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Wendy Bruce-Martin – mehr als eine Trainerin
EINE TRAINERIN «MADE IN USA»
ZUR PERSON
Wendy Bruce-Martin
Geburtsdatum: 23. März 1973
Wohnort in der Schweiz:
Magglingen
Wohnort in den USA:
Orlando, Florida Familie: Verheiratet mit Dennis, zwei Töchter Cameron (24) und Sammie (20) Beruf: Cheftrainerin, Mentalcoach Hobbys: Sport und Lesen
Meine erste Erinnerung ans
Turnen: «Die schönen Momente, die ich als Kind mit meinen Freunden in der Turnhalle im Süden Floridas verbracht habe.»
Foto: Thomas Ditzler Im Oktober 2021 ist die Amerikanerin Wendy BruceMartin in die Schweiz gekommen, um das KunstturnNationalkader der Frauen vorübergehend zu trainieren. Mittlerweile hat sie einen unbefristeten Arbeitsvertrag als Cheftrainerin in Magglingen. Ein neues Abenteuer für die ehemalige Olympia-Turnerin.
Es ist Januar, als ich Wendy Bruce-Martin, die neue Cheftrainerin der Schweizer Kunstturnerinnen, in der Jubiläumshalle in Magglingen treffe. Das Training ist gerade zu Ende und in der Halle ist es ganz still. «Die Turnerinnen haben Pause, bevor sie Anfang Nachmittag in den Schulunterricht gehen», erklärt BruceMartin.
Nach etwas mehr als drei Monaten im Amt hat die Amerikanerin bereits eine starke Verbindung zum Team aufgebaut und versteht das Schweizer Schulsystem immer besser. Aber wie kommt eine ehemalige US-Olympiaturnerin zu diesem Job in Magglingen?
«Es ist einfach passiert»
Im Herbst 2021 rief sie ihr Kollege Tony Retrosi, Ad-interim-Trainer Kunstturnen Frauen, an und fragte, ob sie von Oktober bis Dezember in die Schweiz kommen könnte, um ihm zu helfen, das Kader zu trainieren. «Zunächst habe ich abgelehnt. Es erschien mir zu kompliziert, so lang weg von meiner Familie zu sein», erzählt Wendy Bruce-Martin, fügt aber gleich hinzu: «Nach Gesprächen mit meinem Mann habe ich mich schliesslich doch entschieden, mich in das Abenteuer zu stürzen.» Als ihr später eine Festanstellung angeboten wurde, stellte sich die Frage der Distanz zu ihrer Familie erneut. «Nach all den Wochen, die ich mit den Mädchen verbracht hatte, wusste ich, was für eine Art Coach sie benötigen. Ich konnte nicht gehen, ohne sie in guten Händen zu wissen», erinnert sich Bruce-Martin. Sie konnte sich zunächst vorstellen, bis zu den Europameisterschaften zu bleiben, um den Übergang sicherzustellen. Doch am Ende nahm sie den unbefristeten Vertrag an: «Am Anfang dachte ich, das sei keine Option, aber mein Mann überredete mich, zu bleiben und auch das Projekt ‹2028/2032› des STV hat mich überzeugt.»
Die Schweiz entdecken
Wendy Bruce-Martin kam im Herbst 21 ohne ihre Familie in die Schweiz. Eine grosse Veränderung für die aus Florida stammende Amerikanerin. «Ich war noch nie in der Schweiz gewesen. Was mich bei meiner Ankunft am meisten beeindruckte, waren die Alpen», erinnert sie sich. Sie schätzt auch die Tatsache, dass eine Mehrheit in der Schweiz Englisch kann: «Das ist ein grosser Vorteil für mich.» Trotzdem möchte Wendy BruceMartin Deutsch lernen. Einerseits, um sich zu integrieren, andererseits, um besser mit den Turnerinnen kommunizieren zu können.
«Ich habe mich für Deutsch entschieden, weil ich den Eindruck habe, dass dies für mich als Englischsprachige eine leichter zu erlernende Sprache ist und weil das in der Schweiz am meisten gesprochen wird», erklärt Bruce-Martin.
Wendy Bruce-Martin will auch die mentale Stärke der Turnerinnen fördern. Foto: Thomas Ditzler
Die Amerikanerin fühlt sich in der Schweiz bereits wohl. Foto: Thomas Ditzler
Doch die Unterschiede zwischen der Schweiz und den USA sind zahlreich und hören nicht bei der Sprache auf. Wendy Bruce-Martin geniesst jedoch das Leben in ihrer neuen Heimat und sie war auf diese Veränderung vorbereitet: «Ich war bereit, Florida, wo die Hitze im Sommer erdrückend ist, zu verlassen. Hier scheint alles einfacher zu sein. Ich suchte nach etwas Ruhigerem, Bedeutungsvollerem und weniger Materialistischem. Beispielsweise kann ich hier in Biel meine Einkäufe zu Fuss erledigen.»
Wertvolle Momente
Die Trennung von ihrem Mann und ihren beiden Töchtern ist trotzdem nicht immer einfach. Vollbepackte Tage und Wochenenden, an denen Wendy BruceMartin mit Planen und Arbeiten beschäftigt ist, lassen sie die Entfernung vergessen. Ausserdem kommt es regelmässig zu einem Wiedersehen: «Mein Mann und ich versuchen, uns einmal im Monat zu treffen. Er kommt oft in die Schweiz und ich habe vorgesehen, im April nach Florida zu gehen.» Die ganze Familie traf sich auch in den Weihnachtsferien für eine Woche zum Snowboarden in Grindelwald. Eine erste rutschige Erfahrung, welche die Amerikaner be-
geisterte, die sich sonst eher an Sonne und Hitze gewohnt sind. «Mein Mann liebt den Schnee und die Natur. Er ist sehr angetan von der Idee, sich in ein paar Jahren – wenn er in Rente geht – in der Schweiz niederzulassen.»
Bis dahin sind die wenigen Momente, die sie mit der Familie verbringen kann, wertvoll. Ihren Worten nach zu schliessen noch bedeutungsvoller als früher.
Eine Karriere in der Turnhalle
Es ist ein reich befrachteter Werdegang in der Turnwelt, der Wendy Bruce-Martin nach Magglingen geführt hat. Nach einer Karriere als Kunstturnerin und einer Bronzemedaille mit dem US-Team an den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona ist sie dem Turnen treu geblieben und wurde Trainerin. «An den Olympischen Spielen in Barcelona erlebte ich den besten Wettkampf meines Lebens. Alles lief wie geplant und wir holten eine Medaille. Das war einmalig und ich wünsche das allen meinen Turnerinnen», so die Cheftrainerin.
Mit 30 Jahren drückte Bruce-Martin nochmal die Schulbank, um sich in Psychologie weiterzubilden und ihrem Wissensrucksack ein weiteres Stück hinzuzufügen. Seit nunmehr bald 20 Jahren arbeitet sie als Trainerin, ist seit zehn Jahren als Beraterin tätig und hält Vorträge für «USA Gymnastics». BruceMartin ist auch Choreographin und hat schon mehr als 150 Turnlager in den USA geleitet. Aussserdem ist sie von der Schweiz aus immer noch als Mentaltrainerin tätig. Dank der Zeitverschiebung kann sie ihre Klienten auch abends nach einem anstrengenden Arbeitstag in Magglingen betreuen.
Auf die Frage, wie lange sie in der Schweiz bleiben will, ist ihre Antwort klar: «Bis mich die Mädchen nicht mehr brauchen.»