g a.n2g r tn s ul u r e vo l . J2a4h, rno ko r e aKnoi rs ec ahne A Ku &t C un dt Kultur
mm 2 0i n0t9e r 2 0 0 9 4S,u nr . 4e r W
Ländliche Grundschulen in Korea ISSN 1975-0617
KOREANISCHER SCHÖNHEITSSINN
Yagyeon traditionelle Heilkräuter-Handmühle
50
x1
5x
14
cm
© Ahn Hong-beom
I
n der traditionellen koreanischen Medizin wurden für die Behandlung je nach Rezeptur Heilkräuterpulver, für die die Kräuter nach dem Trocknen zerrieben wurden, oder Heilkräutersäfte, die aus Kräutern gepresst wurden, verwendet. Für die Pulverisierung der Kräuter kamen verschiedene Instrumente wie Mörser, Handmühlen und Yagyeon, eine speziellen Handmühle für Drogisten, zum Einsatz. Die Yagyeon entwickelte sich aus den Reibsteinen der Jungsteinzeit, deren Erfindung nach der Entdeckung des Feuers die Ernährungsgewohnheiten der Menschheit am revolutionärsten verbesserte, da die Reibsteine zum Mahlen von Getreidekörnern verwendet wurden. Bei der Ausgrabung von solchen Reibsteinen wurden in der Nähe Früchte gefunden, von denen man annimmt, dass sie zu medizinischen Zwecken eingesetzt wurden. Mit der Etablierung der Agrargesellschaft wurden die Reibsteine von Generation zu Generation weitergegeben, wobei bei längerem Gebrauch auf natürliche Weise in der Mitte des Reibsteins eine Rille entstand; daraus entwickelte sich dann im Laufe der Zeit die Form der heutigen Yagyeon. Zuerst sah die Handmühle Yagyeon mit ihrer länglichen Vertiefung in der Mitte noch grob aus, doch nach und nach nahm sie eine elegante Schiffsform an. Für die Herstellung wurden zunächst nur Stein oder Holz verwendet, im Laufe der Zeit kamen jedoch verschiedene andere Materalien wie Bronze, Messing, jadegrünes Seladon-Porzellan, weißes Porzellan, Ton, Glas u.ä. zum Einsatz. Im Königshof fertigte man aus kostbaren Materialien wie Silber, Jade oder Achat Yagyeon an. Der Grund für die Vielfalt der Materialien ist auch in dem Bestreben zu suchen, die Effektivität der Wirksubstanzen der einzelnen
Heilkräuter zu optimalisieren. Die Yagyeon ist Verkörperung der Harmonie zwischen Yin und Yang. Man legt die Heilkräuter in die Mulde und setzt darauf den radförmigen Stößel, aus dessen Mitte zu beiden Seiten Griffe ragen. Der Stößel wird dann vor- und zurückbewegt, wobei durch die harmonische Verbindung von Konkav und Konvex des Gerätes die getrockneten Heilkräuter zu Pulver zerrieben werden. Hierin steckt die tiefere Bedeutung, dass durch die Beachtung der Prinzipien von Yin und Yang den natürlichen Heilkräutern größere Heilwirkung verliehen und dadurch die Krankheit effektiv besiegt werden kann. Der koreanische Yagyeon-Stößel ist verhältnismäßig breit und die Ränder sind abgerundet. Die japanischen und chinesischen Stößel hingegen sind dünner und die Ränder schärfer. Die Oberfläche der Yagyeon-Handmühle war oft mit den zehn Symbolen der Langlebigkeit geschmückt, aber auch mit Motiven wie Fische, Frösche oder Drachen, oder es wurden verheißungsvolle chinesiche Zeichen eingraviert. Unter den Yagyeon, die im Königspalast, in großen Apotheken für traditionelle koreanische Medizin oder in den Häusern adliger Familien verwendet wurden, gab es auch welche, die eine Länge von über einem Meter hatten. Die hölzerne Yagyeon, die hier vorgestellt wird, ist etwa 50cm lang. Sie weist zwar im Großen und Ganzen die übliche Schiffsform auf, aber wenn man sich nur den Dekor in Form des mythischen, löwenartigen Wesens Haetae anschaut, so scheinen sich zwei Haetae mit dem Rücken aneinander zu lehnen. Diese Yagyeon wird im Songhak Folkloremuseum in Damyang-gun, Provinz Jeollanam-do, aufbewahrt.
Koreanische Kunst und Kultur
Jahrgang 4, Nr. 4 Winter 2009
Die 100 Jahre alte Grundschule Namhansan mit ihren acht Klassenzimmern liegt innerhalb der Festung Namhansanseong in Gwangju, Provinz Gyeonggi-do. © Hwang Young-dong
6
30
14
20
Ländliche Grundschulen in Korea
36
8 Die Entwicklungsgeschichte der ländlichen Grundschulen in Korea Cho Younsoon 14 Grundschulen auf dem Lande: Modell innovativer Bildungsansätze Im Youn-Kee 20 Alte Schulgebäude auf dem Land: Wiederbelebung für neue Zwecke Kim Dang
42
26 Erinnerungen an die Grundschule auf dem Land Kim Hwa-young 68
30 FOKUS Bedeutung des Internationalen Astronautischen Kongresses 2009 Kim Seung-jo
36 Interview Jung Yeondoo Jung Yeondoo: Auf der Suche nach Bruchstücken vergessener Zeit Kang Seungwan 42 KUNSTHANDWERKER Der Hüter der „Schuhe des Windes“: Schuhmachermeister Hwang Hae-bong | Park Hyun Sook 48 MEISTERWERKE Steinlaterne mit kauernden Löwen von der Tempelstätte Godal-sa Park Kyoung-shik
52 KUNSTKRITIK Namhansanseong : ein neuer Versuch der Musical-Schöpfung Won Jong-Won
58 KOREA ENTDECKEN Earl Jackson, Jr. Earl Jackson Junior findet eine neue Heimat in Korea Hwang Sun-Ae
62 AUF DER WELTBÜHNE Oh Eun-sun Höhenbergsteigerin Oh Eun-sun: die Bezwingung aller 14 Achttausender | Shin Young-chul 68 UNTERWEGS Gimcheon Klares Wasser, klare Gebirgslandschaft 76 KÜCHE Austernreis: eine Winter-Delikatesse
| Kim Hyungyoon
| Shim Young Soon
80 BLICK AUS DER FERNE Ein Jahr NNSC Swiss Delegation - Panmunjeom 82 LEBEN Blogkultur und Powerblogger in Korea 87
| Guido Oberwiler
IMPRESSUM Herausgeber The Korea Foundation 2558 Nambusunhwan-ro, Seocho-gu, Seoul 137-863, Korea PRÄSIDENT Yim Sung-joon REDAKTIONSDIREKTOR Hahn Young-hee CHEFREDAKTEURIN Ahn In-kyoung KORREKTURLESERIN Anneliese Stern-Ko REDAKTIONSBEIRAT Cho Sung-taek, Han Kyung-koo, Han Myung-hee, Jung Joong-hun, Kim Hwa-young, Kim Moon-hwan, Kim Youngna LAYOUT & DESIGN Kim’s Communication Associate REDAKTIONSMITGLIEDER Lim Sun-kun PHOTO DIRECTOR Kim Sam KUNSTDIREKTOR Lee Duk-lim DESIGNER Han Su-hee, Kim Su-hye Herausgabezweck: ideell SUBSKRIPTION Vierteljährlich herausgegeben Preis für Jahresabonnement: Korea 18.000 Won, Luftpost in Deutschland und Österreich 32 EUR (einschließlich Porto) Preis für Einzelheft: Korea 4.500 Won, Deutschland und Österreich 8 EUR (einschließlich Porto) Subskription/Korrespondenzanschrift: Deutschland und Österreich The Korea Foundation Berlin Office c/o Botschaft der Republik Korea Stülerstraße 8-10, 10787 Berlin, Germany Tel: +49-(0)30-260-65-458 Fax: +49-(0)30-260-65-52 E-mail: koreana@kf.or.kr Andere Gebiete inkl. Korea The Korea Foundation Diplomatic Center Building, 2558 Nambusunhwan-ro, Seocho-gu, Seoul 137-863, Korea Tel: +82-2-2151-6544 Fax: +82-2-2151-6592 WERBUNG CNC Boom co,. Ltd Towercrystal Building, 1008-1, Daechi 3-dong, Gangnam-gu, Seoul, Korea Tel: +82-2-512-8928 Fax: +82-2-512-8676 LAYOUT & DESIGN Kim’s Communication Associates 398-1 Seogyo-dong, Mapo-gu, Seoul 121-840, Korea Tel: +82-2-335-4741 Fax: +82-2-335-4743 www.gegd.co.kr DRUCK Samsung Moonwha Printing Co. 274-34, Seongsu-dong 2-ga, Seongdong-gu, Seoul 133-121, Korea Tel: +82-2-468-0361/5 Fax: +82-2-461-6798
Koreana Internet Webseite | Charles La Shure
REISEN IN DIE KOREANISCHE LITERATUR
Yi Mun-yol
Die faszinierende Erzählkunst und das Primat des Konzepts: Die Insel der Anonymität von Yi Mun-yol | Jung Hong-su Die Insel der Anonymität | Übersetzung: Ahn, In-kyoung/ Anneliese Stern-Ko
http://www.koreana.or.kr
©The Korea Foundation 2009 Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne vorherige Genehmigung der Korea Foundation in irgendeiner Form reproduziert werden. Die Meinungen der Autoren decken sich nicht notwendigerweise mit denen der Herausgeber von Koreana oder denen der Korea Foundation. Koreana ist als Vierteljahresmagazin beim Ministerium für Kultur und Tourismus registriert (Reg. Nr. Ba-1033 vom 8.8.1997) und erscheint auch auf Englisch, Chinesisch, Französisch, Spanisch, Arabisch, Japanisch und Russisch.
Ländliche Grundschulen in Korea Seit der gesetzlichen Einführung eines modernen Schulsystems und der Eröffnung von Einrichtungen zur Vermittlung der elementaren Schulbildung haben die ländlichen Grundschulen in Korea als Mittelpunkt des gemeinschaftlichen Lebens in den jeweiligen Regionen fungiert. Im Zuge der Urbanisierung und damit rückläufiger Schülerzahlen gerieten diese Schulen jedoch vorübergehend in eine Krise. Heutzutage, wo auf Bildung durch z.B. Erleben und Lernen im Bereich Ökologie oder auf humanistisch orientierte Erziehung Wert gelegt wird, gewinnen sie erneut an Aufmerksamkeit. Erfahren Sie mehr über die ländlichen Grundschulen in Korea vor dem Hintergrund des geschichtlichen Zusammenhangs der Elementarbildung in Korea.
Koreana | Winter 2009
Die Grundschule Namhansan in Sanseong-ri, Jungbu-myeon, Gwangju, Provinz Gyeonggi-do
Winter 2009 | Koreana
E
s lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, seit wann genau es die Elementarbildung gibt. Auch wenn ein bestimmter Anfangszeitpunkt festzulegen wäre, so müsste man doch die Einflüsse der Vorstufen im Entwicklungsprozess berücksichtigen. In der theokratischen Gesellschaft der prähistorischen Zeit wie z.B. in der Altstein-, Jungstein-, Bronze- und Eisenzeit existierte auf der koreanischen Halbinsel noch kein formelles Bildungssystem, jedoch kann man davon ausgehen, dass auch zu dieser Zeit die nachwachsende Generation in den Urreligionen und den politischen Ideologien der Zeit geschult wurde. Anhand des Prohibitivgesetzes von Gojoseon (2333? v.Chr.-108 v.Chr.) lässt sich erschließen, dass schon damals Menschenleben und Privatvermögen als wichtig bzw. schützenswert galten und dieser Gedanke durch irgendeine Art von Bildung dem Einzelnen vermittelt worden sein musste.
Seodang: erste Einrichtung für Elementarschulbildung Laut alter Schriften fassten vom 1. Jahrhundert bis Mitte des 7. Jahrhunderts, also im Zeitalter der Drei Königreiche (57 v.Chr.-668 n.Chr.) und des darauf folgenden Vereinigten Silla-Reichs (668-935), Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus auf der Koreanischen Halbinsel Fuß und legten die Grundlage für das tradtitionelle Denken der Zeit. Historische Aufzeichnungen belegen zudem die Existenz eines formellen Bildungssystems. Z.B. gab es im Königreich Goguryeo (37 v.Chr.-668 n.Chr.) die sog. Gyeongdang, eine Art Privatschule, die Unterricht von elementarem bis hin zu universitärem Niveau anbot und in der die Schüler die Klassiker lasen oder buddhistische Sutren rezitierten, sich aber auch im Rahmen einer militärischen Ausbildung im Bogenschießen übten. Das heißt, dass bereits zu dieser Zeit auf Reichsebene Bildungsein-
Die Entwicklungsgeschichte der ländlichen Grundschulen in Korea Während die moderne Elementarbildung zunächst zur Bekämpfung des Analphabetismus und zur Grundbildung der Bürger beigetragen hat, ist es heute die wichtigste Aufgabe moderner Grundschulen, der Diversität der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Vor einer näheren Betrachtung der ländlichen Schulen in Korea empfiehlt es sich, zum näheren Verständnis vorab einen Blick auf die Geschichte der Elementarbildung in Korea zu werfen. Cho Younsoon Professorin für Elementarbildung, Ewha Womans University | Fotos: Kang Jae-hoon, Ahn Hong-beom
Koreana | Winter 2009
richtungen errichtet wurden, um die für das Land notwendigen Humanressourcen heranzuziehen. Während der rund 500 Jahre langen Goryeo-Zeit (918-1392) konnte es sich das Reich wegen innenpolitischer Unruhen und Invasionen von außen nicht mehr leisten, die Schulen auf Reichsebene zu fördern. Jedoch wurde das Bildungssystem trotzdem durch die Bemühungen einiger bedeutender Gelehrter und Könige, die die Wissenschaften schätzten, weiterentwickelt und verstärkt. In Goryeo existierten nationale Bildungseinrichtungen wie die Staatliche Akademie (Gukjagam), die „Ost- und West-Schulen“ (Dongseohakdang), die fünf Distriktschulen (Obuhakdang) und öffentliche Schulen, die konfuzianistischen Schreinen angegliedert waren (Hyanggyo), aber vor allem auch private Bildungseinrichtungen wie die „12 Akademien“ (Sibido) und die Seodang, die privaten Volksschulen auf dem Lande. Darunter können die Seodang aufgrund ihrer Besonderheit, auch jüngeren Kindern Zugang zur Schulbildung zu bieten, als erste Formen der Volksschule und damit als Vorläufer der heutigen Grundschule betrachtet werden. Im Illustrierten Bericht über Goryeo (Gaolitujing ), der Xu Jing, der Abgesandte des chinesischen Song-Reichs im 12. Jh. zur Zeit des Goryeo-Königs Injong verfasste, heißt es: „Entlang den Dorfstraßen finden sich immer wieder zwei oder drei (Lehranstalten wie) Gyeonggwan oder Seosa, wo unverheiratete Jungen einfacher Herkunft in Gruppen zusammenkommen und von einem Lehrer die chinesischen Klassiker lernen. Und wenn sie etwas älter werden, ziehen sie mit ihren Kameraden in die Tempel oder Einsiedeleien, um dort die Schriften zu studieren; auch jüngere Kinder werden von den Gelehrten auf dem Land
Die erste moderne Bildungseinrichtung in Korea, die Grundschule Gyodong, im Jahre 1918 und heute
unterrichtet.“ In der traditionellen Gesellschaft, in der die höhere, auf eine Beamtenlaufbahn vorbereitende Bildung den Söhnen aus der Yangban-Adelsschicht vorbehalten war, verbreiteten sich ab Mitte der Joseon-Zeit landesweit die Seodang, örtliche Privatschulen, die für die Bildung des einfachen Volkes und die Aufklärung der ländlichen Bevölkerung von Privatpersonen oder Dorfeinwohnern errichtet wurden. In der zentral ausgerichteten Gesellschaft von Joseon zwischen 1392 und 1910, die auf dem Neo-Konfuzianismus als herrschender Staatsideologie basierte, bestand Ziel und Zweck der Schulbildung darin, die neo-konfuzianistische ethische Doktrin, nach der sich ein Individuum erst durch Selbstbeherrschung kultivieren muss, bevor es über andere regieren darf, zu verinnerlichen und im Alltag umzusetzen. Im Joseon-Reich gab es neben der Nationalen Konfuzianischen Akademie (Seonggyungwan) und vier öffentlichen Schulen in der Hauptstadt (Sahak) sowie den konfuzianistischen Schreinen auf dem Land angegliederten öffentlichen Schulen, den Hyanggyo, auch private Akademien (Seowon) und örtliche Privatschulen, die Seodang. Darunter waren die Seodang, auch „Geulbang“, „Seojae“ oder „Chaekbang“ genannt, für die Elementarbildung zuständig. Die Seodang kannten keine Altersbeschränkung, d.h. sie konnten von Fünfbis Sechsjährigen bis hin zu Erwachsenen besucht werden. Laut dem Mongminsimseo , einem Buch mit Anweisungen zur Landesverwaltung, gab es für jeweils 45 Dörfer eine Seodang, d.h. die Seodang waren im Joseon-Reich landesweit verbreitet. In der Joseon-Zeit haben die Seodang eine wichtige Rolle für die Grundbildung des einfachen Volkes und die Allgemein-
1
2
3 1 Die Seodang, lokale Privatschulen auf dem Land, spielten während der Joseon-Zeit eine wichtige Rolle bei der Bildung des einfachen Volkes; (um 1900). 2 Die Bibliothek der Grundschule Gyodong (1936) 3 Unterricht in der Zweigschule Noil der Grundschule Hwagye (in Noil-ri, Bukbang-myeon, Hongcheon, Provinz Gangwon-do); die Schule hatte insgesamt 9 Schüler und 3 Lehrer (2002).
4
10 Koreana | Winter 2009
bildung gespielt. Unterrichtet wurde damals vor allem mit Schreiblehrbüchern für den Erwerb einer grundlegenden Schreib- und Lesefähigkeit sowie mit Büchern über die Drei Grundregeln und Fünf Grundbeziehungen der konfuzianistischen Lehre (Samgangoryun). Die Schreiblehrbücher behandelten übergreifend Themen wie moralisches Verhalten, Natur und Geschichte. Die Seodang dieser Zeit waren Bildungseinrichtungen, die jeder, der nur wollte, eröffnen und betreiben konnte. Es waren kleine Einrichtungen, für die es keinerlei Reglementierung gab, und die zur Elementarbildung des einfachen Volkes der Zeit einen großen Beitrag leisteten. Da die Lerninhalte in den Seodang flexibel auf die Fähigkeiten der einzelnen Schüler abgestimmt und - unter Berücksichtigung der Jahreszeiten - eins zu eins oder in Kleingruppen vermittelt wurden, bieten die Seodang wertvolle Anregungen für den Unterricht in den modernen, immer kleiner werdenden Grundschulen Koreas. Übrigens wurden in den Seodang jedes Mal, wenn ein Buch wie z.B. der Tausend-Zeichen-Klassiker Qianziwen oder das Buch Elementare Lehre für Kinder (Dongmongseonseup ) abgeschlossen worden war, ein kleines Fest gefeiert, das „Chaekgeori“ genannt wurde. Es war eine Feier, die von den Eltern vorbereitet wurde, um den Kindern zu ihren schulischen Fortschritten zu gratulieren und sich beim Lehrer zu bedanken. Songpyeon, Reiskuchen mit einer Füllung aus roten Bohnen oder Sojabohnen, war ein typisches Chaekgeori-Geschenk, das für den Wunsch der Eltern stand, dass das Wissen ihrer Kinder so voll wie der Reiskuchen werden möge. Die Entwicklung der Elementarbildung Während der Zeit der Aufklärung, die in Korea ab 1876 mit der Unterzeichnung des Vertrags von Gangwha, der das Joseon-Reich gegenüber Japan öffnete, bis um die Zeit der Unterzeichnung des japanisch-koreanischen Annexions-Vertrags von 1910 anzusetzen ist, öffnete sich das Königreich Joseon nach und nach gegenüber den westlichen Großmächten wie den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland, Italien, Russland und Frankreich und nahm mit ihnen Handelsbeziehungen auf. Das führte zum Aufkommen der ersten modernen Schuleinrichtungen und -systeme und der Einführung eines neuen Bildungskonzepts. Durch den Sohakgyo-Erlass im Jahr 1895 wurde die moderne Elementarschulbildung in Korea gesetzlich festgelegt. Allerdings hatte ein Jahr zuvor bereits die Pädagogische Hochschule Hanseong, die auf die Grundschullehrerausbildung spezialisiert war, eine So-hakgyo (die staatliche Elementarschule Gyodong-Sohakgyo) eröffnet. Da damals das Amt Hangmuamun, das Bildungsministerium der Zeit, für die Errichtung der Sohakgyo zuständig war, dürfte die Gyodong-Sohakgyo höchstwahrscheinlich zu dem Zweck eingerichtet worden sein, den Nachwuchs der adligen Familien mit Bildung im modernen Stil zu versorgen. Gleich nach dem Sohakgyo-Erlass entstanden
in Seoul 4 und in den Provinzen 37 zusätzliche So-hakgyo. Danach wuchs die Zahl dieser Elementarschulen rapide, so dass im Jahr 1908 die Zahl der von Missionaren gegründeten Elementarschulen 796 und die der von koreanischen Privatpersonen eingerichteten Elementarschulen rund 3.000 betrug. Während der Periode der Aufklärung entfernte sich die Unterrichtsmethode vom maßgeschneiderten Einzelunterricht der Seodang und entwickelte sich hin zum frontalen, erklärenden Vortragsstil, der auf das Unterrichten größerer Gruppen abzielte, und die Schüler wurden nach einem strengen Leistungsbemessungssystem eingestuft. In den christlichen Privatschulen wurden sogar moderne Lehrmethoden ausprobiert, bei denen die Schüler durch Experimente und anhand realer Gegenstände oder durch kreatives Arbeiten lernen konnten; zudem wurde ein Leistungsbewertungssystem mit Noten, einer Leistungsrangliste der Schüler und Versetzung in Abhängigkeit von den Leistungen eingeführt. Nach dem im Jahr 1905 von Japan verkündeten Plan zur Reform des koreanischen Bildungs- und Schulsystems wurden im Jahre 1911 die So-hakgyo zu vierjährigen Schulen unter der Bezeichnung „Botong-hakgyo“ (Allgemeinschule) umorganisiert. Ziel der Grundschulbildungspolitik der Zeit war es, durch die Schulbildung die heranwachsende Generation in Korea zu Kolonialbürgern Japans zu erziehen. Danach wurden die Elementarbildungseinrichtungen in Korea wieder So-hakgyo genannt (1938) und später Gungmin-hakgyo (Grundschule) (1941). Während bei der Reform von 1911, als die Grundschulen zu vierjährigen Botong-hakgyo umgestaltet wurden, das Einschulungsalter auf 8 Jahre festgelegt wurde, konnten nach 1920 mit der Einführung eines sechsjährigen Grundschulsystems die Kinder bereits mit 6 Jahren in die Schule gehen. Aller-
dings überwog in der Realität auch nach der Reform die Zahl der vierjährigen Grundschulen. In der japanischen Kolonialzeit (1910-1945) gab es auch verschiedene Arten von privaten Elementarbildungseinrichtungen wie Privatschulen, Seodang, Abendschulen und private Lehranstalten. Es waren Einrichtungen, die aus Widerstand gegen die Bildungspolitik der japanischen Besatzer den Patriotismus im Volk zu stärken suchten und durch die Verbreitung des koreanischen Alphabets Hangeul den Analphabetismus bekämpften. Während der Kolonialzeit verlief der Unterricht meist durch einseitige Wissensvermittlung des Lehrers, d.h. der Lehrer fasste wichtige Inhalte zusammen, schrieb sie auf die Tafel und die Schüler schrieben mit. Etikette und Gehorsam wurden betont und wenn ein Schüler etwas falsch gemacht hatte, wurde er manchmal auch körperlich gezüchtigt. Während der dreijährigen Militärherrschaft der USA nach der Befreiung Koreas am 15. August 1945 wurden große Anstrengungen unternommen, um einen demokratischen Staat aufzubauen, und in diesem Kontext wurde auch das Bildungswesen des Landes umorganisiert. Das Bildungssystem wurde nach dem heute noch gültigen 6-3-3-4 System vereinheitlicht (6 Jahre Grundschule, 3 Jahre Mittelschule, 3 Jahre Oberschule und 4 Jahre Universität), an die Stelle der traditionellen Bildung trat ein auf dem Gedankengut der Demokratie basierendes Bildungssystem, die angewendeten Lehrmethoden stellten Kindgerechtheit, Respekt vor dem Individuum sowie einen aktivitätsbasierten Unterricht in den Mittelpunkt und in Bezug auf die Lehrmethode wurde der Schwerpunkt auf Kindgerechtheit, Individualität und Aktivität gelegt. In der koreanischen Verfassung, die am 17. Juli 1948 kurz vor der Gründung der Republik Korea verabschiedet wurde, ist
Morgenappell in der Zweigschule Ueum der Grundschule Gojeong (auf der Insel Ueum-do, in Gojeong-ri, Songsan-myeon, Hwaseong, Provinz Gyeonggi-do); kurz vor der Schließung gab es nur noch einen Lehrer und einen Schüler (1997).
Winter 2009 | Koreana 11
Eine Grundschule in Yangpyeong, Provinz Gyeonggi-do, die im Jahr 2000 geschlossen wurde; (Zweigschule Myeongdal der Grundschule Seojong in Seojong-myeon, Yangpyeong, Provinz Gyonggi-do).
