Bayernkurier Nr. 22 | 1. Juni 2013
BLICKPUNKT
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Los von Rom? In der Schuldenkrise stellt Italien das Autonomiestatut Südtirols in Frage – Eine politische Lageanalyse von Reinhard Olt Bozen – Die Entwicklung, welche der von Italien nach dem Ersten Weltkrieg annektierte Südteil Tirols bis heute genommen hat, ist eine Erfolgsgeschichte. Dennoch ist einiges in den Blick zu nehmen, was bisweilen ausgeblendet wird, weil es stört, weil es am schönen Bild Kratzer hinterlässt. „Es gärt in Südtirol“ war vergangenen Oktober ein Artikel in dem in Bozen erscheinenden Wochenmagazin „ff“ betitelt, der kaleidoskopartig das Presseecho über Vorgänge zusammenfasste und über die Grenzen des Landes hinaus Aufmerksamkeit weckte.
Indes „feiert“ die SVP ihren Sieg auf dünnem Eis. Denn bei römischen Parlamentswahlen zünden Geschlossenheitsparolen – der „Feind“ im Süden, der kalte Wind aus Rom – noch immer. Bei der Landtagswahl im Herbst zählt dies weniger. Dann dürften die Defizite der SVP, vor allem die personellen, zum Tragen kommen: Sie ist ausgelaugt, führungsschwach, von Flügelkämpfen durchgeschüttelt und durch Skandale angeschlagen. Derlei hat es unter Silvius Magnago, dem „Vater der Autonomie“, nie gegeben. Die Betrugsaffäre rund um die Landesenergiegesellschaft SEL belastet Landeshauptmann Durnwalder, den mächtigsten Mann in der Partei, ohne den in der Südtiroler Politik seit 1989 nichts lief. Er tritt indes mit Ende der Legislaturperiode ab, weshalb die Parteibasis am 21. April im Blick auf die Landtagswahl den Spitzenkandidaten für die Nachfolge bestimmte – wobei sich Parteichef Richard Theiner zuvor selbst aus dem Rennen genommen hatte. Es siegte der weithin unbekannte Arno Kompatscher, Bürgermeister der Gemeinde Völs am Schlern.
Was hat dazu geführt, dass Südtirol, um das es jahrelang eher still war, plötzlich ein politisch-publizistisches Echo hervorruft, das nahezu an jenes „Jetzt! Für mehr Freiheit und Unabhängigkeit“: Südtiroler Schützen rufen zum festlich-fröhlichen Unabhängigkeitstag in Meran. Bild: Südtiroler Schützenbund des „Ötzi“-Fundes heranreicht? Nun, es ist die Staatsschulden- en ein, die ihr früher nicht in den man dem, was sich aus dem viel- Monti getroffen und womit er im Außenverhältnis völkerrechtkrise in der EU und in Italien, Sinn gekommen wären. Und fältigen Stimmen- und Zahlen- die fortdauernde Denkungsart liche Verträge ein – und die SVP welche unterm Brenner eine die geeignet sind, den Opposi- gewirr herausdestillieren lässt, so der politischen Klasse Italiens nehme dies hin, schickt sich die Diskussion darüber an Breite tionsparteien und deren Begehr verlöre Südtirol, wenn alle Vor- in Kategorien der „Italianità“ Partei Süd-Tiroler Freiheit an, im gewinnen lässt, ob der südliche weiteren Zulauf zu garantieren. gaben Montis blieben und die unterstrichen hatte, wonach es Herbst ein „SelbstbestimmungsLandesteil Tirols im Stiefelstaat Dieser Zulauf wird seit einem Rekurse Bozens bei der Höchst- bezüglich der Südtirol-Autono- Referendum“ zu organisieren. verbleiben oder seine Zukunft Skandal im Landesenergiever- gerichtsbarkeit Italiens nicht den mie um „inneritalienische Pro- Einen Probelauf hat sie bereits anderswo suchen sollte. Gänz- sorger SEL AG befördert, dessen erhofften Zweck erreichten, in bleme“ gehe, die Respektierung in der 6000-Seelen-Gemeinde lich neu war dies nicht. Schon personelle Verflechtungen mit zwei Jahren mehr als eine halbe einer internationalen vertrag- Ahrntal initiiert. Dabei sprachen zweimal, im Zuge der Wiederver- ihr der SVP schaden. In der Zu- Milliarde Euro, zehn Prozent sei- lichen Verpflichtung Italiens sich 95 Prozent derer, die daran einigung Deutschlands und bei kunftsfrage plädieren die Oppo- nes Haushaltsvolumens. Mithin infrage. Womit man wieder in teilgenommen hatten, für die Dies und vieles mehr hat das den Andreas-Hofer-Feiern 2009 sitionsparteien – Freiheitliche wird sich der Druck auf Bozen jene konfliktreiche Düsternis Einforderung und Anwendung Vertrauen in die Sammelpartei in Innsbruck, waren ernstzu- (fünf Sitze), Süd-Tiroler Freiheit eher erhöhen denn verringern. zurückblickt, die vor