kleine Spatzenfigur aufgefunden. Er befand sich mit allerlei anderen kleinen Figuren fein s채uberlich aufgereiht auf einem Regal im Wohnzimmer


Der Spatz

Der Spatz und der Ulmer Münster Die mit 92 Jahren verstorbene Frau Friedel war die Großtante meines Großvaters. Er war es auch, der den Sperling in der Wohnung der alten Dame entdeckte. Dabei handelt es sich um eine kleine, massive Gipsfigur, die mit feinen Pinselstrichen bemalt wurde. Auf die Figur traf ich viele Jahre später im Wohnzimmer meiner Großeltern, mein Großvater hatte sie damals mitgenommen. Der Sperling war ein Andenken der alten Dame an ihren Bruder, welcher auf mysteriöse Weise aus ihrem Leben verschwand. Ilse Friedel wurde 1918 in Düsseldorf geboren. Sie war eine Tochter aus einfachen Verhältnissen. Ihr Vater war Lehrer und ihre Mutter arbeitete gelegentlich auf dem Land als einfache Erntehelferin. Sie hatte einen zwei Jahre jüngeren Bruder, Benjamin Friedel, der ihr zwar intellektuell nicht ebenbürtig war, jedoch ein Talent für handwerkliche Tätigkeiten aufwies. In ihrer Kindheit waren Bruder und Schwester unzertrennlich. Friedel vernachlässigte die Schule, um mit dem Bruder zusammen sein zu können und die umliegenden Wälder zu erkunden. Um die Schullaufbahn sowie die von ihrer Mutter für Ilse angedachte zukünftige Ausbildung nicht zu gefährden, beschlossen die Eltern, Benjamin schon früh in die Lehre zu geben. So begann er seine Lehre bereits mit 12 Jahren in einer Glasmalereiwerkstatt in München, wo er sich mit vielen, weitaus älteren, Gesellen eine heruntergekommene Stube teilen musste. Die Jahre vergingen, doch die Geschwister hielten stets schriftlichen Kontakt. Aus Benjamin wurde ein talentierter Glasmaler, was bedingte, dass er ständig auf Reisen war. Aus den verschiedenen Städten und Ländern sendete er Friedel immer eine Kleinigkeit zu. Im Frühjahre 1951 wurde Benjamin Friedel nach Ulm bestellt. Er sollte einige Fenster des Ulmer Münsters wieder rekonstruieren. Bei den vernichtenden Fliegerangriffen am 17. Dezember 1944, wodurch nahezu Zwei Drittel der Ulmer Innenstadt vollständig zerstört wurde, blieb das Münster – wie durch ein Wunder – nahezu unversehrt. Jedoch wurden durch die immensen Detonationen viele der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Fenster nahezu vollständig zerstört. Dieser Auftrag war bis zu diesem Zeitpunkt sein umfangsreichster und zugleich anspruchsvollster, so dass er die Abreise mit Spannung erwartete. Monate nach seiner Abreise hatte Ilse Friedel immer noch nichts von ihrem Bruder gehört, was für ihn ungewöhnlich war. Sie machte sich unterschwellig Sorgen, schob aber seine Treulosigkeit, welche sie von ihm eigentlich nicht kannte, auf die Arbeit. Sie stellte sich vor, dass dies wohl sein Lebenswerk werden könne und er all seine Kraft in die Gestaltung der Fenster einfließen lasse. Im Winter 1951 bekam Ilse Friedel ein Päckchen. Sie war voller Vorfreude, da sie annahm, nun endlich das ersehnte Päckchen von ihrem Bruder zu erhalten. Jedoch musste sie beim Öffnen feststellen, dass es, bis auf einen kleinen Sperling aus Gips, leer war. Sie durchsuchte es mehrmals, konnte aber weder einen Brief finden, noch stand ein Absender darauf geschrieben. Trotzdem wusste sie, nur ihr Bruder konnte das Päckchen gesendet haben. Die Jahre vergingen und sie wartete vergebens auf ein Lebenszeichen von Benjamin. Sie schrieb Briefe an die zuständigen Behörden und durchstöberte unzählige Melderegister. Das einzige Indiz, auf welches sie durch ihre zahlreichen Bemühungen stieß, war, dass ihr Bruder am 01.10.1951, nach der Beendigung seiner Arbeiten, die Stadt verlassen hatte und seitdem nicht mehr gesehen wurde. So blieb Ihr nur der kleine Sperling, der, wie sie später herausfinden sollte, das Wahrzeichen des Ulmer Münsters war und bis zum heutigen Tage ist.


Der Spatz

Autor Lena Thomaka Links ulmer-muenster ulm stadtgeschichte Ulmer_Spatz Ulmer M端nster Fotos Lena Thomaka


Der Spatz


Diode 21 × 8 × 6 mm Kunststoff, Metall Fundort: Leipzig gefunden am 03. Oktober 2010

Auf dem nächtlichen Weg nach Hause fand ich diese kleine Diode. Sie lag auf dem Fußweg, angestrahlt von einer Straßenlaterne, so dass ich nicht erkennen konnte, ob sie an oder aus war.


Diode

Lichtgedanken Erst, als ich mich von der Laterne entfernte, konnte ich das Licht der Diode leuchten sehen und war erstaunt, wie hell es war. Da fiel mir ein, was mir mein Großvater über das erste elektrische Licht im Haushalt seiner Eltern berichtet hatte sowie die heute stetig zunehmende Lichtverschmutzung des Nachthimmels. Mein Großvater erzählte, dass obwohl das neue elektrische Licht unangenehm grell war, die Birnen weder abgeblendet noch hinter Schirmen versteckt wurden. Ein Stück Behagen höre damit auf, fügte er hinzu und wies des Weiteren daraufhin, dass man nun immerhin das neue Licht habe und mit der Zeit gehen könne. Meinem Großvater fiel zudem auf, dass durch die zunehmende Industrialisierung am Anfang des 20. Jahrhunderts und der damit einhergehenden Häufung von künstlichem Licht in den Städten, ein klarer Blick in den Nachthimmel zunehmend erschwert wurde. Diese Beobachtung wurde auch durch eine Schweizer Studie belegt, die herausfand, dass in dicht besiedelten Gebieten nur noch 200 bis 500 Sterne mit bloßem Auge zu sehen sind. Um 1900 waren noch bis zu 2500 Sterne mit dem bloßen Auge erkennbar. Auf unserem Heimatplaneten können wir zu jeder Tageszeit mit Hilfe von elektrischen Licht auch die Dinge erkennen, die uns eigentlich durch die natürliche Dunkelheit der Nacht verborgen sind, doch ausgedehnte lichtschwächere Objekte wie z.B. die Milchstraße, die Andromedagalaxie und die Magellansche Wolke sind nur noch in den wenigen dünn besiedelten Gebieten ( z.B. Die Atacamawüste im Norden Chiles, der nördliche Kaukasus) der Erde sichtbar. Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als ich beim Betreten meiner Wohnung das Licht anschalten wollte. Die Birne brannte durch und ich stand im Dunkeln. Zum Glück hatte ich die Diode gefunden, mit ihrer Hilfe tastete ich mich weiter in der dunklen Wohnung vor, bis ich den nächsten Lichtschalter erreichte. Dabei merkte ich, dass mein Leben sehr von künstlichen Lichtquellen bestimmt ist und eine Umstellung in dieser Gesellschaft wohl kaum möglich ist. Was ich eigentlich schade finde, da ich den Sternenhimmel gern vollständig sehen würde. Dafür muss ich wohl nach Chile reisen. Autor Franziska Salomon Links trauerspielzeug-lichtverschmutzung dark_sky sternwarte-singen Fotos Franziska Salomon


Dynamo 90 × 100 × 60 mm

Metall Fundort: Leipzig Südvorstadt gefunden am 11. Mai 2011

An einem sonnigen Maitag wird ein Dynamo aus einem Busch geborgen, nachdem eine Person jenen kurz zuvor dort hinein warf. Spannend welche Gedanken dieser doch eigentlich unspektakuläre Dynamofund im Kopf der beobachtenden Person so auslöste.


Objektname – steht auf der Musterseite (Schrift: Futura book regular, Dynamo 8 Pt)

Dynamofund Der Dynamo sieht auf den ersten Blick aus wie neu, dachte sie sich wohl. Von weitem stach ihr das satte Blau in die Augen. Doch jetzt, nachdem sie ihn aufhob, bemerkte sie, dass die Farbe nur aufgesprüht war. Der Dynamo gehört ohne jeglichen Zweifel zu einem Diamantrad, wie es in der DDR hergestellt wurde. Manchmal erscheint eine Sache von weitem betrachtet ganz anders, als aus der Nähe. Warum ich „sie“ denke, weiss ich selbst nicht. Sieht die Person, welche den Dynamo gerade von der Erde aufhob doch typisch männlich aus. Kurze Haare, kantiges Gesicht, breite Schultern. Ich merke selbst, dass dies Unsinn ist und muss über mich selbst lachen. Das kann auf viele Menschen zutreffen. Egal welches Geschlecht. Warum eigentlich immer nur männlich oder weiblich in meinem Kopf. Erneut belustigen mich meine Gedanken. Die Person begutachtet das Fundstück. Dreht am Dynamokopf. Zieht an der Kupferschnur, welche einst mit dem Rad verbunden war. Ob sie sich auskennt mit Fahrrädern? Sie. Da haben wir es wieder. Ich glaube die Person wird den Dynamo wohl an ihr Fahrrad bauen. Ob das möglich ist, so kaputt wie der ist ? Da ich mich mit Technick nicht auskenne und ich auch mich gut kenne, werde ich mich weder dazu belesen, noch irgendwelche Dynamos an Räder bauen. Was eigentlich schade ist. Allzu oft fahre ich doch gigantische Umwege, nur um nicht mit der Polizei in Kontakt zu kommen. Die würden mir dann wohl oder übel ein Bußgeld aufbrummen. Ich könnte mir kostbare Lebenszeit sparen. Ist die wirklich kostbar? Keine Ahnung. Auf jeden Fall muss ich über meine anfänglichen Gedanken erneut nachdenken. Auf den ersten Blick erscheinen Dinge manchmal ganz anders, als beim näheren Betrachten. Man sieht plötzlich etwas, was man vielleicht nicht erwartet hätte. Die Person schaute skeptisch auf den Dynamo. Und eh ich mich versah flog er in einen Busch. Ich sah mich schon halb im Busch wühlend, von den vorbeigehenden Menschen angestarrt. Ich wollte nun doch in Angriff nehmen dem Dynamo einen neuen Platz zu verschaffen. Autor_in: Josephine Schlager


Filmdose mit entwickelter Diapositivfilmrolle Höhe: 45 mm, ø: 33 mm Beschichtete Polyester-Folie, Zellstoff Fundort: Tangerhütte gefunden am 12. August 2008

Eine kleine, runde Filmdose aus grüner Pappe birgt jene besonderen Momente, von denen sich einst jemand erhoffte, dass diese nicht in Vergessenheit geraten. Vierzig konservierte Augenblicke in schwarz/weiß.


Filmdose – Vierzig konservierte Augenblicke in schwarz/weiß

Filmdose mit entwickelter Diapositivfilmrolle Wir schießen Fotos, um besondere Momente zu fixieren. Wir verbildlichen unsere Erinnerungen und es ist absurd, wie einströmendes Licht hochempfindliches, beschichtetes Trägermaterial belichtet und durch die Filmentwicklung Abbilder jener Augenblicke entstehen, die wir festzuhalten versuchen. Fernab von den inflationär genutzten Möglichkeiten der digitalen Fotografie, war der Aufnahmemoment der analogen Fotografie nicht zeitglich der mögliche Reproduktionstermin. Um die Aufnahmen zu sehen, brauchte es mehr, als ein Kartenlesegerät und USB-Anschluss. Die Entwicklung eines Films benötigt Zeit und Geduld und war vor allem ein greifbarer, physischer Prozess, der trotz technischer Überholung nichts an Faszination verlor. Was man auf den Bildern erkennen kann, ist keine absurd große Masse zusammengerechneter, einzelner Bildpunkte, sondern ein echtes, eben analoges, Abbild von dem, was wir wirklich gesehen haben. Eine schöne Vorstellung. Während eines Praktikums in einem Fotoatelier in meiner Heimatstadt kam ich nicht umhin, einige Archivarbeit zu erledigen. Ich wurde gebeten einige bereits entwickelte, jedoch nicht abgeholte Filme zu sortieren. Bisher nahm ich an, dass der Abgabe eines belichteten Filmes ein großes Interesse an den Ergebnissen innewohnt, weshalb ich mir die Masse der zurückgebliebenen Filme nicht zu erklären wusste. Neben mehreren Filmtaschen und Plastikdosen fiel mir eine kleine, apfelgrüne Filmdose aus Pappe auf. Deutlich von der Zeit gezeichnet und vermutlich älter, als die anderen Filmdosen, trägt sie auch den Stempel eines anderen Fotoateliers. Der Fotograf wies mich darauf hin, dass einige Filme auch aus den Beständen seines mittlerweile verstorbenen Onkels stammen können, der in der DDR ein Fotoatelier in Tangerhütte betrieb. Unter seiner Aufsicht sammelte er die ersten fotografischen Erfahrungen und erlag bald der Faszination Fotografie. Als einzige grüne Dose, die aus diesem Atelier stammt, ist sie zum einen ein besonderes und hübsches Erinnerungsstück, steckt aber auch voller Fragen. Wer hat den Film damals abgegeben? Warum wurde der entwickelte Film nicht abgeholt? Auf dem Film selbst sind einige Personen zu erkennen, vermutlich sind es Familienbilder. Vielleicht war es ein Sommerurlaub – Kinder spielen und baden, zwei Erwachsene sitzen auf Tüchern in der Sonne. Auch einige Porträtaufnahmen sind dabei. Auf dem Deckel der Dose steht handschriftlich ein Name, Rost, und noch ein weiteres Wort, vielleicht eine Ortsangabe? Leider wenig lesbar. Auch der Fotograf wusste weder mit Namen, noch den Personen etwas anzufangen. Doch selbst wenn ich den Ursprung dieser Aufnahmen nicht ausfindig machen kann, so möchte ich diese Filmdose aufheben und jene Erinnerungen bewahren, von denen einst jemand dachte, sie seien es wert, festgehalten zu werden. Autor: Henrike Fischer


Flaschenöffner 41 × 81 × 5 mm Metall Fundort: Trebsen, Landkreis Leipzig gefunden am 09. April 2011

Das Fundstück, ein metallener, teils rostiger aber gebrauchsfähiger Flaschenöffner, wurde in einem leerstehenden Kuhstall, in der Kleinstadt Trebsen, von zwei Teenagern entdeckt.


Flaschenöffner

Flaschenöffner „Jule, wo bist du?“ Mit meiner kleinen LED-Taschenlampe leuchte ich in Richtung Tür. Es ist dunkel und überall wirbelt Staub umher. „Ju-li-a?“ Zuerst höre ich das dumpfe Knacken der Holzdielen, kurz darauf antwortet sie. „Vor der Schiebetür ist ein Schloss, da kommen wir nicht hinein!“ „Hier liegt aber ganz viel alter Kram herum, vielleicht finden wir ja den passenden Schlüssel.“ Julia und ich mögen es, leerstehende Gebäude aufzusuchen, um Spuren der Vergangenheit zu entdecken. Am Liebsten sind wir bei Nacht und Nebel unterwegs, denn der Gruselfaktor spielt eine schwerwiegende Rolle. Manchmal sehen wir verschlissene Tapeten mit bleichen Mustern, die von den Wänden herabhängen. Häufig finden wir alte Zeitungen, Koffer, Kisten, Flaschen, Kleidungsstücke und hin und wieder sogar persönliche Briefe, Ansichtskarten oder Fotos. An diesem Abend erkunden wir einen brüchigen Stall, einen ehemaligen Kuhstall in der Kleinstadt Trebsen. Der klebrige Fußboden, die staubigen Spinnweben an den kleinen weiß-grauen Fensterrahmen, der Geruch von Feuchtigkeit und Fäulnis… und die nächtliche Stille fesseln unsere Sinne. Zwischen unzähligen Regalen, die mit leeren Einweckgläsern, Papierrollen, Eisenstangen und Holzstäben gefüllt sind, steht eine Werkbank mit Schraubstock und einem kleinen Holzschemel davor. Ich öffne Schubladen und Schiebetürchen. Ich finde blassgraue Pappkartons, kleine und größere Kästchen gefüllt mit Schrauben, Muttern und Nägeln. Vielleicht finde ich den Schlüssel ja hier. Ich bahne mir meinen Weg durch Staub, Schmutz und wertlose Gegenstände. Gerade in dem Moment, indem ich meiner Freundin zurufen will, dass es hier wohl nichts Spannendes zu entdecken gäbe, fällt mir beim Öffnen einer unscheinbaren Kiste ein metallener Gegenstand in die Hände. Ein Flaschenöffner. Gar nicht so kitschig wie die meisten, die man heute im Laden findet. Schlicht, aus Metall. Allein dazu bestimmt, Flaschen zu öffnen. Nie vorher habe ich mir Gedanken über Flaschenöffner gemacht, aber dieser hier gefällt mir. Ich denke nach über die Hebelwirkung, die bei diesem Gegenstand eine fundamentale Rolle spielt. Simpel, denke ich. Ich kenne ein paar Jungs, die öffnen ihre Bierflaschen mit den Zähnen. Ich hingegen werde das nie tun. Zu gut erinnere ich mich an meinen letzten Fahrradunfall. Überschlag. Schneidezahn kaputt. Nur Dank modernster Zahnmedizin kann ich heute unbekümmert lächeln. Feuerzeuge oder Tischkanten eignen sich schon eher, um Bierflaschen zu öffnen. Aber warum mach ich mir darüber überhaupt Gedanken? Ich mag nämlich gar kein Bier. Soll ich den Öffner wieder zurücklegen? Vielleicht findet ihn mal jemand, der ihn wirklich gebrauchen kann. Aber nein. Das ist mein erster richtiger Schatz. Und so beschließe ich, ihn mit nach Hause zu nehmen. Am nächsten Tag präsentiere ich das Fundstück erwartungsvoll meinen Eltern. Diese wollen mir doch tatsächlich weismachen, dass es sich bei meinem Schatz um ein Massenprodukt aus der DDR handelt. Nichts Besonderes also? Der Sache muss ich nachgehen.


Flaschenöffner

Auf der Suche nach Anhaltspunkten zur Herkunft meines Objektes entdecke ich auf der Oberseite des Öffners Vertiefungen. Obwohl der Öffner von Rost befallen ist, kann ich die eingestanzten Zeichen ohne Mühe erkennen. „EVP0,15“ Was mag das bedeuten? Wikipedia entschlüsselt die Buchstabenkombination. EVP steht als Abkürzung für: Europäische Volkspartei, Evangelische Volkspartei in der Schweiz, Electronic Voice Phenomenon, Einzelhandelsverkaufspreis in der Deutschen Demokratischen Republik,… Aha, da wäre auch der Bezug zur DDR. Der EVP war in der DDR der staatlich vorgeschriebene Festpreis für ein Produkt. Dieser Preis war im ganzen Land gleich, blieb über lange Zeiträume unverändert und wurde deshalb auf die Verpackung oder, wie in meinem Fall, direkt auf die Ware aufgedruckt. EVP0,15 verrät mir also, dass dieser Flaschenöffner 15 Pfennige gekostet hat. Zum Vergleich: ein Mosaik Heft kostete 60 Pfennige, eine 0,5l Flasche Pilsner immerhin 92 Pfennige und ein Farbfotoabzug 9×13cm 2,25 Mark. Meine Eltern haben also tatsächlich Recht… So gering hatte ich den Wert meines Objektes wirklich nicht eingeschätzt. Bei meiner weiteren Recherche erfahre ich jedoch auch, dass in der DDR viele Gebrauchsgüter unter ihrem tatsächlichen Warenwert verkauft und staatlich bezuschusst wurden. Sicher gehört mein Flaschenöffner in diese Rubrik. Betriebe und Kombinate produzierten die Konsumgüter der DDR. Ich vermute, dass mein Fundstück in einem der volkseigenen Betriebe hergestellt wurde. Vielleicht sogar ganz in der Nähe im VEB Kombinat Gießereianlagenbau und Gusserzeugnisse (Gisag) in Leipzig. Doch nicht nur, wo mein Öffner hergestellt wurde- nein auch, wem er gehört haben könnte, wüsste ich zu gern. Meine Gedanken gehen zu dem Stall zurück. War der Kuhstall vielleicht Eigentum eines kleinen Familienbetriebs, der nach der Wiedervereinigung von Ost und West zerbrach? Welches Bier mögen die Stalljungen sich zum Feierabend wohl gegönnt haben? Wie oft mag dieser Öffner wohl schon zum Einsatz gekommen sein? Bei all meinen Überlegungen überkommt mich plötzlich ein außergewöhnlicher Durst. Ich möchte etwas trinken.. etwas Süßes, Erfrischendes. In einem Regal unserer Vorratskammer finde ich eine lipz Schorle. Schwarze Johannisbeere. Ich gehe in die Küche um nach einem Öffner zu suchen als mir einfällt, dass ich doch nun meinen eigenen Flaschenöffner besitze. Da ist er, der große Moment! Ich setze meinen Flaschenöffner an der Unterkante des Deckels an, ziehe den Hebel langsam nach oben, höre ein Zischen und genieße kurz darauf den ersten erfrischend fruchtigen Schluck meiner Schorle. Mein Flaschenöffner ist zwar alt, rostig und gerade einmal 15 Pfennige wert, doch eines kann er noch immer ganz hervorragend… Autor Dietrich, Marlen Links http://de.wikipedia.org/wiki/Einzelhandelsverkaufspreis http://de.wikipedia.org/wiki/Kombinat Fotos Dietrich, Marlen


Flaschenรถffner


Kettenuhr Durchmesser: 33mm Silber Fundort: Biederitz Gefunden am 14. April 2011

Zu Haus in einer kleinen Holzschatulle im BĂźcherregal fand ich sie: Eine alte, kleine Uhr, die durch eine Ă–se an einer Kette um den Hals zu tragen war.


Kettenuhr

Wie ein Familienerbstück mich zum Nachdenken brachte Durch Nachforschungen innerhalb der Familie wurde mir folgende Geschichte dieser Uhr bekannt: Sie gehörte meiner Ururgroßmutter Anna, deren Familie Ende des 19. Jahrhunderts in Schlesien lebte. Nach dem frühen Tod der Mutter musste die damals erst 13-jährige Anna zur Unterstützung des Vaters für ihre drei Geschwister sorgen. 1890 entschied sich der Vater, zu Verwandten nach Hamburg- Altona zu ziehen. Das Schicksal meinte es mit der Familie nicht gut. Der Vater heiratete noch zweimal, doch beide Ehefrauen starben früh. Mit 20 Jahren heiratete Anna, mehr wohl um versorgt zu sein als aus Liebe und hatte für drei Kinder zu sorgen. In dieser Zeit muss sie sich die Uhr gekauft haben, obwohl die finanziellen Verhältnisse ärmlich waren, denn ihr Mann war Bahnangestellter und sie ohne jegliches Einkommen. Das führte dazu, dass innerhalb der Familie das Gerücht entstand, dass sie wohl ohne Wissen ihres Mannes die dafür erforderlichen Mittel vom Wirtschaftsgeld abgezwackt hätte. Ob diese Version stimmt, ist Annas Geheimnis geblieben. Im Laufe der Jahre zog Anna mit ihrer 5- köpfigen Familie mehrmals um, bis sie in Magdeburg landete – immer im Gepäck die Uhr, die Mitte Januar 1945 einfach so stehen blieb. Neben der kurzen Erinnerung an vergangene Familiengeschichte beginne ich angesichts der Uhr zu philosophieren: Was ist eine Uhr eigentlich für ein Gegenstand? Nach einer Weile stelle ich fest, dass eine Uhr etwas Menschliches an sich haben muss, denn ihr werden Tätigkeiten und Eigenschaften zugedacht, die im besonderen Maße auf Menschen zutreffen. Spontan fallen mir dazu auch noch einige direkte Vergleiche ein. Eine Uhr geht. Sie ist in Bewegung Eine Uhr bleibt stehen – aus unterschiedlichen Gründen. Wenn ein Mensch gestorben ist, ist seine Uhr abgelaufen. Eine Uhr schlägt. Sie hat in ihrem Innern ein Uhrwerk, das dafür sorgt, dass sie in Gang bleibt. Oder das Herz eines Menschen schlägt regelmäßig im Takt wie ein Uhrwerk. Mitten in diese „tiefgründigen“ Überlegungen schießt mir ein Gedanke durch den Kopf, der mich zurück zu meiner Uhr führt und damit in das beginnende letzte Jahr des 2. Weltkrieges, genauer gesagt, Mitte Januar 1945. Ich beginne, das Stehenbleiben der Uhr mit den für die Magdeburger schrecklichen Ereignisse der damaligen Zeit in Verbindung zu bringen und das Nicht – mehr – Weitergehen der Uhr symbolisch zu sehen. An dieser Stelle komme ich nicht an geschichtlichen Fakten vorbei. In den Abendstunden des 16. Januar 1945 wurde aus Magdeburg zum 2. Mal eine tote Stadt. Die erste Zerstörung erfolgte am 10.05.1631 durch Tillys Truppen im 30-jährigen Krieg nach wochenlanger Belagerung mit dem Sturm auf Magdeburg. Sie verwüsteten, brandschatzten und plünderten die Stadt in einem Ausmaß, dass der Begriff „Magdeburgisieren“ als Sinnbild für Zerstörung und Grausamkeit von da ab galt. 1.800 Wohnhäuser wurden niedergebrannt. Von ehemals 35.000 Einwohnern kamen 20.000 ums Leben.


Kettenuhr

Magdeburg, eine der größten und reichsten Städte Deutschlands, hörte auf zu existieren. Drei Jahrhunderte später wurde Magdeburg in nur 39 Minuten von englischen und amerikanischen Bombern abermals in Schutt und Asche gelegt. Die Innenstadt wurde zu 90% zerstört, die Stadt zu 60%. Der Breite Weg – eine der schönsten Barockstraßen Deutschlands – war fast nur noch als Trümmerhaufen vorhanden. 190.000 Menschen verloren ihr Zuhause, 2.500 Tote waren zu beklagen. Stabbrandbomben, Phosphorbomben, Minenbomben, Sprengbomben und Luftminen fielen auf die Menschen und die Stadt nieder. Ein unbekannter Magdeburger schrieb dazu:

Seh ich das Bild von Magdeborch, denn zittern mich die Beene, Denn jeht mich das so durch un durch, denn denk ich an Magdeborch, an Magdeborch – un weene. (aus: Magdeburg in Alten Postkarten; Joachim Schütte)

Wenn ich mir jetzt während meines Gedankenspiels überlege, wodurch diese Uhr ihre Besonderheit erhält und wertvoll wird, komme ich auf zwei Gründe:

http://magdeburger-chronist.de/md-chronik/zerstoerung.htm

http://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriff_auf_Magdeburg

http://magdeburger-chronist.de/md-chronik/zerstoerung.htm


Kettenuhr

Zum einen ist sie ein Familienerbstück, ca. 110 Jahre alt (Was auch nicht jeder aufzuweisen hat.) und ein Teil unserer Familiengeschichte. Zum anderen ist sie für mich eine Art Mahnung dafür, dass Krieg und Zerstörung das größte Unheil für die Menschen bedeutet. Gleichzeitig erinnert sie an das Schicksal Magdeburgs und seiner Bewohner vor 66 Jahren und wird damit zum Zeugen einer Zeit, in der alles stillstand. Mein Entschluss steht fest, die Uhr nicht mehr in die Schatulle zurückzulegen, in der ich sie gefunden habe, sondern ihr samt Sockel einen Platz in meinem Schrank zu geben, gut sichtbar für alle, die zu mir kommen.

Informationen zum Modell der Uhr Das mit der Zeit angelaufene Gehäuse bildet einen dunklen Rahmen für das noch immer unbeschadete und strahlend weiße Zifferblatt. Besonders auffallend ist die feine Verarbeitung der Ziffern, die die Minuten in Dezimalzahlen, die Stunden in römischen Zahlen anzeigen. Auf der Rückseite befindet sich eine filigrane Gravur. Klappt man den Deckel auf, blickt man auf einen zweiten schützenden Deckel, auf dem Cylindre 10 Rubis Remontoir steht. Im Internet stieß ich auf einige Hinweise über Herkunft und Produktion solcher Art Damenuhren. So bedeutet Remontoir (frz.) eine Aufziehvorrichtung für Taschenuhren, die per Hand, also ohne Aufziehschlüssel, betätigt werden muss. 10 Rubis besagt, dass 10 Lagersteine (Rubine) im Uhrwerk verarbeitet wurden. Die feinen, kaum zu erkennenden unterschiedlichen Initialen, die sich in der Innenseite des äußersten Deckels befinden, weisen wahrscheinlich auf die verschiedenen Uhrmacher hin, die die Uhr reparierten oder ölten. Dieser Typ Uhr wurde massenhaft um 1900 produziert, weshalb kein Firmenname in das Uhrengehäuse graviert wurde. Es handelt sich um ein Produkt der Massenherstellung, die durch die Industrielle Revolution um 1900 in Deutschland Einzug hielt. Durch den technischen Fortschritt konnten preiswertere Uhren hergestellt werden. (Informationen zum Modell der Uhr siehe Links) Autor Dalchow, Dajana Links Angaben zum Modell der Uhr: http://www.schmuckunduhren.de/forum/1/viewtopic.php?t=70 Fotos Dalchow, Dajana Abbildung 2: http://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriff_auf_Magdeburg


Klampe 100 × 25 × 35 mm Eisen Fundort: Flensburg gefunden am 16. August 2007

Eine Geschichte von der Liebe zur Seefahrt, zu einem Vierbeiner und vom Rentner Heinz, der normalerweise nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen ist.


