Wirtschaft in BadenWürttemberg
Ausgabe 1 | 2014
Ein Gemeinschaftsprodukt der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten
Preis 3,20 Euro
Kommentar
Ende eines Wirtschaftskrimis
Standort Tuttlingen, das Mekka der Medizintechnik SEITE 5
Celesio Das Hin und Her ist vorbei. Die neuen Herren sollten ihre Macht dosiert einsetzen. Von Werner Ludwig
Managerrecht
N
Wofür Geschäftsführer einer GmbH haften SEITE 12
Frauenquote Warum Quotenfrau kein Schimpfwort ist SEITE 22
Alles so schön bunt hier – mit dieser Vielfalt könnte es am Pharmastandort BadenWürttemberg bald vorbei sein. Die Branche selbst sieht einige Hundert Jobs in Gefahr.
Bedrohter Wohlstand BadenWürttemberg ist bei Arzneimitteln europaweit führend. Die Branche klagt über Preisstopp und Zwangsrabatte. Schwellenländer holen auf. Der Mittelstand wird vermutlich schrumpfen. Von Peter Rost
A
utos made in BadenWürttemberg sind weltweit gefragt. Pillen und Tinkturen ebenso – der Südwesten ist der größte Pharmastandort in Deutsch land und exportiert über 70 Prozent seiner Erzeugnisse. Künftig wird die Branche aber Jobs verlieren, fürchten Experten. Boeh ringer Ingelheim, Ratiopharm, Weleda – so heißen nur einige der bekanntesten Unter nehmen. „Das Pharmaland BadenWürt temberg hat europaweit einen guten Klang“, sagt Thomas Mayer, Hauptge schäftsführer der Chemieverbände Baden Württemberg, die auch die Pharmaindust rie vertreten. Die Branche im Südwesten erwirtschaftet 8,5 Milliarden Euro Umsatz mit 36 000 Mitarbeitern in 120 Firmen. Mit Ausnahme weniger Großkonzerne besteht die Branche vor allem aus Mittel ständlern mit 100 bis 500 Mitarbeitern. In
jüngster Zeit klagt die Branche zunehmend über Restriktionen durch verschiedene Ge sundheitsreformen – allen voran der 2010 beschlossene Preisstopp für Arzneimittel plus Zwangsrabatte, die die Hersteller den Krankenkassen gewähren müssen. Das Ziel der Maßnahmen ist, die Ausgaben für Arz neimittel in Grenzen zu halten. Laut Mayer sind diese Einschränkungen „auf Dauer aber nicht wirtschaftlich tragbar“. Als Fol ge der staatlichen Zwänge stagniere die Branche seit Jahren bei Umsatz und Be schäftigung. Zuwächse lassen sich nur noch im Ausland erwirtschaften, der Inlandsum satz ist in den vergangenen fünf Jahren um 25 Prozent zurückgegangen. Seit ein paar Jahren befindet sich die Pharmabranche im Umbruch, Schwellen länder weltweit gewinnen an Bedeutung. Die Beratungsgesellschaft KPMG prognos
tiziert, dass sich der Umsatzanteil von Län dern wie Brasilien, China, Indien oder Russland von 17 Prozent im Jahr 2010 auf 37 Prozent 2020 mehr als verdoppeln wird. Erschwerend kommt hinzu, dass zuletzt zahlreiche umsatzstarke Medikamente ihren Patentschutz verloren haben. Diese Lücke muss erst wieder gefüllt werden. Mayer erwartet, dass die unterschiedli chen Hemmnisse langfristig Jobs kosten werden, der Aderlass beim Personal werde zwischen einem halben und einem Prozent liegen, schätzt er. „Die Mittelständler wer den schrumpfen, bei Großunternehmen ist die Gefahr groß, dass sie abwandern.“ Ab hilfe könnte ein Vorstoß von Landeswirt schaftsminister Nils Schmid schaffen, der Forschungsausgaben steuerlich fördern will. Allerdings: im Berliner Koalitionsver trag steht davon nichts.
