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Ariane Koch
Die Schlafpartei
TEXT ARIANE KOCH
1. Ich träumte, dass ich in einem Freilichttheater mitspiele. Die Bühne war ein Fels. Das Wetter war miserabel. Ein grauer Regen peitschte auf den Stein, weit und breit keine Zuschauer*innen. Ich suchte verzweifelt den Ausdruck meines Textes, von dem ich wusste, dass ich ihn gut beherrscht hatte, nun aber kein Wort mehr davon wiederzugeben in der Lage war. Eine ältere Schauspielerin half mir beim Suchen und zitierte frei ein paar Sätze daraus, die mir nicht einmal bekannt vorkamen. Ein junger Schauspieler kam mit stahlblauen Augen immer näher an mich heran, also ging ich von der Bühne ab beziehungsweise kletterte ich den Fels hinunter und betrat die Hinterbühne des Theaters, die eine Villa war. Dort suchte ich lange weiter, begegnete jedoch nur mit Blachen abgedeckten Möbeln.
2. Ich war nie eine grosse Schläferin beziehungsweise keine Lang- oder Vielschläferin. Ich schlafe gern fest, aber kurz. Ich bin auch selten müde und wenn doch, so gebe ich es ungern zu.
3. Als ich einmal sehr erschöpft war – von der Arbeit und der Liebe –, da legte ich mich auf den kleinen Rasen im Garten meiner Eltern, um Oblomov* zu lesen. Auf Seite 44 bemerkte ich einen unangenehmen Geruch und tippte auf Katzenkot. Auf Seite 80 schlief ich ein, träumte das Buch zu Ende und noch weiter und nahm es fortan nie mehr in die Hand.
4. Man sollte nicht schlafen, um nicht zu arbeiten, sondern arbeiten, um nicht nur zu schlafen.
5. Man sollte gar nicht arbeiten, sondern herumliegen und Schwätzchen halten, wie Oblomov.
6. Wenn man den Schlaf personifizieren müsste, so würde ich sagen, er ist m bereits beim ersten Stichwort derartig ab, dass wir es nie zum zweiten schafften.
7. Vielleicht sollten wir im Allgemeinen mehr abbiegen.
8. Wenn der Schlaf meine Grossmutter ist, so hat er einen holländischen Akzent, den er aus Protest gegenüber einer rückständigen Schweiz nie abgelegt hat.
9. Es könnte eine Schlafpartei gegründet werden.
Anhänger*innen finden würde.
11. Es könnte leider sein, dass die Schlafpartei nicht ins Parlament gewählt würde.
12. Wenn die Schlafpartei doch ins Parlament gewählt würde, so schliefen ihre Vertreter*innen während den Sessionen.
13. Ich denke, es lässt sich durchaus dösend regieren – auch Oblomov regierte vom Bett aus. Viele Menschen schwatzen im Schlaf – auch ich.
14. Überhaupt wären viele verschiedene Schläfer*innen in der Schlafpartei willkommen. Zum Beispiel Schlafwandler*innen, Schlaftrunkene, Schlafforscher*innen, Träumer*innen, Traumlose, Bettlägerige, Bettverweiger*innen, Bettnässer*innen, Menschen ohne Bett, Menschen ohne Schlaf.
15. Die Schlafpartei könnte Schlafpartys veranstalten, bei der gemeinsam geschlafen würde (nicht zu verwechseln mit Gruppensex).
16. Vielleicht würde dann endlich das gemeinsame nächtliche Träumen entdeckt.
17. Die Schlafpartei könnte mit einem Flugblatt beworben werden, das so lang ist, dass es erstens am Boden nachgeschleift würde und zweitens die Menschen sofort in einen Schlaf verfallen liesse (und sie die Parteimitgliedschaft willenlos unterschrieben).
18. Oder es gäbe kein Flugblatt, sondern ein Werbekissen.
19. Sie sehen, es gäbe viele Möglichkeiten, wie die Schlafpartei gestaltet werden könnte. Ich bin durchaus offen für weitere Ideen von potenziellen Mitgliedern. Die Ideen können Sie mir gerne per Traum zukommen lassen.
20. Meine Grossmutter hätte übrigens eine Schwatzpartei bevorzugt, aber die muss ich an einem anderen Tag (oder in einer anderen Nacht) gründen.
* «Oblomov» von Ivan Gontscharov ist ein russischer Roman (1859), der von Faulheit handelt.
ARIANE KOCH (geboren 1988 in Basel) schreibt Theater-, Performance-, Hörspiel- und Prosatexte – manchmal auch in Kollaboration. Demnächst geht sie für sechs Monate mit einem Aufenthaltsstipendium der Landis & Gyr-Stiftung nach London.