Als ob ich fliege

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Als ob ich fliege Eine Schulgeschichte von Ursula L端tterfelds


Teach For Austria rekrutiert persönlich und fachlich herausragende HochschulabsolventInnen, die nach einer intensiven Vorbereitung für mindestens zwei Jahre als vollwertige LehrerInnen - Fellows – an urbanen Hauptschulen, Neuen Mittelschulen und Polytechnischen Schulen unterrichten. Während dieser zwei Jahre werden sie von erfahrenen TrainerInnen begleitet und erhalten eine Leadership-Ausbildung. Ziel ist es, eine Bewegung von Menschen aufzubauen, die sich für Chancengerechtigkeit im Bildungssystem durch die Förderung von Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien einsetzen. Die Fellows sind den SchülerInnen Vorbilder, inspirieren sie durch hoch gesetzte Anforderungen, entfachen Feuer für Bildung und ebnen ihnen dadurch den Weg in eine hochwertige Lehre und/oder in weiterführende Schulen. Neben diesem akademischen und laufbahnrelevanten Wissen geben die Fellows den SchülerInnen insbesondere wichtige soziale Kompetenzen und Werte mit auf den Weg wie Respekt, den Umgang mit Diversität, Konfliktlösungspotenzial, Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten.

Über die Autorin: Ursula ist Absolventin der Wirtschaftsuniversität Wien und wirkt als Fellow an einer Neuen MIttelschule in Wien, Donaustadt.


Es ist Freitag, die vierte Stunde hat gerade begon-

nen, und ich gehe den Korridor zur Klasse 1b entlang. Schon auf dem Gang kann ich sie hören. Gerade läuft noch ein Schüler in die Klasse, obwohl er schon lange im Raum sein sollte. Freitag, vierte Stunde, heißt für die Schüler, dass eine lange Woche hinter ihnen liegt, und dass alle Gedanken schon im Wochenende oder bei den nahen Osterferien sind. Ich öffne die Tür zum Klassenzimmer, und die Lautstärke geht noch eine Stufe hoch. Ich nicke der Klasse kurz zu, will keine Zeit verlieren, hole mein Smartphone und den externen Lautsprecher aus meiner Tasche, schalte die Musik ein, und die Trompeten fangen an zu spielen. „Selima, Du bekommst diese Woche Deine Medaille in der Kategorie Performance“, sage ich und reiche ihr eine der Plaketten, die ich am Tag zuvor gebastelt habe. Die Klasse applaudiert, Selima strahlt, nimmt die Medaille entgegen und verstaut sie gleich in ihrem Bankfach, wo sie schon andere Medaillen liegen hat. „Michi, Du bekommst diese Woche Deine Medaille in der Kategorie Selbständigkeit. Du hast die ganze


Woche die Hausaufgaben gebracht, ohne dass ich auch nur einmal nachfragen musste.“ Die Klasse applaudiert, Michi strahlt und öffnet seine Federmappe, wo er seine Medaillen verwahrt. „Ceydan, Du bekommst diese Woche Deine Medaille in der Kategorie Teamwork. Du hast so toll mit Karl zusammengearbeitet.“ Die Klasse applaudiert, und Ceydan lächelt ihrem Teampartner von Mittwoch zu. Zwanzig von fünfundzwanzig Schülern bekommen diese Woche eine Medaille. Als alle ihre erhalten haben, hört man statt Lärm jetzt noch die letzte der wenigen Textzeilen der Titelmelodie von Rocky: „Gonna fly now, Flying high now, Gonna fly, fly, fly.“ „Frau Lütterfelds, mit dem arbeite ich nicht zusammen, der ist voll blöd“. Mitmachen, sich anstrengen, in etwas gut sein – da waren sich alle einig – ist ziemlich uncool! Es war Ende Oktober, ich war noch recht neu in der Klasse und stand, von dem Chaos im Klassenzimmer mal ganz abgesehen, vor einer großen Frage: Was mache ich eigentlich mit den Kindern, die gut


mitarbeiten? Wie kann ich sie und ihr Verhalten stärken? Es ist ja nie die ganze Klasse, die durchdreht, sondern meist nur eine Handvoll an Schülern – die dann aber die volle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wie zur Bestätigung flog auch noch die Tür auf, und herein kam Florian, der lauthals in die Runde fragte: „Was läuft? Alles klar bei Euch?“ „Wir setzen uns jetzt alle hin“, rief ich in den Lärm der Klasse. „Wir haben viel zu tun. Wir müssen viele Punkte abarbeiten! Also bitte!“ Einige Schüler taten mir auch den Gefallen, mich anzuschauen, aber Begeisterung sieht anders aus. Als ich die Stunde plante, hatte ich mir vorgestellt, dass sich die Schüler in Teamarbeit an einzelnen Lernstationen das Thema „Vogel“ selbständig über zwei Stunden erarbeiten, um es dann dem Rest der Klasse vorzustellen. Das war mein Plan. Kinder anschreien war nicht mein Plan. Was also konnte ich tun? Auf der einen Seite: Die Schüler haben viel Energie, sie teilen sich gern mit, sind sehr interessiert, mit anderen in Kontakt zu treten. Wenn sie