Sporttag in einer Grundschule neben einem großen WohnhochhausKomplex in Seoul; (Grundschule Gwangnam in Gwangjang-dong, Gwangjin-gu, Seoul)
in Artikel 16 die allgemeine und kostenlose Schulpflicht festgeschrieben und 1954 wurde erstmals ein landesweit gültiges Grundschulcurriculum vorgelegt, an dem sich die Grundschulbildung orientierte. Das Curriculum reflektierte dann im Laufe der Zeit die theroretisch-didaktischen Ansätze verschiedener Länder und entwickelte sich von einem Lehrbuchzentrierten zu einem Alltagsleben-orientierten Curriculum, von einem rein Wissen-orientierten zu einem am Menschen orientierten Curriculum und von einem umfassenden zu einem auf die Bedürfnisse der Lernenden zugeschnittenen sowie aktivitätsorientierten Curriculum. 12 Koreana | Winter 2009
Im Jahre 1995, also anlässlich des 50. Jahrestags der Unabhängigkeit der Republik Korea, wurde die Bezeichnung für die koreanischen Grundschulen von „Gungmin-hakgyo“ in „Chodeung-hakgyo“ geändert, um auch die letzten Spuren des japanischen Imperialismus zu beseitigen. Die moderne Elementarbildung im Wandel Wenn die Seodang, wie bereits erwähnt, während der JoseonZeit den Nachwuchs der adligen Yangban-Schicht auf die höhere Bildung vorbereitet und auch die Kinder des einfachen Volkes gebildet hatten, so leistete die Elementarbildung in
In der Joseon-Zeit haben die Seodang als Vorläufer der heutigen Grundschulen eine wichtige Rolle für die Grundbildung des einfachen Volkes gespielt. Unterrichtet wurde damals vor allem mit Schreiblehrbüchern für den Erwerb einer grundlegenden Schreibund Lesefähigkeit sowie mit Büchern über die Drei Grundregeln und Fünf Grundbeziehungen der konfuzianistischen Lehre (Samgangoryun). Da die Lerninhalte in den Seodang flexibel auf die Fähigkeiten der einzelnen Schüler abgestimmt und eins zu eins oder an Kleingruppen vermittelt wurden, bieten die Seodang wertvolle Anregungen für den Unterricht in den modernen, immer kleiner werdenden Grundschulen Koreas.
der Zeit der Öffnung und der ersten Modernisierung des Landes (1876-1910) die notwendige Aufklärungsarbeit für die Aufnahme neuer Kulturen. In der darauf folgenden Zeit der japanischen Kolonialherrschaft wurde im Rahmen der Kolonisierungsstrategie versucht, den Schülern durch eine standardisierte Schulbildung die japanische Kultur und Politiken einzuimpfen. Mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht übernahm der Staat die Verantwortung für die Grundschulbildung und somit wurde Curriculum oder Stundenverteilung für die einzelnen Fächer staatlich kontrolliert, was zu einem Verlust der Autonomie der Schulen führte. Nach der Kapitulation Japans am 15. August 1945 stieg der Bedarf an elementarer Schulbildung entsprechend der wachsenden Bevölkerungszahl immer weiter und die Grundschulen setzten sich hauptsächlich für die allgemeine Grundbildung und die Bekämpfung des Analphabetismus ein, wodurch Korea sich als eins der Länder mit weltweit niedrigster Analphabetenrate etablieren konnte und im Bereich Erziehung und Bildung allmählich in die Reihen der fortgeschrittenen Länder vorrückte. Jedoch hat die rasche wirtschaftliche Entwicklung und der damit einhergehende Wandel in eine Industriegesellschaft dazu geführt, dass sich die Bevölkerung in und um die Städte zentralisierte, die Bevölkerung auf dem Land zahlenmäßig stark schrumpfte und alterte, was wiederum einen rapiden Rückgang der Zahl der schulpflichtigen Kinder verursachte. Darüber hinaus hat die niedrige Geburtenrate und das Bildungsfieber der Eltern, den Kindern die besten aller möglichen Bildungschancen, i.e. eine Bildung im städtischen Umfeld, bieten zu wollen, die schulpflichtigen Kinder vom Land in die Städte abgezogen und so die Grundschulen auf dem Land zu Zwergschulen geschrumpft. Aufgrund des durch die niedrige Geburtenrate steten Rückgangs der Grundschülerzahlen und der Schwierigkeit, einen ordnungsgemäßen Schulbetrieb aufrechtzuerhalten, ließ die koreanische Regierung nach den im Jahr 1982 aufgestellten Kriterien kleine Schulen auf dem Land entweder schließen oder mit anderen zusammenlegen. Allerdings wurde den für Bildung und Erziehung zuständigen Ämtern in den jeweiligen Städten oder Provinzen seit 2000 die diesbezügliche Verantwortung und Entscheidungsfreiheit überlassen, woraufhin immer weniger Schulen geschlossen oder mit anderen zusammengelelgt wurden. 2005 wurde jedoch auf der Sitzung zur Koordinierung der Staatsgeschäfte unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten die Vorantreibung der Schließung und
Fusionierung der Schulen beschlossen und diese Aufgabe wieder der Zentralregierung unterstellt. Daraufhin haben die Einwohner und Eltern der einzelnen Regionen die Schulen auf verschiedene Art und Weise durch die Stärkung ihrer jeweiligen Vorteile spezialisiert und sich dafür eingesetzt, dass diese Bemühungen auch zur regionalen Entwicklung beitragen. Im 21. Jahrhundert, in dem wir leben, benötigt die Welt kreatives Talent mit ausgeprägter Individualität. In Korea, das auch weiterhin gegen das Problem der niedrigen Geburtenrate zu kämpfen hat, wachsen die Kinder oft ganz ohne oder nur mit wenigen Geschwistern auf und entwickeln daher entsprechend stark ausgeprägte individuelle Charakterzüge und verschiedenartige Bedürfnisse und Eigenschaften. Diese Kinder brauchen eine Grundschule, die nicht nur für die Grundbildung sorgt, sondern auch ihren individuellen Bedürfnissen gerecht wird und sie darin unterstützt, ihre Individualität zu entfalten. In letzter Zeit wurden auch in Korea viele Alternativschulen errichtet, denen die Eltern mehr Interesse als den Regelschulen entgegenbringen, was wiederum den hohen Bedarf an solchen Schulen belegt. Als in Korea die moderne Schulbildung ihren Anfang nahm, war es normal, dass bis zu 70 Kinder in einem Klassenzimmer saßen und von einem einzigen Lehrer betreut wurden. Heute beträgt die Schülerzahl einer Grundschulklasse in den Städten 30 bis 40. Wenn die Grundschule in Korea jedoch über die Grundbildung bzw. Bekämpfung des Analphabetismus hinausgehen, die Vielfältigkeit fördern und die individuellen Stärken und das Potential der einzelnen Schüler zur Entfaltung bringen will, ist es nicht nur notwendig, die Klassenstärke weiter zu reduzieren, sondern auch die Größe der Schulen insgesamt. Erst dann werden Kinder die Schule nicht mehr als einen von der Familie entfremdeten Ort empfinden und die Schulleitungen werden in einer familiären und die Selbstständigkeit fördernden Atmosphäre eigene Programme für ihre Schulen entwickeln und umsetzen können. Es würde zur Heranziehung der Talente für das 21. Jahrhundert beitragen, wenn den von Schließung bedrohten Schulen Freiheit für Curriculumgestaltung und Verwaltung eingeräumt würde und die jeweils zuständigen Behörden für Bildung und Erziehung Unterstützung in Bezug auf Administration, Finanzen und Projekte leisten würden. In diesem Sinne wäre es nützlich, uns auf die Vorteile der Bildungsweise der Seodang, der Urform der modernen Grundschule, zurückzubesinnen.
Winter 2009 | Koreana 13
Grundschulen auf dem Lande: Modell innovativer Bildungsansätze Immer mehr ländliche Grundschulen in Korea, denen wegen stark rückläufiger Schülerzahlen die Schließung drohte, ziehen mit einem offenen, innovativen Curriculum und einer naturnahen Bildung vor Ort vermehrt Schüler aus den benachbarten Städten an und sind so zu neuem Leben erwacht. Erfahren Sie mehr über die Bedeutung dieser neuesten Entwicklung im Bereich der Elementarbildung in Korea. Im Youn-Kee Professor für Erziehungswissenschaft, Kongju National University Fotos: Kang Jae-hoon, Ahn Hong-beom
1
14 Koreana | Winter 2009
B
ei jedem Besuch auf dem Land staune ich erneut darüber, dass hier und da und gerade an besonders günstigen Standorten Schulen zu finden sind. Ein Teil dieser Schulen wurde nicht auf Grundstücken errichtet, die durch staatliche Mittel erworben wurden, sondern auf von den Ortseinwohnern gestiftetem Baugelände. Daher stehen all diese Schulen für die Erwartungen und den Bildungseifer der Bewohner und auch für ihren Aufopferungswillen für die Bildung ihrer Kinder. Die ländlichen Schulen fungierten bis in die 1960er Jahre auch als Sprachbildungszentren, um den Analphabetismus unter den Erwachsenen zu bekämpfen. Lernfieber und Bildungseifer, für die die Koreaner bereits allseits bekannt sind, sind auch auf dem Land stark zu empfinden. Schulschließungen Ein weiterer Punkt zum Wundern ist jedoch die Tatsache, dass bereits viele ländliche Grundschulen geschlossen wurden bzw. für andere Zwecke verwendet werden, oder dass die Schülerzahlen der noch bestehenden Schulen dermaßen drastisch sinken, dass eine baldige Schließung droht. Das Problem der Grundschulen auf dem Land hatte bislang unter dem Aspekt des Stadt-Land-Gefälles im Rampenlicht des Interesses gestanden, d.h. es wurden das nied rigere Leistungsniveau der Schüler vom Land und das schlechtere Bildungsumfeld thematisiert. Jetzt ist das Problem in eine Phase eingetreten, wo es um Sein oder Nichtsein der Landschulen geht, um deren Zukunft es düster bestellt ist. Diese Situation wurde in erster Linie von der Bevölkerungsabwanderung im Zuge von Industrialisierung und Urbanisierung verursacht. Unter dem Begriff „Land“ versteht man die kommunalen Verwaltungseinheiten Eup (20.000 bis 50.000 Einwohner) und Myeon (6.000-20.000 Einwohner), deren Gesamteinwohnerzahl 1960 etwa 67,6% der Gesamtbevölkerung Koreas ausmachte, 2005 aber nur noch 18,5%. Die Zahl der Myeon-Einwohner, die sich 1960 noch auf 63,0% der koreanischen Bevölkerung belief, schrumpfte besonders schnell und erreichte 2005 die 10,2%-Marke. Die Landbevölkerung sank innerhalb von 30 Jahren auf weniger als 50% und innerhalb von 50 Jahren auf unter 20% der Gesamtbevölkerung. Somit wurden die ländlichen Regionen an den Rand der koreanischen Gesellschaft gedrängt.
1 Sporttag in einer typischen Grundschule auf dem Land; (Grundschule Okdong in Okdong-ri, Gimsatgat-myeon, Yeongwol, Provinz Gangwon-do) 2 Geigenunterricht gehört zu den außercurricularen Nachmittagsaktivitäten, die den 30 Schülern der Zweigschule Haho der Grundschule Ipo angeboten werden; (in Haho-ri, Geumsamyeon, Yeoju, Provinz Gyeonggi-do).
2 © Jun Sukbyung
Winter 2009 | Koreana 15
Die Grundschule Geosan, die einst insgesamt lediglich 34 Schüler in 4 Klassen hatte und in der in einem Klassenzimmer gleichzeitig mehrere Klassen unterrichtet wurden, besteht nun einschließlich einer Vorschulklasse aus 7 Klassen mit rund 140 Schülern, was allerdings keineswegs das Ergebnis eines glücklichen Zufalls oder eines Experiments ist. Vielmehr ist die Schule ein Musterbeispiel dafür, in welche Richtung sich das koreanische Bildungswesen entwickeln muss.
1
1~2 F reilichtunterricht in der Grundschule Namhansan. Nachdem sich das einzigartige Curriculum dieser Schule herumgesprochen hatte, wechselten immer mehr Schüler aus benachbarten Regionen auf diese Schule, um das spezialisierte Bildungsangebot zu nutzen.
© Hwang Young-dong
Einige Seiten dieses Problems lassen sich jedoch nicht nur mit der Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte erklären. In Korea gibt es ein altes Sprichwort, das wie folgt lautet: „Wenn ein Mensch geboren wird, sollte man ihn nach Seoul (also in eine Großstadt) schicken.“ Es spiegelt das Kernproblem der Landschulen in Korea wider. Das heißt, der drastische Schülerrückgang auf dem Land hängt auch mit dem Bildungseifer der koreanischen Eltern zusammen, die ihre Kinder, sobald es ihre finanzielle Lage erlaubt, in eine Schule in der Stadt schicken wollen. Daher ist Korea unter den Ländern der Welt, die mit ähnlichen Landschul-Problemen zu kämpfen haben, in Bezug auf Quantität und Qualität in einer besonders kritischen Lage. Quantitativ verschlimmert sich das Problem durch die Zunahme leer stehender Schulen und qualitativ durch den Rückgang des Leistungsniveaus der Schüler auf dem Lande. Diese Krise der Schulen auf dem Land ist auch die wichtigste Ursache für den sich beschleunigenden Verfall der ländlichen Regionen. Schließung und Zusammenlegung von Landschulen Die koreanische Regierung hat verschiedene Maßnahmen zur Förderung der Schulen auf dem Land ergriffen. Darunter gewinnt die Maßnahme zur Schließung und Zusammenlegung ländlicher Schulen die größte Aufmerksamkeit. Seit 1982 wurden kleine Grundschulen mit sehr geringen Schülerzahlen von der Regierung geschlossen oder mit anderen kleinen Schulen zusammengelegt. Ab den 1950er Jahren waren selbst in den entlegensten Ecken des Landes Grundschulen eingerichtet worden, sie konnten sich aber mit dem drastischen Rückgang der Schülerzahlen nicht mehr halten und mussten daher entweder geschlossen oder mit anderen Schulen zusammengelegt werden. Die erste Phase dieser Konsolidierungsmaßnahme wurde zwischen 1982 und 1998 von den zuständigen Bildungs16 Koreana | Winter 2009
ämtern der Städte oder Provinzen eigenständig durchgeführt. Dabei war die Unterstützung von Seiten der Zentralregierung nur sehr gering und die Stichgrenze für Schließung oder Zusammenlegung, die am Anfang bei 180 Schülern lag, wurde im September 1993 auf 100 gesenkt. Die zweite Phase begann 1999 während der Devisenkrise. Diesmal leistete die Zentralregierung im großen Umfang finanzielle Unterstützung und forcierte die Konsolidierungsmaßnahmen, wobei die Stichgrenze weiterhin bei 100 Schülern blieb. Mit Beginn der dritten Phase ab 2000 werden Schließung und Zusammenlegung der Schulen von den kommunalen Bildungsämtern autonom durchgeführt und die Stichgrenze liegt bei nur noch 60 Schülern. Das Ziel der Schließung und Zusammenlegung der ländlichen Schulen liegt vor allem darin, die Größe der Schulen zu konsolidieren und somit das Recht auf Bildung zu sichern sowie die wirtschaftliche Effizienz der Schulverwaltung zu steigern. Angesichts der stark rückläufigen Schülerzahlen sind die Schließungs- und Zusammenlegungsmaßnahmen für die Landschulen unter dem Aspekt von Bildung und Finanzierung nicht ungerechtfertigt. Denn Schulen mit geringer Schülerzahl können einerseits nicht ausreichend Lehrkräfte für ein diversifiziertes Bildungsangebot sicherstellen, weshalb selbst die Vermittlung des regulären Curriculums nicht unbedingt gewährleistet werden kann. Zudem können zu geringe Klassengrößen die Sozialisierung der Schüler und die Entwicklung des notwendigen Kooperationsgeistes behindern. Es ist auch nicht abzustreiten, dass kleine Schulen in finanzieller Hinsicht, z.B. in Bezug auf Personal- und Betriebskosten, nicht kosteneffektiv sind. Bewegung zur Rettung der kleinen Landschulen Im Rahmen der Landschul-Schließungs- und Zusammenlegungsmaßnahmen hat die Regeirung sich dahingehend be-
müht, für den Schulbuseinsatz das Straßennetz zu verbessern, um den Schülern in ländlichen Gebieten den Schulzugang zu erleichten. Dennoch weist diese Maßnahme der Zentralregierung einige Probleme auf. Allen voran wurde sie nicht konsequent umgesetzt, so dass das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren gegangen ist. Die Politik zur Schließung und Zusammenlegung schwankte zwischen harter Implementierung und Rettung kleiner Schulen, wobei die Regierung einmal aktiv intervenierte, ein anderes Mal aber auch den kommunalen Bildungsämtern Verantwortung und Entscheidungsfreiheit überließ, einmal finanzielle Inzentiven zur Verfügung stellte, aber ein anderes mal wieder auf die selbstständige Finanzierung der Städte und Provinzen verwies. Die Vorantreibung der Maßnahme zur Schließung und Zusammenlegung der ländlichen Schulen hat die „Bewegung zur Rettung kleiner Landschulen“ ins Leben gerufen. Bürgerinitiativen sowie Lehrer- und Elternverbände, die den von der Regierung ignorierten Wert der kleinen Schulen wahren wollen, haben sich zur Initiative „Menschen, die die kleinen Schulen schützen“ zusammengeschlossen und Bewegungen zur Rettung der Landschulen organisiert. Sie haben auch von der Regierung Bemühungen zu einer grundlegenden Verbesserung der Situation der Landschulen gefordert, wobei sie folgende Gründe zur Rettung dieser Schulen vorbringen: Erstens, eine Schließung oder Zusammenlegung rein unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit ist keine wünschenswerte Maßnahme. Zweitens, eine Schule auf dem Land ist nicht nur eine Lehranstalt, sondern auch ein geistiges und kulturelles Zentrum der Gemeinde. Drittens, diese Maßnahme kann den Trend der Abwanderung in die Städte weiter verschärfen und damit die Verödung der ländlichen Regionen verstärken. Die Bewegung zur Rettung kleiner Schulen entwickelte sich zu einer landesweiten Bewegung, die Erfolgsgeschichten wie die folgenden beiden Beispiele hervorgebracht hat. © Hwang Young-dong
2
Fallstudie 1 Die Grundschule Namhansan befindet sich innerhalb der historischen Festungsanlage Namhansanseong in Sanseongri, Jungbu-myeon, Stadtkreis Gwangju-si, Provinz Gyeonggido. Die Grundschule, eine typische Bergtalschule, die von zwei über 400 Jahre alten Zelkoven gehütet wird, hat lediglich 8 Klassen und kann, gegründet im Jahr 1901, auf eine über 100 Jahre alte Geschichte zurückblicken. Auch diese Schule wurde angesichts des starken Schülerschwunds gedrängt, zu schließen, aber der Schulleiter, drei Lehrer, die Eltern und Mitglieder von Bürgerinitiativen haben für die Rettung der Schule eine entsprechende Bewegung ins Leben gerufen. Sie haben für die Schule ein eigenes, distinktives Bildungsprogramm und Lernangebot entwickelt, das die besonderen Bedingungen der Schule in erzieherischer Hinsicht optimal ausnutzt. Das innovative Curriculum zog Schüler aus anderen Regionen an, so dass die von der Schließung bedrohte Schule im letzten Moment gerettet werden konnte. Was brachte nun konkret die Wende? Die Grundschule Namhansan hat ein Curriculum entwickelt, das auf Basis des Naturumfelds der Schule Bildung durch Erleben vermittelt. Der Schultag in der Grundschule Namhansan fängt in Interaktion mit der Natur an: Die Schüler können sich z.B. in der von natürlichem Licht durchfluteten Bibliothek Bücher ausleihen oder auch spielen, aber die meisten gehen mit dem Lehrer auf einen Waldspaziergang. Der Hinterhof der Schule grenzt an einen Kiefernwald, dessen Ursprünglichkeit an Denken und Fühlen der Kinder rührt. Diese Vormittagsaktivität fördert das Empfindungsvermögen der Schüler und verleiht ihnen die innere Ruhe, die sie für ein effektives Lernen benötigen. Solch ein Vormittag, bei dem der Fuß auf Erde statt auf Asphalt tritt und die Schüler die Veränderungen der Natur hautnah erleben können, lässt sich nicht ohne Weiteres in den Lehrplan einer großen städtischen Grundschule einbauen. Der Wald hinter dem Schulgebäude ist ein idealer Erlebnis- und Bildungsraum für z.B. den Waldspaziergang am Morgen oder auch Naturbeobachtungsstunden. Das Gesehene und Erlebte wird anschließend noch einmal thematisiert und reflektiert: Die „Waldschule“ bietet natürlichen Stoff für Aufgabenstellungen wie Gedichte schreiben oder für naturwissenschaftliche Fächer, bei denen hauptsächlich nach erlebnispädagogischen Konzepten unterrichtet wird. Die Schule bietet im eigenen Garten die Möglichkeit, selbst Gemüse u.ä. zu ziehen, was für die im regulären Lehrplan enthaltenen Fächer wie Handarbeit/Werken, Naturwissenschaft, praktische Lebenskunde usw. ausgenutzt wird. Nachdem jede Klasse ein eigenes Beet zugeteilt bekommen hat, wird zudem die noch übrig gebliebene Fläche den Eltern zur Verfügung gestellt, die sie als Familienbeet verwenden können. Durch den Anbau von Wildblumen, verschiedenen Pflanzen und Gemüsesorten bietet die Schule einen Raum für natürliches Lernen durch Erleben in Bezug auf Ökologie und Natur. Es gibt auch Winter 2009 | Koreana 17
1 © Hwang Young-dong
einen Spielplatz, auf dem die Kinder spielen und gleichzeitig spielerisch lernen können. Durch die Etablierung dieses innovativen Lehrplans haben sich nicht nur die Schüler, sondern auch Lehrer und Eltern bildungsmäßig weiterentwickelt. Diese Entwicklung konnte nur durch einen auf gesundem Vertrauen basierenden Zusammenschluss der Mitglieder zustande kommen und die Kooperation innerhalb der Gemeinschaft war die treibende Kraft, die die Schule auf eine neue Basis stellte und ihren Weiterbestand sicherte. Die von der Grundschule Namhansan betriebene Webseite (www.namhansan.es.kr), die seit ihrer Eröffnung im September 2001 bereits mehr als 1,5 Millionen Besucher registriert hat, dient als Kommunikationsplatz der Schulgemeinde. Die Webseite fungiert als Diskussionsplattform, Archiv und Schwarzes Brett der Schule, das über Bekanntmachungen, Unterrichtsmaterialien usw. informiert. Fallstudie 2 Die Geschichte der Grundschule Geosan beginnt 1935 auf dem Reismühlenplatz des Bauernhofes Nongdowon (Geosan-ri, Songak-myeon, Stadtkreis Asan-si, Provinz Chungcheongnam-do). Mit der Abwanderung der Einwohner in die Städte und sinkenden Schülerzahlen wurde diese einst eigenständige Grundschule am 1. März 1992 zur Zweigstelle einer größeren Schule und musste 2002 geschlossen werden, als die Schülerzahl auf 34 schrumpfte. Allerdings haben Lehrer und Eltern die Krise als Chance für einen Neuanfang genutzt und aus dem Nachteil „kleine Schule“ einen Vorteil gemacht. Eine kleine Schule ist nämlich eine klei18 Koreana | Winter 2009
1 Kochunterricht in der Grundschule Namhansan 2 Gayageum-Unterricht in der Grundschule Bunwon; (in Bunwon-ri, Namjong-myeon, Gwangju, Provinz Gyeonggi-do)
ne Gemeinschaft, in der kleine und große Ereignisse von jedem einzelnen Mitglied mit den eigenen Augen und Ohren miterlebt werden können, oder, wie ein koreanisches Sprichwort besagt, ein Ort, wo alle das Krähen des Hahns hören können. Gerade die Begrenztheit der Gemeinschaft ermöglicht es, Unterricht und Unterrichtsaktivitäten unter Berücksichtigung der geistig-emotionalen und körperlichen Entwicklung der Kinder flexibel zu gestalten. Der Akzent wurde unter Ausnutzung der natürlichen Besonderheiten der Lage auf dem Land auf eine natur- und ökologieorientierte Erziehung gelegt, wobei neben den regulären Lehrplaninhalten zusätzliche Bereiche wie Bildung durch Erleben sowie Lesen und Schreiben vertieft werden. Dieses Lernen durch Erleben bietet den Schülern die Gelegenheit, verschiedene Natur- und Gesellschaftsphänomene unmittelbar zu erfahren und verschiedene Themen zu verinnerlichen. Als sich herumsprach, dass in der Grundschule Geosan Lernen durch Erleben, i.e. Wahrnehmung mit allen fünf Sinnen, die Herz und Geist der Kinder stimuliert, im Mittelpunkt steht, häuften sich die Anfragen von Eltern in nahe gelegenen Städten, die ihre Kinder gerne zu dieser innovativen Schule schicken wollten .
2
Die Grundschule Geosan, die einst insgesamt lediglich 34 Schüler in 4 Klassen hatte und in der in einem Klassenzimmer gleichzeitig mehrere Klassen unterrichtet wurden, besteht nun einschließlich einer Vorschulklasse aus 7 Klassen mit rund 140 Schülern, was allerdings keineswegs das Ergebnis eines glücklichen Zufalls oder eines Experiments ist. Vielmehr ist die Schule ein Musterbeispiel dafür, in welche Richtung sich das koreanische Bildungswesen entwickeln muss. Aufgrund der steigenden Schülerzahlen haben Lehrer, Eltern, einflussreiche Persönlichkeiten der Region, Absolventen, Bürgerinitiativen, Professoren usw. durch entsprechende Aktionen die Statuserhöhung der Zweig-Grundschule Geosan gefordert. Am 1. März 2005 wurde aus der Zweig-Grundschule Geosan wieder eine eigenständige Grundschule, was einen bislang einzigartigen Fall in Korea darstellt. Die Grundschule Geosan veranstaltet jährlich zusammen mit den Gemeinden in der Region ein Musikfestival. Die Hauptdarsteller dieses Festivals sind die Schüler der Grundschule, die nach dem Unterricht in der Schule Gesangsunterricht bekommen, und professionelle Sänger von außerhalb. Die Gäste sind die Bewohner aus der Umgebung, Eltern und Schüler. Den Gesangsschülern bietet das Festival die Gelegenheit, ihr Können zu präsentieren und mehr Selbstbewusstsein durch ein Erfolgserlebnis zu entwickeln, während es für die Menschen der Region durch die Teilnahme von professionellen Musikern eine kulturelle Bereicherung darstellt. Damit bietet die Grundschule Geosan das erstrebenswerte Bild einer Schule, die als Lehranstalt und gleichzeitig als regionales Gemeindezentrum dient.
Hoffnung für kleine Schulen auf dem Land Die oben genannten Erfolgsbeispiele belegen den Wert der kleinen Landschulen. Diese Schulen haben die Möglichkeit aufgezeigt, dass auf Grundlage des wunderschönen Naturumfelds das eigentliche Wesen und die Urform der Bildung wiederbelebt werden können. Außerdem kann man feststellen, dass die meisten Eltern zwar immer noch die konkurrenzstarken Schulen in den Städten bevorzugen, aber dass es auch Eltern gibt, die die kleinen Schulen mit Bildung durch Erleben zu schätzen wissen und bevorzugen. Diese erfolgreichen Schulen haben nun die Basis dafür geschaffen, auf der sich die ländlichen Schulen kontinuierlich entwickeln können, einstige Schüler wieder zurückkehren und neue Schüler aus den Städten der Umgebung angezogen werden. Die „Initiative der kleinen Schulen“, in der sich die kleinen Schulen zusammengeschlossen haben, macht die innovativen Bildungsansätze und Möglichkeiten dieser Schulen bekannt. Es wird erwartet, dass diese Bemühungen als Katalysator fungieren und die Erwartungen und Bedürfnisse, die von Lehrern und Eltern in Bezug auf Schulbildung bestehen, befördert werden. Seitdem die erfolgreichen Beispiele der Bewegung zur Rettung ländlicher Schulen, die von einer Handvoll entschlossener Lehrkräfte mit viel Anstrengung angeführt wurde, landesweit bekannt wurden, treibt auch die Regierung neue Unterstützungsmaßnahmen für die Wiederbelebung der kleinen Schulen voran. Die wiederbelebten Landschulen verkörpern im Rahmen des öffentlichen Bildungswesens das Idealbeispiel des Werts der Alternativbildung. Die Bemühungen, den kleinen Landschulen Hoffnung zu geben, werden weiter fortgesetzt. Winter 2009 | Koreana 19
Alte Schulgebäude auf dem Land: Wiederbelebung für neue Zwecke Leerstehende Schulgebäude von geschlossenen Grundschulen auf dem Land werden durch die institutionelle Unterstützung der Regierung und die Kreativität der Ortsbewohner als Kulturzentren der verschiedensten Art wiederbelebt. Dieser Trend zur Umfunktionierung alter Schulen generiert einen großen wirtschaftlichen sowie kulturellen Wert und verleiht den ländlichen Regionen neue Vitalität. Erfahren Sie anhand repräsentativer Beispiele Näheres über den Stand dieser Entwicklung. Kim Dang Journalist, OhmyNews | Fotos: Ahn Hong-beom
Die Cheongsong County Yasong Art Gallery, die in einem umgebauten Schulgebäude untergebracht ist, stellt eine Sammlung alter Karten aus; (frühere Grundschule Sinchon in Sinchon-ri, Jinbo-myeon, Cheongsong, Provinz Gyeongsangbuk-do).
