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Verhüllungsverbot
Verbot für 30 Frauen
Verhüllungsverbot Warum zeigen manche Frauen ihr Gesicht nicht? Diese Frage irritiert so sehr, dass eine Debatte über Frauenrechte entbrannt ist. Dabei gibt es einleuchtende Antworten.
TEXT ANDRES EBERHARD
Kürzlich machte sich ein Forscher die Mühe, sie zu zählen. Zwi- dem Wissenschaftler politischer Gegenwind entgegen. Die Weltschen 21 und 37 Frauen tragen hierzulande Gesichtsschleier, so woche verunglimpfte seine Untersuchung, tags darauf warf ihm das Fazit seiner Untersuchung. Zum Vergleich: In der Schweiz Initiant und SVP-Nationalrat Walter Wobmann im Tages-Anzeileben gegen 200 000 muslimische Frauen. Nun stimmt am 7. ger mangelndes Fachwissen vor. März die ganze Schweiz darüber ab, ob ihnen dieser Teil ihres Tunger-Zanettis Schlussfolgerungen sind wissenschaftlich Gewandes verboten wird. jedoch breit abgestützt. So haben Wissenschaftler*innen aus
Wer sind die verhüllten Frauen? Warum zeigen sie ihr Gesicht ganz Europa dazu schon zahlreiche Frauen interviewt. Am umnicht? Darauf kennt kaum eine*r die Antwort. Denn mit Aus- fangreichsten ist die Langzeitbegleitung der französischen Sonahme von Nora Illi, der in Fernsehshows bekannt gewordenen ziologin Agnès De Féo, die für ihr kürzlich erschienenes Buch und vor einem Jahr verstorbenen Zürcher Konvertitin, trat keine «Derrière le niqab» mit 200 Niqab-Trägerinnen in Frankreich Frau mit Niqab (wie das Kleidungsstück auf Arabisch heisst) re- gesprochen hat. Es handle sich bei den allermeisten um «westgelmässig öffentlich in Erscheinung. liche Frauen ihrer Zeit, die weder von den Männern noch von der
Wo keine Fakten bekannt sind, kursieren Bilder: vor allem Salafisten-Szene unter Druck gesetzt werden.» Nur zwei von jenes der hilflosen Frau, unterdrückt von ihnen rutschten ins extremistische Milieu ihrem Mann oder Vater aus dem extremistischen Milieu. Gezeichnet wird es von den Initianten des Verhüllungsverbots, dem SVP-nahen Egerkinger Komitee. Dieses lancierte im Jahr 2009 bereits die Minarettinitiative und wirbt mit dem Slogan «Stopp der Islamisierung der Schweiz» offen für Ausgrenzung. Nun argumentieren die vorwiegend alten Männer aus dem Komitee mit angeblich demokratischen Argumenten. Das Kleidungsstück greife gleich mehrere Grundwerte an: Freiheit. Gleichberechtigung. Sicherheit. «Kleidungsfreiheit ist auch Meinungsfreiheit. Kein Patriarch lässt sich umstimmen, wenn die Schweiz ein Niqab-Verbot einführt.» ab – beide radikalisierten sich, nachdem Frankreich vor zehn Jahren ein Verhüllungsverbot beschlossen hatte. Kein Zwang Zum fast identischen Schluss kommen Untersuchungen aus Belgien (27 Interviews: «Gesichtsschleier für die meisten eine autonome Entscheidung»), Holland (20 Interviews: «Frauen distanzierten sich deutlich davon, dass sie physisch oder sozial unter Druck gesetzt worden seien») und Dänemark (8 Interviews: «Alle Frauen
Nicht einmal Gegner*innen der Initi- sprachen von einer freien Entscheidung, ative bestreiten grundsätzlich das orien- ANDREAS TUNGER-ZANETTI bezeichneten es als ihren eigenen mutigen talistische Bild der schwachen Frau, die und unabhängigen Schritt»). In Grossbriihr Äusseres wegen ihrer patriarchali- tannien (122 Interviews) war der am häuschen Familie nicht zeigen darf. Eher argumentieren sie, ein figsten genannte Grund für die Verschleierung die Freiheit. Eine Verbot sei die falsche Lösung. So sagte SP-Nationalrat Fabian junge Engländerin bezeichnete den Schritt bei der Befragung als Molina in der «Arena», dass man «Frauen, die dazu gezwungen «eine Befreiung aus einer westlichen Perspektive», da sie sich werden, einen Niqab zu tragen, nicht hilft, wenn man sie zu Tä- nun «nicht mehr darum kümmern muss, wie mich die Leute anterinnen macht». schauen und was sie von mir denken. Sie können mich nicht mehr
