GESCHICHTEN, DIE DAS LEBEN SCHREIBT.
LEILA SCHMIED
HEUTE HABE ICH MEINER MUTTER VERZIEHEN, DASS SIE MICH DAMALS VON DER POLIZEI ABHOLEN LIESS.
LEILA SCHMIEDS* (52) LEBEN VERLIEF UNAUFFÄLLIG, BIS ES DURCH EINE PSYCHOSE VÖLLIG AUS DEN FUGEN GERIET. NACH DER ZWANGSEINLIEFERUNG IN EINE NERVEN KLINIK FAND SIE IN DER OBHUT DER HEILSARMEE LANGSAM WIEDER ZURÜCK ZU EINEM GEREGELTEN ALLTAG.
I
ch wurde als einziges Kind meiner Eltern im Engadin geboren. Auf den ersten Blick waren wir eine perfekte Familie. Doch die Liebe meiner Eltern war nie richtig da oder schon erkaltet, bevor ich auf die Welt kam. Erst viel später habe ich begriffen, dass besonders meine Mutter in ihrer Beziehung sehr unglücklich war. Warme Worte, Lob oder eine Umarmung waren selten für mich. Trotzdem liebte ich meine Eltern. Als Kind wurde ich magersüchtig: Im Nachhinein betrachtet war die Krankheit wahrscheinlich ein Hilferuf nach mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung. Ein Leben auf der Bühne war greifbar nahe. In meiner Jugend schien sich zunächst eine Wende zum Guten abzuzeichnen. Nach und nach bekam ich meine Magersucht in den Griff. Denn
ich arbeitete an der Erfüllung eines Traums: Ich wollte Schauspielerin werden. Tatsächlich erhielt ich nach dem Gymnasium einen Platz an der Schauspielschule, die ich erfolgreich abschloss. Das Schicksal meinte es auch anschliessend eine Zeit lang gut mit mir. Ich erhielt Aufträge in Deutschland und lernte dort meinen späteren Ehemann kennen. Bald darauf heirateten wir, ich zog zu ihm nach Zürich und verfolgte dort meine Karriere als Schauspielerin und später Regieassistentin weiter. Leider hielt unsere Ehe nicht einmal zwei Jahre. Einmal mehr fühlte ich mich alleine und ungeliebt. Kurz nach der Scheidung erreichte mich die Nachricht vom Tod meines Vaters. Ich fuhr zu seiner Beerdigung nach Hause. Plötzlich fand ich mich in meinem
Heimatort, den ich bestens kannte, nicht mehr zurecht. Alles erschien mir fremdartig. In meiner Vorstellung sagten die Trauergäste hinter meinem Rücken gemeine Sachen über mich. Mehr und mehr entglitt mir die Realität. Ich führte das Ganze auf den Stress und die Trauer zurück. Um der Situa tion zu entgehen, fuhr ich nach der Beisetzung sofort nach Zürich zurück. Doch der Ortswechsel machte es nicht besser. Im Gegenteil: Ich verlor vollständig den Bezug zur Realität. Alle Menschen schienen mich zu beobachten und über mich zu tuscheln – von der Kassiererin im Supermarkt bis zu den Pendlern im Tram. Ich verdächtigte sogar meine netten Schauspielkollegen, einen Komplott gegen mich auszuhecken. Mehrmals hielt ich es nicht mehr aus und flüchtete während der Probe von der Bühne oder erschien erst gar nicht. Ich verbarrikadierte mich in meiner Wohnung, dem einzigen Ort, an dem ich mich sicher fühlte. Schliesslich verlor ich meine laufenden Engagements und konnte meine Wohnung nicht mehr zahlen. Meine Verfolger waren überall. Wem konnte ich noch trauen? Mir fiel nur meine Mutter ein. Ich fuhr zu ihr, um mich bei ihr zu verstecken. Doch auch bei ihr war ich nicht vor meinen «Verfolgern» sicher. Der Nachbar mit
