Reportage: Ein Tag im Leben von Nahost-‐Korrespondent André Marty Text und Fotos von Tanya König
André Marty streicht sich mit der rechten Hand durchs blonde Haar, seufzt und sagt: «Es würde Sinn machen, das Wort Frieden einfach aus dem Sprachrepertoire zu streichen, dann ist man nämlich nicht permanent so enttäuscht, wenn man keinen Fortstritt bemerkt!» Er sitzt in einem braunen Honda -‐ neben ihm sein Kameramann Jean-‐Marc Zylbering, der zugleich der Fahrer ist. Vor ihnen die lange Autostrasse, die Tel Aviv mit Jerusalem verbindet. «Das heisst nicht, dass Frieden nicht möglich wäre, denn wer hätte vor ein paar Jahren noch gedacht, dass sich Israel weitgehend aus dem Gaza-‐Streifen zurückziehen würde?», fragt André Marty, 43, Nahost-‐Korrespondent des Schweizer Fernsehens SF. Er trägt eine schlichte Brille, ein hellblaues Hemd, kakigrüne Leinenhosen und schwarze Ledersandalen. Seit fünf Jahren lebt er nun mit seiner Frau Mascha und der fünfjährigen Tochter Mila in Tel Aviv. Weder die Palästinenser, noch die Israelis seien bereit aufeinander zuzugehen. Das Problem beginne bereits bei der Argumentation, alles sei so komplex, sagt André Marty. Er rümpft die Nase und starrt aus dem Fenster. Die Landschaft ist hügelig und voller Steine. Das einzig Grüne sind die Olivenbäume. Er ist auf dem Weg in die heilige Stadt Jerusalem – wo Christen, Juden und Muslime auf engstem Raum leben. «Religion ist in Jerusalem viel prägender als in Tel Aviv. Offenbar ist der Himmel hier einfach viel näher», sagt Marty nachdenklich. Müsste er in Jerusalem wohnen, so hätte er seinen Job als Nahost-‐Korrespondent wahrscheinlich nicht angenommen. Heute trifft er sich mit Donatella Rovera von Amnesty International, um einen Tagesschau-‐Beitrag von einer Länge von 1.40 Minuten zu realisieren. Amnesty International hat einen Bericht veröffentlich, der Israelische Soldaten beschuldigt, während des israelischen Gaza – Krieges Anfang Jahr Zivilisten mutwillig verletzt oder gar getötet zu haben. Donatella Rovera, die diesen Bericht geschrieben hat, erwartet André Marty um 10 Uhr im Hotel Jerusalem. Es ist 9.30 Uhr und die Strassen sind voller Autos. Trotz der Hektik herrsche eine momentane Ruhe, sagt Marty. Auf seiner Stirn sind Falten zu sehen und seine Finger hat er zu Krallen gekrümmt. «Im Moment ist es ruhig hier in Jerusalem, doch das kann sich innerhalb eines Bruchteiles einer Sekunde ändern, sobald sich die sogenannte Situation, wie es so schön heisst, wieder verändert.» Diese momentane Ruhe sei ein abgrundtiefes Misstrauen: Die Muslime und Juden pflegen so wenig Kontakt wie möglich zueinander, sagt er. Ein Auto hupt und in der Ferne hört man einen Helikopter in der Luft. Da sei er schon froh, in Tel Aviv zu wohnen. Jean-‐Marc Zylbering fährt einen Hügel hoch, vorbei an weissen Häuschen mit flachen Dächern, wo Menschen wohnen, die ständig unter Spannungen leben. Es gebe einige Menschen, die in psychologischer oder gar psychiatrischer Behandlung landen, weil sie das Gefühl hätten, die Energien, die Jerusalem freisetze, lasse sie zum Messias werden, erzählt Marty. «Jerusalem Syndrom», so nenne man dieses Phänomen. Ob er diese Energien auch spüre? Ja, sagt er langsam, die spüre er.
Es ist 10 Uhr: Zylbering parkiert seinen Honda vor dem Hotel Jerusalem. Er packt die Kamera aus, Marty nimmt das Stativ. In der kleinen Lobby, die mit breiten Holzstühlen ausgestattet ist, bereiten sie das Setting vor. Donatella Rovera erscheint und André Marty bespricht das Vorgehen, bevor sie sich setzten. Auf seinem Hemd sind Bartstoppeln zu sehen -‐ sein Gesicht ist nicht perfekt rasiert.
© 2009 tanya könig
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