Social Media: Bitte nicht belächeln! (Kolumne in der Handelszeitung, 2019)

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HANDELSZEITUNG | Nr. 8 | 21. Februar 2019

Social Media Bitte nicht belächeln!

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ir befinden uns in der vierten indus­ triellen Revolution. Überall hört man, wie Blockchain, Roboter und das Internet der Dinge unser Leben komplett verändern werden. Zent­ ral ist jedoch das Wort «verändern». Denn bisher hat sich mein Leben nur minim verändert. Die Küche aufräumen nach dem Essen muss ich im­ mer noch selbst, es gibt noch keinen Roboter dafür. Ge­ mäss Experten wird es auch Jahre dauern, bis es ausge­ reifte Service-Roboter für den Heimgebrauch geben wird. Und auch das Internet der Dinge hat mein Leben noch nicht prägend verändert – mein Kühlschrank ist immer noch dumm. Etwas anderes hat mein Leben in den letzten Jahren massiv verändert: die Social Media. Einen Grossteil ­meiner Smartphone-Zeit verbringe ich in Social-MediaApps. Der durchschnittliche Internetnutzer gebraucht sein Smartphone über drei Stunden und verbringt über zwei Stunden pro Tag auf sozialen Netwerken. 58 Prozent der Weltbevölkerung ab 13 Jahren sind aktive Social-­ Media-Nutzer. Bei den Digital Natives ist der Social-­ Media-Konsum noch deutlich ausgeprägter. In der Schweiz sind sämtliche fünf Lieblingsapps der jungen Generation der 14- bis 29-Jährigen Social-Media-Apps.

Sven Ruoss Studienleiter Social Media an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich

«Das soziale Gefälle zwischen Sender und Rezipient ist verschwunden.»

MEHRWERT (101)

0 neue Mails ISABELL RÜDT-ROBERT

Die Social Media haben die Kommunikation demo­ kratisiert. Jeder kann mitmachen. Sie haben es geschafft, die Massenmedien arg in Bedrängnis zu bringen. Das bestehende soziale Gefälle zwischen Sender und Rezipi­ ent ist durch die Social Media verschwunden. Doch selbst 2019 werden die Social Media des Öfteren belächelt – Unternehmen verschliessen ihre Augen davor. Sie tun die sozialen Medien als vorübergehende Hunde­ ohren-Filter-Katzen-Content-Phase für Teenager ab. ­Darin verstecken sich gleich zwei Irrtümer. Der erste Irr­ glaube: Digital Natives ticken seltsam und sind für unsere Unternehmen nicht so relevant. Die Digital Natives wer­ den um 2020 die grösste Bevölkerungs­gruppe darstellen. Spätestens dann wird es für Unternehmen erfolgskritisch, wenn sie die Kundschaft in diesem Alterssegment nicht mehr mit ihren Produkten und Dienstleistungen bedie­ nen können. Oder wenn diese digitale Generation nicht für diese Unternehmen arbeiten will. Der zweite Irrglaube liegt darin, dass die Social ­Media lediglich etwas für Junge sind. Falsch. Sämtliche Altersgruppen nutzen sie.

Es handelt sich um ein weiches Kulturthema. Darin liegt die Krux. Die Social Media können es mit den harten Techno­ logien wie Digital Twin, künstlicher Intelligenz oder Blockchain nicht aufnehmen. Social Media sind ein weiches Kulturthema. Doch darin liegt gerade die Krux: Die meisten Privatpersonen und viele Unternehmen meinen, Social Media richtig einsetzen zu können. Doch nur die wenigsten können es tatsächlich. Und wer zu den Gewinnern zählen will, muss Social Media zuerst verstehen, ehe er oder sie sich Gedanken zu Quantum-Computing und Smart Spaces machen soll. Denn bei Social Media wird das Verb « sich verändern» nicht im Futur oder Konjunktiv, sondern im Präteritum verwendet.

Unternehmen verschliessen ihre Augen vor den Social Media Die Social Media stellen meiner Meinung nach die grösste kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung seit der industriellen Revolution dar. Und zwar nicht, weil wir heute über zwei Stunden pro Tag darauf verbringen, sondern weil die Social Media die Kommunikation ­disrumpiert haben. Dank ihnen gibt es heute Dialog, Kollaboration, Partizipation, «user-generated content» und Wissensmangement auf einem ganz neuen und bis vor kurzem noch unvorstellbaren Level.

