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Wirtschaft in Baden­Württemberg

Ausgabe 1 | 2014

Ein Gemeinschaftsprodukt der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten

Preis 3,20 Euro

Kommentar

Ende eines Wirtschaftskrimis

Standort Tuttlingen, das Mekka der Medizintechnik SEITE 5

Celesio Das Hin und Her ist vorbei. Die neuen Herren sollten ihre Macht dosiert einsetzen. Von Werner Ludwig

Managerrecht

N

Wofür Geschäftsführer einer GmbH haften SEITE 12

Frauenquote Warum Quotenfrau kein Schimpfwort ist SEITE 22

Alles so schön bunt hier – mit dieser Vielfalt könnte es am Pharmastandort Baden­Württemberg bald vorbei sein. Die Branche selbst sieht einige Hundert Jobs in Gefahr.

Bedrohter Wohlstand Baden­Württemberg ist bei Arzneimitteln europaweit führend. Die Branche klagt über Preisstopp und Zwangsrabatte. Schwellenländer holen auf. Der Mittelstand wird vermutlich schrumpfen. Von Peter Rost

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utos made in Baden­Württemberg sind weltweit gefragt. Pillen und Tinkturen ebenso – der Südwesten ist der größte Pharmastandort in Deutsch­ land und exportiert über 70 Prozent seiner Erzeugnisse. Künftig wird die Branche aber Jobs verlieren, fürchten Experten. Boeh­ ringer Ingelheim, Ratiopharm, Weleda – so heißen nur einige der bekanntesten Unter­ nehmen. „Das Pharmaland Baden­Würt­ temberg hat europaweit einen guten Klang“, sagt Thomas Mayer, Hauptge­ schäftsführer der Chemieverbände Baden­ Württemberg, die auch die Pharmaindust­ rie vertreten. Die Branche im Südwesten erwirtschaftet 8,5 Milliarden Euro Umsatz mit 36 000 Mitarbeitern in 120 Firmen. Mit Ausnahme weniger Großkonzerne besteht die Branche vor allem aus Mittel­ ständlern mit 100 bis 500 Mitarbeitern. In

jüngster Zeit klagt die Branche zunehmend über Restriktionen durch verschiedene Ge­ sundheitsreformen – allen voran der 2010 beschlossene Preisstopp für Arzneimittel plus Zwangsrabatte, die die Hersteller den Krankenkassen gewähren müssen. Das Ziel der Maßnahmen ist, die Ausgaben für Arz­ neimittel in Grenzen zu halten. Laut Mayer sind diese Einschränkungen „auf Dauer aber nicht wirtschaftlich tragbar“. Als Fol­ ge der staatlichen Zwänge stagniere die Branche seit Jahren bei Umsatz und Be­ schäftigung. Zuwächse lassen sich nur noch im Ausland erwirtschaften, der Inlandsum­ satz ist in den vergangenen fünf Jahren um 25 Prozent zurückgegangen. Seit ein paar Jahren befindet sich die Pharmabranche im Umbruch, Schwellen­ länder weltweit gewinnen an Bedeutung. Die Beratungsgesellschaft KPMG prognos­

tiziert, dass sich der Umsatzanteil von Län­ dern wie Brasilien, China, Indien oder Russland von 17 Prozent im Jahr 2010 auf 37 Prozent 2020 mehr als verdoppeln wird. Erschwerend kommt hinzu, dass zuletzt zahlreiche umsatzstarke Medikamente ihren Patentschutz verloren haben. Diese Lücke muss erst wieder gefüllt werden. Mayer erwartet, dass die unterschiedli­ chen Hemmnisse langfristig Jobs kosten werden, der Aderlass beim Personal werde zwischen einem halben und einem Prozent liegen, schätzt er. „Die Mittelständler wer­ den schrumpfen, bei Großunternehmen ist die Gefahr groß, dass sie abwandern.“ Ab­ hilfe könnte ein Vorstoß von Landeswirt­ schaftsminister Nils Schmid schaffen, der Forschungsausgaben steuerlich fördern will. Allerdings: im Berliner Koalitionsver­ trag steht davon nichts.

