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Kolumne
from Silent World 64
by OCEAN.GLOBAL
DER FROSCHMANN
TEXT // PETER S. KASPAR
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Es gab einst eine Zeit, da war das Taucherjahr wohlgeordnet. Wenn es kalt war, am Anfang des Jahres, traf man sich in Düsseldorf auf der boot, begegnete alten und neuen Freunden, die man im Jahr zuvor irgendwo an den entlegensten Orten der Welt aufgegabelt hatte. Man schwelgte in Erinnerungen und plante neue Exkursionen. Das einzige natürliche Gewässer in der Nähe, der Rhein, lud jetzt nicht gerade zu einem Tauchgang ein. Von Eistauchern hatte man zwar gehört – aber man hat ja auch schon von Astronauten oder Extrembergsteigern gehört. Trotzdem würde man nicht einfach so auf den Mond fliegen oder den Nanga Parbat erklimmen. Wer dem nasskalten deutschen Winter entfliehen wollte, berichtete auf der boot ganz locker, dass im Februar eine Reise nach Ägypten anstehe, und war sich der Bewunderung sicher: „Wie? In dieser Jahreszeit? Da ist es dort noch ganz schön kalt.“ Das war schon fast Eistauchen. Im April oder Mai zog es dann viele schließlich in den Süden, ganz so wie die Zugvögel, von denen die meisten allerdings gerade in die andere Richtung unterwegs waren. Der einwöchige Trip nach Ägypten oder ans Mittelmeer diente ja nur zur Vorbereitung für größere Exkursionen auf die Malediven, nach Indonesien oder noch weiter. Wer im Hochsommer „nur“ nach Ägypten flog, bekam zu hören: „Wie? In dieser Jahreszeit? Da ist es dort doch viel zu heiß.“ Wer besonders abenteuerlustig war, sprang unter dem Jahr auch schon mal in einen heimischen See, nur um festzustellen, dass das schon ein ziemlich eiskaltes Vergnügen war. Wenn die Tage kürzer wurden, dann zogen viele noch einmal nach Süden, diesmal mit dem Zug der Zugvögel, um noch entspannt eine Woche im Roten Meer abzutauchen. Und alsbald stand auch wieder die boot vor der Tür.
Nach zwei Jahren Pandemie sind die Zugvögel einigermaßen verwirrt, denn weder auf ihrer Reise in den Süden noch auf dem Weg zurück sehen sie viele Taucher. Ein Blick in die sozialen Netzwerke könnte unseren gefiederten Freunden Aufschluss über den Verbleib vieler Taucher geben. Aber welcher Storch hat schon Facebook, welche Wildgans twittert? Nicht einmal die weibliche Pfuhlschnepfe postet auf Instagram. Und die hält immerhin den Weltrekord mit einem Nonstopflug von Alaska bis Neuseeland. Diese Vögel könnten sonst sehen, dass sich seit geraumer Zeit Bilder in den Netzwerken häufen, die doch eher ungewöhnlich sind. Statt eines stattlichen Porträts eines Pygmäenseepferdchens in Raja Ampat sieht man immer öfter bibbernde Taucher mit gezwungenem Lächeln vor einem Loch im Eis in den Voralpen stehen! Ist das noch normal? Dass wir uns richtig verstehen, ich habe nichts gegen Eistaucher, gar nichts. Aber können wir hier noch allen Ernstes vom artgerechten Verhalten eines Durchschnittstauchers sprechen? Jemand, der einmal im Monat einen Spaziergang auf den Teufelsberg in Berlin macht, kommt ja auch nicht auf die verwegene Idee, plötzlich zu einer Expedition in den Himalaja aufzubrechen.
Die taucherische Enthaltsamkeit, zu der viele in den letzten beiden Jahren gezwungen waren, scheint inzwischen bedenkliche Langzeitfolgen zu haben. So gesehen ist es sicher kein Fehler gewesen, dass die boot dieses Jahr erneut abgesagt wurde. Möglicherweise hätten sich viele Taucher schon aus purer Verzweiflung in voller Montur in den benachbarten Rhein gestürzt. Das wäre sicher noch ein viel verstörenderes Bild gewesen, als Taucher, die im Begriff sind, sich in ein Eisloch zu stürzen. Es wird Zeit, dass diese doofe Pandemie endlich vorbei ist, damit in der Taucherwelt endlich wieder Normalität Einzug hält – schon der verwirrten Zugvögel zuliebe.