Foto: dpa
un hat es also doch noch geklappt. Im zweiten Anlauf ist es dem US Pharmahändler McKesson gelun gen, sich Celesio einzuverleiben – gerade mal zehn Tage, nachdem die Amerikaner das Scheitern des Milliardengeschäfts ver meldet hatten. Der Übernahmekampf mit dem Hedgefonds Elliott in der Rolle des bö sen Buben war ein veritabler Wirtschafts krimi, dessen Handlung selbst Fachleute immer wieder überrascht hat. Nun ist zumindest in groben Zügen klar, wie es bei Celesio weitergehen wird – und die 39 000 Mitarbeiter des Stuttgarter Unternehmens können wieder ihrer Arbeit nachgehen, ohne sich ständig über neue Übernahmegerüchte Gedanken machen zu müssen. Es wird Zeit, dass wieder Ruhe einkehrt, denn seit dem Abgang des lang jährigen Chefs Fritz Oesterle im Jahr 2011 geht es bei dem Pharmahändler drunter und drüber: Töchter wurden verkauft, Vor stände wechselten fast im Monatsrhyth mus, Führungskräfte suchten das Weite. Die größte Aufmerksamkeit gilt nun den neuen Herren. Wird McKesson zum Bei spiel, wie von manchen Spekulanten er wartet, seinen Anteil weiter aufstocken und Celesio komplett von der Börse neh men? Klar ist, dass die Amerikaner nach weiteren Einsparmöglichkeiten bei Celesio suchen werden, um im harten Preiskampf zu bestehen. Dabei gibt es jedoch Grenzen. Schließlich sind die Stuttgarter kein Sanie rungsfall. Der Pharmahändler hat es trotz schwieriger Marktbedingungen geschafft, aus den roten Zahlen zu kommen und seine Gewinnmarge wieder auf das branchenüb liche Niveau zu hieven, das zugegebener maßen nicht sonderlich hoch ist. Es spricht aber auch mit Blick auf die Besonderheiten des Gesundheitsmarktes wenig dafür, dass die Amerikaner bei ihrer neuen Tochter zu einem massiven Kahl schlag ansetzen werden. Vor allem in Euro pa ist das Geschäft mit verschreibungs pflichtiger Arznei in vielen Ländern streng von der Politik reglementiert – teilweise bis hin zu den Preisen, zu denen Pharmapro duzenten ihre Arznei an den Großhandel verkaufen dürfen. Das setzt den möglichen Einsparungen durch größere Bestellvolu mina natürliche Grenzen. Hinzu kommen die großen nationalen Unterschiede auf der Vertriebsseite. So ist etwa der Betrieb eige ner Apothekenketten in Deutschland ver boten, aber in Großbritannien erlaubt.Und in den USA tickt der Markt ohnehin anders als in den meisten Ländern Europas. Eine zentrale Steuerung des Außendienstes er gibt da nicht viel Sinn. Aufgrund dieser Unterschiede sind die neuen Eigner auf Expertise vor Ort ange wiesen. Beruhigend dürfte in diesem Zu sammenhang auch ein Blick auf den Frank furter CelesioKonkurrenten Alliance Healthcare Deutschland sein. Der Händler, der einst Anzag hieß, gehört seit 2012 ganz zum britischen Konzern Alliance Boots und hat seither nicht mit radikalen Spar programmen von sich reden gemacht. Auch McKesson wäre gut beraten, nach der Durchsetzung eines Beherrschungsver trags auf der nächsten CelesioHauptver sammlung im Mai verantwortlich mit sei ner neuen Macht umzugehen. Eine Son derdividende, um den hohen Kaufpreis von insgesamt 6,2 Milliarden Euro schneller wieder hereinzuholen, wäre angesichts der überschaubaren Gewinnmargen im Phar magroßhandel keine gute Idee.
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