Ab 1395 ➣ Studium an KarlsUniversität in Prag. 14.09.1398 ➣ Baccalaureus der Freien Künste/zweitbestes Examen.
29. 08. 1410 ➣ H. verteidigt in Wien die Prager Universität und sich selbst gegen den Vorwurf der Häresie. 02. 09. 1410 ➣ H. wird verhört und drei Tage später, am 5. September, verlangt man seine Verhaftung, die aber nicht erfolgt.
1399 ➣ Für zwei Jahre von der Vorlesungspflicht befreit.
10. 09. 1410 ➣ H. flieht aus Wien.
März 1401 ➣ H. wieder in Prag.
März 1413 ➣ Aufenthalt in Polen, Litauen und Russland.
Hieronymus von Prag
Der Philosoph im Schatten von Jan Hus
22. 10. 1410 ➣ H. wird des Meineides für schuldig erklärt und Sommer 1399 ➣ Wahrscheinlich exkommuniziert. in Oxford. H. kopiert und studiert Schriften von John Wyclif. 12. 06. 1412 ➣ H. protestiert mit Jan Hus gegen den AblasshanFrühjahr 1410 ➣ Rede vor König del; er organisiert Protestzüge Sigismund über den Zustand der von Prager Studenten. Kirche. 1403 ➣ Möglicherweise Reise nach Jerusalem. 1404 ➣ Aufenthalt an der Universität Sorbonne in Paris. Mai 1404 ➣ Ablegung der Lizenziatsprüfung in Paris. Januar 1405 ➣ Bestellung zum Magister regens an der Pariser Universität.
04. 04. 1415 ➣ H. in Konstanz, um Jan Hus zu helfen: Er lässt Protesterklärungen gegen die Verhaftung von Hus anschlagen und verbreiten. 09. 04. 1415 ➣ H. bricht von Überlingen in Richtung Böhmen auf.
24. 04. 1415 ➣ Festnahme von H. 1406 ➣ Flucht von Paris nach im oberpfälzischen Sulzbach. Köln, weil der Universitätskanz- 23. 05. 1415 ➣ H. trifft in Ketten ler Jean Gerson H. zum Widerruf gelegt in Konstanz ein. einiger Thesen auffordert. 06. 07. 1415 ➣ Verurteilung und April 1406 ➣ Bestellung zum MaVerbrennung von Jan Hus. gister an der Kölner Universität. Nach Unstimmigkeiten verlässt 08. 09. 1415 ➣ H. wird in Kons tanz in der Kirche St. Paul H. heimlich die Stadt und ververhört. weilt kurz an der Heidelberger Universität. 23. 09. 1415 ➣ Verhör von H. im Konstanzer Münster. Abkehr Anfang 1407 ➣ Magister in Prag. von Jan Hus und John Wyclif. 1409 ➣ H. ist wesentlich am 23. und 26. 05. 1416 ➣ KehrtZustandekommen des Kuttenwende: H. bekennt sich wieder berger Dekrets beteiligt. zu Jan Hus und John Wyclif. Frühjahr 1410 ➣ H. protestiert in Prag gegen die Verbrennung von 30. 05. 1416 ➣ Verurteilung und Verbrennung von H. Büchern des John Wyclif.
Jürgen Hoeren • Winfried Humpert
um 1380 ➣ Geboren in Prag, wahrscheinlich in der Prager Neustadt.
Jürgen Hoeren • Winfried Humpert
Hieronymus von Prag
Der Philosoph im Schatten von Jan Hus Mit einer
Können Menschen wissen, was religiös wahr ist? Jahrhundertelang stand er im Schatten von Jan Hus: Hieronymus von Prag. Er ist der Philosoph unter den Theologen, er wagte es, die Menschen dazu anzustiften, selber zu denken, und ihnen etwa das Mysterium der Trinität begreifbar zu machen. Mit seinen brillanten Analysen und seiner scharfsinnigen Kritik an der kirch lichen Praxis der Zeit machte sich Hieronymus mehr als unbeliebt, was ihm 1416 – wie seinem Weggefähr ten Hus vor ihm – Verurteilung und Verbrennung auf dem Konstanzer Konzil einbrachte. Präzise wie sensi bel zeichnet der reich bebilderte Band die Lebens- und Wirkspuren des unbequemen Hieronymus nach, der als „Globetrotter“ Europa bereiste. Eindrücklich wird das Ungleichgewicht der Erinnerungskultur für Hus und Hieronymus ergründet, bevor letztlich die Aktualität gerade auch von Hieronymus gewürdigt wird. ISBN 978-3-87800-100-3
Hieronymus von Prag – Der Philosoph im Schatten von Jan Hus
Hieronymus von Prag – Stationen seines Lebens
Einführung von Eugen Drewermann
Inhalt
Inhalt „Wenn Menschen selber zu denken wagen …“
Hieronymus von Prag zum Gedenken – eine Analyse von Eugen Drewermann
4
Die Kirche ist eine „Räuberhöhle“ geworden
Hieronymus von Prag und seine Zeit
20
Provokateur und Prophet
Hieronymus und Jan Hus
26
Der Papst füllt seine Truhen
Die Bedeutung von John Wyclif für das Denken von Hieronymus
31
Die spektakuläre Verbrennung von Hieronymus fand ebenso große Aufmerksamkeit wie jene von Jan Hus.
41
Luther dachte wie die Hussiten
Das Gift philosophischer Neugier
Der reisende Scholar: Paris – Köln – Heidelberg
Hieronymus und die Reformation
Nominalisten contra Realisten
Das Kuttenberger Dekret und seine Folgen
45
Der Wiener Prozess
51 56
Gefangen in der Oberpfalz
59
Widerruf – Urteil – Verbrennung
Der Prozess gegen Hieronymus auf dem Konstanzer Konzil 64
100
Können Menschen wissen, was wahr ist?
Hieronymus bleibt aktuell
In Ketten von Sulzbach nach Konstanz
95
Polyglotter Globetrotter
Ungleichgewicht der Erinnerungskultur
Faszination der Orthodoxie
Von Prag nach Polen, Litauen und Russland
Rehabilitierung nach Jahrhunderten
Würdigung von Hieronymus in Konstanz
Heimliche Flucht und Exkommunikation
92
106
Anhang
Zum Weiterlesen: Literaturhinweise ∙ Endnoten ∙ Bildnachweis
108
Die Autoren
112
Es sollte mehr Licht und Friede sein
Bilderstürmer, Hussitenkriege, Böhmische Brüder
2
80
3
Inhalt
Inhalt „Wenn Menschen selber zu denken wagen …“
Hieronymus von Prag zum Gedenken – eine Analyse von Eugen Drewermann
4
Die Kirche ist eine „Räuberhöhle“ geworden
Hieronymus von Prag und seine Zeit
20
Provokateur und Prophet
Hieronymus und Jan Hus
26
Der Papst füllt seine Truhen
Die Bedeutung von John Wyclif für das Denken von Hieronymus
31
Die spektakuläre Verbrennung von Hieronymus fand ebenso große Aufmerksamkeit wie jene von Jan Hus.
41
Luther dachte wie die Hussiten
Das Gift philosophischer Neugier
Der reisende Scholar: Paris – Köln – Heidelberg
Hieronymus und die Reformation
Nominalisten contra Realisten
Das Kuttenberger Dekret und seine Folgen
45
Der Wiener Prozess
51 56
Gefangen in der Oberpfalz
59
Widerruf – Urteil – Verbrennung
Der Prozess gegen Hieronymus auf dem Konstanzer Konzil 64
100
Können Menschen wissen, was wahr ist?
Hieronymus bleibt aktuell
In Ketten von Sulzbach nach Konstanz
95
Polyglotter Globetrotter
Ungleichgewicht der Erinnerungskultur
Faszination der Orthodoxie
Von Prag nach Polen, Litauen und Russland
Rehabilitierung nach Jahrhunderten
Würdigung von Hieronymus in Konstanz
Heimliche Flucht und Exkommunikation
92
106
Anhang
Zum Weiterlesen: Literaturhinweise ∙ Endnoten ∙ Bildnachweis
108
Die Autoren
112
Es sollte mehr Licht und Friede sein
Bilderstürmer, Hussitenkriege, Böhmische Brüder
2
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Hieronymus von Prag zum Gedenken
„Wenn Menschen selber zu denken wagen …“
Hieronymus von Prag zum Gedenken – eine Analyse von Eugen Drewermann
W
elch eine Zeit: das 14./15. Jahrhundert in Prag, dargestellt in seinen beiden Verkörperungen Jan Hus und Hieronymus! Ordinierter Priester und theologischer Professor der eine, Magister der „freien Künste“, Philosoph und Wahrheitssucher der andere, beide wie die zwei widersprüchlichen Teile einer Wirklichkeit, beide wie die zwei Seiten unserer selbst zwischen Wissen und Glauben, Denken und Fühlen, Sollen und Wollen – zwischen Sein und Schein. Was ist wirklich? Die Welt des Mittelalters zerbirst, eine neue Zeit bricht an. Doch wird sie als eine andere auch schon eine bessere sein? Endzeitahnungen dehnen sich aus. Die alte Ordnung! Das war Augustin und seine (neu)platonische Erkenntnislehre: Wir sind imstande, an Gottes Gedanken teilzuhaben, wenn wir Wahres erkennen, denn es sind seine Ideen, nach denen er die Welt geformt und unseren Verstand geordnet hat. Innen und Außen, Diesseits und Jenseits, Zeit und Ewigkeit sind eins in Gott. Oder auch, anders, nach Aristoteles: Wenn wir etwas erkennen, so geschieht das, indem wir die Eindrücke der Sinne zu Bildern vereinheitlichen, die wir dann in ihrer geistigen Struktur als allgemeine Begriffe durchleuchten. Thomas von Aquin lehrte im 13. Jahrhundert: Die Wahrheit liegt als eine selbständige objektive Gegebenheit außerhalb von Gott in der Wirklichkeit verborgen, die er geschaffen hat. Nur: Ist die bestehende Welt tatsächlich eine Offenbarung göttlicher Güte, Allmacht und Weisheit? Wohin muss man 4
schauen, um Gott zu erfahren? In die Welt? Sicher nicht. Ins eigene Herz? Schon eher. Offenbar gibt es zwei Wahrheiten, wie in Augustins Lehre von den zwei Reichen: Es gibt die Einrichtung dieser Welt, das irdische Reich, die Sphäre Kains, und es gibt das himmlische Reich, die Sphäre Christi, die Welt der Erlösung. Die Philosophie schon um die Jahrtausendwende trennt sich vom Glauben. Abaelards „Ja und Nein“ aus dem 11. Jahrhundert scheint wie ein logisches Spiel, doch es rührt an die Überzeugung, wahre Aussagen in Eindeutigkeit seien möglich. Nach welchen Kriterien soll das gelten? Was überhaupt ist es mit unseren Begriffen? Wieso soll etwas wahr sein, nur weil wir ’s uns denken? Die alte Frage des Platon in seinem Dialog „Kratylos“ meldet sich wieder: Nennen wir die Dinge so, weil sie so sind, oder heißen sie nur so, weil wir sie so nennen? Die Theologie, damals noch eins mit der Philosophie, spaltet sich in zwei Lager. Unsere Begriffe geben nur wieder, was als allgemeine Form in den Dingen verwirklicht ist, sagen die „Realisten“, oder besser, weil dieses Wort in unseren Tagen etwas vollkommen anderes bezeichnet, die erkenntnistheoretischen Idealisten. Falsch, sagen die „Nominalisten“; unsere Begriffe sind nur Namen, mit denen wir die Dinge bezeichnen; sonst müssten wir ja auch aus reinen Begriffen die Wirklichkeit deduzieren können. Im 14. Jahrhundert steht der Islam unter den Türken vor den Toren von Byzanz. Seit 1054 ist Ostrom von Westrom, die orthodoxe Kirche von der lateinischen getrennt, und die westlichen Kreuzfahrerheere haben die Stadt Konstantins mit ihren Plünderungen empfindlich geschwächt; es scheint nur eine Frage der Zeit, wann sie fällt. Längst aber hat der Islam das Abendland von innen her geistig verändert. Nicht nur dass er ihm die Mathematik, die Astronomie, die Chemie und die Medizin geschenkt hat, seine Gelehrten in Toledo übersetzen und kommentieren auch die Literatur der altgriechischen Phi5
Hieronymus von Prag zum Gedenken
„Wenn Menschen selber zu denken wagen …“
Hieronymus von Prag zum Gedenken – eine Analyse von Eugen Drewermann
W
elch eine Zeit: das 14./15. Jahrhundert in Prag, dargestellt in seinen beiden Verkörperungen Jan Hus und Hieronymus! Ordinierter Priester und theologischer Professor der eine, Magister der „freien Künste“, Philosoph und Wahrheitssucher der andere, beide wie die zwei widersprüchlichen Teile einer Wirklichkeit, beide wie die zwei Seiten unserer selbst zwischen Wissen und Glauben, Denken und Fühlen, Sollen und Wollen – zwischen Sein und Schein. Was ist wirklich? Die Welt des Mittelalters zerbirst, eine neue Zeit bricht an. Doch wird sie als eine andere auch schon eine bessere sein? Endzeitahnungen dehnen sich aus. Die alte Ordnung! Das war Augustin und seine (neu)platonische Erkenntnislehre: Wir sind imstande, an Gottes Gedanken teilzuhaben, wenn wir Wahres erkennen, denn es sind seine Ideen, nach denen er die Welt geformt und unseren Verstand geordnet hat. Innen und Außen, Diesseits und Jenseits, Zeit und Ewigkeit sind eins in Gott. Oder auch, anders, nach Aristoteles: Wenn wir etwas erkennen, so geschieht das, indem wir die Eindrücke der Sinne zu Bildern vereinheitlichen, die wir dann in ihrer geistigen Struktur als allgemeine Begriffe durchleuchten. Thomas von Aquin lehrte im 13. Jahrhundert: Die Wahrheit liegt als eine selbständige objektive Gegebenheit außerhalb von Gott in der Wirklichkeit verborgen, die er geschaffen hat. Nur: Ist die bestehende Welt tatsächlich eine Offenbarung göttlicher Güte, Allmacht und Weisheit? Wohin muss man 4