Doch das Bild der unterdrückten Muslima ist falsch. Das sagt nach dem Äusseren beurteilen. Alles was zählt, ist was ich sage Andreas Tunger-Zanetti, Islamwissenschaftler an der Universität und was ich denke.» Luzern – jener Forscher, der die Zahl der Niqab-Trägerinnen in Und in der Schweiz? Kann es sein, dass hier alles anders ist? der Schweiz geschätzt hat. In seinem Buch «Verhüllung» schreibt Anruf bei Mira Menzfeld. Die deutsche Ethnologin betreibt Felder, dass sich die allermeisten Frauen in Westeuropa und so auch forschung über Salafist*innen – das heisst, dass sie Menschen in der Schweiz aus freien Stücken heraus dafür entscheiden wür- privat trifft, die einer sehr strengen Auslegung des Islams folgen. den, den Niqab zu tragen, manchmal sogar gegen den Willen von Derzeit arbeitet Menzfeld als Gastforscherin am ReligionswisEhemann oder Vater. Es handle sich fast ausschliesslich um senschaftlichen Seminar der Universität Zürich. Sie hat GespräFrauen, die hier sozialisiert worden sind. che mit mehreren Schweizer Niqab-Trägerinnen geführt, drei
Mit dem Buch erlangte Tunger-Zanetti mediale Bekanntheit. davon begleitet sie schon sehr lange. «Keine Einzige wurde geDer Bundesrat übernahm die Argumente des Luzerner Forschers, zwungen, den Niqab zu tragen», sagt die Ethnologin. «Diese um die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. Daraufhin wehte Frauen haben sich alle sehr bewusst dafür entschieden.» Diese
Freiwilligkeit sei für Salafist*innen sogar extrem wichtig. «Es gilt als Heuchelei, den Niqab nicht aus voller persönlicher Überzeugung zu tragen», so Menzfeld. Motive seien häufig schlechte Erfahrungen mit Männern, der Wunsch, nicht bewertet zu werden oder jener, eine gute Muslima zu sein. Bei den Frauen handle es sich entweder um Konvertitinnen oder um Rekonvertitinnen, fast alle mit Schweizer Pass.
Die Sache ist also relativ klar. Es gibt keine Frauen, die in der Schweiz leben und dazu gezwungen werden, ihr Gesicht zu verhüllen. Das sagt noch nichts darüber hinaus, wie es sich für Frauen in autoritär regierten islamischen Ländern verhält. Dieser Unterschied ist auch Tunger-Zanetti wichtig. «Ein Niqab in Kairo ist nicht dasselbe wie ein Niqab in Luzern.» Er erachtet eine Verhüllung dort als problematisch, wo es eine Pflicht ist, sie zu tragen. «Kleidungsfreiheit ist auch eine Art Meinungsfreiheit.» Um in solchen Ländern etwas zu verändern, müsse man jene Kräfte unterstützen, die sich vor Ort gegen autoritäre und patriarchalische Strukturen auflehnen. «Kein Patriarch lässt sich umstimmen, wenn die Schweiz ein Niqab-Verbot einführt.»
In der Schweiz steht ein Nikab, so legt es die Forschung nahe, also eher für eine bewusste Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft, häufig als Phase im Leben einer Frau, die einen eigenen Zugang zur Religion oder Identität gefunden hat. Umgekehrt kommt es vor, dass Muslimas, die in der Heimat Niqab tragen, diesen auf Besuch in Europa ablegen. «Während es in der Heimat sozial üblich oder erforderlich ist, erzeugt es im Westen eine ungewollte Aufmerksamkeit», schreibt die holländische Forscherin Annelies Moor.