20 Koreana | Winter 2009
I
m Kreis Yeongdong-gun der Provinz Chungcheongbuk-do findet jedes Jahr im September ein Weinfestival statt. Touristen, die mit dem „Wine Train“, dem Thema-Zug der koreanischen Bahn Korail (Korea Railroad Corporation), anreisen, haben Spaß bei den verschiedenen Erlebnisevents und Aktivitäten wie z.B. Traubenlese, Traubenstampfen oder Weinherstellung. Die Zahl der Festivalbesucher und Weinliebhaber, die hierher kommen, beläuft sich auf jährlich über 10.000. Und im Mittelpunkt dieses Festivals steht ein ehemaliges Schulgebäude. Eine ehemalige Landschule wird zur Weinkellerei Im Jahre 1996 gründete Yun Byeong-tae, ein ehemaliger Hotelbesitzer, zusammen mit 76 Winzern im Kreis Yeongdonggun die „Yeongdong Winzergenossenschaft“. Es war der mutige erste Schritt, den Traum, einen guten Wein aus Trauben rein koreanischen Anbaus herzustellen, zu verwirklichen. Als man 2001 soweit war, die Weinherstellungsanlage zu errichten, stellte sich die Frage der Standortwahl. Die Genossenschaftsmitglieder wünschten sich einen Ort, der sich möglichst in der Mitte des Kreises befindet und der für jeden Winzer leicht zu erreichen ist. Die Entscheidung für Jugok-ri in Yeongdong-eup war eine natürliche Wahl, denn von den rund 100 Betrieben dort sind 76 Weingüter und in diesem Kreis, der sich zudem noch im geographischen Mittelpunkt befindet, wurde zuallererst Wein angebaut. In Jugok-ri befand sich auch die Grundschule Hwagok, eine der geschlossenen Schulen innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Bildungsamtes von Yeongdong. Unter den 30 geschlossenen Schulen des Kreises hatte die Grundschule Hwagok die größte Netto-Geschossfläche und das Gebäude befand sich in einem so guten Zustand, dass man nur ein paar Fensterscheiben auszutauschen brauchte, um es wieder nutzen zu können. Zudem verläuft vor dem Schulgelände eine Landstraße und ein Bahnweg, was nicht nur optimale Transportmöglichkeiten gewährleistete, sondern auch nützlich in Bezug auf PR-Aktivitäten war. Das Bildungsamt hatte keinen Grund, den Verkauf der Schule, deren Instandhaltung nur unnötige Kosten verursachte, zu verweigern. Der Verkauf bringt Gewinn und eine Weinkellerei verursacht im Vergleich zu vielen anderen Fertigungsindustrien kaum Umweltschäden. So verwandelte sich eine ehemalige Schule auf dem Land in die erste Weinkellerei Koreas. Kleinere Weinbetriebe in den benachbarten Orten schlossen sich der Winzergenossenschaft an, wodurch sich die Produktivität der Weinkellerei verdoppelte und die Mitgliederzahl auf 460 stieg. Nun konnte sich auch das Kreisamt nicht länger im Hintergrund halten. Im Jahr 2004 investierte der Kreis Yeongdong-gun 2,25 Milliarden Won (rund 1,3 Millionen Euro) in diese Weinkellerei, aus der damit die AG „Wine Korea“ wurde; die früheren Genossenschaftsmitglieder wurden zu Anteilseignern der Firma. „Wine Korea“ ist das Erfolgsbeispiel einer Kooperation der örtlichen Winzer, des Herstellungsbetriebes und des Kreises, das durch eine geschlos-
sene Schule möglich wurde. Dem Besucher der Weinkellerei fällt als erstes die außergewöhnliche Fassade ins Auge, die im Chateau-Stil der französischen Weinkeller gehalten ist. Würden im Inneren nicht noch hier und da Tafeln an der Wand hängen, käme man nie auf den Gedanken, dass es sich um ein einstiges Schulgebäude handelt. Jugok-ri, ein Ort, den die junge Generation verlassen hat, in dem die Geburtenzahlen zurückgingen und schließlich die Schule geschlossen werden musste, hatte durch die Wiederverwendung der alten Schule Glück im Unglück. 2007 wurde der Ort sogar mit dem Goldpreis des „Wettbewerbs der Dörfer mit den besten Lebensbedingungen“ ausgezeichnet, der vom Ministerium für Öffentliche Verwaltung und Sicherheit (MOPAS) vergeben wird. Mit der Wiederbelebung der alten Schule belebte sich der ganze Ort. Die Bewohner stehen jetzt vor einem neuen, wiewohl angenehmeren, Problem, nämlich der Frage: Wenn nun „Wine Korea“ ein großer Erfolg wird und wieder junge Paare hierher ziehen, sollte man dann die alte HwagokGrundschule wieder eröffnen, oder nicht? Umfunktionierung alter Schulgebäude Allerdings kann sich nicht jedes Dorf im Bergtal mit solch glücklichen Gedanken tragen. Laut den Angaben des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Technologie (MEST) beträgt die Zahl der Kleinschulen in Fischer- und Bauerndörfern mit maximal 60 Schülern 1.765 und stellt damit 35,5% der gesamten Schulen in Fischer- und Bauerndörfern (4.972 Schulen). Das MEST hat die finanziellen Inzentiven zur Förderung dieser Kleinschulen zu „Schulen angemessener Größe“ durch Schließung oder Zusammenlegung erhöht; (Unterstützung für Schließung eigenständiger Schulen: 1 Mrd. Won → 2 Mrd. Won oder umgerechnet rund 574.000 Euro → 1.148.000 Euro; Schließung von Zweig-Grundschulen: 300 Mio. Won → 1 Mrd. Won oder umgerechnet rund 172.000 Euro → 574.000 Euro). Gleichzeitig werden eigenständige Landschulen zu „Gartenschulen“ ernannt, bei der Verbesserung des Bildungsumfeldes unterstützt und ihnen stärkere Autonomie in Bezug auf die Schulverwaltung zugestanden. Das Ministerium hat vor, durch diese Maßnahmen innerhalb von drei Jahren rund 500 Schulen zu schließen, zusammenzulegen oder zu verlagern. Der Bericht über den Stand der Wiederverwendung geschlossener Schulen (Stand: 31. Juli 2008), den das MEST nach entsprechenden Untersuchungen seit 2006 herausgibt, gibt zahlenmäßig konkreten Aufschluss über die 1982 von der Zentralregierung eingeführte Maßnahme zur Schließung und Zusammenlegung der Landschulen. Danach wurden seit 1982 insgesamt 3.246 Schulen geschlossen oder mit anderen Schulen zusammengelegt, so dass die Gebäude nicht mehr gebraucht werden. Wenn man bedenkt, dass 2008 landesweit 6.229 Grundschulen betrieben wurden (5.813 eigenständige und 416 Zweigschulen), bedeutet das, dass in den letzten rund 25 Jahren so viele Schulen wie die Hälfte der zurzeit operierenden Winter 2009 | Koreana 21
Das PotatoBlossom Studio, ein Raum der Kreativität für Künstler und ein kultureller Anziehungspunkt für die Bewohner aus der Nähe, ist in die frühere Zweigschule Nosan der Grundschule Pyeongchang eingezogen; (in Igok-ri, Pyeongchang-eup, Pyeongchang, Provinz Gangwon-do).
Schulen schließen mussten. Nach Region betrachtet hält sich die Zahl der Schulschließungen in der Hauptstadt Seoul und den wichtigsten Großstädten des Landes im einstelligen Bereich, während eine besondere Konzentration auf die Provinzen Jeollanam-do (683), Gyeongsangbuk-do (581), Gyeongsangnam-do (501), Gangwon-do (396) und Jeollabuk-do (311) festzustellen ist. Der Anteil der geschlossenen Schulen in diesen fünf Provinzen beträgt 76% aller geschlossenen Schulen landesweit. Die ehemaligen Schulgebäude werden nun für verschiedene Zwecke genutzt und präsentieren sich in einem völlig anderen Gewand. Dem oben erwähnten Bericht zufolge wurden von den 3.246 geschlossenen Schulen 1.924 (59%) verkauft, eingetauscht oder abgerissen und 856 (26%) wurden für verschiedene Zwecke vermietet z.B. als Bildungs-, Trainings-, Religions- oder Sozialeinrichtungen oder für kommerzielle Zwecke genutzt z.B. als Produktions-, Freizeit- oder sonstige Anlagen. Die restlichen 470 (15%) stehen im Moment noch leer. Über die Hälfte der ehemaligen Schulgebäude wurde verkauft (1.625). Allerdings ist der Anteil der Vermietungen im Vergleich zum Verkauf im Steigen begriffen, nachdem die Zentralregierung 2006 das Sondergesetz zur Förderung der Wiederverwendung geschlossener Schulgebäude novelliert, die Bestimmungen für die Vermietung dereguliert und auch ermöglicht hatte, dass Schulgebäude unter bestimmten Voraussetzungen kostenlos verliehen werden können. Das MEST, das sich der angestammten Rolle der Landschulen als kultureller Mittelpunkt der einzelnen Regionen bewusst ist, hat für den Verkauf von Schulen eine Klausel eingeführt, die die Nutzungszwecke der Schulgebäude für eine bestimmte Zeit beschränkt. Die Bildungsämter der Städte oder Provinzen genehmigen die Wiederverwendung der alten Schulgäude nur als Bildungseinrichtung, Freizeitzentrum für die Bewohner, landwirtschaftliche Produktionsanlage, Einrichtung mit kulturellem bzw. 22 Koreana | Winter 2009
künstlerischem Zweck und soziale Einrichtung. Verboten sind Vermietung und Verkauf alter Schulen für folgende Nutzungszwecke: Vergnügungsanlage oder privates Ferienhaus, Einrichtung für Zwecke, die der gesellschaftlichen Moral und Ethik widersprechen, Anlagen, die die Umwelt verschmutzen, die von den Anwohnern als Fremdkörper empfunden werden oder gegen die sich die Anwohner wehren; auch sind Miete oder Verkauf aus spekulativen Interessen untersagt. Die bisher vermieteten Schulen wurden daher meist als sekundäre Bildungseinrichtungen wie Alternativschulen bzw. Schulen für Sonderzwecke oder Trainingseinrichtungen verwendet oder auch zu Kultur- bzw. Kunsthallen wie Galerien, Museen oder Werkstätten umgestaltet. Darüber hinaus gibt es auch Schulgebäude, die sich in Gemeinschaftseinrichtungen für soziale Zwecke wie Gemeindezentren, Kinderkrippen oder Kindergärten, Seniorenzentren oder Sanatorien verwandelt haben; daneben gibt es aber auch Fälle, in denen die Schulgebäude und das dazugehörige Gelände für landwirtschaftliche Zwecke genutzt werden wie z.B. als Stall, Weide oder zur Verarbeitung von Agrarprodukten. Das Wildblumendorf Haneullae Das MEST hatte im Jahr 2006 den Stand der geschlossenen Schulen und ihre Nutzung untersucht und einige vorbildhafte Beispiele veröffentlicht. Am erfolgreichsten wird dabei das „Wildblumendorf Haneullae“ in Yeonpyeong-ri, Cheoncheon-myeon, Kreis Jangsugun in der Provinz Jeollabuk-do bewertet. Yeonpyeong-ri, ein Dorf tief im Tal mit lediglich 25 Haushalten und insgesamt 30 Einwohnern, von denen die meisten über 60 Jahre alt sind, hat einen enormen Wandel erlebt, seitdem 2003 Städter die leerstehende Grundschule Yeonpyeong für knapp 171.000 Euro (300 Mio. Won) erworben und in das Firmengebäude eines Internetladens für Ökoprodukte umfunktioniert hatten. Diese Öko-Unternehmer aus der Stadt träumten davon, auf dem Land eine Symbiose der Annehmlichkeiten von Stadt und Land zu schaffen und grasten jedes Wochenende das ganze Land nach einem geeigneten Ort ab, bis sie schließlich 2003 die Grundschule Yeonpyeong fanden, die ihre Herzen schon auf
Die Nutzung alter Schulgebäude gewinnt vor allem deshalb große Aufmerksamkeit, weil die Schulen verkehrsgünstig gelegen sind, die Landschaft schön und das Terrain hervorragend ist, und die Gebäude für eine Wiedernutzung lediglich im kleinen Umfang renoviert werden müssen, was eine hohe Kostenersparnis bedeutet.
den ersten Blick höher schlagen ließ. Das Schulgebäude, das ringsherum von Bergen umgeben ist und an dem ein klarer Bach vorbeifließt, ist nur zwanzig Minuten von der Autobahn entfernt, aber die Straße vor der Schule wird kaum befahren, was den Standort geradezu ideal für die Unternehmer machte. Nach der Renovierung, bei der vor allem darauf geachtet wurde, die Grundstruktur der damals bereits drei Jahre lang leerstehenden Schule so weit wie möglich zu bewahren und dabei das Gebäude möglichst umweltfreundlich zu gestalten, wurde das Gebäude bald wieder mit neuer Lebenskraft erfüllt wie die Blumen und Bäume rundherum. Die Wiederbelebung der alten Schule bewirkte auch Veränderungen im Dorf. Es wurde ein Distributionskanal für die Lieferung frischer BioLebensmittel sichergestellt und allmählich zogen in das Dorf, in dem die meisten Bewohner Senioren zwischen 60 und 80 waren, wieder junge Menschen ein. Die einst verlassene Schule, die nun Firmensitz des Unternehmens „Wildblumendorf Haneullae“ ist, hat sich in der Zwischenzeit in einen Ort verwandelt, an dem Natur und Mensch harmonisch koexistieren und wieder Kinder toben. Die Betreiber dieser Firma haben durch die solidarische Zusammenarbeit mit den Ortseinwohnern einen stabilen Markt erschlossen, aber auch ihre Online-Kunden als Touristen, die das Landleben kennen lernen wollen, ins Dorf gelockt, so dass Yeonpyeong-ri ein vorbildhaftes Beispiel für einen Ort mit aktivem Austausch zwischen Stadt und Land geworden ist, der jährlich von über 20.000 Besuchern aufgesucht wird. Dank dieser Erfolge wurde es im Jahr 2005 vom Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forstwesen und Fischerei (MIFAFF) zum „Erlebnisdorf der grünen Landwirtschaft“ ernannt und 2006 mit der Auszeichnung „Bestes Dorf zum Erleben des Landlebens“ gekrönt. Das Utdari Kulturdorf Das Pyeongtaek-Kulturzentrum, eine Einrichtung der Stadt Pyeongtaek, hat das Gebäude der geschlossenen GeumgakZweigschule der Grundschule Seotan in Pyeongtaek vom Bildungsamt der Stadt kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen und die Schule in eine Erlebnisstätte für Kunst und Kultur namens „Utdari Kulturdorf“ umgestaltet - ein gutes Beispiel für die Nutzung alter Schulen im städtischen Umfeld für kulturelle Zwecke. Das Pyeongtaek-Kulturzentrum, dem 2005 der Einzug in die Geumgak-Zweigschule erlaubt wurde, hat zuerst durch eine öffentliche Diskussion die Wünsche der Bürger festgestellt, und dann ein Task-Force-Team gebildet. Das Vorhaben wurde im Rahmen des Projekts zur Schaffung kultureller Räumlich-
keiten in kulturell vernachlässigten Gebieten vom Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus (MCST) als bestes Vorhaben ausgewählt. Danach wurden Künstler, die in das Dorf einziehen dürfen, durch Ausschreibung ausgewählt und unter ihrer Regie wurde das Schulgebäude renoviert. 2006 konnte schließlich das Utdari-Kulturdorf eröffnet werden Seitdem leben in diesem Zentrum fünf Künstler und bieten in dieser Kreativwerkstatt rund 40 eintägige Kultur- bzw. Kunstprogramme an wie z.B. Töpfern, Holzschnitzen, Schaffen von Kinderliedern, das Leben der letzten Jahrhunderte erleben usw., an denen die Einwohner von Pyeongtaek sowie der Hauptstadtregion teilnehmen. Das Zentrum wird jährlich von 25.000 Besuchern aufgesucht und ist zu einer Touristenattraktion von Pyeongtaek geworden. Das Utdari Kulturdorf bietet v.a. Programme für Menschen an, die sonst kaum Zugang zur Kultur haben, aber auch Programme für Jugendliche und Familien und Programme zur kulturellen Bereicherung der Einwohner. Es ist ein Raum, in dem man Kunst und Kultur nicht nur betrachten, sondern auch anfassen, erleben und genießen kann. Ein weiterer Erfolg ist das Programm „Hoffnung Sotdae“, in dessen Rahmen die älteren Bewohner der Gegend die traditionelle Herstellung von Sotdae (Dorf-Totempfähle mit VogelSpitze, die zur Markierung des Dorfgebiets und als Symbol für die Dorfgottheit aufgestellt wurden) unterrichten; das Projekt hat sich zu einem kleinen Gewerbe für die Senioren entwickelt. PotatoBlossom Studio Wenn man von Pyeongchang in der Provinz Gangwon-do 15 Minuten in Richtung Jeongseon fährt, stößt man auf das „PotatoBlossom Studio“ in Igok-ri, Pyeongchang-eup. Der viereckige moderne Bau mit zwei Stockwerken, dessen Kennzeichen Opakglas und rotbraune Stahlbalken sind, war einst die Nosan-Zweigschule, die renoviert wurde und nun als Bildungseinrichtung für Kunst und Kultur den Künstlern einen Raum der Kreativität und den Ortseinwohnern eine Freizeitanlage bzw. einen kulturellen Bildungsort zur Verfügung stellt. Nur an den Skulpturen in einer Ecke des Sportplatzes oder an der Klassenzimmerform der Studioräume kann man erkennen, dass es sich bei diesem beeindruckenden architektonischen Wahrzeichen der Gegend einmal um eine Schule handelte. Dass aus dieser einst verlassenen einfachen Schule tief im Tal ein im ganzen Land bekanntes Kulturzentrum werden konnte, ist vor allem dem jungen Kulturevent-Organisator Lee zu verdanken. Lee, der im Seouler Stadtviertel Daehangno, das für seine Kunstszene bekannt ist, gearbeitet hatte, zog aus gesundheitlichen Gründen nach Pyeongchang, wo er auf der Winter 2009 | Koreana 23
Webseite des Bildungsamtes des Kreises Pyeongchang-gun auf die Projektausschreibung zur Wiederverwendung der NosanZweigschule aufmerksam wurde. Das war der Anfang. Während seines einjährigen Aufenthalts freundete sich Lee mit den Ortseinwohnern an und entwarf für sie ein Kulturprojekt. Das Kreisamt interessierte sich für Lees Projekt „Potato Blossom Studio“, was den Umbau der alten Schule zu einer Kultur- und Kunsteinrichtung in Gang brachte. Grundstück und Gebäude wurden vom Kreis Pyeongchang-gun gekauft und zur Verfügung gestellt, während die Renovierungskosten von der Provinz Gangwon-do übernommen wurden. Lee war Generalorganisator des Projektes und konnte das Studio schließlich 2005 eröffnen. Das Studio betreibt ein einzigartiges „Programm des kulturellen Arbeitstausches“, indem es Räumlichkeiten an Sänger oder Musiker ausleiht und die Künstler als Gegenleistung Vorstellungen für die Ortseinwohner geben, die normalerweise wenig Zugang zu solchen Veranstaltungen haben. Die Bibliothek und das Museum in dieser Anlage stehen jederzeit für die Ortseinwohner offen. Darüber hinaus werden ab und zu von professionellen Referenten verschiedene Kultur- und Kunstprogramme sowie Bildungsprogramme angeboten. Ausstellungshallen auf der Insel Jejudo Auf der Insel Jejudo finden sich Ausstellungshallen der besonderen Art, wie sie in Großstädten kaum zu sehen sind, angefangen von Fotogalerien bis hin zu Handwerksstuben, in denen die für Jejudo typischen, mit Schilf gefärbten Kleidungsstücke hergestellt werden. Deshalb wird die Insel, die seit frühester Zeit auch Samdado – Insel reich an drei Elementen: Frauen, Steine und Wind – genannt wurde, heutzutage wegen ihrer unzähligen Galerien und Ausstellungsräume auch als Sadado – Insel reich an vier Elementen – bezeichnet. Ein Großteil der Ausstellungshallen, die wie die Landschaft von Jejudo exotisch wirken, waren einst Schulen, die wegen des Schülerrückgangs geschlossen werden mussten, dann aber renoviert und als Kultureinrichtungen wiederverwendet wurden. Ein repräsentatives Beispiel ist die „Gallery Dumoak“ von Kim Young Gap, die auf dem Gelände der ehemaligen Zweigschule Samdal in Seongsan-eup, Kreis Seogwipo, liegt. Der Fotograf Kim Young Gap, der sein Leben lang nur die Landschaft von Jejudo in ihrem ganzen Facettenreichtum fotografierte, bis er 2005 schließlich an Lou-Gehrig-Syndrom verstarb, hatte 2001 acht Klassenräume der leerstehenden Schule in eine große Ausstellungshalle umgewandelt, die schnell zu einer Touristenattraktion wurde. Die Galerie ist eine wunderschöne Anlage, die sogar bei der Umfrage, die 2006 im Auftrag des Parlaments der Autonomen Sonderprovinz Jejudo unter 1.004 Touristen durchgeführt wurde, in Bezug auf Zufriedenheit von besuchenden Familiengruppen als beste von 48 aufgelisteten Touristenattraktionen der Insel genannt wurde. In Gasi-ri, Pyoseon-myeon, Kreis Seogwipo in Süd-Jejudo 24 Koreana | Winter 2009
1 Die Kim Young Gap Gallery Dumoak auf der Insel Jejudo — ein Ausstellungsraum in einem renovierten Grundschulgebäude; (die frühere Zweigschule Samdal in Samdal-ri, Seongsan-eup, Seogwipo) 2 Die frühere Grundschule Bunwon in Gwangju, Provinz Gyeonggi-do, bietet spezielle Fachkurse zur Keramikherstellung. Die Schule, die neben den letzten, bekannten königlichen Brennöfen des Joseon-Reiches liegt, wurde von den früheren Lehrern renoviert und als Bunwon Royal Porcelain Museum wiedergeboren. (Grundschule Bunwon in Bunwonri, Namjong-myeon, Gwangju, Provinz Gyeonggi-do)
1
wurde aus der alten Grundschule des Dorfes die „Love of Nature Gallery“, in der unter dem Thema Sonne und Wind herrliche Landschaftsszenen von Jejudo zu allen vier Jahreszeiten zu sehen sind. Zu nennen sind weiterhin die Werkstatt „Mongsaengi“, die in der ehemaligen Grundschule von Myeongwol-ri in Hallim-eup, Kreis Jeju im Nord-Jejudo eingerichtet wurde und in der die mit Schilf gefärbte traditionelle Kleidung der Insel hergestellt wird; und in Mureungri, Daejeong-eup, das zur Stadt Seogwipo gehört, ist das „Jeju Natural Ecological Culture Experience Village“ zu sehen, das in der alten Grundschule Mureung an einem Jeju Olle-Weg, einem der wunderschönen Wanderpfade der Insel, sein Zuhause gefunden hat. Seniorenzentrum Es gibt auch Schulen, in denen einst Kinder tobten, die aber nach ihrer Schließung zu Seniorenzentren umgestaltet wurden. Das Seniorenzentrum von Dongjak-gu im Kreis Taean-gun ist ein gutes Beispiel dafür. Die Selbstverwaltungsregierung des Kreises Taean-gun hat erstmals in Korea eine ehemalige Schule erworben und sie zu einer Sozialeinrichtung (einem Sanatorium) für Senioren umgestaltet. Seit 2000 hatte das Bezirksamt von Dongjak-gu, einem Stadtbezirk von Seoul, innerhalb Dongjak-gu nach einem Ort für die Errichtung einer Sozialeinrichtung für Senioren gesucht, aber vergebens, da die Grundstücks- sowie Baukosten in Seoul zu hoch sind. Schließlich sah man sich außerhalb von Seoul um und entdeckte das leerstehende Gebäude der Zweigschule Sinnya der Grundschule Anjung in Sinnya-ri, Anmyeon-eup, Kreis Taean-gun in der Provinz Chungcheongnam-do. Das Bezirksamt von Dongjak-gu hat das zweistöckige Schulgebäude auf der Insel Anmyeon-do, wo Wälder und Meer eine wunderschöne Landschaft bilden, renoviert und daraus ein Sanatorium gemacht, das als eine Art Pension betrieben wird, und das Senioren sowie Behinderten kostenlos zur Verfügung steht. Seit der Eröffnung im Juli 2001 haben bis zum September 2009 etwa 50.000 Einwohner von Dongjak-gu das Zentrum
2
für einen Kuraufenthalt aufgesucht. Wie das Beispiel von Dongjak-gu zeigt, haben die Seouler Bezirksämter, die wegen der hohen Grundstückskosten Schwierigkeiten haben, Gemeinschafts- und Sozialeinrichtungen für ihre Bezirkseinwohner zu errichten, nun ihren Blick auf die leerstehenden Schulgebäude auf dem Land zu werfen begonnen. Das ist eine Lösung, durch die man nicht nur Kosten für den Erwerb von Grundstücken und Gebäuden sparen kann, sondern auch Austausch und Kooperation zwischen Stadt und Land befördert. Mitarbeiter des Bezirksamt von Dongjak-gu erklären, dass „unsere Einwohner von Dongjak-gu nicht nur die Ruhe der Insel Anmyeon-do genießen, sondern den Inselbewohnern auch z.B. beim Anbauen von Chili helfen oder sich direkt beim Bauern mit Lebensmitteln eindecken. Das Seniorenzentrum hilft den Einwohnern von Dongjak-gu und denen der Insel Anmyeon-do gleichermaßen.“ Es ist also ein typisches Beispiel mit Win-Win-Effekt für Stadt und Land. „Oh my school“ in Ganghwa Die Online-Bürgerzeitung OhmyNews , die 2000 ins Leben gerufen wurde, ist eine Internetzeitung, die im Ausland bekannter ist als in der Internetnation Korea. Denn OhmyNews , die unter dem Motto „jeder Bürger ist ein Journalist“ Berichte von Bürgerjournalisten bringt, konkurriert als neues Medium mit nur rund 70 festangestellten Mitarbeitern mit den traditionellen Medien, deren Personalpool zehn mal größer ist. Trotzdem sichert sich OhmyNews jedes Jahr einen Platz unter den 10 bis 20 einflussreichsten Medien. Diese Online-Bürgerzeitung hat im Jahr 2007 eine über zehn Jahre lang leerstehende alte Schule auf der Insel Ganghwado (Grundschule Sinseong in Neopseong-ri, Bureun-myeon, Kreis Ganghwa-gun) gemietet, renoviert und dort das Institut „Oh my school“ eröffnet, das Weiterbildungsprogramme für professionelle Journalisten aber auch für Bürgerjournalisten durchführt. Dieses Institutsgebäude, das heute nicht nur für Bürgerjournalisten-Seminare und internationale Bürgerjournalisten-Konferenzen, sondern auch für verschiedene andere
Zwecke wie historische Exkursionen und Englischcamps für Kinder genutzt wird, stand seit 1997, als die Schule geschlossen wurde, über zehn Jahre lang wie ein Gespensterhaus in dem Dorf mit seinen 267 Haushalten. Allerdings hängt auch nach der Umwandlung der alten Schule in „Oh my school“ am Eingang noch das Schulschild der Grundschule Sinseong. Denn jedes Jahr finden immer noch Einschulungs- und Abschlussfeiern statt, an denen Schüler aus dem ganzen Land teilnehmen. Seit 2008 veranstaltet „Oh my school“ das Einschulungs- und Abschlussfeierprojekt „Together We Go“. Bei der „Together We Go“- Einschulungsfeier handelt es sich um ein Sommercamp für Schüler aus dem ganzen Land, die als Einzige ihres Jahrgangs in ihrer Schule eingeschult werden, während eine „Together We Go“-Abschlussfeier eine Klassenfahrt im Herbst für die landesweit einzigen Sechstklässler in einer Schule, die im darauf folgenden Frühjahr die Grundschule abschließen, ist. Diese Camps und Klassenfahrten für diese „einzigen“ Schüler auf dem Land fördern die Gemeinschaft unter den Kindern aus den entlegenen Berg-, Fischer- oder Bauerndörfern des Landes. Auch Prominente und Stars wie die TV-Schauspielerin Han Hye-jin nehmen als Lehrer für einen Tag daran teil und vermitteln den Schülern Hoffnungen und Träume. OhmyNews hat unmittelbar nach der Eröffnung der „Oh my school“ im Dezember 2007 die Betreiber umfunktionierter ehemaliger Schulgebäude und potentielle Nutzer alter Schulen zu einer zweitägigen Konferenz eingeladen, auf der über die Wiederverwendung geschlossener Schulen diskutiert wurde. Die Konferenz hat in der Öffentlichkeit das Interesse an diesem Thema geweckt. Die Nutzung alter Schulgebäude gewinnt vor allem deshalb große Aufmerksamkeit, weil die Schulen verkehrsgünstig gelegen sind, die Landschaft schön und das Terrain hervorragend ist, und die Gebäude für eine Wiedernutzung lediglich im kleinen Umfang renoviert werden müssen, was eine hohe Kostenersparnis bedeutet. Das Fazit der Konferenz lautete entsprechend: „Alte Schule müssen wieder leben, damit die Dörfer weiter leben.“ Winter 2009 | Koreana 25
V
or kurzem habe ich einen Brief aus Hamburg erhalten. Der Verfasser des Briefes stellte sich als der Sohn des ersten Schulleiters der ländlichen Grundschule, die ich besucht hatte, vor; er habe fast vor 30 Jahren Korea verlassen und seitdem in Deutschland gelebt. Er schrieb, dass er mit mir zusammen im selben Jahrgang eingeschult worden wäre. Jedoch hätte er noch vor Ende des ersten Schuljahrs das Dorf verlassen, weil sein Vater versetzt wurde. Etwas, was ich geschrieben hatte, hätte ihn wieder an seine Kindheit erinnert. Das erste Bild meines Lebens Der erste Schulleiter der Grundschule, die ich besucht hatte! Ich konnte mich an seinen Namen nicht mehr erinnern. Ich habe rund 30 Jahre lang institutionelle Bildungseinrichtungen – Grund-, Mittel- und Oberschule sowie Universität – besucht und danach noch einmal 30 Jahre lang an meiner Alma Mater Studenten gelehrt. Mein Lebenslauf umfasst daher lediglich fünf oder sechs Namen von Bildungseinrichtungen. In dieser Namensliste spiegelt sich mein monotones Leben wider. Am Anfang dieser Liste steht das Bild der ländlichen Grundschule meines Heimatortes, das als erstes Duft und Licht meiner Kindheit einfängt. Es ist, als wäre ich um die ganze Welt gereist,
um dieses erste Bild zurückzugewinnen. Der Dichter Jeong Hyeon-jong hat es einmal so beschrieben: „Ah, Grundschule auf dem Land, / das Panorama drückt mich an ihre Brust. / An ihre Brust / lehne ich mich, / lehne ich mich und lehne ich mich. / (Auf der ganzen Welt / existieren sie nur dort,) / Oh, göttlicher Frieden / Oh, Blüte der Zeit / Oh, träumendes Echo / Oh, Reinheit ohne Ende / Oh, heiliges Sammeln des Universums …“ Eine weiße, unbefestigte Straße, auf der Staubwolken aufwirbeln, sticht durch ein langes und enges Feld und verschwindet in einem steilen Gebirgstal im Norden. Am nördlichen Ende dieser Straße befindet sich auf einem Berggipfel der alte Tempel Buseok-sa. Dieser buddhistische Tempel, der im 7. Jahrhundert gebaut wurde, ist das Ende der Welt und das Ende der Zeit. Der Weg endet dort. Jeder, der diesen Weg genommen hat, muss unweigerlich auf ihm zurückkehren. Wenn man von diesem „Ende der Welt“ die unbefestigte Straße entlang etwa zehn Ri (vier Kilometer) nach Süden geht, kommt man zum BuseokMarktplatz, von dem sich wieder zehn Ri (vier Kilometer) entfernt mein Heimatdorf Dotan befindet. Der Name „Dotan“ bedeutet „Welle der Pfirsichblüten“. Wurde das Dorf vielleicht deshalb so bezeichnet, weil vor langer Zeit dort einmal zarte
Erinnerungen an die Grundschule auf dem Land Der Herzschlag meiner Grundschule verstummte, nachdem sie mich in die Welt hinausgeschickt hatte, wie der meiner alten Mutter, die ihr erwachsen gewordenes Kind gehen ließ und starb. Sie ist geschlossen, aber in meinem Inneren existiert sie mit dem Klang der Luftorgel für immer. Kim Hwa-young Honorarprofessor , Korea University, Literaturkritiker Fotos: Kang Jae-hoon
26 Koreana | Winter 2009
Pfirsichblüten herabfielen und vom Bach weit weggetrieben wurden? Im Gedicht Frage und Antwort in den Bergen des chinesischen Dichters Li Bai heißt es: „Warum ich tief in den Bergen / lebe, fragst du mich, / aber ich antworte dir nicht, sondern lache bloß / und mein Herz ist ganz leicht. / Pfirsichblüten fallen aufs Wasser / und verschwinden irgendwohin. / Hier sind keine Schatten von Menschen zu finden / es ist eine völlig andere Welt.“ Bestimmt entsprang der Name meines Heimatdorfes im tiefen Bergtal aus der Quelle eines solchen Gefühls . Die fremde neue Welt Der größte Teil der Dorfbewohner gehörte zu unserem Familienclan der Kims. Vor dem Dorf erstreckten sich relativ große Reis- und Ackerfelder und das Dorf selbst, in dessen Hintergrund sich ein Gebirge hinzog, bestand aus dem „Oberdorf “, dem „Unterdorf“ und dem „gegenüber liegenden Dorf“ am anderen Ufer des Baches, zu denen jeweils etwa 30 Häuser gehörten. Das Dorf war allerdings entgegen seinem Namen nie mit Pfirsichblüten bedeckt. Es war vielmehr ein ärmlicher Ort, in dessen mittlerem Teil, Soran, ich geboren wurde. Soran war ein Weiler mit nicht einmal zehn Häusern rechts und links von der neu gebauten Straße. Er wurde „Soran“, also „mitten im
Kiefernwald“ genannt, weil er tatsächlich von Kiefern umgeben war. Im Zentrum befanden sich ein alter Pavillon, ein paar Kakibäume und dahinter unser armseliges Häuschen. Wenn man den mit Kiefern bedeckten Bergkamm hinter unserem Häuschen entlang zur Hinterseite des Berges ging, kam man zur Sangseok-Zweigschule, einer völlig anderen Welt. Ich wurde mit knapp fünf Jahren eingeschult. Da es in einem solchen Dorf tief im Bergtal keinen Kindergarten gab, hatten mich meine Eltern, die meinten, es sei besser, in der Schule zu spielen als zu Hause, vergleichsweise früh in die Schule geschickt. Die Schule, in der ich eingeschult wurde, bestand nur aus wenigen Gebäuden: ein Strohdachhaus mit nur zwei Zimmern, das sich am Rande des großen Sportplatzes befand, der von einem Zaun aus Morgenländischem Lebensbaum (Thuja orientalis) umgeben war, ein Brunnen, das Haus des Schulleiters, das noch aus der Zeit der japanischen Besatzung stammte, zwei Klassenräume mit Ziegeldach, die neben dem Gemüsebeet am Fuße des Abhangs neu errichtet worden waren, und ein Lehrerzimmer. Obwohl die Schule nur 300 Meter von meinem Zuhause entfernt lag, war sie für mich doch wie eine wunderbare, fremde Welt der Zivilisation. Ich lernte dort zum ersten Mal das Geheimnis der Rechtschreibung und die Magie des Addie-
Die Erinnerung an die Zeiten, die sie in einer Grundschule auf dem Land verbracht haben, wird für immer in den Herzen derjenigen weiterleben, die heute in der Stadt wohnen; (Zweigschule Myeongdal der Grundschule Seojong in Seojong-myeon, Yangpyeong, Provinz Gyeonggi-do).