schauen, um Gott zu erfahren? In die Welt? Sicher nicht. Ins eigene Herz? Schon eher. Offenbar gibt es zwei Wahrheiten, wie in Augustins Lehre von den zwei Reichen: Es gibt die Einrichtung dieser Welt, das irdische Reich, die Sphäre Kains, und es gibt das himmlische Reich, die Sphäre Christi, die Welt der Erlösung. Die Philosophie schon um die Jahrtausendwende trennt sich vom Glauben. Abaelards „Ja und Nein“ aus dem 11. Jahrhundert scheint wie ein logisches Spiel, doch es rührt an die Überzeugung, wahre Aussagen in Eindeutigkeit seien möglich. Nach welchen Kriterien soll das gelten? Was überhaupt ist es mit unseren Begriffen? Wieso soll etwas wahr sein, nur weil wir ’s uns denken? Die alte Frage des Platon in seinem Dialog „Kratylos“ meldet sich wieder: Nennen wir die Dinge so, weil sie so sind, oder heißen sie nur so, weil wir sie so nennen? Die Theologie, damals noch eins mit der Philosophie, spaltet sich in zwei Lager. Unsere Begriffe geben nur wieder, was als allgemeine Form in den Dingen verwirklicht ist, sagen die „Realisten“, oder besser, weil dieses Wort in unseren Tagen etwas vollkommen anderes bezeichnet, die erkenntnistheoretischen Idealisten. Falsch, sagen die „Nominalisten“; unsere Begriffe sind nur Namen, mit denen wir die Dinge bezeichnen; sonst müssten wir ja auch aus reinen Begriffen die Wirklichkeit deduzieren können. Im 14. Jahrhundert steht der Islam unter den Türken vor den Toren von Byzanz. Seit 1054 ist Ostrom von Westrom, die orthodoxe Kirche von der lateinischen getrennt, und die westlichen Kreuzfahrerheere haben die Stadt Konstantins mit ihren Plünderungen empfindlich geschwächt; es scheint nur eine Frage der Zeit, wann sie fällt. Längst aber hat der Islam das Abendland von innen her geistig verändert. Nicht nur dass er ihm die Mathematik, die Astronomie, die Chemie und die Medizin geschenkt hat, seine Gelehrten in Toledo übersetzen und kommentieren auch die Literatur der altgriechischen Phi5
Hieronymus von Prag zum Gedenken losophen; und vor allem seine Gotteslehre ist von bestechender Einfachheit und Rationalität. Die Wirklichkeit aus Begriffen erkennen – wie soll das gehen? Die Dinge sind wirklich, weil Gott sie gewollt hat; warum er sie so gewollt hat, wie sie sind, wird nie ein Mensch wissen. Man muss also nachschauen, wie sie sind. Empirische Forschung und exaktes Denken (Mathematik) bilden den Weg zur Erkenntnis. Und gibt das nicht den Nominalisten recht? Was aber, wenn diese wirklich recht haben und es keine verbindlichen Begriffe gibt? Wenn die Ordnung der Welt allein dem Willen Gottes entstammt? Wilhelm von Ockham (um 1300) denkt genau so – als ob es Thomas von Aquins „Summe gegen die Heiden“ nicht gäbe, schreibt er seine „Summe der gesamten Logik“. Er wird dafür als Häretiker verklagt und rettet sich zu Ludwig dem Bayern. Das Problem aber bleibt: Wie, wenn all unsere Vorstellungen von Recht und Moral, von Gut und Böse, von Pflicht und Schuld, von Tugend und Laster nichts weiter wären als Setzungen und Satzungen des Willens – ein reiner Positivismus, ein irrationaler Voluntarismus, im letzten ein abgründiger Nihilismus? Wie eine Einheit finden zwischen den unterschiedlichen Meinungen? Ein sicherer Grund kann der Glaube sein. Wenn schon das Denken der Menschen sich in lauter Widersprüchen im Kreise dreht, gibt es nicht unverbrüchlich die Offenbarung Gottes – nicht freilich im Koran, wohl aber in der Bibel? Aller dings: Sie ist überlagert, verfälscht und verformt durch die Lehre und Praktik der Kirche. Die Entdeckung des Petrus Waldes, so simpel sie scheint, ist revolutionär. Er ist kein Gelehrter, aber er liest in der Bibel: „Du sollst nicht schwören.“ (Mt 5,34) Und: „Stecke dein Schwert in die Scheide.“ (Mt 26,52) Und: „Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich.“ (Mk 10,25) Warum, wenn es so steht, gibt es dann so viel Verlogenheit, Gewalt und Gier in der Welt, und wieso verweltlicht sich selber die Kirche, statt auftragsgemäß die 6
Welt von sich selbst zu erlösen? Es ist das erste Mal, dass dieser Tuchhändler aus Lyon seinem eigenen Urteil bei der Lektüre der Bibel mehr Glauben schenkt als den Erklärungen der Kirchentheologen. Waldes bekämpft nicht die Kirche, aber er relativiert sie am Anspruch des Gotteswortes in der Bibel, das er in seinem Leben so getreu, als es geht, zu verwirklichen sucht. Zweihundert Jahre später in England ist es John Wyclif, der als Theologe die Kirche prinzipiell angreift – ihrer Ungemäßheit zur Bibel wegen. Jesus war arm, und die Kirche ist reich. Wie kann sie da der „fortlebende Christus“ sein? Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert habe Papst Sylvester I. die weltliche Herrschaft im Westreich übertragen, wird behauptet. Wyclif kann nicht wissen, dass es sich dabei um eine Geschichtsklitterung handelt, die wohl im 8. Jahrhundert mit nachhaltigem Erfolg lanciert wurde – seit dem 11. Jahrhundert benutzen sie die Päpste zu ihrer Legitimation, erst im 15. Jahrhundert wird sie als Fälschung entlarvt. Aber Wyclif weiß, dass diese „Schenkung“ eine Lüge sein muss, mit der sich die Kirche an der Wahrheit Christi vorbeimogeln möchte. Die Wahrheit Christi – das sind nicht verfeierlichte Ämter und Titel, das kann nur das wirkliche Leben sein. Aber da sind die Sakramente: Die Sündenvergebung, die Mahlgemeinschaft, die letzte Ölung – all diese kann nur spenden ein Priester der Kirche, der von einem Bischof geweiht wurde, den der Papst mit seiner Amtsgnade und -vollmacht ausgestattet hat, heißt es im Dogma. „Nein“, erklärt Wyclif, wohl wissend, dass er damit den gesamten Bau der Kirche zum Einsturz bringt, „die Päpste, Kardinäle und Bischöfe sind nicht die Nachfolger der Apostel, es sei denn, sie wollten leben wie dieselben.“ Den Glauben vermitteln kann nur ein Mensch, der den Glauben lebt; nur er kann die Gnade Gottes in den Sakramenten weitergeben. Dazu muss man kein Kleriker sein, nur ein wirklicher Christ. Ein Kleriker, der nicht lebt, wie Christus es will, kann nichts von Christus einem anderen schenken. – Eine Debatte 7
Hieronymus von Prag zum Gedenken losophen; und vor allem seine Gotteslehre ist von bestechender Einfachheit und Rationalität. Die Wirklichkeit aus Begriffen erkennen – wie soll das gehen? Die Dinge sind wirklich, weil Gott sie gewollt hat; warum er sie so gewollt hat, wie sie sind, wird nie ein Mensch wissen. Man muss also nachschauen, wie sie sind. Empirische Forschung und exaktes Denken (Mathematik) bilden den Weg zur Erkenntnis. Und gibt das nicht den Nominalisten recht? Was aber, wenn diese wirklich recht haben und es keine verbindlichen Begriffe gibt? Wenn die Ordnung der Welt allein dem Willen Gottes entstammt? Wilhelm von Ockham (um 1300) denkt genau so – als ob es Thomas von Aquins „Summe gegen die Heiden“ nicht gäbe, schreibt er seine „Summe der gesamten Logik“. Er wird dafür als Häretiker verklagt und rettet sich zu Ludwig dem Bayern. Das Problem aber bleibt: Wie, wenn all unsere Vorstellungen von Recht und Moral, von Gut und Böse, von Pflicht und Schuld, von Tugend und Laster nichts weiter wären als Setzungen und Satzungen des Willens – ein reiner Positivismus, ein irrationaler Voluntarismus, im letzten ein abgründiger Nihilismus? Wie eine Einheit finden zwischen den unterschiedlichen Meinungen? Ein sicherer Grund kann der Glaube sein. Wenn schon das Denken der Menschen sich in lauter Widersprüchen im Kreise dreht, gibt es nicht unverbrüchlich die Offenbarung Gottes – nicht freilich im Koran, wohl aber in der Bibel? Aller dings: Sie ist überlagert, verfälscht und verformt durch die Lehre und Praktik der Kirche. Die Entdeckung des Petrus Waldes, so simpel sie scheint, ist revolutionär. Er ist kein Gelehrter, aber er liest in der Bibel: „Du sollst nicht schwören.“ (Mt 5,34) Und: „Stecke dein Schwert in die Scheide.“ (Mt 26,52) Und: „Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich.“ (Mk 10,25) Warum, wenn es so steht, gibt es dann so viel Verlogenheit, Gewalt und Gier in der Welt, und wieso verweltlicht sich selber die Kirche, statt auftragsgemäß die 6
Welt von sich selbst zu erlösen? Es ist das erste Mal, dass dieser Tuchhändler aus Lyon seinem eigenen Urteil bei der Lektüre der Bibel mehr Glauben schenkt als den Erklärungen der Kirchentheologen. Waldes bekämpft nicht die Kirche, aber er relativiert sie am Anspruch des Gotteswortes in der Bibel, das er in seinem Leben so getreu, als es geht, zu verwirklichen sucht. Zweihundert Jahre später in England ist es John Wyclif, der als Theologe die Kirche prinzipiell angreift – ihrer Ungemäßheit zur Bibel wegen. Jesus war arm, und die Kirche ist reich. Wie kann sie da der „fortlebende Christus“ sein? Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert habe Papst Sylvester I. die weltliche Herrschaft im Westreich übertragen, wird behauptet. Wyclif kann nicht wissen, dass es sich dabei um eine Geschichtsklitterung handelt, die wohl im 8. Jahrhundert mit nachhaltigem Erfolg lanciert wurde – seit dem 11. Jahrhundert benutzen sie die Päpste zu ihrer Legitimation, erst im 15. Jahrhundert wird sie als Fälschung entlarvt. Aber Wyclif weiß, dass diese „Schenkung“ eine Lüge sein muss, mit der sich die Kirche an der Wahrheit Christi vorbeimogeln möchte. Die Wahrheit Christi – das sind nicht verfeierlichte Ämter und Titel, das kann nur das wirkliche Leben sein. Aber da sind die Sakramente: Die Sündenvergebung, die Mahlgemeinschaft, die letzte Ölung – all diese kann nur spenden ein Priester der Kirche, der von einem Bischof geweiht wurde, den der Papst mit seiner Amtsgnade und -vollmacht ausgestattet hat, heißt es im Dogma. „Nein“, erklärt Wyclif, wohl wissend, dass er damit den gesamten Bau der Kirche zum Einsturz bringt, „die Päpste, Kardinäle und Bischöfe sind nicht die Nachfolger der Apostel, es sei denn, sie wollten leben wie dieselben.“ Den Glauben vermitteln kann nur ein Mensch, der den Glauben lebt; nur er kann die Gnade Gottes in den Sakramenten weitergeben. Dazu muss man kein Kleriker sein, nur ein wirklicher Christ. Ein Kleriker, der nicht lebt, wie Christus es will, kann nichts von Christus einem anderen schenken. – Eine Debatte 7
Hieronymus von Prag zum Gedenken
Brot und Wein auch für die Laien? Der Kelch wurde Symbol der Hussiten.