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Die Initiative schlägt einen Keil in unser Rechtssystem Gemäss der Initiative sollen grosse und kleine Unter­ nehmen in der Schweiz für das Verhalten Dritter in ihrer kontrollierten Wertschöpfungskette automatisch und unmittelbar haften. Sogar dann, wenn sie diesen gar keine Weisungen erteilen können. Letztlich soll sich ein Unternehmen nur von der Haftung für Dritte im Aus­ land befreien können, wenn es seine Sorgfalt lückenlos

«Die Unternehmens-VerantwortungsInitiative ist schädlich.» Erich Herzog Mitgl. der Geschäftsleitung, Leiter Wettbewerb & Regulatorisches, Economiesuisse

durch die ganze Wertschöpfungskette hindurch nach­ weist. So steht es bei Anschuldigungen vor Gericht von Anfang an mit dem Rücken zur Wand. Es wird erpress­ bar, da es unverschuldet aus der Defensive handeln muss. Dieser toxische Cocktail aus Haftung ohne Verschul­ den für Dritte, Umkehr der Beweislast und Unklarheit in zahlreichen Punkten ist es, was die Initiative so schäd­ lich macht und weswegen wir vor einer Amerikanisie­ rung warnen. Die Initiative zieht Vorgänge aus dem Ausland in die Schweiz und schlägt einen Keil in unser Rechtssystem. Dabei würden nicht die Opfer von Men­ schenrechtsverletzungen oder Umweltkatastrophen zu ihrem Recht kommen. Vielmehr würden spezialisierte, internationale Kanzleien aus den langwierigen Prozes­ sen Profit schlagen. Noch verheerender wäre es, wenn – wie bereits ange­ kündigt – zusätzlich Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes (Gruppenvergleiche und Verbandskla­

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tellen Sie sich vor: Sie gehen am Morgen ins Büro und checken nicht Ihre Mails. Ihre Mails gibt es nicht, denn Sie haben kein eigenes Mailpost­ fach. Für Ihr Team, vielleicht sogar für Ihr ganzes Unternehmen gibt es eine einzige zentrale Mailadresse. Was tut ein Bürolist, der keine Mails checken kann? Hat er mehr Zeit für Shopping-Updates auf Ins­ tagram? Arbeitet er konzentrierter? Kann er früher Feierabend machen? Verbrin­ gen wir täglich zehn Minuten oder eine Stunde in unserem Postfach? Wie viel Zeit kostet uns eine eigene E-Mail-Adresse? Wie würden wir uns organisieren, wenn es nur noch zentrale Mailadressen gäbe? Würden wir das Medium E-Mail vernach­ lässigen, weil die eigentliche praktische Eigenschaft, die Direktheit, mit einer Zentralisierung dahin wäre? Dank EMails arbeiten wir schneller. Aber wir ha­ ben uns auch einen gemütlichen Sessel geschaffen, in den wir uns zurücklehnen können: Ich habe ein Problem, formulie­ re es, finde einen Adressaten und schicke die Mail am besten mit prall gefüllten cc weg. Zack. Damit ist das Problem gelöst, zumindest bis ich eine Antwort erhalte.

«Ist Arbeiten durch E-Mails schneller geworden?» Ist unser Arbeiten durch Kommunikations­ instrumente wie E-Mails schneller gewor­ den? Oder haben wir mit dem Mail-Ping­ pong ein paar Stufen eingebaut, die uns beschäftigt halten – so wie man meint, dass man schneller ist, wenn man mit dem Auto den Stau umfährt – Hauptsache in Bewegung?

Initiative Vermeintliches Wundermittel in sagenhaftes Wundermittel sei sie, die Un­ ternehmens-Verantwortungs-Initiative der NGO. Mit der Annahme dieser Initiative sol­ len Stimmbürger die Umwelt schützen und weltweit soziale Gerechtigkeit schaffen. Und ungeach­ tet davon, welches Unheil sich auf der Welt ereignet, vergehen keine zehn Minuten, ehe die Initiative in den sozialen Medien als perfekte Lösung dafür angeboten wird, Katastrophen künftig zu verhindern. Der Eifer, mit dem die Initiative beworben wird, sollte uns stutzig ­machen. Die Initiative verspricht einfache Lösungen im Umfeld von Menschenrechten und Umweltschutz. Un­ ternehmen nehmen ihre Verantwortung ernst und wahr. Gerade im Ausland geniessen Schweizer Unter­ nehmen ­einen guten Ruf. Sie sind als Investoren und Schaffer von Arbeitsplätzen höchst willkommen. Sie können aber ein Versagen des Staates, in dem sie agie­ ren, nicht kompensieren.