der italie- des Selbstbestimmungsrechts ziemlich erschüttert. Schließlich nehmende Debatten darüber in (zwei Sitze) und BürgerUnion Was Rom finanz- und steuerpo- nisch-österreichischen Streit- aus. Würden auch die beiden an- weigert sich die SVP, über politi(ein Sitz) – für einen litisch beschritten hat und wei- beilegung herrschte, als Rom die deren Oppositionsparteien an ei- sche Alternativen zur angeblich Gang gekommen, „Freistaat Südtirol“ ter beschreiten wird müssen, Südtirol-Problematik stets als nem landesweiten Referendum „weltbesten Autonomie“ auch ob die Südtiroler – Sollen die Südtiroler oder für „Rückkehr bedeutet den glatten Bruch von „inneritalienische Angelegen- mitwirken, insbesondere die nur nachzudenken und fühlt bei Wahrnehmung ihr Selbstbestimzum Vaterland Ös- Bestimmungen der Südtirol-Au- heit“ hinstellte, bis Giulio An- Freiheitlichen, die bei den jüngs- sich nach dem Parlamentswahldes Selbstbestimmungsrecht wahrParlamentsterreich“; jedenfalls tonomie sowie des „Mailänder dreotti dies mit seiner Note vom ten ergebnis darin geramungsrechts – danehmen? wahlen gegenüber verbindet sie trotz Abkommens“, das 2010 in Kraft April 1992 beendet hatte. dezu bestärkt. Trotz rüber befinden 2008 um 6,5 Punkte Nuancen in der po- trat und von Landeshauptmann deren von Rom aus können sollten, für Probelauf eines betriebener Ausihr Land nach einer Freistaats- litischen Betrachtung und gele- Luis Durnwalder, der es unter- Da mögen Durnwalder und SVP- auf knapp 16 ProSelbstbestimmungshöhlung – von Sillösung zu streben (und später) gentlicher Reibereien zwischen zeichnete, als „Garant der Fi- Chef Richard Theiner noch so sehr zent der Stimmen referendums vio Berlusconi über oder sogleich nach Österreich den maßgeblichen Personen das nanzsicherheit“ gerühmt wurde, betonen, Rom habe „die inter- zulegten, so könnte Mario Monti bis rückgegliedert und also mit des- „Los von Rom“. Verstärkt wor- weil der Provinz ohne den früher nationale Absicherung der Auto- sich wohl auch die Verhandlungsreigen nomie und damit die besondere SVP ohne gänzlichen Gesichts- zum Ex-Kommunisten Pier Luigi sen Bundesland Tirol zu verei- den ist dies Begehr durch die Po- üblichen 90 Prozent ihres gesamten Steu- Rolle Österreichs für Südtirol verlust nicht länger dem Selbst- Bersani ist stets die Rede davon, nigen sei. Die politischen Kräf- litik Mario Montis, die nach Jahrte, die in Bozen, Innsbruck und zehnten des „Dolce far niente“ er- und Abgabenaufkommens zu respektieren“; da mögen sie bestimmungsbegehr mit der den Provinzen und Regionen Wien das Sagen haben – der rö- versuchte, mittels eines ambiti- direkt verbleiben (sollten). Was den Standardsatz „Österreich ist Begründung entziehen, Voraus- mit Sonderstatut „(Autonomie-) mische Standpunkt war und ist onierten Spar-, aber auch deut- der Provinz Bozen-Südtirol auf- und bleibt unsere Schutzmacht“ setzung dafür sei, dass Rom völ- Privilegien“ zu nehmen – trägt ohnedies klar – antworten dar- lichen Steuererhöhungs- und gebürdet wird, verletzt auch ek- wie im Gebet wiederholen: Vie- kerrechtliche Verträge missach- sie die „Vollautonomie“ wie eine auf stets so: Mit der Erweiterung Abgabenpakets den Ruf Italiens latant das Autonomiestatut, wel- le Südtiroler werden sie damit te und zu seiner Durchsetzung Monstranz vor sich her. Und ihr der EU durch Mitgliedschaft Ös- wieder einigermaßen herzustel- ches eine völkerrechtlich bin- ebenso wenig besänftigen wie – nach positivem Ausgang – der Neu-Senator Francesco Palerterreichs (1995) und dem mittels len, dabei aber viele im Rahmen dende Verpflichtung Roms dar- sie ihre eigene Sorge darüber ver- Wille und die Kraft Österreichs, mo, den sich Theiner aufgrund Schengen-Regimes vollzogenen der mühsam erkämpften (Fi- stellt. Womit einst der Jahrzehnte gessen machen können, dass das des Vertragspartners Italiens, seines – in der SVP umstrittenen Verhalten Roms vonnöten sei. Beides ist nicht und mit dem Scheitern Bersanis Entfernen der Schlagbäume ver- nanz-) Autonomiebestimmun- währende Südtirolinsgesamt den Op- gar so irreal wie es noch schei- höchst fragwürdig gewordenen liere der Brenner seinen Charak- gen für Südtirol erwachsenen