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Die Tessinerin Morena Piccinelli kennt das Turnen aus verschiedenen Blickwinkeln

IN DER TURNHALLE ZUHAUSE

ZUR PERSON

Morena Piccinelli

Geburtsdatum: 16. Februar 1958 Wohnort: Biasca Familie: verheiratet mit Sergio, eine Tochter Michela, ein Enkelkind Davide Hobby: lesen, singen, wandern Erstes Turnerlebnis: mein erster Kunstturn-Wettkampf, an dem mir das erste Mal die Kombination Handstand-Brücke-Stand gelang

Morena Piccinelli kennt den Turnsport von allen Seiten. Sie war selbst aktive Turnerin, hat hinter den Kulissen, am Schreibtisch und auf dem Wettkampfplatz mitgewirkt. Nach 30 Jahren als ACTG-Sekretärin ging sie Ende Februar 2022 in Pension. GYMlive hat sich mit der umtriebigen 64-jährigen Tessinerin getroffen.

Als Morena Piccinelli sechs Jahre alt war, trat sie dem Turnverein Biasca bei, und zwar in die Gruppe «alunne». Sie lief jeweils allein von ihrem Zuhause in der Nähe des Bahnhofs bis zur «Bosciorina», der damals einzigen Turnhalle in Biasca – fünfzehn Minuten hin und fünfzehn Minuten zurück. Später wechselte sie ins Kunstturnen, immer noch im Turnverein Biasca. 1973, als die Rhythmische Sportgymnastik angeboten wurde, versuchte sich Piccinelli auch in dieser neuen Disziplin. Gleichzeitig betrieb sie Leichtathletik (Anm. d. Redaktion: Sie hielt mehrere Jahre lang den Tessiner Weitsprung-Rekord). Mit 14 Jahren begann sie zusätzlich Fussball zu spielen. Kurz gesagt, viele verschiedene Sportarten, die Piccinelli alle mit Leidenschaft und Engagement ausübte.

Sie war Muki-, Kitu- und Kutu-Leiterin, Leiterin Geräteturnen, Aktivriege und Frauenturnen, J+S-Expertin für Rhythmische Sportgymnastik sowie Leiterin für Gymnastik-Teste. Sie trainierte Rhythmische Sportgymnastik in der SFG Biasca, war zuständig für die GymnastikRichter im Schweizerischen Turnverband und Mitglied der Kommission für Rhythmische Sportgymnastik. Vermutlich ist die Aufzählung nicht vollständig. Aber sie zeigt, dass sich die 64-Jährige auf vielen Ebenen mit Herzblut engagierte.

Die Arbeit beim Tessiner Turnverband

Eines Tages kam Emiliano Camponovo (✝ 2018), der damalige Präsident des Tessiner Turnverbandes (ACTG), in die Turnhalle und fragte Piccinelli, ob sie als Sekretärin für die ACTG arbeiten wolle. Daraufhin kündigte sie ihren Job bei einem Anwalt und begann 1992 ihr neues Turnabenteuer hinter dem Schreibtisch. «Alles wurde von Hand gemacht: die Buchhaltung, die Leistungsabrechnungen, die Anmeldungen», erinnert sich Morena Piccinelli. Allmählich gewöhnte sie sich an den Umgang mit dem Computer und den zunehmenden Arbeitsaufwand. Waren es früher zwei Veranstaltungen und einige Leiterkurse pro Jahr, gab es immer mehr Wettkämpfe in den verschiedenen Disziplinen und auch die Anzahl an anderen Veranstaltungen und Versammlungen stieg stetig. Die heute jährlich stattfindenden Veranstaltungen nehmen meist ein Jahr Vorbereitung in Anspruch.: «Sobald der Anlass vorbei ist, beginnt man mit der Organisation der Veranstaltung fürs kommende Jahr», so Piccinelli. Es gebe viel Bürokratie. Oft sei den Turnenden und Leitenden nicht bewusst, wie viel Aufwand und harte Arbeit hinter einem Training, einem Wettkampf oder einer Sportveranstaltung steckt.

