St채rken st채rken Eine Schulgeschichte von Bernhard Reingruber
Teach For Austria rekrutiert persönlich und fachlich herausragende HochschulabsolventInnen, die nach einer intensiven Vorbereitung für mindestens zwei Jahre als vollwertige LehrerInnen - Fellows – an urbanen Hauptschulen, Neuen Mittelschulen und Polytechnischen Schulen unterrichten. Während dieser zwei Jahre werden sie von erfahrenen TrainerInnen begleitet und erhalten eine Leadership-Ausbildung. Ziel ist es, eine Bewegung von Menschen aufzubauen, die sich für Chancengerechtigkeit im Bildungssystem durch die Förderung von Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien einsetzen. Die Fellows sind den SchülerInnen Vorbilder, inspirieren sie durch hoch gesetzte Anforderungen, entfachen Feuer für Bildung und ebnen ihnen dadurch den Weg in eine hochwertige Lehre und/oder in weiterführende Schulen. Neben diesem akademischen und laufbahnrelevanten Wissen geben die Fellows den SchülerInnen insbesondere wichtige soziale Kompetenzen und Werte mit auf den Weg wie Respekt, den Umgang mit Diversität, Konfliktlösungspotenzial, Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten.
Über den Autor: Bernhard ist Absolvent der Wirtschaftsuniversität Wien und wirkt als Fellow an einer Neuen Mittelschule in Wien, Favoriten.
„Kann es wirklich nur daran liegen, dass wir
diesmal unsere Gespräche an den Stärken der Schüler aufgehängt haben?“, frage ich Tommy, mit dem ich als einer der letzten Lehrer den langen Gang der 1. Klassen entlang gehe. Tommy ist mein Team-Teacher und Co-Klassenvorstand in der 1A und schon einige Jahre länger als ich an der Schule. „And, in the end… the love you take is equal to the love you make”, antwortet er grinsend mit einem leicht zweckentfremdeten Zitat von Paul McCartney, dessen Arbeit wir beide so schätzen. Aber es ist nicht nur der gleiche Musikgeschmack, der uns von Anfang an verbindet, sondern auch ähnliche pädagogische Ideale. Nach 15 Stunden Elternsprechtag sind wir beide bester Laune. „Ich hatte ja gehofft, dass unsere Idee aufgeht. Aber dass es so gut funktionieren würde, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet“, staune ich. Elternsprechtage sind in der Regel weder bei Eltern noch bei Lehrern besonders beliebt. Entweder haben sie den Charakter eines „Sünden-Marathons“, bei dem der Lehrer den Eltern die Störfälle und Unzulänglichkeiten ihres Schützlings aufzählt, oder aber das
Gespräch reduziert sich auf ein kurzes: „Naja, da gibt‘s gar nicht viel zu sagen – klappt doch ganz gut“. Das Wesentliche bleibt meist ungesagt. Im Herbst absolvierte ich gemeinsam mit Tommy meinen ersten Elternsprechtag. Mit den Aufzeichnungen der einzelnen Fachlehrer gingen wir mit Eltern und Schülern jedes einzelne Fach durch, besprachen die Problemchen und Einwände gegen zu auffälliges Verhalten und entließen Eltern und Kind nach 20 Minuten. Das Prozedere wiederholte sich genauso 24 Mal, und am Abend waren wir ausgelaugt und mit dem Ergebnis unzufrieden. Denn das Wesentliche war ungesagt geblieben. Uns war klar: Wir müssen das anders machen. In den Weihnachtsferien absolvierte ich einen Online-Kurs zu dem Thema „How to teach character and create positive classrooms“. Der Kurs zeigte mir, welche starke Rolle Charakterstärken und Wesenszüge in der Entwicklung von Kindern spielen, mitunter sogar eine größere als das reine Lernen von Fachwissen. Also nahm ich mir für das neue Jahr vor, die Stärken meiner Schüler ins Zentrum zu rücken.