Winter 2009 | Koreana 27
1
2
Offiziell war es die Sangseok-Zweigschule der Grundschule Buseok, die sich am Marktplatz befand. Diese kleine Schule war für mich eine äußerst fremde, riesige Welt. Die Schüler, die mit mir zusammen eingeschult wurden, waren zum größten Teil „Erwachsene“, die, wenn auch verspätet, die moderne Bildung erleben wollten. Unter den „erwachsenen“ Mitschülern gab es auch fast Zwanzigjährige, die für mich entfernte Tanten oder Onkel waren und auch schon verheiratet. Sie haben mich oft auf den Arm genommen oder auf dem Rücken getragen.
rens und Subtrahierens. Wenn ich mich an den hohen Baum lehnte, der sich am Rande des großen Sportplatzes befand und dessen Namen ich nicht kannte, konnte ich die wunderschöne Landschaft bewundern: das Feld voller Kosmeen am Abhang, der weiße Weg, der durch die Mitte des Feldes verlief, und der Wald voller Weiden, der an die Felder angrenzte und durch den ein glitzernder Bach floss. Am Ende des Weges erhob sich wie ein Punkt am Ende eines Satzes ein riesiger Berg. Dahinter befand sich die uns fremde, unbekannte „Welt“. Im Jahr 1948, als ich eingeschult wurde, waren erst drei Jahre seit der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft vergangen und die Schule bestand aus drei Lehrern und knapp dreißig Schülern. Offiziell war es die Sangseok-Zweigschule der Grundschule Buseok, die sich am Marktplatz befand. Diese kleine Schule war für mich eine äußerst fremde, riesige Welt. Die Schüler, die mit mir zusammen eingeschult wurden, waren zum größten Teil „Erwachsene“, die, wenn auch verspätet, die moderne Bildung erleben wollten, während es nur ein paar Kinder in meinen Alter gab. Die meisten „Erwachsenen“ waren Teenager, aber es gab auch fast Zwanzigjährige, die für mich entfernte Tanten oder Onkel waren und auch schon verheiratet. Dank dieser Zusammensetzung der Klasse wurde ich als Jüngster nicht nur von den Lehrern, sondern auch von den älteren Mitschülern behütet. Sie haben mich oft auf den Arm genommen oder auf dem Rücken getragen. Für mich war die Schule daher zwar auch eine Lehranstalt, aber noch viel mehr ein Ort, der mich, wie es der Dichter formulierte, an sein warmes Herz drückte. „An ihre Brust lehne ich mich, lehne ich 28 Koreana | Winter 2009
mich und lehne ich mich.“ So empfinde ich immer noch, wenn ich an meine Grundschule denke, auch wenn seitdem bereits über 60 Jahre vergangen sind. Luftorgel, „erwachsene“ Mitschüler und Herbstsportfest Das größte Problem für mich als I-Pünktchen war weder die Rechtschreibung, noch das Multiplizieren oder Auswendiglernen, in diesen Bereichen lernte ich eher schneller und besser als die älteren Schüler. Der schlimmste Teil meines Schulalltags war „der alleinige Gang zur Toilette“, denn die Schultoilette war viel größer als die zu Hause und sogar gespenstisch, und ich musste die bis dahin ungewohnte Latzhose allein ausziehen; und dann war da auch noch das militärische Training während der Sportstunde, bei dem man sich nach Kommandos wie „Links geradeaus!“, „Rechts geradeaus!“ oder „Nach hinten wenden und geradeaus!“ bewegen musste. Für mich war es damals nämlich die schwierigste Aufgabe der Welt, links und rechts zu unterscheiden. Jedes mal, wenn ich verwirrt da stand und nicht mehr weiter wusste, haben mich Lehrer und „erwachsene“ Mitschüler an die warme Brust gedrückt oder auf dem Rücken, dem ein angenehmer Tabakgeruch entströmte, getragen. Was ich am meisten an der Schule mochte, war das für mich völlig fremde Instrument „Luftorgel“. Es war ein sehr interessantes Gerät, das Luft einsaugte, die die weißen und schwarzen Tasten zum Klingen brachte. Die hübsche Lehrerin, die in Seoul eine Mädchenoberschule absolviert haben sollte, spielte auf der Luftorgel und sang mit charmantem Seouler Akzent, der mich jedes Mal entzückte. Manchmal lächelte sie mir sanft
3
zu, wenn ich beim Singen neben ihr stand und ihr zuschaute. Ihr wunderschönes Lächeln und ihr sanfter Gesang schwebten durch die Fenster des Klassenzimmers über die Felder die weiße Straße entlang in die weite Welt hinaus. Ich nahm mir vor, eines Tages diese schöne Lehrerin zu heiraten. Doch dann brach kurz darauf der Krieg aus und die Schule musste geschlossen werden. Die Lehrerin zog fort. Mein Klassenlehrer wurde zur Armee eingezogen und ging ebenfalls. Wir arme Kinder standen vor dem Schultor und schenkten den Lehrern, die das Dorf verließen, als Abschiedsgeschenk einen Blumenstrauß aus roten Zinnien, die am Schulzaun wuchsen, und ein paar noch nicht ganz reife Äpfel. Während des Krieges stromerte ich mit meinen jüngeren Geschwistern und Freunden durch die Felder oder fing Fische im Bach, während in der Ferne der Donner der Artillerie zu hören war. Wenn uns dann langweilig wurde, rannten wir zur leerstehenden Schule. Wir verjagten entweder die Vögel unter dem Schuldach, wohin wir durch die Lüftungsrohre gelangen konnten, krochen durch den Abwasserkanal unter dem Fußboden der Klassenzimmer und spielten „Schatzsuche“, indem wir nach Bleistiftstummeln oder Radiergummistücken suchten, die durch die Risse im Holzfußboden gefallen waren; oder wir spielten auf dem Kosmeenfeld am Abhang direkt neben dem Sportplatz der Schule Verstecken. Dann kehrte der Frieden zurück und die Schule wurde wieder eröffnet. Wenn ich an meine sechsjährige Grundschulzeit zurückdenke, fallen mir vor allem die Klassenveranstaltungen ein, bei denen jedes Schulkind sein Können präsentieren konnte, und das Herbstsportfest, bei dem Lehrer und Schüler in zwei Teams geteilt und mit roten oder weißen Stirnbändern versehen um die Wette liefen. Auch kann ich den Duft der neuen Schulbücher und Schreibhefte, die wir zu Beginn des neuen Schuljahres bekamen, sowie die schönen Bilder in den Arbeitsbüchern, die wir als Ferienaufgabe erhielten, nicht vergessen. Und dann waren da auch noch die Kisten, die die Flugzeuge
1~2 M orgenappell und Unterricht in einer ländlichen Grundschule; (Zweigschule Jindong der Grundschule Girin in Jindong-ri, Girin-myeon, Inje, Provinz Gangwon-do) 3 Sporttag in einer ländlichen Grundschule; (Zweigschule Saneum in Saneum-ri Danwol-myeon, Yangpyeong, Provinz Gyeonggi-do)
der US-Armee, die manchmal auftauchten und im Kreis herumflogen, herunterwarfen; es waren Kisten mit Spielzeug, das ich zum ersten Mal in meinem Leben sah, mit Kaffee und Milchpulver oder Bleistiften, die nach Wacholder rochen. Erst als ich in eine Mittelschule in Seoul eingeschult werden sollte, verließ ich die Geborgenheit der Grundschule und ging in die „Welt“ hinaus. Danach besuchte ich städtische Schulen und Universitäten und ging sogar ins Ausland. Auch wenn ich an den hohen Feiertagen wie Seollal, Neujahr nach dem Lunarkalender, oder Chuseok, Erntedankfest nach dem Lunarkalender, meinen Heimatort und meine Eltern aufsuche, gehe ich doch nur noch sehr selten um den Bergkamm zu meiner alten Schule. Seitdem vom Wachstum und der wirschaftlichen Entwicklung Koreas gesprochen wird, ist die Zahl der Landbewohner allmählich zurückgegangen. Die Grundschule, die einst von über 200 Schülern besucht wurde, aber dann immer mehr Schüler verlor, musste eines Tages geschlossen werden. Der Sportplatz ist von Gras und Unkraut überwuchert und das leerstehende Gebäude heruntergekommen. Sogar das Kettenschloss am Schultor ist verrostet. Vor ein paar Tagen erhielt ich von der Alumni-Vereinigung der Grundschule eine Einladung zu einem Alumni-Treffen. Ich werde nicht an dieser Veranstaltung teilnehmen. Der Herzschlag meiner Grundschule verstummte, nachdem sie mich in die Welt hinausgeschickt hatte, wie der meiner alten Mutter, die ihr erwachsen gewordenes Kind gehen ließ und starb. Sie ist geschlossen, aber in meinem Inneren existiert sie mit dem Klang der Luftorgel für immer. Winter 2009 | Koreana 29
FOKUS
Bedeutung des Internationalen Astronautischen Kongresses 2009 Der 60. Internationale Astronautische Kongress wurde unter dem Motto “Weltraumforschung für dauerhaften Frieden und Entwicklung“ in Daejeon veranstaltet. Erfahren Sie mehr über Hauptthema und Besonderheit des Kongresses und die Bedeutung dieser Veranstaltung, die im 40. Jubiläumsjahr der ersten Mondlandung abgehalten wurde. Kim Seung-jo Professor für Luft- und Raumfahrttechnik, Seoul National University, Präsident der Korean Society for Aeronautical and Space Sciences
1
30 Koreana | Winter 2009
A
m 20. Juli 1969 verfolgte die ganze Welt mit großem Interesse, wie zum ersten Mal in der Geschichte ein Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte. Acht Jahre, nachdem der amerikanische Präsident J.F. Kennedy 1961 verkündet hatte, dass noch vor Ablauf der 1960er Jahre die erste Mondlandung stattfinden würde, wurde dieser Menschheitstraum verwirklicht. Die rund fünf Millionen Fernsehzuschauer auf der ganzen Welt, die diese Szene sahen, staunten über die Wissenschaft und Technologie Amerikas, und besonders die jungen Menschen waren fasziniert von den Geheimnissen der Weltallerkundung und träumten ihre eigenen Träume über eine Zukunft im Luft- und Raumfahrtbereich. Auch war die Satellitenübertragung an sich ein heißes Thema. Dank der Übertragungsstechnik via Weltraum konnten Fernsehzuschauer rund um den ganzen Globus gleichzeitig dieses historische Ereignis mitverfolgen. Es war ein Moment, in dem viele Menschen die Vorzüge der Luft- und Raumfahrttechnik hautnah spüren konnten.
Weltraumtechnik enthüllt die Antike Auf dem 60. Internationalen Astronautischen Kongress (IAC), der 2009 in Daejeon, Korea, eröffnet wurde, bestätigte ein weiteres interessantes Beispiel der Anwendungsmöglichkeiten erneut die Vorteile der Weltraumtechnik: Es war der Vortrag des japanischen Dokumentarfilm-Drehbuchautors und Ingenieurs Dr. Fujio Nakano mit dem Titel „Identifikation des Migrationswegs von Korea nach Japan anhand von Satelitendaten (Identification of Migration Path from Korea to Japan – A New Discovery Utilizing Earth Observation Data from Space)“. Dieser Vortrag, der als Highlight am letzten Tag des IAC um 16.00 Uhr gehalten wurde und großes Interesse auf sich zog, erklärte, wie man die Migrationswege von Korea nach Japan vor rund 1.400 Jahren identifizieren kann, indem man Daten über Migrantensiedlungen in einigen Regionen Japans und die 3D-Daten des Erdbeobachtungssatelliten miteinander vergleicht. Aufgrund der unglücklichen Beziehungen zwischen Korea und Japan in den vergangenen 500 Jahren bestehen auch heute noch manchmal auf außenpolitischer und kultureller Ebene Spannungen, weshalb es von großer Bedeutung ist, aufgrund dieser Studie wissenschaftlich bestäti-
1 Eine Sitzung des diesjährigen IAC, auf der die Leiter verschiedener Weltraumorganisationen über Wege zur Beförderung der internationalen Zusammenarbeit in der Erforschung des Alls diskutierten 2 Ausstellungsstand eines Luftund Raumfahrtunternehmens auf der WeltraumtechnologieAusstellung
2
Winter 2009 | Koreana 31
1
2
1
Auf dem diesmaligen Kongress wurde versucht, durch Veranstaltungen wie Space Festival, Technikausstellungen usw. die Teilnahme der Besucher zu fördern und zugleich eine Feststimmung zu schaffen. Das Space Festival wurde in die vier Großsektionen Plaza der Weltraumbürger, Stadt der Außerirdischen/Sternenlicht-Stadt/Stadt der Roboter, Weltraum-Zentrum und Weltraum-Stadt geteilt. Auch wurden insgesamt ca. 50 Programme veranstaltet, die bei den Teilnehmern auf großen Beifall stießen.
2 32 Koreana | Winter 2009
3
1, 3 A usstellung von Fotos und Ausrüstungsgegenständen, die Yi So-yeon, Koreas erste Astronautin, 2008 bei ihrem Flug ins All an Bord des russischen Raumschiffes Soyuz TMA-12 verwendete. 2 Stand von Chinas National Space Administration (CNSA)
gen zu können, dass sich in der fernen Vergangenheit Menschen koreanischer Herkunft auf japanischem Boden niedergelassen haben. Es ist zu hoffen, dass sich durch diese Studie die unnötigen Reibereien zwischen den beiden Nachbarstaaten verringern werden. Es ist zudem eine neue Entdeckung, dass man auch bei wissenschaftlichen Analysen Weltraumtechnologie anwenden kann, was mir als Forscher in diesem Bereich Freude bereitet. Diese Studie passte auch besonders gut zum Motto der diesmaligen Veranstaltung: “Weltraumforschung für dauerhaften Frieden und Entwicklung“.
Ein denkwürdiges Jubiläum Die Neugier des Menschen in Bezug auf das Weltall ähnelt der Neugier der Kinder, die mit zunehmendem Alter die Umgebung außerhalb ihres Hauses immer stärker erkunden und quasi instinktiv aus der Begrenzheit der eigenen engen Welt in eine größere Welt aufbrechen wollen. Diese instinktive Neugier in Sachen Weltraum hat sich zu einer Art Weltraumrennen entwickelt, bei dem einzelne Staaten mit ihren Weltraumentwicklungsprogrammen konkurrieren. Tatsächlich profiliert sich die Weltraumentwicklung immer mehr zum Aushängeschild für die nationale Stärke eines Staates, was den Wettbewerb nur noch anheizt. Dieser Wettlauf der Menschheit hat laut dem Bericht 2009 der U.S. Space Foundation eine Weltraumindustrie mit einem massiven Markt von 260 Milliarden US-Dollar generiert. Dieser unendliche und unbekannte Raum namens All und der Instinkt des Menschen, ihn zu erforschen, haben die Weltraumindustrie zur Hauptlokomotive der nationalen Wirtschaft vieler Länder gemacht. In der heutigen Zeit, in der die Wettbewerbsfähigkeit in der Weltraumindustrie gleich die des Staates ist, wächst die Bedeutung der Weltraumwissenschaft von Tag zu Tag. 2009 ist für die Geschichte der Weltraumwissenschaft von besonders großer Bedeutung. Wie bereits erwähnt, sind es 40 Jahre her, dass das Raumschiff Apollo vollgeladen mit Träumen und Hoffnungen auf dem Mond landete. Auch sind es 60 Jahre, dass der Internationale Astronautische Kongress, auf dem man Meinungen über Weltraumtechnik, Weltraumgesetz und Förderung der friedlichen Entwicklung des Weltraums austauscht, besteht. Darüber hinaus wurde 2009 von den Vereinten Nationen zum Jahr der Astronomie erklärt. Und in Korea wurde 2009 zum ersten Mal eine eigene Satelliten-Trägerrakete, die Naro-1, von heimischem Boden abgeschossen. In diesem mehrfach bedeutsamen Jahr veranstaltete Korea den 60. Internationalen Astronautischen Kongress. Der Kongress wurde seit seiner ersten Ausrichtung im Jahr 1950 jährlich in Weltraumgroßmächten wie den USA und Russland eröffnet. Entgegen der anfänglichen Sorge, dass die internationale Wirtschafts-
krise und die Schweinegrippe die Teilnahme beeinträchtigen würden, nahmen über 3.000 Fachleute aus 60 Ländern teil. Damit war der diesmalige Kongress der bislang größte und man konnte über das enorme weltweite Interesse für den Weltraum nur staunen. Präsident Lee Myung-bak brachte auf der Eröffnungszeremonie sein großes Interesse für die Weltraumentwicklung zum Ausdruck und versprach auch, sich in Zukunft für die internationale Zusammenarbeit im Weltraumbereich zu engagieren.
Wichtigste Inhalte und Evaluierung Zu den Kongressteilnehmern gehörten internationale Weltraumorganisationen aus aller Welt wie die Nationale Luft- und Raumfahrtbehörde der USA (NASA), die Europäische Weltraumbehörde (ESA), die Japanische Raumfahrtagentur (JAXA) sowie verschiedene europäische Unternehmen wie der europäische Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzern (EADS), die Arian Space aus Frankreich, die Thales-Alenia aus Italien usw. Die Veranstaltung teilte sich grob gesehen in eine Expertenrunde, eine Raumfahrtmesse und das Space Festival. Vor der eigentlichen Eröffnung wurde ein UN/IAF Workshop veranstaltet, der vom U.N. Office for Outer Space Affairs (OOSA) organisiert und von Korea und der Internationalen Astronautischen Föderation (IAF) unterstützt wurde. Auch wurde die IAA (International Academy of Austronautics), eine regelmäßige Versammlung der internationalen Experten-Gemeinde, eröffnet. Für den Hauptteil der IAC, der Expertenrunde, wurden von 25 technischen Komitees für die entsprechende Anzahl von Bereichen durch Evaluation von Aufsatzzusammenfassungen 1.600 Aufsätze für 159 Sitzungen ausgewählt, auf denen ca. 70% der Aufsätze vorgestellt wurden. Die Nicht-Erscheinungsrate unter den Rednern war zwar etwas hoch, aber der Kongress bot insgesamt eine gute Gelegenheit für Experten aus der ganzen Welt, ihre Informationen über Weltraumtechnologien in Bezug auf z.B. Weltraumerforschung, Erdbeobachtung, Weltraumtelekommunikation usw. auszutauschen. Die zahlreichen Präsentationen und Vorträge boten Wissenschaftlern aus Korea, das erst eine relativ kurze Geschichte der Weltraumentwicklung vorweisen kann, eine Gelegenheit, ihren Horizont zu erweitern. Es wurden auch Vorträge und Konferenzen über den Stand der Weltraumentwicklung und Zukunftspläne veranstaltet, an denen die Repräsentanten der wichtigsten Weltraumorganisationen der Welt wie NASA, ESA, JAXA und CNSA (Raumfahrtagentur der Volksrepublik China) teilnahmen. Zur Förderung des Humankapitals und Nachwuchses im Luft- und Raumfahrtbereich gab es spezielle Programme für Schüler sowie Förderprogramme von Unternehmen wie das Young Professional Program, das junge Experten im internationalen Luft- und Raumfahrtbereich unterstützt. Außerdem kam es auf dem jährlichen Space Generation Congress des Space Generation Advisory Council, der die Meinungen junger Fachleute über Weltraumerforschung und die verschiedenen Forschungsgebiete sammelt und aufnimmt, zu einem regen Austausch zwischen jungen Menschen aus der Winter 2009 | Koreana 33
1 Der Internationale Astronautische Kongress 2009 wurde in Daejeon, Korea, veranstaltet. 2 Besucher versuchen sich mit dem Weltraumtraining für Astronauten. 3 Eine Sonderausstellung der NASA zum Gedenken des 40. Jubiläums der ersten Mondlandung 4 NASA Administrator Charles Bolden nahm als Diskussionsteilnehmer an einer Diskussionsrunde teil.
1
2
3
Ausrüstungsmodelle, die sich im Besitz der NASA befinden, im Ausland ausgestellt wurden. Daher zog diese Ausstellung besonders viele Besucher an, die die seltene Gelegenheit, die NASAExponate einmal in Augenschein zu nehmen, nicht verpassen wollten. Es war allerdings schade, dass diesmal – wohl aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise – die Teilnehmerzahl der global agierenden Weltraum-Unternehmen etwas niedrig ausfiel. Vor allem waren kaum amerikanische Firmen vertreten, was die Gesamtatmosphäre etwas drückte. Charles Bolden, der derzeitige Administrator der NASA, nahm als Diskussionsteilnehmer an einer Sitzung der Expertenrunde teil und diskutierte über die internationale Zusammenarbeit der jeweiligen Weltraumbehörden. Auch tauschte er sich mit einem hochrangigen Vertreter des koreanischen Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Technologie über Kooperationsmöglichkeiten zwischen beiden Ländern aus. Es wird erwartet, dass die laufenden Kooperationsprojekte zwischen Korea und der NASA wie „Entwicklung kleiner Satelliten“ und „Internationales Weltraumerforschungsprojekt“ usw. befördert werden und an Schwung gewinnen. Beachtenswert war ebenso die „Daejeon Erklärung“, in deren Rahmen sich die Unterzeichnerstaaten verpflichteten, den Weltraum ausschließlich zu friedlichen Zwecken zu nutzen. Außerdem ermutigte die NASA-Astronautin Janet Kavandi die koreanischen Jugendlichen dazu, ihren Traum vom Weltraum zu verfolgen. Sie nahm mit anderen Weltraum-Prominenten an verschiedenen Veranstaltungen teil und gratulierte zur erfolgreichen Austragung des Internationalen Astronautischen Kongresses in Daejeon.