Foto: dpa

un hat es also doch noch geklappt. Im zweiten Anlauf ist es dem US­ Pharmahändler McKesson gelun­ gen, sich Celesio einzuverleiben – gerade mal zehn Tage, nachdem die Amerikaner das Scheitern des Milliardengeschäfts ver­ meldet hatten. Der Übernahmekampf mit dem Hedgefonds Elliott in der Rolle des bö­ sen Buben war ein veritabler Wirtschafts­ krimi, dessen Handlung selbst Fachleute immer wieder überrascht hat. Nun ist zumindest in groben Zügen klar, wie es bei Celesio weitergehen wird – und die 39 000 Mitarbeiter des Stuttgarter Unternehmens können wieder ihrer Arbeit nachgehen, ohne sich ständig über neue Übernahmegerüchte Gedanken machen zu müssen. Es wird Zeit, dass wieder Ruhe einkehrt, denn seit dem Abgang des lang­ jährigen Chefs Fritz Oesterle im Jahr 2011 geht es bei dem Pharmahändler drunter und drüber: Töchter wurden verkauft, Vor­ stände wechselten fast im Monatsrhyth­ mus, Führungskräfte suchten das Weite. Die größte Aufmerksamkeit gilt nun den neuen Herren. Wird McKesson zum Bei­ spiel, wie von manchen Spekulanten er­ wartet, seinen Anteil weiter aufstocken und Celesio komplett von der Börse neh­ men? Klar ist, dass die Amerikaner nach weiteren Einsparmöglichkeiten bei Celesio suchen werden, um im harten Preiskampf zu bestehen. Dabei gibt es jedoch Grenzen. Schließlich sind die Stuttgarter kein Sanie­ rungsfall. Der Pharmahändler hat es trotz schwieriger Marktbedingungen geschafft, aus den roten Zahlen zu kommen und seine Gewinnmarge wieder auf das branchenüb­ liche Niveau zu hieven, das zugegebener­ maßen nicht sonderlich hoch ist. Es spricht aber auch mit Blick auf die Besonderheiten des Gesundheitsmarktes wenig dafür, dass die Amerikaner bei ihrer neuen Tochter zu einem massiven Kahl­ schlag ansetzen werden. Vor allem in Euro­ pa ist das Geschäft mit verschreibungs­ pflichtiger Arznei in vielen Ländern streng von der Politik reglementiert – teilweise bis hin zu den Preisen, zu denen Pharmapro­ duzenten ihre Arznei an den Großhandel verkaufen dürfen. Das setzt den möglichen Einsparungen durch größere Bestellvolu­ mina natürliche Grenzen. Hinzu kommen die großen nationalen Unterschiede auf der Vertriebsseite. So ist etwa der Betrieb eige­ ner Apothekenketten in Deutschland ver­ boten, aber in Großbritannien erlaubt.Und in den USA tickt der Markt ohnehin anders als in den meisten Ländern Europas. Eine zentrale Steuerung des Außendienstes er­ gibt da nicht viel Sinn. Aufgrund dieser Unterschiede sind die neuen Eigner auf Expertise vor Ort ange­ wiesen. Beruhigend dürfte in diesem Zu­ sammenhang auch ein Blick auf den Frank­ furter Celesio­Konkurrenten Alliance Healthcare Deutschland sein. Der Händler, der einst Anzag hieß, gehört seit 2012 ganz zum britischen Konzern Alliance Boots und hat seither nicht mit radikalen Spar­ programmen von sich reden gemacht. Auch McKesson wäre gut beraten, nach der Durchsetzung eines Beherrschungsver­ trags auf der nächsten Celesio­Hauptver­ sammlung im Mai verantwortlich mit sei­ ner neuen Macht umzugehen. Eine Son­ derdividende, um den hohen Kaufpreis von insgesamt 6,2 Milliarden Euro schneller wieder hereinzuholen, wäre angesichts der überschaubaren Gewinnmargen im Phar­ magroßhandel keine gute Idee.