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gen auf Leistung von Schadenersatz) zum Einsatz kä­ men. Klagen gegen Unternehmen in der Schweiz hätten dann das Potenzial, zu einem weltweiten Geschäftsmo­ dell zu werden – die Amerikanisierung wäre absolut. Statt das Heil in einem schädlichen Haftungssystem zu suchen, sollten wir lieber den Blick ins Ausland rich­ ten. Zu Recht stehen dort die nachhaltige und dialogba­ sierte Lösungssuche sowie die Pflicht zur angemesse­ nen Berichterstattung zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt im Zentrum. Bereits heute gibt es dazu bewährte Instrumente, so insbesondere die Empfeh­ lungen der OECD an multinationale Unternehmen mit wirkungsvollen Verfahren vor den nationalen Kontakt­ punkten. Gerade der Kontaktpunkt der Schweiz ­geniesst auf internationalem Parkett einen ausgezeichneten Ruf: Nutzen und entwickeln wir ihn, statt der Versuchung eines vermeintlich vielversprechenden Wundermittels zu erliegen, welches in Tat und Wahrheit ein moderner Giftbecher ist!

Gehen wir nun vom vorbildlichen Mus­ termitarbeiter aus, der seine Aufgaben im neuen System effizienter erledigt: Womit will er arbeiten, wenn er all die Informa­ tionen über den Mail-Kanal nicht mehr bekommt? Wie besorgt er sich die Infor­ mationen? Greift er öfter zum Hörer? Lernt er vielleicht die Frau seiner Träume kennen? Würde die Telekommunikations­ branche darauf reagieren und Flatrates abschaffen, weil wieder mehr Menschen miteinander telefonieren würden? Bei all den Fragen muss man den grossen Vorteil der Mail-Zentralisierung sehen: Mit Sicherheit gäbe es einen neuen Chef­ posten. Aufgabe des CMO oder Chief Mail Officer wäre es, die Informationen aus eintreffenden Mails an die passende Person im Unternehmen weiterzuleiten. Je nach Firmenkultur wäre der CMO ein Kommunikationsgenie mit Verteilerqua­ litäten oder ein machtgeiler Chefzensor. Und wie wärs bei Ihnen? Isabell Rüdt-Robert, Mitglied Verband Frauenunternehmen, Inhaberin von Édition Rüdt

DIALOG

@ HZ Nr. 7 14. 2. 2019 «Warum zahlt Amazon keine Steuern?» Das ist nicht mit ein paar Zeilen zu erklären. Dass Amazon trotz Gewinnen in Milliardenhöhe weder Bundessteuern noch «state sales taxes» berappen muss, ist das Ergebnis einer sehr vielschichtigen Steu­ ervermeidungsstrategie. Und diese betreibt Amazon mit einer erstaunlichen Ef­ fizienz seit über zwanzig Jahren, mit der Kulmina­ tion im letzten Steuerjahr –

Trump sei Dank (ja, der Trump, der sich im Wahl­ kampf noch bitter über Amazons Steuervermei­ dung beschwert hatte). Antonio Andreano Die Grossen lässt man lau­ fen – die Kleinen müssen raufen! Patrick Birchler Wer bei Amazon einkauft, ist selber schuld. Peter Frommenwiler

HZ Nr. 7 14. 2. 2019 «China: Die rote Gefahr – was macht der Bundesrat?» Die rote Gefahr: viele Län­ der blocken Investitionen aus China stärker ab als die #Schweiz. Der Bundesrat wehrt schärfere Hürden für #China ab. Informativer Bericht von Andreas Valda @ValdaSui @Handelszei­ tung: #Protektionismus­ luptios. Urs Bolt @UrsBolt

HZ Nr. 7 14. 2. 2019 «Uhrenfirmen entdecken E-Commerce» Schweizer Uhrenfirmen entdecken endlich den ECommerce. LuxusuhrenHersteller wie IWC oder Breitling unterschätzen den Online-Handel. China als Absatzmarkt lässt sie aber umdenken via @Han­ delszeitung #ecommerce. Markus Peter @MarkusPeter

HZ Nr. 7 14. 2. 2019 «EU nimmt Saudi-Arabien in den Fokus» Der Kampf der EU gegen Geldwäscherei ist begrüs­ senswert. Ich frage mich ­jedoch, warum Saudi-Ara­ bien von gewissen Leuten als lukrativ empfunden wird. Denn Saudi-Arabien wird in absehbarer Zeit das Öl ausgehen – und eine vernünftige Wirschaft oder eine Grundlage dafür exis­ tieren dort nicht. Und die Pläne oder Ideen zur Schaf­ fung einer globalen Finanz­

drehscheibe dort existieren zwar, muten aber eher wie eine Fata Morgana an. Christoph Cooper Gewisse(nlose) Banker fin­ den Saudi-Arabien lukrativ, kurzfristige Gewinne sind dort von Interesse, alles an­ dere Nebensache (und jetzt soll keiner kommen und sagen: Aber die bringen ja (auch) viel Steuergeld. Ernst Michael Buchmann

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