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Buch
Kuti, der einmal sagte, das Geschenk eines musikalischen Talentes müsse mit Respekt angenommen werden: «Ich gebe mir Mühe, eine ähnliche Haltung zu pflegen. Alle Künstler, die ich liebe, Nick Cave, PJ Harvey, Leonard Cohen, Dr. John, sie zeigen eine unerklärbare Verbindung zur Musik, die viel mehr umfasst als die richtigen Akkorde und die rechten Worte.» Als Teenager schätzte Obaro den lauten Rock von Sepultura und Korn, aber auch sanftere Kost wie Badly Drawn Boy. An der Uni in Coventry entdeckte er dann die elektronische Musik von Aphex Twin.
Weder Rapper noch urban
In seiner eigenen Musik zehrte er von den vielen Einflüssen, denen ein junger Mensch im britischen Alltag begegnen konnte. So begann sein noch immer nicht ganz beendeter Kampf gegen Schubladendenken und Vorurteile. Weil seine Beats am Anfang notgedrungen aus dem Computer kamen, weil ausserdem sein Gesangstil eher dem eines Geschichtenerzählers gleicht als dem eines konventionellen Sängers und nicht zuletzt wegen seiner Hautfarbe wurde er gern als «Rapper» dargestellt oder in die Kategorie «urban» gesteckt. «Ich bin nichts dergleichen», protestierte Obaro immer wieder. «Ich mache keinen Sprechgesang. Ich passe nicht in die urbane Schublade. Dass ich so singe, wie ich singe, ist bloss darauf zurückzuführen, dass ich als Sänger eben shit bin.»
Der Lockdown ist umso frustrierender, als Ghostpoet mit dem neuen Album allerhand musikalische Risiken eingegangen ist und nur allzu gern erlebt hätte, wie ein Live-Publikum das Ergebnis aufnehmen würde. Zum ersten Mal zeichnete er allein für die Produktion verantwortlich. Es bedeutet, dass seine klangliche Vision nicht mehr durch eine fremde Linse gefiltert wird, ehe sie an unser Ohr dringt. «Die beiden letzten Alben von Talk Talk haben mir als Wegweiser gedient», erklärt er. Er habe sogar die Memoiren von Phill Brown gelesen, dem Produzenten dieser Werke, um herauszufinden, wie sie entstanden seien. Er lud die Musiker einzeln ins Studio ein – das Spektrum reichte von Viola über Bassgeige, Sax und Perkussion bis Mellotron –, erklärte ihnen, was er sich von ihnen wünschte, und liess sie walten. Danach suchte er aus den verschiedenen Beiträgen die Segmente heraus, die ihm am besten gefielen, fügte ihnen seine eigenen Geräusche und Gesänge bei und setzte alles zu einer narkotisierend dichten, detailreichen Klangwelt zusammen, die mit jedem neuerlichen Genuss reichhaltiger wirkt. Zuvorderst steht immer die sonore Bassstimme. Sie rückt kaum je von der geisterhaften, winzigen Tonlage ab, in der es ihr wohl ist. In diesem virtuosen Minimalismus steckt viel hypnotische Kraft.
Ghostpoet: «I Grow Tired And Dare Not
Fall Asleep» (PIAS/MV) Buch Georges Saunders’ «Fuchs 8» ist ein witziges und zugleich himmeltrauriges Märchen für Gross und Klein.
Fuchs 8 war schon immer neugierig. So neugierig, dass er sich jeden Abend zu den Menschen schleicht. Vor allem, seit er diese schöne Musik aus Wörtern gehört hat. «Fast ziniert von disen Musikwörtern» will er sie «tot tal versteen». Schon bald spricht er fliessend und im besten Jugendslang («Korrekk, Alter!») «Mänschisch». Und auch wenn ihn manches an den Zweibeinern stutzig macht – sie reden viel Unsinn über «Fükse, Hüner, Beren und Oilen» –, gibt er bei den anderen Füchsen mächtig mit seinen Kenntnissen an.
Fuchs 28, der «Krose Fürer», beschliesst, dieses Können «zum Nuzzen der Kruppe» einzusetzen und führt Fuchs 8, der auch das «Alfa-Bett» gelernt hat, zu einem grossen Schild mit der Aufschrift «Fuksblikk Zenter». Was das bedeutet, wird den Füchsen auf erschreckende Weise klar, als «Elkawes» kommen, die alle Bäume ausreissen und den Fluss verdrecken. Bald gibt es kein Futter mehr, die Füchse werden mager und viele verhungern.
Doch Fuchs 8 ist auch ein «Tagtroimer». Als er spitzkriegt, dass es im Shoppingcenter eine «Fressmaile» gibt, schlägt er beim nächsten «Kruppenmiting» vor, sich das Futter dort zu holen. Die Menschen seien «nett und kul» und würden sicher was abgeben. Doch nur sein bester Freund, Fuchs 7, wagt es, ihn zu begleiten. Zuerst geht auch alles gut, und sie machen reiche Beute. Aber dann geraten sie beim «Paar King» an zwei Bauarbeiter, die Fuchs 7 mit Steinen und Fusstritten töten. Entsetzt flieht Fuchs 8 vor der erbarmungslosen «Grau Sarmkeit» und schreibt im Exil einen Brief an die Menschheit.
Der amerikanische Autor Georges Saunders hat mit «Fuchs 8» ein modernes Märchen für Gross und Klein geschrieben, das – begleitet von den federleichten Illustrationen von Chelsea Cardinal – zugleich witzig und himmeltraurig ist. Ein Märchen, in dessen Zentrum die Frage seines tierischen Protagonisten steht, warum «die Kruppe, die so vil kann, so böse ist». Wie konnte der Schöpfer einen so «krosen Feler» machen? Der Blick, der dabei aus Fuchsaugen auf das rücksichtslose Treiben der Menschen geworfen wird, ist entlarvend. Und dass Fuchs 8 so spricht und schreibt, wie ihm der Schnabel bzw. die Schnauze gewachsen ist, stellt unsere «Musikwörter» auf spielerische Weise auf den Prüfstand.
Für Fuchs 8 geht das Märchen gut aus. Er findet sein «Heppi Ent». Wir Menschen müssen uns unser Happy End erst noch verdienen. CHRISTOPHER ZIMMER
George Saunders: «Fuchs 8» Luchterhand 2019. CHF 18.90