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2 Karriere

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Karriere 3

Wirtschaft in Baden­Württemberg Samstag, 3. Mai 2014 | Nr. 1

Elektro­ und Informationstechnik Ein Beruf, der fast überall gebraucht wird, wo Strom und Daten fließen

Fast 106 000 Studenten haben sich zum Wintersemester 2013/2014 für Ingenieur­ wissenschaften eingeschrieben. Davon ent­ schieden sich knapp 19 000 – darunter etwa 2500 Frauen – für den Fachbereich Elektro­ technik. Der Frauenanteil lag bei etwa drei­ zehn Prozent. Diese Zahlen meldet das Sta­ tistische Bundesamt. Die meisten der Bachelor­Erstsemester sind Abiturienten oder Fachhochschulabsolventen. Es gibt aber auch staatlich geprüfte Meister und Techniker der Elektrotechnik, die mit einem Studium ihre theoretischen Kenntnisse noch vertiefen oder sich spezialisieren wol­ len. „Das ist aber nur ein ganz kleiner Teil“, erklärt Jutta Dietrich, Beraterin für Abitu­ rienten und Studienanfänger bei der Agen­ tur für Arbeit. Gut 1600 Studenten sind an der Uni Stuttgart für Elektro­ und Informa­ tionstechnik eingeschrieben. 300 Studie­ rende sind es an der Dualen Hochschule in Stuttgart. An der Fachhochschule Esslingen, Standort Göppingen, sind mehr als 800 jun­ ge Menschen der Fakultät Mechatronik und Elektrotechnik zugeordnet – darunter gut 40 Prozent dem Fach Elektrotechnik. nim

Die Zukunftsgestalter der Universität ist theorielastiger, geht mehr in die Tiefe. Das an der Fachhoch­ schule, die mittlerweile Hochschule heißt, oder an der Berufsakademie, die sich nun­ mehr Duale Hochschule nennt, ist anwen­ dungsbezogener. Seegers hat beobachtet: „Die Absolventen der Hochschulen arbei­ lität und Energieeffizienz sind gute Bei­ ten in der Regel in der Industrie, die Absol­ spiele. Fachleute in diesen Bereichen sind venten von der Uni zielen hingegen eher gefragter denn je. „Die Arbeitsmarktsitua­ auf einen Beruf in der Forschung, Entwick­ tion ist so gut wie nie zuvor. Absolventen lung oder Lehre ab.“ Demjenigen, der das Studium durch­ finden gewöhnlich sofort einen Job“, sagt Heinz­Wilhelm Seegers, Berufsberater bei zieht, winkt indes ein attraktiver Job – und ein hohes Einstiegsgehalt. Ein Berufsein­ der Arbeitsagentur in Stuttgart. Dass die Chancen so gut sind, liegt auch steiger verdient im bundesweiten Durch­ an einer Besonderheit der Ausbildung: Sie schnitt 45 000 Euro pro Jahr, in Baden­ zieht wegen der hervorragenden Aussich­ Württemberg sind auch 5000 Euro mehr ten viele junge Menschen an – und sorgt drin. Wer aufsteigt und Personalverant­ bei enorm vielen für eine große Enttäu­ wortung übernimmt, kann durchaus auch schung. Denn das Studium verlangt den auf 100 000 Euro kommen. 2012 gab es in Deutschland 12 600 angehenden Ingenieuren eine Menge ab – und das nicht nur in zeitlicher Hinsicht. Elektrotechnik­Absolventen. Darunter wa­ ren 1100 Frauen – ein neuer Höhere Mathematik bleibt Bestwert. „Wir sind keine rei­ für viele unverständlich; und „Viele stolpern ne Männerdomäne mehr“, selbst diejenigen, denen es ge­ mit einer sagt Rieger vom ZVEI, „wir lingt, die Gedankengänge erschreckenden wünschen uns aber noch nachzuvollziehen, leiden mehr Frauen.“ Und qualifi­ unter den abstrakten Lehrin­ Naivität zierte Kräfte allgemein. halten der ersten Semester. in ein Studium.“ Der Bedarf der Industrie Rund jeder zweite Student Jörg Schulze, Uni Stuttgart, bricht ab – und fehlt dem Institut für Halbleitertechnik ist so groß, dass bereits der Ba­ chelor reicht, um in Unter­ Arbeitsmarkt. Dass zu den nehmen unterkommen. „Viele Abbrechern auch diejenigen gezählt werden, die lediglich die Fachrich­ Unternehmen achten nicht mehr nur auf tung wechseln, lindert den Mangel etwas, den Abschluss, sondern auf Persönlichkeit ändert aber nichts daran, dass trotz stei­ und Soft Skills“, erklärt Seegers. „Den Da­ gender Absolventenzahlen immer mehr niel Düsentrieb, der alles alleine entwi­ ckelt, gibt es nicht mehr. Elektroingenieure Elektroingenieure fehlen. Hilfreich für den Kampf gegen den Inge­ sollten Teamplayer sein“, sagt Rieger. Um nieurmangel ist der Umstand, dass es für in eine Führungsposition, in die Unterneh­ den Beruf ein sehr breites Ausbildungsan­ mensberatung, in die Forschung oder die gebot gibt. Sowohl Universitäten als auch Lehre an der Uni gehen zu können, reicht Hochschulen und die Duale Hochschule ein Bachelor­Studium indes nicht aus. bieten entsprechende Studiengänge an – „Wer weit springen will, muss einen größe­ und die unterscheiden sich durchaus. Ein ren Anlauf nehmen“, sagt Seegers. Und das wesentlicher Unterschied: das Studium an Master­Studium dranhängen.