Beachtenswertes ganzen Welt, die eine Karriere in diesem Bereich anstreben, und zum Aufbau von Netzwerken. Die zahlreichen jungen Menschen aus aller Welt, die an dieser Veranstaltung teilnahmen, haben bestimmt ein tiefes Zusammengehörigkeitsgefühl empfunden und dürften dazu inspiriert worden sein, ihrem großen Traum von der Weltraumwissenschaft zu folgen. Dieses Jahr wurde auch eine Raumfahrtmesse eröffnet. Besondere Publikumsmagnete waren dabei die Miniaturnachbildungen der Forschungsraketen und Ausrüstungen sowie die PR-Halle der NASA. Zu sehen waren 16 Raketen und Miniaturmodelle von Ausrüstung zur Weltallerforschung wie die Landekapsel (Maßstab 1:20), die Mondlandefähre (Maßstab 1:20), die Apollo Rakete (Saturn V, Maßstab 1:48) und das Lunar Roving Vehicle (Maßstab 1:10) des Apollo-Raumprogramms, dazu auch Mondgestein usw. Es ist bislang nicht oft vorgekommen, dass diese Raketen- und 34 Koreana | Winter 2009
Der beachtenswerteste Punkt der IAC 2009 war, dass es sich im Gegensatz zu den vorausgegangenen Kongressen nicht um eine Veranstaltung nur von und für Experten handelte. Auf dem diesmaligen Kongress wurde versucht, durch Veranstaltungen wie Space Festival, Technikausstellungen usw. die Teilnahme des allgemeinen Publikums zu fördern und zugleich eine Feststimmung zu schaffen. Das Space Festival wurde in die vier Großsektionen Plaza der Weltraumbürger, Stadt der Außerirdischen/ Sternenlicht-Stadt/Stadt der Roboter, Weltraum-Zentrum und Weltall-Stadt geteilt. Auch wurden insgesamt ca. 50 Programme veranstaltet, die bei den Teilnehmern auf großen Beifall stießen. Besonders großes Interesse zog das praktische Erlebnisprogramm auf sich, das normalerweise fürs allgemeine Publikum kaum zugänglich ist. Die Teilnehmer des Weltraumfestivals konnten an einem METI- Programm teilnehmen. Das METI-
4
Programm (Messaging to Extraterrestrial Intelligence) basiert auf der Zusammenarbeit zwischen Korea und einer Sternwarte in der Ukraine. Die Teilnehmer konnten, nachdem sie einen Planeten, auf dem Lebewesen leben könnten oder der die Stadt Daejeon repräsentiert, gewählt hatten, ihre eigenen Nachrichten ins Weltall schicken. Beim SETI-Programm (Search for Extraterrestrial Intelligence) konnte man versuchen, mit einem Radioteleskop Signale aus dem Weltall aufzufischen und so nach außerirdischen Intelligenzen zu forschen. Ein Highlight des Weltraumfestivals war eine 70 Meter große Astronautenfigur, die weltweit größte ihrer Art. Die Besucher konnten im Inneren dieser Figur das Training, das die erste koreanische Astronautin, Dr. Yi So-yeon, absolviert hatte, selbst erleben. Auch konnte man mit einer 8-Mann-Rakete, die mit Lichtgeschwindigkeit fliegt, eine virtuelle Weltraumreise machen. Die Kinder, die diese Reise mitgemacht haben, werden davon träumen, dass sie eines Tages mit einer echten Rakete das Weltall erforschen werden. Als Begleitveranstaltungen lockten die Besucher z.B. von der koreanischen Luftwaffe angebotene Testflüge mit einem C-130 Flugzeug, das Daejeon Heißluftballon-Festival, das Science Fiction Filmfestival, ein Kinder-Malwettbewerb zum Thema Weltraumfantasien usw. Durch diese Veranstaltungen rückte das All auch für den Durchschnittsbesucher, der es bislang als weit entfernten und vagen Raum empfunden hatte, ein gutes Stück näher. Als ein charakteristisches Merkmal des IAC 2009 kann daher sicherlich der Versuch genannt werden, den Kongress durch entsprechende Events zu einer Veranstaltung sowohl für Experten als auch fürs breite Publikum zu machen und damit den Rahmen des IAC zu
erweitern. Der IAC 2009, der bislang größte in der Geschichte des Kongresses, hat einen beachtlichen Beitrag dazu geleistet, den Koreanern Weltraumtechnologie, Weltraumerforschung und Weltraum entwicklung näher zu bringen. Auch bot er die Gelegenheit, mit weltberühmten Experten Informationen über Weltraumentwicklung und Technologie auszutauschen und Netzwerke aufzubauen, wodurch der Kongress für Korea auch als Sprungbrett fungierte, seine Zusammenarbeit mit fortgeschritteneren Weltraumnationen zu verstärken. Obwohl die Anlockung einer großen Teilnehmerzahl durch Festival und Raumfahrtmesse als positiv gewertet werden kann, war auch die Besorgnis zu hören, dass durch diese Aktivitäten der akademische Charakter des Kongresses vielleicht etwas gelitten haben könnte. Weltweit wird die Weltraumentwicklung mit Steuern finanziert, aber die Treffen führender Politiker oder die Versammlungen mit eher politischer Note schürten die Befürchtung, dass die eigentlichen Hauptdarsteller des Kongresses, die Wissenschaftler und Techniker, sich marginalisiert fühlen könnten. Es ist zu hoffen, dass auf den zukünftigen Kongressen diese Probleme beachtet werden und man einen für alle tragbaren Kompromiss finden kann. Abschließend lässt sich sagen, dass der diesmalige Kongress die Neugier der Koreaner in Bezug auf den Weltraum mit den Weltraumentwicklungsplänen des Landes gekoppelt und Korea neue Schwungkraft in dieserm Bereich verliehen hat. Nun muss versucht werden, durch das in Daejeon befestigte Solidaritätsgefühl in weltweiter Kooperation mit Vertretern und Zuständigen des Weltraumbereiches “Weltraumforschung für dauerhaften Frieden und Entwicklung“ zu verwirklichen. Winter 2009 | Koreana 35
INTERVIEW
Jung Yeondoo Auf der Suche nach Bruchstücken vergessener Zeit 1
Medienkünstler Jung Yeondoo ist ein Traum-Vermittler. Seit Beginn seiner Laufbahn als Künstler bis heute hat er die Träume der Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen, die er in Tanzsälen, auf der Straße oder in Apartmenthäusern und Büros traf, als Inspiration und Stoff für seine künstlerischen Werke genommen und die Mission verfolgt, an der Verwirklichung ihrer Träume, die tief in ihrem Inneren vergraben waren, teilzuhaben. Ob dabei das Medium Performance, Foto, Video, Bild oder Skulptur ist, spielt für Jung keine große Rolle. Kang Seungwan Senior Curator, National Museum of Contemporary Art, Korea
J
ung Yeondoo (geb. 1969) greift gern in die Träume anderer Menschen ein. Die anderen sind für ihn keine entfremdeten Individuen wie einsame Inseln. Bedarf der Eingriff in den Traum des Capes von Superman, dann wirft sich Jung das Cape über die Schultern: Ist seine künstlerische Arbeit ein Heldenakt, durch den jemandes Traum verwirklicht wird, so ist die Person, die gerettet wird, nicht nur die Hauptfigur seines Werkes. Zu den Hauptfiguren gehört jeder Betrachter, der seinen Traum und sein wahres Leben, die im Trott des grauen Alltags untergegangen sind, entdeckt. Patricia Ellis, Kuratorin und Künstlerin in London, erklärte: „Ein Superheld zu werden ist für Jung Yeondoo etwas mehr als ein einfacher Traum. Es ist Quelle und treibende Kraft seiner künstlicherischen Arbeit.“ In diesem Sinne liegt die Kommunikation mit dem Betrachter sowohl im Prozess des Kunstschaffens als auch im Kunstwerk als Resultat. Und diese Kommunikation wird auch manchmal zu einem Pfad des Wunders, auf 36 Koreana | Winter 2009
dem sich der Traum in Wirklichkeit verwandelt. Aber das Wunder ist eigentlich gar nicht so mysteriös, sondern Resultat der Kooperation zwischen dem Künstler als Schaffendem, dem Individuum als Stoff und Hauptfigur des Werks sowie dem Betrachter.
Das Ansprechen des Anderen Jung Yeondoo schloss 1994 sein Studium der Bildhauerei an der Seoul National University ab und machte 1997 seinen M.A.Abschluss (Master of Fine Arts) am Goldsmiths College der University of London. Nach seiner Rückkehr nach Korea profilierte er sich ab 1999 durch die Teilnahme an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland wie der Gwangju Biennale, der Taipei Biennale, der Istanbul Biennale und der Biennale di Venezia. Ansatz und Ziel seiner Arbeit war von Anfang an bis heute stets die Fokussierung auf Menschen verschiedener Nationalitäten und mit verschiedenen Kulturhintergründen, die in modernen Großstädten
2 1 Jung Yeondoo erklärt: „Die Medien, mit denen ich arbeite, haben sich im Laufe meiner Suche nicht nach dem WIE des Ausdrucks, sondern nach dem WAS von der Skulptur auf Fotografie, Videoaufnahmen, Bühne und Film ausgeweitet.“ 2 In Jungs jüngstem Werk, Cine Magician, zeigt das Video die Performance des bekannten koreanischen Magiers Lee Eun-gyeol, während hinter der Bühne die Bühnenarbeiter geschäftig Beleuchtung und Aufnahme arrangieren.
wie Seoul, Fukuoka, Shanghai, Liverpool usw. leben. Aus diesem Grund nennt Yuko Hasegawa, die Chefkuratorin des Museum of Contemporary Art in Tokio, ihn „Stadt-Anthropologe“. In Jungs Erstlingswerken aus den Jahren direkt nach seiner Rückkehr nach Seoul ist ganz deutlich die Tendenz zu erkennen, durchschnittliche Menschen der Zeit in seine Werke miteinzubeziehen. Beispiele dafür sind Werke wie Elvis Gungjungbamjum (1999), bei dem er mittels einer Koch-Performance mit dem Publikum kommunizierte, und Boramae Dance Hall (2001) , bei dem er Fotos von Tanzpaaren mittleren Alters, die in formeller Tanzkleidung in der Tanzhalle im Boramae-Park tanzen, als Tapetenmuster verwendete. In seinem Werk Evergreen Tower (2001) werden Fotos von 32 Familien, die in kleinen, im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus errichteten Apartmentwohnungen leben, in Form von Fotos oder als Diaprojektionen gezeigt. Bei dieser Arbeit wagt sich der Künst-
ler tief in den intimen Raum der Familie vor. Hier ist die Beziehung zwischen den Individuen als Objekt innerhalb des Werks und dem Künstler Jung keine „DAS-ICH-Beziehung“, sondern sie vertieft sich bis zu einer Beziehung von „ICH und DU“, wie es der jüdische Philosoph Martin Buber formulierte. Die Objekte in diesem Werk sind keine passiven Objekte, sondern Erzähler sowie Halb-Künstler, die sich als aktive Teilnehmer präsentieren. Jung sublimiert den „heimlichen, voyeuristischen Blick“ zum „Teilen der Träume“, wie Patricia Ellis Jungs Werke beschreibt. Die Familienfotos beginnen damit, dass der Künstler die Familie trifft und sich mit ihr unterhält. Auf die Gespräche über das Leben der Familie folgt dann das Fotoshooting. Dabei durchbrechen die für jede Familie charakteristische Anordnung der Möbel, die unterschiedlichen Farben und Muster der Gardinen, Fotos, Familienmottos, Gemälde an den Wänden sowie die verschiedenartigen Posen vor der Kamera den Rahmen der sozialen Winter 2009 | Koreana 37
1 1 In Jungs Fotoserie Bewitched wird er zum Zauberer, der Realität und Fantasie der Träume des Menschen aufdeckt.
2 Handmade Memories verwendet eine Serie von Bildern auf zwei Monitoren, um Jungs Interpretation der Klagen eines alten Mannes über seine schwere Vergangenheit zu thematisieren.
3 Documentary Nostalgia gehört seit 2008 zur Sammlung des Museum of Modern Art in New York.
2
3
38 Koreana | Winter 2009
Location ist eine Landschaftsserie, die Realität und Irrealität nebeneinander stellt.
Schichtzugehörigkeit, die durch die identischen Lebensbedingungen in Wohnungen mit gleicher Größe und Struktur bestimmt ist. Darüber hinaus zeigen die Fotos, dass die Familienmitglieder selbst es sind, die die wahre innere Struktur sowie den eigentlichen Rahmen, der ihr Leben bestimmt, ausmachen.
Vom Traum zur Realität Was hält das Leben am Weitergehen? Sind es die Träume oder die Realität? Hero (1998) ist ein Foto von einem Lieferjungen eines chinesischen Restaurants, der in der Manier eines tollen Profi-Motorradfahrers durch die Stadt rast. Für diesen einen Augenblick ist der Junge, der seine jüngeren Geschwister ernähren muss, von der schweren Last des Alltags befreit. Bewitched (2001), dessen Titel Jung der gleichnamigen US-Sitcom-Serie aus den 1960ern entlehnte, ist ein Werk, das die Wirklichkeit und die Träume von vierzig Jugendlichen, die Jung in Städten verschiedener Länder wie Seoul, Tokio, Peking, Istanbul und Amsterdam traf, visuell erfasst: ein Junge, der an der Tankstelle arbeitet, aber Rennfahrer werden möchte; ein Mädchen, das in den Himmel möchte, um seine verstorbene Mutter zu treffen; ein junger Mann, der schwarzen Tee transportiert und von einer Zukunft als Mathematiklehrer träumt. Die Gegenwart und die Zukunft, in der die Träume in Erfüllung gegangen sind, werden durch aufeinander folgende, sich überlappende Diaprojektionen gezeigt. Dabei überschneiden sich die gegenwärtige Zeit und die Zeit des Traums, so dass die Grenzen zwischen beiden verwischen. Wie sieht wohl die Welt aus, die Kinder, die noch kein voll entwickeltes Bewusstein von Realität und Fiktionalität haben, malen? Für sein Serienwerk Wonderland (2004) nimmt Jung Yeongdoo Zeichnungen von Kindergartenkindern als Stoff für sein Werk. In der Welt der Kinder, die in ihren Herzen lebt, finden sich z.B. folgende Motive: ein Junge, der einen Delphin, der sich in eine Blume verwandelt, betrachtet; die Prinzessin Aurora aus Dornröschen , die neben dem blumengeschmückten rosafarbenen Prinzesin-
nenbett steht; Aschenputtel, die mit dem Prinzen tanzt; ein Mädchen neben einer gigantischen Blume; ein anderes Mädchen, das in den mit Kometen übersäten Himmel fliegt. Jung ließ die Welt der surrealistischen Träume, in der es an Wirklichkeitsempfinden für die Dinge und an räumlicher Konkretheit fehlt, in einem dreidimensionalen Bühnenset nachstellen, wobei Oberschüler in entsprechenden Kostümen auftraten. Er fotografierte die Nachbildungen und stellte die Fotos dann zusammen mit den ursprünglichen Kinderbildern aus. Die Fotos, die die Träume der Kinder rekonstruierten, schenkte der Künstler schließlich dem jeweiligen Träumer.
Von der Realität zum Traum Locations (2007- ) ist eine Serie von Landschaften, die auf der Realität basieren, aber denen es durch absichtlich hinzugefügte künstliche Requisiten oder Beleuchtungseffekte an Realitätsgefühl mangelt: das Stofftuch auf dem Boden, das absichtlich dorthin drapiert wurde, um die Landschaft künstlich wirken zu lassen; der künstliche Felsen vor der Kameralinse mit einem natürlichen Felsen in der Ferne; eine Palme mit Vorhang am Strand; Poster von Straßenbäumen gegenüber echten Straßenbäumen vor Apartmenthäusern; Polystyrol-Schneeflocken, die im Dunklen über einer schneebedeckten Autobahn-Raststätte fallen. Alle diese Tricks betonen die Künstlichkeit der Landschaften. Die realen, aber zugleich irrealen Landschaften gleichen dem Hintergrund der Traumgeschichten, an die man sich nach dem Erwachen nicht mehr erinnern kann. Oder sie sind ein Bruchstück aus einer längst vergessenen Zeit in ferner Vergangenheit, oder eine Landschaft in der Vorstellung, in deren Zentrum man sich gerne hineinwünscht. Jung Yeondoo wurde im Jahr 2007 vom National Museum of Contemporary Art in Korea zum „Künstler des Jahres“ gewählt. Documentary Nostalgia (2008) ist ein Filmwerk, das er für eine Ausstellung im National Museum of Contemporary Art produWinter 2009 | Koreana 39
1
Die Beziehung zwischen dem Objekt innerhalb des Werks und dem Künstler ist keine Beziehung zwischen „DAS und ICH“, sondern sie vertieft sich bis zu einer Beziehung von „ICH und DU“, wie es der jüdische Philosoph Martin Buber formulierte. Die Objekte der Werke sind keine passiven Objekte, sondern Erzähler sowie Halb-Künstler, die sich als aktive Teilnehmer präsentieren. Jung sublimiert den „heimlichen, voyeuristischen Blick“ zum „Teilen der Träume“.
zierte. Das Werk, das mit seinem narrativen Aufbau und seiner spektakulären Struktur große Aufmerksamkeit als ein neuer filmkünstlerischer Versuch erregte, wurde im Jahr 2008 von der Video-Galerie des Museum of Modern Art in New York eingeladen und nach der Ausstellung vom Museum erworben. Documentary Nostalgia verfolgt die Erinnerung an Landschaften, die einst existierten. Jung ließ den gesamten Ausstellungsraum in ein Filmstudio verwandeln. Er nahm 85 Minuten ohne Unterbrechung sechs Szenerien (Innenraum, Stadtstraße, Weide, Reisfeld, Wald und Wolkensee) auf, wobei er nur Belichtung und Fokus veränderte. Dieser Film handelt von der eigenen Geschichte des Künstlers. Jung folgt seiner Erinnerung an den unberührten Wald, den er in seiner Studienzeit beim Bergsteigen im Gebirgssystem
40 Koreana | Winter 2009
Baekdudaegan sah, der dann aber im Zuge eines Entwicklungsprojektes verschwand. Es folgten Filmwerke über die Erinnerungen anderer. In dem Video Handmade Memories (2009) erzählen sechs Senioren, die Jung im Seouler Tapgol Park, einem Treffpunkt für Senioren, und in einem Seniorenzentrum traf, über ihre Vergangenheit. Die Vergangenheit, die für ältere Menschen traumhaft in Bruchstücken existiert, ist die treibende Kraft, die sie am Leben erhält, so wie es für die Jugend die Zukunft ist. Die Erinnerungen waren einst Realität, aber jetzt sind sie nur noch Fragmente einer vergangenen und verlorenen Zeit. Ist dann aber die vergessene Zeit nur ein ferner Traum? Wir wissen alle, dass wie bei der Großmutter des Künstlers, die an Demenz leidet, die Vergangenheit,
2
an die sie sich ab und zu erinnert, lebendige Realität ist, und die Realität als Traum existieren kann.
Treffen von Traum und Realität In Bewitched oder Wonderland war der Fotograf Jung Yeondoo der Zauberer. Aber Träume Wirklichkeit werden zu lassen ist kein so einfaches Handwerk wie die Zauberkunst. Die Fantasie, die sich in Kunst verkörpert, wird manchmal durch Zeit und Anstrengungen, die den Prozess der Traumverwirklichung ausmachen, zur Realität. Der junge, Tee servierende Mann in Bewitched, der Jung Yeondoo 2003 in Instanbul traf und der mit ihm über seinen Traum sprach, wurde durch Jungs Werk bekannt und lernte dadurch einen Gönner kennen, der sein Studium unterstützte. So wurde sein Traum, Mathematiklehrer zu werden, schließlich Realität. Jungs künstlerisches Werk, Fantasien darzustellen, hallte als Echo durch die Welt und wirkte über die Verwirklichung des Traums eines Individuums hinaus als Initialzünder, der zur Realisierung der Träume von Milliarden von Betrachtern beitrug. In seinem jüngsten Werk Cine Magician (2009) tritt ein echter
Zauberkünstler auf. Die Magie-Vorstellung des bekannten koreanischen Magiers Lee Eun-Gyeol wird für einen 120 Minuten langen Film aufgenommen und die Performances, die dabei auf der Bühne aufgeführt werden, werden als Bewegtbilder in Echtzeit auf einer Leinwand über der Bühne präsentiert. Das Publikum erlebt also das „Gezeigte (Realität)“ und das „dahinter Verborgene (Nicht-Realität)“ gleichzeitig, denn wie die Hilfskräfte Bühnenrequisiten und Beleuchtung hierhin und dorthin positionieren, zeigt nicht die vollendete Form, sondern den Entstehungsprozess. Jung sagt: „Das Reizvolle am Theater ist, dass man die metaphysische und die reale Ebene gleichzeitig zum Ausdruck bringen kann.“ In Jungs Werken, in denen Träume reproduziert werden, wird die Realität zur Bühne für die Vorstellung. Oder beide existieren nebeneinander. Mit anderen Worten: Die Realität ist nicht länger der Friedhof unserer Träume, sondern eine Bühne der Performance, auf der Träume jederzeit beschworen und in konkrete Gestalt verwandelt werden können. Ist es das, was Yeondoo Jung, ein Evangelist der Träume, uns vermitteln möchte?
1 In Wonderland wurde eine Bilderserie, die die Fantasien von Kindergartenkindern zeigt, fotografisch nachgestellt.
2 In Boramae Dance Hall wurden die Fotos von formell gekleideten Paaren mittleren Alters, die in einem Ballsaal tanzen, zu einem Wandtapetenmuster gestaltet. In der Ausstellungshalle wurde eine Tanzveranstaltung mit Live-Musik veranstaltet.
Winter 2009 | Koreana 41
KUNSTHANDWERKER
Der Hüter der „Schuhe des Windes“: Schuhmachermeister
Hwang Hae-bong M
an bezeichnet oft die traditionelle koreanische Tracht Hanbok als „Kleid des Windes“. Es ist eine Bezeichnung, die die herrliche Linienführung dieses Kleidungsstücks, die den Spuren einer frischen Brise ähnelt, gut zum Ausdruck bringt. Die traditionellen koreanischen Schuhe Hwa (Stiefel) and Hye (Halbschuh) kann man auch als „Schuhe des Windes“ bezeichnen: Besonders beim Hye ähnelt die Linie, die vom Fußrücken bis zum Absatz führt, der Linie des Ärmels eines Jeogori (boleroartiges Oberteil des Hanbok) und das spitze Ende des Schuhs bringt die Form des Oessibeoseon, der traditionellen, schmalen gesteppten Stoffsocke, gut zum Ausdruck. Hwang Hae-bong ist der einzige traditionelle Schuhmachermeister Koreas und der Enkelsohn von Hwang Han-gap (1889-1982), der als traditioneller Schuhmacher der erste Träger des entsprechenden Immateriellen Kulturgutes war. Der Enkel führt nicht nur das Familienhandwerk weiter, sondern bringt auch die Schuhe, die nur noch in alten Dokumenten oder Museen existierten, aus ihrem Schattendasein ans Tageslicht.
Meines Anblicks überdrüssig/ wirst du gehen/ Sacht sende ich dich fort, schweigend./ Arme voll Azaleen/ vom Yaksan in Yongbyon/ werde ich pflücken, sie dir 42 Koreana | Winter 2009
auf den Weg streuen./ Auf die ausgelegten Blüten/ schreite leicht, sanft/ einen Fuß vor den anderen setzend./ Meines Anblicks überdrüssig/ wirst du gehen/ Wenn ich auch sterbe, vergieße ich keine Träne. (Übersetzung aus: http://bittegitte.blogspot.com/ 2008_03_01_archive.html)
Das Gedicht Azaleen des koreanischen Dichters Kim Sowol besingt die typische Gefühlswelt der Koreaner sehr gut: Die Schuhe, die der Geliebte im Gedicht trug, sind wahrscheinlich ein Paar Danghye, die mit einem Rankenmuster verziert waren. Dieses Gedicht wurde 1922 veröffentlicht. Zu dieser Zeit trugen die meisten Koreaner traditionelle Schuhe, auch wenn sich Gummischuhe in Danghye-Form (Schuhe mit Rankenmuster) oder Unhye-Form (Schuhe mit Wolkenmuster) schnell verbreiteten, nachdem 1919 in Pjöngjang eine Gummifakrik errichtet worden war. Zum Bild des Schreitens über zarte Azaleenblätter passen traditionelle schöne Hye mit feinem Linienschwung gut. Der Halbschuh Hye ähnelt einem kleinen Boot. Der Gang mit diesen Schuhen ist so leicht und fließend, als ob ein Boot auf dem Wasser gleitet. Hye beflügelt den Gang jedes Trägers.
Meister von Hye und Hwa Ein Hwahyejang (Meister für Hwa und
Hye) ist ein Schuhmacher, der traditionelle Schuhe fertigt. Das Wort ist eine Zusammensetzung aus Hwajang, der Bezeichnung für einen auf die Stiefel Hwa spezialisierten Schuhmachermeister, und Hyejang, einen Schuhmachermeister für die Halbschuhe Hye. Die Wurzeln von Hwa und Hye führen bis in die ferne Vergangenheit zurück. Es wird vermutet, dass in der nördlichen Region der koreanischen Halbinsel, in der eine Reitervolkkultur herrschte, entsprechend viele Stiefel getragen wurden, und in der südlichen Region, in der die Agrarkultur vorherrschte, Halbschuhe aus Leder oder Stroh getragen wurden. Diese traditionellen Schuhe wurden mit der Zeit nicht nur aus Notwendigkeit getragen, sondern sie wurden auch zum Statussymbol und Schönheitsobjekt. Man legte auch großen Wert auf das Verzieren des Schuhwerks. So wird berichtet, dass bereits in der Goguryeo-Zeit (37 v.Chr.-668 n. Chr.) Hwa mit Gold und Seide geschmückt wurden. In der Goguryeo-Zeit, die für ihre exquisiten Kunsthandwerkskünste berühmt ist, wurden Meister mit herausragenden handwerklichen Fertigkeiten systematisch vom Staat verwaltet. In der JoseonZeit wurden 16 Hwa-Meister und 14 HyeMeister von der zuständigen zentralen Regierungseinrichtung beschäftigt. Meister Hwang Han-gap fertigte die
1 Der traditionelle Schuhmachermeister Hwang Hae-bong hat die roten Jeokseok und die blauen Cheongseok, die Fußbekleidung, die die Könige und Königinnen von Joseon bei Feierlichkeiten trugen, detailgetreu nachgebildet.
1
2 Hwang hat sein Leben der Reproduktion verschiedener Sorten traditioneller Schuhe gewidmet, die schon fast völlig in Vergessenheit geraten waren.
Der traditionelle Schuhmachermeister Hwang Hae-bong erbte das Handwerk von seinem Großvater, der in der Späten Joseon-Zeit die Schuhe für den Königshof fertigte, und führt die Tradition der Herstellung von Lederschuhen bis zum heutigen Tag weiter. Mit seiner Begeisterung für historische Forschungen reproduzierte er viele traditionelle Schuhe, über die nur noch in alten Dokumenten zu lesen war oder die man nur noch im Museum besichtigen konnte. Park Hyun Sook Freiberufliche Schriftstellerin | Fotos: Ahn Hong-beom
Winter 2009 | Koreana 43
2
1 Lederschuhe für Damen, auch „Blumenschuhe“ (Kkotsin) genannt, sind mit dekorativen Mustern geschmückt.
2 Nachdem Sohle und Schaft zusammengenäht worden sind, wird der Schuh zur endgültigen Formgebung auf einen Leisten gezogen.
1
44 Koreana | Winter 2009
Schuhe der letzten Königsfamilie von Joseon wie z.B. die von König Gojong (1863-1907) an und war der erste Hwajang der modernen Zeit: Er wurde im Februar 1971 zum Träger des entsprechenden Immateriellen Kulturgutes bestimmt. Sein Enkelsohn Hwang Hae-bong (58) ist nun der einzige Hwahyejang Koreas. Er wurde im Februar 2004 zum Träger des Immateriellen Kulturgutes Nr. 116 desig niert. Er lernte zusammen mit seinem Vater Hwang Deung-yong das Handwerk von seinem Großvater, aber sein Vater starb vor Abschluss seiner Ausbildung, weshalb Hwang Hae-bong alleine den Weg des Hwahyejang fortsetzte. „Wenn man alleine arbeitet, muss man unendlich geduldig sein. Einsamkeit ist der Freund des Meisters. Selbst wenn man sein Handwerk schon lange Zeit ausübt, ist es sehr schwer, ein Stück zu fertigen, mit dem man wirklich zufrieden ist. Das ist der Weg des Meisters. Ein Meister ist ein Mensch, der sich nicht über Lob freut, sondern sich über die kleinen Fehler, die ihm ins Auge fallen, den Kopf zerbricht. Es ist keine Arbeit, mit der man viel Geld verdienen kann. Zu der Zeit, als mein Großvater noch jung war, waren die Zeiten noch gut. Nach dem Zusammenbruch des feudalen Ständesystems stieg zwar die Nachfrage der Bürger nach Dang hye und Unhye, die zuvor nur der Adelsschicht vorbehalten gewesen waren, aber diese Tendenz hielt nur eine kurze Zeit an.
Nachdem Gummischuhe und westliche Schuhe zusammen mit der westlichen Kultur eingeführt wurden, mussten viele Schuhmachermeister ihr Handwerk aufgeben. Unsere Familie hat fünf Generationen lang das Schuhmacherhandwerk ausgeübt: mein Ururgroßvater, mein Urgroßvater und sein Bruder, mein Großvater, mein Vater und ich – wir alle haben Hwa und Hye gefertigt. Es war aber dann ein Handwerk, das keiner mehr ausüben wollte. Ich dachte, dass Hwa und Hye in Korea verschwinden würden, wenn auch ich diesem Handwerk den Rücken kehre. Mit diesem verzweifelten Gedanken lernte ich es von meinem Großvater. Mit 16 habe ich begonnen.“ Meister Hwang übt sein Handwerk nun schon seit 42 Jahren aus. Er sagt, dass er nun langsam den Gedanken seines Großvaters, der die Handwerkstradition bewahrte, obwohl immer mehr Handwerker aufgaben, verstehen kann. Der Großvater half selbst im betagten Alter von über 90 noch dem Enkel bei der Arbeit. Großvater Hwang Han-gap konnte nur beschränkte Sorten von Schuhen wie Danghye oder Taesahye auf Bestellung anfertigen, weil das Geld nicht für die Beschaffung unterschiedlicher Materialien reichte. Aber Enkel Hwang Haebong konzentrierte sich darauf, traditionelle Schuhe, die man nur noch aus historischen Dokumenten oder Museen kennt, zu reproduzieren.
„Ich habe Jeokseok (rote Schuhe) und Cheongseok (blaue Schuhe) reproduziert, von denen nur noch drei Paare existierten. Es sind die Schuhe des Königs und der Königin der Joseon-Zeit und sie wurden nur bei großen Hoffestlichkeiten getragen. Nach dem Prinzip von Yin und Yang waren die roten Jeokseok für den König und die blauen Cheongseok für die Königin bestimmt. Ich habe das Sejong Museum und das Nationale Palastmuseum besucht und die blauen Cheongseok genau studiert. Die Außenseite des Cheongseok ist aus dunkelblauer Seide und die Innenseite aus weißem Baumwollstoff. An der Schuhspitze ist eine dekorative Quaste angebracht und es gibt einen Riemen, mit dem man den Schuh am Knöchel befestigen kann. Der Jeokseok hat die gleiche Form wie der Cheongseok, nur ist die Farbe Rot. Es existiert nur noch ein Paar Jeokseok, das im Elcanto Museum zu sehen ist. Mit den zwei Kunsthandwerksstücken Cheongseok und Jeokseok habe ich 1999 den Präsidentenpreis beim Wettbewerb für Traditionelles Handwerk gewonnen.“ Hwangs tiefer Enthusiasmus für die Erforschung von traditionellem Schuhwerk, das zu verschwinden drohte, führte zur Reproduktion vieler traditioneller Schuhe wie zum Beispiel Mokhwa (Männerschuhe aus Hirschleder mit Holzsohle), Heukhye (schwarze Flanellschuhe der buddhistischen Nonnen), Yuhye (Regenstiefel aus eingeöltem Leder) usw.