Objektname – steht auf der Musterseite (Schrift: Futura book Klampe regular, 8 Pt)

Fatale Verwechslung Im Sommer 2007 habe ich ein Praktikum bei einem Tierarzt gemacht. Vier Wochen war ich nun schon in dieser Praxis und fast jeder Tag war wie der andere gewesen. Aber an diesen einen Tag kann ich mich bis heute ganz genau erinnern. Es war Donnerstag der sechzehnte August. Bis zum Nachmittag verlief der Tag wie immer ruhig, bis ein älterer Mann mit seinem Hund in die Tierarztpraxis kam. Die Angst war dem Mann ins Gesicht geschrieben. Ich merkte sofort, dass es etwas Ernstes war. Der Hund wurde sofort in den OP Saal geschoben. In totaler Aufregung erklärte der alte Mann dem Tierarzt, dass der Hund wohl etwas Falsches gegessen haben muss. Die Tierarzthelferin begleitete den besorgten Mann in den Warteraum während der Tierarzt die Narkosespritze setzte. Nach einigen Minuten machte der Tierarzt einen langen Schnitt entlang Bauchdecke des Hundes. Mit einem gekonnten Griff holte der Arzt etwas Silbernes zum Vorschein. “Seltsam, eine Klampe*.“ sagte er. “Das ist ja ein Ding! “ sagte der Mann, als er den von der OP benommenen Hund abholte. Der Mann war noch immer ganz blass im Gesicht. Er erzählte uns, dass er in letzter Zeit viel in seiner Werkstatt im Keller arbeitet. Er bastle so gern für sein Boot und der Hund wäre stets an seiner Seite gewesen. “Da wird das Dummerchen wohl die Klampe mit einem Knochen verwechselt haben!“ Scherzte er und streichelte dem Hund liebevoll über den Kopf. In der folgenden Woche haben wir einen Brief von heinz bekommen. In diesem Brief stand geschrieben:

Lieber Dr. Klein und Team, Ich möchte mich hiermit nochmal herzlich für Ihre Hilfe in der letzten Woche bedanken. Ich weiß gar nicht, was ich ohne meinen geliebten Theo gemacht hätte. Wissen Sie, seitdem ich nicht mehr zur See fahre ist Theo fast mein ganzer Lebensinhalt geworden. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich auf der See verbracht und die Welt entdeckt. Da blieb für eine Frau und Kinder keine Zeit. Nun bin ich seit zwei Jahren Rentner und habe der Großstadt den Rücken zugekehrt. Ich hatte eine lange Zeit in der Stadt gelebt und nun konnte ich es mir jetzt leisten fernab von aller Hektik der modernen Zeit mich zur Ruhe zu setzen. Seitdem habe ich Theo. Jeden Tag ist er an meiner Seite und macht mich glücklich. Ich teile mit ihm auch meine Leidenschaft. Jeden Tag gehen wir zusammen am Wasser spazieren. Auch in meine Werkstatt begleitet er mich. Ich baue nämlich gerade an einem Boot. In der Werkstatt wird Theo sicherlich auch die Klampe gefunden haben als ich gerade mal nicht hingesehen habe.

___________ *Eine Klampe ist eine in der Seefahrt verwendete Vorrichtung zum Befestigen von Leinen. Sie hat zwei gegenüberliegende Hörner, um die die Leine im Wechsel geschlagen wird. Dabei wird das Tauwerk durch die Haftreibung mit den Hörnern der Klampe gehalten. Klampen werden auf ihren Untergrund (beispielsweise das Schiffsdeck oder den Mast) geschraubt oder geschweißt. (http://de.wikipedia.org/wiki/Klampe)


Klampe Objektname – steht auf der Musterseite (Schrift: Futura book regular, 8 Pt)

Vielleicht wollte er mir damit zeigen, dass ihm diese für unser Boot nicht gefällt! Ich weiß es nicht. Leider kann Theo ja nicht sprechen, sonst würde ich mit ihm die Pläne für unser Boot gemeinsam schmieden. Vielen Dank nochmal, Heinz N.

von links nach rechts: Theo Flensburger Förde Heinz Werkstatt

Quelle http://de.wikipedia.org/wiki/Klampe Autor Nava, Kim-Tina Fotos Nava, Kim-Tina



Klappmesser mit Horngriff 158 x 29 x 18 mm Klinge aus Inox-Stahl, Horngriff Fundort: Strada Provinciale Stia-Londa, Italien

Ein Klappmesser mit Horngriff. Unz채hlige Schleifspuren, abgegriffen und verschmutzt. Auf was die Spuren wohl verweisen? Ein Gegenstand mit Tradition oder Alltagsgegenstand? Gebraucht, verloren und hier zu einem besonderen Fundst체ck erhoben.


Objektname – steht auf der Musterseite (Schrift:Klappmesser Futura book mit regular, 8 Pt) Horngriff

Klappmesser mit Horngriff Wir fuhren diesen Weg durch die Toskana das erste Mal. Die Straßen wunden sich wie Adern um die Berge, dementsprechend kurvig war es. Auch wenn gegen die Übelkeit auf den hinteren Plätzen angekämpft wurde, ein Stopp musste früher oder später gemacht werden. Nachdem wir uns auch noch verfuhren, hielten wir oberhalb eines Berges an. Die Sonne stand auf ihrem höchsten Punkt und während die anderen nach Luft schnappten und mit dem Navigationssystem kämpften, lief ich ein wenig durch den angrenzenden Olivenhain und schaute über die unzähligen kleinen italienischen Dörfchen, die sich über die Höhen zogen.Ein Stück weit von mir entfernt, auf einem kleinen Rasenstück, reflektierte etwas stark die Mittagssonne. Ich überlegte kurz, dann riss es mich wie eine Elster zu dem leuchtenden Gegenstand. Es musste wohl schon ein ganze Weile dort gelegen haben, so heiß wie es von der Sonne aufgeladen war. Ich zog mir mein Shirt über die Hand und hob es auf. Ein Klappmesser mit Horngriff. Leicht verschmutzt. Die Klinge weist unzählige Schleifspuren auf. Der Griff schon abgegriffen.

Dieses Messer hat Tradition. Ein Klapptaschenmesser vom Typ „Zuava“, mit einer robusten und rostfreien Klinge, die zusätzlich verstärkt und dadurch für Arbeiten aller Art geeignet ist. Auch zum Häuten. Der Griff aus Rinder- oder Ochsenhorn besteht aus zwei Platten, die mit Nieten an den unteren Plättchen und an der Feder befestigt sind. Seit dem 19. Jahrhundert wird es in der ganzen Toskana und anderen Regionen verwendet. Es ist ein Messer aus der traditionellen Produktion des Ortes Scarperia, der knapp 40 Kilometer von dem Fundort entfernt liegt. Wie lang es wohl schon dort gelegen hat? Absichtlich liegen gelassen, vergessen oder einfach verloren? Die Verwandtschaft hatte sich entschieden, man wolle den Weg fortsetzten. Das Interesse an dem Messer war noch zu groß um es zurück zu lassen, also steckte ich es ein. Welche Geschichte dieses Messer wohl hat? Ein Gebrauchsmesser der toskanischen Landbevölkerung. Vielleicht benutzt um sich ein paar Oliven vom Baum zu schneiden, um sie zu probieren und sie auf ihre Qualität zu testen. Da mir diese Lebensart als Stadtkind fremd ist, baut sich ein idealisiertes Bild, Motiv kitschiger Postkarten, in mir auf. Doch ist nicht eher das Gegenteil der Fall? Den ganzen Tag auf einem Feld oder Hain, das einzige Thema: das angebaute Produkt. Bäuerliche Qualität oder Konzernnahrung,Wettbewerbsd ruck, Produktivitätssteigerung, Regionalität gegen Industrieimport, Berufskrankheiten durch die körperliche Arbeit und den Kontakt mit Pestiziden und jährlich müssen mehr und mehr Agrarunternehmen Insolvenz anmelden. Die gleichen existenziellen Fragen: Was bringt Geld? Was bringt Sicherheit? Was hat Zukunft? Gleiche Probleme in einem anderen Kontext, in einem anderen Alltag. So auch das Messer, für sie vermutlich ein Alltagsgegenstand, täglich gebraucht. Hier ein besonderes Fundstück.

Autor und Fotos Alexandra Demming Links http://uni-leipzig.de/studienart/sites/wunderkammer/


Kleiner Puppenstuhl 56 × 56 × 87 mm Balsaholz Fundort: Quedlinburg gefunden im Jahr 2008

Der Stuhl wurde aus einem Modellbaukasten entnommen. Er ist sehr leicht, gelb bemalt, zeigt aber erstaunlich wenig Abnutzung.


Kleiner Puppenstuhl

Die Vergänglichkeit der Dinge Ich weiß nicht mehr genau wann, aber noch genau, wo ich den Stuhl wieder entdeckt habe. Damals noch in Quedlinburg, der Stadt in der ich geboren wurde, hatten wir einen, um es nett zu sagen, etwas voll gestellten Keller. In dem kleinen Raum fiel nur durch winzige Fenster Licht vom handtuchbreiten Vorgarten aus. Die Wände waren schlecht isoliert, deshalb hatten die Holzregale bereits begonnen zu zerbröseln, die Wände hatten nahe der Fußleiste einen grünweißen Flaum und die zahlreichen Kisten mit alten Spielzeug, Schallplatten, Kassetten und Werkzeug setzten dunkle Flecken an. Kurz: Es roch nach alten, vergessenen Dingen. Ich weiß noch genau, dass ich auf der Suche nach einer intakten Fahrradpumpe für mein blaues, uraltes Klappfahrrad war. Es hatte schon meinem Opa gehört. Die Lampe funktionierte nur, wenn es ihr gefiel, der Sattel war kaputt, die Reifen muckten oft herum. Dennoch liebte ich die kleinen Blumen, die ich alle allein auf den Rahmen gemalt hatte und ich kann mich immer noch nicht von der alten Rostmühle trennen. So bahnte ich mir einen Weg durch die Kammer des Moders als mein Blick auf eine Pappkiste fiel. Ich weiß gar nicht mehr genau warum, wahrscheinlich aber nach der Pumpe suchend, holte ich den mit vielen Spinnenweben übersäten Karton vom Regal und sah erwartungsvoll hinein. Nichts nützliches. Da war eine kaputte Spieluhr, ein batteriebetriebener Weihnachtsmann, den unsere Oma aus dem Westen geschickt hatte, eine Tüte, deren Inhalt ich nicht genauer erforschte und ein kleiner, gelber Stuhl. In Gedanken musste ich sardonisch lachen. Der Puppenstuhl von unserem alten Puppenhaus, also von meinen drei Schwestern und mir. Ich teilte damals ein Zimmer mit meinen beiden jüngeren Schwestern, wobei die Ältere der beiden, mit mir zusammen im Hochbett schlief. Wir hatten viel Spielzeug. Ich glaube, es war Weihnachten, als uns meine Mutter ein Geschenk der besonderen Art machte: ein zweistöckiges Puppenhaus mit Dachboden, in mühevoller Kleinarbeit selbst zusammengebaute, empfindliche Möbel samt selbst genähter Sitzpolster, Kissen und Bettdecken und außerdem selbst gebastelter Puppen. Eigentlich war es eher ein Geschenk für Sammler. Ich war damals noch Kind, trotzdem wusste ich, wie viel Mühe und Gefühl meine Mutter in dieses Geschenk investiert hatte. Und irgendwie wusste ich auch, dass meine Mutter sowohl traurig wäre, wenn wir nicht damit spielten, aber auch wenn irgendetwas zu Bruch ging. Vielleicht trügt mich meine Erinnerung, aber ich glaube, es war einer der dunkelblauen Küchenstühle, der zuerst entzwei ging. Ich kann mich gut an die Hände meiner Mutter erinnern. Sie waren schon immer von viel Arbeit gekennzeichnet gewesen. Ich weiß, dass sie gesagt hat, dass es nicht so schlimm sei.  Aber aus heutiger Sicht glaube ich, dass meine Mutter sich schon geärgert hat. Sicher, es war nur ein Stuhl. Aber was hat sie gedacht als nach und nach die anderen Möbel zu Bruch gingen? Ich weiß, dass das Haus noch da war, als wir, damals noch mit meinem Vater, nach Gernrode zogen. In unserem neuem Heim hatte ich ein eigenes Zimmer, also weiß ich nicht genau, was passiert ist. Es folgen für mich vier endlose, verworrene Jahre, deren Erinnerungen ich heute nicht mehr zuverlässig schildern kann. Als wir wieder nach Quedlinburg zogen, war die Puppeneinrichtung weg.


In einer monatelangen Kraftanstrengung hat es meine Mutter irgendwie geschafft den Umzug von der Buchenallee zurück nach Quedlinburg zu managen. Ich fragte und frage mich, was wohl mit der übrigen Einrichtung passiert ist. Ist sie während des Umzugs einfach abhanden gekommen? Ist nach und nach alles kaputt gegangen und auf den Müll geworfen worden? Haben wir das Puppenhaus vielleicht an befreundete Familien mit Kindern geschenkt? Warum haben nicht mal die Puppen das überstanden? Und warum ist nur noch der gelbe Stuhl da? Ich weiß, ganz genau, dass er zu diesem Puppenhaus gehörte, aber nicht mehr in welches Zimmer. Ich stand lange wehmütig und auch erfüllt von Schuld im Keller mit diesem kleinen Erinnerungsstück an eine vergangene Kindheit in der Hand. Und als ich mich umsah erkannte ich, dass viele Dinge im Keller Erinnerungen hervorriefen an eine Zeit, die ich lange sehr erfolgreich einfach verdrängt hatte. In diesem voll gestopften Kellerabteil sah ich den ungeheuren Ballast visualisiert, den meine Familie seit der Trennung meiner Eltern und dem Tod meines Vaters mit sich herum trug. Schwelend und schimmelnd in eine dunkle Kammer tief unten verbannt, wo man sich nicht allzu bald damit beschäftigen muss, doch immer ein drohender Gedanke zwischen uns, der beinahe für eine Entfremdung gesorgt hätte. Der kleine Stuhl zeigte mir nun ein fernes Bild eines kleinen Mädchens, dass ich einmal gewesen war. Und die Vergänglichkeit aller Augenblicke strömte auf mich ein. Die Vergänglichkeit der Dinge und des Seins ist allerdings ein recht jüdischchristlicher Gedanke. Im Buch Kohelet des alten Testaments, dass pessimistisch, fast nihilistische Züge trägt, wird erstmals der Satz „Es ist alles eitel.“ erwähnt. Dieser Grundgedanke liegt den Vanitas-Motiv zugrunde. Hierbei wird allerdings auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „eitel“ abgezielt, welche eher „nichtig“ meint. Schon in der Antike klagten die Menschen über die Vergänglichkeit der Dinge. Heidnische Gräber belegen, dass die Menschen sich an Vergängliches zu klammern suchten, indem sie ihre Gräber reich bebilderten und so das Vergängliche scheinbar greifbar und dauerhaft machten. So sprach Hippokratis die Worte: „Vita brevis, ars longa.“ („Das Leben ist kurz, die Kunst ist dauerhaft.“) Diese Auffassung wieder spricht jedoch gänzlich, dem im Mittelalter verbreiteten Christentum. Um 1140 schreibt Bernard von Cluny: „Von der gestrigen Rose bleibt nur der Name.“ Eine bilderfeindliche Atmosphäre entstand. Das Kreieren für die Ewigkeit wurde zum Frevel, da belebte Dinge zu schaffen allein Gott vorbehalten war. Alle vom Mensch hergestellte Dinge waren somit seelenlos. Das Wesentliche, das Lebendige ließe sich nicht festhalten. Vanitas wurde jedoch nicht nur mit Schwermut verbunden. Der Hofnarr sollte den König durch seine Narretei auch an die Vergänglichkeit des Seins erinnern. Die Narrenkappe wurde zum Sinnbild für Albernheiten und Verwerflichkeit. Fastnacht war im Spätmittelalter ein Feiertag mit großen Tanz- und Theaterfesten ebenfalls unter dem Thema der Vergänglichkeit. Mit dem Aufblühen der antiken Künste in der Renaissance gerieten Künstler zunehmend in Not ihre Kunstwerke zu rechtfertigen. Ein Kunstwerk durfte nur so öffentlich sein, wie seine Botschaft warnend. So zeigt Dürer sowohl seine Virtuosität als auch den selbst verschuldeten Untergang der Menschen in seinem Werk „Die apocalyptischen Reiter“. Das Empfinden, dem Leben und Sterben gegenüber ohnmächtig zu sein, gipfelte im Zeitalter des Barocks. Vorallem die Zerstörungen durch den dreißigjährigen Krieg und die Pest machten den Tod zum ständigen Begleiter der Menschen. Diese starke Verbindung mit dem Tod sorgt für verschiedene Umgänge mit Vergänglichkeit, wie gottgefälliges Leben („Memento Mori.“, Gedenke, dass du stirbst.) oder einem ausschweifenden Leben („Carpe diem.“ „Nutze den Tag“, was eher epikureistisch als hedonistisch zu verstehen ist).


Kleiner Puppenstuhl

Der Gegensatz von Schönheit und Verderben wurde oft thematisiert. Sowohl Bildgegenstand als auch Betrachter wurden zu verwaisten und letzendlich verschwinden Subjekte. Die ungemein beliebten und teuren Stillleben des Barocks rechtfertigten ihre horrenden Preise mit der eindeutigen Botschaft der Vergänglichkeit, die zum gottgefälligen, christlichen Leben anhalten sollte. Schneckenhäuser und Gläser, welkende Pflanzen, zarte Tiere, verkommene Nahrung und christliche Güter kreierten in diesen Kunstwerken ein heute noch wahrnehmbares Gefühl des Überdruss und Verkommenheit. Erst in späterer Neuzeit wird der Vanitas-Gedanke aufgerieben. Die zunehmende Hinwendung zu Wissenschaften und die Aufwertung des Bügertum sorgt für eine regelrechte Verkehrung von Vanitas-Motiven. Der Totenschädel wird schon bald zu einem Sinnbild für die Wissenschaften. Kunstwerke sind nicht länger durch ihre Unfähigkeit das Lebende zu hundert Prozent wieder zu geben herab gesetzt. Im Gegenteil: Die Herausforderung an den Betrachter das Kunstwerk zu verstehen und zu erfassen macht ihm ein Kompliment und so spricht das Kunstwerk in einer unsterblichen Sprache zum wechselnden Betrachter. Im 18. Jahrhundert werden Vanitas-Motive zunehmend in romantischen und populären Werken verwandt, was der abnehmenden Bevormundung durch Welt und Kirche zu schulden ist. Eine Welle an Schauergeschichten entsteht. Mary Shelleys “Victor Frankenstein oder der moderne Prometheus”, Edgar Allan Poes Ballade “The Conqueror Worm” und Charles Baudelaires “Les Fleurs du Mal” verwenden alle Vanitas-Motive, die eine ähnliche Verquikung von Hässlichkeit und Schönheit anstreben. Vanitas hat heute eine gewandelte Qualität. Der Roman „Das Parfum“ von Patrick Süßkind führt die Verbindung von Vanitas und Horror weiter. Der Protagonist Grenoulli sieht sich zunächst der Vergänglichkeit der Gerüche gegenüber, bevor er selbst nach seiner Mordserie umkommt. Vanitas ist heute wie damals von Melancholie geprägt. Die Zeit heilt angeblich alle Wunden, doch zunächst ist die Zeit die Wunde. Ein Ausspruch, den ich schon vor Jahren in einem Buch von Elke Heidenreich las. Ich glaube, dieses Gefühl zu verstehen, wenn die Zeit zum unbarmherzigen Fleischwolf wird und alles und jeden verschlingt, zur Unkenntlichkeit verzerrt und nichts zurück lässt, als ein vages Gefühl, dass eigentlich immer Unsicherheit hervorruft. Die Zeit vergeht, obwohl sie doch stehen bleiben soll. Sie rennt so schnell, dass uns unsere Erinnerungen durch die Finger rinnen wie feinster Sand. Sie klammert sich an uns, an andere und an Gegenstände, sodass wir, konfrontiert mit ihnen und mit uns, in Bruchteilen Jahrzehnte erleben. Autor und Foto  Maria Horinek Links  http://de.wikipedia.org/wiki/Vanitas http://de.wikipedia.org/wiki/Carpe_diem http://statt-zigarette.com/die-apokalyptischen-reiter/ http://www.maxx-hoenow.de/narrma.html http://blogspot.com mit dem Suchwort: Les Fleurs du Mal http://www.meisterwerke-online.de/gemaelde/jan-davidsz-de-heem Literatur Heidenreich, Elke: Der Welt den Rücken, Hanser-Verlag 2001 Süßkind, Patrick: Das Parfum, Diogenes 1985


Kronkorken 28 × 28 × 6 mm Blech, Kunststoff Fundort: Chemnitz, Schlossteichinsel gefunden am 9. April 2011

Kro|nen|kor|ken (auch Kronkorken), der: kreisförmiges Blechstück mit kronenförmigem, bearbeiteten Rand zum Verschluss von Getränkeflaschen. Kann nur durch ein Hilfsmittel geöffnet werden. Er wurde 1892 als „Clown Cork“ patentiert.


Kronkorken

Die letzen ihrer Art Chemnitz, die bald älteste Stadt Europas – schon jetzt ist jeder vierte Bürger über 65 Jahre alt. Eine Stadt, die ihrer Jugend keine Zukunft bietet, denn systematisch werden die Gelder für Jugendarbeit gestrichen, Jugendclubs geschlossen, wenn diese nicht in freie Trägerschaft übergehen. Die wenigen Jugendlichen dieser Stadt sind gezwungen, sich anderweitig in ihrer Freizeit zu beschäftigen als üblicherweise in kontrollierten Einrichtungen, welche ihnen bei dem Prozess der Sozialisierung helfen sollten. In dieser Stadt verbrachte ich meine Kindheit und Jugend. Ich musste selbst mit ansehen, wie ein Jugendclub nach dem anderen geschlossen wurde. Es war immer schwieriger, einen neuen zu finden, die Strecken, die zurückgelegt werden mussten, immer weiter. Eines Tages entdeckte ich den Schlossteich als Freizeitangebot. Eine große Gruppe von Gleichaltrigen traf sich hier, die ungezwungen sangen, spielten und tranken. Täglich. Meist Bier, gelegentlich auch Wein oder Schnaps, aber hauptsächlich Bier – bevorzugte Marke: „Sternburg Export“. Aus diesem Grund waren auf der Schlossteichinsel stets Kronkorken zu finden, oder auf dem Weg von der bevorzugten Bierbezugsquelle „Ermafa- Passage“ bis zum „Schlossi“, wie wir den Schlossteich nannten. Die Steinplatten der Insel waren voller Kronkorken, welche sich mit viel Geduld in den verwitternden Granit fraßen. Den Treffpunkt „Schlossi“ muss es schon seit langer Zeit gegeben haben. Eines Tages kam ein älterer Mann vorbei, der von seiner Zeit von vor 20 Jahren berichtete. Sie taten damals das selbe, meinte er und auch, dass sich nichts verändert zu haben scheint; immer noch wären Jugendliche auf der Insel anzutreffen, immer noch lägen überall Kronkorken herum, immer noch würden Hunde über die Wiese rennen und immer noch würden alle peinlichst genau darauf achten, dass keine Flaschen zerstört würden – den Hunden zuliebe. Es war eine große Gemeinschaft mit eigenen Regeln, die sich selbst half, erwachsen zu werden, sich gegenseitig bei alltäglichen Problemen unterstützte. Wenn ich heute über die Insel laufe, sehe ich keine Menschen mehr, vielleicht ein paar wenige, die sich zum Sonnen im Sommer auf die Wiese legen – aber keine Jugendgruppen. Es sind kaum noch Kronkorken zu finden, oder sonstige Anzeichen von menschlicher Präsenz auf der Insel. Der „Schlossi“ ist zu einem weiteren leeren Platz in Chemnitz geworden. Nur ein paar vereinzelte Kronkorken, tief in den Steinen oder am Wegesrand vergraben, erinnern an die alte Zeit, als der Schlossteich noch voller Leben war. Autor Martin Käschel Links http://www.welt.de/politik/deutschland/article6408343/So-lebt-es-sich-umgeben-von-Greisen-oder-Babys.html http://de.wikipedia.org/wiki/Kronkorken


Medaillon 40 x 24 x 5 mm Silber Fundort: Leipzig gefunden am 26. März 2011

Das Medaillon ist silbern und trägt auf der Vorderseite eine florale Gravur. Im Inneren befindet sich das Schwarz-Weiß-Foto einer jungen Frau. Gefunden habe ich es im Innenfutter einer alten Tasche, die ich auf dem Trödelmarkt erstanden habe.


Medaillon

Eingenähte Erinnerung »Dreißig.« Ich geb Ihnen zwanzig. » Fünfundzwanzig.« Okay. Gekauft. Die Tasche gehört mir. Ich bin auf dem Westpaket in der Karl-Heine-Straße in Leipzig und halte diese kleine echtlederne Umhängetasche in meiner Hand, die ich soeben erstanden habe. Als ich später zuhause bin, wird sie gleich inspiziert – innen zwar schon etwas verschlissen und offensichtlich oft getragen, aber sonst in bestem Zustand. Beim Erkunden der einzelnen Fächer, spüre ich unter dem Innenfutter einen harten Gegenstand. Was mag das sein? Ich suche nach einem Loch in dem

Taschenfund

Stoff, aber ohne Erfolg. Irgendwie muss es doch da hinein gekommen sein. Ich werde neugierig, was sich in meiner neuen alten Tasche befindet und fasse mir ein Herz – ich trenne das Futter an einer Stelle auf. Es ist ein Medaillon. Ohne Kette, nur der Anhänger. Ein silbernes, ovales Medaillon, vielleicht daumengroß und mit floralen Gravuren auf der Vorderseite. Wie kommt das hier rein? Ich öffne den Anhänger und finde tatsächlich ein Bild eingesetzt. Das schwarz-weiße Portrait einer mir unbekannten jungen Frau. Der andere Rahmen ist leer. Wer mag das sein? Und wie kommt das Medaillon in das zugenähte Innenfutter der Tasche? Mir fällt ein, wie meine Uroma mal erzählt hat, dass sie Dinge wie Geld oder Schmuck im Innenfutter von Taschen und Koffern oder im Saum ihrer Kleider versteckt haben, als sie im Juni 1945 aus dem Sudetenland vertrieben wurden. Besonders wertvoll sieht dieses Medaillon jedoch nicht aus. Und auch noch nicht so alt. Ob es absichtlich zugenäht wurde, um es zu verstecken, es irgendwohin mitzunehmen? Wohin? Und wieso ist diese Tasche nun doch bei mir gelandet? Samt diesem Medaillon? Ich werde daraus nicht schlau, bin aber neugierig geworden. Wenn es jemand weiß, dann vielleicht die Verkäuferin vom Trödelmarkt. Ich gehe also zurück zum Westpaket und sie ist zum Glück noch da. Als ich ihr das Medaillon zeige und erkläre, wie ich es gefunden habe, erkennt sie zwar den Anhänger nicht wieder, wohl aber die Frau auf dem Foto. Es ist ihre Tante.


Medaillon

Sie selbst hat das Medaillon im Futter der Tasche nie bemerkt und auch nicht selbst dort eingenäht. Sie hat die Tasche im Keller ihrer Eltern gefunden und sie meint sich zu erinnern, dass sie mal ihrer Tante gehört hat. Sie erzählt mir, wie ihre Tante 1977 über Ungarn aus der DDR in die Türkei geflohen ist. Im Kofferraum eines Autos versteckt, dass ihr ungarischer Freund gefahren hat, den sie später auch gehreitatet hat. Wahrscheinlich musste sie so wenig Gepäck wie möglich mitnehmen und hat das Medaillon versteckt, um es sicher zu wissen. Seitdem leben sie in Kanada. Allein in der Zeit von 1961 bis 1989 flohen mehr als 1,25 Millionen Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik. Die meisten kamen in den Jahren, als die Mauer gebaut wurde und als sie fiel. Rund 300.000 Ostdeutsche flohen von 1961 bis 1989 „illegal“ in den Westen. Die meisten kehrten von Westbesuchen nicht zurück. Manche versuchten, die Berliner Mauer zu überwinden, andere durchschwammen unter Lebensgefahr die Spree oder die Elbe von Ost nach West. Besonders Einfallsreiche bauten selbst Ballons, Flugzeuge oder sogar U-Boote, um in den Westen zu kommen. Über die Ostsee kamen ebenso Flüchtlinge in den Westen, wie über die Westgrenzen von Ländern, in die DDR-Bürger reisen durften (CSSR, Ungarn, Rumänien, Bulgarien). Aber auch in westlichen Autos und LKW wurden DDR-Bürger verborgen in den Westen „geschmuggelt“. So ähnlich wie die Frau in meinem Medaillon. Als ich der ursprünglichen Taschenbesitzerin meinen Fund überlassen will, da es sich ja schließlich um ihre Familie handelt, wehrt sie ab. Ich solle das Medaillon behalten, es gehöre schließlich zur Tasche. Und seitdem trage ich immer ein Stück Geschichte mit mir herum. Autor Schröter, Henriette Links Flucht unter Lebensgefahr: http://www.bpb.de/themen/QCQNMT,0,0,Nichts_wie_raus_Flucht_unter_ Lebensgefahr.html DDR in Zahlen http://www.fas-schoenberg.com/13august/sed-diktatur-zahlen.html Fotos Schröter, Henriette


Medaillon


Milchpulver 37 x 70 x 37 mm Glas, Milchpulver Fundort: Zeughaus Leipzig gefunden im April 2011

Dieses kleine Fläschchen enthält ein unscheinbares weißes Pulver. Gefunden im Leipziger Zeughaus, erzählt es eine Geschichte, die ein ganzes Volk in Angst versetzte.