Energieeffizienz, Elektromobilität und Energiewende – Ingenieure, die an diesen Themen arbeiten, werden die Zukunft prägen. Entsprechend gut sind die Jobchancen. Von Nils Mayer Breites Spektrum

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ossile Brennstoffe werden rar. Das Thema Elektromobilität wird deshalb immer wichtiger. Bis 2020 sollen nach dem Wunsch der Bundesregierung mindestens eine Million Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb über deutsche Straßen rollen. Noch ist deren Reichweite allerdings ge­ ring, deren Preis verhältnismäßig hoch. Elektroingenieure konstruieren und opti­ mieren deshalb nicht nur seit Jahren effizi­ entere Elektromotoren, sie tüfteln zudem an Energiespeichern wie Batterien. Die umweltfreundliche, schadstoffarme Fortbewegung ist aber nur ein Bereich der zahlreichen Beschäftigungsfelder, in denen Ingenieure der Elektro­ und Informations­ technik arbeiten können. Je nach Speziali­ sierung befassen sie sich mit elektrischen und elektronischen Geräten, Anlagen und Systemen sowie mit dem Betrieb und Ma­ nagement von Übertragungssystemen und Kommunikationsnetzen. „Elektroinge­ nieure sind das Herz der Industrie“, sagt Marius Rieger, Referent für Bildungspoli­ tik beim Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie (ZVEI). Oder wie es der Studiendekan der Elektro­ und In­ formationstechnik an der Universität Stuttgart, Jörg Schulze, formuliert: „Was der Blutkreislauf für den menschlichen Or­ ganismus ist, ist die Elektrotechnik für die Wirtschaft.“ Elektroingenieure sind am Puls der Technologie, sie gestalten die Zukunft der Industrie und letztlich auch die des Ver­ brauchers. „Die Elektroindustrie ist in einer ständigen Entwicklung“, sagt Rieger. Die Themen Energiewende, Elektromobi­