etwas interessiert, sind sie kaum zu bremsen. Andererseits: Die Schüler stehen sich oft selbst im Weg, haben wenig Vorstellungen von ihrer Zukunft. Sie wissen nicht, was ihre Stärken sind oder dass sie überhaupt welche haben. Viele sehen sich selbst nur als Störer, halten sich gar für dumm. Und das schlimmste ist, sie scheinen sich daran gewöhnt zu haben. „Du musst da mal so richtig durchgreifen. Damit die kapieren, wer Chef ist. Und wer es nicht begreift – Pech gehabt“, bekam ich als wohlmeinenden Tipp von verschiedener Seite. Oder: „Lass die einfach mal was abschreiben. Eine Stunde lang. Wirkt Wunder.“ Aber genau so wollte ich es ja nicht machen. Ich war Co-Klassenvorstand der 1b, sah die Kinder jede Woche zwölf Stunden und wollte mich nicht einfach auf mein Glück verlassen, dass es von allein besser würde. Und daran gewöhnen, wollte ich mich auch nicht. Ich brauchte eine andere Lösung und zwar schnell. Nach den Weihnachtsferien ging ich gleich am Morgen, noch bevor die Schüler da waren, in die 1b und hängte


ein großes Plakat an die Wand. Als ich dann in meiner Stunde in die Klasse kam, wurde ich sofort mit Fragen bombardiert: „Frau Lütterfelds, was ist das für ein Plakat? Was heißt Performance? Sind wir jetzt beim Sport oder was?“ „Hat jemand von Euch eine Idee, was Performance ist?“ Fünfundzwanzig Augenpaare schauten mich an, aber niemand hatte eine Antwort. „Respekt? Kann das jemand erklären?“ „Wer mich nicht respektiert, den box ich um“, rief Marvin. „Teamwork und Fairness?“, fragte ich weiter. „Wenn ich jemandem vielleicht nicht umboxe, auch wenn er nervt?“, schlug Michael vor. Nicht ganz die Antworten, die ich erhofft hatte. Aber es war ja auch fast ein Paradox: Ständig wird von den Kindern gefordert, sich nach bestimmten Werten zu verhalten, aber fast keiner nimmt sich Zeit mit den Kindern zu besprechen, wie diese Werte im Alltag aussehen können.


„Wir merken gerade, dass man diese Begriffe auf dem Plakat gar nicht so leicht mit Worten erklären kann. Deshalb werde ich ab jetzt Medaillen verteilen, wenn ich bei Euch das entsprechende Verhalten sehe. So können wir zusammen rausfinden, was Respekt, Selbständigkeit, Performance sowie Teamgeist und Fairness ist und wie sich das anfühlt“, erklärte ich. Ein bisschen enttäuscht war ich nach der Stunde schon, weil so wenig von den Kindern selbst gekommen war. Respekt war fast wie ein Fremdwort für sie. Aber umgekehrt gedacht hat mich das auch in meiner Idee bestärkt. Jeden Freitag in der vierten Stunde vor dem Sportunterricht gehe ich seitdem in die Klasse, schalte die Titelmelodie von Rocky ein und verteile die Medaillen an die Kinder. Am Ende des Raumes hängt das große Plakat, in das die Schüler selber die Anzahl ihrer Medaillen eintragen. Ich komme, um allen zu präsentieren, wo sie Verhalten zeigen, das einen Unterschied macht. Ich komme, weil auch die „ewigen Störer“ Lob und Anerkennung für positive Entwicklung verdient haben,


sei sie auch noch so gering. Ich komme, um all diese scheinbar kleinen Dinge zu würdigen, die als Ganzes genommen einen großen Unterschied machen. Anfangs hatte ich nicht das Gefühl, dass die Kinder besonders darauf anspringen. Sie haben die Medaillen zwar entgegengenommen, aber Freude hat keiner offen gezeigt. Fast so, als ob sie die Medaillen mir zum Gefallen annehmen würden. Umso überraschter war ich dann beim Elternsprechtag, als Selima mit ihrem Vater zusammen in meinen Raum trat. „Selima, ich würde mich sehr freuen, wenn Du Dich öfter meldest. Du kannst das doch“, hatte ich ihr vor ein paar Wochen geraten. „Okay“, war ihre schmallippige Antwort. Tatsächlich hat sie sich dann auch öfter gemeldet und mehr als einmal eine Medaille in der Kategorie „Performance“ bekommen. „Also, das mit diesen Medaillen“, eröffnete der Vater direkt das Gespräch, „damit haben sie bei meiner Tochter voll ins Schwarze getroffen. Das ist jetzt immer das Erste, was sie am Freitag erzählt, wenn sie nach Hause kommt.“


„Das mit dem Lied finde ich auch super“, strahlte Selima mich an. „Das wissen Sie gar nicht, glaube ich, aber wenn Sie weg sind, dann singen immer ganz viele noch ‚Fly high now. Gonna fly, fly, fly.‘ Und genau so fühle ich mich dann auch. Als ob ich fliege.“


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