Milchpulver Objektname – steht auf der Musterseite (Schrift: Futura book regular, 8 Pt)

Nicht immer ist das drin, was draußen dran steht Oft sind es die kleinen Dinge, die einem Menschen zu großem Ruhm verhelfen. Im Jahre 1867 entwickelte Henri Nestlé ein Milchpulver, das als Muttermilchersatz für Säuglinge dienen sollte und wurde somit zum Begründer des größten Lebensmittelkonzerns der Welt. Mit seinem Firmensitz in der kleinen Schweiz beschäftigt das Familienunternehmen heute mehr als 276.000 Mitarbeiter. Die Produktpalette umfasst verschiedene Kaffee und Teesorten, Mineralwasser- und Kakaoprodukte, Fleisch- und Wurstwaren und eine große Palette an bekannten Süßwaren-Marken. Auch Tiernahrung und bekannte Diätprodukte gehören mittlerweile zum Angebot des Konzerns. Doch bis zum heutigen Tage hat sich die Firma der Babynahrung und den Milchprodukten verschrieben, durch welche er vor fast 150 Jahren seinen weltweiten Bekanntheitsgrad erlangt hat. Aufgrund der Herstellung des Milchpulvers spricht man auch von Trockenmilch, die durch ein spezielles Verfahren aus Vollmilch hergestellt wird. Einer der größten Vorteile ist die Lagermöglichkeit über einen längeren Zeitraum hinweg. In Papiersäcken sind sie bis zu sechs Monaten haltbar. Außerdem ergeben sich geringe Lagerkosten durch den minimalen Platzbedarf. Eine Lagerung in Tanks und Kühlung ist nicht von Nöten. Hieraus ergeben sich die guten Transportmöglichkeiten des Milchpulvers, ein weiterer Vorteil ist, dass man in deutlich kürzerer Zeit mithilfe von Wasserkochern heiße Milchgetränke (z. B. Heiße Schokolade) zubereiten kann. Doch seit ein paar Jahren liegt ein dunkler Schatten auf dem weißen Gold. Die Produzenten gierten nach immer mehr Profit und schreckten nicht vor schier unfassbar schrecklichen Produktionsverfahren zurück. Bei der industriellen Herstellung verliert das Pulver an wichtigen Vitaminen. Da es oft als Grundstoff für Instant- Babynahrung verwendet wird, kamen 2008 einige Molkereien auf die Idee, ihre Milch mit Melamin zu panschen, um so einen höheren Proteingehalt und eine bessere Qualität vorzutäuschen. Dieser Skandal bewegte die ganze Welt. Milchpulver wurde viel in Krisengebieten eingesetzt und so begann das Drama in der Armutsprovinz Gansu. Die ersten zwei der mindestens sechs verstorbenen Kinder verendeten hier im Mai und Juli qualvoll an Nierensteinen. Beide waren nicht einmal ein Jahr alt geworden. Rund 300 000 Säuglinge und Kleinkinder sind durch das giftige Babymilchpulver an Nierenleiden erkrankt. Die Eltern der Kinder wollen wie tausend andere auch Prävention, gesunde Kinder und das die Verantwortlichen für diesen Skandal zur Rechenschaft gezogen werden. „Unerträglich langsam und oft nur durch Initiative Einzelner wird klar, dass diese Krise das Ergebnis von Geldgier und Korruption ist, befeuert durch das unkontrollierte Wachstum im Boomland China. Und so kommt nach der Angst um die Babys jetzt die Wut.“[1] Über das Internet erhielten die zornigen Eltern unerwartet Hilfe. 73 Anwälte meldeten sich mit ihren eigenen Telefonnummern und Adressen. „Sie wollen als „freiwillige Anwaltsinitiative“ die Eltern beraten, wie sie die Milchkonzerne auf Schadenersatz und die Behörden wegen Verletzung ihrer Aufsichtspflicht verklagen können.“[2]


Objektname Milchpulver – steht auf der Musterseite (Schrift: Futura book regular, 8 Pt)

Melamin wird normalerweise bei der Herstellung von Kunst- und Klebstoff verwendet. Durch die schlechten Kontrollinstanzen der chinesischen Lebensmittelindustrie und der chinesischen Ein-Kind-Familienpolitik bekommt die unzumutbare Zurückhaltung der chinesischen Regierung einen sehr faden Beigeschmack. Mit allen Mitteln wurden die Waren sofort aus dem Handel zurückgezogen. Doch trotz aller Bemühungen folgte eineinhalb Jahre später der nächste Skandal. Offenbar wurde belastetes Milchpulver weiterhin eingelagert und gelangte so weiterhin unter die Menschen. Die China Daily berichtete von der Inbeschlagnahme einiger Lieferungen dreier großer Hersteller. Nach dem Skandal 2008 hätten die Verantwortlichen das Pulver auf Melamin testen müssen, dies blieb allerdings aus. Die betroffenen Unternehmen zeigten sich wenig reumütig und bauten auf ihre lukrativen Kontakte mit Regierungsvertretern. Die Regierung versuchte viel zu spät Herr der Lage zu werden und somit mussten unnötig viel zu viele Kinder sterben. Dutzende Anwälte unterstützen die Betroffenen und auch die Medien wurden aufmerksam und stellten sich dem staatlichen Druck entgegen. Sie verlangten Erklärungen warum der Skandal so lange unter Verschluss gehalten wurde, der für viele Unternehmen den Bankrott bedeutete. Ein Grund sollen die Olympischen Spiele 2008 gewesen sein. 21 Verantwortliche wurden bisher vor Gericht gestellt und verurteilt. Zwei wurden im November hingerichtet. Beide waren wenige Monate zuvor von einem Gericht in der nordchinesischen Stadt Shijiazhuang zum Tode verurteilt worden, nachdem sie in einem Berufungsverfahren scheiterten. Die Richter befanden sie für schuldig, Giftstoffe hergestellt und vertrieben zu haben, die später in das Milchpulver gerieten. Einer der Männer war für schuldig befunden worden, zwischen Juli 2007 und August 2008 mehr als 770 Tonnen mit der Industriechemikalie Melamin versetztes Proteinpulver produziert und verkauft zu haben. Der Zweite wurde zum Tode verurteilt, weil er verseuchte Milch verkauft hatte. In dem Skandal, der 2008 wegen der Olympischen Spiele monatelang vertuscht worden war, waren insgesamt 22 Milchunternehmen beteiligt. Auch wenn wir, in unserer heutigen Zeit, nicht immer wissen, was sich in den Produkten befindet, können wir nur hoffen, dass wir auch in Zukunft der Lebensmittelindustrie weiter Glauben schenken können.


Milchpulver Objektname – steht auf der Musterseite (Schrift: Futura book regular, 8 Pt)

Autor Katarina Kropp Links [1], [2] www.welt.de Stand: 02.05.2011 Utopia- Die zehn größten Lebensmittelskandale Stand: 27.04.2011 www.taz.de Stand: 27.04.2011 www.n-tv.de Stand: 02.05.2011 wikipedia Stand: 27.04.2011


Miswak

Miswak 80-110 mm, Ø 9 mm aromatisches Holz Fundort: Addis Abeba, Äthiopien gefunden am 23.September 2010

Es war ein ganz normaler Tag als mich das Paket aus Afrika erreichte. Zusammen geschnürt, verklebt und in einen reisefähigen Zustand gebracht stand es da. Große Aufkleber, eine eigenwillige aus der Form geratene Handschriftmein Vater hatte es gut gemeint. In dem Inneren des Pakets eine unscheinbare Schachtel; ich öffnete sie. Ans Tageslicht trat ein mit weichem Papier sorgsam umwickeltes kleines Bündel Holzstäbchen. Holzstäbchen. Eine Art Gebrauchsanweisung lag griffbereit daneben, auf amharisch- wie praktisch. Nach einiger Zeit des Grübelns über Haarschmuck, magisch-religiöse Wurfstäbchen und andere Absonderlichkeiten kam die Auflösung -es handele sich hierbei um Zahnbürsten, auch genannt Miswak.


Miswak

Wissenswertes über den Miswak (Siwak ) Der Miswak ist eine der ältesten Zahnbürsten der Welt, traditionell gewonnen aus einem kleinen Zweig des Arakbaums (Salvadora persica), in anderen Ländern auch Miswak- oder Siwakbaum genannt. Benutzt werden für die Herstellung aber auch andere aromatischer Hölzer. Verwendung findet der Miswak hauptsächlich in Nordafrika und im arabischen bzw. muslimischen Kulturraum. Bereits in frühen Schriften aus Mesopotamien finden sich Hinweise auf ein pinselartig aufgefächertes Stäbchen aus dem Holz des Arak-Baumes, auch Zahnbürstenbaum genannt.

Die drei handgearbeiteten Zahnholzstäbchen wurden in diesem unbenutzen Zustand unweit der Hauptstadt Addis Abeba, Äthiopien gefunden. Ein Tourist entdeckte sie inmitten allerhand Geröll unweit einer Landstraße und schickte sie kurz nach dem Fund im September 2010 nach Deutschland.

Eine ähnliche Art „Zahnbürste“ wurde übrigens von den buddhistischen Bewohnern Tibets und der Himalajaländer schon mehrere Jahrhunderte vor Christi Geburt verwendet. Der Miswak besitzt einen relativ hohen Fluoridgehalt von 8 bis 22 ppm und wird bereits seit mehr als 5000 Jahren für die Zahnreinigung verwendet. Der Zahnbürstenbaum wächst in den Wüsten Arabiens, Ostafrikas und Vorderasiens und vereinigt die Eigenschaften von Zahnbürste und Zahnpasta. Er enthält von Natur aus zahnschützende und -reinigende Stoffe. Sogar mehrere medizinische Forschungsinstitute und Apotheken haben festgestellt, dass der Miswak von dem Arakbaum sehr reich an Inhaltsstoffen ist, die zum Beispiel für die Reinigung, Säuberung und Desinfizierung der Zähne verantwortlich sind. Außerdem ist er blutstillend und verhindert das Eindringen von Bakterien bzw. tötet diese ab und überzieht die Zähne nach dem Putzen mit einem Schutzfilm.


Miswak

Natürliche Zahnpflege

Salvadora persica, Syn.: Galenia asiatica, Salvadora indica ist ein immergrüner, schnell wachsender Strauch oder kleiner Baum, der Wuchshöhen von 2,7 bis 6 m erreicht

Inhaltsstoffe Enthalten sind im Miswak: Fluoride mit nützlicher Wirkung als Strukturelement unseres Skeletts und der Zähne, Silicium – unersetzlich für die Erhaltung von Bindegewebe, Knorpel, Knochen, Haare, Nägel, Zähne und Calciumsulfat – das ist wichtig beim Aufbau von Blättern, Knochen, Zähnen und Muscheln. (Neben Kalium und Natrium spielt Calciumsulfat eine wichtige Rolle bei der Reizübertragung in Nervenzellen.) Die Gipskristalle dienen im Miswak als Putzkörperchen. Sie helfen, den fest anhaftenden Schmutz von den Zähnen zu lösen. Weiter sind Tannine (Tannine sind verantwortlich für den etwas bitteren Geschmack, wirkt beruhigend auf Schleimhäute, beschleunigen Heilungsprozesse bei Verletzungen und hemmen Entzündungen), Saponine, Vitamin C, Flavonoide (stärken das Immunsystem, beugen bestimmten Krebsarten vor, regulieren den Blutdruck und hemmen Entzündungen – sie gelten zudem als Antioxidantien) und Chloride (Chlorid –Cl- zählt zu den Elektrolyten. Chloride sind Salze der (z.B. im Magen vorkommenden) Salzsäure.). Da alle diese Stoffe rein natürlich wachsen, sind sie nicht zu vergleichen mit den- zum Teil aus der Abfallwirtschaft stammenden- Inhalten einer Zahnpasta und können somit vom Körper einwandfrei aufgenommen und verwertet werden.


Miswak

Vorteile durch die Benutzung des Siwak: Es wird darauf geschworen, dass die Benutzung des Miswak viele Vorteile hat. Zum Beispiel: 1. Stärkung des Zahnfleisches 2. Verhindert Schleimbildung im Hals 3. Verbessert das Sehvermögen 4. Guter Mundgeruch 5. Verhindert die Kariesbildung im Zahnschmelz 6. Heilt den Magen 7. Reinigt die Stimmbänder 8. Hilft bei der Verdauung 9. Erleichtert die Aussprache 10. Verstärkt das Gedächtnis beim Lesen 11. Vertreibt die Müdigkeit 12. Lockt die Engel an und 13. Das Herz wird sauber Die aktuellen heutigen Erkenntnisse durch die Benutzung des Miswak: Die beste Zahnpflege um Löcher zu verhindern, schon bei Kindern angefangen, ist der Miswak. • • • • • • • • • • • •

Enthält natürliches Fluorid (8 bis 22ppm) Verhindert die Verfärbung der Zähne durch natürliches Chlor Macht die Zähne weiß durch natürliches Zilka Schützt die Zähne vor den Bakterien, die Löcher machen, durch die Stoffe Kabrit und Alkuluwania Hilft beim Schliessen von Wunden und Rissen im Zahnfleisch und beim Auf bau des Zahnfleisches durch den Stoff Trimethylamin Ist die beste Methode bei der Raucherentwöhnung Verfeinert Geschmacksnerven auf der Zunge Speichelbildung wird stimuliert, was für die Mundgesundheit wichtig ist Gekochter Auszug von Siwak (Miswak) ist für den Magen-Darm Trakt emp- fehlenswert Tötet E-coli Bakterien, da die Mundschleimhaut durchwandert wird Inhaltsstoffe wandern durch die Mukosa Ein Gesunder Körper beginnt im gesunden Mund

Wann benutzt man den Miswak? • • • • • •

Beim Wudhu (Gebetswaschung) Während des Fastens ist es zulässig, den Miswak zu benutzen Bevor man die Moschee betritt Vor dem Gebet Vor dem Qur’an lesen Bei Mundgeruch (durch längere Essenspausen, zu viel Schweigen oder durch Redseligkeit) • Vor dem Schlafen • Nach dem Aufstehen


Miswak

• Bevor man ins Haus bzw. Wohnung geht und seine Familie trifft • Nach dem Essen (alle Zahnmediziner haben sich geeinigt, dass man sich nach dem Essen die Zähne putzen soll mit Wasser und dem Miswak) • Bevor man stirbt und die Seele zu Gott aufsteigt

Miswak-Verkäufer auf den Straßen von Tigray

„Für das beste gesundheitliche Ergebnis schneidet man jeden Tag das gebrauchte Ende des Miswak mit einem scharfen Messer ab. So bleibt es bei regelmäßigem Zurückschneiden steril und bringt eine ständig saubere, gute Bürsten hervor.“


Miswak

Von nauturgewachsen bis kunstvoll verziehrt- den Miswak gibt es in vielen verschieden Varianten.

Die Anwendung 1. Vorbereitung: • Vor dem ersten Gebrauch mit Wasser abspülen. • Schälen Sie die Rinde ca. 1-2 cm von der Spitze ab. Falls das Miswak zu trocken ist, bitte die Spitze kurz in Wasser einweichen. • Kauen Sie die Fasern bis ein weiches Büschel entstanden ist. 2. Putzen: • • • •

Die Absicht (Niyya) sollte vor dem Gebrauch des Miswak getroffen werden. Putzen Sie stets vom Zahnfleisch weg. Putzen Sie auch die Kauflächen und Innenseiten der Zähne. Abbrechende Holzfasern immer wieder ausspucken oder herunterschlucken.

3. Aufbewahrung: • Legen Sie Ihr Miswak an einen sauberen trockenen Platz. • Auch nach dem Trocknen ist Ihr Miswak angenehm weich. 4. Erneuerung: • Sind die Fasern zu weich geworden und sehr ausgefranst, einfach die Bürste bis zur Rinde wieder abschneiden und wie oben bei 1. beschrieben fortfah en. • Nach 2-3 Tagen sollten Sie so die Bürste erneuern. • Ein Miswakholz von ca. 15cm hält somit ca. 4 Wochen, je nach Gebrauch.


Miswak

„Peelu Miswak“ Ein Naturprodukt in industrieller Verpackung. Erhältlich in verschiedenen Geschmacksrichtungen, z.B. Zitrone und Minze

Nun haben wir allerhand wissenswertes über die kleinen Zahnputzhölzer erfahren. Wahrscheinlich wird es den Lesern aus dem muslimischen bzw. arabischen Kulturraum und auch Nordafrika etwas eigentümlich vorkommen, dass hier über eine solche Banalität berichtet wurde. Doch für uns Europäer und all die anderen Menschen fremder Kulturkreise kann der Miswak schon recht sonderbar wirken und Rätzel aufgeben. Der Miswak ist der Vorfahre unserer Zahnbürsten und hat sich gleichzeitig über die Jahrtausende hinweg in seiner Ursprünglichkeit erhalten können. Dies betrifft seinen Gebrauch wie auch das Aussehen, wenngleich es verschiedene Varianten gibt. Noch heute ist er ständiger Begleiter in vielen Haushalten dieser Welt und wird gerne verwendet. Bloß eine industrielle Verpackung kann auf ein Datum schließen lassen, dass es sich hier um ein Produkt jüngerer Zeit handelt. Übrigens: Vor über drei Millionen Jahren lebte im Nordosten Afrikas ein weiblicher Australopithecus afarensis. Nachdem ihre Knochen 1974 im äthiopischen Hadar ans Tageslicht kamen, wurde sie unter dem Namen Lucy bekannt. Heute ist Lucy das berühmteste Primaten-Fossil der Welt. Nicht wegen ihrer guten Zähne- aber von ihr wissen wir, dass ihresgleichen zumindest bereits den Gebrauch von „Zahnseide“ in Form von Grashalmen kannten. Im Gegensatz zu anderen Fundorten wiesen jedoch spätere Schädelfunde aus dieser Regionen einen weitestgehend gut erhaltenen Zustand der Zähne auf, wenn sie nicht sogar die einzigen Überreste waren die man fand. Vielleicht hat sich daran nichts geändert. Vorstellbar wäre es. Womöglich findet sich ja demnächst der Miswak in dem einen oder anderen Spiegelschränkchen wieder. Zumindest ist er eine interessante Alternative in Zeiten der „Oxyfresh Supersmile Professional Whitening Zahnpasta- Sets“ und anderer Bleaching Eskapaden.


Miswak

Autor Eva-Maria Walter Literatur http://nuha38317.blogspot.com/search?q=miswak http://www.edelight.de/i/miswak-zahnputzholz-3er-set-von-joerk http://www.miswak-shop.de/miswak-zahnputzholzdick.html http://www.basari.de/islamischer-basar/ http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/ http://www.evolution-mensch.de/thema/arten/afarensis.php http://sciencev1.orf.at/news/95137.html http://de.wikipedia.org/wiki/Miswak Links http://www.uni-leipzig.de/studienart/sites/wunderkammer/artefakte/ http://about.me/emw Fotos Eva-Maria Walter, Gottfried P채tzold


Nagelbohrer 45 x 140 x 4 geformter Stacheldraht Fundort: Eisenach gefunden ca. Juli 198

Dieser Nagelbohrer wurde in Eisenach in einem alten Holzschuppen in einen Balken eingedreht gefunden. Er stammt urspr眉nglich aus Bieni贸w und wurde bei einer Flocht nach Deutschland mitgenommen. Er ist aus Metall und sieht benutzt und leicht rostig aus.


Nagelbohrer

Der Weg des Nagelbohrers Wenn durch Zufall gefundene Dinge sprechen könnten, würden die Betrachter doch oft recht erstaunt sein, was für interessante und weite Wege sie in Taschen oder Koffern gewandert sein könnten. In ihrer Erscheinung und ihrer Funktion können sie doch ganz simpel und banal wirken. Man nimmt den Gegenstand in die Hand, benutzt ihn und legt ihn wieder zur Seite und wenn es solche alten Gegenstände sind, so vergisst man diese oder wirft sie gar weg. Dieser alte etwas rostige, 140 mm lange Nagelbohrer, der aus einem einzigen spiralförmigen gebogenen Stück Stahldraht mit einem 45 mm breitem gebogenen Handgriff besteht gehört zu diesen Dingen, die man kaum noch braucht und nicht zu den Gegenständen, die wegen ihrer Seltenheit auf den Betrachter ein Erstaunen hervorrufen könnten. Es gibt ja doch noch den einen oder anderen Nagelbohrer den man in einer Werkzeugkiste findet und es ist auch heute noch möglich in einem Baumarkt solche Handbohrer zu finden, auch wenn man etwas Suchen muss. Dieser einfache und unscheinbare Nagelbohrer, den ich als Kind gefunden habe, hat aber schon Menschen begleitet, die einen langen und beschwerlichen Weg hinter sich haben. Als Kind verbracht ich in den Sommerferien viel Zeit in Eisenach im Haus meiner Großeltern und dort habe ich habe im Juli 1989 (im Zeitraum meiner ersten Sommerferien vom 01.07.1989 – 01.09.1989) im Holzschuppen meiner Großeltern diesen Nagelbohrer gefunden. Meine Großeltern haben hinter ihrem, nach dem Krieg gekauften alten Mehrfamilienhaus einen kleinen Hof und eine Wiese, die eher an einen steilen Abhang erinnert. Wenn man diesen Abhang über eine kleine Steintreppe hochsteigt kommt man zu diesem alten Holzschuppen. Darin war der Nagelbohrer in einen Balken eingedreht und wurde als ein Haken für eine Tasche mit alten Glasflaschen genutzt. Mit meiner Jacke bin ich daran hängengeblieben, der Beutel ist mir heruntergefallen und einige Flaschen sind zerbrochen. Erst durch diese Situation lenkte sich mein Interesse auf diesen unscheinbaren Bohrer. Weil ich als Kind nicht erkannte wozu sonst dieser Gegenstand notwendig war, (denn, dass es keine normaler Nagel war ist mir wegen dieser aus Metall gebogenen Schlaufe am oberen Ende aufgefallen) zeigte ich es meiner Großmutter und fragte wozu man noch so einen seltsamen Nagel nutzen kann. Nagelbohrer werden zum Vorbohren von Löchern für Nägel genutzt und man nannte diese auch Schnellbohrer, Theaterbohrer oder Telegraphenbohrer und sie gehören zur Sorte der Stangenbohrer. Man nutzte diese vor allem, wenn man keine Bohrmaschine besaß. Heute benötigt man solche Handbohrer meist zum Basteln, aber damals, war es wichtig solch einen Gegensand zu besitzen, um schnell und per Hand Löcher zu bohren. Wenn man sich nun diesen gefundenen Nagelbohrer anschaut sieht man, das er schon öfter benutzt worden war. Vielleicht wurde er auch erst vergessen und nicht mehr genutzt, als mein Großvater eine Bohrmaschine kaufte? Der Bohrer wurde für meine Großeltern in seiner Nutzungsfunktion überflüssig und nur noch als Nagel beziehungsweise als Haken zufällig verwendet. Als ich nun diesen Bohrer meiner Großmutter zeigte, erinnerte sie sich daran wie es dazu kam, das dieser Bohrer auf die Reisen gekommen ist. Meine Großeltern kommen aus Schlesien, ihre Eltern hatten dort einen Bauernhof in


Nagelbohrer

dem kleinen Dorf Benau, das heute zu Polen gehört, Bieniów heißt und immer noch sehr klein ist (ca.1500 EW). Damals gehörte dieses Gebiet zu Deutschland, doch als der 2. Weltkrieg ausgebrochen war und Deutschland diese Gebiete an Polen abgeben mussten, verloren sie ihre Höfe und mussten sie 1945 in kürzester Zeit verlassen. Schnell packten sie alle wichtigen und nützlichen Dinge in findbare Taschen und Koffer, die man dann auf einem Wagen ablegte. Mehrere Monate waren sie auf der Flucht durch den Krieg. Erst durch Zufall fand meine Großmutter in einer der Taschen die sie mitgenommen hatten diesen Nagelbohrer. Er war nicht wegen seiner Nützlichkeit mitgekommen, denn auf dieser Flucht brauchte man nichts weniger als einen Nagelbohrer, es war nur so, dass er sich auf dem Boden einer Tasche befand. Er war sozusagen beim schnellen und hektischen Aussortieren von nutzlosen Dingen vor eine Flucht von zu Hause weg beim Packen der Habseligkeiten vergessen worden und ist in der Tasche geblieben. Nun hatte dieser simple Nagelbohrer eine Wichtigkeit wegen dem langen und beschwerlichen Weg und der Funktionalität in der neuen Situation gewonnen: er wurde dazu genutzt in das neue Haus in Eisenach Löcher in die Wände zu bohren, Holzteile zusammen zu fügen und andere Aufgaben zu erledigen. Aber über die Jahre wurde dieser von meinen Großeltern wieder vergessen. Nur der Zufall, dass meine Jacke sich darin verhakte und das scheppernde Geräusch zersplitternder Glasflaschen erweckte meine Aufmerksamkeit und ihre Erinnerung an die verlorene Heimat. Nie wieder sind meine Großeltern auch nur ein einziges mal zurückgekehrt nach Polen, auch nicht, als die dies hätten tun können. Nicht einmal zum Wiedersehen der alten Heimat und vielleicht hält sie der schmerzlichen und schnelle Abschied davon ab. Nur wenige „nützliche“ Dinge außer Bekleidung und Fotos haben sie mitgenommen. Daher scheint mir im Nachhinein die Besonderheit dieses Nagelbohrers zu beachten, da an seinem unscheinbaren Aussehen doch so viel Erinnerung hängen kann.

Autor Christine Wegner Literatur Flucht aus Schlesien, Jahresarbeit, Christin Mende Links Schlesien, Wikipedia Bieniów, Wikipedia Foto Christine Wegner


Nagelbohrer


Nietengürtel (Fragment) 37 x 46 x 6 mm Kunstleder; Aluminium Fundort: Leipzig gefunden am 17. Mai 2005

Der Nietengürtel wurde auf dem „Agra“-Gelände bei Leipzig während der Aufräumarbeiten nach dem „Wave-Gothik-Treffen 2005“ gefunden. Da er kaum abgenutzt und lädiert war, sollte er erst sechs Jahre später seine Funktionsfähigkeit einbüßen.


Objektname – steht auf der Musterseite (Schrift: Futura bookeines regular, 8 Pt) Das Fragment Gürtels

Das Fragment eines Gürtels Millionen tragen sie – wenige fragen nach ihrer Geschichte: Nietengürtel. Das so genannte „Wave-Gothik-Treffen“ ist eines der größten Events der „Schwarzen Szene“ Europas. Einem düsteren Karneval gleich, lockt es jedes Jahr tausende Besucher in die Messestadt Leipzig. Das besondere Aussehen definiert diese Menschen ebenso sehr, wie ihre spezielle Musik. Über die Pfingstfeiertage zelten sie, hören Konzerte, inszenieren und präsentieren sich selbst. Ich persönlich bin über Pfingsten nie in Leipzig. Sobald die ersten „Grufties“ den Hauptbahnhof verlassen, bin ich weg. Dabei hat meine Abwesenheit nichts mit einer Abneigung gegen diese Subkultur zu tun, tatsächlich würde ich mir das alljährliche Spektakel sogar gern einmal anschauen. Als Tourist in meiner eigenen Heimatstadt sozusagen. Aber wie die Dinge nun mal liegen, komme ich erst wieder nach Leipzig zurück, wenn auch der letzte Nachzügler seinen Rausch ausgeschlafen und seinen Platz im Zug nach Hause gefunden hat. Auch ich befand mich am 17. Mai 2005 auf dem Heimweg, als ich das Gelände der „Agra“-Leipzig betrat. Was sich meinen Augen darbot, waren die Überreste eines ausschweifenden Festival-Wochenendes mit allem was dazu gehört: kaputte Glasflaschen, kaputte Zeltgestänge und eben dieser Nietengürtel. Intakt. Nahezu neu. Ich war verblüfft. Und zum Nachdenken angeregt: Wie lange mag sein ehemaliger Besitzer diesen Gürtel besessen haben? Und warum hat er ihn zurückgelassen? Dieser Nietengürtel, der quasi das wenig geachtete Aushängeschild einer Szene darstellt, die sehr viel Wert auf ihr Äußeres legt? Oder fährt nun ein armer Tropf in der Gewissheit nach Hause, das die letzte Nacht noch viel großartiger hätte in seiner Erinnerung bleiben können, wenn er sich eben nur an ein wenig mehr erinnern könnte? (Ich stellte mir dabei vor, wie er die Hände in die Hosentaschen schiebt, um auf möglichst lässige Art seine Hose am Rutschen zu hindern). Erstaunlich, was die Leute alles wegwerfen, was nicht ganz kaputt ist. Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf und ich beschloss für mich, sein Andenken in Ehren zu halten. Der Gürtel war immerhin intakt, wies kaum Gebrauchsschäden auf und sollte mir noch für viele Jahre gute Dienste erweisen bevor er endgültig an einer Materialschwäche riss. Ich trennte das abgerissene Ende von dem Rest und beschloss, es als Erinnerung an ein Fundstück und dessen Geschichte zu behalten.

Autor Felix Degen


Objektsucherokular 42 × 26 × 39 mm Glas, Metall Fundort: Döbeln gefunden am 24.Juni 2008

Das Objektsucherokular wurde in Döbeln in der Nähe des Klosters im Sperrmüll gefunden. Ich entdeckte es in der Schublade einer Kommode. Das Okular ist ausklappbar und gehört zu einer alten Fotokamera. Die Metallfassung ist leicht angerostet.


