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Julia Rüegger

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Christopher Zimmer

Christopher Zimmer

hinweis für reisende, die von verschiedenen orten gleichzeitig aufbrechen

TEXT JULIA RÜEGGER

man packe einen koffer, den man auf längere zeit tragen kann ohne die hand dabei zu verkrampfen man suche sich ein tier aus, gross oder klein schuppig oder mit dichtem fell füttere es mit hafer und stärke und streichle anschliessend seinen bauch

man wärme sich mit daumen- und zeigefinger die haut entlang der achillessehne auf (sie sei eine besonders verletzliche stelle und benötige erhöhte achtsamkeit)

man feile sich noch einmal die zehennägel bevor man sie für länger im schuhwerk versenkt man entferne vergessene lockenwickler aus dem haar und stutze die strähnen, die einem die weitsicht verstellen

man schneide sich pflaster und schnürsenkel zurecht fülle eine kleine flasche mit absinth man erkundige sich nach der raffiniertesten methode des packens die platzsparend und einfach zu erlernen ist

man kümmere sich um die obhut der pflanzen verschenke, was noch im kühlschrank ist schliesse fensterläden, heizungsventile, reissverschlüsse und polstere provisorisch den türspion dann richte man eine abwesenheitsnotiz der email ein je nach dem verabschiede man sich von vögeln oder freunden den wohnungsschlüssel übergebe man den eintagsfliegen

man habe ein klares ziel oder eine ungefähre richtung man habe eine vorliebe für steigungen

man sei nicht entmutigt, wenn man noch einmal umkehren müsse weil man die kontaktlinsen vergessen habe oder den feueranzünder und dann noch einmal, um den herd zu kontrollieren und ein drittes mal, um einen fadenscheinigen durst zu löschen solange der wasserhahn in reichweite ist

dann lasse man das heimweh und die packliste fahren und die erinnerung an alles was liegengeblieben ist: die staubflusenansammlung unterm bett, die haare im abfluss unbeantwortbare liebesbriefe

man orientiere sich an einem fahrplan oder der sonne, besonders wenn sie wolkenverhangen ist man orientiere sich am abglanz eines gestirns, an mitgeschöpfen an gleisänderungen

man gehe, solange der schnee noch schmilzt, der teer noch schillert und das bauchweh im rahmen des erträglichen ist hin und wieder notiere man ein wort oder zwei in ein notizbuch mit fadenheftung, das auf knien sitzt

man raste erst, wenn die postleitzahlen fremd anmuten die orientierung schwindet im dämmerlicht dann verschicke man postkarten, unfrankiert

und traue sich, ausnahmsweise gegen das gelernte auch zwielichtige gestalten nach dem weg zu fragen dem schnellsten, beschwerlichsten, dem spektakulärsten und bedanke sich auch für unnütze information

an manchen tagen täte man so als ob man zu den einheimischen pendlern gehörte an anderen als ob man geodätin wär

in der nacht halte man zwiesprache mit fledermäusen mit struppigen schafen und motorradfahrerinnen

später betrete man eine schaukelnde fähre überquere einen fluss, wo er am breitesten ist und gehe auf zehenspitzen, in zeitlupe an land während ein strommast im gegenlicht funkelt

dort öffne man zum ersten mal den mitgeführten koffer betrachte die verstauten habseligkeiten die vorräte der schnürsenkel, die flasche absinth und entferne die oberste hornhautkruste die sich im schleichmodus gebildet hat

anschliessend lüfte man die socken aus

falte die verjährten landkarten zusammen

und zeichne mit wind und streulicht eine neue

JULIA RÜEGGER, 1994 geboren und aufgewachsen in Basel, studierte Literarisches Schreiben, Theater und Philosophie in Hildesheim, Biel und Madrid. Sie schreibt Lyrik und verschiedene Arten von Prosa und forscht an der Universität Basel zum Anthropozän.

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