Geschichten, die das Leben schreibt Wäre Adolf Jenny* (55) heute geboren worden, hätte sein Leben wohl einen anderen Verlauf genommen. So aber musste er «büssen», weil sich seine Eltern früh scheiden liessen und alleinstehende Mütter damals sowohl rechtlich als auch moralisch einen schlechten Stand hatten. Nein, so etwas wie ein Elternhaus habe ich in meiner Kindheit nicht gekannt. Meine zwei Geschwister und ich gingen noch nicht einmal zur Schule, als die Ehe unserer Eltern geschieden wurde. Zwar wusste ich damals noch nicht, was die Scheidung für uns Kinder zur Folge haben würde, aber fürs Erste war ich einfach dankbar, dass eine unfrohe Leidenszeit zu Ende ging. Denn mein Vater war ein starker Alkoholiker, der meine Mutter und uns Kinder immer wieder schlug. Und vor dem ich zeitlebens nur Angst hatte. Für kurze Zeit lebten wir Kinder allein mit der Mutter. Aber alleinstehende Frauen mit Kindern hatten es damals schwer, sehr schwer. Von allen Seiten wurde meine Mutter geächtet und gemieden. Die Leute im Dorf haben getuschelt und sie als unfähige Ehefrau hingestellt und als Mutter schlecht gemacht. So lang, bis der Staat einschritt. Ich erinnere mich noch genau an diesen trüben Herbstmorgen, als drei dunkel gekleidete Männer vor unserer Tür standen, um uns Kinder ins Heim zu bringen. Meine Mutter hatte kaum Zeit, meinen beiden Geschwistern und mir die Tränen abzuwischen, als sich die Tür bereits hinter uns schloss und wir in eine unbekannte Zukunft «abgeführt» wurden. Wir Heimkinder waren der letzte Dreck. Das Erziehungsheim, in das wir gebracht wurden, machte seinem Namen alle Ehre. Schnell musste ich feststellen, dass ich als Kind von geschiedenen Eltern einen besonders tiefen Status hatte. So etwas wie Liebe, Zuneigung oder Lob gab es nicht. Dafür Schläge mit dem Stock, bei jedem kleinsten Regelverstoss. Tagwache war jeweils um 4.30 Uhr morgens, Lichterlöschen um 20.00 Uhr. Dazwischen gab es Schule, Haus- und Gartenarbeiten, Leibesertüchtigungen und immer wieder sexuelle Übergriffe. Diese Jahre im Erziehungsheim waren die schlimmsten in meinem Leben. Dieses ohnmächtige Gefühl, Menschen ausgeliefert zu sein, für die man der letzte Dreck war, hat mein Leben nachhaltig zerstört. Ich war gerade mal sieben Jahre alt, als mir bewusst wurde, wie allein ich eigentlich auf dieser Welt war. Und dieses Gefühl sollte mich in meinem ganzen Leben nie mehr loslassen. Nur weg – weit, weit weg! Obwohl wir Heimkinder schulisch nicht besonders gefördert wurden, schaffte ich die Matura, musste dann aber mangels Geldes eine Spenglerlehre machen. Weil ich nirgends ein Daheim hatte, ging ich für eine Schweizer Firma als Monteur ins Ausland. Über 30 Jahre arbeitete ich so in Ländern wie China, Saudi-Arabien und Marokko. Und auch wenn es eine Art Flucht vor meinen unverarbeiteten Kindheitserinnerungen war, empfand ich es als eine gute Zeit. Erst als ich dann meine Frau kennenlernte und Vater wurde, hat mich die Vergangenheit wieder eingeholt. Es war mir nicht möglich, Nähe zu leben und ich hatte grosse Probleme mit körperlichem Kontakt. So grosse, dass irgendwann unsere Ehe daran zerbrach.
«Ich wuchs wie ein Waisenkind auf, obwohl ich Mutter und Vater hatte.»