Objektsucherokular

Objektsucherokular einer alten Fotokamera, gefunden auf einem historischen Pfad Im Juni 2008 richtete ich mir mein erstes Atelier in Döbeln ein. In der Innenstadt war Zeit der Sperrmüllentsorgung. Die Straßen säumten zahlreiche alte Möbel und einiges Gerümpel. Auf der Suche nach kostenlosen Ateliermöbeln interessierten mich auch die verschiedenen Sperrmüllhaufen der benachbarten Staupitzstraße. An der Ecke zur Töpfergasse stieß ich auf eine sehr brauchbare Kommode. Da sie nicht vollständig ausgeleert war, durchstöberte ich sogleich deren Inhalt. Einige alte Postkarten erweckten meine Aufmerksamkeit. Dazwischen kam ein kleiner, lupenartiger Gegenstand zum Vorschein, der mir matt glänzend entgegenschimmerte. Die vermeintliche Lupe war dabei nur ein Teil des dreigeteilten klappbaren Gegenstandes, den ich auf den zweiten Blick nun eher einem alten Mikroskop zuordnete. Meine Neugier war geweckt und so wollte ich herausfinden, wozu mein Fundstück ursprünglich diente. Zu Hause wusste dann mein Mann (er ist ein belesener Hobbyfotograf) sofort, dass es sich bei meiner „Lupe“ eigentlich um den Sucher eines alten Fotoapparates handelte. In einem Fotogeschäft sagte man uns, es sei ein Objektsucherokular. Dieses könnte sowohl zu einer alten Balgen- als auch zu einer Plattenkamera gehören. Sehr viele Hersteller bauten früher solche Sucher an ihre Kameras. Man nannte uns mehr als ein Dutzend Kamera-Typen bzw. Hersteller, u. a. AQFA, Welta, Zeiss Ikon, Belta, Balda, Cotessa Nettel, Ernemann, Goerz, Voigtländer, Kodak… Nach langer Suche im Internet fand ich endlich drei Plattenkameras, mit Objektsucherokularen, die mit meinem Fundstück überein stimmten. Aber alle drei trugen keinen der oben genannten Herstellernamen. Jedoch befand sich auf jeder dieser Kameras ein Schild mit der Aufschrift „Compur“. Dank dieses Hinweises fand ich Folgendes heraus: „Cumpur“ ist der Name einer bahnbrechenden Erfindung der Firma Friedrich Deckel AG in der Fotokamera-Industrie. Diese AG ging 1905 als „Friedrich Deckel GmbH“ aus der Firma „Bruhns & Deckel“ (gegründet 1903) hervor. Christian Bruhns entwickelte bereits 1904 den sogenannten Compound- Zentralverschluss für Kameras, der erstmals eine zeitkontrollierte Objektivöffnung in Fotokameras ermöglichte. Weiterentwicklungen durch Bruhns führten 1911 zur Patentierung des „Compur“-Verschlusses, der fortan die Entwicklung der Fotoindustrie entscheidend bestimmte. Die Friedrich Deckel GmbH beschäftigte sich weiterhin jedoch mehr mit der Entwicklung und Herstellung mechanischer Geräte bzw. Teile und weniger mit der Produktion ganzer Kameras. Es kam aber ab 1911 zur Zusammenarbeit mit der Optisch-Mechanischen Fabrik München (OMFA), die den Compur-Verschluss in mehrere Kamera-Typen einbaute (u. a. Zeiss und AQFA). Die Wirren des Ersten Weltkrieges, der Weimarer Republik und der Inflation in Deutschland ließen die Kamera-Industrie etwas in die Nebensächlichkeit driften. Doch ab 1928 begann beispielsweise AQFA mit der Massenherstellung verschiedener Fotokamera-Baureihen, die fast alle den Compur-Verschluss verwendeten. Einem der drei im Internet gefundenen Kamera-Abbildungen konnte ich die Serienummern von Objektiv und Compur-Verschluss entnehmen. Daraus ist zu schließen, dass diese Kamera zwischen 1910 und 1920 hergestellt wurde. Aus dieser Zeit könnte also auch mein Fundstück, das Objektsucherokular, stammen. Es ist wahrscheinlich schon neunzig Jahre alt oder sogar noch älter und blickt ganz sicher auf eine interessante Geschichte zurück.


Objektsucherokular

Interessant ist auch der Fundort dieses alten Stückes in meiner Heimatstadt Döbeln. Döbeln selbst liegt mitten in Sachsen. Es wurde 981 erstmals urkundlich erwähnt. Wie schon berichtet, fand ich das Sucherokular mitten im Sperrmüll an der Ecke Staupitzstraße / Töpfergasse. Ziemlich genau an diesem Ort kreuzten sich früher zwei uralte Handelswege. Die Staupitzstraße liegt am nördlichen Ufer der Freiberger Mulde und damit nur wenige Meter neben der früheren Salzstraße Halle – Elbfurt Meißen, die am südlichen Muldenufer verlief und bereits um 950 nachweislich durch Döbeln führte. Die heutige Töpfergasse befindet sich direkt auf einem Teil der schon um 800 n. Chr. bestehenden Handelsverbindung Prag – Strehla (Elbfurt). Im Osten mündet die Staupitzstraße in die Klosterstraße. Dort befindet sich heute noch das alte Abteigebäude des 1330 gegründeten Nonnenklosters. Es beherbergte zwischen 1330 und 1539 ständig etwa 16 Nonnen. Im Hintergrund die alte Abtei des Döbelner Klosters direkt an der Freiberger Mulde Diese Aufnahme (alte Postkarte) könnte mit einer Plattenkamera entstanden sein, die mit einem Compur-Verschluss ausgestattet war.


Objektsucherokular

Einem Stadtbrand von 1523 ist es zu schulden, dass fast alle Klostergebäude, einschließlich Kirche, Kreuzgang und die Klostervorstadt vernichtet wurden. Nachdem sich 1539 auf Döbeln auch die Reformation auswirkte, wurde das Kloster weiterhin nur noch von einer Nonne bewirtschaftet. Im Jahr 1554 lösten die Stadtväter das Kloster auf und verkauften seine Güter an wohlhabende Bürger Döbelns. Damit dienten die Überreste des Klosters hauptsächlich als Baumaterial zum Aufbau neuer Häuser. Mit dem Niedergang des Klosters gewann die 1475-81 aus Sandstein gebaute, spätgotische Stadtkirche St. Nicolai an Bedeutung. Sie befindet sich nur fünf Fußweg-Minuten vom Kloster entfernt am Lutherplatz. Es ist eine dreischiffige Hallenkirche mit jeweils vier Jochen. Ihr heutiger Kirchturm stammt aus dem Jahr 1730 und ist 63 Meter hoch. Vier unterschiedlich große, 1921 geweihte Glocken läuten heute in seinem Glockenstuhl. Als sehr gut erhaltenen und aufwändig restaurierten mittelalterlichen Kunstschatz beherbergt St. Nicolai heute noch einen wunderschönen, zwölf Meter hohen, geschnitzten Flügelaltar aus den Jahren 1515/20. Der Altar mit seinem 3-etagigen Gesprenge ist ein Beispiel sächsischer Tafelmalerei und Schnitzkunst aus der sogenannten Freiberger Werkstatt. Der unbekannte Schöpfer der Tafelmalerei wird der Cranach-Schule zugeordnet. Eine reich verzierte Kanzel aus dem Jahr 1599 ergänzt die Pracht in der sonst schlichten Kirche. Weiterhin beherbergt der Innenraum zwei sehr schöne Taufsteine von 1603 bzw. 1896 und den lebensgroßen, beweglichen sogenannten Mirakelmann von 1510. Dieser Mirakelmann wurde im ausgehenden Mittelalter für sehr realistische Passionsspiele benutzt. Mit der neugotischen Renovierung 1885 erhielt der Chorraum von St. Nicolai Glasgemälde-Fenster, hergestellt in der Zittauer Firma Tücke. Diese zeigen großfigurig die vier Evangelisten und wirken ergänzend zum Flügelaltar. Als Spezial-Angebot können Besucher von Juni bis August jeden Mittwoch 17.30 Uhr die aus dem Jahr 1924 stammende Eule-Orgel mit ihren 3912 Pfeifen als Hörgenuss 30 Minuten lang in dieser schönen Kirche erleben.

Ehemalige Abtei des Nonnenkloster mit einem Teil der Staupitzstraße und heutigem Innenhof


Objektsucherokular

Alte kolorierte Postkarte mit der Kirche St. Nicolai Diese Aufnahme könnte ebenfalls mit einer Kamera entstanden sein, die mit einem CompurVerschluss ausgestattet war. Sie stammt von der Firma Ottmar Zieher, München. Ottmar Ziehers Firma existierte von 1880 bis 1952 und beschäftigte mehrere Grafiker und Künstler zur Herstellung verschiedenster Ansichten aber auch zum Kolorieren von Fotos. Die Briefmarke auf der Kartenrückseite wurde 1924 in Döbeln abgestempelt.

Zum Abschluss des kleinen Ausfluges um den Fundort meines Artefaktes, soll noch ein Zusammenhang zwischen Nicolaikirche und der Staupitzstaße hergestellt werden. Die Straße nämlich, verdankt ihren Namen dem bis 1415 in Döbeln ansässigen Rittergeschlecht derer von Staupitz. In einer Sage heißt es, dass Ritter Dietrich von Staupitz 1415 die benachbarte, neu erbaute Burg Kriebstein im Handstreich eroberte. Deren wahrer Besitzer Dietrich von Beerwalde holte sich Friedrich den Streitbaren zur Hilfe und belagerte Kriebstein bis Staupitz schließlich ausgehungert aufgab. Doch die kluge Frau von Staupitz verhandelte kühlen Kopfes über die Abzugsbedingungen. Dabei gelang es ihr, all das mitnehmen zu dürfen, was sie selbst tragen konnte. Als sie ging, schleppte sie unbehelligt vor den verblüfften Augen der Sieger, ihren Mann davon… Das Staupitzsche Geschlecht wurde seitdem nicht mehr in Döbeln gesehen. Geschichtlich belegt wiederum, wurde einer seiner Nachfahren 1460 in Motterwitz bei Grimma geboren. Es war der spätere Mönch und katholische Theologe Johann von Staupitz. Dieser Staupitz wurde ein Förderer von Martin Luther, sein Seelsorger und Beichtvater. Außerdem unterstützte er den großen Reformator im Augsburger Verhör. Mit den Wirren der Reformation verschlug es ihn nach Salzburg, wo er 1420 in den Benediktinerorden eintrat und 1424 hoch geachtet starb. Durch ihn und über ihn wurden zahlreiche wissenschaftliche Werke verfasst. Noch heute bewahrt man sein Grabmal in der Marienkapelle des Benediktinerordens zu Salzburg. Vor der Döbelner Nicolaikirche steht ein Lutherdenkmal. Es steht deshalb dort, weil (nicht nachgewiesen) Luther selbst 1545 hier seinen früheren Famulus Magister Braun als Pfarrer einführte. Und über Johann von Staupitz erhält dieses Denkmal noch einen direkteren Bezug zu Döbeln, meine ich. Es ist schon erstaunlich, was ich durch mein Fundstück alles heraus gefunden oder wieder hervor gekramt habe.


Objektsucherokular

Autor Ulrike Krause Literatur Hingst, Carl Wilhelm, Chronik von Döbeln und Umgebung, Döbeln, 1872, Nachdruck Beucha, 1999 Rat der Stadt Döbeln, Döbelner Panorama 1989, Döbeln, 1989 Bechter, Barbara, St. Nicolaikirche Döbeln, Kienberg, 2002 Links Wikipedia, Artikel Plattenkamera Beispiel Kamera: Compur- Doppel-Anastigmat-Correctar-OMFA Wikipedia, Artikel über Compur-Verschluss Wikipedia, Artikel über Friedrich Deckel (Compur-Verschluss) Wikipedia, Artikel über AQFA Bedeutung Name OMFA Herstellungsjahre von Seriennummern von Objektiv und Compurverschluss Wikipedia, Artikel zur Geschichte Döbelns youtube, Video zur Nicolaikirche Wikipedia, Artikel über Ottmar Zieher Fotos Ulrike Krause „Döbeln am Wasser“: Kunstanstalt Stengel & Co. GmbH Dresden (18841944) „Döbeln“:

Heloikolorierte Karte von Ottmar Zieher, München


Opernglas 95 × 23 × 33 mm Glas/Metall, schwarz lackiert Fundort: Zwickau gefunden am 21. Februar 2003

Das Opernglas aus dem Hause ROW, einem renommierten Betrieb für optische Erzeugnisse in der ehemaligen DDR, eröffnet den Blick auf etwas ursprünglich nicht Gesuchtes. Glück über das Gefundene, das überraschend von großem Wert ist.


Opernglas

Serendipity – Finderglück “the ability to make pleasant and unexpected discoveries entirely by chance” Für den engl. Begriff “serendipity” gibt es keine adäquate Übersetzung. Weiter gefasst steht er für “Glücklicher Zufal” und die Gabe von Menschen, glückliche, unerwartete Entdeckungen zu machen, während sie nach etwas ganz anderem suchen. Serendipity ist Finder-Glück, das Glück, über das ursprünglich nicht Gesuchte, das doch überraschend von individuellem Wert ist. So geschieht es immer wieder, dass ich mich in Situationen wieder finde, in denen Serendipity mir ermöglicht in den Kleinigkeiten des Lebens das große Glück zu sehen, denn in nichts Anderem liegt größere Kunst. Februar 2003, ich war gerade 14 geworden, alle Geschenke und Glückwunschkarten waren längst ins Regal geräumt, alle Gutscheine eingelöst. Nur noch zwei kleine Eintrittskarten lugten mir von der Pinnwand meines Schreibtisches entgegen und das gut lesbare, in roter Schrift gedruckte Einlösedatum rückte in unaufhaltbare Nähe. Nicht groß anders, als der 18jährige Bernd, hätte ich als Teenager geantwortet, hätte man meine damalige Meinung zur Oper erfragt. “[…] über der Oper schwebt irgendwie so was konservatives, von älteren Leuten, mit feiner Kleidung angezogen, das assoziiert man automatisch mit der Oper. […] Das muss ein neues Image kriegen, von Anfang an sich anders präsentieren, dass junge Leute reingehen.” (Bernd,18) Zwei und halb Stunden “Die Zauberflöte” von Mozart und das zum Wochenendauftakt. Mit der entsprechenden Stimmungs- und Erwartungshaltung einer Pubertierenden – kontrovers zur euphorischen Haltung meiner erwachsenen Begleitung – fand ich mich am Freitagabend im Opernhaus unserer Stadt ein. Eindeutig hatte der große Saal seine besten Tage schon weit hinter sich gelassen, was aber niemanden daran zu hindern schien, durch eleganteste Opernrobe, aufwendig gearbeitete Frisuren und wohl gewählte Gespräche mit ihm in Kontrast zu treten. Während der ersten Stunde empfand ich das Bühnenspektakel noch als belustigend, doch bald darauf begann ich dem bevorstehenden Schlussakt immer dringlicher entgegen zu sehnen und unruhig auf meinem Sitz herum zu rutschen. “Klatsch!” – Was war das? Etwas war auf den Boden unter meinen Sitz gerutscht. Mein Portmonee? Suchend begann ich das Dunkel zu ertasten und kurze Zeit später hielt ich einen aufregenden Fund in meinem Schoß. EIN OPERNGLAS. Zerkratzt. Verbraucht. Ohne Besitzer. Ich blickte in die umsitzende Menge. Doch so sehr ich mich auch bemühte, konnte ich niemanden beim Gebrauch eines solchen “Dinges” entdecken. Zaghaft, nach einem ersten Sicherstellen, dass niemand mich beobachtete, blickte ich durch das brillenartige Gestell. Bevor es mir gelang, das Geschehen der Bühne zu fokussieren, wanderten zahlreiche Gesichter durch mein Blickfeld. Ich hielt inne. Faszination, Gespanntheit, Gleichgültigkeit, Gähnen. Laienhaft aufgetragenes Make up und die nach Vorstellungsbeginn heimlich aufgesetzte Brille. Mein anfänglich wahrgenommener, doch sehr aufgesetzt wirkender Glanz des Abends schien allmählich zu weichen. Diese Gesichter, die in ihnen ablesbaren Regungen waren faszinierend echt. Bald begannen in meinem Kopf gelebte Leben vorbeizuziehen. Je nach dumpf wahrgenommener Musik


Opernglas

leidenschaftliche, wehmütige oder sehnsüchtige Leben. Selten zuvor hatte ich einen so unverfälschten Blick auf Menschen geworfen. Ich fühlte mich ihnen nah – in vielfacher Weise. Ich war gefangen. Ein vibrierendes Getose riss mich aus meiner Gedankenwelt zurück und ließ mich aufblicken – Applaus. Ende! Ende meines ersten Opernbesuches mit so prägender Wirkung! Er hat nicht vordergründig mit Libretto, Bühnenbild oder künstlerischer Leistung zu tun gehabt. Ehrlich gesagt, habe ich das Meiste davon vergessen. Aber nachhaltig hat er den Entschluss in mir bestärkt, nicht an der Oberfläche zu verharren, einen zweiten Blick zu wagen und Zeit zu investieren in “scheinbar” unbedeutende Dinge. Serendipity ist die Wirkung versehentlich etwas Glück zu entdecken, während man eigentlich nach gar nichts sucht. Sie betont zusätzlich Untersuchung, auch intelligente Schlussfolgerung oder Findigkeit. Genau hinsehen. Das versuche ich bis heute. Oder mit den Worten des jungen englischen Königs Henry V. sprechend: “All things are ready, if our minds are so!” Autor Nadja Rzehak Links “Serendipity” Begriffserklärung http://en.wikipedia.org/wiki/Serendipity Jugendliche im Bann der Oper – Ein Widerspruch? Wissenschaftliche Arbeit der Theaterpädagogischen Akademie Heidelberg http://www.theaterwerkstatt-heidelberg.de/uploadverzeichnisse/downloads/ tw_TP_an_Opern.pdf


Opernglas


Peitschenkreisel 36 x 61 x 37 mm Holz, Metall blau, rot, weiß, gelb und orange bemalt Fundort: Saubach (Gemeinde Finneland, BLK)

Der Peitschenkreisel wurde in der Schublade einer alten Garderobe auf dem Dachboden einer leer stehenden Scheune von Hand gefunden. Er weist zahlreiche Gebrauchsspuren auf. Die Farbe ist an manchen Stellen großflächig abgesplittert.


Peitschenkreisel

Erinnerungen an alte Zeiten. Oder: Wie ich zu dem Kreisel kam. Ein warmer Wind weht mir um die Ohren. Der Kopf ist frei, zunächst. Ich lasse dem Alltagsstress keine Chance, ganz langsam radle ich die unebene Straße hinauf. Gleich habe ich den Ortsausgang erreicht. Die Dorfstraße ist von Bäumen umsäumt, linker- und rechterhand türmen sich weite Felder auf. Ein wohliges Gefühl macht sich in mir breit, ich betrachte das angenehme Grün der Landschaft, den hellblau leuchtenden Himmel. Zu schön, um nur daran vorbeizuradeln, steige ich vom Rad ab. Ein Baum, mein Kletterbaum. Die Erinnerung an alte Zeiten lässt mich schmunzeln. Bis ins höchste Geäst, immer weiter nach oben, keine Angst. Wenn man ihn sich heute betrachtet, wird einem himmelangst: ein falscher Tritt, ein morscher Ast und... man will gar nicht darüber nachdenken. Als Kinder sind wir hier oft herumgetobt, haben uns in Baumhäusern oder in den Feldern versteckt, sind in Scheunen herumgestromert. Da kommt sie mir wieder in den Sinn: die alte Scheune. Unweit von hier, etwas abseits von Saubach steht sie, lediglich drei Gehminuten entfernt. Zwar fahre ich die Straße an der Scheune gelegentlich mit dem Auto entlang, bringe dem alten Lehmbau dabei jedoch kaum Aufmerksamkeit entgegen. Da mich an diesem Vormittag nichts drängt, steige ich wieder aufs Rad. Ich atme tief ein, inhaliere die frische Landluft, gelange schließlich an die besagte Straße und überquere sie. Kein Auto in Sicht. Drei Pferde, die in den Gärten gegenüber seelenruhig grasen, fühlen sich durch mein Erscheinen zunächst gestört, widmen sich jedoch bald wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung. Mein Rad lege ich im kniehohen Gras nieder. Vor dem großen Scheunentor stehend, kommt es mir heute nicht mehr so monströs vor. Mit etwas Anstrengung schiebe ich es einen Spalt auf. Viel hat sich nicht geändert, in den letzten zehn… nein, fünfzehn Jahren. Während ich mich im Kopf damit beschäftige, wie in aller Welt die Zeit so schnell vergangen sein konnte, bewegt sich mein Körper durch die Scheune und steuert die Leiter an, die zur nächsten Etage führt. Ich nehme die Bilder unmerklich in meinem Gedächtnis auf: alte Erntegeräte, Stapel von Holzbrettern, Ziegelsteine, Stroh über Stroh und selbstverständlich Staub. Da sich die erste Etage nicht sonderlich von der bereits gesehenen unterscheidet, klettere ich die nächste Leiter hinauf und betrete einen kleinen Raum. Herunterhängende Spinnweben veranlassen mich dazu, die Kapuze meines Anoraks aufzusetzen. Merkwürdigerweise nehme ich erst jetzt den muffigen Geruch der alten Scheune wahr. Es ist eine Mischung aus Lehmwänden, alten Textilien und Staub. Mir gegenüber erscheint unter all dem Chaos ein altes Fahrrad, auf Lenker und Sattel stehend. Ob es noch funktioniert?


Obwohl es mich ehrlich gesagt etwas reizt, mich auf das verstaubte Fahrrad zu setzen, um dessen Funktionsfähigkeit zu überprüfen, werde ich von einem Möbelstück abgelenkt. Eine alte Garderobe aus dunklem Holz. Die an den Haken hängenden Mäntel, Jacken und Kinderroben sind von Dreck und Staub übersät.

Im Spiegel betrachte ich mich kritisch. Von Neugier getrieben, fasse ich in die Taschen der Mäntel. Alte Streichholzschachteln aus dem VEB Zündholzwerken Coswig kommen zum Vorschein, sowie einzelne Blätter von Zeitungsartikeln und eine Kleiderbürste. Unterhalb des Spiegels steht eine Schublade offen, in welche zahllose Stoffreste, anscheinend Stofftaschentücher, hineingestopft wurden. Eher lustlos wühle ich in dem Durcheinander, als meine Finger plötzlich neben dem weichen Stoff einen harten, eingekerbten Gegenstand erfühlen. Es ist ein Holzkreisel, farbig bemalt, mit einer Metallspitze versehen. Die von mir ertasteten Einkerbungen stellen Rillen dar. Bereits 2000 v. Chr. wurden solche Kreisel in Ägypten und 1250 v. Chr. in China entdeckt. Im 14.Jahrhundert brachten Seeleute sie nach Europa, wo sie erst im 18./19.


Peitschenkreisel

Jahrhundert an Popularität gewannen. Um den Kreisel in Schwung zu bringen, bedarf es einer an einem Holzstab befestigten Schnur, die traditionell aus Aalhaut bestand. Legt sich die Schnur durch kontinuierliches Peitschen in die Einkerbungen des Kreisels, treibt sie diesen zum Drehen an. Deshalb nennt man dieses Kinderspielzeug auch Peitschenkreisel. Es bedarf jedoch einiger Übung, bis man den „Dreh“ heraushat. Ein Geduldsspiel also, oder? Fragt sich nur, wem dieser Kreisel gehören mag. Ich betrachte mir den Kreisel von allen Seiten. Die Farbe ist teilweise abgesplittert, er wurde sicher oft zum Spielen genutzt. Aber hier in der Scheune? Der unebene Bretterboden eignet sich zum Drehen eines Kreisels nicht sonderlich gut. Was sucht er hier zwischen den weichen Stofftüchern? Nach einigen Überlegungen komme ich zu dem Schluss, dass ihn hier jemand bewusst versteckt haben muss. Eigentlich ein schlaues Versteck; in einer abgelegenen Dorfscheune, auf dem Dachboden, in einer alten Garderobe, eingebettet in Stofftaschentücher. Niemand würde hier nach irgendetwas suchen. Birgt dieses Spielzeug für jemanden aus dem Dorf vielleicht eine besondere Bedeutung? Schöne Kindheitserinnerungen, die meinen Erinnerungen an Kletterbäume, Felder und Scheunen gleichen? Mir wird augenblicklich klar, dass ich dieser Geschichte auf den Grund gehen muss. Auf jeden Fall handelt es sich um einen DDR Kinderspielzeugkreisel aus Holz. Ich schätze, dass er in den 50er oder 60er Jahren des letzten Jahrhunderts Anwendung fand. Da meine Mama in Saubach aufgewachsen ist und die meisten Einwohner von Kind auf kennt, hat sie vielleicht eine Ahnung, wer mit Kreiseln solcher Art einst gespielt haben könnte oder sogar, wem der Kreisel einst gehört hat. Im Schnellschritt, jedoch vorsichtig, verlasse ich über die Leitern die Scheune, schließe das große Tor. Erst jetzt, beim Klang des Vogelgezwitschers, dem gelegentlichen Wiehern der Pferde und Motorgeräuschen aus der Ferne fällt mir auf, dass es in der Scheune totenstill gewesen sein muss. Die Wärme der Sonnenstrahlen berührt mein Gesicht, ich setze die Kapuze wieder ab und steige auf mein Fahrrad. Trotz der kleinen vorfreudigen Aufregung, eine Geschichte aus vergangener Zeit aufdecken zu wollen, verharrt in mir das mulmige Gefühl, soeben einen Menschen bestohlen zu haben. Einen Menschen, der in voraussehbarer Zeit oder in den nächsten Jahren in diese Scheune gehen, nach dem Kreisel suchen und nichts als Stofftaschentücher vorfinden wird. Autor Brix, Stefanie Literatur Scharmann, Jan-Hendrik: Der Peitschenkreisel. Einen Klassiker neu entdecken. In: http://www.peitschenkreisel.de/index.html Stand: 06.05.2011 Oliver, Valerie: History of the Top.In: http://www.spintastics.com/SSTDocuments/TopHistory%20pdf.pdf Stand: 11.05.2011 Links http://puppenhausmuseum.de/spielzeug-50er-jahre.html Fotos Brix, Stefanie


Perle in einer Holzschachtel 50 x 42 x 61 mm Bemaltes Holz Fundort: Frankfurt Flughafen Gefunden am 14. Juli 2008

Die Holzschachtel stammt urspr체nglich aus dem Iran. Es handelt sich hierbei um eine traditionell verzierte Schachtel, in der sich eine Perle verbirgt, die erst sp채ter hineingelegt wurde. Gefunden wurde sie am Flughafen Frankfurt in einer Reisetasche, die versehentlich die Besitzerin wechselte.


Perle in einer Holzschachtel

Die Verwechslung Die Holzschachtel stammt ursprünglich aus dem Iran. Es handelt sich hierbei um eine traditionell verzierte Schachtel, in der sich eine Perle verbirgt, die erst später hineingelegt wurde. Gefunden wurde sie am Flughafen Frankfurt in einer Reisetasche, die versehentlich die Besitzerin wechselte. Ich kam gerade aus meinem Urlaub im Iran zurück und wartete nun am Frankfurter Flughafen auf mein Gepäck. Als ich es sah, ergriff ich es schnell und beeilte mich, meinen Zug nach Leipzig noch rechtzeitig zu erwischen. Erleichtert im Zug angekommen, entschied ich, mich zurückzulehnen und weiter in meinem Buch zu lesen. Doch als ich meine Tasche öffnete, musste ich feststellen, dass sich weder mein Buch noch meine anderen Sachen darin befanden. Nach dem kurzen Schock, nicht mehr im Besitz meiner Habseligkeiten zu sein, begann ich, interessiert den mir fremden Inhalt genauer zu erforschen und entdeckte eine Holzschachtel. Ich öffnete sie und fand in ihr eine große Perle. Ich fragte mich, wem die Tasche wohl gehören mochte und vor allem, wer nun meine Tasche mit sich tragen würde. Die Frage klärte sich schnell, wegen des Namenschildes, das an der Tasche angebracht war und auf dem Kara Sharifi stand. Zu Hause angekommen bemühte ich mich, die Adresse der Frau herauszubekommen und rief sie sogleich an. Selbstverständlich hatte auch sie den unfreiwilligen Tausch bemerkt. Ich gestand ihr, die Tasche mit ihrem Eigentum durchstöbert zu haben, nachdem ich festgestellt hatte, dass es sich nicht um meine handelte. Daraufhin fragte ich sie direkt, was es mit der Perle in der Schachtel auf sich hätte. Nach einer flüchtigen Pause, in der sie kurz zu überlegen schien, erzählte sie mir, dass sie den noch im Iran verbliebenen Teil ihrer Familie anlässlich der Beerdigung ihrer Großmutter besucht hätte. Ihre Eltern waren bereits nach Deutschland ausgesiedelt, bevor sie geboren wurde. Während der Trauerfeier wurde das Hab und Gut der verstorbenen Großmutter unter den Familienmitgliedern aufgeteilt. Kara erhielt unter anderem diese Schachtel, in der sich eine Perle befindet, die laut der Großmutter, die Jungfräulichkeit derselben sei, welche sie mit Hilfe der Schachtel zu konservieren suchte. Diese Symbolik der Perle findet sich in vielen Religionen wieder, so steht sie auch im Christentum als auch im Islam für Reinheit. Kara lachte und sagte, sie als moderne Frau könne mit diesem Brauch nichts anfangen und ich könne die Schachtel behalten, sofern sie mir gefiele. Für sie sei das Kästchen nur ein Andenken an die herabgesetzte Stellung der Frau in vielen islamischen Gesellschaften. Aber ihre Tasche solle ich ihr natürlich schnellstmöglich zuschicken. Das Gespräch war somit beendet. In Hinblick auf die Rolle der Frau im Iran und auch in anderen islamischen Staaten haben westliche Kulturen überwiegend das Bild einer mit Schleier verhüllten Frau vor Augen. Zudem ist auch bekannt, dass die Frau in vielen islamischen Ländern dem Mann gesetzlich untergeordnet ist. Diese Situation stellt noch gegenwärtig ein Problem dar, welches unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass die Scharia, das islamische Gesetzbuch, Grundlage für die staatliche Justiz ist. Dies ist eine Jahrhunderte alte Problematik der Staaten, die keine Trennung zwischen der weltlichen und geistlichen Macht ausüben, also nicht vollständig säkularisiert sind. Als Folge der Unterdrückung gibt es seit langem Bestrebungen, um eine demokratische Staatsform, deren Verfassung sich von der Scharia löst, um dieser Ungleichstellung entgegenzutreten.