8
9
Hieronymus von Prag zum Gedenken
Brot und Wein auch für die Laien? Der Kelch wurde Symbol der Hussiten.
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9
Hieronymus von Prag zum Gedenken bricht wieder auf, die sich im 3. Jahrhundert in der Auseinandersetzung um Bischof Donatus in Karthago schon einmal entzündet hatte, dann aber, nicht zuletzt von Augustinus, mit Ausschluss von der Kirchengemeinschaft bestraft (exkommuniziert) worden war. Indes: Wer die Bibel liest, sieht sich konfrontiert mit den Anfängen der Botschaft Jesu, und der muss sich unweigerlich fragen, was in der Kirchengeschichte daraus geworden ist. Was John Wyclif (noch) nicht klar formuliert, doch als einen Generalfehler der kirchlichen Lehre attackiert, ist die „Objektivierung“ des Glaubens, der doch wesentlich nichts anderes sein kann als eine Haltung des Subjekts: gerade nicht die Person – die Institution ist laut Kirchenlehre der Ort der Wahrheit, denn sie ist unabhängig von allem Subjektiven; gerade nicht die Lebensweise des Priesters – sein Amt verleiht ihm die Fähigkeit, Christus im Abendmahl gegenwärtig zu setzen, und auch die Lehre vom Abendmahl formuliert sich im Dogma als Behauptung einer objektiven Tatsache: Wenn der gültig geweihte Priester der (katholischen) Kirche über Wein und Brot am Altare die Worte der Wandlung spricht, dann hören sie auf, Wein und Brot zu sein, dann sind sie substanziell Blut und Leib Christi; dass sie noch aussehen und schmecken wie Wein und Brot, betrifft nur ihre Akzidenzien, die wunderbarerweise die alten bleiben, die zugrunde liegende Substanz hingegen ist eine vollkommen andere geworden. John Wyclif ist erkenntnistheoretischer Realist, und er vermag logisch zu denken: Eine Substanz kann sich nicht wandeln, sie ist identisch mit dem Wesen der Dinge; jeder kann feststellen, dass auch nach den Wandlungsworten des Priesters nach wie vor Wein und Brot vorliegen – ihre Substanz muss also geblieben sein. Diese „Remanenzlehre“ Wyclifs wird in den Auseinandersetzungen auch um Jan Hus zu einem Kernpunkt der Vorwürfe der kirchlichen Obrigkeit. In Konstanz wird der Jurist von Cambrai, Pierre d’ Ailly, zu Recht den Vorwurf er10
heben, ein Anhänger des erkenntnistheoretischen Realismus könne nur zu einem solchen Ergebnis kommen. Dann aber wäre die „Wandlung“ gar nicht „objektiv“, dann wäre die Gegenwart Christi in der Messfeier etwas, das sich im Subjekt, im Glauben ereignet, und es bedarf durchaus keines beamteten Priesters, damit Menschen geistig in seiner Nähe zu einer Gemeinde zusammenfinden. Das Paradox ergibt sich, dass sich die eigentlich „modernen“ Nominalisten viel leichter tun, die Auffassungen und den Zustand der existierenden Kirche zu akzeptieren und zu rechtfertigen als die erkenntnistheoretischen Realisten bzw. Idealisten. Wenn die Wahrheit überhaupt nur in Sprachspielen formuliert werden kann, dann hat man die Hände frei für einen pragmatischen Umgang mit der Wirklichkeit, dann ist die Wahrheit identisch mit dem, was die Kirche sagt, dann ist der Zusammenhalt der Einheit der Kirche das objektiv Wirkliche und Bewahrende. Man muss sich entscheiden, aber wie? Der Disput wird weitergehen. Auch die Nominalisten wird die Kirche verurteilen, um die Lehren des Doctor angelicus, des Thomas von Aquin, mit nahezu dogmatischem Anspruch auszustatten; dafür wird Wyclif nicht eigentlich in Hus oder Luther, wohl aber in den Schweizer Reformatoren Huldreich Zwingli und Johannes Calvin seine Nachfolger finden. Für sie ist Christus gegenwärtig im Glauben, und sie ziehen sich deshalb den Vorwurf zu, die Realität der „Wandlung“ in etwas rein Subjektives aufzulösen. Beiden Seiten fehlt im 14. bis 16. Jahrhundert (und im Grunde bis heute) eine Auslegung der religiösen Rede, welche die symbolische Objektivität des Psychischen anerkennt. Das Subjektive ist nicht das Beliebige, das Willkürliche; in ihm liegen – ganz im Sinne des erkenntnistheoretischen Idealismus – Schemata der Vorstellung und Kategorien des Denkens, die es uns allererst erlauben, eine Welt zu konstruieren, die uns als objektiv erscheint; und es liegen in ihm Bilder der Sehnsucht, des Träumens, der Intuition, die einen eigenen 11
Hieronymus von Prag zum Gedenken bricht wieder auf, die sich im 3. Jahrhundert in der Auseinandersetzung um Bischof Donatus in Karthago schon einmal entzündet hatte, dann aber, nicht zuletzt von Augustinus, mit Ausschluss von der Kirchengemeinschaft bestraft (exkommuniziert) worden war. Indes: Wer die Bibel liest, sieht sich konfrontiert mit den Anfängen der Botschaft Jesu, und der muss sich unweigerlich fragen, was in der Kirchengeschichte daraus geworden ist. Was John Wyclif (noch) nicht klar formuliert, doch als einen Generalfehler der kirchlichen Lehre attackiert, ist die „Objektivierung“ des Glaubens, der doch wesentlich nichts anderes sein kann als eine Haltung des Subjekts: gerade nicht die Person – die Institution ist laut Kirchenlehre der Ort der Wahrheit, denn sie ist unabhängig von allem Subjektiven; gerade nicht die Lebensweise des Priesters – sein Amt verleiht ihm die Fähigkeit, Christus im Abendmahl gegenwärtig zu setzen, und auch die Lehre vom Abendmahl formuliert sich im Dogma als Behauptung einer objektiven Tatsache: Wenn der gültig geweihte Priester der (katholischen) Kirche über Wein und Brot am Altare die Worte der Wandlung spricht, dann hören sie auf, Wein und Brot zu sein, dann sind sie substanziell Blut und Leib Christi; dass sie noch aussehen und schmecken wie Wein und Brot, betrifft nur ihre Akzidenzien, die wunderbarerweise die alten bleiben, die zugrunde liegende Substanz hingegen ist eine vollkommen andere geworden. John Wyclif ist erkenntnistheoretischer Realist, und er vermag logisch zu denken: Eine Substanz kann sich nicht wandeln, sie ist identisch mit dem Wesen der Dinge; jeder kann feststellen, dass auch nach den Wandlungsworten des Priesters nach wie vor Wein und Brot vorliegen – ihre Substanz muss also geblieben sein. Diese „Remanenzlehre“ Wyclifs wird in den Auseinandersetzungen auch um Jan Hus zu einem Kernpunkt der Vorwürfe der kirchlichen Obrigkeit. In Konstanz wird der Jurist von Cambrai, Pierre d’ Ailly, zu Recht den Vorwurf er10
heben, ein Anhänger des erkenntnistheoretischen Realismus könne nur zu einem solchen Ergebnis kommen. Dann aber wäre die „Wandlung“ gar nicht „objektiv“, dann wäre die Gegenwart Christi in der Messfeier etwas, das sich im Subjekt, im Glauben ereignet, und es bedarf durchaus keines beamteten Priesters, damit Menschen geistig in seiner Nähe zu einer Gemeinde zusammenfinden. Das Paradox ergibt sich, dass sich die eigentlich „modernen“ Nominalisten viel leichter tun, die Auffassungen und den Zustand der existierenden Kirche zu akzeptieren und zu rechtfertigen als die erkenntnistheoretischen Realisten bzw. Idealisten. Wenn die Wahrheit überhaupt nur in Sprachspielen formuliert werden kann, dann hat man die Hände frei für einen pragmatischen Umgang mit der Wirklichkeit, dann ist die Wahrheit identisch mit dem, was die Kirche sagt, dann ist der Zusammenhalt der Einheit der Kirche das objektiv Wirkliche und Bewahrende. Man muss sich entscheiden, aber wie? Der Disput wird weitergehen. Auch die Nominalisten wird die Kirche verurteilen, um die Lehren des Doctor angelicus, des Thomas von Aquin, mit nahezu dogmatischem Anspruch auszustatten; dafür wird Wyclif nicht eigentlich in Hus oder Luther, wohl aber in den Schweizer Reformatoren Huldreich Zwingli und Johannes Calvin seine Nachfolger finden. Für sie ist Christus gegenwärtig im Glauben, und sie ziehen sich deshalb den Vorwurf zu, die Realität der „Wandlung“ in etwas rein Subjektives aufzulösen. Beiden Seiten fehlt im 14. bis 16. Jahrhundert (und im Grunde bis heute) eine Auslegung der religiösen Rede, welche die symbolische Objektivität des Psychischen anerkennt. Das Subjektive ist nicht das Beliebige, das Willkürliche; in ihm liegen – ganz im Sinne des erkenntnistheoretischen Idealismus – Schemata der Vorstellung und Kategorien des Denkens, die es uns allererst erlauben, eine Welt zu konstruieren, die uns als objektiv erscheint; und es liegen in ihm Bilder der Sehnsucht, des Träumens, der Intuition, die einen eigenen 11
Hieronymus von Prag zum Gedenken Wahrheitswert besitzen. Wie könnte man anders von Gott reden als in solchen vorgegebenen Symbolen? Die Gegenwart Christi in der Gemeinschaft des Mahles hat eine solche symbolische Realität: Sie liegt ganz im Subjekt, doch gerade deshalb schafft sie eine Wirklichkeit, die im Glauben gilt, während sie außerhalb des Glaubens als nichtig erscheint. Aber gibt es dann nicht doch zwei Wahrheiten – eine für den Glaubenden und eine andere für den Nichtglaubenden? Eigentlich ist es diese Frage, welche ungelöst die gesamte Geistesgeschichte der Neuzeit durchzieht. Sie beginnt mit der Herauslösung der Philosophie aus der Theologie und setzt sich fort in der Emanzipation der Naturwissenschaften von der Philosophie. Die große Klammer, mit welcher die frühchristlichen Apologeten des 2. Jahrhunderts den Schöpfungsglauben der Bibel mit den Mitteln der griechischen Philosophie zu untermauern suchten, springt auf – Schritt für Schritt widerlegt sich das Weltbild der Bibel; es ist vergebens, Wissen und Glauben im Wettstreit um die Erkenntnis der gleichen Sachverhalte miteinander harmonisieren zu wollen – die Ermordung Giordano Brunos im Jahre 1600 und der Fall Galilei sind nur der Anfang einer Bewegung, die mit der Kopernikanischen Wende begonnen hat und unaufhaltsam weitergeht. Auch hier ahnt Wyclif etwas, das er noch nicht formulieren kann und das erst im 18. Jahrhundert in Immanuel Kants „Streit der Fakultäten“ klar ausgesprochen wird: Die naturwissenschaftliche Erkenntnis zeigt uns mithilfe der Verstandeskategorien eine Welt, die kausal geregelt ist, aber nichts von dem enthält, was ein Mensch braucht, um „vernünftig“ zu leben; die Theologie umgekehrt enthält nichts, was sich empirisch beweisen ließe; sie erklärt nicht die Welt, sie deutet die menschliche Existenz inmitten der Welt. Beide Methoden sind so unterschiedlich wie Erklären und Verstehen, wie eine Beziehung zwischen Ich und Es oder zwischen Ich und Du. Was zur Daseinsdeutung nötig ist (die Annahme der Freiheit, die Unsterblichkeit der Seele und 12