Konflikt im völkerBliebe es bei Roms Forpositionsparteien rechtlichen Sinne Vorteile infrage stellt und damit ter als „Unrechtsgrenze“. Damit nen mag. Denn wenn die SVP in – Wahlabkommens mit dem PD derungen, verlöre Süd Aufwind verschafft, diesem sich verstetigenden po- quasi wie eine Laus in den Pelz wachse wieder zusammen, was Buchstaben, Geist und Wert des gelöst wurde und tirol zehn Prozent seines die „Los-von-Rom- litischen Gärungsprozess nicht setzen ließ, bekundete, die Aueinst getrennt worden war, die gesamten Autonomiepakets und Italien Österreich Haushaltsvolumens Stimmung“ be- mehr zu bieten hätte als das, wo- tonomie sei vom „ethnischen Landeseinheit entstehe daher dessen völkerrechtliche Veran- als „Schutzmacht“ günstigt und die rauf sie sich kurzsichtigerweise Ballast zu befreien“. Solche Ausder Südtiroler angleichsam aus dem Prozess ihrer kerung ad absurdum führt. Selbstbestimmungsfrage auf- so versteift, nämlich die Prokla- sagen müssten eigentlich alle erkannt hatte. Europäisierung. Und anders als wirft. Hinter die Separations- und mation der „Vollautonomie“ wo- Warnlampen aufleuchten lassen. die Freistaats- und/oder Rück- Ungeniert griff Monti in die gliederungsgelüste äußernden Selbstverwaltungsrechte der Au- Just diese internationale Ver- Wiederangliederungsgelüste der mit sie zugleich eingesteht, dass Weit gefehlt. Stattdessen nimmt Oppositionsparteien sah (und tonomen Provinz Bozen-Südtirol pflichtung, die mit der Eingriffs- Oppositionskräfte in (Süd-)Ti- es sich im stets gepriesenen „Mo- die SVP offenbar auch ungerührt sieht) die seit 1945 regierende ein. Mit Dekreten und Erlässen möglichkeit Wiens – nach vor- rol und Österreich stellt sich ein dell Südtirol“ allenfalls um eine zur Kenntnis, dass Italien zu den SVP die Zukunft in der „Dyna- zwang er die Landesregierung ausgehender Anrufung durch großer Teil der – (partei)politisch Halb- oder Teilautonomie han- Fußkranken der EU gehört. Und zur finanziellen Alimentierung Bozen – verquickt ist, hatte Mon- formell neutralen – Schützen, delt –, so erlebt sie womöglich ihr Südtirol damit selbst Teil des Pilzmisierung der Autonomie“. dessen, was er zur Bewältigung ti gleich doppelt infrage gestellt. jener traditionsreichen Verbän- „blaues Wunder“. befalls ist. Wie es im nunmehr de, die in beiden Landesteilen Zum einen verstößt einseitiges großkoalitionär regierten Italien Gleichwohl hat die „Sammelpar- der Überschuldung Italiens und tei der deutsch- und ladinisch- der Sanierung des Staatsbudgets Vorgehen – nämlich finanz-, verankert sind und ihre Heimat- Daran ändert ihr passables Ab- unter Letta und Berlusconi weisprachigen Südtiroler“ merklich für notwendig erachtete. Seit sozial- und steuerrechtliche treue seit dem Maximilianischen schneiden in der Parlamentswahl tergeht, zeichnet sich schon ab: an Strahlkraft eingebüßt, und Jahren und Jahrzehnten schie- Bürden, welche Südtirol treffen, Landlibell von 1511, in welchem vom Februar wenig. Angesichts Bald wird wieder gewählt werden ihre Position im Südtiroler Land- ben Italiens Regierungen und ohne das Einvernehmen mit der die Freiheiten (der Stände) Ti- demoskopischer Vorwahlbe- müssen. Zwischen Brenner und tag ist seit der Landtagswahl Finanzminister – egal, welche dortigen Landesregierung ge- rols kodifiziert worden waren, funde, wonach sie auf 32 Pro- Salurner Klause wird derweil das 2008 geschwächt, wo sie nur Partei sie jeweils stellte – einen sucht zu haben, – klar gegen das mannigfach unter Beweis stell- zent abstürzen werde, kamen „Los von Rom“ stärker. mehr über 18 von 35 Sitzen ver- Schuldenberg vor sich her, der Statut, die Grundlage der Südti- ten. Unter anderem mit der Be- die von der SVP erzielten 44, 2 Der Autor war Korrespondent der Frankfügt. Mitunter lässt sie sich auf sich an 130 Prozent des Brutto- roler Selbstverwaltung. Zum an- gründung, Rom sei weder im Stimmenprozente einem „Wun- furter Allgemeinen Zeitung in Wien und ist Gastprofessor an der deutschsprachigen Händel mit italienischen Partei- inlandsprodukts bemisst. Folgt deren stellen Aussagen, wie sie Innern pakttreu, noch halte es der an Eisack und Etsch“ gleich. Andrássy-Universität in Budapest.