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«Ich bin eine Super-Mama»
«Ich heisse Genet Weldu und stamme aus Eritrea. Dieses Jahr werde ich 50 Jahre alt. Ich habe also die Hälfte meines Lebens bereits gemeistert. Diese Jahre waren alles andere als einfach. Mein Mann starb vor 26 Jahren, er war Soldat in Eritrea. Seither bin ich alleine für meine fünf Kinder verantwortlich. Ein zweites Mal heiraten, das wollte ich nicht. Ich bin lieber unabhängig.
In Eritrea habe ich in der Landwirtschaft gearbeitet, um meine Familie zu ernähren. Ich stand am morgen sehr früh auf, versorgte die Kinder und ging auf die Felder. Abends kam ich meistens müde nach Hause. Aber ich war glücklich, denn ich konnte mich und meine Kinder ernähren. Je älter meine Kinder wurden, desto mehr begann ich mir Sorgen um ihre Zukunft zu machen. Mein ältester Sohn wollte unbedingt nach England. Als er ins militärfähige Alter kam, floh er aus Eritrea.
Auch ich wagte die Überfahrt nach Europa mit meinen vier jüngeren Kindern. Ich hatte grosse Angst, denn ich wusste, dass die Flucht gefährlich sein würde. Es gibt viele Geschichten von Gewalt, Ausbeutung und Ermordungen. Wir wurden für ein paar Monate in Libyen festgehalten, konnten dann aber zum Glück weiter über Italien in die Schweiz gelangen. Ich war erleichtert, als wir hier ankamen. Ich dachte, dass meine Kinder endlich in Sicherheit seien. Doch da habe ich mich geirrt.
Wir sassen in dem Zug der Südostbahn, wo sich am 13. August 2016 eine brutale Gewalttat ereignete. Wir erlebten hautnah mit, wie der Angreifer unsere Sitznachbarin mit einer brennbaren Flüssigkeit übergoss und anzündete. Wieso er das tat, weiss man nicht. Auch wir wurden verletzt, meine damals 6-jährige Tochter und ich überlebten nur mit viel Glück. Meine Tochter lag drei Monate lang im Koma, sie wurde insgesamt 37-mal operiert. Lange hatte ich Angst, wieder in einen Zug zu steigen. Ich weiss, dass solche schrecklichen Dinge in der Schweiz nur sehr selten passieren, aber dieses Gefühl von Unsicherheit werde ich wahrscheinlich nie wieder los. Heute bin ich vor allem traurig, insbesondere wenn ich an meine Tochter denke. Ihr Leben wird nicht einfach werden.
Auch unsere unsichere Aufenthaltssituation macht mir zu schaffen. Wir leben seit neun Jahren in der Schweiz. Es dauerte drei Jahre, bis wir unseren Asylentscheid erhielten. In dieser Zeit mussten wir ständig umziehen, meine Kinder konnten nicht regelmässig zur Schule. Mit dem F-Ausweis kann ich mittlerweile zwar arbeiten und meine jüngeren Kinder dürfen zur Schule gehen.
Doch Reisen ist uns nicht gestattet. Meine Kinder fragen mich immer wieder, warum wir nicht in die Ferien können, wie ihre «Schul-Gspöndli». Ich selbst mache mir mehr Sorgen, wie ich auf diese Weise eine anständig bezahlte Arbeit finden werde. Ich hoffe, dass wir irgendwann einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten.
Im Moment glaube ich nicht daran, denn mit meinem Einkommen bei Surprise verdiene ich nicht genügend Geld, um finanziell unabhängig zu sein. Seit zwei Jahren verkaufe ich nun Surprise-Hefte. Bei Surprise kann ich zum Glück flexibel arbeiten. Wenn meine Tochter mal wieder ins Spital muss, kann ich sie begleiten. Und kommen meine beiden jüngsten Kinder über Mittag von der Schule nach Hause, bin ich für sie da. Ich würde sehr gerne am Flughafen arbeiten, aber das ist eben wegen des F-Ausweises leider nicht ganz einfach.
Fast jeden Sonntag kommen meine ältere Tochter und mein erstes Enkelkind zu Besuch. Der Sonntag ist unser Familientag. Wir gehen zusammen spazieren, trinken Kaffee und plaudern. Meine ältere Tochter sagt mir oft, dass ich für sie mehr wie eine Schwester bin. Für meinen jüngsten Sohn wiederum bin ich die «SuperMama» – was auch immer das heissen mag. Wahrscheinlich, dass ich eben vieles bin – eine Mama, eine Schwester, eine starke Frau.»