das Dasein Gottes) lässt sich nur postulieren. Der Streit um den Philosophen Johann Gottlieb Fichte, der meinte, aus dem absoluten Ich (Gottes) die gesamte Weltwirklichkeit ableiten zu können, erübrigt sich, läse man nur Kants „Kritik der reinen Vernunft“ aufmerksam genug. Einen Moment lang könnte man meinen, es handle sich bei all dem um rein akademische Quisquilien, einen typischen Zwist unter Schriftgelehrten; doch längst zeigt sich, welche Konsequenzen es hat, wenn Menschen es wagen, selber zu denken. John Wyclif denkt nicht nur „idealistisch“, er liest auch die Bibel als gültige Mitteilung des göttlichen Willens ohne Abschwächung und ohne Relativierung. Historisch zu denken und die Entstehungsbedingungen auch der Bibel zu erforschen, nimmt seinen Anfang erst mit Baruch Spinozas „Theologisch-politischem Traktat“ im 17. Jahrhundert. Doch eben deshalb spaltet sich in Wyclifs Auge die Wirklichkeit ein zweites Mal, jetzt nicht mehr zwischen Wissen und Glauben, sondern zwischen Staat und Kirche oder, richtiger gesagt, zwischen dem, was „Staat“ ist, und dem, was „Kirche“ sein sollte. Die Zwei-Reiche-Lehre des Augustinus, die das ganze Mittelalter beherrscht, hatte beide Bereiche, klar unterschieden, nebeneinandergestellt, doch ihre Zuordnung nicht näher beschrieben. Die Macht des Kaisers – kommt sie von Gott, oder ist es die Kirche, die im Namen Gottes den Kaiser bestimmt? Der Investiturstreit geht durch die Jahrhunderte und wird erst durch die Goldene Bulle des böhmischen Kaisers Karl IV. im Jahre 1356 beendet. Das Problem des John Wyclif aber ist noch ein ganz anderes: Wenn die Kirche ihre eigenen Grundlagen verrät, wenn der Papst selber zum Antichristen pervertiert und wenn sich dieser Zustand aus eigenen Mitteln offenbar nicht ändern lässt, ist es dann nicht richtig, vom Staat zu fordern, dass er für Ordnung sorgt, indem er den christlich gesehen skandalösen Reichtum der Kirche einzieht und den Menschen im Lande zur Verfügung stellt? 13
Hieronymus von Prag zum Gedenken Wahrheitswert besitzen. Wie könnte man anders von Gott reden als in solchen vorgegebenen Symbolen? Die Gegenwart Christi in der Gemeinschaft des Mahles hat eine solche symbolische Realität: Sie liegt ganz im Subjekt, doch gerade deshalb schafft sie eine Wirklichkeit, die im Glauben gilt, während sie außerhalb des Glaubens als nichtig erscheint. Aber gibt es dann nicht doch zwei Wahrheiten – eine für den Glaubenden und eine andere für den Nichtglaubenden? Eigentlich ist es diese Frage, welche ungelöst die gesamte Geistesgeschichte der Neuzeit durchzieht. Sie beginnt mit der Herauslösung der Philosophie aus der Theologie und setzt sich fort in der Emanzipation der Naturwissenschaften von der Philosophie. Die große Klammer, mit welcher die frühchristlichen Apologeten des 2. Jahrhunderts den Schöpfungsglauben der Bibel mit den Mitteln der griechischen Philosophie zu untermauern suchten, springt auf – Schritt für Schritt widerlegt sich das Weltbild der Bibel; es ist vergebens, Wissen und Glauben im Wettstreit um die Erkenntnis der gleichen Sachverhalte miteinander harmonisieren zu wollen – die Ermordung Giordano Brunos im Jahre 1600 und der Fall Galilei sind nur der Anfang einer Bewegung, die mit der Kopernikanischen Wende begonnen hat und unaufhaltsam weitergeht. Auch hier ahnt Wyclif etwas, das er noch nicht formulieren kann und das erst im 18. Jahrhundert in Immanuel Kants „Streit der Fakultäten“ klar ausgesprochen wird: Die naturwissenschaftliche Erkenntnis zeigt uns mithilfe der Verstandeskategorien eine Welt, die kausal geregelt ist, aber nichts von dem enthält, was ein Mensch braucht, um „vernünftig“ zu leben; die Theologie umgekehrt enthält nichts, was sich empirisch beweisen ließe; sie erklärt nicht die Welt, sie deutet die menschliche Existenz inmitten der Welt. Beide Methoden sind so unterschiedlich wie Erklären und Verstehen, wie eine Beziehung zwischen Ich und Es oder zwischen Ich und Du. Was zur Daseinsdeutung nötig ist (die Annahme der Freiheit, die Unsterblichkeit der Seele und 12
das Dasein Gottes) lässt sich nur postulieren. Der Streit um den Philosophen Johann Gottlieb Fichte, der meinte, aus dem absoluten Ich (Gottes) die gesamte Weltwirklichkeit ableiten zu können, erübrigt sich, läse man nur Kants „Kritik der reinen Vernunft“ aufmerksam genug. Einen Moment lang könnte man meinen, es handle sich bei all dem um rein akademische Quisquilien, einen typischen Zwist unter Schriftgelehrten; doch längst zeigt sich, welche Konsequenzen es hat, wenn Menschen es wagen, selber zu denken. John Wyclif denkt nicht nur „idealistisch“, er liest auch die Bibel als gültige Mitteilung des göttlichen Willens ohne Abschwächung und ohne Relativierung. Historisch zu denken und die Entstehungsbedingungen auch der Bibel zu erforschen, nimmt seinen Anfang erst mit Baruch Spinozas „Theologisch-politischem Traktat“ im 17. Jahrhundert. Doch eben deshalb spaltet sich in Wyclifs Auge die Wirklichkeit ein zweites Mal, jetzt nicht mehr zwischen Wissen und Glauben, sondern zwischen Staat und Kirche oder, richtiger gesagt, zwischen dem, was „Staat“ ist, und dem, was „Kirche“ sein sollte. Die Zwei-Reiche-Lehre des Augustinus, die das ganze Mittelalter beherrscht, hatte beide Bereiche, klar unterschieden, nebeneinandergestellt, doch ihre Zuordnung nicht näher beschrieben. Die Macht des Kaisers – kommt sie von Gott, oder ist es die Kirche, die im Namen Gottes den Kaiser bestimmt? Der Investiturstreit geht durch die Jahrhunderte und wird erst durch die Goldene Bulle des böhmischen Kaisers Karl IV. im Jahre 1356 beendet. Das Problem des John Wyclif aber ist noch ein ganz anderes: Wenn die Kirche ihre eigenen Grundlagen verrät, wenn der Papst selber zum Antichristen pervertiert und wenn sich dieser Zustand aus eigenen Mitteln offenbar nicht ändern lässt, ist es dann nicht richtig, vom Staat zu fordern, dass er für Ordnung sorgt, indem er den christlich gesehen skandalösen Reichtum der Kirche einzieht und den Menschen im Lande zur Verfügung stellt? 13
Hieronymus von Prag zum Gedenken Es sind Gedanken, wie sie Marsilius von Padua in dem „Verteidiger des Friedens“ 1324 bereits im Ansatz vorgetragen hat, und sie werden sich dank der Uneinsichtigkeit der römischen Kirche im Westen des Abendlandes weit radikaler noch durchsetzen, als sogar Wyclif selbst es gewollt hat: In den Wirren der Reformation, die rund hundert Jahre später in seinem Erbe Martin Luther auslösen wird, einigt man sich 1555 in Augsburg auf die berühmte Formel, mit der aller religiöser Streit (zwischen Katholiken und Protestanten) ein für alle Mal beendet werden soll: cuius regio, eius religio – der Landesfürst bestimmt die Religion der Untertanen. Der Augsburger Religionsfriede hält nicht lange, und doch bietet er schließlich das Vorbild für den Westfälischen Frieden von 1648 nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges. Seitdem glaubt man in Deutschland nicht eigentlich an Gott, sondern an die Fürstenmacht, die befugt ist, den rechten Glauben zu verordnen. Religion wird damit definitiv zu einem Instrument politischer Machtausübung – Anfang des 19. Jahrhunderts wird Georg Wilhelm Friedrich Hegel sich daran machen, die Religion überhaupt in eine Vernunftphilosophie und die Kirche in den Staat „aufzuheben“. Doch so kommt es nicht in den Tagen des John Wyclif. Der englische Reformator wollte die Kirche nicht beseitigen, er wollte, dass sie endlich (wieder) die Kirche Christi sei, notfalls durch Einsatz staatlicher Mittel. In dieser Absicht fand er verständlicherweise die Unterstützung der Fürsten. Doch es geschah schon damals, was sich 1523 in Reaktion auf Luthers Traktat über die „Freiheit eines Christenmenschen“ wiederholen sollte: Man verstand das Wort gegen den Reichtum nicht als Aufruf zu einer inneren Läuterung, sondern als Aufforderung zum Kampf der Armen gegen die Reichen; die Bauern revoltierten, die obrigkeitliche Gewalt schlug den Aufstand nieder, Wyclif verlor das Wohlwollen der Regierenden. Luther erhielt sich den Schutz der Landesherren, indem er gegen die 14
wütenden Rotten der Bauern predigte und den rücksichtslosen Einsatz militärischer Gewalt verlangte. Dann aber musste er erleben, mit welcher Grausamkeit staatliche Macht zuschlagen kann. Wer kontrolliert die Mächtigen, wenn schon der Staat die Kirche zur Räson bringen soll? Auch dieses Problem bleibt bestehen – das sieht Luthers Widerpart Thomas Münzer vollkommen richtig: weder die Kirche treibt Christus noch die „großen Hansen“; was aber ist es dann mit dem Reich Gottes? Münzer säte Gewalt, und er erntete Gewalt – mit Berufung auf die Bewegung des Jan Hus, in dessen Bethlehemskapelle er 1520 selbst predigte; er irrte schrecklich – die Schlacht von Frankenhausen geriet nicht zur Befreiung, sondern zum Massaker an den Bauern. Rund einhundertzwanzig Jahre früher in Prag sind es im Grunde bereits diese Fragen, die Hieronymus umtreiben. Er will nicht Theologie dozieren, er will sie vitalisieren, verifizieren, existenzialisieren, und er tut es an dem neu gefundenen Maßstab in England: John Wyclif. Vor allem den „Trialogus“, diese Quintessenz des englischen Querdenkers, kopiert er handschriftlich (der Buchdruck entsteht erst um 1450) und bringt das verbotene und umso kostbarere Exemplar mit nach Prag. Die Verlogenheit analysieren, die falschen Geständnisse provozieren, die Scheinheiligkeit demaskieren – diese Zielsetzungen, die Hieronymus als seinen Auftrag empfindet, lassen ihn zu einer Art Aktionskünstler werden, der den Skandal nicht scheut, wenn er der Klarstellung dient. Das Jahr 1410 zum Beispiel: Nach dem Tode des 1409 in Pisa als dritter Papst gewählten Alexanders V. kommt Johannes XXIII. an die Macht; er führt Krieg gegen Neapel und interdiziert die ganze Stadt; zudem lässt er einen Ablass zur Finanzierung seines militärischen Abenteuers ausschreiben, und Sbinko, der Bischof von Prag, verlangt, den Ablass durchzuführen; sogar alte Gefährten von Hus beugen sich dem irrsinnigen Ansinnen. Hus allein predigt entschieden zum 15