72 Herstellungsschritte
2
Hwang Hae-bong sagt, dass es über 20 Sorten von Schuhen gibt, die man in der Joseon-Zeit getragen hat. Sie unterWinter 2009 | Koreana 45
„Wenn man das Muster auf das Leder legt und das Lederstück herausschneidet, muss man darauf achten, dass man es mit gleichmäßiger Kraft und Geschwindigkeit tut. Bei diesem Arbeitsschritt gibt es zwar noch keine Probleme, aber beim Nähen mit feinen Stichen tun mir schon die Augen weh. Das ist nur natürlich, da ich bald schon sechzig werde. Aber ich mache mir darüber keine Sorgen, da mein zweiter Sohn mir versprochen hat, das Familienhandwerk weiterzuführen.“
scheiden sich nach dem Geschlecht des Trägers, nach gesellschaftlichem Status, aber auch nach Ort und Anlass. Der König und die Königin trugen die oben erwähnten roten und blauen Seok und die Hofbeamten trugen unter ihrer Robe die langen stiefelartigen Hwa. Hwa fertigte man aus Hirschleder, Kalbsleder, Seide usw. an und es gab auch eine wasserfeste Variante, die Suhwaja. Hye waren Halbschuhe, die den Fußrücken nur knapp bedeckten und meistens von Angehörigen der Oberschicht getragen wurden. Es gibt verschiedene Sorten und in der Form unterscheiden sie sich auch jeweils nach Geschlecht des Trägers. In der mittleren Joseon-Zeit trugen adelige Männer Taesahye, die Prosperität symbolisierten, während davor meistens Danghye mit einer feminineren Form getragen wurden. Der Seitenschaft der Taesahye ist niedrig und unverziert, meist nur gestärkt mit Seide oder Lammlederstreifen. Das Blatt ist breit und hoch, und der hintere Teil des Schuhs wurde mit einem Rankenmuster verziert. Danghye sind Frauenschuhe mit einem feinen Rankenmuster. Aber die meisten Frauen trugen Unhye, die an der Schuhspitze ein Bambusmuster aufwiesen. Die Schuhspitze ist so spitz, dass man die Schuhe auch Schwalbenschnabelschuhe nannte. Es gibt zudem auch Heukpihye, die aus schwarzen Leder gefertigt wurden, Yuhye, die eingeölt und an Regentagen getragen wurden, Onhye, die zum Warmhalten mit einem flanellartigen Stoff gefüttert waren usw. Einfache Bürger trugen Schuhe aus Stroh (Jipsin) und Hanffasersträngen (Mituri). „Will man ein Paar Unhye fertigen, braucht es allein schon fünf Tage, bis man das Material besorgt hat. Wenn man 6-7 Stunden am Tag arbeitet, dauert es wenigstens vier bis sieben Tage, bis ein 46 Koreana | Winter 2009
Paar fertig ist. Man muss alle 72 Arbeitsschritte manuell erledigen. Jeder Schritt verlangt geübte Handgriffe, aber man muss besonders darauf achten, dass der obere Teil des Schuhs und die Schuhsohle gut aufeinander passen. Es bedarf besonderer Konzentration, wenn man den oberen und unteren Teil des Schuhs zusammennäht. Bei den traditionellen Schuhen ist die harmonische Ausgeglichenheit entscheidend. Aber wenn man beim Zusammennähen nicht sauber arbeitet, wird dieses Gleichgewicht nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht. Da der obere Teil der Schuhe größer ist als die Schuhsohle, muss man im oberen Teil größere Nadelstiche machen als an der Sohle und so diese beiden Teile zusammennähen. Dabei kann man leicht Fehler machen. Dann stimmt das Gleichgewicht nicht und der Mittelpunkt verrutscht. In dem Fall wird die Schuhspitze krumm.“ Die feine und flotte Linie, die im niedrigen Teil des Blattes beginnt und weiter bis zum hinteren Teil des Schuhs reicht, ist ein Merkmal des koreanischen Hye. Es ist möglich, eine ausgeprägte Form zu schaffen, weil das harte Leder, der Zwischenschaft, beklebt wird. Dafür wird Leinen oder Ramie als Innenschaft verwendet, oder aber Leinen und Hanffaserstoff, die zu mehreren Schichten zusammengelegt und gestärkt und anschließend drei Tage lang Naturwind, Sonne und Morgentau ausgesetzt werden. Der Innenschaft, der mehrmals feucht und wieder getrocknet wird, ist entsprechend hart. Darauf legt man das Muster und schneidet den Schaft entsprechend zu. Danach schneidet man den Stoff, zum Beispiel Seide, für den Außenschaft zurecht und klebt ihn auf. Auf den so vorbereiteten Schaft näht man um den Rand ein gestärktes Stoffband
1 Bei Damenschuhen sorgen dekorative Zierstickereien wie die zehn Symbole der Langlebigkeit für eine elegante Note.
2 Traditionelle koreanische Schuhe werden mit Nadeln aus Wildschweinborsten genäht, da Metallnadeln zu starr sind und unschöne Male auf den Schuhen hinterlassen können.
3 Im letzten Arbeitsschritt wird der Schuh auf den Leisten gezogen und mit einem Holzhammer in Form geklopft.
1
2
als Schrägstreifen. Dann überzieht man den Innenschaft mit einem Stoff, der die Form des Schuhs bewahren soll. Danach schneidet man einen weiteren Futterstoff zurecht und befestigt ihn gut mit Reisleim an der Innenseite. Die Nadel, mit der man die Schuhspitze, den hinteren Teil, den oberen Teil und die Schuhsohle näht, ist eine Borste aus dem Nacken des Wildschweins. Hwang sagt: „Eine Nadel aus Metall beschädigt das Leder und lässt sich nicht krümmen. Aber eine Borste ist stark und sehr flexibel zugleich, sodass man sie leicht biegen kann. Es gibt keine bessere Nadel als Wildschweinborstennadeln, um traditionelle Schuhe zu fertigen.“ Er zeigt uns eine Nadel aus Wildschweinborste. Man befestigt den Faden nicht an der Borstenwurzel, sondern an der Spitze. Man kann den Faden, indem man ihn entsprechend dreht, auf natürliche Weise an der Nadel befestigen. Nachdem der Schaft in Dutzenden von Arbeitsschritten gefertigt wurde, schneidet man die untere und mittlere Schuhsohle zurecht. Danach näht man Schaft und Sohle aneinander. Anschließend kommt der Schuh auf den hölzernen Leisten und wird mit Holzhammerschlägen in die gewünschte Form gebracht. Abschließend trocknet man die Schuhe über Kohlenfeuer und bestreicht die Nahtstellen mit Talkum, damit sie sauber aussehen. Wenn man diesen Schritt beendet hat, ist ein Unhye-Paar fertig.
Sechs Generationen Schuhmachermeister „Der Arbeitsschritt, bei dem man das Muster auflegt und das Leder mit einem Messer ausschneidet‚ muss schnell und exakt ausgeführt werden. Als ich noch jung war, habe ich auch dickes Leder mit geübten Handgriffen geschnitten. Bei diesem Arbeitsschritt muss man darauf achten, dass man ihn mit gleichmäßiger Kraft und Geschwindigkeit ausführt. Deswegen ist es wichtig, dass man Kraft und Fingergeschick besitzt. Bei diesem Arbeitsschritt gibt es zwar noch keine Probleme, aber beim Nähen mit feinen Stichen tun mir schon die Augen weh. Das ist nur natür-
3
lich, da ich bald schon sechzig werde. Aber ich mache mir darüber keine Sorgen, da mein zweiter Sohn mir versprochen hat, das Familienhandwerk weiterzuführen.“ Die beiden Söhne von Hwang Haebong, Deok-seong (31) und Deok-jin (29), sind seine großen Unterstützer. Sie haben schon von klein auf gesehen, wie ihr Vater arbeitete. Die Familie hat nach einer gemeinsamen Beratung beschlossen, dass der zweite Sohn, der die geschickteren Hände besitzt, das Handwerk übernehmen sollte. Damit wird das Handwerk der einzigen traditionellen Schuhmachermeisterfamilie in die sechs te Generation übergehen. Als wir darum baten, Fotos von Meister Hwang und Deok-jin bei der Arbeit aufnehmen zu dürfen, bekam das Gesicht des alten Meisters
einen strengen Zug. Hwang erklärte: „Er erlernt noch die 72 Arbeitsschritte. Man kann doch nicht als Kunsthandwerker vor der Kamera stehen, wenn man nicht mal ein einziges Paar Schuhe alleine gefertigt hat.“ Er fügte hinzu: „Bei unseren traditionellen Schuhen wird keine linke und rechte Seite unterschieden. Beide Schuhe sind völlig symmetrisch. Erst wenn man diese Schuhe trägt, werden sie in Anpassung an den Träger in einen linken und einen rechten Schuh geformt. Man sagt, dass erst wenn der Leim fest ist, die Schuhe ihre Form annehmen.“ Meister Hwang meint wohl, dass sein Sohn, der mit seinem Handwerk erst angefangen hat, nur nach unzähligen Bemühungen ein gefestigter Meister seines Faches werden wird.
Winter 2009 | Koreana 47
MEISTERWERKE
D
as Feuer, das den Menschen mit Licht, Wärme und Mittel zur Nahrungszubereitung die grundlegenden Lebensbedingungen bot, war die treibende Kraft zur Entwicklung der Zivilisation. Der Leuchtfunktion des Feuers kam zusätzlich noch eine religiöse Bedeutung zu, weshalb das Feuer bei religiösen Zeremonien einen sehr wichtigen Stellenwert einnahm. Es wird vermutet, dass das Licht des Feuers die Heiligkeit und das Mysterium der religiösen Lehre in sich beschloss und darüber hinaus ihre Verbreitung symbolisierte. Im Buddhismus steht die Laterne für Weisheit, Erlösung, Mitleid, korrektes Verhalten und Wiedergeburt. Ihre Bedeutung lässt sich auch leicht daran ermessen, dass unter den verschiedenen Ritualen der Buddha-Verehrung das Anzünden einer Laterne vor dem Altar Buddhas als edelste Form der Opferung galt.
Die kauernden Löwen Seit der Einführung des Buddhismus auf der koreanischen Halbinsel sind neben Buddha-Statuen und Steinpagoden Steinlaternen als Lichtquelle wesentlicher Bestandteil jedes buddhistischen Tempels. Bis heute sind etwa 280 Steinlaternen, einschließlich nur noch teilweise erhaltener, in den heutzutage noch bestehenden Tempelstätten oder auf dem Gelände ehemaliger Tempelstätten entdeckt worden. Die Löwenpaar-Steinlaterne von der Tempelstätte Godal-sa (Nationalschatz Nr. 282) war einer der grundlegendsten Gegenstände im Glaubensleben der Buddhisten. Diese Steinlaterne befand sich ursprünglich in der Tempelstätte Godal-sa in Sanggyo-ri, Bungnae-myeon, Yeoju-gun in der Provinz Gyeonggi-do, wurde aber im Jahr 1959 in den Palast Gyeongbok-gung an der Straße Sejongno im Stadtbezirk Jongno-
gu in der Hauptstadt Seoul gebracht. Im Jahr 2000 wurde im Rahmen der vom Gijeon Institute of Cultural Properties durchgeführten Ausgrabungsarbeiten in der Tempelstätte Godal-sa das Laternendach aus den Bruchstücken rekonstruiert. Heute ist die Steinlaterne im koreanischen Nationalmuseum ausgestellt. Von der Basis bis zum Dachstein wurde sie in ihrer gesamten Form vollständig rekonstruiert, nur das Dachspitzenornament fehlte. Betrachten wir die Besonderheiten dieser Steinlaterne etwas näher. Das Fundament bildet ein quadratischer Stein, dessen Seiten jeweils mit zwei Elefantenaugen-Mustern verziert sind. Auf diesem Fundament erhebt sich der untere Sockel auf einer quadratischen Grundplatte mit den zwei Steinlöwen. Die beiden Löwen kauern mit nach vorne gestreckten Pfoten und einander zugewandten Gesichtern auf der Grundplatte. Die Haltung der beiden Tiere ist bemerkenswert, da die Löwenpaar-Steinlaternen aus dem vorausgegangenen Vereinigten Silla-Reich (668-935) zwei einander gegenüberstehende Löwen zeigen, die mit ihren Vorderpfoten den Laternenkopf stützen und mit ihren Hinterpfoten fest auf der Grundplatte stehen. Die kauernden Löwen dieser Steinlaterne aus der Goyreo-Zeit (918-1392) vemitteln mit ihren ordentlich angeordneten vier Pfoten, den gepflegten Mähnen und den fest zusammengebissenen Zähnen einen eher ruhig-gefassten Eindruck statt einen dynamischen. Diese Anordnung der beiden Tiere kann wohl aus der Absicht erklärt werden, auf ihren Rücken eine Säule anzubringen. Hätte man die Löwen wie in der Silla-Zeit aufrecht auf ihre beiden Hinterpfoten gestellt, hätte der gesamte Oberbau einschließlich der Säule instabil gewirkt. Um größere strukturelle Stabilität und einen Eindruck von Züchtigkeit und Ruhe zu erzielen, brachte man die Löwen in eine kauernde
Steinlaterne mit kauernden Löwen von der Tempelstätte Godal-sa
Die Steinlaterne auf dem Rücken zweier kauernder Löwen, deren Gestalt einen Eindruck der Züchtigkeit und Ruhe vermittelt, belegt die Kreativität und die neue künstlerische Wahrnehmung der Menschen der Goryeo-Zeit für Steinbildhauerei. Obwohl dies die einzige bekannte Steinlaterne mit einem unteren Sockel in Löwenpaar-Gestalt aus dem Goryeo-Reich ist, findet sich der Stil auch in der nachfolgenden Joseon-Zeit. Park Kyoung-shik Professor für Geschichtswissenschaft, Dankook University Fotos: National Museum of Korea
48 Koreana | Winter 2009
Haltung, womit einerseits die Löwenpaar-Tradition in der Steinlaternen-Bildhauerei fortgesetzt, andererseits aber auch eine neue Stilvariante geschaffen wurde. Der Zwischenraum zwischen den beiden Löwenkörpern und dem rückwärtigen Teil ist mit einem durchgängig mit Wolkenmuster verzierten Stützelement gefüllt, dessen oberes Ende einen stabilen, flachen Unterbau für die Säule bildet. Auf diese Weise entsteht der Gesamteindruck, dass der Löwen-Sockel den Säulenkörper zwar stützt, er aber tatsächlich von den Wolkenmustern getragen wird.
Wandel des Steinlaternenstils Der breite, scheibenförmige Aufsatz auf der Stütze mit den Löwen sichert die Stabilität, wobei der mit Wolkenmotiven geschmückte, sich leicht verjüngende obere Teil des Aufsatzes den Säulenkörper stützt. Dieser Säulenkörper besteht aus einem symmetrischen oberen und unteren Teil, die durch eine überstehende quadratische Steinplatte miteinander verbunden sind. Die Form weist Ähnlichkeiten mit dem Laternenstil des 9. Jahrhunderts auf, dessen Kennzeichen ein bauchiger, trommelartiger mittlerer Säulenteil war. Die obere Fläche dieser trapezartigen Struktur ist eben geschnitten, so dass sie die Steinplatte darauf stabil stützen kann, und die vier Seiten sind mit Wolkenmotiven dekoriert. Die große quadratische Steinplatte sorgt für eine stabile Gesamtstruktur. Aus der Oberfläche der Steinplatte ragt ein eckiges Stück auf, das den oberen Säulenteil stützt. Die vier Seiten dieses umgekehrten
Das Löwenpaar-Motiv, das typisch für die Steinlaternen der Zeit des Vereinigten Silla-Reichs ist, findet sich in der Goryeo-Zeit normalerweise nicht mehr, ausgenommen bei dieser Steinlaterne, die in der Tempelstätte Godal-sa ausgegraben wurde. Im Gegensatz zu den Löwen-Steinlaternen aus der Silla-Zeit zeigt diese Laterne zwei Löwen in kauernder Haltung, was die Stabilität der Gesamtstruktur erhöht.
Winter 2009 | Koreana 49
trapezförmigen Steins sind mit einem floralen Arabeskenmuster verziert und auf den Ecken sind Blumen- und Blättermotive eingraviert, so dass das Trapez wie ein unregelmäßiges Achteck aussieht. Der obere Sockel besteht aus einem unregelmäßig geschnittenen achteckigen Stein mit einem zweigestuften Unterteil. Auf den acht Flächen der vier Seiten und Kanten sind jeweils zwei zusammengesetzte Lotusblütenblätter, die nach oben gerichtet sind, eingraviert und zwischen den Blumenmotiven befinden sich Lotusblätter. Auf der oberen Fläche des oberen Sockels befindet sich ein niedriger eckiger Aufsatz für den Laternenkopf. Der Laternenkopf weist eine achteckige Form mit vier fensterartigen Öffnungen an den größeren Seiten auf. Die vier kleineren Seiten sind nach innen eingeschnitten und sehen wie Ecksäulen aus. Abgesehen von der unregelmäßigen achteckigen Form entspricht das Laternendach dem allgemein üblichen Steinlaternendachstil. Zwar sind fast alle Ecken beschädigt, doch lässt sich die ursprüngliche Form noch gut erkennen. Unter dem Dachvorsprung befindet sich als einzige Dekoration ein dreistufiger, eckiger Basisrahmen. Der Kontrast zwischen der leichten Neigung des Daches und den deutlich herausragenden Dachkanten vermittelt einen beschwingten Eindruck. Das Oberteil des Daches ist mit einem runden Dekorband aus 16 nach unten gerichteten Lotusblättern geschmückt. Der Dachspitzendekor ist nicht mehr erhalten. Diese Steinlaterne ist ein Beispiel für den für die Goryeo-Zeit charakteristischen Stil, der Löwenpaar und trommelartigen mittleren Säulenaufbau aus dem Vereinigten Silla-Reich übernahm, aber zugleich auch neue quadratische und achteckige Kompositionselemente hinzufügte. Außerdem ist es die einzige bekannte Steinlaterne mit
zwei Löwen, die im Goryeo-Zeitalter hergestellt wurde. Dieser Stil tradierte sich in die Joseon-Zeit (1392-1910) weiter, wie die Steinlaternen der Tempelstätten Hoeam-sa in Yangju und Cheongnyong-sa in Jungwon zeigen. Obwohl die Goryeo-Steinlaterne in punkto bildhauerische Techniken zum Teil hinter den Laternen aus dem Vereinigten Silla-Reich zurückbleibt, ist sie doch unter dem Aspekt der Tradierung und Weiterentwicklung der Kultur in Bezug auf ihre spezifische Charakteristika und Kreativität von bemerkenswerter Bedeutung. Der Gesamtstil lässt vermuten, dass sie in der frühen Goryeo-Zeit im 10. Jahrhundert hergestellt wurde.
Löwen in der buddhistischen Kunst Koreas Löwen, die zu den wildesten Tieren auf der Welt gehören, wurden in Indien in den Sockel von BuddhaStatuen eingraviert und entwickelten sich so zu einem wichtigen künstlerischen Motiv. Die Verwendung von Löwen in der buddhistischen Kunst geht also auf die indische buddhistische Kultur zurück. Indem man diesen König der Tiere die Buddha-Statuen stützen ließ, brachte man die unverletzbare Heiligkeit Buddhas und dessen Verehrung zum Ausdruck. Mit der Verbreitung des Buddhismus wurde dieser Stil über China auf die koreanische Halbinsel weitergeleitet. Der Sockel der ältesten erhaltenen Buddha-Skulptur in Korea, des Sitzenden Bronze-Buddhas von Ttukseom, ist mit Löwen geschmückt. Auch der Sockel der BuddhaSkulptur aus der Tempelstätte Janghang-ri, die auf das 8. Jahrhundert datiert, ist mit Löwen verziert. In der Zeit des Vereinigten Silla-Reiches erschienen im 8. Jahrhundert vermehrt Löwenmotive, so auf dem Sockel der Steinpagode Dabotap des Tempels Bulguk-sa und der dreistöckigen Steinpagode mit vier Löwen (Sasajasamcheungseoktap) des Tempels Hwaeom-sa. Zu Ende des Vereinigten Silla-Reichs im 9. Jahrhundert
Die Gestaltungsart der beiden Löwen, die in kauernder Haltung die Laterne stützen, weicht von der im Vereinigten Silla-Reich standardisierten Form ab. Dahinter scheint der Gedanke zu stehen, dass die kauernde Haltung der Struktur größere Stabilität verleiht als wenn die Tiger auf den Hinterpfoten stehend den Laternenkopf mit den Vorderpfoten stützen.
50 Koreana | Winter 2009
wurden auch die Sockel von Steinpagoden, in denen Sarira eingeschreint waren, mit Löwen geschmückt, womit sich der Löwe als wichtiges Dekormotiv auf Steinkunstwerken der verschiedensten Art etablierte. Vor diesem Hintergrund kamen die Handwerksmeister des Vereinigten Silla-Reichs auf die brillante Idee, den Säulenteil der Laterne durch Löwen zu ersetzen. Bis dahin war die Struktur der Steinlaternen mit ihrem achteckigen unteren Sockel, auf dem sich ein Säulenkörper erhob, von Einfachheit und Schlichtheit geprägt. Indem man jetzt den Säulenkörper in Form von aufrecht stehenden Löwen, die den Laternenkopf stützten, gestaltete, wurde ein Laternenstil geschaffen, der einzigartig auf der Welt war. Diese Laterne ist genau wie die Steinpagode Dabotap ein Kunstwerk, das aus der buddhistischen Frömmigkeit, der Leidenschaft und dem künstlerischen Empfinden der Handwerksmeister der Zeit entstand. Wie bereits erwähnt, weicht die in der Goryeo-Zeit entwickelte neue Gestaltungsart mit den beiden Löwen, die in kauernder Haltung die Laterne stützen, von der standardisierten Form des Vereinigten Silla-Reichs ab. Dahinter scheint der Gedanke zu stehen, dass die kauernde Haltung der Struktur größere Stabilität verleiht als wenn die Löwen auf den Hinterpfoten stehend den Laternenkopf mit den Vorderpfoten stützen. Während die Löwen in der Zeit des Vereinigten Silla-Reichs als Säulenkörper verwendet wurden, findet sich bei der Steinlaterne aus dem Tempel Godal-sa ein zusätzliches Säulenelement. Die beiden Löwen waren von Anfang an für den unteren Sockel geplant. Während das Löwenpaar im Vereinigten Silla-Reich einander gegenübersteht, sitzt das Löwenpaar vom Tempel Godal-sa in kauernder
Haltung nebeneinander, wobei die Köpfe wie im vertrauten Gespräch einander zugewandt sind. Das Arrangement der Löwen wurde zwar aus der Zeit des Vereinigten Silla entlehnt, doch an diesem kreativen Kunstwerk ist ein neuer Kunstsinn der Menschen der Goryeo-Zeit für Steinkunstwerke zu erkennen. In dieser Hinsicht ist die Steinlaterne ein einzigartiges Beispiel für die Weiterführung der Tradition einerseits und die charakteristische Weiterentwicklung nach neuen ästhetischen Kriterien andererseits. Bemerkenswert ist zudem, dass man neben der besonderen Haltung der Löwen auch am Sockelmittelteil ein neues Stilmerkmal einführte. Steinlaternen mit herausragendem trommelförmigen Mittelteil des Säulenkörpers sind auch ein neues Stilelement des 9. Jahrhunderts. Bei der Steinlaterne aus Godal-sa wurde jedoch die runde, scheibenartige Steinplatte in der Mitte, also die Achse der vertikal symmetrischen Struktur, in Quadratform gebracht. Das heißt, die LöwenpaarSteinlaterne aus Godal-sa beweist den eigenen Kunstsinn der Menschen der Goryeo-Zeit, die die im 9. Jahrhundert vorhandenen Stilemelente zu einem neuen Stil verbanden. Laternen gehören zu den grundlegenden Aspekten der buddhistischen Architektur und wurden in buddhistischen Ländern in entsprechend großer Zahl hergestellt. Korea ist jedoch das einzige Land, das Steinlaternen entwickelte und über lange Zeiträume der Geschichte herstellte. Vor allem das Löwenpaar-Motiv ist spezifisch koreanisch und findet sich weder in Indien, dem Ursprungsland des Buddhismus, noch in China, das die ostasiatische Geschichte und Kultur maßgeblich prägte. Unter den zahlreichen Steinkunstwerken sind daher unter anderem die Steinlaternen ein typisch buddhistisches, aber zugleich auch ein sehr typisch koreanisches materielles Kulturgut.
Winter 2009 | Koreana 51
KUNSTKRITIK
1
Namhansanseong:
ein neuer Versuch der Musical-Schöpfung
Namhansanseong (Die Festung Namhansanseong) ist die musikalische Bearbeitung eines bekannten Romans mit den ernsthaften Themen Konflikt, Leiden und Konfrontation der Regierungsmitglieder am Königshof in Zeiten der nationalen Krise, das heißt, es ist ein Werk, das einen gewichtigen Inhalt unterhaltsam verpackt und daher bereits vor der Uraufführung für Furore sorgte. Im Folgenden wird eine Einschätzung der Bedeutung und des Erfolgs von Namhansanseong vor dem Hintergrund der Strömungen im Musical-Bereich im In- und Ausland versucht. Won Jong-Won Professor, Soon Chun Hyang University, Musical-Kritiker Fotos: Jung Hyung-woo
1 Jeong Myeong-su, ein Dolmetscher im Dienste des koreanischen Königshofes, verriet sein Vaterland, indem er ein General im feindlichen Heer des chinesischen Qing-Dynastie wurde, die auf der koreanischen Halbinsel einfiel. Yesung, ein beliebter koreanischer Star, spielte die Rolle von Jeong Myeong-su.
2 Während des Einfalls der Qing-Truppen suchte König Injo Zuflucht in der Festung Namhansanseong. 52 Koreana | Winter 2009
2
E
in Tag im Dezember 1636. Es ist ein kalter Wintertag, an dem die Schneeflocken hin und her wirbeln. Der neue Machthaber auf chinesischem Boden, Hong Taiji, der erste Kaiser der aufsteigenden neuen Qing-Dynastie, hat dem Königreich Joseon den Krieg erklärt und beginnt mit seinem Vorstoß nach Süden. Der Joseon-Hof, der mit der vorausgegangenen Ming-Dynastie freundschaftliche Beziehungen unterhalten hat, kann sich aufgrund seiner alten diplomatischen Verbundenheit nicht auf einen Handlungskurs einigen und wird schließlich quasi am Kragen gepackt aufs Schlachtfeld gezerrt. Im Durcheinander der Flüchtlingszüge befindet sich auch der des Königs und seines Gefolges, der sich zur königlichen Fluchtburg, der Festung Namhansanseong, begibt. Obwohl es ihm nicht leicht fällt, zwingt sich König Injo zu einem Lächeln und sagt in gelassenem, selbstbewusstem Ton: „Lasst uns zur Festung gehen und die schöne Schneelandschaft genießen. Lasst uns dort ein Nickerchen machen und dann zurückkehren.“ Das ist eine Szene aus dem Musical Namhansanseong . Mit der Invasion von Qing-China als Stoff thematisiert es Leid und Elend des Landes in einer Zeit der akuten Existenzbedrohung. Es scheint eine zu schwere und düstere Geschichte für ein Musical zu sein, jedoch hatte sie bereits als Kinofilm und TV-Serie gro ßen Erfolg verzeichnet und viel Aufmerksamkeit gewonnen, so
dass das Thema für das koreanische Publikum auch als Musical vertont nicht fremd ist. Die letzte Szene vor allem, in der König Injo gezwungen wird, als Geste der Unterwerfung einen Kotau zu vollziehen und dabei seine Stirn so fest auf den Boden zu schlagen, dass sie blutet, erweckt jedermanns tiefstes Mitgefühl. Sie weckt dieselben Gefühle wie die Schlussszene des koreanischen Musicals Die letzte Kaiserin, in der die Kaiserin als Geist im weißem Trauergewand erscheint und das Lied „Steh auf, mein Volk!“ singt.
Dramatisierung von Bestsellern Das Musical Namhansanseong behandelt zwar einen historischen Stoff, ist allerdings die Vertonung eines Romans: Die MusicalProduktion basiert auf dem gleichnamigen Roman von Kim Hun, der 2007 veröffentlicht wurde und bis heute große Beliebtheit genießt. Dieses literarische Werk ist also Grundstein und Ausgangspunkt des Musicals. Auf der Pressekonferenz zur Bekanntgabe der Musical-Produktion erklärte der Autor in einem Interview, dass ihn „als Kind bei einer Klassenfahrt die Erzählung der Lehrerin über die tragische Namhansanseong-Geschichte sehr beeindruckte“. Dieses persönliche Erlebnis und Interesse nahm Jahre später in Form eines Romans Gestalt an. Das große Dilemma des Zeitalters „Überleben durch Sterben oder durch ÜberWinter 2009 | Koreana 53
1 1 D ie aufrecht stehende Gestalt stellt Hong Taiji, den Kaiser der chinesischen Qing-Dynastie, dar, während die Gestalt am Boden, die einen Kotau ausführt, für den Joseon-König Injo steht, der sich unterwerfen musste.