E­Mobilität und Stromversorgung sind neue Jobmotoren Die Beschäftigungsfelder für Elektroingenieure sind vielfältig. Beson­ ders gefragt in der Industrie sind Elektrotechniker, die sich auf nach­ haltige elektrische Energieversor­ gung und Elektromobilität speziali­ siert haben. So bietet die Leistungs­ elektronik, die die Kapazität der Bat­ terie möglichst lange erhalten und deren Möglichkeiten voll ausschöp­ fen soll, attraktive Arbeitsplätze. Wichtig ist hier wie bei anderen Tä­ tigkeitsfeldern aber die Zusammen­ arbeit über einzelne Disziplinen hin­ weg. So spielen bei der E­Batterie auch Elektrochemiker eine wichtige Rolle. Auch in der Automatisie­ rungstechnik ist der Bedarf groß. „Es gibt ein Riesenspektrum an Jobs“, sagt Heinz Wilhelm Seegers, Berufs­ berater bei der Agentur für Arbeit in Ingenieure gestalten die Energiewende. Stuttgart. Schwerpunkte können sein: Mess­, Steuer und Regeltechnik; Konstruktion, Automatisie­ rungstechnik, wissenschaftliche Forschung, Medizintechnik, Quali­ tätsmanagement; Projektmanagement, Produktionsplanung und ­steuerung, Service und Inbetriebnahme, technischer Vertrieb, Sach­ verständigentätigkeit, Optoelektronik und Mechatronik. Potenzielle Arbeitgeber aus der Industrie in Stuttgart und der Region sind Bosch, Daimler, EnBW, Festo, Porsche, Trumpf, Kärcher und Bertrandt. 2088 Ingenieure der Elektrotechnik waren zum Stichtag 28. Februar 2014 bei den Arbeitsagenturen als arbeitslos gemeldet gewesen – und da­ mit weniger, als es offene Stellen gibt: Am selben Stichtag waren 2146 Stellen für Elektrotechnikingenieure offen. Die genannten Zah­ len geben allerdings nur teilweise Einblick in die Lage auf dem Arbeitsmarkt, da viele Stellen ohne die Arbeitsagenturen gesucht und besetzt werden. nim

Noch ist der Frauenanteil sehr gering

Foto: dpa

DIE SCHERE ÖFFNET SICH Elektroingenieure in Baden-Württemberg Angaben in Tausend Fachkräfteangebot Nachfrage

58,2

58,1 58

Studienabbrüche verengen Jobmarkt

54

50

50,9

48,0 47,2

46 45,8

Bei den Einkommen gibt es kaum eine Obergrenze Ein Berufseinsteiger verdient im bundeswei­ ten Durchschnitt im Jahr 45 000 Euro, in der Region liegt das Einstiegsgehalt angesichts des engen Arbeitsmarkts häufig bei 50 000 Euro. Das Gehalt eines Elektrotechnikers va­ riiert von Branche und zu Branche. In den ers­ ten fünf Jahren lassen sich durchaus weitere 10 000 Euro erzielen, danach entscheidet vor allem der Karriereweg über die Vergü­ tung. Ein Elektroingenieur in leitender Funk­ tion mit langjähriger Berufserfahrung und Personalverantwortung kann durchaus 100 000 Euro und mehr verdienen, also mehr als das Doppelte als beim Berufseinstieg. Inge­ nieure mit Universitätsabschluss verdienen im Schnitt sechs Prozent mehr als Ingenieure mit Fachhochschulabschluss. Ingenieure mit Promotion erhalten nochmals rund 19 Pro­ zent mehr als andere Ingenieure von der Uni­ versität. nim

42 2005 Infografik: zap

2008

2010

2012

2014

Quelle: Ingenieurkammer Baden-Württemberg

Im Studium Eigenbrötler, im Beruf Teamplayer Der 36­jährige Gerhard Schimmer hat nach der Ausbildung einen Praxisschock erlebt, der ihm gut tat. Von Andrea Wyrwoll Porträt