Hieronymus von Prag zum Gedenken Es sind Gedanken, wie sie Marsilius von Padua in dem „Verteidiger des Friedens“ 1324 bereits im Ansatz vorgetragen hat, und sie werden sich dank der Uneinsichtigkeit der römischen Kirche im Westen des Abendlandes weit radikaler noch durchsetzen, als sogar Wyclif selbst es gewollt hat: In den Wirren der Reformation, die rund hundert Jahre später in seinem Erbe Martin Luther auslösen wird, einigt man sich 1555 in Augsburg auf die berühmte Formel, mit der aller religiöser Streit (zwischen Katholiken und Protestanten) ein für alle Mal beendet werden soll: cuius regio, eius religio – der Landesfürst bestimmt die Religion der Untertanen. Der Augsburger Religionsfriede hält nicht lange, und doch bietet er schließlich das Vorbild für den Westfälischen Frieden von 1648 nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges. Seitdem glaubt man in Deutschland nicht eigentlich an Gott, sondern an die Fürstenmacht, die befugt ist, den rechten Glauben zu verordnen. Religion wird damit definitiv zu einem Instrument politischer Machtausübung – Anfang des 19. Jahrhunderts wird Georg Wilhelm Friedrich Hegel sich daran machen, die Religion überhaupt in eine Vernunftphilosophie und die Kirche in den Staat „aufzuheben“. Doch so kommt es nicht in den Tagen des John Wyclif. Der englische Reformator wollte die Kirche nicht beseitigen, er wollte, dass sie endlich (wieder) die Kirche Christi sei, notfalls durch Einsatz staatlicher Mittel. In dieser Absicht fand er verständlicherweise die Unterstützung der Fürsten. Doch es geschah schon damals, was sich 1523 in Reaktion auf Luthers Traktat über die „Freiheit eines Christenmenschen“ wiederholen sollte: Man verstand das Wort gegen den Reichtum nicht als Aufruf zu einer inneren Läuterung, sondern als Aufforderung zum Kampf der Armen gegen die Reichen; die Bauern revoltierten, die obrigkeitliche Gewalt schlug den Aufstand nieder, Wyclif verlor das Wohlwollen der Regierenden. Luther erhielt sich den Schutz der Landesherren, indem er gegen die 14
wütenden Rotten der Bauern predigte und den rücksichtslosen Einsatz militärischer Gewalt verlangte. Dann aber musste er erleben, mit welcher Grausamkeit staatliche Macht zuschlagen kann. Wer kontrolliert die Mächtigen, wenn schon der Staat die Kirche zur Räson bringen soll? Auch dieses Problem bleibt bestehen – das sieht Luthers Widerpart Thomas Münzer vollkommen richtig: weder die Kirche treibt Christus noch die „großen Hansen“; was aber ist es dann mit dem Reich Gottes? Münzer säte Gewalt, und er erntete Gewalt – mit Berufung auf die Bewegung des Jan Hus, in dessen Bethlehemskapelle er 1520 selbst predigte; er irrte schrecklich – die Schlacht von Frankenhausen geriet nicht zur Befreiung, sondern zum Massaker an den Bauern. Rund einhundertzwanzig Jahre früher in Prag sind es im Grunde bereits diese Fragen, die Hieronymus umtreiben. Er will nicht Theologie dozieren, er will sie vitalisieren, verifizieren, existenzialisieren, und er tut es an dem neu gefundenen Maßstab in England: John Wyclif. Vor allem den „Trialogus“, diese Quintessenz des englischen Querdenkers, kopiert er handschriftlich (der Buchdruck entsteht erst um 1450) und bringt das verbotene und umso kostbarere Exemplar mit nach Prag. Die Verlogenheit analysieren, die falschen Geständnisse provozieren, die Scheinheiligkeit demaskieren – diese Zielsetzungen, die Hieronymus als seinen Auftrag empfindet, lassen ihn zu einer Art Aktionskünstler werden, der den Skandal nicht scheut, wenn er der Klarstellung dient. Das Jahr 1410 zum Beispiel: Nach dem Tode des 1409 in Pisa als dritter Papst gewählten Alexanders V. kommt Johannes XXIII. an die Macht; er führt Krieg gegen Neapel und interdiziert die ganze Stadt; zudem lässt er einen Ablass zur Finanzierung seines militärischen Abenteuers ausschreiben, und Sbinko, der Bischof von Prag, verlangt, den Ablass durchzuführen; sogar alte Gefährten von Hus beugen sich dem irrsinnigen Ansinnen. Hus allein predigt entschieden zum 15
Hieronymus von Prag zum Gedenken Widerstand. Hieronymus agiert auf seine Weise; er lässt eine öffentliche Dirne als Darstellerin der Kirche im Wagen durch die Stadt fahren – eine sarkastische Performance auf die obszöne Geilheit der allzeit heiligen Mutter Kirche. Das, weiß Hieronymus, ist das Urteil der Bibel über die Hure Babylon; das alte Rom auf den sieben Hügeln, das apokalyptische Untier mit den sieben Hörnern, das ist die römische Kirche! So handelt kein Universitätstheologe, so zeigt es das Format der großen biblischen Propheten. Hosea zum Beispiel heiratet eine Dirne und zeugt mit ihr Kinder, um dem Volke zu zeigen, dass es treulos von der Botschaft „abgehurt“ ist und sich an die Fruchtbarkeitsgötter Kanaans verkauft hat (Hos 1,2). Ezechiel schildert Israel als ein Geschwisterpaar, das von Jugend an nichts anderes im Sinn getragen hat, als sich begrapschen und bespringen zu lassen (Ez 23). Und Jeremia erlebt es wie einen Gottesbefehl, einsam, ohne Frau und Freund, zu bleiben, zum Gespött seiner Zeitgenossen (Jer 15,10; 20,7). Ein Prophet kündet Gott, doch er kann es nicht anders als unter Einsatz seiner ganzen Existenz, indem er selbst mit seiner Person zum Deutezeichen ihrer Wirklichkeit wird. Zu den Propheten Israels gehört die Auseinandersetzung mit den Mächtigen. Sie fühlen sich gesandt nicht nur an die Priester im Tempel, sondern auch und ganz besonders an die Herrscher auf den Thronen. Einzig Jesus im Neuen Testament macht von dieser Regel eine bemerkenswerte Ausnahme. Religion muss politisch sein, doch dazu muss sie erst mal Religion sein. Der erste Adressat zur Veränderung der Welt ist auch für Hieronymus die Kirche; doch wie Jesus notwendigerweise die politischen Messias-Erwartungen seiner Zeit irritieren mussten, so gerät auch sein späterer Botschafter aus Prag in Konflikt mit den Hütern der Ordnung in Paris, wo ihn Jean Gerson der Universität verweist, in Köln, in Wien, in Buda – wo immer er auftritt. Was er zu sagen hat, ist nur spärlich überliefert, doch langt es hin, um das Konzept freizulegen: eine Erneuerung der 16
Welt im Geiste Christi – von innen heraus, nicht durch die übliche Umschichtung der alten Unerträglichkeiten. Religion ist eine Umwandlung der Art, als Mensch zu leben, keine Ideologie des politischen Pragmatismus. Beeindruckt zeigte sich Hieronymus von den Gottesdiensten der orthodoxen Kirche, als er ihnen in Litauen beiwohnte; sie gaben ihm eine Ahnung von dem Verlust, den das Schisma aus dem 11. Jahrhundert für die gesamte Christenheit bedeutete. Wieder einmal war getrennt, was dem Wesen nach zusammengehörte. Symbolisch enthält die orthodoxe Liturgie in der Tat den Schlüssel auch zur Überwindung der Kluft zwischen den zwei Reichen Augustins. Wer ein orthodoxes Kirchengebäude betritt, sieht vor sich eine Trennwand, die zwischen dem Heiligen und dem Profanen, dem Göttlichen und dem Menschlichen, dem Himmlischen und dem Irdischen deutlich unterscheidet. Auf der goldgrundigen Ikonostase schauen ihn die Bilder von Engeln und Heiligen an; sie in ihrem Wesen und Wirken sind das erste, was in dieser Welt von Gott sichtbar wird. Dann aber, während des Gottesdienstes, wird die Bibel, das geschriebene Wort Gottes, feierlich herausgetragen und der Tagestext daraus verlesen; er begründet den Glauben, er formt das Leben, er befreit von den Zwängen der Welt. Vorbereitet ist damit der entscheidende Augenblick: die Gegenwart Christi am Altare. Sie ist nicht die Darbringung des „unblutigen Opfers“ Christi für unsere Sünden wie in der lateinischen Kirche; vielmehr kommt der Himmel einen Moment lang herab auf die Erde: Christus, der als Hoher Priester am Throne Gottes unablässig für uns betet, schließt uns ein in den gleichen Lobgesang, in die gleiche Fürbitte, in den gleichen Hymnus der Dankbarkeit. Der Mittelteil der Ikonostase öffnet sich und gibt den Blick frei auf dieses Geheimnis der Gegenwart Gottes, das nur mit den Augen des Geistes zu schauen ist. Es ist unser Leben – als Brot; es ist unsere Freude – als Wein; und es begleitet uns zurück in 17
Hieronymus von Prag zum Gedenken Widerstand. Hieronymus agiert auf seine Weise; er lässt eine öffentliche Dirne als Darstellerin der Kirche im Wagen durch die Stadt fahren – eine sarkastische Performance auf die obszöne Geilheit der allzeit heiligen Mutter Kirche. Das, weiß Hieronymus, ist das Urteil der Bibel über die Hure Babylon; das alte Rom auf den sieben Hügeln, das apokalyptische Untier mit den sieben Hörnern, das ist die römische Kirche! So handelt kein Universitätstheologe, so zeigt es das Format der großen biblischen Propheten. Hosea zum Beispiel heiratet eine Dirne und zeugt mit ihr Kinder, um dem Volke zu zeigen, dass es treulos von der Botschaft „abgehurt“ ist und sich an die Fruchtbarkeitsgötter Kanaans verkauft hat (Hos 1,2). Ezechiel schildert Israel als ein Geschwisterpaar, das von Jugend an nichts anderes im Sinn getragen hat, als sich begrapschen und bespringen zu lassen (Ez 23). Und Jeremia erlebt es wie einen Gottesbefehl, einsam, ohne Frau und Freund, zu bleiben, zum Gespött seiner Zeitgenossen (Jer 15,10; 20,7). Ein Prophet kündet Gott, doch er kann es nicht anders als unter Einsatz seiner ganzen Existenz, indem er selbst mit seiner Person zum Deutezeichen ihrer Wirklichkeit wird. Zu den Propheten Israels gehört die Auseinandersetzung mit den Mächtigen. Sie fühlen sich gesandt nicht nur an die Priester im Tempel, sondern auch und ganz besonders an die Herrscher auf den Thronen. Einzig Jesus im Neuen Testament macht von dieser Regel eine bemerkenswerte Ausnahme. Religion muss politisch sein, doch dazu muss sie erst mal Religion sein. Der erste Adressat zur Veränderung der Welt ist auch für Hieronymus die Kirche; doch wie Jesus notwendigerweise die politischen Messias-Erwartungen seiner Zeit irritieren mussten, so gerät auch sein späterer Botschafter aus Prag in Konflikt mit den Hütern der Ordnung in Paris, wo ihn Jean Gerson der Universität verweist, in Köln, in Wien, in Buda – wo immer er auftritt. Was er zu sagen hat, ist nur spärlich überliefert, doch langt es hin, um das Konzept freizulegen: eine Erneuerung der 16