Fast schon biblisch folgten auf die «fetten» Jahre nun die mageren. Mit knapp 50 verlor ich erst schuldlos meine Stelle, dann meine Wohnung, mein Erspartes und schliesslich auch noch meine Würde, als ich den Gang zum Sozialamt antreten musste. Dort gab man mir den Rat, mich bei der Heilsarmee zu melden. Bei der Heilsarmee fand ich ein Daheim. Anfänglich zögerte ich noch, aber nach vielen kalten Novembernächten, die ich auf der Strasse verbrachte, sehnte ich mich nach einem warmen Bett. Ich war erstaunt, wie schnell und unbürokratisch mich die Heilsarmee aufnahm. Dort bekam ich ein Zimmer und zu essen, und vielleicht am wichtigsten: Sie nahm mich so, wie ich war, in ihrem Kreise auf.
*Bei der hier dargestellten Lebensgeschichte haben wir Bilder von einer andern Person verwendet. Dies zum Schutz der Privatsphäre von Adolf Jenny.
Auch wenn ich mittlerweile nicht mehr bei der Heilsarmee wohne, komme ich immer wieder gern hierhin zurück. Manchmal nur für einen Schwatz, manchmal gleich für ein paar Tage. Denn hier habe ich etwas gefunden, was ich in meinem ganzen Leben nie hatte: eine Art Daheim. Und auch wenn ich nicht weiss, was das Leben mit mir noch vorhat, habe ich unter diesen Menschen auch das Träumen wieder erlernt. Eines Tages möchte ich gern ein Buch schreiben, mein Buch, über mein Leben.
Bei uns schöpfen Menschen wie Adolf Jenny neue Kraft, um sich dem Leben zu stellen. Oft braucht es gar nicht so viel, um einem gestrauchelten Menschen wie Adolf Jenny neuen Halt zu geben. Darum legen wir bei unseren insgesamt acht Sozialberatungsstellen grossen Wert auf einen niederschwelligen Eintritt. So auch bei unserer Beratungsstelle in St. Gallen. Ohne Voran-
meldung empfangen wir dort Menschen – und zwar alle. Die einen haben vielleicht nur ein Problem mit dem Ausfüllen eines Formulars, die andern sind in eine regelrechte Katastrophe hineingerutscht und brauchen dringend psychologische Hilfe.
Mit zwei Notschlafzimmern können wir in der Beratungsstelle St. Gallen auch all denen helfen, die temporär ein Dach über dem Kopf brauchen. Und grossen Anklang findet jede Woche unsere Gratis-Lebensmittelabgabe für Randständige. An drei Abenden können sich Menschen, denen
es einfach an allem fehlt, mit Esswaren versorgen. Das alles ist aber nur möglich, weil uns grosszügige Gönnerinnen und Gönner wie Sie immer wieder tatkräftig unterstützen. Herzlichen Dank, auch im Namen von Adolf Jenny.
Suppe, Seife, Seelenheil. So hilft die Heilsarmee mit Ihrer Hilfe.
Offene Ohren
Freie Betten
Gedeckte Tische
Tröstende Worte
Alles beginnt mit einer einfühlsamen Person, die sich eines hilfesuchenden Menschen annimmt. Darum empfangen wir Menschen in Not sowohl in unseren 8 Sozialberatungsstellen als auch in unseren 57 Heilsarmee-Gemeinden mit offenen Armen und Ohren.
Wer den Boden unter den Füssen verloren hat, hat oftmals auch kein Dach mehr über dem Kopf. In insgesamt 7 Wohn- und 5 Übergangsheimen, 4 Alters- und Pflegeheimen und 2 Passantenheimen bieten wir jede Nacht über 1200 Menschen ein Obdach. Zusätzlich führen wir noch 1 Jugend- und 6 Kinderheime.
Oft ist das Problem eines hilfesuchenden Menschen ganz profan. Er oder sie hungert nach Essen oder nach ein bisschen Gesellschaft. Darum laden wir gern zu Tisch. Zum Beispiel bei unseren diversen Mittagstischen für Jung und Alt oder den FrauenZmorgen.
Unser Tun ist geprägt durch unsere Beziehung zu Gott. Darum bringen wir die Menschen mit Jesus Christus in Berührung. Nicht zuletzt mit unseren Gottesdiensten, die jeden Sonntag in 57 HeilsarmeeGemeinden stattfinden. Aber auch unsere psychiatrische Spitex und der Gefängnisdienst sind wertvolle Angebote für Menschen in Not.
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