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erhard Schimmer steht gern früh Windräder. Dass sich meine Ideen in all auf, denn dann kann er am besten diesen Geräten wiederfinden, ist schon umsetzen, was ihm in den Stunden sehr befriedigend.“ Doch sind Motoren davor so eingefallen ist. Schimmer arbeitet nicht irgendwann so weit entwickelt, dass beim Elektronikhersteller N, der für in­ es nichts mehr zu verbessern gibt? Schim­ dustrielle Abnehmer unter anderem Elekt­ mer lacht: „Das hatte ich anfangs auch ge­ romotoren herstellt. „Wenn ich an einer dacht. Doch es gibt immer wieder neue An­ wendungen, die neue Anfor­ Stelle nicht mehr weiterkom­ derungen stellen. Haben wir me, höre ich auf und mache et­ „Meine Ideen diese Anforderungen erfüllt, was ganz Anderes“, sagt der finden sich in 36­jährige Elektroingenieur. Millionen Motoren lassen sich damit auch die al­ ten Produkte optimieren.“ „Nach ein paar Stunden kommt mir meist ganz von wieder – das ist Das perpetuum mobile der selbst eine Idee, wie man das sehr befriedigend.“ Produktoptimierung. Problem angehen könnte.“ Schimmer studierte in Gerhard Schimmer über Stuttgart Ingenieurwissen­ Tagein, tagaus beschäftigt den Reiz seines Berufs er sich mit der Frage, wie schaften mit Schwerpunkt Elektromotoren optimiert Elektrotechnik. „Elektrik werden können. Klingt nicht gerade span­ wird überall gebraucht“, begründet er die nend – doch Schimmers Augen leuchten, Wahl seiner Ausbildung. Diese Wahl hat er wenn er seine Aufgaben beschreibt. „Wir nicht bereut. „Schon vor dem Studienab­ bauen jedes Jahr Millionen Elektromoto­ schluss bekam ich Angebote, zum Beispiel ren – für Scheibenwischer ebenso wie für auf Jobmessen an der Uni.“ Auch wenn er Klimaanlagen, Dunstabzugshauben oder sich in seinem Job wohlfühlt – der Praxis­

Der 36­jährige Elektroingenieur Gerhard Schimmer arbeitet als Projektmanager. Wenn er sich nicht gerade mit seinem Team bespricht, optimiert er Motoren und Schaltkreise. Foto: Kurt Fuchs schock war schmerzhaft. „Im Studium ist man doch sehr auf sich selbst gestellt, in der Praxis läuft ohne eine enge Zusammen­ arbeit mit den Kollegen gar nichts.“ Erst recht nicht jetzt, da er zum Projektinge­ nieur befördert wurde und ständig neue Teams führen muss. „Jeder Ingenieur hat einen anderen Blick auf das Produkt, und jeder muss sich ermutigt fühlen, seine Sichtweise einzu­ bringen.“ Gleichzeitig sei aber auch klar, dass sich nicht alle Ideen im Endprodukt wiederfinden können. „Das erfordert schon viel Fingerspitzengefühl, das man im Studium nicht unbedingt erlernt.“

Auch die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen ist eine Herausforderung. „Wenn der Projektcontroller mahnend den Zeigefinger hebt, fühlt sich manch ein In­ genieur in seiner Arbeit geringgeschätzt“, berichtet Schimmer. „Doch heute müssen die Produkte eben nicht nur gut sein, son­ dern auch im Preiswettbewerb bestehen.“ Auch mit der Marketingabteilung muss man eng zusammenarbeiten. „Marketing­ leute ticken völlig anders als Ingenieure“, sagt Schimmer. Das sei dann schon eine Herausforderung. Das gelte aber nicht nur für ihn. „Für Marketingleute ist das ver­ mutlich noch eine größere Überwindung.“

...KUNDENBEZIEHUNGEN GESTALTEN.

MIT LEIDENSCHAFT NACHHALTIGE...

Fast jeder zweite Elektroingenieur­Student bricht sein Studium ab – das verschärft den gravierenden Mangel an Fachkräften. In den meisten Fällen scheiterten sie bereits im ers­ ten oder zweiten Semester an der Disziplin Höhere Mathematik. An den Universitäten haben einige auch Probleme, sich selbst zu organisieren. „Jeder musste mit einer bluti­ gen Nase lernen, dass die Freiheit an der Uni­ versität nicht bedeutet, frei entscheiden zu können, ob man die Vorlesungen besucht oder nicht“, sagt Jörg Schulze, Studiendekan Elektro­ und Informationstechnik an der Uni Stuttgart. Unter den Studienabbrechern sind aber auch junge Menschen, die die Inge­ nieurwissenschaft wechseln – zum Beispiel in den Bereich Maschinenbau. nim

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Wir Wirtschaft

SAMSTAG 3. Mai 2014

in Baden­Württemberg

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„Wir finden hier exzellente Leute“ Kärcher­Vorstandschef Hartmut Jenner setzt auf den Standort Deutschland, ohne das Ausland zu vernachlässigen. Interview