Welt im Geiste Christi – von innen heraus, nicht durch die übliche Umschichtung der alten Unerträglichkeiten. Religion ist eine Umwandlung der Art, als Mensch zu leben, keine Ideologie des politischen Pragmatismus. Beeindruckt zeigte sich Hieronymus von den Gottesdiensten der orthodoxen Kirche, als er ihnen in Litauen beiwohnte; sie gaben ihm eine Ahnung von dem Verlust, den das Schisma aus dem 11. Jahrhundert für die gesamte Christenheit bedeutete. Wieder einmal war getrennt, was dem Wesen nach zusammengehörte. Symbolisch enthält die orthodoxe Liturgie in der Tat den Schlüssel auch zur Überwindung der Kluft zwischen den zwei Reichen Augustins. Wer ein orthodoxes Kirchengebäude betritt, sieht vor sich eine Trennwand, die zwischen dem Heiligen und dem Profanen, dem Göttlichen und dem Menschlichen, dem Himmlischen und dem Irdischen deutlich unterscheidet. Auf der goldgrundigen Ikonostase schauen ihn die Bilder von Engeln und Heiligen an; sie in ihrem Wesen und Wirken sind das erste, was in dieser Welt von Gott sichtbar wird. Dann aber, während des Gottesdienstes, wird die Bibel, das geschriebene Wort Gottes, feierlich herausgetragen und der Tagestext daraus verlesen; er begründet den Glauben, er formt das Leben, er befreit von den Zwängen der Welt. Vorbereitet ist damit der entscheidende Augenblick: die Gegenwart Christi am Altare. Sie ist nicht die Darbringung des „unblutigen Opfers“ Christi für unsere Sünden wie in der lateinischen Kirche; vielmehr kommt der Himmel einen Moment lang herab auf die Erde: Christus, der als Hoher Priester am Throne Gottes unablässig für uns betet, schließt uns ein in den gleichen Lobgesang, in die gleiche Fürbitte, in den gleichen Hymnus der Dankbarkeit. Der Mittelteil der Ikonostase öffnet sich und gibt den Blick frei auf dieses Geheimnis der Gegenwart Gottes, das nur mit den Augen des Geistes zu schauen ist. Es ist unser Leben – als Brot; es ist unsere Freude – als Wein; und es begleitet uns zurück in 17
Hieronymus von Prag zum Gedenken die Welt: profanes Brot, profaner Wein – die antike Mahlgemeinschaft der „Agape“ deutet noch an, wie verändert das Leben „da draußen“ sein kann. Die Gegengabe, das „Antidoron“, das ein jeder mit sich nach Hause nimmt, beweist es. Von Gott her in diese Welt! Mit seinem Wort in die Wirklichkeit! Mit seiner Gegenwart zurück in die allgegenwärtige Gegnerschaft von Geld, Gier und Gewalt! Das ist die Lebensausrichtung des Hieronymus von Prag. Wenn aber alles vergeblich ist? Wenn die systemrelevanten Strukturen sich als stärker erweisen? Soll man dann immer wieder vor die Wand laufen, statt bequem durch die Tür zu gehen? Hieronymus weiß natürlich um das Jesus -Wort von dem schmalen Weg und der engen Pforte (Lk 13,22–30). An der Welt zu scheitern, widerlegt nicht die Wahrheit, im Gegenteil, an der Seite Jesu zu scheitern, bestätigt nur die Notwendigkeit, wie Christus selber alles zu wagen – im Widerspruch zu den Hohen Priestern auf Erden. „Wir übergeben deine Seele dem Satan“, sagte man Hus am 6. Juli 1415, als man ihm den Ketzerhut aufsetzte und ihn zum Feuer der Hölle verdammte; „ich übergebe sie Christus“, antwortete der Mann, der in seiner äußersten Einsamkeit am meisten ähnlich seinem Vorbild wurde – als Wahrheitszeuge, als Märtyrer. War es wirklich Wankelmut, dass wenig danach Hieronymus sich bereit zeigte, alles zu widerrufen, um seine Haut zu retten? – Wie viel an Qualen unter folterähnlichen Haftbedingungen verträgt ein Mensch? Wie viel an Selbstzweifeln wird jeder Nachdenkliche mit sich tragen? Und kann nicht jeder im Voraus wissen, dass die Mittel der Schergen schier unbegrenzt sind, die Widerstandskräfte von Körper und Seele hingegen nur allzu begrenzt? Hat wirklich versagt, wer zusammenbricht? Ist Glauben nicht stets auch ein Flehen um Beistand, das erhöht werden kann – oder auch nicht? Nicht unsere Stärke ist ’s, wenn wir standhalten. 18
Hieronymus widerrief seinen Widerruf. Im Mai 1416 wird auch er, wie Jan Hus, bei lebendigem Leib verbrannt, doch anders noch als dieser: Hieronymus stirbt nackt, wie Christus am Kreuz, bloßgestellt und geschändet, weil er nicht einmal ein Kleriker ist; doch wieder: Nur ähnlicher noch wird er so seinem Vorbild. Können Menschen wissen, was religiös wahr ist? Sie können, sie müssen die Wahrheit leben, die Gott ihnen anvertraut. Diese Wahrheit ist nicht objektiv erweisbar, sie zeigt sich allein in der Wahrhaftigkeit der Existenz. Wie, wenn auf der Ikonostase am Eingang zum Himmel auch die Bilder von Jan Hus und Hieronymus uns anschauten, fragend und uns gemahnend an jenes Wort Jesu im Evangelium nach Lukas: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den wird auch der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, der wird verleugnet werden vor den Engeln Gottes.“ (Lk 12,8–9) Was ist ’s, was war ’s mit unserem Leben? Wichtig ist nicht das Urteil der Mitwelt, wichtig ist nicht das Urteil der Nachwelt – niemals ist, in Hegels Worten, die Weltgeschichte das Weltgericht. Richtmaß der Menschlichkeit ist einzig ER, in dessen Händen wir stehen, berufen zu jenem anderen Leben in seiner Ewigkeit, zu dem wir hier nur erst unterwegs sind. Die Schranke zum Himmel – dann für immer wird sie sich auftun.
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Hieronymus von Prag zum Gedenken die Welt: profanes Brot, profaner Wein – die antike Mahlgemeinschaft der „Agape“ deutet noch an, wie verändert das Leben „da draußen“ sein kann. Die Gegengabe, das „Antidoron“, das ein jeder mit sich nach Hause nimmt, beweist es. Von Gott her in diese Welt! Mit seinem Wort in die Wirklichkeit! Mit seiner Gegenwart zurück in die allgegenwärtige Gegnerschaft von Geld, Gier und Gewalt! Das ist die Lebensausrichtung des Hieronymus von Prag. Wenn aber alles vergeblich ist? Wenn die systemrelevanten Strukturen sich als stärker erweisen? Soll man dann immer wieder vor die Wand laufen, statt bequem durch die Tür zu gehen? Hieronymus weiß natürlich um das Jesus -Wort von dem schmalen Weg und der engen Pforte (Lk 13,22–30). An der Welt zu scheitern, widerlegt nicht die Wahrheit, im Gegenteil, an der Seite Jesu zu scheitern, bestätigt nur die Notwendigkeit, wie Christus selber alles zu wagen – im Widerspruch zu den Hohen Priestern auf Erden. „Wir übergeben deine Seele dem Satan“, sagte man Hus am 6. Juli 1415, als man ihm den Ketzerhut aufsetzte und ihn zum Feuer der Hölle verdammte; „ich übergebe sie Christus“, antwortete der Mann, der in seiner äußersten Einsamkeit am meisten ähnlich seinem Vorbild wurde – als Wahrheitszeuge, als Märtyrer. War es wirklich Wankelmut, dass wenig danach Hieronymus sich bereit zeigte, alles zu widerrufen, um seine Haut zu retten? – Wie viel an Qualen unter folterähnlichen Haftbedingungen verträgt ein Mensch? Wie viel an Selbstzweifeln wird jeder Nachdenkliche mit sich tragen? Und kann nicht jeder im Voraus wissen, dass die Mittel der Schergen schier unbegrenzt sind, die Widerstandskräfte von Körper und Seele hingegen nur allzu begrenzt? Hat wirklich versagt, wer zusammenbricht? Ist Glauben nicht stets auch ein Flehen um Beistand, das erhöht werden kann – oder auch nicht? Nicht unsere Stärke ist ’s, wenn wir standhalten. 18
Hieronymus widerrief seinen Widerruf. Im Mai 1416 wird auch er, wie Jan Hus, bei lebendigem Leib verbrannt, doch anders noch als dieser: Hieronymus stirbt nackt, wie Christus am Kreuz, bloßgestellt und geschändet, weil er nicht einmal ein Kleriker ist; doch wieder: Nur ähnlicher noch wird er so seinem Vorbild. Können Menschen wissen, was religiös wahr ist? Sie können, sie müssen die Wahrheit leben, die Gott ihnen anvertraut. Diese Wahrheit ist nicht objektiv erweisbar, sie zeigt sich allein in der Wahrhaftigkeit der Existenz. Wie, wenn auf der Ikonostase am Eingang zum Himmel auch die Bilder von Jan Hus und Hieronymus uns anschauten, fragend und uns gemahnend an jenes Wort Jesu im Evangelium nach Lukas: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den wird auch der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, der wird verleugnet werden vor den Engeln Gottes.“ (Lk 12,8–9) Was ist ’s, was war ’s mit unserem Leben? Wichtig ist nicht das Urteil der Mitwelt, wichtig ist nicht das Urteil der Nachwelt – niemals ist, in Hegels Worten, die Weltgeschichte das Weltgericht. Richtmaß der Menschlichkeit ist einzig ER, in dessen Händen wir stehen, berufen zu jenem anderen Leben in seiner Ewigkeit, zu dem wir hier nur erst unterwegs sind. Die Schranke zum Himmel – dann für immer wird sie sich auftun.
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Hieronymus und die Reformation
Luther dachte wie die Hussiten
Hieronymus und die Reformation
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er große Reformator Martin Luther hatte Jan Hus und Hieronymus von Prag schon in seiner Erfurter Klosterzeit entdeckt. Er berichtete, von seinem Novizenmeister erfahren zu haben, dass Hus ohne Beweise verurteilt worden sei. Öffentlich äußerte sich Luther erstmals 1519 über seine böhmischen Vordenker. Zuvor hatte ihm der Prager Pfarrer Rozdalowsky die Schrift „De ecclesia“ von Jan Hus zukommen lassen, die Luther offensichtlich besonders bewegte. Martin Luther sagte im Jahre 1519 bei der Disputation in Leipzig den bedeutenden Satz: Die Reformatoren seien von Beginn an Hussiten gewesen, ohne es zu wissen. 49 Er verurteilte in Leipzig öffentlich die Hinrichtung von Jan Hus und somit auch jene von Hieronymus von Prag. Es war ein Bekenntnis zu den Konstanzer Ketzern. Wenige Jahre später, 1523, engagierte sich Martin Luther für den Druck gesammelter Schriften von Jan Hus und bezeichnete den Prager Prediger als „Märtyrer Christi“ 50. Der Reformator Johannes Für Martin Luther waren Hus und Hieronymus Märtyrer Christi. Agricola publizierte 1529 eine 92
Denkmal in Worms: Martin Luther umringt von seinen Vordenkern.