2 I njo sinniert über die Argumente der Pro-China- und der Anti-China-Faktionen unter seinen Beratern, die unter dem beherrschenden Thema stehen „Überleben durch Sterben oder durch Überleben sterben?“
3 D ie Hauptfigur O Dal-je steht an der Festungsmauer und klagt über die gefährliche Situation Joseons. Das Bühnenbild der Festung bestach durch Einfachheit bei gleichzeitig dramatischem Effekt.
54 Koreana | Winter 2009
2
leben sterben? Durch den Tod Erhabenheit erlangen oder durch das Überleben erniedrigt werden?“ schlägt auch heute noch in den Herzen des Publikums starke Saiten an. Die Adaption von Bestsellerromanen für die Bühne ist ein weltweit populärer Trend in der Theaterbranche. Das Erfolgsmusical Les Misérables , das seit 24 Jahren täglich aufgeführt wird und somit weltweit das am längsten laufende Musical ist, sowie Notre Dame de Paris , dessen koreanische Adaptation auf große Resonanz gestoßen ist, sind z.B. Vertonungen der gleichnamigen Bestsellerromane des großen Schriftstellers Victor Marie Hugo. Das Phantom der Oper basiert auf einem 1909 veröffentlichten Kriminalroman des Franzosen Gaston Leroux, während Cats auf den Gedichtkreis Old Possum’s Book of Practical Cats von T.S. Eliot zurückgeht. Das koreanische Musical Die letzte Kaiserin ist ebenfalls die Vertonung eines Romans und zwar des Romans Fuchsjagd von Yi Mun-yol. Allein diese Beispiele belegen, dass Inszenierungen von Romanen weder eine seltene noch eine seltsame Sache sind, sondern eher als Erfolgsrezept für eine Musical-Produktion bezeichnet werden können. Wenn ein Roman als Bühnenstück Gestalt annimmt, gewinnen die Worte auf dem Papier durch das Bild von Bühne und Schauspielern an größerer Lebendigkeit und realer Präsenz, und das Publikum, das die Geschichte bereits aus Büchern kennt, kann erleben, wie seine innere Vorstellungswelt vor seinen Augen zu Leben erweckt wird. Es ist umgekehrt aber auch ein schönes Erlebnis, eine Geschichte erst als Musical kennen zu lernen und
sie danach zu lesen, um dann im Buch oft bewegende Hintergrundmotive, die auf der Bühne nicht erscheinen, zu finden. Bei der Vertonung eines Romans für eine Musical-Bühne ist also der Roman der Ausgangspunkt des Bühnenstücks und das Musical wiederum ein Anlass zum Aufschlagen des Romans. Der Bühne steht eine Story zur Verfügung, deren Popularität bereits erwiesen ist, und der Roman kann vom Marketingeffekt des Musicals profitieren, da durch die Aufführungen neue Leser geworben werden können. Also schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe.
Interpretation des Originals Jedoch wird nicht aus jedem Bestsellerroman, den man mit Musik, Gesang, Tanz und Choreografie auf die Bühne bringt, auch ein „gutes“ Musical. Ein Roman bzw. eine Geschichte bietet für die Produktion eines Musicals zwar Ausgangspunkt und thematische Motive, aber bei der Bühnenbearbeitung stellt sich die neue Herausforderung, die Vorteile und den Reiz eines musikalischen Bühnenstücks herauszuarbeiten. Man kann z.B. statt der narrativen Struktur des Romans zu folgen, das Handlungsgefüge neu arrangieren oder durch Neuinterpretation der Figuren ein Musical schaffen, dessen Inhalt zwar bekannt ist, das bei genauer Betrachtung aber keine spiegelgleiche Geschichte erzählt, sondern einen ganz eigenen Charme aufweist, womit das Musical einen höheren Grad an dramaturgischer Vollkommenheit erreichen kann. Gerade die Differenzierung in der Interpretation macht die Attraktivität des Konzepts „One Source, Multiple Use (OSMU)“ in der modernen Kulturindustrie aus, die sich unbestrittenermaßen durch die ganz spezielle Geschmacksnote der veränderten Geschichte ergibt. Der größte Reiz des Musicals Namhansanseong liegt in der Reinterpretation des Romans durch die Neugewichtung der Hauptfiguren. Die Geschichte wurde aus einem anderen Blickwinkel experimentell neu interpretiert: O Dal-je, einer der drei gelehrten Hofbeamten, die bis zur letzten Stunde auf Widerstand gegen Qing-China bestehen, und der im Roman nur eine Nebenfigur ist, wurde auf der Bühne in den Mittelpunkt der Handlung gestellt und tritt am Anfang sowie am Schluss der Aufführung auf. Dadurch konnten romantische Elemente als wichtige Handlungsäste ins Musical eingearbeitet werden, so z.B die zärtliche Liebe zwischen O Dal-je und der Kurtisane Maehyang, die zu Spannungen zwischen Maehyang und Dame Nam, der schwangeren Frau von O Dal-je, führt, Maehyangs Aufopferung, oder die Dreiecksbeziehung zwischen Jeong Myeong-su, einem Koreaner, der zum Feind überläuft und als General der chinesischen Invasoren das Schwert gegen sein Heimatland erhebt, Maehyang und O Dal-je. Das Bühnenstück dürfte sich damit zwar von der tragisch-schweren Schönheit, die dem Roman eigen ist, entfernt haben, vom Musical-Standpunkt aus gesehen fungiert jedoch die romantische Bereicherung als wichtiger Hintergrund bzw. Anlass, der das Einfühlungsvermögen des Publikums in die Geschichte steigert. Ein besonderer Reiz des Musicals liegt auch in der Darstellung
3
der Schlacht von Namhansamseong, bei der auf dramatischgeniale Weise das Leben des einfachen Volkes porträtiert wird. Die humorvollen Späße und die Musik des traditionellen Wandertheaters verleihen der Geschichte, die sonst nur als schwer und ernsthaft empfunden werden könnte, einen gewissen Freiraum und bieten den Musicalbesuchern eine kleine Erholungspause. Die einfachen Bürger machen sich ohne bestimmtes Ziel auf die Flucht und müssen das Leid ertragen, im Krieg den Vater zu verlieren, über die Leichen der Soldaten zur Festung hinaufzusteigen, oder von den Soldaten des Qing-Reichs vergewaltigt zu werden. Das Gewicht des Elends, das diese einfachen Menschen auf sich nehmen müssen, ist zwar alles andere als leicht, sie werden jedoch als Wesen dargestellt, die selbst in einer solch entmutigenden und schwierigen Situation noch Lieder der Hoffnung singen. Es ist, als könnte man während des Musicals die starke Kraft des koreanischen Volkes spüren, das trotz Leid und Schmerz des Krieges überleben konnte, nein, musste, weshalb die Zuschauer ein hohes Maß an Mitleid empfinden. Dieses Musical ist eben eine Schöpfung, die den Humor und die Gefühlswelt der Koreaner, die während sie lächeln, weinen, und während sie weinen, lächeln, enthält.
Koreanische Großbühnen-Musicals Die Zahl der Musicals, die in Korea auf die Bühne gebracht werden, beträgt jährlich rund 180, Kindermusicals nicht einmal mitgerechnet. Gegen Jahresende feiern gleichzeitig Dutzende von Werken Premiere, so dass es oft zu einem richtigen Wirbel von Musicals kommt. Darunter gibt es so genannte Import-Musicals wie z.B. ausländische Musicals, für deren Aufführungsrechte bezahlt wird und die ins Koreanische übersetzt und von kore2 oder Tourneeanischen Theatergruppen aufgeführt werden, Gastspiele ausländischer Musical-Truppen mit ausländischer Besetzung und Mitarbeitern; daneben gibt es aber auch koreanische Werke, die von koreanischen Truppen und Mitarbeitern dargeboten werden und die in Bezug auf Sprache und Thematik 3
Winter 2009 | Koreana 55
1
2
56 Koreana | Winter 2009
Das Musical Namhansanseong ist vor allem deshalb eine erfreuliche Produktion, weil es sich endlich wieder einmal um eine umfangreiche Schöpfung handelt. Während die meisten koreanischen Musicals auf die Bühnen von kleinen Theatern oder Experimentiertheatern mit lediglich 200 bis 300 Sitzplätzen gebracht werden, wurde Namhansanseong bereits von vornherein für eine Großbühne produziert.
rein koreanisch sind und auf koreanischer Kultur bzw. Geschichte basieren. Zahlenmäßig gesehen werden vier bis fünf Mal mehr koreanische Musicals als importierte Musicals auf die Bühne gebracht, d.h. die koreanischen nehmen quantitativ eine absolute Spitzenstellung ein. Betrachtet man jedoch den Markt etwas genauer, ergibt sich ein anderes Bild. Importierte Muscials werden nämlich meist in großen Theatern aufgeführt, was Gewinnerzielung durch economy of scale, d.h. Größendegression, leicht macht, während die meisten koreanischen Musicals auf kleinen Bühnen zur Aufführung kommen und nicht über kleine Budgets hinauskommen. Quantitativ verzeichnet das koreanische Musical damit zwar ein enormes Wachstum, aber qualitativ und in Hinblick auf eine gewinnbringende Kommerzialisierung können die koreanischen Produktionen den importierten noch nicht das Wasser reichen. Das ist auch der Grund, warum man in der koreanischen Musicalwelt verzweifelt auf eine koreanische Großproduktion hofft. Das Musical Namhansanseong ist vor allem deshalb eine erfreuliche Produktion, weil es sich endlich wieder einmal um eine umfangreiche Schöpfung handelt. Während, wie bereits erwähnt, die meisten koreanischen Musicals auf die Bühnen von kleinen Theatern oder Experimentiertheatern mit lediglich 200 bis 300 Sitzplätzen gebracht werden, von denen die meisten im Viertel um die Daehang-ro Straße in Seoul liegen, wurde Namhansanseong bereits von vornherein für eine Großbühne produziert. Natürlich gibt es auch Musicals, die zuerst auf kleine Bühnen gebracht und nachher in großen Theatern präsentiert werden, wobei sich der Inhalt weiterentwickelt. Auch am Broadway lassen sich Beispiele für Musicals finden, für die der erste Vorhang auf Off-Broadway-Bühnen fiel und die es schließlich auf kommerzielle Großbühnen schafften wie z.B. Rent oder Avenue Q. In Korea haben Musicals wie Singles und The Brothers Were Brave den Sprung von der Kleinbühne auf die Bühne mittelgroßer Theater
geschafft. Jedoch werden große Musicals normalerweise von vornherein für große Bühnen geplant und produziert. Denn in Bezug auf äußeres Erscheinungsbild, Anzahl der Mitwirkenden, Ausrüstung, Bühnenausstattung und Regie bestehen große Unterschiede zwischen einem Musical für eine Kleinbühne und einem für eine Großbühne. Manchmal werden Musicals, die ursprünglich für kleine Bühnen in Großstädten produziert wurden, auf Gastspieltourneen in kleineren Städten auf große Bühnen gebracht, was einen so merkwürdigen Eindruck macht wie ein Junge, der den Anzug seines Vaters trägt. Durch die von vornherein unterschiedlichen Größenverhältnisse entstehen notwendigerweise „leere Stellen“. Auf der Preisverleihung The Musical Awards , die jedes Frühjahr stattfindet, werden daher nur Werke ab einer gewissen Größe berücksichtigt. Auch in der Theaterwelt von Hollywood werden Preise wie The Tony Awards nach demselben Prinzip verliehen. Im Golfsport heißt es: „Wenn man den Ball nicht so stark schlägt, dass er am Loch vorbei rollt, kann man ihn nie ins Loch hineinbringen.“ Das gilt auch für die Theaterwelt: Die Herstellung von Großproduktionen wird ein ewiger Traum bleiben, wenn man keinen Versuch wagt. Erst viele Versuche führen zu wahrem Erfolg, und auch in der Kunst- und Kulturindustrie lassen sich erst Früchte ernten, wenn entsprechende Anstrengungen vorausgegangen sind. In diesem Sinne ist es lobenswert und inspirierend, dass die Kunst- und Kulturorganisationen in den Kommunen - wie das Seongnam Arts Center mit dem Musical Namhansanseong - über die Rolle einer regionalen Kulturschnittstelle hinaus sich nun aktiv für Produktionen einsetzen und langfristige Pläne zur Entwicklung von Markennamen entworfen haben. Natürlich kann man, wie ein koreanisches Sprichwort sagt, nicht mit dem ersten Schluck seinen Durst löschen, aber es ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung und auf den weiteren Verlauf darf man gespannt sein. Nachdem nun der erste Schluck gut genommen wurde, ist zu hoffen, dass auf dieser Grundlage kontinuierliche Bemühungen für die weitere Entwicklung und Reifung unternommen werden. Toi, toi, toi! - und viel Glück für alle Produktionsmitarbeiter und Schauspieler!
1 Die Dreiecksbeziehung zwischen O Dal-je, seiner Konkubine Maehyang und dem Verräter Jeong Myeong-su gehört zu den Schlüsselaspekten der Gesamthandlung.
2 O Dal-jes Frau Nam (in der Mitte) wird durch Maehyangs Klugheit aus den Händen des Feindes befreit. Winter 2009 | Koreana 57
KOREA ENTDECKEN
Professor Earl Jackson Junior ist ein begeisterter Filmfan mit einer Sammlung von rund 3.000 Videos und DVDs. 58 Koreana | Winter 2009
Earl Jackson Junior
findet eine neue Heimat in Korea Earl Jackson Junior, Professor für Filmwissenschaft und Kodirektor des Trans Asia Screen Culture Institute, ist bemüht, sich durch den regen Austausch mit asiatischen Filmexperten und Filmemachern einen Namen als Spezialist für den asiatischen Film zu machen. Er führt verschiedene Gemeinschaftsprojekte durch, veranstaltet Symposien zum Thema Film und ist für die Redaktion des Journal of Trans Asia Screen Culture verantwortlich. Hwang Sun-Ae Freiberufliche Schriftstellerin | Fotos: Ahn Hong-beom
E
arl Jackson Junior hält sich offiziell zwar erst seit 2006 in Korea auf, aber er kann bereits genauestens die koreaeigenen Kulturkodes entziffern. Und das, obwohl er sich noch nicht fließend auf Koreanisch unterhalten kann. Vielleicht ist dies darauf zurückzuführen, dass er schon bei seiner ersten Einreise in Korea das Gefühl hatte, in seiner Heimat angekommen zu sein und die koreanischen Menschen und ihre Kultur aus vollem Herzen zu lieben begann. Nachdem er an der Korea Universität amerikanische Poesie gelehrt hatte, hat er vor kurzem zur Korea National University of Arts gewechselt. Neben seinen Lehrveranstaltungen nimmt er auch an verschiedenen kulturellen Aktivitäten teil.
Ein anderes Asien Auf die Einladung von Professorin Kim So-yong, die Jackson auf einer internationalen Konferenz in Hawaii getroffen hatte, kam er 2004 zum ersten Mal nach Korea. Es folgten mehrere kurze Koreabesuche, bis er seine Stelle an der University of California, Santa Cruz, kündigte, um sich ganz in Korea niederzulassen. Korea ist aber nicht das einzige ausländische Land, in dem er sich für längere Zeit aufgehalten hat. Jackson, der im US-Bundesstaat New York in Buffalo in einem Bezirk mit hoher Kriminalitätsrate aufwuchs, flog mit 18 Jahren zum ersten Mal nach Europa, um Literatur zu studieren. Nachdem er in der Alpenregion in Österreich einen Sommer verbracht hatte, ging er für ein Jahr nach Süddeutschland, und zwar nach Bayern. Dieses Auslandsjahr in der schönen europäischen Landschaft öffnete ihm die Augen für eine neue Sicht der Welt. Danach folgten ein Jahr an der Universität Würzburg und ein Studium der deutschen Literatur an der SUNY Buffalo (The State University of New York at Buffalo). In Buffalo meldete er sich für
ein Sondersprachenprogramm an, um Ungarisch zu lernen. Doch als der Dozent plötzlich kündigte, bot ihm die Universität an, statt Ungarisch Japanisch zu lernen. So begann Jackson entgegen seinen eigentlichen Absichten Japanisch zu lernen, das damals noch keine beliebte Sprache war. Doch Jackson mochte die Sprache, so dass er Japanisch schließlich sogar zu seinem Hauptfach wählte und Japanologe wurde. An der Cornell University besuchte er im Rahmen des Sondersprachenprogramms (FALCON) einen einjährigen Intensivkurs in Japanisch und schloss sein M.A.Studium ab. In den 1970ern studierte er in Japan das traditionelle japanische Theater Noh und mittelalterliche japanische Literatur. An der Harvard University machte er einen M.A.-Abschluss im Fach Buddhismus und promovierte an der Princeton University in Vergleichender Literaturwissenschaft. Korea hat sein Bewusstsein und Verständnis von Asien, das er sich als Japanologe angeeignet hatte, völlig verändert. „Meine Kenntnisse über Asien basieren auf den Erfahrungen und dem Wissen, das ich als Japanexperte über viele Jahre erworben habe. Als ich Korea kennen lernte, hat sich meine Sichtweise geändert. Korea ist ein Land, dass in seiner Geschichte mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert war. Auch sind die Beziehungen Koreas zu den anderen asiatischen Staaten anders als die Japans. Japan existiert innerhalb Asiens wie in einer Art Blase. Seitdem ich in Korea lebe, interessiere ich mich noch stärker für Asien. Der Grund dafür ist, dass sich Korea im wahrsten Sinne des Wortes im Herzen Asiens befindet. Mit dem Wandel meiner Japanfokussierten Sichtweise hat sich auch mein verzerrtes Asienbild korrigiert.“ Mit diesen neuen Erkenntnissen konnte er eine neue Richtung einschlagen. Jackson, Professor für Filmwissenschaft und Kodirektor des Trans Asia Screen Culture Institute, ist bemüht, sich Winter 2009 | Koreana 59
durch den regen Austausch mit asiatischen Filmexperten und Filmemachern einen Namen als Experte für den asiatischen Film zu machen. Er führt zusammen mit Professor Kim So-young verschiedene Gemeinschaftsprojekte durch, veranstaltet Symposien zum Thema Film und ist für die Redaktion des Journal of Trans Asia Screen Culture verantwortlich. Im November dieses Jahres hat er ein Symposium mit dem Thema „Multikulturalismus in Asien“ veranstaltet, an dem Filmproduzenten aus Indien und Malaysia teilnahmen. Diese Veranstaltung wurde initiiert, um das Verständnis in Bezug auf den Multikulturalismus zu erhöhen, der im Zeitalter der Globalisierung ein wichtiges Thema ist. Jackson ist überzeugt davon, dass der Multikulturalismus eine ideale Gesellschaftsform hervorbringen könne, und er habe durch diese Veranstaltung zeigen wollen, wie Menschen aus verschiedenen Sprach- und Kulturräumen zusammen leben können. Natürlich ist er sich aber auch bewusst, dass eine multikulturelle Gesellschaft viele Probleme mit sich bringen kann. Mit der Zunahme der Eheschließungen zwischen Koreanern und Arbeitsmigranten aus v.a. Südostasien ist auch in Korea der Multikulturalismus ein aktuelles Thema geworden. In diesem Kontext stieß Jackson auf ein eklatantes Beispiel von Diskriminierung gegenüber farbigen Ausländern in Korea: „Vor kurzem wurde im koreanischen Fernsehen ein Experiment gezeigt. Ein weißer Westler stand an der Straße und studierte einen Stadtplan. Die koreanischen Passanten boten ihm ihre Hilfe an, noch bevor er selber um Hilfe bat. Und das, obwohl er nur Englisch sprechen konnte. Dann wurde das Experiment mit einem Philippino gemacht. Der Philippino, der gut Koreanisch sprechen konnte, ging auf die Passanten zu und fragte höflich nach dem Weg. Aber keiner gab ihm Auskunft. Nicht ein einziger. Ich war sehr erschrocken.“
Ein Fan des koreanischen Films Jacksons Leidenschaft für Literatur und Filme erwachte bereits früh. Als er die High School besuchte, schwänzte er häufiger den Unterricht, setzte sich auf eine Bank im Park und las Bücher von Schriftstellern wie James Joyce oder Gertrude Stein. Da er zu oft fehlte, wurde er schließlich von der Schule verwiesen und arbeitete ein Jahr lang in einer Bäckerei. Danach nahm er an den Regents High School Examinations teil, die die Zulassung zu einer staatlichen Universität ermöglichen. Obwohl er im Selbststudium gelernt hatte, war er der Einzige unter den 400 Schülern seines Jahrgangs an seiner High School, der ein volles Stipendium für die Universität SUNY Buffalo bekam. Anstatt in die High School zu gehen, schaute er sich fleißig Filme an: „Ich hatte viel Freizeit, weil ich nicht zum Unterricht ging. Daher bin ich einfach in die Buffalo Uni gegangen und habe mir dort Filme angeschaut. An der Uni wurden viele und gute Filme gezeigt. Zum Beispiel moderne klassische Filme aus Europa wie Letztes Jahr in Marienbad von Alain Resnais. Zum Glück musste man sich nicht ausweisen. Daher konnte ich alle Filme sehen, die gezeigt wurden. Ich habe damals alle Filme wie die von Bergman und Godard 60 Koreana | Winter 2009
gesehen. Es war wirklich toll. Ich hatte viel Glück.“ Seine Leidenschaft für den Film machte ihm zum gleichermaßen leidenschaftlichen Sammler, so dass er etwa 3.000 Videos und DVDs aus aller Welt besitzt. In seiner Sammlung befinden sich auch koreanische Filme aus den 1950er und 1960er Jahren, die er sehr gerne mag. Seine koreanischen Lieblingsregisseure sind Lee Man-hee, Kim Ki-young und Shin Sang-ok. Über koreanische Filme kommentiert er wie folgt: „Koreanische Filme behandeln immer das Problem von Würde und Existenz des Menschen. Sie thematisieren auch die Suche nach dem Wert des Lebens oder zeigen, worin dieser Wert besteht. Auch wenn diese Probleme nicht offen angesprochen werden, schwingen sie immer unterschwellig mit. Kürzlich bin ich auf den Film Hyuil (Feiertag) von Lee Man-hee aus dem Jahr 1968 gestoßen. Dieser Film ist wahrscheinlich der traurigste und düsterste Film, den ich je gesehen habe. Da der Film zu pessimistisch war, wurde er damals sogar verboten. Im Film treffen sich zwei Verliebte an einem Sonntag. Die beiden lieben sich zwar, aber sie besitzen rein gar nichts. Der Film beschreibt ihr Leben und ihre Verzweiflung.“ Korea hat in seiner Geschichte, v.a. im 20. Jahrhundert, viele tragische Schicksalsschläge erlebt, was sich in den Filmen aus den 1950ern und 1960ern widerspiegelt. Aber ab den 1980ern erlangte die koreanische Gesellschaft wirtschaftliche Prosperität, so dass im Zuge dieser Entwicklung andere gesellschaftliche Probleme in den Filmen dargestellt wurden. Nach Jackson ist die Existenz- und Überlebensfrage aber auch weiterhin ein Thema des modernen koreanischen Films: „Es gibt den Film Baramnan Gajok, oder Eine Familie geht fremd (A Good Lawyer’s Wife) aus dem Jahr 2003. Es ist ein fantastischer Film! Die Hauptdarsteller stammen aus einer reichen Familie. Der Mann ist Rechtsanwalt. Aber das Leben dieser Familie ist voller Probleme, die tiefe Wurzeln haben. Der Film beginnt mit einer Szene, wo am Tatort eines Massenmordes unzählige Menschenknochen ausgegraben werden. Diese Aufdeckung der Vergangenheit, als jeder jedem die Pistole vors Gesicht gehalten hat, gibt keinen Aufschluss darüber, wer wen getötet hat. Diese historischen Umstände bilden den grundlegenden Hintergrund des Films. Ich denke, dass es ein sehr gut gemachter Film ist.“ Jackson besucht gerne das Kino Seoul Art Cinema, das von einer gemeinnützigen Stiftung betrieben wird. In diesem Kino, wo klassische Filme aus aller Welt gezeigt werden, findet er den hohen Anspruch des koreanischen Kinopublikums bestätigt: „Im Seoul Art Cinema wurde einmal eine Fassbinder-Retrospektive veranstaltet, in der alle seine Werke gezeigt wurden, auch seine TV-Produktionen. Am Ende der Veranstaltung wurde in einer Sonderaufführung zwei Tage lang Berlin Alexanderplatz gezeigt. Dieser Fassbinder-Marathon war insgesamt 16 Stunden lang, d.h. er begann morgens um 9 Uhr und endete spätabends. Der Eintritt war frei. Aber schon am Morgen um 9 Uhr war das Kino voll. Obwohl diese TV-Serien-Fassung von Berlin Alexanderplatz nur mit englischen Untertiteln gezeigt wurde, war kein Platz mehr frei. Das war ein eindrucksvoller Beweis für das Niveau der kore-
„Meine Kenntnisse über Asien basieren auf den Erfahrungen und dem Wissen, das ich als Japanexperte über viele Jahre erworben habe. Als ich Korea kennen lernte, hat sich meine Sichtweise geändert. Seitdem ich in Korea lebe, interessiere ich mich noch stärker für Asien. Der Grund dafür ist, dass sich Korea im wahrsten Sinne des Wortes im Herzen Asiens befindet. Mit dem Wandel meiner Japan-fokussierten Sichtweise hat sich auch mein verzerrtes Asienbild korrigiert.“
Professor Jackson lobt den koreanischen Film für seine subtile Darstellung der koreanischen Kultur. Vor kurzem hat er an dem Drehbuch für einen koreanischen Film mitgearbeitet.
anischen Filmfans.“ Aber Jackson ist auch über die Zukunft des koreanischen Films besorgt. Bei den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA wurde 2006 auf Druck der amerikanischen Seite die Quote für koreanische Filme von 146 Tage pro Jahr auf 73 Tage halbiert, d.h. die koreanischen Kinos müssen nur noch an 73 Spieltagen koreanische Produktionen zeigen. Dies könnte, wie es in den 1990er Jahren in Mexiko der Fall war, einen Niedergang des koreanischen Films bewirken. Jackson spricht sich stark gegen eine Änderung der Quote aus: „Es ist schrecklich! Ich bin der Meinung, dass die frühere Quote wieder eingeführt werden sollte. Weil es diese Quotenregelung gab, konnten in den 90ern gute koreanische Filme produziert werden. Aber ohne diese Regelung wird das wahrscheinlich nicht mehr möglich sein. Die Halbierung der Quote wird nicht zur weiteren Entwicklung der koreanischen Kultur beitragen. Die Investoren werden davor zurückschrecken, in experimentelle koreanische Filme zu investieren. Niemand wird sich mehr trauen, sein Geld überhaupt in koreanische Filme zu stecken.“ Jackson, der alle Seiten des koreanischen Alltags genießt, ist auch in der Lage, die spezifischen koreanischen Kulturkodes zu lesen. Er meint, dass er besonders durch Filme die koreanische Kultur besser verstehen kann. Auch aus dem Film Sarangni (Blossom again) aus dem Jahr 2005 kann er die koreatypischen Aspekte herauslesen. „Die Koreaner bringen ihre Zuneigung auf eine Weise zum Ausdruck, die als Verärgerung verstanden werden könnte. Nur wenn man diesen kulturellen Kode kennt, versteht man das nicht falsch. Der Film Sarangni war sehr interessant. Am Ende des Films kam dann das spezifisch Koreanische zum Tragen: Alle Hauptdarsteller dieses romantischen Liebesfilms versammeln sich und essen zusammen zu Abend. Während der lebhaften Tischgespräche schenkt sich die Protagonistìn selbst
ein Glas Wein ein. Aber sie hat sich erst kurz zuvor den Weisheitszahn ziehen lassen. Als sie den Wein ins Glas gießt, nehmen die beiden Männer ihr das Glas weg und sagen: ‘Bist du verrückt? Du hast doch gerade Schmerztabletten genommen!’ Das ist typisch koreanisch. Es sieht so aus, als ob der eine mit dem anderen schimpft, dabei ist es in Wirklichkeit ein Ausdruck der Liebe. Wenn man diesen spezifischen Kode nicht kennt, kann man diese Szene leicht missverstehen.“ Jackson liebt es, zu reisen und besonders auch zu schwimmen und zu schnorcheln. Als Kind träumte er davon, Meeresbiologe zu werden. Er spielte vor der Küste von Belize mit den Haien und schwimmt gerne im koreanischen Südmeer, wo er einmal sogar von einem Schwarm Quallen attackiert wurde. Durch das Reisen konnte er in Korea ganz besondere Erfahrungen sammeln. Einmal besuchte er die Insel Maemul-do, wo er einen 90-jährigen Alten traf, der erzählte, seine Mutter habe 1905 gesehen, wie sich die japanische Flotte Korea näherte. Jackson, der vom Charme Koreas gefesselt ist, ist eifrig dabei, die koreanische Sprache zu lernen. Er lernt auch beim Drehbuchschreiben Koreanisch. Er hat einen Teil des Drehbuches des Films Viewfinder, der beim diesjährigen Pusan International Filmfestival von Prof. Kim So-young eingereicht wurde, verfasst. Er schrieb zuerst auf Englisch, danach half er, den Dialog ins Koreanische zu übersetzen und unterstützte die Schauspieler sogar beim Einüben der von ihm verfassten Zeilen. Jackson meint, dass diese Erfahrungen für ihn etwas ganz Besonderes seien. „Ich bin der Meinung, dass dies die effektivste aller Methoden war, um Koreanisch zu lernen. Für mich war sie besser als jede herkömmliche Lernmethode.“ Aber was ihn wirklich dazu führte, Koreanisch zu lernen, scheint letztendlich das Land Korea an sich gewesen zu sein. Winter 2009 | Koreana 61
AUF DER WELTBร HNE
Hรถhenbergsteigerin
Oh Eun-sun:
die Bezwingung aller 14 Achttausender
1
2
Oh Eun-sun gehört zu den erfolgreichsten weiblichen Höhenbergsteigern der Welt. Sie schaffte es, im Frühling und Sommer 2009 vier Himalaya-Gipfel zu erobern. Im Herbst wagte sie sich dann noch an den Annapurna, musste den Aufstieg aber wegen schlechter Wetterbedingungen abbrechen. Ihren Versuch, als erste Frau alle 14 Berggipfel über 8.000 Meter zu bezwingen, wird sie im nächsten Jahr fortsetzen. Shin Young-chul Redakteur, Monatsmagazin Man and Mountain Fotos: Shin Young-chul
D
er Himalaya, bekannt als das „Dach der Welt“, hat 14 Gipfel, die über 8.000 Meter hoch sind, einschließlich des legendären Mount Everest. Die Bergsteiger nennen die unglaublichen Höhen der Himalaya-Gipfel „Das Reich der Götter“. Bislang haben bereits 18 Bergsteiger aus aller Welt sämtliche 14 Achttausender bezwungen, aber darunter war noch keine einzige Frau. Wer wird wohl die erste sein?