„Was bedeutet es, eine Stärke zu haben?“, begrüße ich meine Englischklasse in der ersten Stunde nach Weihnachten und blicke in eine Reihe verdutzter Augenpaare. „Das heißt, wenn man z.B. gut Fußball spielen kann“, vermutet Marcel nach einer Weile zögerlich. „Ein gutes Beispiel“, antworte ich. „Dich z.B. Marcel, würde ich besonders stark bei Neugierde einschätzen. Und bei dir, Eda, fällt mir immer deine große Begeisterung auf“, gebe ich ein paar weitere Beispiele. Es fällt mir erstaunlich leicht, für alle meiner Schüler konkrete Stärken zu benennen: Hartnäckigkeit, Optimismus, schulische Selbstbeherrschung, soziale Intelligenz, Begeisterung, Neugierde oder Dankbarkeit. Besonders die auffälligen, die „verhaltenskreativen“ Schüler, zucken zusammen, als ich ihren Namen vorlese und eine ihrer aus meiner Sicht größten Stärken benenne. Erstaunt, überrascht und fast ungläubig blicken sie mich an. Dann haben die Schüler die Aufgabe, sich selbst auf von mir ausgeteilten „Charakterstärke-Karten“ einzuschätzen und ihre Stärken aufzuschreiben. Schnell zeigt sich, dass die Kinder oft viel kritischer sind als die
Erwachsenen: Sie gehen hart mit sich selbst ins Gericht, überraschen sich aber auch selbst beim Entdecken ihrer Stärken. Jede entdeckte Stärke muss allerdings von einem Erwachsenen, seien es die Eltern, Lehrer, Verwandte oder auch der Fußballtrainer mit einem Beispiel und einer Unterschrift bestätigt werden. Bis zum nächsten Elternsprechtag sind die Charakterstärken-Karten aller Schüler befüllt und voller Unterschriften. Diese Karten bilden jetzt die Grundlage für die Elterngespräche. Zuerst scheint alles wie beim letzten Mal. Dieselben Schüler, dieselben Lehrer, dieselben Eltern, 20 Minuten Zeit. Aber die Gespräche verlaufen diesmal ganz anders: „Hallo Şilan, Hallo Frau Özel, ich finde Ihre Tochter ist besonders neugierig bei uns im Unterricht. Das zeigt sich dadurch, dass sie fleißig mitarbeitet, regelmäßig aufzeigt und immer wieder auch kritische Fragen stellt. Weiter glaube ich, dass sie eine sehr optimistische Person ist. Sie glaubt daran, dass sie sich verbessern kann, wenn sie sich bemüht, und dass sie selbst ihre Zukunft in der Hand hat“, eröffne ich das Gespräch.
Die Mutter macht große Augen. Şilan wendet kurz den Blick ab, richtet sich aber gleich darauf auf und wächst Sekunde für Sekunde unter den positiven Worten, die ich für sie finde. „Dadurch hat sie sich in Englisch, Deutsch und Geografie stark verbessern können. Die jeweiligen Lehrer und wir sind mit ihrer Mitarbeit und ihrem Engagement während der Stunden sehr zufrieden“, fahre ich fort. „Wo sie noch versuchen könnte, etwas nachzulegen, ist bei der Hartnäckigkeit und der schulischen Selbstbeherrschung. Weißt du, was ich meine, Şilan?“ „Ja, schon. Ich will dann meistens gleich wieder etwas anderes, etwas Neues machen“, antwortet sie selbstbewusst und noch immer aufgerichtet uns gegenüber sitzend. Das Gespräch läuft von Anfang an auf Augenhöhe, und so ist es ein Leichtes, entlang der mit konkreten Beispielen belegten Stärken auch die Felder zu besprechen, die noch weiter entwickelt werden müssen. So haben auch die Schüler eine Möglichkeit, selbst konkrete Vorschläge zu machen. Şilan schlägt zum Beispiel vor: „Dass ich vielleicht beim nächsten Mal während der Stunde mehr weiß und
noch besser mitmache?“ „…oder, dass ich weniger kurzfristig vor einem Test oder einer Schularbeit lerne, sondern schon vorher?“ Wir sind mit beidem zufrieden. Die Mutter nickt unterstützend. Wir nehmen uns das als Vereinbarung vor, besprechen noch ihre eigene Selbsteinschätzung und was davon mit unserer Einschätzung übereinstimmt und entlassen reihenweise zuversichtliche Eltern und aktiviert-zufriedene Kinder. Ja, wir sind manchmal sogar schneller fertig als geplant, weil wir nicht wie bisher jedes einzelne Fach, in dem Hausübungen ein Problem sind, besprechen sondern stattdessen ein entspanntes, konstruktives Gespräch führen können. Das tut nicht nur den gestärkten Schülern und ihren Eltern gut, die eine konkrete Vorstellung davon haben, wie sie unterstützend tätig werden können gut, sondern auch uns Lehrern. Im Lehrerzimmer treffen wir nach dem Elternsprechtag eine Kollegin, die ziemlich erledigt auf ihrem Stuhl sitzt.
„Warum strahlt ihr denn so? Ihr hattet doch heute auch Elternsprechtag. Haben Eure Eltern alle abgesagt, oder wieso seid ihr so gut drauf?“, fragt sie erstaunt. Wir erzählen ihr von der Charakterstärken-Karte, den positiven Gesprächen, dem aufbauenden Klima und den zufriedenen Eltern. „Ich glaube, das wäre nichts für mich. Das hört sich ziemlich aufwendig an in der Vorbereitung. Dafür fände ich einfach nicht die Zeit“, gibt sie zu bedenken. Und es stimmt: wir hatten diesmal insgesamt mehr vorbereitet. Doch das machte sich für uns mehr als bezahlt. Denn die Zufriedenheit aller Beteiligten, die Qualität und Ergebnisse der Gespräche haben uns gezeigt, dass wir mit unseren Schülern und deren Eltern alles schaffen können, wenn wir gemeinsam versuchen, die Stärken der Schüler zu stärken.
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