Zusammenstellung von Texten des Jan Hus und des Hieronymus von Prag. Darüber hinaus entstanden im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts bildliche Darstellungen, die Martin Luther zusammen mit Jan Hus und Hieronymus von Prag zeigen. Auch für den Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer waren Hus und Hieronymus von Prag Personen, auf die er sich bewusst berief. Blarer schrieb und predigte, Hus sei als freier Mann nach Konstanz gekommen und wider Gott, Ehr und alle Billigkeit verbrannt worden. Die Pest von 1519 sei eine Strafe Gottes für die Verbrennung von Jan Hus gewesen. Bei diesen Aussagen darf man Hieronymus von Prag ohne Zweifel mit einbeziehen. Ganz in der Tradition von Jan Hus und Hieronymus predigte Blarer, Glaube sei vor allem Herzenssache und bedürfe keines fremden Urteils. Man müsse Gottes Wort frei wirken lassen. Die Freiheit des Christenmenschen, sich ohne eine institutionelle, hierarchische Instanz der Gnade Gottes und der Heiligen Schrift zu öffnen, war ganz im Sinne von Hieronymus von Prag – und auch die Auffassung von Ambrosius Blarer, der Mönch in Alpirsbach war, ehe er sich der reformatorischen Idee anschloss und für diese in Konstanz offensiv eintrat. 93
Hieronymus und die Reformation
Luther dachte wie die Hussiten
Hieronymus und die Reformation
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er große Reformator Martin Luther hatte Jan Hus und Hieronymus von Prag schon in seiner Erfurter Klosterzeit entdeckt. Er berichtete, von seinem Novizenmeister erfahren zu haben, dass Hus ohne Beweise verurteilt worden sei. Öffentlich äußerte sich Luther erstmals 1519 über seine böhmischen Vordenker. Zuvor hatte ihm der Prager Pfarrer Rozdalowsky die Schrift „De ecclesia“ von Jan Hus zukommen lassen, die Luther offensichtlich besonders bewegte. Martin Luther sagte im Jahre 1519 bei der Disputation in Leipzig den bedeutenden Satz: Die Reformatoren seien von Beginn an Hussiten gewesen, ohne es zu wissen. 49 Er verurteilte in Leipzig öffentlich die Hinrichtung von Jan Hus und somit auch jene von Hieronymus von Prag. Es war ein Bekenntnis zu den Konstanzer Ketzern. Wenige Jahre später, 1523, engagierte sich Martin Luther für den Druck gesammelter Schriften von Jan Hus und bezeichnete den Prager Prediger als „Märtyrer Christi“ 50. Der Reformator Johannes Für Martin Luther waren Hus und Hieronymus Märtyrer Christi. Agricola publizierte 1529 eine 92
Denkmal in Worms: Martin Luther umringt von seinen Vordenkern.
Zusammenstellung von Texten des Jan Hus und des Hieronymus von Prag. Darüber hinaus entstanden im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts bildliche Darstellungen, die Martin Luther zusammen mit Jan Hus und Hieronymus von Prag zeigen. Auch für den Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer waren Hus und Hieronymus von Prag Personen, auf die er sich bewusst berief. Blarer schrieb und predigte, Hus sei als freier Mann nach Konstanz gekommen und wider Gott, Ehr und alle Billigkeit verbrannt worden. Die Pest von 1519 sei eine Strafe Gottes für die Verbrennung von Jan Hus gewesen. Bei diesen Aussagen darf man Hieronymus von Prag ohne Zweifel mit einbeziehen. Ganz in der Tradition von Jan Hus und Hieronymus predigte Blarer, Glaube sei vor allem Herzenssache und bedürfe keines fremden Urteils. Man müsse Gottes Wort frei wirken lassen. Die Freiheit des Christenmenschen, sich ohne eine institutionelle, hierarchische Instanz der Gnade Gottes und der Heiligen Schrift zu öffnen, war ganz im Sinne von Hieronymus von Prag – und auch die Auffassung von Ambrosius Blarer, der Mönch in Alpirsbach war, ehe er sich der reformatorischen Idee anschloss und für diese in Konstanz offensiv eintrat. 93
Würdigung von Hieronymus in Konstanz Die Konstanzer Bevölkerung zeigte sich der Reformation gegenüber sehr offen, weil diese ein viel liberaleres Leben ermöglichte, eine eigenständigere Frömmigkeit förderte und das Selbstbewusstsein des Einzelnen stärkte. Es ist bezeichnend, dass die Rekatholisierung quasi mit Gewalt durch die Habsburger eingeleitet wurde, die Jesuiten nach Konstanz schickten und die Bür- Ambrosius Blarer dachte wie gerschaft zwangen, diese zu akzep- Jan Hus und Hieronymus. tieren. Die Jesuitenschule platzierte man bewusst eher am Rande der Stadt. Ein Priesterseminar konnte das große Bistum in Konstanz nie errichten. Die Anwesenheit der Jesuiten in der Stadt sorgte für viel Ärger und Streit. Die Konstanzer Bevölkerung stand dem traditionellen, papstzentrierten Katholizismus sehr kritisch gegenüber. In Ignaz Heinrich von Wessenberg und seinen Ideen zeigte sich eine gewisse protestantische Haltung. Er forderte ein theologisches und soziales Umdenken – und war deshalb dem Heiligen Stuhl viel zu liberal und daher nicht als Bischof geeignet. Es liegt eine gewisse Tragik darin, dass die Kernthemen der Reformation – das Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlichen Werken, von Papst und Konzilien – zwar in Konstanz auf dem Konzil verhandelt, aber nicht selbstständig weitergedacht wurden. Die Kirche bewegte sich auch in Konstanz nicht, versuchte vielmehr, ein Bollwerk gegenüber der Reformation zu sein – so verhinderte man den Bau einer evangelischen Kirche, solange es ging. Daher ist es kein Zufall, dass die evangelische Lutherkirche in Konstanz auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte von Jan Hus und Hieronymus von Prag liegt. Ihr Grundstein wurde bewusst genau auf den 450. Jahrestag der Hinrichtung von Jan Hus gelegt – den 6. Juli 1865. 94
Rehabilitierung nach Jahrhunderten
Würdigung von Hieronymus in Konstanz
N
achdem die Asche von Jan Hus (1415) und Hieronymus von Prag (1416) im Rhein verstreut war, gab es bis 1863 in Konstanz keinerlei Ort der Erinnerung an die beiden Reformatoren. Erst nach der liberalen Hüetlin-Ära, in der ein Denkmal noch staatlich durch Metternich verboten wurde, wurde mit Spendengeldern ein Findling aus der Nähe von Hegne bei Allensbach im Konstanzer Paradies aufgestellt – als Gedenkstein mit zwei gleichartigen Tafeln für Hieronymus und Hus und als Ort des Gedenkens immer häufiger besucht. In der Zeit nach
Erst 1863 durfte im Brühl in Eigeninitiative am Ort der Verbrennung ein Gedenkstein für Jan Hus und Hieronymus aufgestellt werden.
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Würdigung von Hieronymus in Konstanz Die Konstanzer Bevölkerung zeigte sich der Reformation gegenüber sehr offen, weil diese ein viel liberaleres Leben ermöglichte, eine eigenständigere Frömmigkeit förderte und das Selbstbewusstsein des Einzelnen stärkte. Es ist bezeichnend, dass die Rekatholisierung quasi mit Gewalt durch die Habsburger eingeleitet wurde, die Jesuiten nach Konstanz schickten und die Bür- Ambrosius Blarer dachte wie gerschaft zwangen, diese zu akzep- Jan Hus und Hieronymus. tieren. Die Jesuitenschule platzierte man bewusst eher am Rande der Stadt. Ein Priesterseminar konnte das große Bistum in Konstanz nie errichten. Die Anwesenheit der Jesuiten in der Stadt sorgte für viel Ärger und Streit. Die Konstanzer Bevölkerung stand dem traditionellen, papstzentrierten Katholizismus sehr kritisch gegenüber. In Ignaz Heinrich von Wessenberg und seinen Ideen zeigte sich eine gewisse protestantische Haltung. Er forderte ein theologisches und soziales Umdenken – und war deshalb dem Heiligen Stuhl viel zu liberal und daher nicht als Bischof geeignet. Es liegt eine gewisse Tragik darin, dass die Kernthemen der Reformation – das Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlichen Werken, von Papst und Konzilien – zwar in Konstanz auf dem Konzil verhandelt, aber nicht selbstständig weitergedacht wurden. Die Kirche bewegte sich auch in Konstanz nicht, versuchte vielmehr, ein Bollwerk gegenüber der Reformation zu sein – so verhinderte man den Bau einer evangelischen Kirche, solange es ging. Daher ist es kein Zufall, dass die evangelische Lutherkirche in Konstanz auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte von Jan Hus und Hieronymus von Prag liegt. Ihr Grundstein wurde bewusst genau auf den 450. Jahrestag der Hinrichtung von Jan Hus gelegt – den 6. Juli 1865. 94
Rehabilitierung nach Jahrhunderten
Würdigung von Hieronymus in Konstanz
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achdem die Asche von Jan Hus (1415) und Hieronymus von Prag (1416) im Rhein verstreut war, gab es bis 1863 in Konstanz keinerlei Ort der Erinnerung an die beiden Reformatoren. Erst nach der liberalen Hüetlin-Ära, in der ein Denkmal noch staatlich durch Metternich verboten wurde, wurde mit Spendengeldern ein Findling aus der Nähe von Hegne bei Allensbach im Konstanzer Paradies aufgestellt – als Gedenkstein mit zwei gleichartigen Tafeln für Hieronymus und Hus und als Ort des Gedenkens immer häufiger besucht. In der Zeit nach
Erst 1863 durfte im Brühl in Eigeninitiative am Ort der Verbrennung ein Gedenkstein für Jan Hus und Hieronymus aufgestellt werden.
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Würdigung von Hieronymus in Konstanz
In dem einzigen noch bestehenden gotischen Wohnhaus in der Kons tanzer Hussenstraße weilte Hieronymus 1415 für wenige Tage.
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der Wende 1989 setzte ein Besucherstrom von mehr als zwei Millionen Personen aus Tschechien zum sogenannten „Hussenstein“ ein. Die Hinweistafeln dahin für Fahrzeuge sind auf Deutsch (Hussenstein) und Tschechisch (Husev kamen) beschriftet. Hieronymus taucht hier nicht auf. Sehr selten sind auch Fotos mit der Tafel des Hieronymus auf dem Erinnerungsstein. Im Jahre 2015 bekam die Stadt Konstanz von der tschechischen Kirche eine Hus-Skulptur als Zeichen der Versöhnung geschenkt. Bereits im Vorfeld der Ent- Die Allee zum Hussenstein: hüllung zum sechshunderts- Ansicht vom Ende des 19. Jhds. ten Todestag von Jan Hus gab es einige Kontroversen bezüglich der Form und des Standortes. Heute steht die Skulptur „Flammender Kelch“ auf dem breiten Mittelstreifen der Laube, schräg gegenüber der Lutherkirche. Auch auf dieser Skulptur war Hieronymus „vergessen“ worden. Erst das mehrfache Nachhaken eines Stadtverordneten, warum Hieronymus nicht auf der Skulptur berücksichtigt werde (er nennt Hieronymus in der Online-Zeitung „seemoz“ „Mordopfer zweiter Klasse“ 51), bewirkte dann doch noch das in Stein gemeißelte Gedenken: Mit Einwilligung der Künstlerin der Skulptur wurde Hieronymus‘ Name nachträglich in den Stein gehauen. Der Name Hieronymus zeigt dabei nach Norden, die Sonnenseite ist Jan Hus vorbehalten. 97
Würdigung von Hieronymus in Konstanz
In dem einzigen noch bestehenden gotischen Wohnhaus in der Kons tanzer Hussenstraße weilte Hieronymus 1415 für wenige Tage.