dem Hund, die Bäckersfrau, sogar die Familienfotos im Wohnzimmer sagten Gemeinheiten zu mir. Ich versuchte, mit meiner Mutter über meine Ängste zu sprechen. Fragte sie, ob sie das Gleiche hörte wie ich. Ob sie nicht sähe, wie mich alle fertigmachen wollten? Ich steigerte mich so in meinen Wahn hinein, dass ich einen Nervenzusammenbruch erlitt: «Lasst mich endlich in Ruhe», schrie ich wie von Sinnen und schlug um mich, als mich meine Mutter beruhigen wollte. Zum Glück trafen andere die sinnvollen Entscheidungen für mich. Meine Mutter liess mich – mit Hilfe der Polizei – in eine Psychiatrie einweisen. Ich verabscheute sie dafür: Der einzige Mensch, dem ich noch vertraute, hatte mich verraten. Das konnte ich ihr damals nicht verzeihen. Kurzfristig tat mir der Klinikaufenthalt gut, so dass ich nach zwei Wochen entlassen wurde und nach Zürich zurückfahren konnte. Dort war ich ganz auf mich alleine gestellt. All meine sozialen Kontakte hatte ich verloren. Ich hauste – da wohnungslos – in einer billigen Pension. Bei einer der seltenen Gelegenheiten, bei der ich mich auf die Strasse wagte, traf ich einen Bekannten. Er begriff, in welch schlechtem Zustand ich war, und brachte mich in einem Wohnheim der Heilsarmee unter.
Es war noch ein langer Weg zu gehen. Im Wohnheim wurde ich sehr gut betreut. Dennoch verschlimmerte sich mein Zustand. Tagelang sprach ich im Aufenthaltsraum mit niemanden, weil ich niemandem traute. Nachts fanden mich die Betreuer vor meinem Zimmer stehend, wie ich vor mich hinstarrte. Auch äusserlich verwahrloste ich: Ich war so sehr in meiner Alptraumwelt gefangen, dass ich selbst alltägliche Handlungen wie Duschen oder Zähneputzen nicht mehr alleine bewältigen konnte. Eine Wohnheimbetreuerin zog schliesslich einen externen Psychologen zu Rate. In einem einfühlsamen Gespräch riet er mir, mich stationär behandeln zu lassen. Ich willigte ein und verbrachte mehr als ein Jahr in der Psychiatrie.
Ich habe Halt im Glauben gefunden. Nach meinem Aufenthalt in der Psychiatrie fand ich im Heilsarmee-Wohnheim zu einem geregelten Alltag zurück. Mittlerweile lebe ich seit 13 Jahren dort. Wochentags arbeite ich in einer Kantine und in meiner Freizeit spiele ich in zwei Laientheatern. Meine wiedererwachte Leidenschaft fürs Theater, mein erstarkter Glaube an Gott und die Menschen in meiner Gemeinde geben mir Kraft. Ich bitte Gott, dass ich in naher Zukunft ganz ohne Medikamente auskommen werde und mein Leben so eigenständig wie im Moment weiterführen kann.
* Bei der hier dargestellten Lebensgeschichte haben wir die Namen geändert und die Bilder von anderen Personen verwendet. Dies zum Schutz der Privatsphäre von Leila Schmied.
Leila Schmied wartet auf ihren Auftritt bei einer Theaterprobe.
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Fr eie B e t t en Wer den Boden unter den Füssen verloren hat, hat oftmals auch kein Dach mehr über dem Kopf. In insgesamt 7 Wohn- und 5 Übergangsheimen, 4 Alters- und Pflegeheimen und 2 Passanten heimen bieten wir darum jede Nacht über 1200 Menschen ein Obdach.
Gedeck t e Tische Oftmals ist das Problem eines hilfesuchenden Menschen ganz profan. Er oder sie hungert nach Essen oder nach ein bisschen Gesellschaft. Darum laden wir gern zu Tisch, z. B. beim Mittagstisch für Kinder, bei unseren Weihnachtsfeiern oder den Frauen-Zmorgen.
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