Perle in einer Holzschachtel

Die islamische Revolution im Jahr 1978/79 war der erste Lichtblick, um diesem Ziel näher zu kommen. Sie führte zur Absetzung des Schahs Mohammad Reza Pahlawi und zur Beendigung der Monarchie und thematisierte unter anderem auch die Unterdrückung der Frau, allerdings mit wenig Erfolg. Für die Frau hat sich rechtlich gesehen nicht viel verändert. Sie hat zwar seitdem ein Wahlrecht, dennoch gibt es klare Benachteiligungen im Erbrecht, bei Scheidungsfällen und die Zeugenaussage einer Frau vor Gericht ist nur halb soviel wert wie die eines Mannes. Ein effizientes Mittel, um dem Streben nach Gleichberechtigung nachzukommen, ist Bildung. Im Iran sind 60 Prozent der Studenten Frauen, was jedoch keine besseren Arbeitsaussichten für diese bedeutet. Dennoch gibt es Persönlichkeiten, die sich bereits erfolgreich für Gerechtigkeit einsetzen konnten. Shirin Ebadi, die erste weibliche Richterin und Menschenrechtsaktivistin im Iran, erhielt als erste muslimische Frau im Jahre 2003 einen Friedensnobelpreis für ihre Bemühungen um Demokratie im eigenen Land und die Einhaltung der Menschenrechte. Shirin Ebadi geht als gutes Beispiel voran. Sie und andere Menschenrechtsaktivisten werden noch weiter um die Gleichberechtigung der Frau und um einen gerechten Staat kämpfen. Ein paar Tage nach dem Telefonat mit Kara erhielt ich mein Gepäck zurück und war nun darüber hinaus stolze Besitzerin einer Jungfrauenperle in einer Holzschachtel.


Perle in einer Holzschachtel

Autor Mahler, Juliane Links nobelprize www.igfm.de


Portugiesische Sardinendose 100 x 20 x 50 mm rostiges Metall Fundort: S達o Rom達o, Portugal Gefunden im April 2007

So rostig und alt sie auch sein mag, diese kleine Sardinendose ist dennoch ein interessantes Zeugnis f端r die Lebensweise der einsamen Sch辰fer aus der portugiesischen Serra da Estrella


Portugiesische Sardienendose Objektname – steht auf der MusterseitePortugiesische (Schrift: FuturaSardienendose book regular, 8 Pt)

O Pastor Seit nunmehr fast fünf Jahren zieht diese Sardinendose mit mir von Wohnung zu Wohnung, von Stadt zu Stadt und wurde auch selbst schon zur Herberge von etlichen kleinen Gegenständen- zuletzt von einem knallbunten Feuerzeug mit Marienmotiv. Gefunden habe ich sie in dem höchsten Gebirge Portugals, der Serra da Estrella, wo ich nach meinem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Einrichtung für geistig behinderte Menschen absolvierte. An einem der wahrhaft heißen Frühlingstage, welche uns schon im April nach dem Meer sehnen ließen, beschloss ich, mit einer Gruppe von acht Companheros eine kleine Wanderung zu machen. Ich hatte an diesem Samstag Dienst und war nicht zuletzt wegen des lockenden Gebirgssees hoch motiviert, den Aufstieg zu wagen. Bei einem der seltenen Touristenattraktionen- der Cabeça da Velha (Kopf der Alten)- in dieser sonst eher kargen Gegend machten wir eine Rast. Und da fand ich sie: etwas versteckt unter Gras und trockenem Geäst lugte ein türkisfarbenes Metallstück hervor. Neugierig geworden, schob ich mit den Händen die Reste vergangener Bergbotanik zur Seite und zog mit wachsendem Staunen diese Sardinendose hervor. Ihr rundliches Äußeres erinnerte mich an das Design der 60er Jahre, ihre rostige Patina weist ebenfalls auf einen dieser Jahrgänge hin. Was all den klimatischen Extremen dieser Gegend wie glühender Sonne im Sommer und Regen und Schnee im Winter dennoch all die Jahre stand gehalten hat, sind Reste eines wunderschönen, leuchtenden Türkis auf der Oberseite. Etwas von der Erde freigelegt, kam dieser Farbkontrast aus Rostrot und Türkisblau erst richtig zur Geltung. Die Begeisterung für dieses Objekt hielt sich bei den anderen Rastenden in Grenzen: ich solle doch keinen Müll aufheben, die ist ja total kaputt oder aber Igittigitt und Pfui, die hat doch ein Schäfer hier liegen lassen (dieses Ferkel)... Dieses war der entscheidende Anstoß für mich, der Dose eine Geschichte zu geben: das ein einsamer Schäfer, wie es sie in dieser Gegend tatsächlich seit jeher gab und auch immer noch gibt, vor langer Zeit eine ebensolche Rast an dieser Stelle gemacht hat und die Reste seiner Wegzehrung im Gras hat liegen lassen. Anschließend zog er mit seinen blökenden Gefährten weiter hinauf, um neues Weideland zu erschließen. Die sogenannten Pastores spielen in dem kleinen Örtchen São Romão eine herausragende Rolle. Schon bei meiner Ankunft in dieser fremden Gegend wurde ich an der Bushaltestelle durch ein großes steinernes Denkmal begrüßt, welches einen überdimensionalen Schäfer in Begleitung seines Hütehundes darstellt. In jedem zweiten Laden können hier Produkte erworben werden, welche entweder aus Schafleder-, Wolle oder Schafsmilch hergestellt wurden. Mäntel, Mützen, Käse oder die berühmten Hauspantoffeln- Die Schäfer sorgen in dieser Gegend nicht nur für warme Füße, sondern auch für das wirtschaftliche Überleben. In ganz Portugal ist die Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie immer noch der größte Exportsektor, wenn auch mit fallender Tendenz. Die Produktionszentren konzentrieren sich vor allem auf den Norden und das Landesinnere, wo sich das Gebirge der Serra da Estrella mit seinen unendlichen Weidemöglichkeiten für die Schafe erstreckt. Auch in dem kulturellen Leben spielen die Schäfer eine große Rolle. Nach wie vor führen sie ein Leben, welches dem vergangener Jahrhunderte recht ähnlich ist: wochen- wenn nicht gar monatelang ziehen sie allein mit ihren Schafen durch das Gebirge, abgeschieden von jeglicher Zivilisation und Sinnesfreude.


Portugiesische Sardienendose Objektname – steht auf der Musterseite (Schrift: Futura book regular, 8 Pt)

Portugiesische Sardienendose

Kehren sie dann schließlich in ihr Heimatdorf zurück, so wird aus der Einsamkeit frohe Gemeinschaft. Es werden die berühmten Rancho Tänze getanzt, Musik gespielt, deren Inhalte oft auch von den Unwegsamkeiten und Sehnsüchten im Leben eines Schäfers handeln und natürlich Gegessen und Getrunken. Denn eines wissen sie alle: der nächste Aufstieg kommt bestimmt und dann gibt es wieder wochenlang nur trocken Brot und Sardinen aus der Dose… Autor Eva Wulsten Literatur Bornhorst, Fabian: Die Wirtschaft Portugals im Überblick. Grundlagen, Daten, Zusammenhänge, Perspektiven, in: Dietrich Briesemeister, Axel Schönberger (Hg), Portugal heute, Politik, Wirtschaft, Kultur, Frankfurt am Main 1997, S. 15- 94.



Porzellanfigürchen 14 × 33 × 6 mm

glasiertes Porzellan Fundort: Copiapó, Chile gefunden im September 2007

Das Figürchen wurde bei Copiapó gefunden. Dieser Teil Chiles ist bekannt für seine stillgelegten Salpeterwerke inmitten der trockensten Wüste der Erde. Trotz seiner zarten Gestalt gibt es keine Bruchstellen. Nur kleine verfärbte Erhebungen und raue Flächen lassen es benutzt erscheinen.


Porzellanfigürchen

Einige Sonnenstrahlen finden gerade wieder einen Weg durch die Wolken und ich steche meine Schaufel kräftig in den Boden. Es ist eine mühsame Arbeit, hier in einem der trockensten Gebiete der Welt: der Atacama Region im Norden Chiles. Doch als ich die Erde auf den noch immer recht kleinen Haufen neben mir abwerfe, entdecke ich es: dieses kleine, zarte, weiße Figürchen. Vorsichtig streiche ich die staubige Schicht von ihm ab und laufe zu Felipe, der nur unweit von mir in einem der Gemüsebeete zugange ist. Auch er starrt fasziniert auf das Wesen. “Oft kommt es nicht vor, dass man hier etwas findet”, sagt er. “Die Region war und ist noch immer sehr dünn besiedelt. Und als er dieses Stückchen Land kaufte, schien es schon sehr lange Zeit nicht mehr bewirtschaftet.”

Kurz nach dem Fund Foto: Elena Seubert

Wir setzen uns in den Schatten eines Baumes und Felipe beginnt zu erzählen, von der Geschichte seines Landes, der Región de Atacama und ihren Geisterstädten. Obwohl hier die höchsten Berge Chiles zu finden sind und die Atacama Wüste die trockenste Wüste der Erde ist, wurde die Region bereits recht früh besiedelt. Bedeutsam für wirtschaftliche, politische sowie soziokulturelle Entwicklungen wurde die Gegend jedoch erst im späten 19. Jahrhundert, als man reiche Salpetervorkommen entdeckte. Dieses war als Düngemittel, aber auch als Bestandteil von Sprengstoff auf der ganzen Welt stark gefragt, weshalb Chile einen nie zuvor gekannten Wohlstand erfuhr. Die Eroberung der Nordprovinzen im Salpeterkrieg gegen Peru und Bolivien vergrößerten Chiles Salpeterindustrie und stärkten die Exportkonjunktur. Ausländische Investoren besaßen die größten Werke, doch auch einigen chilenischen Unternehmern “gelang der Aufstieg in die soziale Oberschicht des Landes” (Rinke 2007, S.59). So zogen zahlreiche Arbeiter und ihre Familien in die nahe am Werk gebauten, inmitten der Wüste gelegenen Städte. Humberstone war eines der


Porzellanfigürchen

wichtigsten Salpeterwerke Chiles und mit 3.500 Einwohnern auch das größte. Anfang der 1930er Jahre wurde der chilenische natürliche Salpeter durch den “von der europäischen chemischen Industrie hergestellte[n] Stickstoff” (Rinke 2007, S.63) vom Markt gedrängt. Dieser Zusammenbruch des Salpetermarktes bedeutete die Schließung der Werke, welche heute nur noch als verlassene und verfallene Geisterstädte an die blühende Wirtschaft vergangener Zeiten erinnern.

Arbeiterwohnungen in Humberstone Foto: Hermann Luyken

Felipe war schon aufgestanden, als ich zurück in der Gegenwart aufwache. Nochmals betrachtet er die weiße Figur, schüttelt lächelnd den Kopf und geht zurück zu seinen Pflanzen. Gehörte dieses Figürchen vielleicht einmal einem jungen Mädchen einer der Arbeiterfamilien der Salpeterwerke? Spielte sie damit nach der Schule auf dem staubigen Boden, während das dumpfe, mechanische Stöhnen der Minen die Straßen erfüllte? Doch warum fand ich die Figur dann hier? Die Frage hatte ich noch nicht zu Ende gedacht, als Felipe plötzlich vor mir steht. Er scheint sich über mein grübelndes Gesicht zu freuen: “Gerade fiel mir ein, dass ich vor einiger Zeit einen alten Mann unten im Dorf traf. Wir kamen ins Gespräch und er erzählte mir, dass er damals das Gut seines Vaters übernommen und Jahrzehnte lang Wein angebaut habe, bis er das Stück Land nun vor wenigen Jahren aufgeben musste. “Er ist hier also aufgewachsen?”, frage ich nach. “Nein, er und seine Familie kamen erst Anfang der 1940er Jahre in das Dorf. Sein Vater war Minenarbeiter in einem der Salpeterwerke weiter im Norden. Doch als dieses schließen musste, versuchte er sein Glück mit dem Weinanbau hier im fruchtbaren Tal des Flusses. Und dieses Stück Land hier, berichtete er, wurde von einer Familie bewirtschaftet, der es genauso erging. Nur blieben sie nicht so lange wie er.” Felipe lacht, “Vielleicht bist du eben dem Geheimnis des Figürchens näher gekommen.”


Porzellanfigürchen

Flusstal der Provinz Copiapó in der Atacama Region Chiles Foto: Elena Seubert

Autor Elena Seubert Literatur Rinke, Stefan: Kleine Geschichte Chiles. München. 2007. Links Rastlos Backpacker Berichte Weltweit: Die Geschichte Chiles. http://www.rastlos.com/chile/geschichte/ (zuletzt überprüft am 15.05.2011) Griem, Wolfgang: Museo Virtual. Minería histórica en Atacama. http://www.geovirtual2.cl/minas/001histgen01-ale.htm (zuletzt überprüft am 15.05.2011) Südwestrundfunk: Schätze der Welt. Humberstone. http://www.swr.de/schaetze-der-welt/humberstone/-/id=5355190/ nid=5355190/did=5983942/7duuo0/index.html (zuletzt überprüft am 15.05.2011) Fotos Abbildung 3: Wikipedia (2005.11.14 34 Humberstone Chile.jpg) http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:2005.11.14_34_Humberstone_Chile.jpg&filetimestamp=20061101084659 (zuletzt überprüft am 15.05.2011)


Potpfeife 83 x 30 x 16 mm Metall Fundort: Long Hai, Vietnam gefunden am 14. März 2010

Die Potpfeife wurde auf der Durchreise in Long Hai, unweit eines ehemaligen US-Militärstützpunkt bei Saigon in Südvietnam gefunden. Einfach, verrostet und unspektakulär. Schweißnähte, Dellen, Risse. Kein besonderes Handwerk. Aber sie überlebte.


Potpfeife

Eine erdrückende Schwüle zieht sich durch die Stadt und deren Straßen. Menschenmassen, die hektisch umherwuseln, drängen sich an uns vorbei. Der Duft von unzähligen Gewürzen und Früchten zieht durch die Markthallen. Schon am frühen Morgen köcheln sämtliche Gerichte in den Kesseln der kleinen Restaurants am Straßenrand. Das ganze Leben spielt sich auf der Straße ab. An einer Ecke wird an Fahrrädern herumgeschraubt, in der anderen Ecke spielen Kinder. Hausfrauen gehen schwer beladen zum Fluss um Reis und Gemüse zu waschen. Es ist die Gelassenheit der Mopedfahrer, die gigantische Frachten durch die Stadt transportieren, das lebhafte Feilschen auf den Märkten und die kontrovers dazu stehende Stille und Kühle der uralten Tempel, die uns auf eine fremde und faszinierende Reise schicken. Vietnam ist kein Kriegsland mehr. Nichts erinnert an die grausamen und brutalen Ereignisse. Die Menschen begegnen den ehemaligen Feinden aus den USA, Frankreich und China mit einem Lächeln. Es gibt neue Straßen, Brücken, Hotels. Überall bemüht man sich den Gästen das Beste zu geben. Es gelingt. Wir sind jetzt schon die zweite Woche in Vietnam unterwegs und immer noch ist alles neu und anders. Doch wir wollen mehr, alles aufsaugen was nur geht, nichts verpassen, was man mitnehmen könnte. Wir ziehen weiter, vorbei an den tausenden von Lebensmittel- und Souvenirständen, ignorieren die Zurufe der Verkäufer und verlassen schnellstmöglich den Markt in Richtung Strand. Wir sind nicht weit gekommen, als wir uns entscheiden eine Pause einzulegen. Schließlich sollte man sich im Urlaub auch nicht zu viel Stress machen. „Aua, blödes Scheißding!“ schreit es plötzlich aus dem Busch. Er kommt zurück und hält mir diese Pfeife unter die Nase. „Die lag da irgendwo im Gras. Ich bin draufgetreten.“ Er hat eine kleine, alte, verrostete Pfeife in der Hand. Kein besonderes Handwerk, man sieht die Schweißnähte, leichte Dellen und Risse. Ich werfe nur einen kurzen Blick darauf und drehe meine Zigarette weiter. Nur ein Stück Schrott. Aber ihn lässt die Pfeife nicht los. Er bestaunt sie kritisch und sagt dann: „Die ist bestimmt aus‘m Krieg! Hier in der Nähe ist doch ein ehemaliger US-Stützpunkt und die Amis haben mit solchen Pfeifen ihr Pot geraucht.“ Ich betrachte stillschweigend die Pfeife. Sie war sicherlich lange Zeit der Witterung ausgesetzt. Extreme Sonne, tropische Schauer. Von den Gebrauchsspuren ganz zu Schweigen. Wer war wohl ihr Besitzer? Lebt er noch oder ist er vielleicht sogar hier gestorben? Was ist hier passiert vor 40-50 Jahren? Man hat ja schon viele Berichte und Filme gesehen, aber hier vor Ort des Geschehens male ich mir sämtliche Szenarien aus: Saß er da versteckt im Busch, zitternd vor Angst, sich betäuben und vergessen? Je mehr ich meine Gedanken schweifen lasse, desto mehr kann ich verstehen, warum die Soldaten sich mit sämtlichen Rauschmitteln vollpumpten. War das die einzige Möglichkeit über all den Schmerz, das Leid und die furchtbaren Schuldgefühle, ganze Dörfer vernichtet zu haben, hinwegzukommen? Um all diese Gedanken zu betäuben? Die Sehnsucht nach Ruhe zu befriedigen?


Potpfeife

Marihuana, Opium, LSD, Speed, Heroin - keine Seltenheit im Vietnamkrieg. Leicht zu erwerben, in reinster Form erhältlich und spottbillig. Der Markt hatte alles zu bieten. Für einen Kick Frieden in der Hölle? Für ein bisschen Glück im Unglück? Ich drehe das kleine Stück Metall nachdenklich in den Händen, meine Zigarette habe ich vollkommen vergessen. Die Hitze wird immer unerträglicher. Wir entscheiden uns weiterzugehen und stecke die Pfeife in meine Tasche. Ein Souvenir? Links Mehr Informationen zur Drogenpolitik und Drogenkontrolle in Kriegsgebieten: http://www.akweb.de/ak_s/ak490/18.htm Noch heute ein aktuelles Thema: Drogen und Moralverfall wie in Vietnam: http://www.berlinonline.de/berlinerzeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2010/0930/politik/0047/index.html Autor Julia Steininger


Potpfeife


Radnabe 60  ×  60  ×  80 mm Stahl Fundort: Dresden gefunden am 16. April 2011

Das Kasernengelände Albertstadt/ Stauffenbergallee in Dresden scheint ein Ort für Abenteurer und Entdecker zu sein. Diese Erzählung spricht über das Verlorengehen des Charmes und wie am Ende doch ein wenig Potential zum Träumen gefunden wurde.


Radnabe

Erlebnisbericht Stauffenbergallee Schon lange denke ich über eine Erkundungstour durch die ehemaligen Kasernen der Albertstadt, ein Stadtteil Dresdens, nach. Etwa 100 Jahre befand sich das Gebiet unter ständiger militärischer Nutzung. Seit Mitte der 90iger Jahre wird die Albertstadt renoviert, was den Abriss, den Umbau und die Umfunktionierung der alten Gebäude zur Folge hat. Gern möchte ich mir einen ursprünglichen Eindruck von den Gebäuden, in denen so viel passiert ist, verschaffen. Doch bevor der Ausflug beginnt informiere ich mich noch einmal über die Kasernengebäude. Bald ist klar, dass es höchste Eisenbahn wird das Vorhaben zu realisieren. Denn viel ist von der von mir gesuchten Ursprünglichkeit nicht mehr erhalten. Wohnungs-, Büro- oder Verwaltungsgebäude und eine Polizeidirektion befinden sich nun dort. Aber die König-Georg-Kaserne, die 1900 erbaut wurde, ist noch nicht renoviert. Ich beschließe dorthin zu fahren. Auf dem Weg wird mir klar, dass ich ein wenig vorsichtig sein muss, denn nebenan befindet sich die Polizeidirektion. Man möchte ja nicht erwischt werden. Angekommen, stelle ich fest, dass mir der Einstieg erleichtert wird, denn es befindet sich ein großes Loch im Maschendrahtzaun. Also bin ich nicht die Erste, die dem Ruf der alten Gebäude folgt! Ich klettere hindurch, nicht ohne mich vorher umgeschaut zu haben, ob mich jemand sehen kann. Zuerst begebe ich mich auf eine Erkundungstour des Areals. Ich entdecke ein altes Gewächshaus, eine Art Garagengebäude und das Hauptkasernenhaus. Leider kommt man in das Haupthaus nicht rein, denn auch hier beginnen erste Baumaßnahmen. Gut befestigte Bauzäune versperren den Weg. Schade, ich habe wohl doch zu lange von dem Ausflug geträumt!

Abb.2 Garage, Foto: Christian Steinborn


Radnabe

Das Garagengebäude zieht mich an, denn dort hinein zu kommen wird nicht schwer sein. Die Türen stehen offen. Ich beginne an der einen Seite des Gebäudes und arbeite mich auf die andere Seite. Dabei begegnen mir Räume in denen Glasscherben liegen, die Decke schon eingestürzt ist oder einfach leere Räume, die mir nichts sagen. Mir fällt auf, dass an den Raumenden Steintröge stehen. Erinnert an einen Pferdestall. Ob die Garage ein Stall gewesen sein könnte? Möglich! Ich stöbere weiter und gelange nun endlich in einen Raum, der mich zum Träumen anregt. Ein Raum der Lebendigkeit und gleichzeitig Verlassenheit ausstrahlt. Überall auf dem Boden liegen alte Dosen, Glasflaschen, Autoreifen oder auch Fahrradzubehör.

Abb.3 alte Reifen, Foto: Christian Steinborn

Beim näheren Hinsehen bemerke ich, dass es sich um Lackfarben aus DDRZeiten handelt. In meiner Gedankenwelt entsteht das Bild einer illegalen Werkstatt, da das Gebäude verfallen ist und seit etwa 20 Jahren nicht mehr genutzt wird. Oder sind es nur die Überreste der letzten Bewohner dieser Kaserne (vermutlich Soldaten der Sowjetarmee)? Vielleicht haben sich diese eine Fahrradwerkstatt eingerichtet? Aber warum liegt dann alles so auf dem Boden verstreut? Ein schnell verlassener Ort? Die Idee der illegalen Werkstatt gefällt mir gut. Sie ist aufregender! Ich möchte ein Erinnerungsstück von meinem Ausflug in die König-GeorgKaserne mitnehmen. Nicht nur ein Foto, sondern einen realen Gegenstand, den ich berühren kann. Ich glaube, die Erinnerung verblasst dadurch weniger schnell. Natürlich muss es ein Gegenstand meines Lieblingsraumes sein. Langsam durchschreite ich den Raum, solange bis mein Blick auf einem etwas rundlichem und glänzenden Gegenstand hängen bleibt.


Radnabe

Abb.4 Radnabe in der Garage, Foto: Christian Steinborn

Ich hebe ihn auf und befreie ihn notdürftig vom Staub und anderen Unreinheiten. Er gefällt mir! Vermutlich ist es ein Teil vom Fahrrad. Aber was genau, ist mir unklar. Trotzdem nehme ich es mit. Zu Hause wasche ich den Gegenstand unter dem Wasserhahn ab. Dabei bemerke ich das aufgeprägte Logo. Ich mache den Computer an und gebe in die Suchmaschine „RENAK“ ein. Ich finde heraus, dass „RENAK“ (vgl. http://renak.de/wordpress/uber-uns/) seit 1942/43 ein Unternehmen in Reichenbach/ Vogtland ist und Fahrradzubehör, sogar bis heute, herstellt. Mein Fundstück ist eine alte gebrauchte Rücktrittnabe.

Abb.5 Radnabe mit Logo, Foto: Konstanze Heymann


Radnabe

Die vermutlich in der Zeit zwischen 1961 und 1970 produziert wurde. Das ist erkennbar am aufgeprägten Logo der gefundenen Rücktrittnabe (vgl. http:// ddr-fahrradwiki.bplaced.net/index.php?title=Naben). Bald darauf fahre ich mit dem Fahrrad in die Universität. Auf dem Weg fällt mir das Erinnerungsstück ein. Da ich auf einem alten Diamantrad sitze halte ich an und schaue mir die Rücktrittnabe des Fahrrads an. Ich freue mich, denn es ist auch eine Nabe von „RENAK“. So eine wie meine. Allerdings ein neueres Model aus dem Jahre 1982 und mit „IFA“ gekennzeichnet.

Abb.6 Fahrrad, Foto: Konstanze Heymann

Quellen 1) http://www.dresdner-stadtteile.de/Neustadt/Albertstadt/Strassen_Albertstadt/Stauffenbergallee/stauffenbergallee.html, zuletzt überprüft am 16.04.2011  2) http://www.dresdner-stadtteile.de/Neustadt/Albertstadt/albertstadt.html, zuletzt überprüft am 16.04.2011 3) http://de.wikipedia.org/wiki/Albertstadt, zuletzt überprüft am 16.04.2011 4) http://renak.de/wordpress/uber-uns/, zuletzt überprüft am 16.04.2011 5) http://ddr-fahrradwiki.bplaced.net/index.php?title=Renak, zuletzt überprüft am 16.04.2011 6) http://ddr-fahrradwiki.bplaced.net/index.php?title=Naben, zuletzt überprüft am 16.04.2011 Autor Konstanze Heymann Fotos Konstanze Heymann (Abb. 1,5,6) Christian Steinborn (Abb. 2,3,4)


Radnabe


Rattenkopf 50 × 45 × 45 mm

Kunststoff Fundort: Leipzig gefunden am 10. April 2011

Das Objekt Rattenkopf wurde im Nachtschrank von Frau Walther gefunden. Kurz nachdem man sie tot im Treppenhaus auffand. Neben ihr lag ein neues Lamm aus Glas.


Rattenkopf

Herr Walther Da wäre noch Herr Walther. Herr Walther ist 65 Jahre alt, hat feines graues Haar und eine praktische Anglerweste. Zusammen mit Fau Walther lebt Herr Walther in einer gemütlichen Dreiraumwohnung in Leipzig. Herr Walther hat auch drei Katzen, die er sehr mag. Aber noch lieber mag Herr Walther seine 600 Figuren. Er ist spezialisiert auf Lämmer, Hasen, und Küken. Er dekoriert sie in seiner Wohnung und im Treppenhaus. Herr Walther sind seine Lieblinge sehr wichtig. In einem großen Ordner im Arbeitszimmer hat Herr Walther eine Tabelle. Diese Tabelle ist auch sehr wichtig, deshalb bewahrt er sie in Klarsichtfolie auf. Jeden Sonntag holt Herr Walther seine Brille aus dem Etui in der Anglerweste und kontrolliert sorgfältig seine Tabelle. Hier findet er den Namen, das Kaufdatum, den Preis, die Größe und das Material von allen Figuren seiner Sammlung. Wenn jedes Tier noch unversehrt an seinem Platz steht, dann klappt Herr Walther den Ordner wieder zu und gibt ihnen allen einen langen und warmen Kuss. Das findet er sehr schön. Am 02.04.2011, das weiß Herr Walther noch so genau, weil er an diesem Tag eine limitierte Version des Lamms „Ronny“ im Versandhandel bestellt hatte, fand er einen Rattenkopf zwischen seiner Sammlung im Treppenhaus. Herr Walther war nun sehr wütend und stampfte mit den Füßen. Er stampfte immer heftiger mit den Füßen. Er stampfte am schnellsten und am heftigsten mit seinen Füßen. Als er am aller schnellsten und am aller heftigsten stampfte, verlor er das Gleichgewicht und fiel mit dem Kopf in sein übergroßes Lieblingslamm (aus Glas) „Tim“, dass er am 09.10.2005 kaufte für 50 Euro. Als Frau Walther am 02.04.2011 nach Hause kam, hatte man schon alles weggewischt. Das fand sie sehr freundlich, denn so musste sie sich nicht die lästige Arbeit machen. Am Boden lag noch der Rattenkopf. Sie hob ihn auf und legte ihn wieder in ihr geheimes Holzkästchen, dass sie im Nachtschrank aufbewahrte.

Autor Caroline Eibl


Schließe 7 × 34 × 25 mm vergoldetes Metall Fundort: Leipzig gefunden am 28. August 2009

Die vergoldete Schließe wurde zwar in Leipzig wiederentdeckt, stammt ursprünglich aber aus Moskau und ist ein Relikt des Couleur der Studentenverbindung Орлёвского отделения РГАУ МСХА им. Тимирязева.


Schließe

Russische Familienhistorie- Und was haben deine Eltern so gemacht? Viele Kinder brauchen Einschlafrituale. Mein bevorzugtes hatte immer etwas mit Musik zu tun. Sei es nun das leicht schiefe Vorsingen meiner Mutter oder das zeitverzögerte Geklimper meiner alten Spieluhr. Mittlerweile schaffe ich es ganz gut auch ohne diese Rituale einzuschlafen. Aber meine russische Spieluhr existiert noch immer. Im Sommer 2009 fiel sie mir im Zuge meines Umzuges erneut in die Hände. Sicherlich habe ich sie jeden Tag gesehen, in sie hereingeschaut jedoch seit Jahren nicht mehr. Und so entdeckte ich zwischen DDR-Abzeichen, Puppenschlüsseln und so manch anderem Nippes eine unbekannte vergoldete Schließe. Erst im Gespräch mit meinen Eltern stellte sich heraus, dass diese bereits einen weiten Weg hinter sich hat. Sie stammt nämlich, wie meine Eltern immer so schön sagen, aus SU-Zeiten. Damals haben sie beide an der Timirjasew-Akademie Moskau (RSAUTAM; Российский государственный аграрный университет — МСХА им. К. А. Тимирязева) studiert.