B

ei dem Reinigungsgeräteherstel­ ler Kärcher aus Winnenden ist vieles anders als bei anderen Unternehmen. Das Familien­ unternehmen, das nicht dem Arbeitgeberverband angehört, hat zum Beispiel in der Krise 2009 auf Kurzarbeit verzichtet und noch Mitarbeiter einge­ stellt. Welchen Anteil die „Kärcher­Kultur“ an dem Erfolg hat, erläutert Vorstandschef Hartmut Jenner im Interview. Herr Jenner, Kärcher gewinnt insbesondere seit 2009, dem Höhepunkt der schwersten Krise seit dem Krieg, Marktanteile. Was ha­ ben Sie da gemacht? Wir haben in der Krise keine Kurzarbeit eingeführt, sondern unsere Mitarbeiter so­ gar mit Bussen in die Werke gefahren, in denen es Arbeit gab. Von Kurzarbeit sind meistens die Mitarbeiter am Band betrof­ fen – ausgerechnet diejenigen, die am we­ nigsten Geld haben. Wenn diese Beschäf­ tigten bei Kurzarbeit nur 60 oder 67 Pro­ zent bekommen, dann wäre das aus meiner Sicht nicht sozial. Wir haben in der Summe auf einige Millionen Euro im Betriebs­ ergebnis verzichtet, mit dem Ergebnis aber, dass wir sehr motivierte Leute hatten. Wir haben 2009 sogar noch Mitarbeiter einge­ stellt, weil gute Leute da sehr gerne bereit waren, zu einem erfolgreichen Unterneh­ men zu wechseln. Sie machen 85 Prozent des Umsatzes im Aus­ land, investieren aber trotzdem kräftig im Inland. Weshalb? Wir haben in Deutschland gute Rahmenbe­ dingungen, und wir finden hier exzellente Mitarbeiter, die gut ausgebildet, fleißig und bodenständig sind. Viele schätzen unser Bildungs­ niveau in Deutschland falsch ein. Auch und gerade die duale Ausbildung sucht weltweit ihresgleichen. Auf meinen vie­ len Dienstreisen im Ausland erlebe ich immer wieder, dass „Hier sind die Fach­ und Sachbearbeiter feh­ Menschen für das len, die so gründlich und um­ Unternehmen da, fassend ausgebildet sind wie in Deutschland. engagieren sich,

fühlen sich wohl.“

Trotz eines Bekenntnisses zum Standort sagen viele Unterneh­ men mit hohem Auslandsan­ teil, dass nicht alles von Deutschland aus gemacht werden kann. Wer Erfolg haben will, muss die Produkte teilwei­ se auch vor Ort entwickeln. Sie machen das offenbar anders. Nein, wir machen es genauso. Wir haben Entwicklungsaktivitäten in den USA, unse­ rem größten Markt, in Brasilien, in China, in Italien, in Rumänien. Ein deutscher In­ genieur kann nicht alle Bedürfnisse etwa unserer chinesischen Kunden kennen. Aber wir haben entschieden, die Zentral­

