Digitaler Trash

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Gegenrede

Immer auf den Mann Zum Artikel «Ein Problem ­namens Eisenegger» vom 25. Oktober.

K

Ist das clever? Film der Selbstbestimmungsgegner.

Digitaler Trash Der Kampf um die Selbstbestimmungs-Initiative ist entbrannt – auch auf Social Media. Dort haben die Gegner die Nase vorn. Von Roman Zeller Mobilisierung total» lautet die Devise der Selbstbestimmungsgegner. Voran schreitet ein Zusammenschluss namens «Allianz der Zivilgesellschaft / Schutzfaktor M». Ihre digitalen Werbebanner flackern auf In­stagram und Facebook. «Gesponsert» steht fein gedruckt darüber. Gepusht wird auch ein Kurzfilm, in dem das trojanische Pferd das an­gebliche Lügenkonstrukt der Initiative symbolisieren soll. Hineingeschnitten wurden SVP-Nationalrat Roger Köppel, der schelmisch seinen Dolch streichelt, und Andreas Glarner, ebenfalls SVP-Nationalrat, dargestellt mit e­ inem aufgespiessten Cervelat als Tattoo auf dem Oberarm. Glarner murmelt: «Kein Mensch merkt den Schwindel, dass es gar nicht mehr zu bestimmen gibt, ­sondern weniger.» Auf Facebook erntete das Video fast fünfzigtausend Views, hinzu kommen zehntausend Klicks auf Youtube. Blick, 20 Minuten, Watson, alle berichten sie über das Video – mit direktem Link zum Filmchen. «Tiefpunkt statt ­Debatte», titelte die Basler Zeitung. Das «Filmli» erreiche eine «neue Qualität», politische Gegner würden nach amerikanischem Vorbild direkt diffamiert. Es sei ­eine Retourkutsche für die harten Abstimmungskampagnen der SVP. Digitaler Trash sozusagen. Die Frage ist nur: Ist das clever? Oder am Ende sogar kontraproduktiv? 53 Prozent der unter Dreissigjährigen seien «News-­depriviert», steht im «Jahrbuch Qualität der Medien» der Universität Zürich. Diese Jungen seien zwar medienaffin, aber eben nicht zu Newszwecken. Der Soziologe Stefan Schulz schreibt in der NZZ am Sonntag, dass mit den unter Dreissigjährigen «wie mit Freunden» gesprochen werden solle. Und Sven Ruoss, Digital­ experte an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich, erklärt, dass es weniger auf den Inhalt als vielmehr auf das Zielpublikum ankomme: «Zu trashig gibt es fast nicht.» Es müsse nur der richtige Adressat mit der passenden Botschaft im dazugehörigen Format anvisiert werden. «WerWeltwoche Nr. 45.18

Bild: Youtube (Allianz der Zivilgesellschaft)

bung wird personalisiert», so Ruoss. Wie das funktioniert, zeigt Facebook: Im September 2018 waren 3,77 Millionen Schweizer auf der ­Social-Media-Plattform aktiv. Noch immer sind dort die 20- bis 29-Jährigen am stärksten ­vertreten. Will man seinen Beitrag zielgenau an potenzielle Stimmbürger richten, offeriert ­Facebook ein «detailliertes Targeting»: Personengruppen können nach bestimmten Merkmalen eingegrenzt werden. So können zum ­Beispiel junge Menschen mit Interesse an Menschenrechten oder am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte direkt angesprochen werden – in diesem Falle schätzt Facebook die Tagesreichweite auf 980 bis 6100 Nutzer. Diese sehen die Werbung auf ihrer persönlichen Startseite, automatisch und solange das festgelegte Werbebudget der Auftraggeber reicht.