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der Wende 1989 setzte ein Besucherstrom von mehr als zwei Millionen Personen aus Tschechien zum sogenannten „Hussenstein“ ein. Die Hinweistafeln dahin für Fahrzeuge sind auf Deutsch (Hussenstein) und Tschechisch (Husev kamen) beschriftet. Hieronymus taucht hier nicht auf. Sehr selten sind auch Fotos mit der Tafel des Hieronymus auf dem Erinnerungsstein. Im Jahre 2015 bekam die Stadt Konstanz von der tschechischen Kirche eine Hus-Skulptur als Zeichen der Versöhnung geschenkt. Bereits im Vorfeld der Ent- Die Allee zum Hussenstein: hüllung zum sechshunderts- Ansicht vom Ende des 19. Jhds. ten Todestag von Jan Hus gab es einige Kontroversen bezüglich der Form und des Standortes. Heute steht die Skulptur „Flammender Kelch“ auf dem breiten Mittelstreifen der Laube, schräg gegenüber der Lutherkirche. Auch auf dieser Skulptur war Hieronymus „vergessen“ worden. Erst das mehrfache Nachhaken eines Stadtverordneten, warum Hieronymus nicht auf der Skulptur berücksichtigt werde (er nennt Hieronymus in der Online-Zeitung „seemoz“ „Mordopfer zweiter Klasse“ 51), bewirkte dann doch noch das in Stein gemeißelte Gedenken: Mit Einwilligung der Künstlerin der Skulptur wurde Hieronymus‘ Name nachträglich in den Stein gehauen. Der Name Hieronymus zeigt dabei nach Norden, die Sonnenseite ist Jan Hus vorbehalten. 97
Würdigung von Hieronymus in Konstanz
Enthüllung der Gedenktafel für Hieronymus am ehemaligen Kerkerhaus.
Ein weiterer Beleg für das „Übersehen“ von Hieronymus bis in unsere Tage: Die Konstanzer Gasse zwischen Laube und Hussenstraße, an der sich die St. Paulskirche befand und in der Hieronymus 1415 eingekerkert wurde, trug von 1876 bis 1939 den Namen „Hieronymusgasse“. Nach 1939 wurde sie in „Pfauengasse“ umbenannt so wie die „Hussenstraße“ in „Römerstraße“. Denn es lasse sich – so die damalige Begründung – „nicht länger mit der Würde der Stadt vereinbaren (…), diese Straßen mit den Namen zweier Tschechen (und Deutschenhasser) zu benennen“. 52 Nach dem Kriege wurde die „Römerstraße“ wieder zur „Hussenstraße“. Die Pfauengasse allerdings behielt ihren Namen, das Relikt aus der nationalsozialistischen Zeit, bis ins Jahr 2003. Erst Bürger- und parteipolitisches Engagement führten überhaupt zur späten Rückbenennung in „Hieronymusgasse“ durch die Stadt Konstanz. Manches deutet darauf hin, dass die Pfauengasse in den Jahren nach 1945 „schlichtweg vergessen“ wurde. Zum sechshundertsten Todestag von Hieronymus von Prag wurde im Jahr 2016, wieder 98
aufgrund von Bürger-Initiative, durch die Stadt Konstanz eine kleine Zusatztafel zum Straßenschild angebracht – mit einigen Angaben zu Hieronymus. Hingewiesen werden muss natürlich auch auf die Informationstafel in der Hussenstraße 14 am „Haus zum Delphin“, wo Hieronymus bei seiner Ankunft in Konstanz im April 1415 kurzfristig wohnte. Das „Haus zum Delphin“ ist inzwischen siebenhundert Jahre alt und das einzige in dieser Qualität noch erhaltene – und vorbildlich durch private Initiative restaurierte – gotische Konstanzer Bürgerhaus. Im zweiten Obergeschoß befindet sich die Hieronymusstube, in der seit Jahrzehnten regelmäßig der „Delphin-Kreis“ zusammenkommt, eine Gruppe historisch und architekturgeschichtlich interessierter Konstanzer. Ebenfalls beachtenswert ist das Relief über dem Eingang Nr. 73 in der Oberen Laube, an der Stelle, wo Hieronymus im Turm nahe der Paulskirche fast ein Jahr lang in Ketten lag. Das Fazit muss lauten: Hieronymus steht auch sechshundert Jahre nach seiner Verbrennung im Schatten seines Freundes Jan Hus. Und das bei einem scharfsinnigen Philosophen, von dem in der Richental-Chronik zu lesen ist, dass und wie viele Gelehrte in das Verlies von Hieronymus kamen, um mit ihm wegen seines falschen Glaubens und anderer theologischer Fragen zu disputieren. Sie waren der Meinung, dass er, Hieronymus, „viermal Der „Kelch in Flammen“ vor der Lutherkirche. so gelehrt sei wie Hus“. 53 99
Würdigung von Hieronymus in Konstanz
Enthüllung der Gedenktafel für Hieronymus am ehemaligen Kerkerhaus.
Ein weiterer Beleg für das „Übersehen“ von Hieronymus bis in unsere Tage: Die Konstanzer Gasse zwischen Laube und Hussenstraße, an der sich die St. Paulskirche befand und in der Hieronymus 1415 eingekerkert wurde, trug von 1876 bis 1939 den Namen „Hieronymusgasse“. Nach 1939 wurde sie in „Pfauengasse“ umbenannt so wie die „Hussenstraße“ in „Römerstraße“. Denn es lasse sich – so die damalige Begründung – „nicht länger mit der Würde der Stadt vereinbaren (…), diese Straßen mit den Namen zweier Tschechen (und Deutschenhasser) zu benennen“. 52 Nach dem Kriege wurde die „Römerstraße“ wieder zur „Hussenstraße“. Die Pfauengasse allerdings behielt ihren Namen, das Relikt aus der nationalsozialistischen Zeit, bis ins Jahr 2003. Erst Bürger- und parteipolitisches Engagement führten überhaupt zur späten Rückbenennung in „Hieronymusgasse“ durch die Stadt Konstanz. Manches deutet darauf hin, dass die Pfauengasse in den Jahren nach 1945 „schlichtweg vergessen“ wurde. Zum sechshundertsten Todestag von Hieronymus von Prag wurde im Jahr 2016, wieder 98
aufgrund von Bürger-Initiative, durch die Stadt Konstanz eine kleine Zusatztafel zum Straßenschild angebracht – mit einigen Angaben zu Hieronymus. Hingewiesen werden muss natürlich auch auf die Informationstafel in der Hussenstraße 14 am „Haus zum Delphin“, wo Hieronymus bei seiner Ankunft in Konstanz im April 1415 kurzfristig wohnte. Das „Haus zum Delphin“ ist inzwischen siebenhundert Jahre alt und das einzige in dieser Qualität noch erhaltene – und vorbildlich durch private Initiative restaurierte – gotische Konstanzer Bürgerhaus. Im zweiten Obergeschoß befindet sich die Hieronymusstube, in der seit Jahrzehnten regelmäßig der „Delphin-Kreis“ zusammenkommt, eine Gruppe historisch und architekturgeschichtlich interessierter Konstanzer. Ebenfalls beachtenswert ist das Relief über dem Eingang Nr. 73 in der Oberen Laube, an der Stelle, wo Hieronymus im Turm nahe der Paulskirche fast ein Jahr lang in Ketten lag. Das Fazit muss lauten: Hieronymus steht auch sechshundert Jahre nach seiner Verbrennung im Schatten seines Freundes Jan Hus. Und das bei einem scharfsinnigen Philosophen, von dem in der Richental-Chronik zu lesen ist, dass und wie viele Gelehrte in das Verlies von Hieronymus kamen, um mit ihm wegen seines falschen Glaubens und anderer theologischer Fragen zu disputieren. Sie waren der Meinung, dass er, Hieronymus, „viermal Der „Kelch in Flammen“ vor der Lutherkirche. so gelehrt sei wie Hus“. 53 99
Ab 1395 ➣ Studium an KarlsUniversität in Prag. 14. 09. 1398 ➣ Baccalaureus der Freien Künste/zweitbestes Examen. 1399 ➣ Für zwei Jahre von der Vorlesungspflicht befreit.
29. 08. 1410 ➣ H. verteidigt in Wien die Prager Universität und sich selbst gegen den Vorwurf der Häresie. 02. 09. 1410 ➣ H. wird verhört und drei Tage später, am 5. September, verlangt man seine Verhaftung, die aber nicht erfolgt.
von Prag
Der Philosoph im Schatten von Jan Hus
10. 09. 1410 ➣ H. flieht aus Wien.
22. 10. 1410 ➣ H. wird des Meineides für schuldig erklärt und Sommer 1399 ➣ Wahrscheinlich exkommuniziert. in Oxford. H. kopiert und studiert Schriften von John Wyclif. 12. 06. 1412 ➣ H. protestiert mit Jan Hus gegen den AblasshanMärz 1401 ➣ H. wieder in Prag. del; er organisiert Protestzüge 1403 ➣ Möglicherweise Reise von Prager Studenten. nach Jerusalem. März 1413 ➣ Aufenthalt in Polen, 1404 ➣ Aufenthalt an der UniverLitauen und Russland. sität Sorbonne in Paris. 04. 04. 1415 ➣ H. in Konstanz, Mai 1404 ➣ Ablegung der Lizenum Jan Hus zu helfen: Er lässt ziatsprüfung in Paris. Protesterklärungen gegen die Januar 1405 ➣ Bestellung zum Verhaftung von Hus anschlagen Magister regens an der Pariser und verbreiten. Universität. 09. 04. 1415 ➣ H. bricht von 1406 ➣ Flucht von Paris nach Überlingen in Richtung Böhmen Köln, weil der Universitätskanzauf. ler Jean Gerson H. zum Widerruf 24. 04. 1415 ➣ Festnahme von H. einiger Thesen auffordert. im oberpfälzischen Sulzbach. April 1406 ➣ Bestellung zum Ma- 23. 05. 1415 ➣ H. trifft in Ketten gister an der Kölner Universität. gelegt in Konstanz ein. Nach Unstimmigkeiten verlässt 06. 07. 1415 ➣ Verurteilung und H. heimlich die Stadt und verVerbrennung von Jan Hus. weilt kurz an der Heidelberger Universität. 08. 09. 1415 ➣ H. wird in Kons tanz in der Kirche St. Paul Anfang 1407 ➣ Magister in Prag. verhört. 1409 ➣ H. ist wesentlich am 23. 09. 1415 ➣ Verhör von H. im Zustandekommen des KuttenKonstanzer Münster. Abkehr berger Dekrets beteiligt. von Jan Hus und John Wyclif. 20. 03. 1410 ➣ Rede vor König 23. und 26. 05. 1416 ➣ KehrtSigismund über den Zustand wende: H. bekennt sich wieder der Kirche. zu Jan Hus und John Wyclif. Frühjahr 1410 ➣ H. protestiert 30. 05. 1416 ➣ Verurteilung und in Prag gegen die Verbrennung Verbrennung von H. von Büchern des John Wyclif.
Hieronymus_Cover_Umbruch4_160503.indd 1
Hieronymus
Jürgen Hoeren • Winfried Humpert
um 1380 ➣ Geboren in Prag, wahrscheinlich in der Prager Neustadt.
Jürgen Hoeren • Winfried Humpert
Hieronymus von Prag
Der Philosoph im Schatten von Jan Hus Mit einer
Können Menschen wissen, was religiös wahr ist? Jahrhundertelang stand er im Schatten von Jan Hus: Hieronymus von Prag. Er ist der Philosoph unter den Theologen, er wagte es, die Menschen dazu anzustiften, selber zu denken, und ihnen etwa das Mysterium der Trinität begreifbar zu machen. Mit seinen brillanten Analysen und seiner scharfsinnigen Kritik an der kirch lichen Praxis der Zeit machte sich Hieronymus mehr als unbeliebt, was ihm 1416 – wie seinem Weggefähr ten Hus vor ihm – Verurteilung und Verbrennung auf dem Konstanzer Konzil einbrachte. Präzise wie sensi bel zeichnet der reich bebilderte Band die Lebens- und Wirkspuren des unbequemen Hieronymus nach, der als „Globetrotter“ Europa bereiste. Eindrücklich wird das Ungleichgewicht der Erinnerungskultur für Hus und Hieronymus ergründet, bevor letztlich die Aktualität gerade auch von Hieronymus gewürdigt wird. ISBN 978-3-87800-100-3
Hieronymus von Prag – Der Philosoph im Schatten von Jan Hus
Hieronymus von Prag – Stationen seines Lebens
Einführung von Eugen Drewermann
04.05.16 13:24