Zahlreiche Erinnerungen

Morena Piccinelli hat viele schöne Erinnerungen, die mit dem Turnen zu tun haben. Die Siege natürlich, aber auch die Niederlagen, aus denen man immer etwas lernen kann und wodurch man die Erfolge besser zu schätzen weiss; die Eidgenössischen Turnfeste, vor allem dasjenige 1972 in Aarau und jenes von 1978 in Genf, als sie – schwanger mit ihrer Tochter Michela – eine Übung an den Schaukelringen präsentierte. Auch die Gymnaestradas waren für sie «wunderbare Erfahrungen»: In Berlin 1975 turnte sie aktiv mit. Bei verschiedenen anderen Ausgaben hat sie als Betreuerin teilgenommen. «Es war eine grossartige Erfahrung, mitzuerleben, wie das ganze Drumherum einer solchen Veranstaltung abläuft», schwärmt sie.

Den meisten ist nicht bewusst, wie viel hinter einem Training, einem Wettkampf oder einer Sportveranstaltung steckt

Nur mit Leidenschaft kann man Ergebnisse erzielen

Zugehörigkeit und Teamgeist

Früher war die «Turnfamilie» kleiner, man kannte sich untereinander. Die Vereine standen sich näher. Bei den Trainings in der Turnhalle konnten Kontakte geknüpft werden und es herrschte ein grosses Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Welt des Turnens hat sich natürlich weiterentwickelt. Heute spezialisiert man sich auf die einzelnen Disziplinen und strebt nach den besten Ergebnissen. «Es fehlt ein Turnsport für alle. Für solche, die sich nicht für eine bestimmte Disziplin entscheiden wollen, aber trotzdem Sport treiben », erklärt Morena Piccinelli mit einem Hauch von Bitterkeit. Die ACTG hat versucht, einige Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Es mangelt jedoch an Sporthallen sowie an Leiterinnen und Leitern. Vielleicht fehlt auch die Motivation, sich um einen nichtwettkampforientierten Bereich zu kümmern. Dieser brächte zwar keine Rangierungen, wäre aber gesellschaftlich sehr befriedigend.

Auch das Ehrenamt sei ein wichtiger Aspekt: Heutzutage nimmt die Arbeit einen immer grösseren Platz ein und die Leute widmen sich in der Freizeit lieber ihrer Familie. Aber Piccinelli ist überzeugt: «Nur mit Leidenschaft kann man Ergebnisse erzielen.»

Im Turnen gibt es nach Piccinellis Meinung zu wenig nicht-wettkampforientierte Angebote. Foto: Silvia Simeone

Platz für die jüngere Generation

Morena Piccinelli ist eine entschlossene Person. Vor etwa fünf Jahren spürte sie, dass es an der Zeit war, die Turnhallen hinter sich zu lassen. Sie war sich bewusst, dass sie viel getan hatte, und wollte den jungen Menschen Platz machen. Um mit der Entwicklung Schritt zu halten, ist es notwendig, sein Wissen an jüngere Menschen weiterzugeben, damit diese davon profitieren und die Aktivitäten auf bestmögliche Weise fortführen können.

Immer noch engagiert

Ihr Leben ist dem Turnen gewidmet – ihrer grossen, aber nicht einzigen Leidenschaft. Piccinelli singt nämlich gerne. Sie bedauert, dass sie dieser Leidenschaft nicht nachgegangen ist, aber es ist bekanntlich nie zu spät. Seit acht Jahren singt sie in einem Chor. Und sie liebt es. Keine Frage, dass Piccinelli auch dem Chor-Vorstand beigetreten ist. Ausserdem engagiert sie sich ehrenamtlich im Altersheim und ist Mitglied des «Marchethon»-OK (www.marchethon-ti.ch). Auch um ihren Enkel Davide, der Geräteturnen und Mountainbike betreibt, kümmert sie sich mit Freude.

Morena Piccinelli gibt zu, dass sie ihre früheren Kolleginnen und Kollegen ein wenig vermisst. Aber sie hat den Kontakt zu denjenigen, die ihr am nächsten stehen, aufrechterhalten und geht manchmal mit Gipfeli in den ACTG-Büros vorbei, um einen Kaffee zu trinken.

Text: Lara Rigamonti

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