Firmenchef Hartmut Jenner über die „Kärcher­Kultur“

entwicklung und die Grundlagenforschung hier vor Ort zu machen. Insgesamt haben wir etwa 700 Mitarbeiter in der Entwick­ lung und davon sind 450 in Winnenden. Nur 15 Prozent des Umsatzes steuert Deutschland bei. Wie sieht es auf der Seite der Wertschöpfung aus? Bei der Wertschöpfung ist der Deutschland­ anteil deutlich höher, etwa bei 40 Prozent. Haben Sie Angst vor einem Betriebsrat mit einer starken IG Metall? Sie haben sich stets hinter Ihren Betriebsrat gestellt, in dem die IG Metall nicht vertreten ist und den das Arbeitsgericht Stuttgart durch ein Urteil aufgelöst hat. Ich habe überhaupt nichts gegen die IG Me­ tall. Hätte sie sich bei den letzten Betriebs­ ratswahlen dem demokratischen Votum der Mitarbeiter gestellt, dann wäre für alle Beteiligten alles in Ordnung. Aber sich jetzt, gegen Ende der Wahlperiode, mit for­ maljuristischen Tricks in das Unterneh­ men hineinzuklagen gegen den Willen des gewählten Betriebsrats, das ist einfach nicht korrekt. Im nächsten März sind wie­ der Wahlen, und dann sollen die Mitarbei­ ter entscheiden. Diese Entscheidung, die den tatsächlichen Willen der Beschäftigten und nicht den von außenstehenden Funk­ tionären widerspiegeln wird, werde ich selbstverständlich respektieren, ganz gleich, wie sie ausfällt. Warum sind Sie nicht im Arbeitgeberver­ band? So wie der Betriebsrat sich nicht gewerk­ schaftlich organisiert hat, so haben sich auch Gesellschafter und Geschäftsführung entschlossen, nicht dem Arbeitgeberver­ band beizutreten. Es ist schon immer Teil unserer Unternehmenskultur gewesen, unabhängig zu sein. 97 Prozent der Be­ schäftigten fühlen sich nach einer anony­ men Umfrage im Unternehmen äußerst wohl, sind sehr zufrieden damit, wie es hier läuft. Nebenbei gesagt: auch der Betriebs­ rat hat eine sehr hohe Zustimmung erhal­ ten. Warum sollten wir da Mitglied im Arbeitgeberverband werden? Wir über­ nehmen nicht den Tarifvertrag, aber wir lehnen uns daran an. Wir haben übrigens zuletzt deutlich mehr gezahlt, als der Tarif­ vertrag vorgesehen hat, weil wir das für zu niedrig gehalten haben. Im Durchschnitt war das ein Aufschlag von 0,5 Prozent.

Jenner legt Wert auf Unabhängigkeit und will deshalb nicht Mitglied im Arbeitgeberverband sein. Fotos: Gottfried Stoppel

DAS EXPANSIONSTEMPO NIMMT SOGAR NOCH ZU

Welche Rolle spielt die „Kärcher­Kultur“ für Sie, was verstehen Sie darunter? Das ist die Kultur eines Familienunterneh­ mens, der Umgang miteinander. Hier sind die Menschen für das Unternehmen da, en­ gagieren sich, fühlen sich wohl. Und das Unternehmen ist für die Menschen da. Wir sind greifbar, die Hierarchie spielt keine gro­ ße Rolle.

Mitarbeiter Kärcher hat ganz offensichtlich keine Probleme, Mitarbeiter zu finden. Dazu trage auch die inzwischen bei sieben Prozent der Beschäftig­ ten liegende Ausbildungsquo­ te bei, sagt Unternehmens­ chef Hartmut Jenner. Zudem habe im Schnitt jeder Mit­ arbeiter im Jahr 3,8 Tage für seine Weiterbildung zur Ver­ fügung . Die Fluktuation unter den Mitarbeitern liegt bei we­ niger als zwei Prozent im Jahr.

Das Gespräch führten Joachim Dorfs, Michael Heller und Ulrich Schreyer.

Personalplanung Das Unter­ nehmen will die Zahl seiner

Mitarbeiter weiter erhöhen. Allein in Deutschland würden mindestens 200 neue Stellen geschaffen, sagt Jenner. Be­ reits im vergangenen Jahr war die Zahl der Mitarbeiter um etwa 1000 Beschäftigte er­ höht worden. Aktuell beschäf­ tigt der Reinigungsgeräteher­ steller weltweit 10 700 Mit­ arbeiter, davon etwa 40 Pro­ zent in Deutschland. Expansion Die steigende Zahl der Beschäftigten soll Kärcher helfen, das angestrebte Wachstum zu realisieren. Für

das laufende Jahr 2014 wird ein Wachstum von mehr als 6,5 Prozent angepeilt. Damit würde das Tempo gegenüber dem Vorjahr leicht steigen. 2013 weitete Kärcher den Umsatz bereits um 6,5 Pro­ zent auf etwas mehr als zwei Milliarden Euro aus. Märkte Wie im Vorjahr wer­ den nach Jenners Meinung 2014 Nordamerika, Zentral­ europa (mit Deutschland) und Osteuropa die Wachstums­ treiber sein. Nordamerika ist der größte Einzelmarkt. red

MIT LEIDENSCHAFT NACHHALTIGE KUNDENBEZIEHUNGEN GESTALTEN.


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