Wichtige Stimmen Susanne Rudolf, Kampagnenleiterin der Allianz der Zivilgesellschaft / Schutzfaktor M, will diese Zahlen, die Facebook selbst publik macht, nicht näher kommentieren: «Wir er­reichen mit der Kampagne sowohl Personen, welche die Initiative ablehnen, als auch Unentschiedene und ­Initiativ-Befürworter», sagt sie. Für die Online-­ Werbung sei ein Budget von 10 000 Franken vorgesehen. Wie sprechen die Adressaten auf die Werbung an? Die Weltwoche testet: Wir schicken ­Cyrill, 21, angehender Start-up-Marketing-Verantwortlicher aus der Handy-Generation (Weltwoche Nr. 43/18), das Video mit dem trojanischen Pferd. «Genau solche Sachen sprechen mich an!», antwortet er. Es ist nicht die einzige Erkenntnis, die Susanne Rudolfs Kampagne stützt. «Die Stimmbeteiligung der jüngsten Generation ist konstant tiefer», sagt Georg Lutz, Direktor des Schweizer Kompetenzzentrums für Sozialwissenschaften. Folglich schlummern dort wichtige Stimmen. Vielleicht sind es für einmal die Jungen, die eine Initiative entscheiden – dank g personalisierter Trash-Videos.

urt W. Zimmermann wundert sich, weshalb die Wochenzeitung die beste Zeitung der Schweiz ist. Zuerst muss man präzisieren. Die Woz ist zusammen mit der NZZ die beste ­Zeitung, denn der Qualitätsunterschied ist minimal. Richtig aber ist, dass die Woz in den gemessenen Dimensionen Relevanz, Vielfalt, Einordnungsleistung und Professionalität sehr gut abschneidet. Sie legt den Akzent auf relevante Themen aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Sie greift überraschende Themen auf und überzeugt in der Vielfaltsdimension. Sie liefert Hintergründe und hält journalistische Handwerksregeln hoch. Beispiele wie die Reportage «Die Dschihadisten von Bümpliz» (Woz Nr. 34/16) sind hervorragend gemacht, und sie finden Beachtung bis in liberale Kreise hinein. Und es sind keine Einzelfälle. Kein Wunder, wurden der damalige Woz-­ Journalist Daniel Ryser (heute bei der Republik) sowie die damalige Chefredaktorin Susan Boos unlängst von der Medienbranche ausgezeichnet. Hier ein Auszug aus der Laudatio: «Eine solch intensive Beschäftigung mit einem Thema leistet sich sonst keine Zeitung mehr. ‹Chef­redaktorin des Jahres› wurde Susan Boos von der Woz. Sie ermöglicht in ihrem Blatt noch grosse, zeitintensive Stücke, nicht nur von Ryser.» Sie werden nicht erraten, von wem dieses Zitat stammt! Exakt, von Kurt W. Zimmermann. Zimmermann ist ein treuer Begleiter unserer Forschung zur Medienqualität. Kaum ein Jahr ist vergangen, ohne dass er mit einem Kommentar auf unser Jahrbuch reagiert hat. Das Grundmuster bleibt stets dasselbe: immer schön auf den Mann. Schon vor Jahren bezeichnete er den inzwischen verstorbenen Kollegen und ­damaligen Leiter des Projekts, Kurt Imhof, als «Gastrokritiker mit Allzweck-­Zunge», «Derwisch-­ ­Soziologen», «Kulturpessimisten» oder «Werk­ stattchef», der sein « ­ gigantisches Unwesen» treibe. Nicht weiter überraschend bin ich nun ins Fadenkreuz s­ einer journalistischen Liebenswürdigkeiten geraten. Überraschend ist eher, wie rasch ­Zimmermann seine Meinung ändert, ganz nach Konrad Adenauer: «Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern». Neuerdings singt Zimmermann Lobeshymnen auf Kurt Imhof, die einen verwundert die Augen reiben lassen. Auf Personen zu zielen, mag unterhaltsam sein. Eine konstruktive Medienkritik jedenfalls, die diesen Namen verdient und uns in der Sache weiterbringt, sieht anders aus. Mark Eisenegger Der Autor ist Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich.

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