Timirjasew-Akademie heute

Heute noch existierend, ist sie die älteste landwirtschaftliche Hochschule Russlands. Doch das interessiert eher weniger. Interessanter ist zu erfahren, was die eigenen Eltern während ihres Studiums so getrieben haben. Und das wird natürlich nur verraten, wenn man direkt nachfragt. So erfuhr ich das erste Mal, dass meine Eltern zu dieser Zeit in einer Art Studentenverbindung waren, der Студентческий отряд Орлёвского отделения РГАУ МСХА им. Тимирязева. Da denkt man doch sofort an die amerikanischen αβγ -Häuser. Doch etwas anderes war es damals schon. Wie in Deutschland gab es eine festgelegte Kombination von Farben, die sich in allen Kleidungsstücken widerspiegelte, für die jeweilige Studentenverbindung stand und unter dem Begriff Couleur zusammengefasst werden kann. Dazu gehörte unter anderem ein


Schließe

Band, welches das Mitgliedsabzeichen der Verbindung war. Das meiner Eltern war blau-grün mit weißer Percussion, existiert allerdings leider nicht mehr. Was jedoch noch vorhanden ist, ist die vergoldete abgenutzte Schließe. Sie war Teil eines Zipfels, der aus zwei übereinandergelegten unterschiedlich langen Stücken Metall gefassten Couleurbands und Metallschieber besteht. Dieser Zipfel ist eine Art Schmuckanhänger, der an das Band angebracht werden kann. Er wird beim Zipfeltausch an einen anderen Verbindungsstudenten verschenkt- mal eine andere Art der Freundschaftsbekundung. Und die fand zwischen meinen Eltern statt. Zum Glück, denn sonst würden meine Schwester und ich heute vielleicht nicht existieren. So kann ein 27mm breites Band und eine Schließe den Grundstein für eine Familie bilden. Und schwupps tippte ich »Studentenverbindungen Leipzig« ein. Schließlich habe ich dieses alte Familienstück nicht nur in Leipzig gefunden, sondern ich studiere auch hier. Nur von typischen Studentenverbindungen, die eventuell noch aus dem 19. Jahrhundert stammen, habe ich bisher noch nie etwas gewusst. Denn die zeitgenössische Studentenverbindung lautete bisher eher StudiVZ. Aber nun spuckte mir die Suchmaschine dutzende Verbindungen aus, die alle ihre eigenen Farben und Leitspruch haben. Vielleicht sollte man überlegen Verbindungen wie Corps Saxonia mal anzuschauen. Eine geschichtsträchtige Schließe habe ich ja schon. Doch dann beantwortete ich doch ersteinmal meine StudiVZ-Nachrichten. Später im Bett stellte ich mir die Schließe an meiner Tragetasche vor. Im Hintergrund hörte ich noch langsam Tschaikowskis Schwanensee klimpern. Dann bin ich eingeschlafen. Autor Haase, Julia Literatur Abel-Musgrave, Curt: Memoiren eines Couleur-Studenten. Freiburg: Fehsenfeld, 1891. Dolch, Oskar: Geschichte des deutschen Studententhums von der Gründung der deutschen Universitäten bis zu den deutschen Freiheitskriegen. Leipzig: Brockhaus, 1858. Knowles, Lees: Ein Tag mit Corps-Studenten in Deutschland. Heidelberg: Groos, 1908. Links http://www.corpssaxonialeipzig.de http://www.timirjasev-verein.de http://www.timacad.ru/cmates/mavt/ Fotos Haase, Julia


Schließe


Schwarzer Absatzschuh 110 × 110 × 80 mm Kunstleder Fundort: Duisburg gefunden am 25. Juli 2010

Der Schuh wurde am Tag nach der Loveparade in Duisburg auf dem Veranstaltungsgelände gefunden. Er ist schwarz und nur noch zur Hälfte erhalten. Eine bewegende Geschichte verbirgt sich hinter ihm.


Schwarzer Absatzschuh

In Erinnerung an die Loveparade in Duisburg Eigentlich sollte es ein ganz normaler Arbeitstag werden. Ich ging also zum Veranstaltungsgelände, auf dem die Loveparade am Abend vorher stattgefunden hatte. Um 8 Uhr begann ich meine Arbeit und räumte mit meinen Kollegen das Gelände auf. Ein Sammelsurium der unterschiedlichsten Dinge erwartete uns: Alte Flaschen, Papier, Bahntickets, ja sogar viele persönliche Dinge, wie ein Schal, eine Kette, oder ein Foto haben wir gefunden. Wir arbeiteten uns vor in Richtung Tunnel. Es war bereits 10:30 Uhr. Plötzlich fand ich einen Teil eines Schuhs. Die Spitze war nicht mehr auffindbar. In der Nähe lag kein passendes Stück, was den Schuh zu seiner Vollständigkeit hätte ergänzen können. Ich begutachtete den Rest des Absatzschuhs und hielt für einen kurzen Moment inne: die schrecklichen Bilder vom gestrigen Abend zogen an meinem inneren Auge vorbei. Ein schrecklicher Tag für all diejenigen, die mitten im Gedränge waren und sich verletzten, ja sogar Todesangst hatten. Es war mir unangenehm, mich unweit des Ortes aufzuhalten, an dem 21 Menschen starben. Ihnen wurde die Luft genommen, die sie so dringend zum atmen gebraucht hätten. Und nun fand ich genau an dieser Stelle den Schuh. Der Schuh warf in mir eine Vielzahl von Fragen auf: Lebt die Person noch, der der Schuh gehörte? Wem hat er gehört? Was war wohl mit dem Schuh passiert? Warum ist er wohl so kaputt? Wo ist die andere Hälfte? Wo ist der andere Schuh dazu? - unzählige Fragen quälten mich. Ich versuchte eine Antwort zu finden und schaute mir den Schuh genauer an. Er ist aus schwarzem Kunstleder. Ein robuster, recht stabiler Absatz ist noch vorhanden. Zu sehen ist, dass er schon eine ganze Weile getragen wurde. Nähte verzieren ihn. Der Reißverschluss ist nur noch zur Hälfte erhalten. Ich erkenne die verschiedenen Schichten, die sich im Schuh verbergen. Zwischen all den Lagen drängt ein Metallstab hervor. Er ist flach, ein wenig verrostet. Normalerweise sieht man ihn nicht. Der Schuh offenbart von sich selbst Dinge, die sonst so nicht zum Vorschein kommen würden. Er wirkt sehr anmutig und dominant, so, als wolle er uns etwas mitteilen. Vielleicht ein Hilfeschrei? Das Mädchen, das den Schuh getragen hat, muss ihn wohl im Gedränge verloren haben. Vermutlich ihre Lieblingsschuhe, denn sie schien sie oft getragen zu haben. Sie sehen bequem aus. Teuer sind sie nicht gewesen, denn die Marke Graceland, die noch deutlich zu erkennen ist, ist eine günstige Marke für junge Leute. Große Füße hatte die Trägerin des Schuhs allem Anschein nach auch nicht, denn das Fußbett sieht sehr schmal und klein aus. Ich schätze Größe 38. Doch was ist dem Schuh zugestoßen? Warum ist er so kaputt? Ich kann mir das so richtig vorstellen, wie die Menschenmassen gedrückt und gedrängelt haben. Nachdem die Besitzerin den Schuh verloren hatte, geriet er irgendwo in die Massen. Die Menschen haben ihn niedergetrampelt, sind an ihm hängengeblieben und haben ihn so Stück für Stück immer weiter kaputt gemacht. Ihnen war sicher nicht bewusst, dass sie gerade einen Schuh zerstören, denn alle hatten ja nur ein Ziel: sie wollten zur Loveparade, um sich einen schönen Abend zu machen. Eine solch nebensächliche Sache, wie einen Schuh interessiert in diesem Moment natürlich kaum jemanden. In mir aber hat er Gefühle ausgelöst, die mich nachdenklich machten. Erzählte er mir doch so viel von dem tragischen Tag. Als Erinnerung an all das, was passiert ist – im Gedenken an die Loveparade 2010 – habe ich den Schuh mitgenommen. Ich habe ihn nicht weggeworfen und auch nicht zu den vielen anderen Fundsachen gelegt. Dafür ist er mir viel zu wertvoll. Zu gebrauchen ist der Schuh ohnehin nicht mehr. Für mich aber hat er eine besondere Bedeutung. Er erinnert mich immer wieder an das, was passierte. Es ist doch oft so, dass sich nach einer Weile keiner mehr für das Thema interessiert, obwohl doch ausführlich in den Nachrichten berichtet wurde und noch Tage später alle


Schwarzer Absatzschuh

Menschen bewegte. Heute, 2011, spricht keiner mehr über das Thema. Die Toten: scheinbar vergessen – die Verletzten: geheilt? Doch bleiben sie durch diesen Schuh für immer in meinem Gedächtnis. Das Mädchen: eine imaginäre Person? Lebt sie? Ist sie gesund? Vermisst sie ihren Schuh? Sucht sie ihn? Autor Anne Krumbholz Literatur Schaller, Rainer (2010): dokumentation-loveparade. Berlin. Links http://www.dokumentation-loveparade.com/ Foto Anne Krumbholz


Schwarzer Absatzschuh


Spiegelkugel 40 mm Durchmesser Schaumkunststoff, Metallspiegel Fundort: Berlin gefunden am 21. August 2007

Eine Spiegelkugel beziehungsweise Diskokugel ist in fast jeder stereotypischen Diskothek aufzufinden. Es handelt sich um eine mit kleinen Spiegeln besetzte, sich an der Decke drehende Schaumkunststoffkugel, die in einem wenig beleuchteten Raum einen Lichtstrahl in Form von zahlreichen kleinen, langsam kreisenden Lichtpunkten reflektiert. Ich fand sie auf einem Flohmarkt in Berlin, es war noch frßh am Morgen, der TrÜdel und Antiquitätenhandel war noch nicht im Gang. Es wurde aufgebaut, kaum Besucher waren zu sehen.


Spiegelkugel

Ein Partyausflug nach Berlin/ Prenzlauerberg. Anvisiert ein Club Namens Icon, um den im Musikgenre „Drum and Bass“ bekannten Musiker/ DJ Netsky zu erleben.

Icon Cantianstraße 15, 10437 Berlin

Nach erfolgreich durchtanzter Nachtschicht in eben dieser Lokation, schlenderten wir bei Sonnenaufgang durch die Straßen des Berliner Stadtteils, auf dem Weg zum Bahnhof, um zurück nach Leipzig zu gelangen. Entkräftet wegen exzessiver Bewegung und Übernächtigung, jedoch angeheitert und aufgedreht steuerten wir geradewegs, allerdings dennoch zufällig auf einen wöchentlichen Sonntagsflohmarkt zu, der sich zur frühen Stunde noch im Aufbau befand. Wir zogen an etlichen Second Handwaren und Antiquitäten vorbei, bis mir auf diesem riesigen unüberschaubaren Areal eine zu den anderen gegensätzliche Auslage wortwörtlich ins Auge stach. Ein auf dem Boden liegender Teppich, überfüllt mit knallbunten Kleingegenständen, geläufig auch als ‚Kitsch‘ oder ‚Ramsch‘ bezeichnet, dahinter ein Händler asiatischer Abstammung, der mehr und mehr ‚Ramsch‘ aus seiner Kiste holte, um den Vorleger noch ein wenig zu überschütten. Mich blitzten sofort die kleinen Spiegelkugeln an, die in allen Farbvariationen in der frühen Morgensonne schimmerten und klitzernd leuchteten. Von meinen Freunden und mir belächelt war mir dennoch klar, dass dies das perfekte Erinnerungsstück für diesen unvergesslichen und lang ersehnten, (ent) spannenden Ausflug sein musste.


Spiegelkugel

Bereits in einigen Filmen der zwanziger Jahre des 20.Jahrhunderts ist sie zu entdecken. Beispielsweise im deutsch experimentellen Dokumentarfilm „Berlin – Die Sinfonie einer Großstadt“ von Walther Ruttmann, in dem unter anderem sie - im Kontrast zum idyllischen Landleben - die Schnelllebigkeit, Arbeits- und Lebensverhältnisse, Vergnügsmöglichkeiten, den hektischen Alltag derindustriell aufstrebenden Stadt symbolisiert. Im letzten von sieben Akten ist sie kurz zu sehen.

1927 Berlin „Sinfonie einer Großstadt“ Walther Ruttmann

Ebenfalls im Berlin der Zwanziger wurden die ersten Spiegelkugeln in einigen Tanzpalästen installiert. Ob diese Tanzveranstaltungen damals wohl als subkulturell, vielleicht sogar als provokant und konträr den für uns heute teilweise spießig und steif anmutenden Tanzfesten galten? Oder ob sie schlicht und einfach der Zusammenkunft populärerer Gesellschaften dienten? Die Diskokugel als Sinnbild für Popkultur. Der Symbolik nach nicht zu vereinbaren mit Undergroundszenen, eher ein ironisches Gegenstück dazu? Ich stelle trotzdem fest, dass auch in kleinen Läden, in denen jene Musik im kleinen Rahmen gespielt und gefeiert wird, die Diskokugel nicht fehlt, wenn auch dezent, nicht überdimensional. Man muss sich doch fragen, wo die Schnittstelle zwischen Subkultur und Mainstream liegt, ob es überhaupt möglich ist eine fest zu machen! Von wem geht der kommerzielle Wandel aus? Die Mischung unendlicher Musikgenre, welche sich ständig wieder erweitern, machen es schwer einen klaren Strich zu ziehen. Ab wann wird Subkultur zu einem Teil der Popkultur? Die Musik, letztendlich schlicht von einer breiten Masse gehört oder direkt für die breite Masse gemacht?


Spiegelkugel

Auch Netsky, der in der Szene bekannte Musiker aus Belgien, veröffentlichte ein „Official Video“. Die Storyline des Clips ist sicher Geschmackssache, doch die Qualität, um es im TV ausstrahlen zu können ist durchaus gewährleistet. Somit gehören auch aufwendig- kostenintensiv- und qualitativ hochwertig produzierte teilweise standartisierte Musikviedeos mit Werbecharakter zu jedem Musikgenre dazu. Überall werden sie konsumiert und genutzt. Doch warum? Warum an einen Fernsehsender wenden und mit der eigenen Person werben, obwohl man feststellen muss, dass es gerade die Musiker sind, die ihre Konzertkarten teurer verkaufen als so mancher Popgigante. Ist es der Wunsch endlich von seiner Musik leben zu können?

Netsky Albumcover „Iron Heart“


Spiegelkugel

Autor Anne-Marie Markov Links http://www.youtube.com/watch?v=W4rt6Nxdm4Y http://www.youtube.com/watch?v=LfmaM6ADp40&feature=related http://de.wikipedia.org/wiki/Spiegelkugel http://www.iconberlin.de/ Fotos Abbildung 1, Markov, Anne-Marie Abbildung 2, youtube, http://wwwyoutube.com/watch?v=LfmaM6ADp40&feature=related Abbildung 3, Icon Berlin http://www.iconberlin.de/index.php Abbildung 4, Netsky http://mixing.dj/wp-content/uploads/2010/10/Netsky.jpg


Spiegelkugel


Spieldose 50 × 45 × 35 mm

Plastik, Metall Fundort: Hilbersdorf bei Freiberg gefunden am 24.12. 2010

Walzenspieldose Produziert von der Firma Yunsheng Bespielt mit dem Kinderlied “Guten Abend, gute Nacht” Ursprünglich versteckt in einer Blechglocke


Spieldose

Weihnachten 2010 war vorbei und ich kehrte, bepackt mit Unmengen von Süßigkeiten und Geschenken zurück nach Leipzig. Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich die nächsten Wochen allein damit beschäftigen, alles irgendwo einzuräumen oder hinzustellen, um es an diesem Platz verstauben zu lassen. Ein besonders grausames Exemplar der Weihnachtsindustrie, eine Blechglocke mit Spieldose darin, schien es meinem Freund jedoch angetan zu haben. Unablässig schallte die Melodie von „Guten Abend, gute Nacht!“ aus der Glocke. Da ich den Text dieses alten Kinderliedes noch nie ganz gehört hatte, suchte ich im Internet danach, um dem Ohrwurm wenigstens einen Inhalt zu geben.

Guten Abend, gute Nacht. Mit Rosen bedacht, Mit Näglein besteckt, Schlupf unter die Deck. Morgen früh, wenn Gott will, Wirst du wieder geweckt. Guten Abend, gute Nacht. Von Englein bewacht, Die zeigen im Traum Dir Christkindleins Baum. Schlaf nun selig und süß, Schau im Traum ’s Paradies

Wie auch einige andere bin ich über die Textstelle „Mit Näglein besteckt“ gestolpert. Dass die Erziehungsmethoden vor 200 Jahren etwas anders gewesen sind, mag ja sein, aber keine Mutter würde ihr Kind ans Bett nageln. Zum Glück merkt sich das Internet alles, sodass ich in einem ZEITartikel fündig geworden bin: Näglein: unsere heutigen Gewürznelken, die in fru¨heren Zeiten an die Wiege gesteckt wurden, um Krankheiten und Insekten fernzuhalten. Unter anderem stand dort auch, dass die erste Strophe des Liedes aus einer Sammlung deutscher Volksliedtexte „Des Knaben Wunderhorn“ stammt. Diese wurde von zwei wichtigen Vertretern der Heidelberger Romantik Clemens Brentano und Achim von Arnim 1806 veröffentlicht. Die zweite Strophe wurde entweder von Georg Scherer oder Karl Simrock verfasst und die Melodie dazu hat Johannes Brahms 1868 geschrieben. Ziemlich lustig kommt mir nun die Tatsache vor, dass eine Spieldose, deren Entwicklung in etwa um dieselbe Zeit ihren Anfang nahm, von einer chinesischen Firma in Massen produziert und vertrieben wird. Auf der Oberseite der Plastikhülle prangte nämlich die Aufschrift Yunsheng, welches der Name einer Firma aus China ist, die sich auf die Herstellung von solchen Spieldosen


Spieldose

spezialisiert hat. Sagen zumindest die unterschiedlichen Internetpräsenzen die Google ausgespuckt hat. http://yunsheng.net/about.htm http://business-listings.com/de/Business/ningbo-yunsheng-music-gift-coltd-2135289.html http://www.yunshengmagnet.com/ecompany.htm So verkauft sich deutsche Romantik und schweizer Uhrmacherkunst heute. Als 1796 Antoine Favre-Salomon die Technik der Spieluhr entwickelte, musste jede Tonzunge einzeln hergestellt, abgestimmt und auf dem Zungenbalken aufgeschraubt werden. Kaum vorstellbar, dass 1840 diese Spieluhren schon industriell hergestellt und teilweise sogar mit keinen Trommeln und Glocken ausgestattet wurden. Wären die Walzen austauschbar oder mehr als sechs Lieder spielbar gewesen, hätte man diese Walzenspieldosen wohl als die iPods der damaligen Zeit bezeichnen können. Jedoch ist diese Spieldose wie auch ihre Vorgänger nur eine von vielen.


Spieldose

Quelle: Die ZEIT Volksliederarchiv Wikipedia Spieldose Wikipedia Heidelberger Romantik Fotos: Jenny Klein Abbildung Des Knaben Wunderhorn Autorin: Jenny Klein


Spieluhr-Ente 92×52x100 mm Plastik Fundort: Halle gefunden am 17. April 2011

Eine alte Kinderspieluhr. Eine Ente. Das Plastik-Material hat sich verfärbt. Perlmuttfarben, früher wohl eher weiß mit rosa Mütze und blauen Flügeln, wurde auf einem Dachboden in Halle gefunden. Versteckt und verstaubt lag sie in der hintersten Ecke und schien nur darauf zu warten, gefunden zu werden. Ihr Lied spielt sie noch, nur die Flügel und die Mütze kann sie nicht mehr bewegen.


Spieluhr-Ente

Ich war am Wochenende mal wieder bei meinen Eltern. Gerade krame ich auf unserem vollgestopften Dachboden in meinen da gelassenen Kleiderkisten nach meiner roten Frühlingsjacke. Da entdecke ich hinten, in der Nähe vom Fenster mit der angeknacksten Scheibe, meine alte Kinder-Spieluhr. Ganz verstaubt und vergessen liegt sie auf dem Boden. Verborgen hinter Kisten und alten Stühlen. Ich klettere in die Ecke zu ihr und hebe sie auf. Über die Jahre hat sie sich etwas verfärbt. Sie schimmert Perlmuttfarben, die Flügel hellblau, das kleine Mützchen rosa. Nur wenn man die Flügel etwas verschiebt, sieht man die eigentliche Farbe der Ente.

Dachboden Fund

Erinnerungen kommen in mir hoch. Zum Beispiel, wie die Ente früher über meinem Kinderbett hing und dass ich sie als kleines Kind immer zum Einschlafen brauchte. Ich zog so lange an der Strippe, bis ich endlich eingeschlafen war. Welches Lied hat sie immer gespielt? Ein ziemlich bekanntes Kinderlied war es. Ich ziehe an der Schnur und das Lied „Bruder Jakob“ ertönt. Automatisch summe ich mit: Bruder Jakob, Bruder Jakob, Schläfst du noch? Schläfst du noch? ||: Hörst du nicht die Glocken? :|| Ein Kinderlied, das wohl fast jeder kennt. Es ist ein vierstimmiger Kanon und gerade durch seine eingängige Melodie ist es sehr beliebt. Auch international ist es bekannt. In den verschiedensten Sprachen wurde dieses Lied wohl schon vielen Kinder zum Einschlafen vorgesungen. Ich fange an, mir Gedanken zu machen. Woher kommt dieses Lied und wieso ist es so bekannt? Mein Interesse ist geweckt und ich fange an, etwas zu recherchieren.


Spieluhr-Ente

Woher das Lied eigentlich stammt, ist nicht bekannt. Aber üblicherweise wird die französische Version „Frère Jacques“ als Original angesehen. Es gibt jedoch auch Hinweise, dass man den Jakobsweg nach Santiago de Compostela damit in Verbindung bringen kann. Daher ist es auch möglich, dass das Original aus dem Spanischen oder Lateinischen stammt. Was für eine ungewöhnliche Verbindung zu einem Kinderlied. Der Jakobsweg ist ein Pilgerweg zum angeblichen Grab des Apostels Jakobus. Der mittelalterliche Jakobsweg war kein vorgeschriebener Weg, sondern eher ein Wegenetz. Er breitete sich von Santiago de Compostela in Spanien über Südeuropa, Frankreich und Deutschland bis nach England, Skandinavien und Osteuropa aus. Seit hunderten von Jahren pilgern Menschen zum Grab des Heiligen Jakobus. Heute vor allem über den Hauptweg Camino Francés. Daher sagt man auch, dass dieses weltberühmte Kinderlied ein Spottlied ist, auf den immer erschöpften und müden Wallfahrer auf einem Jakobsweg. Und weil auch ich als kleines Kind nach anstrengenden Tagen, mit vielen Entdeckungen und Spielen, so müde wie die Wallfahrer ins Bett gefallen bin, ziehe ich noch einmal meine alte Spieluhr-Ente auf, lausche der Melodie von „Bruder Jakob“ und lege sie dann sorgfältig ins Regal neben der Tür.

Karte der Jakobswege in Europa

Autor Marta Hoba Links http://www.pilger-weg.de/zitate/bruderjakobbruderjakob.html http://www.pilger-weg.de/pilgerwege3/jakobsweg/index.html http://de.wikipedia.org/wiki/Fr%C3%A8re_Jacques Fotos Marta Hoba Wikipedia: Jakobsweg



Stahlschloss 69 × 73 × 20 mm Stahl Fundort: Leipzig, Walnußweg, Gartenhaus gefunden am 17. April 2011

Will man etwas schützen, schließt man es weg. So auch Günther V., denn als informeller Mitarbeiter der StaSi ist man nicht immer stolz auf seine Arbeit. So ist es besser seine Vergangenheit vor neugierigen Blicken zu wahren. Mit einem dicken Schloss.


Stahlschloss

Unter Verschluss Vor einiger Zeit starb unerwartet ein ferner Verwandter und hinterließ meinem Großvater und seinen zwei Geschwistern einen bebauten Garten im Süden Leipzigs. Dieses baufällige Stück Land war mit allerhand Schrott und Schutt beladen. Eines Tages kam mein Opa also nach Leipzig und fragte, ob ich nicht Lust hätte, das Grundstück mal ein wenig auf Vordermann zu bringe. Gesagt, getan. An einem sonnigen Sonntagnachmittag begab ich mich auf den Weg nach Knautkleeberg und als ich dort ankam, verschlug es mir die Sprache. Trotz dieser immensen Ansammlung an unnützen Kram und der Sanierungsbedürftigkeit freute ich mich enorm in dieses unerforschte Stück Land vorzudringen und ihm seine Geheimnisse zu entlocken. Mit vor Abenteuerdrang glänzenden Kinderaugen begann ich jeden Winkel des Geländes gründlich zu untersuchen und dabei natürlich für etwas Ordnung zu sorgen.

Unfertiges Gartenhaus mit Werkstatt und dazugehöriger Garten beladen mit allerhand Schrott und Schutt.

Dabei kamen mir allerhand Kuriositäten und Raritäten zu Gesicht wie zum Beispiel ein großer Sack voller unzähliger Schuhe, verschiedene Behälter mit unterschiedlichsten Schlüsseln gefüllt, ein alter Plattenspieler aus DDR-Zeiten und allerhand an Werkzeugen. Zwischenzeitlich machten mein Opa und ich eine Pause und unterhielten uns über dies und jenes. Ich konnte dabei meine Neugier kaum zügeln und fragte meinen Großvater über seinen verstorbenen Bruder aus. Was er so gemacht hat, wie er war, was es mit dem Grundstück auf sich hat, was er für Pläne damit hatte und und und… es stellte sich heraus, dass er ein Mensch war, der viele Dinge anfing, jedoch nur weniges davon wirklich beendet hatte, wie eben den Garten. Nach dieser doch recht kurzen Pause ging es sofort weiter mit dem Erkunden und Aufräumen.

Ansammlung von unterschiedlichsten Schlüsseln, manche sogar mit Schlössern.


Stahlschloss

Die Werkstatt war nun an der Reihe. Während mein Opa an einer anderen Stelle herumwerkelte, durchstöberte ich erst einmal die Werkstatt, als auf einmal mein Blick an etwas so vermeintlich Unscheinbarem hängen blieb. Auf einer mit allerhand Kabeln und Kisten beladenen Werkbank blitzte mir ein rotes Stahlschloss im Verborgenen entgegen.

Verschlossene Werkzeugkiste begraben von allerlei Kabel und Krempel.

Soweit war das ja nichts Besonderes, nur an dieser normalen Werkzeugkiste, an der das Schloss angebracht war, erschien es mir so fehl am Platz. Es wollte einfach nicht ins Bild passen. Also beschloss ich diesem kleinen Mysterium auf den Grund zu gehen. Ich beförderte die Werkzeugkiste ans Tageslicht und musste nun zu meinem Entsetzen feststellen, dass sich das Schloss, trotz noch so heftigem Rütteln und Schütteln, nicht lösen lies. Sofort schossen mir die ganzen Behälter mit den Schlüsseln in den Sinn! Einer von denen musste doch passen! Nach etlichem Probieren wurde ich schließlich fündig. KLACK. Das Schloss war offen. Auf den ersten Blick war ich enttäuscht. Ein paar alte Notizbücher, Dokumente, eine Lesebrille und sonstiger Kleinkram. Doch als ich die Sachen genauer betrachtete, wurde mir klar, dass es sich bei all dem um mehr handelte, als nur unbedeutender Papierkram und Accessoires.


Stahlschloss

Inhalt der Werkzeugkiste.

Die vermeintliche Lesebrille hatte keine Sehstärke, in den Notizbüchern waren allerhand Namen und Tätigkeiten aufgelistet und nicht zuletzt waren dort sehr merkwürdig anmutende, dreckstarrende Dokumente über Telefonate zu finden. Und da kam er, der Gedankenblitz. DDR, StaSi, informelle Mitarbeiter, Spitzel, der Bruder meines Großvaters. Ich war verwirrt. War mein Großonkel Mitarbeiter bei der StaSi? Stimmen meine Vermutungen und Schlüsse die ich aus meinem Fund ableitete? Sollte ich meinem Opa von meinem Fund berichten? Würde er es überhaupt wissen wollen? Wie würde er wohl überhaupt darauf reagieren? Weiß noch jemand davon? War mein Großonkel dafür verantwortlich, dass mein Opa, nachdem er es geschafft hat über die Mauer zu fliehen, wieder in die DDR zurück geholt wurde? Mein Kopf quirrlte förmlich über vor lauter Fragen. Ich entschied mich vorerst zu schweigen und erst einmal Nachforschungen anzustellen. Vielleicht lag ich ja doch falsch. Später am Tag verabschiedete sich mein Opa und gab mir die Schlüssel für das Grundstück mit, damit ich immer mal vorbei schauen und ein wenig arbeiten könnte. Als ich dann auch daheim ankam, informierte ich


Stahlschloss

mich erst einmal genauer über die StaSi und wo man denn Infos bezüglich solcher StaSi-Objekte her bekommt. Dabei stieß ich auf die Homepage des Museums in der runden Ecke und was ich dort fand, gefiel mir ganz und gar nicht.

Gefundene Zettel entpuppten sich als Abhörprotokolle.

Die Dokumente aus der Werkzeugkiste stellten sich als Abhörprotokolle heraus, die Brille als ein einfacher Teil einer Maskierung und die handelsübliche Werkzeugkiste diente häufig als Aufbewahrungsbox für solche Dinge. Ich war geschockt. Wie wenig ich doch wirklich von solch nahen Verwandten wusste oder dachte zu wissen. Wer wohl noch alles Teile von sich und seinem Leben anderen vorenthält? Diese auch mit einem dicken Schloss verriegelt? Autor Sarah Zapf Literatur www.runde-ecke-leipzig.de Links www.runde-ecke-leipzig.de/sammlung/index.php?inv=02794 www.runde-ecke-leipzig.de/sammlung/index.php?inv=14974 Fotos Sarah Zapf


Stahlschloss


Taschenspiegel 70  × 78 × 9 mm Kunststoff, Spiegelglas, Metall Fundort: Montmartre, Paris gefunden am 14. August 2001

Paris an einem lauen Sommerabend Mitte August. Eine neue Stadt und ein neuer Lebensabschnitt. Ein Café, in dem ich darüber nachdenke, was bisher war und was kommen wird. Ein kleiner Spiegel, der zum ständigen Begleiter wird.