Was also, wenn die Initiative angenommen wird? Mehr Gleichberechtigung und Freiheit? Nein, sagt die Forschung. Sicherheit? Auch das nicht: Zwei Wissenschaftlerinnen untersuchten, ob ein Verhüllungsverbot vor islamistischen Angriffen schützt. Dafür verglichen sie die Daten aus 27 europäischen Ländern mit einem solchen Verbot und ohne. Das Resultat: Ein Verbot führte schon rein statistisch gesehen zu mehr Terrorismus – vermutlich, weil sich Länder damit erst recht zur Zielscheibe von islamistischen Extremist*innen machten.
Es ist gemäss Erfahrungen anderer Länder nicht einmal besonders wahrscheinlich, dass die rund dreissig Schweizer Niqab-Trägerinnen den Schleier abwerfen und ihr «Gesicht zeigen», wie es die Initianten verlangen. Eher werden sie stattdessen zuhause bleiben, das Auto nehmen und falls sie doch einmal in die Öffentlichkeit gehen sollten, angefeindet werden. Als sie befragt wurde, erzählte die 21-jährige Nadjet aus Frankreich, wo der Niqab seit zehn Jahren verboten ist: «Würden die Leute wirklich denken, dass wir unterdrückt und geschlagen werden, dann wären sie traurig oder hätten Mitleid.» Doch davon spürt sie nichts, eher erlebt sie Rassismus. «Was sie für uns haben, ist pure Wut.»
Willige Beute
Es ist das x-te Mal, dass uns das sogenannte Egerkinger Komitee in eine Debatte reindrängt, die vorgibt, Freiheiten und Werte zu verteidigen, in Wirklichkeit jedoch darauf abzielt, den Islam und die Muslime als fremd und nicht zur Schweiz gehörig zu markieren. Wir sollten die Taktik bereits kennen und durchschaut haben. Und doch tappen wir mit der öffentlichen Debatte zielsicher wieder in dieselbe Falle: Wir lassen uns von der SVP mit ihren rassistischen Kampagnenplakaten – absichtlich in der Rechtsextremen vertrauten Farbcodierung schwarz-weiss-rot gehalten – und der Inszenierung einer Bedrohung durch «den Islam» und «die Muslime» zwingen, uns zu dieser Religion und den Gläubigen zu positionieren.
Dabei reflektieren wir nicht, dass wir Europäer*innen diese Art Diskussionen über den Islam, die Muslime und die islamische Welt bereits seit Jahrhunderten führen und über die darin vorgenommene Abgrenzung unsere eigene Identität konstruieren. Hier «wir», da «die». Wir merken nicht, wie wir in den Debatten Vorurteile und rassistische Stereotypen reproduzieren: Frauen, die wir glauben, befreien zu müssen, patriarchale Strukturen, die «wir» längst hinter uns gelassen zu haben glauben. (Frauenwahlrecht Aserbaidschan 1918, Albanien 1920, Türkei 1934, Libanon 1952, Algerien 1962, just saying.)
Wer diesen Mangel an Selbstreflexion jedoch schmerzhaft wahrnimmt, sind Muslime. Viele haben gar keine Lust (und Kraft) mehr, sich in die Debatte einzuschalten. Ständig müssen sie sich erklären, werden angestarrt wegen des Kopftuchs oder misstrauisch beäugt beim Gang in die Moschee. Dabei gehören viele seit Generationen zur Schweiz. Für die allermeisten ist der Gesichtsschleier genauso marginal wie für uns. Und doch wird ihnen in Debatten wie dieser immer wieder aufs Neue vermittelt: Ihr gehört nicht dazu. Nur wer sich besonders glaubwürdig oder laut abgrenzt, hat vielleicht eine Chance auf Toleranz. Kein Kopftuch, keine Takke, keine Speisevorschriften. Von wegen Religionsfreiheit.
Wir als Mehrheitsgesellschaft nehmen uns derweil heraus, darüber zu diskutieren, was der Islam ist, darf und kann, und behalten uns auch noch vor, diese Deutungshoheit auch auf das Christentum und überhaupt: unsere liberalen Werte (!) allein gepachtet zu haben. Eine Infragestellung unserer Machtposition hingegen lassen wir nicht zu. Durch jede dieser rassistischen Krawallkampagnen verschiebt die SVP den Diskursrahmen noch ein wenig weiter nach rechts, und grenzt Menschen weiter aus, die schon längst zu unserer Gesellschaft gehören. Und wir lassen es einfach zu. WIN