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Living Museum Wil

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Psychiatriealltag

Psychiatriealltag

«Es ist paradox, dass hier etwas Therapeutisches entsteht»

Die Psychiatrie St. Gallen Nord betreibt das Living Museum Wil. Kunst in der Klinik ist keine Selbstverständlichkeit, aber therapeutisch sinnvoll. Chefarzt Thomas Maier erklärt, weshalb.

INTERVIEW DIANA FREI

Herr Maier, muss man das Living Museum als Kunst- therapie verstehen?

Das Konzept des Living Museum ist nicht dasselbe wie eine herkömmliche Kunsttherapie, die wir an unserer Klinik aber auch anbieten. In der Kunsttherapie werden die Patient*innen von Therapeut*innen angeleitet, und das, was entsteht, ist ein Instrument der Therapie. Das Living Museum hat einen ganz anderen Ansatz, der innerhalb von medizinischen Institutionen noch etwas sehr Spezielles ist. Die Ateliers kreieren erstmal einfach einen Raum in einem physischen, aber auch geistigen Sinn. Einen Open Space, in dem verschiedene Möglichkeiten zu kreativem Schaffen angeboten werden. Was hier entsteht, sind künstlerische Objekte, die zum Teil auch auf einem Kunstmarkt im Bereich der Outsider Art bestehen können und je nachdem auch verkauft werden. Das fertige Werk wird nicht zum Gegenstand einer Therapie.

Aber das Schaffen hat doch eine therapeutische Wirkung?

Natürlich hat es eine therapeutische Wirkung, aber sie geschieht eher en passant. Oft haben wir hier Patient*innen mit Depressionen, Angststörungen oder Suchterkrankungen, aber der Fokus liegt nicht auf der Pathologie. Das Living Museum fokussiert auf die Kreativität und Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen. Also auf die Seiten, die intakt sind. Der therapeutische Nutzen ist, diese Ressourcen zu stärken. Es ist ein Paradox, dass eigentlich etwas eminent Therapeutisches entsteht, indem man eben gerade nicht Therapie macht. Die Menschen sind aber parallel in Behandlung auf einer Station und haben dort eine herkömmliche Therapie.

auf schwierige soziale Umstände sein können. Dieser Gedanke führte auch zur Enthospitalisierung im Zuge der antipsychiatrischen Bewegung, die zum Teil auch sehr radikal wurde. Man hat Kliniken verkleinert oder – in Italien – komplett geschlossen. In den letzten Jahren rückte die Sozialpsychiatrie wieder etwas in den Hintergrund, weil sich die Wissenschaft stark auf Neurobiologie und Pharmakologie fokussiert. Es gibt «Das Living Museum wieder eine Tendenz zur Biologisierung. Aber die breite Psychiatriebefokussiert auf die wegung ist grundsätzlich auf dem Weg, dass man ressourcenorientiert Kreativität und Aus- drucksmöglich- arbeitet. Die sozialen Umstände werden heute mitgedacht? Ja, denn gesellschaftliche Bedingunkeiten des Menschen. gen spielen im Umgang mit Krankheiten immer eine Rolle: Kann die GeAlso auf die Seiten, sellschaft damit umgehen, dass jemand nicht ganz so angepasst lebt die intakt sind. wie andere? Wenn die Gesellschaft nicht damit umgehen kann, entstehen Urteile über die Menschen: «Da ist ja THOMAS MAIER, 54, krankhaft, das muss man behandeln.» ist Chefarzt Erwachsenenpsychiatrie Oder: «Drogenabhängige auf der und Mitglied der Geschäftsleitung Stras se, das geht doch nicht, das kann der Psychiatrie St. Gallen Nord. Sein man doch nicht als Ressource anSchwerpunkt sind unter anderem schauen.» Der Blick auf Krankheiten Abhängigkeits erkrankungen. ist von der gesellschaftlichen Stimmung abhängig. Insofern ist es nicht nur die Psychiatrie selbst, die dazu beitragen kann, dass sich der ressourcenorientierte Blick realisiert. Sondern zum Beispiel auch Arbeitgeber*innen. Es stellt sich auch die Frage: Welche*r Arbeitgeber*in kann damit umgehen, dass jemand nicht so leistungsfähig ist?

Das Konzept Living Museum

Seit wann gibt es diesen ressourcenorientierten Ansatz? Er kam im Umfeld der Sozialpsychiatrie in den 70er-Jahren auf. Dabei wuchs das Bewusstsein, dass man den Menschen in seinem sozialen Umfeld sehen sollte. Man muss die sozialen Bedingungen anschauen, in denen die Krankheiten entstehen. Die Tatsache, dass sie auch Reaktionen

Das Living Museum, ein freier Kunstraum für Menschen mit psychischen Erkrankungen, wurde 1983 in New York entwickelt. Das Living Museum Wil besteht seit 2002, gegründet von der Erziehungswissenschaftlerin Rose Ehemann. Jetzt ist es zu Gast im Museum im Lagerhaus.

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