Taschenspiegel

Die Geschichte des Spiegels Stimmen wehen herüber aus den kleinen Cafés, die Tische und Stühle raus gestellt haben auf das Trottoir. Ein paar Ecken weiter beginnen Straßenmusiker mit ihrem Programm. Es ist mein erster Abend dieser Stadt, die für mich mein neues Zuhause werden soll. Von meiner Wohnung am Place Stalingrad bin ich hergelaufen, um die Straßen meiner neuen Umgebung kennen zu lernen. Ich lasse mich treiben durch die Straßen, die erst noch breit, dann aber immer enger werden. Nach einer Stunde stehe ich am Fuße des Butte Montmartre - dem Hügel, auf dessen Gipfel die weithin sichtbare Basilika Sacré-Cœur steht – und mitten im Touristengewimmel. Kaum zu glauben, wie viel hier auch noch am Abend los ist. Ich steige auf den Gipfel, von dem man einen herrlichen Blick über die Stadt hat, und laufe hinter der Basilika weiter in das 18. Arrondissement hinein. Sobald man hinter der Kirche ist, verebbt der Touristenstrom merklich. Es ist wieder ruhiger auf den Straßen und ich entschließe mich, hier in ein Café einzukehren und meinen Gedanken nachzuhängen. Ich setze mich draußen an einen kleinen Tisch, von dem aus ich das Treiben auf der Straße beobachten kann. Als ich meinen Stuhl etwas verrücke, klappert es auf dem Boden. Ich sehe gleich, dass es ein Spiegel ist, weil die zwei Teile, die den Spiegel verbergen, gegeneinander aufgeschoben sind. Die zwei braun-rötlich schimmernden marmorierten Kunststoffteile haben die Form einer Jakobsmuschel, im Inneren des hinteren Teils ist der kleine runde Spiegel eingelassen, der in der Mitte zerbrochen ist. Ich betrachte mich darin. Auf einmal erscheint mir mein Fund wie ein Zeichen: als hätte ihn irgendjemand hier platziert, um mir an diesem Abend, an dem ich über mich und meine Zukunft sinnieren will, sprichwörtlich und buchstäblich einen Spiegel vorzuhalten. Heißt es nicht, das Gesicht sei das Spiegelbild der Seele? Also, was sehe ich? Zuallererst sehe ich, dass der Kellner an meinen Tisch kommt, also lege ich den Spiegel schnell weg und gebe meine Bestellung auf. Wieder allein mit dem Spiegel, versuche ich, dessen Herkunft zu erahnen. Er würde so gut in die Zeit um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert passen. Die Zeit, in der sich Montmartre zu einem internationalen Zentrum der europäischen Avantgarde herausbildete. Die Zeit, in der sich die Pariser Bohème in den Salons und Cafés trifft und Dichter und Sänger dort ihre Werke vortragen. Eine Zeit, in der sich Wegweisendes in der Bildenden Kunst tut, Künstler ihre Ateliers im Montmartre beziehen und in der der Kunsthändler Ambroise Vollard die damals noch umstrittenen Künstler wie Pablo Picasso, Henri Matisse und Paul Cézanne in seinen Räumen zusammenbringt. Hier auf dem Montmartre sprengen Picasso und Georges Braques den traditionellen Rahmen westlicher Kunst und begründen den Kubismus. Plötzlich reicht es, eine Violine, eine Flasche Wein und eine Zeitung nur noch fragmentarisch abzubilden, um die Poesie der Bohème einzufangen. Und die Zeit, in der das Viertel Montmartre geprägt war von verschiedensten Unterhaltungsformen und der Lebensfreude in den Tanzlokalen, Kneipen und Kabaretts. Und eine schöne Tänzerin könnte diesen Spiegel besessen haben. Vielleicht trug sie ihn immer bei sich, um vor der Show zu prüfen ob der Lippenstift nicht verschmiert ist und ob die Frisur noch sitzt. Um sich vor einer Verabredung zu vergewissern, dass der Teint und die Wangen strahlen. Die Tänzerin würde jetzt nicht mehr leben. Aber vielleicht hat sie ihren Spiegel weitergegeben an


Taschenspiegel

ihre Tochter oder Enkelin. Sie wird ihnen erzählt haben von dieser Zeit am Montmartre. Wahrscheinlich hat sie ihnen vorgeschwärmt von der Lust und der Leichtigkeit, die damals in der Luft lagen. So träume ich vor mich hin, in eine vergangene Zeit. Vielleicht ist der Spiegel aber auch sehr viel später erst hergestellt worden und hat eine völlig andere, unglamouröse Geschichte hinter sich. Ich denke darüber nach, mich zu erkundigen bei Antiquitätenhändlern oder im Kunstgewerbemuseum. Etwas später verwerfe ich das Vorhaben: für mich hat der Spiegel schon jetzt seine eigene Geschichte. Sogar eine, die sich immer wieder weiterentwickeln lässt. Für mich ist der Spiegel Zeugnis von Paris aufregenden Zeiten und Menschen der Belle Epoque! Ich zahle meinen Espresso und mache mich mit meinem Fund auf den Weg in die Pariser Nacht, in mein neues, aufregendes Leben. Ich bin angekommen. Autor Susanne Subklew Literatur Blöß, Willi: Pablo Picasso. Ich der König. Düsseldorf 2002. Wilson, Sarah (Hrsg.): Paris. Metropole der Kunst 1900-1968. Köln 2002. Links http://taschenspiegel.es/175/ http://www.frankreichreise.info/paris/sehenswuerdigkeiten-in-paris/montmartre.html Foto Susanne Subklew


Taschenspiegel


Taschenuhr 74 × 51 × 12 mm Metall verchromt Fundort: Berlin Gefunden am 26.April 2011

Gerade gestern auf einem Dachboden. In einer kleinen Hand eine alte Uhr. Und eine ziemlich große Frage.


Taschenuhr

Eine Frage Ein großer Dachboden mit vielen Fenstern. Der Himmel ist blau, so blau. Aber die Sonne hat sich schon versteckt. In der Ecke ein Mädchen. Vor einem Haufen Kisten, der viel größer ist als das Mädchen. In der kleinen Hand eine alte, runde Uhr. Sicher ist sie schon über zehn Jahre alt. Nein. Über fünfzig Jahre. Hundert Jahre. So etwas brauche ich. Etwas, das klingelt, damit ich wachwerde. Aber die Uhr tickt ja garnicht. Die Uhr geht nicht mehr. Ich weiß warum. Jemand hat die Uhr auf den Boden geworfen. Die Zeiger haben sich nicht mehr bewegt. Der Mensch hat die Zeit vergessen, weil die Uhr nicht getickt hat. Bestimmt hatte er Großes vor, der Mensch. Was wäre wohl, wenn die Uhr noch getickt hätte. Wenn die Uhr nicht kaputt gegangen wär. Dann. Das fragt man wohl immer- was wäre wenn. Die Frage ist wie mein Dominospiel, nur rückwärts. Oder wie eine Kette, meine Holzperlenkette. Was wäre wenn. So eine große Frage. Denkt das Mädchen. Autor Matilda Ernst Links http://about.me/edit/Matilda_Ernst


Taschenuhr mit Armband 28 × 40 × 45 mm

Messing, vergoldet Fundort: Delitzsch gefunden Ende 2008

Die Taschenuhr wurde 2008 in Delitzsch im Schrank einer alten verstorbenen Dame entdeckt. Sie ist von goldener Farbe und besitzt nachträglich angelötete dunkle Schlaufen an den Seiten.


Objektname – steht auf der Musterseite (Schrift: Futura Taschenuhr bookmit regular, Armband 8 Pt)

Taschenuhr mit Armband Wie wir zu unseren heutigen Armbanduhren kamen Die Türen des Schrankes der verstorbenen Dame knarren und ächzen, als ich sie langsam öffne. Es scheint, als ob das Möbelstück auf diese Weise seinem Alter Ausdruck verleihen wolle. Schließlich hat dessen Besitzerin ein ganzes Jahrhundert gelebt. Ich öffne eine Schublade. Der Geruch alter, staubiger und von Geschichten behafteter Gegenstände kommt mir entgegen. Verblichene Fotos und vergilbte Zettel, noch in alter Handschrift verfasst, finde ich in der Schublade. Stille Zeugen einer vergangenen Zeit. Doch ein Bilderstapel ist seltsam erhöht, es muss noch etwas anderes darunter liegen. Ich schiebe die Bilder beiseite und finde eine kleine goldfarbene Armbanduhr. Auf ihrer Außenhülle sind Römische Zahlen eingraviert, innen dagegen, auf dem eigentlichen Ziffernblatt, kann man die uns bekannten arabischen Zahlen erblicken. Die Uhr besitzt nur noch einen Zeiger. Das Band der Uhr ist stark verschlissen, es fehlt bereits ein Stück. Behutsam betrachte ich das Objekt. Dabei stelle ich fest, dass die zwei Metallschlaufen für das Armband seltsam wirken. Auch mutet die Uhr so gar nicht wie eine Armbanduhr an, sondern viel eher wie eine Taschenuhr. Oder beides? Ich drehe an dem Rädchen, die Uhr beginnt zu ticken. Und ich beginne zu recherchieren. Die erste Taschenuhr geht auf einen Peter Henlein zurück und soll 1504 gebaut worden sein. (Geschichte der Taschenuhr, Artikel-Base, Link) Fortan galt die Taschenuhr als Symbol für die reicheren Schichten und war jenen vorbehalten. Während der Wende zum 20. Jahrhundert begannen Frauen die Uhren am Arm zu tragen, woraus schließlich die heute bekannte Armbanduhr hervorging, die ab 1910 langsam die Taschenuhr verdrängte. (Die Geschichte der Taschenuhr, Pocketwatch, Link) In 10er,20er Jahren trug unsere Dame die oben beschriebene Uhr. Die Uhr ist also Gegenstand zweier verschiedener Moden gewesen. Erst war sie eine Taschenuhr und als die Armbanduhren in Mode kamen, fügte man ihr einfach die zwei Schlaufen hinzu. Aber als wieder ein Modewechsel bei Uhren aufkam, wurde sie überflüssig. An digitale Uhren konnte sie nicht angepasst werden. So verschwand sie in der Schublade. Bis heute. Ich seufze und drehe erneut an dem Rädchen. Das Ticken ist etwas, was meine digitalen Uhren nicht können. Autor Anika Hildebrandt Links http://www.mikrolisk.de/show.php http://www.artikel-base.de/sonstiges/taschenuhr.aspx http://www.peterhenlein.de/ http://www.pocketwatch.ch/history.htm http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Henlein


USB–Stick 256MB 13x57x4 mm Glasfaser, Epoxidharz und Silizium Fundort: Auerbach/Vogtl. gefunden am 06. Dez. 2002

Längst wurde im Bereich der Flashspeichertechnologie die Gigabytegrenze durchbrochen. Heute kostet ein USB–Stick mit 16GB gerademal 20€. Das ausgestellte Exemplar ist 9 Jahre alt und hat ein für damalige Zeiten großes Speichervolumen von 256 MB.


USB–Stick 256MB

Lustig, lustig, trallerallala! Heut ist Nikolausabend da…ein ganz besonderer Fundort Wir schreiben den 06. Dezember 2002. Die Schuhe wurden am Vorabend blank geputzt vor die Tür gestellt in freudiger Erwartung darauf, was der Nikolaus dieses Jahr in die Schuhe stecken wird. Sicherlich wird der obligatorische Schokoladenweihnachtsmann nicht fehlen, doch gab es die letzten Jahre immer wieder auch etwas, was die Weihnachtsferien überdauern wird, weil es nicht in einem Anfall von Heißhunger verschlungen werden kann. An diesem Nikolaus ist es ein neuartiger Speicherstick, den jetzt alle zu haben scheinen, der den Schuh ausfüllt. USB–Stick sagen die Leute dazu und seit dem letzten Jahr gehört dieser nun schon zum guten Ton, um seine Daten zu transportieren.

Das Artefakt in mehreren Ansichten Foto: Claudia Schädlich

Das im Schuh befindliche Modell hat eine für seine Zeit beachtliche Speichergröße von 256MB. Dazu sind zwei Flashmodule á 128MB notwendig, die an beiden Seiten des Sticks auf die Platine aufgelötet sind. 256MB zum ständigen speichern und wieder löschen – das sind 127500 vollbeschriebene Seiten. Eine gewaltige Anzahl – stelle man sich nur die Bücher vor, welche man anstelle des USB–Sticks in seiner Tasche mit sich herumtragen würde. Auf eine herkömmliche 3,5‘‘–Diskette kann man im Vergleich nur 1,44MB speichern – und somit „nur“ 720 Seiten. Seit 2002 nun hat dieser Stick eine Menge verschiedener USB–Ports gesehen und einige Kilometer an Wegstrecke dabei hinter sich gebracht. Häufig war er dabei Träger verschiedenster, während des Abiturs zu erledigender Hausaufgaben, aber auch Familienfotos, Bewerbungsschreiben und selbstprogrammierte Anwendungen füllten das Speichervolumen. Immer wieder erreichte man dabei die Grenzen des Volumens und war angewiesen mehrere Dateien wieder zu löschen. Tägliche Anwendungen und nicht immer pflegliches Verhalten haben ihre Spuren hinterlassen, was der USB–Stick durch Verlust seiner Schutzhülle bezahlte. Im Durchschnitt und abhängig vom Hersteller können 10.000 – 100.000 Löschzyklen auf einem Stick durchgeführt werden, bevor sich die Oxidationsschicht, die die Grenze zwischen Löchern und Elektronen bildet und damit die Voraussetzung zur Darstellung von Ladung und Null-Ladung, auflöst. Jetzt im Jahre 2011 funktioniert der Stick trotz seiner fehlenden Schutzhülle tadellos, doch weiß man nicht, wie viele Löschzyklen ihm noch vergönnt sind, bevor er nur noch ein Relikt aus Glasfaser, Epoxidharz und Silizium und eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten darstellt.


USB–Stick 256MB

Eine kleine Reise durch die Geschichte der Datenspeicher. Von Diskette bis zum USB–Stick . Ein Datenspeicher für elektronische Geräte hat, wie der Name ja schon sagt, die Funktion der Speicherung von Informationen bzw. Daten. Dabei unterscheidet man in der technischen Speicherung die fotografische, also die Speicherung durch Lichtbilder, die magnetische, die mechanische und die elektronische Speicherung.

Die verschiedenen Datenspeicher: Diskette, CD, USB–Stick (Foto:Stefan Kühn)

Die Diskette als bekanntester magnetischer Speicher hat eine flexible magnetisierende Kunststoffscheibe. Sie kam erstmals 1969 auf den Markt und wurde von Alan Shugart entwickelt. Mit einer durchschnittlichen Kapazität 1,44MB und einer Speicherdauer von ca. 5 Jahren, da sich mit der Zeit die Scheibe entmagnetisiert, wird deutlich, dass diese Speichermedium nicht auf Dauer eine Lösung sein kann. Seit Ende der 90er Jahre haben die Computerfirmen teilweise auch aufgehört, Diskettenlaufwerke in die Computer einzubauen. Der Nachfolger ist die Compact Disc, kurz CD, die 1982 auf dem Markt eingeführt wurde. Dieser mechanische Datenspeicher, der Daten durch physische Vertiefungen und Erhöhungen auf der Aluminiumbedampfung der im Durchmesser 12cm großen Kunststoffplatte speichert, wird durch eine optische Abtastung meist mittels Laser gelesen. Bis zu 900MB ist die Speicherkapazität der am meisten verbreiteten CD-R, die man nur einmal beschreiben kann. Mehrmalig beschreibbar ist die CD-RW (rewriteable), die aber aufgrund vieler Einschränkungen, wie etwa Geschwindigkeit, Datensicherheit und Speicherkapazität sich nicht sehr durchgesetzt hat. Nachteile der CD sind neben der Größe die Anfälligkeit durch Kratzer, Wärme oder Kälte, die die Oberfläche oder das Material zerstören und die Daten zerstören. Der USB–Stick wurde Ende der 1990er Jahre durch den israelischen Ingenieur Dov Moran mit seiner Firma M-Systems entwickelt. Die Innovation bestand damals darin, die Flash–Speichertechnologie mit der USB–Übertragungstechnologie zu kombinieren. In diesem Moment erkannte er den Nutzen eines Speichermediums, das klein und unempfindlich ist und sich an jeden Computer anschließen lässt. Da ebenfalls Ende der 1990er Jahre die Firma Intel den „Universal Serial Bus“ zum Anschluss von Peripheriegeräten an den Computer in den Markt einführte, entschied sich Moran dafür, auf diese einheitliche Schnittstelle zu setzen. Im Jahr 2000 war es dann soweit: trotz negativer Marktanalyse (zu teuer, zu umständlich, chancenlos gegen Disketten und CDs) wurden die ersten USB–Sticks unter dem Namen „DiskOnKey“ auf den Markt geworfen. Bei der Größe eines Schweizer Armeemessers brachten sie es auf 8MB Speicherplatz und kosteten rund 50 Dollar. Der Einführung der USB– Sticks folgte ein rasanter Siegeszug. Die jährlichen Verkaufszahlen von USB– Sticks liegen mittlerweile bei ca. 120 Millionen, bei einer Speicherkapazität von bis zu 256GB.


USB–Stick 256MB

Das Ende ist nicht absehbar. Seit der Erfindung der ersten Computer in den 40er Jahren sind in bahnbrechender Geschwindigkeit immer neuere Technologien für Hard- und Software entwickelt worden. So hatte der erste Digitalrechner „Zuse Z3“ (1941) von Konrad Zuse noch einen Speicher, der aus 64 Worten à 22 Bit bestand und somit 176Byte zur Verfügung stellte. Heute (Stand 2011) haben Heimrechner bereits die TByte Grenze gesprängt und wir tragen ein Vielfaches der 176Byte als transportable Speicher mit uns herum. Dabei macht sich bemerkbar, dass immer mehr Speicher immer weniger Platz bedarf. Schon die nahe Zukunft wird wieder Neues bringen. Autor Claudia Schädlich Links http://www.usb-sticks-online.de http://www.bernd-leitenberger.de/zuse.shtml http://de.wikipedia.org/wiki/Diskette http://de.wikipedia.org/wiki/CD-RW http://de.wikipedia.org/wiki/Compact_Disc Alle Internetseiten letzter Aufruf: 26.05.2011 Fotos Claudia Schädlich, Foto Datenspeicher: Stefan Kühn


Verbeulte Weißblechdose 78 x 94 mm , Ø 52 mm Weißblech/Aluminium Fundort: Goethestieg (Neuer Weg), Brocken/Harz gefunden am 16.04.2011

Die zylindrische Dose wurde im Harz beim Brockenaufstieg, unweit dem Touristenstädtchen Schierke, gefunden. Sie lag deutlich sichtbar am Wegesrand und weist zahlreiche Beschädigungsspuren auf. Verwitterungserscheinungen sind auf der metallischen Oberfläche jedoch nicht zu erkennen.


Verbeulte Weißblechdose

Es sollte ein Ausflug werden, raus aus der Großstadt, rein in die Natur. Tief durchatmen, den Alltag – zumindest für ein paar wenige Tage hinter sich lassen. Als Ziel wurde der Harz anvisiert. Wandern auf Goethes Spuren – hinauf auf den Brocken! Anfänglich fasziniert von der Ausstrahlung dieses magischen Ortes, wird man allerdings bald auf den gar nicht so magischen Boden der Tatsachen zurück geholt und schnell “verwandelt” sich der Naturgenuss in betrüblichen Müll-Frust. Klar, man hat schon mal von einer gewissen “Anziehungskraft” dieses geschichtsträchtigen Berges gehört, dass es nun aber die Spur des Unrates ist, welche auf den Gipfel führt, darüber war ich mir nicht im Klaren. Regelmäßige Muster aus weggeworfenen Papiertaschentüchern zu beiden Seiten des Weges mal mehr, mal weniger tief in den Wald hinein verteilt, erzeugen irgendwann das Gefühl, absichtlich sei hier das Verbot verletzt worden keinen Unrat zu hinterlassen und nicht von den markierten Wegen abzugehen. Schließlich, irgendwann, wie aufgebahrt im Moosbett: eine leere Dose. Es stellt sich mir nun die Frage, worin wohl die Logik liegt, die Dose, gefüllt, stundenlang mit sich herumzutragen, nach Entleerung des Inhaltes jedoch und mit 96 Prozent weniger an Gewicht, diese nicht wieder für eine kurze Dauer zu verstauen und in einen, dafür vorgesehenen Behälter zu entsorgen; ist die gemeine Getränkedose doch laut Hersteller für den Verbraucher „leicht zu transportieren wegen des geringen Gewichts“ und bietet zudem „ein günstiges Gewichtsverhältnis von Inhalt und Verpackung“ (Zit. Ball Packaging Europe) Gerade weil der Aufstieg durch die mythische Bedeutung des Berges immer noch rituellen Charakter hat, stellt sich die merkwürdige Assoziation ein, nicht Nachlässigkeit oder Gedankenlosigkeit führe zu den Müllspuren, sondern eine Art zwanghafte Banalisierung, welche die Leute dazu treibt, den Mythos oder was noch davon übrig ist, die “wilde Natur”, zu entweihen. Die Rauheit und Schönheit der Umgebung geht, zumindest bei mir, ziemlich unter, wenn man stets kleinen bis mittelgroßen Häufchen aus Zellstoff, Plastik, Weißblech oder aus “weiß-der Teufel-welchen” anderen Verpackungsmaterialien begegnet, welche dekorativ den gesamten Aufstieg säumen. Leider bleibt mir die Antwort bis heute verweigert aber nichtsdestotrotz hat sich der Ausflug in jedem Fall gelohnt. Obwohl man die offensichtlich zunehmend rücksichtslose „Vermüllung“ schlecht ignorieren kann, hat diese Tatsache auch einen kleinen positiven Aspekt: In weiter Zukunft wird man Forschungen und Ausgrabungen auf dem Brocken machen und sich fragen, was wohl diese zahlreichen sonderbaren Gefäße zu bedeuten haben? Später wird man diese ausstellen können, als Zeugnisse des Massentourismus, eines lange in Vergessenheit geratenen Hokus-Pokus. Autor Julia Wangemann Links http://de.wikipedia.org/wiki/Getr%C3%A4nkedose http://www.ball-europe.de/382_470_DEU_PHP.html?parentid=336 http://shop.richprosecco.com/rich-fire.html Foto Julia Wangemann


Verrosteter Nagelknipser 11 × 37 × 38 mm Metall Fundort: Berlin gefunden im März 1987

Der stark verrostete Nagelknipser aus Metall wurde während Renovierungsarbeiten hinter einem alten Kleiderschrank in einer verborgenen Kammer einer ehemaligen jüdischen Arztpraxis in Berlin Mitte gefunden.


Verrosteter Nagelknipser

Ein verrosteter Nagelknipser als stummer Zeitzeuge Im Jahr 1987 zogen meine Eltern nach Berlin um. Ihre erste Wohnung fanden sie in der Johannisstraße 8 in Berlin Mitte, mitten im bekannten Scheunenviertel. Es war ein altes, sehr verwinkeltes Haus, das stark vermodert roch und dessen Boden bei jedem Schritt knarzte. Als sich die Wohnungstür öffnete, sahen sie in einen länglichen, hoch gebauten Raum, von dem drei Türen abgingen. Er war in einem sehr schlechten Zustand. Die Tapete war zerlöchert und hing teilweise in Fetzen von der Wand ab, die Dielen waren abgetreten und entlang der Decke hing ein Kabel, dessen Stromfluss nicht geklärt war und das an einigen Stellen seine ursprüngliche Isolierung nur noch erahnen ließ. Hinter den drei Türen des Flurs verbargen sich separate Wohnungen. Die Wohnung meiner Eltern war die hinterste und über eine Flügeltür, dicht neben dem unheilvollen Kabel zu erreichen. Auch in der Wohnung selbst erwartete sie kein besseres Bild. Es roch gewöhnungsbedürftig und beim Betreten einer bestimmten Diele in der Stube öffnete sich die Tür zum Schlafzimmer. Doch was soll‘s?! Es war ihre erste Wohnung in Berlin und über die Mängel wurde hinweggesehen, schließlich kann man einiges aus der alten Wohnung machen. Außerdem gab es einen kleinen Spielplatz, der über eine separate Feuertreppe gut zu erreichen war und wo meine Geschwister gut sichtbar spielen konnten. Und so begannen wenig später die möglichen Renovierungsarbeiten. Dabei kamen so einige interessante und auf die Geschichte des Hauses hinweisende Dinge zum Vorschein. So befanden sich unter der Tapete Zeitungsberichte aus dem Jahr 1941 und unter einigen Dielen entdeckten sie Hohlräume, die als Verstecke für Nahrung oder persönliche Gegenstände genutzt worden sein könnten. Das Schlafzimmer meiner Eltern war etwas niedriger und verwinkelter als der Rest der Wohnung. Hinter einem Schrank, der in eine Nische angepasst zu sein schien, entdeckten sie eine halbhohe, quadratische Tür. Voller Neugier, was sich dahinter verbergen könnte, öffnete mein Vater die Tür und fand eine schmale, kaum einen Meter breite Treppe vor, die in die Dunkelheit führte. Mit einer Taschenlampe ausgerüstet kletterte er die Treppe hinauf und gelangte in einen kleinen, sehr flachen Raum, in dem er nur gebückt vorankam. Der Raum hatte keine Fenster, keinen Strom und im Lichtschein seiner Taschenlampe konnte er sehen, dass der Boden von Staub, Müll und Spinnenweben bedeckt war. Unter diesem Müll, in einen dreckigen Fetzen eingewickelt, fand er eine kleine Holzschatulle. Sie schien alt zu sein, ihre Ecken waren abgenagt und der Deckel wies tiefe Risse auf. Er nahm sie mit in die Wohnung, wo meine Eltern sie näher betrachteten. Sie sah unspektakulär aus, eine alte, braune, hölzerne Schatulle. Doch was befand sich in ihrem Inneren? Den kleinen Riegel nach oben geklappt und die Schatulle öffnet sich. Voller Spannung schauten meine Eltern in das kleine, sich zeigende Kästchen und fanden … einen alten, verrosteten, handelsüblichen Nagelknipser. Einen Nagelknipser, wie ihn Chapel Carter im Jahr 1896 hätte erfinden können (vgl. Weblink). Nichts Außergewöhnliches: zangenförmig aufgebaut, an der Spitze zwei konkav gebogene Klingen, die einander parallel gegenüberstehen – eben ein ganz gewöhnlicher Nagelknipser, oder auch Nagelklipserl oder Nagelzwicker, wie man in Süddeutschland zu sagen pflegt. Ein gewöhnliches Gerät zur Fuß- und Fingernagelpflege. Er muss jahrelang dort oben gelegen haben, so verrostet wie er war. Doch was in aller Welt veranlasst jemanden, einen alten Nagelknipser in einer Holzschatulle zu verstecken? Da der Fund nicht so spektakulär war, wie anfangs vermutet, setzten meine Eltern die Renovierungsarbeiten fort.


Verrosteter Nagelknipser

Meine Mutter bewahrte die Schatulle mit samt ihrem Inhalt in einer Kiste, in meiner Familie später als Messikiste bekannt, auf. Während der nächsten Wochen stellten meine Eltern die Wohnung fertig, ohne neue Funde oder Entdeckungen. Sie lebten sich ein und machten Bekanntschaft mit den Nachbarn und lernten so eine ältere Dame kennen, die mit ihrem Mann zusammen schon längere Zeit in dem Haus wohnte. Meine Eltern und das alte Ehepaar verband bald ein großes Vertrauensverhältnis und sie passten oft auf uns Kinder auf.

Mietshaus in der Johannisstraße 8 in Berlin-Mitte

Nach ein paar Jahren zogen wir aus dem Mietshaus in der Johannisstraße 8 aus und bezogen ein Haus am östlichen Rand von Berlin. Auch Sieglinde, die ältere Dame, zog nach dem Tod ihres Mannes in unsere Nähe und besucht uns regelmäßig. So auch Weihnachten 2009. Nachdem ein oder zwei Flaschen Rotwein geleert und der Kartoffelsalat samt der Bouletten aufgegessen waren, gerieten meine Eltern und Sieglinde ins Durchleben alter Erinnerungen und meiner Mutter fiel plötzlich wieder die Schatulle mit dem Nagelknipser ein. Sie holte ihre Messibox heraus und erzählte Sieglinde die Geschichte, wie und wo sie sie gefunden haben. Leider hatte die alte hölzerne Schatulle die Zeit in der Messibox nicht überlebt. Sieglinde erzählte, sie habe gehört, dass die Wohnung ursprünglich eine jüdische Arztpraxis war, die im Zuge des Nationalsozialismus geräumt wurde. Der Arzt und seine Frau seien den Nationalsozialisten zu Opfer gefallen. Über den Verbleib seiner Kinder sei jedoch nie etwas bekannt geworden. Was ist damals passiert? Wurden er und seine Frau wie so viele andere Jude deportiert? Was ist mit seinen Kindern passiert? Ich begann, mich mit der Geschichte unseres ehemaligen Zuhauses im Scheunenviertel von Berlin zu beschäftigen:


Verrosteter Nagelknipser

Das sogenannte Scheunenviertel stellt wohl eines der geschichtsträchtigsten Viertel Berlins dar und umfasst historisch gesehen das Areal nordwestlich des Alexanderplatzes, zwischen Torstraße, Münzstraße und Rosenthaler Straße. Heutzutage wird häufig der gesamte Bereich zwischen Friedrichstraße und Karl-Liebknechtstraße bezeichnet, welcher auch die Johannisstraße einschließt. (vgl. Mathias Stengel, Berlin-Mitte. Tradition, Kultur und Szene im Herzen Berlins) Ab 1737 entwickelte sich das Scheunenviertel zu einem jüdisch geprägten Stadtviertel, beginnend mit der gesetzlichen Regelung Friedrich Wilhelms, die vorsah, dass Berliner Juden ohne eigenes Haus in das Scheunenviertel ziehen und die Stadt lediglich durch die zwei nördlichen Stadttore betreten dürfen. Von nun an begann die Entstehung eines stark von jüdischen Kultureinflüssen geprägten Viertels. Es entstanden Synagogen und die jüdischen Friedhöfe Berlin-Mitte und Schönhauser Allee. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es im Rahmen der Hyperinflation zu mehreren antisemitischen Übergriffen, nachdem die jüdischen Händler des Geldaufkaufs beschuldigt wurden.

Straßenszene im Berliner Scheunenviertel, Grenadierstraße, 1933

Das Scheunenviertel entwickelte sich schließlich zu einem sozialen Brennpunkt, dominiert von Kriminalität, Armut und Prostitution. Die westlich angrenzende Spandauer Vorstadt hingegen war bekannt für ihr gutbürgerliches, jüdisches Milieu, das mit der Neuen Synagoge ein wertvolles Zentrum besaß. Um diese reformierte jüdische Gemeinde ebenso zu verunglimpfen wie die im Scheunenviertel ansässigen Juden, weiteten die Nationalsozialisten den Begriff Scheunenviertel aus. Bis 1939 sank die Zahl der jüdischen Bevölkerung Berlins auf ca. 75.000. Um 1942 wurden die jüdischen Schulen und Krankenhäuser des Scheunenviertels von den Nationalsozialisten geräumt und häufig von der Gestapo als Judensammellager vor der Deportation genutzt. 1943 kam es zu einer großangelegten Verhaftungswelle der Nationalsozialisten, während derer etwa 10.000 in einer Mischehe lebenden Juden und Mischlinge während ihrer Arbeit verhaftet und in der Rosenstraße festgehalten wurden (vgl. Anne Keller, Jüdisches Leben in Berlin – eine Spurensuche).


Verrosteter Nagelknipser

Ihre Frauen demonstrierten tagelang für ihre Freilassung, die nach ca. einer Woche erfolgte. Hiervon erzählt auch der Film Rosenstraße von Margarete von Trotta aus dem Jahr 2003.

Berliner Schutzpolizei und nationalsozialistische Hilfspolizei im Scheunenviertel, Frühjahr 1933

Nachdem tausende Juden aus Berlin deportiert wurden, wurde Berlin am 16.06.1943 schließlich judenrein erklärt. Nach dem Krieg wurde bekannt, dass lediglich 8.000 Juden in Verstecken oder verheiratet mit Nichtjuden überlebten. (vgl. David Shyovitz, The Virtual Jewish History Tour Berlin) Die gewonnen Erkenntnisse über das Viertel, in dem meine Familie einige Zeit lebte, veranlasst mich nun zu der Frage: Wurde die jüdische Arztpraxis, die unser Zuhause werden sollte, auch 1941 geräumt? Hat sich in der kleinen, verborgenen Kammer jemand vor der Deportation versteckt? Die Kinder des Arztes vielleicht? Gehörte der Nagelknipser dem jüdischen Arzt? Bewahrte ihn jemand als Erinnerung auf? Ist er das letzte Überbleibsel einer einst enteigneten jüdischen Arztfamilie? Fragen über Fragen, die einen verrosteten Nagelknipser wahrscheinlich zu einem stummen Informanten vergangener, historischer und dunklen Zeit machen. Autor Sarah Rudolph Links Anne Keller, Jüdisches Leben in Berlin – eine Spurensuche http://www.kas.de/wf/doc/kas_17209-544-1-30.pdf?090727142224 David Shyovitz, The Virtual Jewish History Tour Berlin http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/vjw/berlin.html Mathias Stengel, Berlin-Mitte. Tradition, Kultur und Szene im Herzen Berlins http://www.berlin.de/orte/sehenswuerdigkeiten/scheunenviertel/ http://de.wikipedia.org/wiki/Scheunenviertel_%28Berlin%29 http://de.wikipedia.org/wiki/Nagelknipser


Verrosteter Nagelknipser

Fotos Mietshaus, Johannisstraße 8, Berlin-Mitte: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Berlin,_Mitte,_Johannisstrasse_8,_Mietshaus.jpg Straßenszene im Berliner Scheunenviertel, Grenadierstraße, 1933: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Bundesarchiv_Bild_183-19870413-501,_Berlin,_im_Scheunenviertel,_Stra%C3%9Fenhandel.jpg&filetimesta mp=20081204100410 Berliner Schutzpolizei und nationalsozialistische Hilfspolizei im Scheunenviertel, Frühjahr 1933: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Bundesarchiv_Bild_10202940A,_Berlin,_Polizei-Einsatz_im_Scheunenviertel.jpg&filetimestamp=2008 1209142430


Violettes Glasgebilde 3x15x15 mm farbiges Glas Fundort: Sandvatnet, Norwegen gefunden im Sommer 1997

Das münzenartige Glasobjekt mit seinem trüb-violetten Farbton und dem gänseblümchen- oder sonnenartig ornamentierten Innenring ist sowohl Urlaubsandenken als auch ein persönlicher Glücksbringer, dessen Fundgeschichte einige Jahre zurückliegt.


Violettes Glasgebilde

Heute befindet sich das, von der Größe mit einer Ein-Euro-Münze vergleichbare Fundstück die meiste Zeit in einer Blechschachtel verwahrt, zwischen allerlei anderem norwegischem Fundgut zahlreicher Reisen wie Eisbrockensteinen, verschiedensten Muschelschalen, von der See geschmeidig geformten Strandholzstücken oder der verlorenen Wolllocke eines Hochgebirgsschafes. Im Sommer 1997 führte uns der Familienurlaub in skandinavische Gefilde, genauer: in das kleine Dörfchen namens Tau nahe der für ihr Erdöl bekannten Stadt Starvanger. Trotz des schönen Freienhauses unternahmen wir täglich Ausflüge zum Erkunden des meist menschenleeren Hinterlandes, durch Gebirgszüge, Tunnel und Moorlandschaften, vorbei an Gletschern, Abgründen, Wasserfällen und kilometerlangen Seen. An einem solchen See, dem Sandvatnet, machten wir eine ausgiebige Rast. Klar und dunkel lang die spiegelnde Wasseroberfläche vor mir. Ich zog Schuhe und Strümpfe aus, krempelte mir die Hose hoch und setzte einen Fuß in das eiskalte Wasser. Nachdem der erste Schock überwunden war, ging ich einige Meter in den auffällig flachen See hinein, wobei der feinkörnige Ufersand angenehm runden und bunt gefärbten Kieseln wich. Als ich hinab in das Wasser zu meinen Füßen schaute, erblickte ich jene „Glasmünze“. Ihre Oberfläche war matt, wahrscheinlich durch den Sand des Sees. Bis heute konnte nicht geklärt werden, welchem Zweck dieser besondere Gegenstand diente. Weder das Internet noch die befragten Antiquare und Münzspezialisten wussten Antwort. Man könnte vermuten, dass früher Kinder solche Medaillons, quasi als Spielgeld, in ihrem Kaufmannsladen hatten. Ebenso könnte es Teil eines Schmuckstückes gewesen sein, Spielstein eines Brettspiels oder Linse eines Kaleidoskops. Denkbar ist ebenfalls, dass es sich um einen echten Talisman handelt, der, eng am Körper getragen, seinem Träger zu Glück in bestimmten Lebensbereichen verhelfen soll und einzig für diesen Zweck hergestellt wurde. Wie er in den See gelangte, kann man nur erahnen. Vielleicht warf ihn jemand über seine Schulter in das Wasser und wünschte sich etwas oder wollte den wirkungslosen Talisman los werden. Einer Badenden könnte das hübsche Gebilde im See verloren gegangen sein. Schwer lässt sich das Alter des Artefakts einschätzen. Ich vermute, es ist Anfang des 20. Jahrhunderts einzuordnen. Nachdem das Objekt nun die letzten 14 Jahre fast durchgängig in oben beschriebener Schachtel sicher sein Dasein fristete, wurde es zum Zwecke der Ausstellung zu den „Artefakten moderner Archäologie“ von mir als würdiger Vertreter erwählt. Ans Licht geholt, mit einem Sockel versehen, auf eine Nadel montiert, fotografiert, oft von einem Ort zum anderen transportiert und somit dem Chaos ausgeliefert, trat das scheinbar unvermeidliche ein, als beim Lebensmittelverstauen im Supermarkt die kleine Papiertüte mit der kostbaren Fracht einfach stehen gelassen wurde! Erst als ich die Türklinke zur Wohnung betätigte, wurde mir das Unglück mit heißen panischen Rauschen in den Ohren bewusst: Wie konnte ich nur! Mein unersetzlicher Schatz! Sofort verfolgte ich die Stationen meines städtischen Aufenthaltes akribisch zurück- vielleicht steht die Tüte noch im Einkaufsmarkt? Doch da stand sie nicht. Dennoch ließ ich mich nicht entmutigen und fragte eine der Verkäuferinnen hinter der Kasse, ob da nicht eine Papiertüte abgegeben worden sei. Da sah ich schon, ihr über die Schulter lugend, meine von zänkischen Drehstuhlattacken ramponierte geliebte Tüte in ihrem Fußraum knietschen! Gerettet- die schöne violette Kostbarkeit ist in meine Hände zurückgekehrt und bleibt hoffentlich vorerst dort. Aber wer weiß, welche Wege das münzenartige Gebilde in seiner unverwüstlichen Kompaktheit und Beständigkeit in vielen, vielleicht hunderten von Jahren noch zurücklegen wird … Autorin Nora Wolff


Volkswagen Fahrzeugemblem Durchmesser: 56 mm Höhe: 5 mm Plastik, mit Aluminiumbeschichtung Fundort: Leipzig gefunden am 04. April 2011

Ein kreisrundes Stück Plastik, dass als Fahrzeugemblem verwendet wurde. Auf der Vorderseite sind die Buchstaben „V“ und „W“ plastisch hervorgehoben und mit Aluminium überzogen. Die Oberfläche ist mit Kratzern und kleinen Dellen übersät.


Volkswagen Fahrzeugemblem

Als ich mit meinem Fahrrad die Karl-Liebknecht-Straße überquerte, stieß ich auf etwas, dass meine Aufmerksamkeit dem Straßenverkehr entriss und mich für einen Augenblick völlig vereinnahmte: zwischen einigen Glassplittern blitzte mir ein abgenutztes VW‑Fahrzeugemblem entgegen. Zum einen erschien mir dieses als geradezu vortreffliches Mahnmal für eine völlig desolate Verkehrssituation auf einer überstrapazierten Hauptstraße in Leipzig. Zum anderen weckte dieses Fundstück mein Interesse für die Geschichte der Volkswagen AG. Unter welchen Umständen entstand der weltweit mittlerweile dritt größte Automobilkonzern? Basierend auf einer Entwicklung von Ferdinand Porsche öffnete 1938 das erste Volkswagenwerk in Braunschweig, gefolgt vom Hauptwerk bei Fallersleben. Tief verstrickt in die NS‑Propaganda sollte ein Kraftfahrzeug etabliert werden, dass großen Teilen der Bevölkerung finanzierbar erscheinen sollte. Um das Riesenprojekt vor dem finanziellen Kollaps zu bewahren wurden ab 1940 ausländische Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge unter widrigsten Bedingungen im Werk beschäftigt. Während des Krieges wurde das Werk zur zentralen Produktionsstätte der Rüstungsindustrie umfunktioniert. Bis zur Kapitulation im Mai 1945 bestand die Arbeiterschaft des Unternehmens zu 85 Prozent aus Zwangsarbeitern. In Auschwitz wurden Häftlinge von Konzernvertretern direkt ausgewählt und in das Werk deportiert. Noch im letzten Kriegsjahr wurden der Konzern 4000 Häftlinge. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Unternehmen zunächst von der Militärregierung der Britischen Besatzungszone weitergeführt. Wieder unter deutscher Leitung entwickelte sich der Konzern in den 50iger Jahren zum Paradebeispiel des einsetzenden Wirtschaftswunders in der Bundesrepublik Deutschland. Erst 1998 richtete Volkswagen einen privaten Fond zur Entschädigung der Opfer der Verbrechen des Unternehmens ein. Heute befindet sich im Werk eine „Erinnerungsstätte an die Zwangsarbeit auf dem Gelände des Volkswagenwerkes“. Wirft man nun einen Blick auf mein Fundstück, dass übersät ist mit kleinen Kratzern und Dellen, fragt man sich, ob nicht jedes Fahrzeugemblem von Volkswagen schon in der Produktion mit solcherlei Gebrauchsspuren versehen werden sollte. Die Marke Volkswagen sollte in ihrem Erscheinungsbild nicht makellos glänzen, sondern viel mehr die Spuren der Schuld symbolisch als Bekenntnis zu den Verbrechen der Vergangenheit anbringen. Die Gedenkstätte der Volkswagen AG könnte so auf eindrucksvolle Weise erweitert und in die ganze Welt exportiert werden. Quellen Wikipedia Artikel der Volkswagen AG Eichholtz, Dietrich, Das “missbrauchte” Genie: VW und Naziberbrechen, in der Junge Welt vom 24.5.2003 auf www.judentum.net Autor Felix Hille


Wanderers Klingel 55 × 75 × 75 mm angerosteter Stahl Fundort: Kirnitzschtal (Sächsische Schweiz) gefunden am 01. Mai 2010

Die Klingel wurde am Fuße des „Goldsteins“ unterhalb der „Goldsteinaussicht“ im Kirnitzschtal in der Sächsischen Schweiz gefunden. Auf den ersten Blick ist sie eine ganz normale Fahrradklingel. Doch offenbart sie eine eigene traurige Geschichte.


Wanderers Klingel

Wanderers Klingel. Traurige Enthüllung auf dem „Malerweg“ „Was machen wir kommendes Wochenende?“, fragte ich letztes Jahr ungefähr um diese Zeit meinen Freund, der gerade durchs Internet surfte. Er antwortete: „Hm, hör dir das hier mal an: ‚Bereits im 19. Jahrhundert inspirierte die Sächsische Schweiz Maler wie Caspar David Friedrich, Ludwig Richter und Adrian Zingg. 2007 wurde nun der Malerweg zum schönsten Wanderweg Deutschlands gekürt. Auf der Wanderroute „Malerweg und Sächsische Schweiz“ entdecken Sie die einzigartige Natur des Nationalparks mit wildromantischen Tälern, majestätischen Tafelbergen und atemberaubenden Aussichten. Die Etappen verbinden viele markante und sicher auch schon bekannte Stationen, wie zum Beispiel der Uttewalder Grund, die Bastei, die Festung Königstein und das Kirnitzschtal. Neben der vielfältigen und abwechslungsreichen Landschaft und den naturbelassenen Wegen bietet der Weg viele Einkehrmöglichkeiten.‘ (CORSO - die reiseagentur 2010) Der „Malerweg“. Lass uns dort wandern gehen!“ Gesagt – getan! Am Samstagvormittag packten wir also die Rucksäcke und machten uns vom Kyffhäuser in Thüringen aus auf den Weg gen Sachsen. Bis Schmilka nahe der tschechischen Grenze reisten wir mit dem Auto. Dann verließen wir uns nur noch auf Karte, Kompass und Schuhwerk. Natürlich hatten wir wie immer Kamera und Skizzenbuch dabei – erst recht auf dem „Malerweg“. Unser Ziel an diesem Tag war die „Buschmühle“ im Kirnitzschtal, eine kleine aber unter Kletterern und Wanderern sehr beliebte Gaststube, die auch schon als Kulisse für die Verfilmung von Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser“ gedient hatte. Nun aber los. Es war immerhin bereits Mittag und wir hatten noch gute 14 km vor uns. (1) Auf dem „Malerweg“ (2) Im Hintergrund „Goldstein“ und „Goldsteinaussicht“

Von Schmilka aus mussten wir gleich einen harten Anstieg zur buchenbewachsenen Basaltkuppe des „Großen Winterbergs“ bewältigen. Durch sonnendurchfluteten Buchenwald wanderten wir über den „Rosssteig“ hinüber zur „Goldsteinaussicht“. Dort genossen wir den Ausblick über den „Großen Zschand“ und entdeckten unter uns den beeindruckenden Klettergipfel „Goldstein“. Da wir beide neben dem Wandern auch die Leidenschaft fürs Klettern teilen, entschieden wir uns, beim Abstieg zum „Alten Zeughaus“ am Gipfel vorbeizuschauen.


Wanderers Klingel

Während mein Freund noch den Felsen bewunderte und sich ärgerte, dass wir an diesem Tag das Seil daheim gelassen hatten, sah ich etwas auf dem Waldboden schimmern. Da man leider auch hier oft einmal nur eine Glasscherbe glitzern sieht, erwartete ich nichts Spektakuläres. Aber die Neugier siegte. Als ich näher kam, erkannte ich eine kleine rostige Fahrradklingel. Eine Fahrradklingel mitten hier im Klettergebiet auf unwegsamem Pfad? Hatte hier nur jemand schnell seinen Müll von der Aussicht entsorgt? Oder war gar einer mitsamt seinem Fahrrad von dort oben hinuntergestürzt? Nein… Schließlich entschied ich mich, die Klingel mitzunehmen. Weiter talwärts vorbei am „Alten Zeughaus“ ging es in die „Mühlenschlüchte“. Von der Kleinsteinhöhle führte uns der Weg zum „Arnstein“ und dann schon hinab zur kleinen Kirnitzsch. Voller Vorfreude auf ein kühles Bier zum Feierabend erkannten wir schon von weitem die „Buschmühle“. (3) Die „Buschmühle“

Edgar, die gute Seele der Buschmühle, hieß uns herzlich willkommen und nahm unsere Bestellung entgegen. Während wir warteten, packten wir unsere Kameras aus und erfreuten uns an den Schnappschüssen des Tages. Oben auf in meinem Rucksack hatte ich noch die Klingel und legte sie mit auf den Tisch. Bald brachte Edgar Speis und Trank. Sein Blick fiel auf die Klingel und er fragte uns, wo wir die denn gefunden hätten. Ich erzählte ihm von dem sonderbaren Fund unterhalb der „Goldsteinaussicht“. Darauf berichtete er, dass vor Monaten noch regelmäßig ein Wanderer in die „Buschmühle“ einkehrte, der auf Caspar David Friedrichs Pfaden den „Malerweg“ entlang wandelte wie „Der Wanderer über dem Nebelmeer“.


Wanderers Klingel

(4) „Der Wanderer über dem Nebelmeer“

Auch er trug einen Wanderstock, aber mit eben einer solchen Klingel versehen. Mit diesem Markenzeichen war der Geselle bald überall in der Region bekannt. Doch im vergangenen Herbst traf die tragische Nachricht ein, dass ein Wanderer an der „Goldsteinaussicht“ abgestürzt sei. Bis zu unserem Wandertag war sich Edgar nicht sicher gewesen, ob jener Unglückliche der Wanderer mit der Klingel gewesen war.

Autor Lehmann, Antje Links Wandern im Nationalpark Sächsische Schweiz http://www.corso-reisen.de/index.php?entry_id=25 Fotos Abbildung (1)-(3): Lehmann, Antje Abbildung (4) „Der Wanderer über dem Nebelmeer“: http://de.wikipedia. org/w/index.php?title=Datei:Caspar_David_Friedrich_032.jpg&filetimestamp =20080314145432


Zerfallender Deckel 89x 98x 49 mm Eisen Fundort: Pöltzsch bei Sorga gefunden am 12. 3. 2011

Der ehemals blaue, stark oxidierte Metalldeckel wurde im Frühjahr in der Pöltzsch gefunden. Wahrscheinlich wurde er mit der Schneeschmelze aus den Abbruchresten einer bachaufwärts liegenden Mühle gespült und fand sich in einer Biegung des Flusses.


Objektname – steht auf der Musterseite (Schrift: FuturaZerfallender book regular, 8 Pt) Deckel

Zerfallender Deckel Wie ein Fremdkörper stand die Mühle zwischen den Bäumen. Bis vor zwei Jahren trennte sie den zweiten vom dritten Poetenweg.¹ Doch das feuchte Klima, welches die direkt am Haus vorbeifließende Pöltzsch mit sich bringt und die lange Zeit des Leerstehens forderten ihren Tribut, so dass das Gebäude vor zwei Jahren abgerissen wurde, und die Fläche nun nach und nach von der Natur zurückgewonnen wird. Seitdem findet man flussabwärts verschiedene Gegenstände, die der Bach dem Bauschutt entrissen hat. So auch diesen Deckel. In einer Schleife im Flussbett etwa zwei Kilometer stromabwärts sammelt sich Treibgut an einer kleinen Sandbank. Vor allem der Kontrast zwischen der noch vorhandenen, leuchtend blauen Farbe des Deckels und den rostigen und löchrigen Stellen im Metall gaben dem Objekt ein ins Auge stechendes Aussehen. Psychologisch betrachtet also ein typischer Bottom-up Prozess.² Interessanter Weise finden sich seitdem auf meinen Radtouren und Spaziergängen zunehmend rostige Gegenstände. Seien es kleine Dinge wie Flaschen oder Dosendeckel oder auch ganze Fahrräder oder Stacheldrahtrollen. Normalerweise lässt man solche Gegenstände unbeachtet liegen. Doch durch die Sensibilisierung der Sinnesorgane für ebensolche Artefakte wird die Aufmerksamkeit auch auf solche unauffälligen Objekte gelenkt. Hier ist es also genau umgekehrt. Kein Bottom-up Prozess wie beim Deckel, sondern ein Top-down Prozess, bei dem die selektive Aufmerksamkeit des Sinnesapparates von kognitiven Prozessen beeinflusst wird.³ Normalerweise werden irrelevante sensorische Informationen herausgefiltert, um das Arbeistgedächtniss nicht zu überlasten.4 In diesem Fall führt die Konzentration auf eigentlich unwichtiges, also Objekte, die einem bestimmten mentalen Schema, das zum Beispiel über Eigenschaften der Form und Farbe definiert ist, ähneln, zu einer bewussten Verarbeitung des Gesehenen. Die dank dieser Abläufe gefundenen rostigen Artefakte verweisen noch auf einen anderen Prozess. Der von Menschen aus eisenhaltigen Mineralien gewonnene Rohstoff, egal ob zu einem Deckel oder einem Fahrrad geformt, kehrt durch natürliche Prozesse in einen natürlichen Zustand zurück. Eisen wird zu Rost, hauptsächlich also zu Eisen (II) und Eisen (III) – Oxid, wie es auch in natürlichen Mineralien vorkommt.5 Natürlich beginnt die Geschichte des Elements mit der Ordnungszahl 26 nicht in Erzvorkommen auf der Erde. Eisen ist das Endprodukt, also das schwerste Element das exotherm durch die Fusionsprozesse im Inneren von Sternen entsteht.6 Aus dem viel zitierten „Sternenstaub“ findet es schließlich den Weg ins All, auf Planeten und wird Bestandteil lebender Organismen.7 Damit ist seine Existenz letztendlich Bedingung dafür, dass dieser Text, diese Ausstellung und die Gedanken darüber existieren. Der Deckel ist damit gleichsam Symbol für die Verarbeitung, Nutzung und Bedeutung des Metalls für den Menschen, als auch Hinweis auf den natürlichen Kreislauf von Veredlung und Zerfall. Literatur 1) Die Wanderwege an der ehemaligen Lenkmühle werden unter anderem in: Sparkasse Vogtland (Hrsg.): Wandern, Sehen und Erleben im Vogtland. Plauen 2001, S. 113 beschrieben. 2) Vergl. Zimbardo, Philip:Psychologie, Berlin u.a. 1995, S. 200f. 3) Vergl. Ebd. 4) Vergl. dazu Broadbents Filtertheorie der Aufmerksamkeit in: Zimbardo, S. 227. 5) Wikipediaartikel Rost 6) weltderphysik.de 7) biorama.ch Autor Christian Gerisch


Zwirn 40 × 55 × 40 mm

Leinenzwirn Fundort: Klinga gefunden am 24. April 2011

Die Spule Zwirn wurde im Nähkästchen auf dem Dachboden eines alten Bauernhofes gefunden. Sie befand sich zwischen allerlei altem Nähwerkzeug. Das Garn ist cremefarben und leicht vergilbt. Es handelt sich hierbei, laut Banderole um eine Bastfaser.


Zwirn

Zwirn Auf der Suche nach einem Artefakt vergangener Zeiten begab ich mich auf den Dachboden eines alten Bauernhofes. Inmitten des ausrangierten Mobiliars befand sich ein brauner verstaubter Kasten. Bei näherer Betrachtung stellte sich dieser als Nähkästchen heraus. Beim Öffnen dessen flogen mir Nähspulen, Nadelkissen und Knöpfe entgegen und gaben den Blick auf einen zweiten Boden frei. Vorsichtig mit dem Finger herausgehoben, offenbarte sich ein kleines Sammelsurium handarbeitlicher Gegenstände. Zwischen ihnen befand sich eine Zwirnspule mit der Aufschrift: „Hirschfelde V.V.B. Bastfaser Leinen-Nähmaschinen-Zwirn“. Anschließende Recherchen stießen auf die Internetpräsenz der VEB Vereinigte Leinenindustrie Grosspostwitz. Die genannte Spinnerei bestand bereits seit dem Jahr 1804, wurde jedoch 2003 geschlossen. Sie entstand mit der Gründung einer Leinenzwirnerei in einer alten Wassermühle und wurde 1845 samt des Bauerngutes und der Ziegelei aufgekauft und verwandelte sich in die erste Maschinenflachsspinnerei. Nach ihrem 100 jährigen Bestehen wurde die Flachsspinnerei Hirschfelde schließlich durch einen Volksentscheid enteignet und hieß zunächst VEB Flachsspinnerei Hirschfelde. In den 50er Jahren wurde sie schließlich nach dem Zusammenschluss mit anderen Textilbetrieben in VEB Oberlausitzer Flachsspinnerei und Leinenzwirnerei umgenannt. Nach dem Mauerfall bestand die Spinnerei noch weitere zehn Jahre und wurde anschließend stillgelegt. In Zeiten, in denen Kleidung leicht zu erwerbende Ware ist und kaum mehr selbst genäht und geschneidert wird, gilt die leicht vergilbte Garnspule als ein Zeuge der Selbstverständlichkeit vergangener Zeiten, die Kleidung selbst zu nähen oder abzuändern. Die wenigsten Mütter geben ihren Töchtern die Fähigkeiten zu handarbeitlichen Tätigkeiten mit. Dieser Umstand hält nun seit mehr als 30 Jahren an und wird nun in der Gegenwart von zahlreichen Angeboten überrascht. So setzen sich wieder jüngere Menschen mit erfahrenen handarbeitlich begabten Frauen zusammen um von ihnen auf ein Neues Stricken, Nähen, Häkeln und der gleichen zu lernen. Autor Lydia Tuchelt Links http://www.sperrzone.net/web/sperrzone/Sperrzone.nsf/all/2FF7440C0EBF5 98AC125700D006C9C5A?OpenDocument


Register

CHRISTBAUMKUGEL – Ulrike Neufeld COMPACT KASSETTE – Philipp Haucke DER SPATZ – Lena Thomaka DIODE – Franziska Salomon DYNAMO – Josephine Schlager FILMDOSE – Henrike Fischer FLASCHENÖFFNER – Marlen Dietrich KETTENUHR – Dajana Dalchow KLAMPE – Kim-Tina Nava KLAPPMESSER MIT HORNGRIFF – Alexandra Demming KLEINER PUPPENSTUHL – Maria Horinek KRONKORKEN – Martin Käschel MEDAILLON – Henriette Schröter MILCHPULVER – Katarina Kropp MISWAK – Eva-Maria Walter NAGELBOHRER – Christine Wegner NIETENGÜRTEL – Felix Degen OBJEKTSUCHEROKULAR – Ulrike Krause OPERNGLAS – Nadja Rzehak PEITSCHENKREISEL – Stefanie Brix PERLE IN EINER HOLZSCHACHTEL – Juliane Mahler PORTUGIESISCHE SARDINENDOSE – Eva Wulsten


Register

PORZELLANFIGÜRCHEN – Elena Seubert POTPFEIFE – Julia Steiniger RADNABE – Konstanze Heymann RATTENKOPF – Caroline Eibl SCHLIEßE – Julia Haase SCHWARZER ABSATZSCHUH – Anne Krumbholz SPEIGELKUGEL – Anne-Marie Markov SPIELDOSE – Jenny Klein SPIELUHR-ENTE – Marta Hoba STAHLSCHLOSS – Sarah Zapf TASCHENSPIEGEL – Susanne Subklew TASCHENUHR – Matilda Ernst TASCHENUHR MIT ARMBAND – Anika Hildebrandt USB STICK 256MB – Claudia Schädlich VERBEULTE WEIßBLECHDOSE – Julia Wangemann VERROSTETER NAGELKNIPSER – Sarah Rudolph VIOLETTES GLASGEBILDE – Nora Wolft VOLKSWAGEN FAHRZEUGEMBLEM – Felix Hille WANDERERS KLINGEL – Antje Lehmann ZERFALLENER DECKEL – Christian Gerisch ZWIRN – Lydia Tuchelt


Impressum

HOMEPAGE: http://www.uni-leipzig.de/studienart/sites/wunderkammer/ LEITUNG: Dr. Roland Meinel, Prof. Andreas Wendt GESAMTBEARBEITUNG: Alexandra Demming, Anne-Marie Markov INSTITUT FÜR KUNSTPÄDAGOGIK Ritterstraße 8-10 04109 Leipzig www.uni-leipzig.de/studienart

Leipzig 2011



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