Der Kampf der fünf Gipfelstürmerinnen
1 Oh Eun-sun bestieg den Gasherbrum 1 im Sommer 2009. 2 Um die Bezwingung des Kangchendzönga festzuhalten, posierte Oh auf dem Gipfel mit der koreanischen Nationalfalgge.
Die Konkurrenz um den Ruhm, als erste Frau alle 14 Achttausender zu besiegen, ist hart und diese Lorbeeren sind auch von hohem nationalen Interesse. Im Rennen sind Oh Eun-sun (43) aus Korea, Edurne Pasaban aus Spanien (36), Nives Meroi aus Italien (48) und Gerlinde Kaltenbrunner (39) aus Österreich, die vormals größte Rivalin von Oh. Die Koreanerin Go Miyeong (42), die im Sommer 2009 konkurrierend mit Oh den Nanga Parbat (8.125 Meter) bezwang, gehörte ebenfalls zu den Favoritinnen, kam aber leider auf dem Rückweg ums Leben. Der Wettstreit zwischen diesen fünf Gipfelstürmerinnen sorgt bereits seit einigen Jahren für Hochspannung im Himalaya und auch die Höhenbergsteiger aus aller Welt folgen mit brennendem Winter 2009 | Koreana 63
1 Neben heimtückischen Windverhältnissen haben die Bergsteiger auch mit Schneestürmen zu kämpfen, die ihnen die Sicht rauben.
2 Der Nanga Parbat ist einer der 14 Himalaya-Gipfel von mehr als 8.000m Höhe.
Das Rennen der Bergsteigerinnen um die Ehre der Bezwingung aller Himalaya-Gipfel geht jetzt in die Endrunde, in der ein einziger Fehler das Aus für den Titelsieg bedeuten kann. Ein einziger Fehler ist bereits ein Fehler zu viel, wie das Beispiel der ums Leben gekommenen Bergsteigerin Go Miyeong aufs Tragischste zeigt. Gerlinde Kaltenbrunner, die zuvor größte Rivalin von Oh, geriet ins Hintertreffen. Wenn sie den K2 bezwungen hätte, hätte sie wie Oh 13 von 14 Achttausendern bestiegen. Auch Edurne Pasaban, die im Jahr 2006 an der Bezwingung des Shishapangma (8.027 Meter) scheiterte und Nives Meroi, die bei ihrem Aufstiegsversuch auf den Kangchendzönga (8.586 Meter) aufgab, sind durch dieses einmalige Scheitern einen Gipfel hinter Oh zurückgeblieben. Heute steht zwischen Oh Eun-sun und dem Traum, für den sie bereit ist, ihr Leben zu riskieren, nur noch ein Gipfel: der majestätische Annapurna (8.091 Meter).
„Wenn der Himalaya mich annimmt“ 1
Interesse dem heißen Wettbewerb. Während des atemberaubenden Rennens gab es Momente der Glorie und der Tragik. So wurde der Nanga Parbat im Sommer 2009 zu einem Schauplatz von größter Glorie und höchster Tragik. Im Juli interviewte ich im Basislager am Nanga Parbat Oh Eunsun und Go Miyeong. Damals waren die beiden koreanischen Bergsteigerinnen noch voller Selbstbewusstsein. Die Besteigung verlief problemlos. Am 10. Juli erreichte Oh Eun-sun den Gipfel und vier Stunden später kam auch Go Miyeong auf der Spitze an. Aber am Tag darauf, als die beiden Frauen nach der Übernachtung im Höhenlager den Abstieg begannen, schlug das Schicksal zu: Go verlor den Halt und stürzte auf einer Höhe von 6.200 Metern in den Tod. Oh Eun-sun kam am 12. August wieder nach Korea zurück. Sofort nach ihrem Anruf trafen wir uns und als ich ihr Gesicht sah, überkam mich ein schwer zu beschreibendes Gefühl: Sie sah sehr kraftlos aus, als wäre sie eine ganze Weile schwer krank gewesen. Ihr erschöpfter Körper sprach Bände davon, wie sehr die harte und gefährliche Besteigung an ihren letzten körperlichen und geistigen Kraftreserven gezehrt hatte. Über zwei Monate lang hatte sie inmitten der Eisgipfel des Karakorum-Gebirges im Himalaya gelebt. Wie konnte aus dieser zierlichen Frau, die bei einer Größe von 1,50m nur 50kg wiegt, eine dermaßen übermenschliche Kraft kommen? 64 Koreana | Winter 2009
Einige Tage nach Rückkehr von Oh nahm ich an einer Willkommensfeier teil, die der Bergsteigerverein Gasanhoe ihr zu Ehren organisiert hatte. Dieser Verein, dessen Name „wunderschöner Berg“ bedeutet, ist ein lockerer Zusammenschluss von Bergsteig-Enthusiasten, bei deren Treffen Oh gerne dabei ist. „Ich bin keine Buddhistin, aber ich mag den Buddhismus. Aber sehen Sie, ich trage immer diese Mala am Handgelenk. Meine Mutter ist Buddhistin und sie hat mir die Gebetsperlen geschenkt. Die Mala hat mich auf allen meinen Gipfelbesteigungen begleitet. Sie gibt mir immer viel Kraft.“ Obwohl nur wenige Tage seit unserem letzten Treffen vergangen waren, sah Oh erstaunlich gut erholt aus. Natürlich lässt sich jemandes Zuhause nicht mit der schneebedeckten Hochgebirgswelt vergleichen, in der es an Sauerstoff mangelt und in der Oh die Sommermonate zugebracht hatte. Auch Ohs Lächeln blühte auf, als sie den Willkommensblumenstrauß entgegennahm. Auf den Tisch wurde eine Begrüßungstorte mit 13 Kerzen gestellt: eine für jeden Achttausender, den Oh Eun-sun besiegt hatte. Nachdem sie die Kerzen ausgeblasen hatte, steckte der Präsident des Vereins noch eine Kerze in die Torte und zündete diesmal alle 14 Kerzen an. Dies war eine nette Geste des symbolischen Daumendrückens für Ohs großes Ziel. Nachdem Oh alle Kerzen ausgeblasen hatte, bat man sie, einige Worte zu sagen. „Es war sehr hart.“ Für einen Moment verstummte sie und es wurde ganz still im Raum. Es war hart... Ich wusste, was sie meinte. Ich sah von ihrem Gesicht das Gesicht von Go Miyeong, die ich in Nanga Parbat getroffen hatte, und mein Herz wurde schwer.
„Es war sehr schmerzhaft. Nach dem Unfall meiner Kollegin auf dem Nanga Parbat, die Rettungsaktion mitzuverfolgen, versuchen zu helfen... das war alles sehr hart. Ich stand völlig neben mir und verbrachte in dem Zustand eine Woche im Hotel Skardu. Aber dann dachte ich: ob ich mein Ziel erreiche, hängt letztendlich davon ab, ob der Himalaya mich annimmt, und wenn er mich nicht animmt, dann scheitere ich. Und da habe ich mich fest dazu entschlossen, weiterzumachen.“
„Es war sehr schmerzhaft. Nach dem Unfall meiner Kollegin auf dem Nanga Parbat, die Rettungsaktion mitzuverfolgen, versuchen zu helfen... das war alles sehr hart. Diese paar Tage brachten eine dramatische Veränderung, die einfach unglaublich schien. Da war die Angst, dass das auch mir passieren könnte. Allerlei Gedanken raubten mir nachts den Schlaf. Ich stand völlig neben mir und verbrachte in dem Zustand eine Woche im Hotel Skardu. Ich litt unter dem inneren Konflikt, ob ich meinen Weg fortsetzen sollte oder nicht. Wie Sie alle wissen, kannten Go und ich uns gut. Gleichzeitig war sie für mich eine gesunde Rivalin, die immer das Beste aus mir herausholen ließ.“ Schließlich entschloss sich Oh, ihren Weg weiter zu gehen. Nach dem Abstieg vom Nanga Parbat bestieg sie nach ihrem ursprünglichen Plan den Gasherbrum 1 (8.080 Meter), und das ohne den Einsatz von Flaschensauerstoff. Durch die Bezwingung des Gasherbrum 1 setzte sie den Rekord von 13 Achttausendern und übernahm damit die Führung unter den Konkurrentinnen. „Ich dachte: ob ich mein Ziel erreiche, hängt letztendlich davon ab, ob der Himalaya mich annimmt, und wenn er mich nicht animmt, dann scheitere ich. Und da habe ich mich fest dazu entschlossen, weiterzumachen.“ Es war, als ob übernatürliche Kräfte ihr geholfen hätten: Bevor
2
sie am Gasherbrum ankam, war die Wetterlage in der Gegend so schlecht, dass kein einziger Bergsteiger es auf den Gipfel schaffte. Aber als sie das Basislager des Gasherbrum erreichte, klarte es auf, als hätte man nur auf sie gewartet. Der Wind machte ihr zu schaffen, aber sie war bereits an die extremen Höhenlagen gewöhnt, wie zuvor, als sie mehrere Hochberge hintereinander bestiegen hatte, und so schaftte sie es bis zum Gipfel. Beim Abstieg wurde sie erneut Augenzeugin eines Absturzes. „Ich sah plötzlich jemanden an mir vorbeifliegen. Es war jemand von einem anderen ausländischen Team, das uns auf dem Weg nach oben begleitet hatte. Mein Sherpa und ich waren mit einem Seil verbunden, aber der Verunglückte und sein Kollege hatten kein Seil benutzt. Ich sah ihn vor meinen Augen ungefähr 300 Meter in die Tiefe stürzen. Tausend Gedanken stürmten auf mich ein, darunter auch: So sieht also der Tod aus! Aber zum Glück ist er auf einer Schneefläche gelandet und kam mit dem Leben davon. Wenn er auch nur in einem etwas anderen Winkel gestürzt wäre, wäre er Tausende von Metern die Steilwand herunter in den sicheren Tod gestürzt. Leben und Tod sind oft nur um eines Haaresbreite voneinander getrennt.“ Obwohl Oh Eun-sun noch vergleichsweise jung ist, spricht sie ganz gelassen über den Tod. Bei wie vielen Todesfällen sie schon
Winter 2009 | Koreana 65
2 1 In Korea sammelte Oh Eun-sun praktische Erfahrung durch die Besteigung von Gipfeln wie z.B. des Gipfels Insu im Gebirge Bukhan-san.
2 Oh Eun-sun und Edurne Pasaban aus Spanien gehören zur Weltelite der Höhenbergsteigerinnen.
3 Die verschiedenen Rückschläge, die Oh einstecken musste, haben ihr bewusst gemacht, dass ihr Erfolg letztendlich davon abhängt, ob der Berg sie annimmt oder nicht.
1
daneben gestanden haben muss? Ohs Erfahrungen überzeugen uns, wie eng Leben und Tod bei den Bergsteigern im Himalaya beieinander liegen. In dieser schneeweißen Welt, in der der Freund, der gerade noch neben einem lächelte, im nächsten Moment schon verschwunden sein kann, ist der Tod ein Schatten, der einem als Schicksal immer einen Schritt auf dem Fuße folgt.
Nonstop-Bergsteigen ohne Flaschensauerstoff Während wir uns unterhielten, klingelte das Handy von Oh Eun-sun. „Mama? Ja, ich bin bald zu Hause.“ Oh, die 43 und ledig ist und in Korea als Frau des Jahrhunderts bezeichnet wird, ist für ihre Mutter nichtsdestotrotz immer noch das kleine Töchterchen, um das man sich Sorgen machen muss, wenn sie spät nach Hause kommt. Ich fragte sie: „Wie fühlen Sie sich? Sind Sie jetzt etwas gelassener, weil Sie nur noch den Annapurna vor sich haben?“ Bis vor wenigen Jahren war Oh im Ausland noch unbekannt. Die ausländischen Medien berichteten nur über drei Gipfelstürmerinnen, nämlich Edurne Pasaban, Nives Meroi und Gerlinde Kaltenbrunner, und waren sich sicher, dass eine von ihnen als erste alle 14 Achttausender bezwingen würde. Aber jetzt sieht es anders aus. Oh Eun-sun, die als „Dark Horse“, als schwer einzuschätzender Neuling, im Rennen auftauchte, steht jetzt im Mittelpunkt des Medieninteresses. Die spanische Tageszeitung Sapin und die renommierte Expeditionswebsite ExplorersWeb berichten in ihren Hauptartikeln über die koreanische Spitzenkandidatin. 66 Koreana | Winter 2009
„Gelassen kann ich mich noch nicht fühlen. Man weiß nicht, was Pasaban vorhat. Sie ist eine sehr starke Frau und bekommt auch große Unterstützung von den spanischen Bergsteigern und den Massenmedien. Sie wird keineswegs aufgeben.“ Oh verbirgt ihre Sorgen nicht. Das heißt, sie muss sich zusammenreißen, bis sie ihr Ziel endgültig erreicht hat. Aber eilig muss sie es nicht haben: Objektiv betrachtet hat sie die besten Voraussetzungen, als erste Frau alle 14 Achttausender zu besiegen. Sie hat nämlich nur noch einen Gipfel vor sich. „Seitdem sich die Wahrscheinlichkeit, dass ich siegen kann, immer stärker herauskristallisiert, fühle ich mich ehrlich gesagt unter starken Druck gesetzt. Aber das heißt auch, je stärker der Druck ist, desto mehr muss ich mich unter Kontrolle halten, oder?“ Da hat sie recht. Es ist noch nichts entschieden. Selbst ein kleiner Unfall kann die Rangliste wieder verändern. Aber eins steht fest: Oh, die nicht aus einem Land stammt, in dem Höhenbergsteigen Tradition hat oder überhaupt möglich wäre – die koreanischen Berge bleiben unter 2.000 Metern – und die eher zierlich gebaut ist, hat sich nicht nur im Kampf mit ihren Rivalinnen um den Titel bislang beachtlich geschlagen. Sie hält auch bereits den großen Rekord, als dritter Asiate die höchsten Gipfel der sieben Kontinente bestiegen zu haben. Auf elf Bergspitzen war sie sogar ohne den Einsatz von Flaschensauerstoff. Weswegen sie aber noch höher bewertet wird, ist ihr unglaubliches Tempo. Wenn sie sich erst einmal an die Höhe gewöhnt hat, besteigt sie ohne Pause gleich mehrere Berge. Außerdem ist eines ihrer Stilmerkmale, dass sie sich ohne große Begleitmannschaft nur mit Sherpas an
den Aufstieg macht. 2008 war sie auf dem Makalu und dem Lhotse und in diesem Frühling auf dem Kangchendzönga und dem Dhaulagiri. Im Sommer setzte sie ihren Fuß auf den Gipfel des Nanga Parbat und des Gasherbrum 1 und im Herbst versuchte sie sich am Annapurna. Falls sie den Annapurna geschafft hätte, wäre sie nicht nur die erste Frau auf allen 14 Achttausendern geworden, sondern auch die erste Bergsteigerin, die in einem einzigen Jahr fünf Hochgebirgsgipfel bezwungen hätte. Aber wegen des schlechten Wetters musste sie am Annapurna ihren Versuch, diese beiden Rekorde für sich zu beanspruchen, aufgeben. Sie selbst formulierte es so: „Der Himalaya hat mich nicht angenommen.“
Äußere Faktoren In letzter Zeit melden sich auch kritische Stimmen in Bezug auf Ohs Unternehmungen zu Wort: Wegen der Forderungen der Sponsorunternehmen sei der Wettbewerb überhitzt; Oh, deren Fähigkeiten nicht über jeden Zweifel erhaben seien, ginge wegen ihrer Sucht nach Ruhm unnötige Gefahren ein; sie unternehme ihre Aufstiege mit einem großen Aufwand an Unterstützung. Aber als Bergsteiger kann ich solchen Vorwürfen nur schwer zustimmen. Die oben erwähnten europäischen Höhenbergsteigerinnen streben auch die Besteigung von zwei oder drei Gipfeln in einer Saison an und bekommen die Hilfe von Sherpas. Und jeder Profi bergsteiger wird von Sponsoren unterstützt. Es steht auch außer Zweifel, dass die Sponsorunternehmen Oh nicht mit exzessiven Forderungen bedrängen. Bei einem Unfall müssen sie nämlich die Verantwortung übernehmen. Über die Auswahl der Berge und der Besteigungsarten entscheidet ausschließlich der Bergsteiger selbst. Die Sponsoren können in diesem Punkt überhaupt keinen Einfluss ausüben. Wer würde schon auf Druck eines anderen sein Leben aufs Spiel setzen wollen?
3
Lee Ui-jae, Geschäftsführer der Korean Alpine Federation, des größten Bergsteigerverbands in Korea, bedauerte: „Diejenigen, die keinerlei Verständnis vom Wesen des Bergsteigens haben, das im Willen zur Herausforderung des Unbekannten liegt, legen eine solch negative Haltung an den Tag.“ Er betonte zudem noch, dass man von einer übertriebenen Kokurrenz oder Kommerzialismus rede, weil man nichts von der Natur der Herausforderungen, denen sich der Bergsteiger gegenübersieht, verstehe. Die Sucht nach Ruhm zu erwähnen sei eine ebenso leere Kritik: Wie könne der Versuch, ein lebensgefährliches Abenteuer zu bestehen, das ein neues Kapitel in der Geschichte der Menschheit schreiben würde, von dem persönlichen Streben nach Ruhm losgelöst sein? Oh Eun-sun, die während ihres Studiums an der University of Suwon in einem Bergsteiger-Club ihre Bergsteigerkarriere begann, ist eine theoretisch wie praktisch ausgebildete Bergsteigerin. Neben dem Misserfolg bei ihrem ersten Versuch auf dem Mount Everest im Jahr 1993 erlebte sie noch mehrere Enttäuschungen. Aber dadurch wurde sie nur stärker. KBS, die öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt Koreas, strahlte eine Dokumentationsserie über ihre Besteigungen aus. Oh kommentierte bei den Aufnahmen: „Ich fühle mich immer beobachtet, denn die Kameras folgen mir auf Schritt und Tritt. Aber ich tue mein Bestes, um gut zu kooperieren, da ich weiß, wie sehr die Kameraleute leiden müssen. Nur für mich sein kann ich lediglich in meinem Zelt.“ Auf dem gewaltigen Himalaya unter Beobachtung der Kamera einse stehen? Das übermäßige Interesse der Koreaner wird sie auch stressen. Aber daran muss sich Oh Eun-sun gewöhnen: Ihre Besteigung des letzten Achttausenders Annapurna wird auch vom Fernsehen übertragen. Auf diesen Versuch wird sich das Augenmerk der ganzen Welt richten.
Winter 2009 | Koreana 67
UNTERWEGS
Das Gel채nde des Tempels Jikji-sa ist in Herbstlicht gebadet. Daneben Stapel von Dachziegeln mit Spendernamen, die sp채ter f체r Tempelgeb채ude verwendet werden. 68 Koreana | Winter 2009
Klares Wasser, klare Gebirgslandschaft Gimcheon, das an der Nationalstraße Nr. 4 und den Hauptverkehrsadern zwischen den beiden koreanischen Millionenstädten Seoul und Busan, der Gyeongbu-Autobahn, der Gyeongbu-Bahnlinie, und der Gyeongbu-Hochgeschwindigkeits-Bahnlinie liegt, gilt als das Tor zu Yeongnam, wie die Region der heutigen Provinzen Gyeongsangbuk-do und Gyeongsangnam-do auch genannt wird. Mit dem Fluss, der durch die Stadtmitte fließt, und den alten buddhistischen Tempeln ist Gimcheon zwar eine friedliche Stadt, sie hatte aber wegen ihres standortstrategischen Werts im Koreakrieg sehr zu leiden. Kim Kim Hyungyoon Hyungyoon Essayist Kim Yong-chul Yong-chul Essayist || Fotos: Fotos: Kim Winter 2009 | Koreana 69
V
or etwa zehn Jahren besuchte ich die Stadt Gimcheon zum ersten Mal. Eine Verwandte von mir heiratete damals einen Mann aus Gimcheon und ich nahm an der Hochzeit, die dort stattfand, teil. Bis dahin war ich zwar manchmal an der Stadt vorbeigefahren, aber ich hatte mich dort noch nie aufgehalten. Beim ersten Besuch machte Gimcheon den Eindruck, eine Stadt mit vielen leeren Stellen zu sein. Geopolitisch gesehen liegt Gimcheon in der Mitte der langgezogenen vertikalen Achse zwischen den Metropolen Seoul und Busan. Die Bahnlinien, Autobahnen und Nationalstraßen, die die Nord-Süd-Verbindung des Landes herstellen, laufen alle durch Gimcheon, was die Stadt zu einem Verkehrsdrehkreuz macht.
Die Quelle des Golds Durch die Mitte der Stadt fließt der Fluss Gamcheon, in den zahlreiche Nebenflüsse münden, die wie Kapillaren die ganze Stadt durchziehen. Dieser Fluss, der von Süden nach Nordosten in den großen Fluss Nakdonggang fließt, war vor hundert Jahren ein durch alle Jahreszeiten wasserreicher Fluss, auf dem die Salztransportboote vom Unterlauf des Nakdonggang bis nach Gimcheon hinauffuhren. Natureinwirkungen wie Fluten und Taifune haben das Flussbett erhöht
und den Wasserspiegel auf den heutigen Stand gesenkt. Der Gamcheon ist für die Einwohner von Gimcheon ein wichtiger Ort für Freizeit und Erholung. Im Sommer vergnügen sie sich im Wasser oder angeln. Als ich diesmal Gimcheon besuchte, sah ich am Gamcheon viele Leute, die mit hochgerollten Hosenbeinen im Wasser standen und kleine Fische und Muscheln fingen, und das, obwohl es schon Frühherbst war. Auf den gepflegten Wegen am Fluss gab es noch mehr Menschen, die in der friedlichen Landschaft aus üppigen Wasserpflanzen und Zugvögeln spazieren gingen oder joggten. Als ich den Taxifahrer, mit dem ich in Gimcheon unterwegs war, nach der Besonderheit der Stadt fragte, nannte er das Wasser. Das Leitungswasser in Gimcheon sei kein gereinigtes Wasser aus einem Reservoir, sondern Grundwasser aus der Natur. Da mir das nicht ganz einleuchtete, rief ich die Wasserversorgungsabteilung der Stadt Gimcheon an. Der Zuständige erklärte mir, dass man etwa vierzig Meter unter dem Flussbett eine Wassersammelanlage installiert habe, in der Wasser gesammelt würde, das durch die Sandschichten gesickert und so auf natürliche Weise gefiltert worden sei. Nach einer nochmaligen Aufbereitung würde es an die Haushalte
geliefert. Das Leitungswasser von Gimcheon, das aus fließendem Wasser und mit natürlicher Filterung gewonnen wird, könne nur besser sein als das in anderen Regionen, die mit stehendem Wasser aus einem Reservoir versorgt werden. Im Stadtviertel Namsan-dong gibt es eine Wasserquelle, die Gwahacheon heißt. Sie steht symbolisch für das hochqualitative Wasser von Gimcheon. Bevor ein General aus China diese Quelle in der JoseonZeit (1392-1910) nach dem Namen einer Quelle seiner Heimat „Gwahacheon“ nannte, hieß sie eigentlich „Geumjicheon (Quelle des Golds)“. Da die traditionellen alkoholischen Getränke, die man mit diesem Quellwasser herstellte, für ihren hervorragenden Geschmack und ihren Duft bekannt waren, hieß sie aber auch „Jucheon“, „Weinquelle“. Gwahaju, der Reiswein aus Gwahacheon, gilt auch heute noch als Spezialität von Gimcheon, auf die die Bewohner stolz sind. Geumji-cheon bedeutet „Quelle des Golds“. Nach der alten östlichen Philosophie der fünf Grundelemente des Universums gilt Metall (Gold) als Ursprung und Erzeuger des Wassers. Auch der Stadtname „Gimcheon“ bedeutet eigentlich „Quelle des Golds“. Denkt man bei der Erkundung der Stadt an die Bedeutung des Namens, dann fällt einem wirklich an mehreren Stellen das klare Wasser auf. Die kleinen Bäche, die durch die Felder fließen, und auch die Flüsse in den Bergtälern springen tatsächlich sofort ins Auge. Ohne Bedenken trank ich das Leitungswasser im Bad meines Gasthauses.
Unterkunft im Bergdorf Ich verbrachte die Nacht in Gimcheon in einer Pension in einem kleinen Dorf, ungefähr 800 Meter über dem Meeresspiegel. Das Haus lag im Sudo-Tal auf
1 Der Fluss Gamcheon bietet den Bewohnern von Gimcheon Möglichkeiten zur Erholung und Freizeitgestaltung.
1
70 Koreana | Winter 2009
2 Die Türen der Halle Birojeon (Halle des Vairocana-Buddhas) im Tempel Jikjisa
2
halber Strecke zum Gipfel des Bergs Sudosan, der sich am südlichen Rand von Gimcheon befindet. Das Sudo-Tal, das ich mir vor der Reise im Internet angeschaut hatte, war wie ein Edelstein, der versteckt in einem Wald mit breiten, flachen Felsen, Wasserfällen und Mooren lag. Im Sommer gäbe es etwa 3.000 bis 4.000 Besucher am Tag, hieß es. Ich wollte auch gerne meine Füße in das kühle Nass des Tals tauchen. Aber das sollte nur ein Gedanke bleiben. Vielleicht wäre es am Fuße des Berges möglich gewesen, aber je höher ich hinaufstieg, desto mehr Dornbüsche und Gestrüpp hielten mich fest und verwehrten mir den Weg zum Wasser. Ich musste mich damit zufrieden geben, zwischen den Ästen hindurch zuzuschauen, wie das Wasser in die Tiefe fiel und nach unten floss. Der Wirt der Pension erzählte mir, dass er früher bei einer Baufirma in der Stadt
Daegu gearbeitet hätte und vor etwa zwanzig Jahren mit seiner Familie hierher in seinen Heimatort gezogen sei. Seine erwachsenen Kinder seien in die Großstädte gezogen und jetzt wohne er mit seiner Frau, die aus Seoul stamme, alleine hier und betreibe die Pension mit einem Restaurant; nebenbei bauten sie Kohl und Kartoffeln an, züchteten Hühner und Schweine, kultivierten Apfelbäume und betrieben Imkerei. Sie hielten auch ein Eichhörnchen, das sie auf dem Feld gefunden hatten, als Haustier. Die Wirtin lud mich unerwarteten Gast, der bei Einbruch der Dunkelheit plötzlich aufgetaucht war, zum Abendessen, das eigentlich nur für zwei vorbereitet worden war, ein. Doenjang jjigae (BohnenpastenEintopf), gebratener Tofu, Kimchi, eingelegte Sesamblätter, eingelegte getrocknete Rettichstücke und Reis mit Bohnen das Abendessen sah wirklich köstlich aus!
Doch der Wirt dachte, dass es für einen Gast nicht genüge und holte schnell Eier aus dem Hühnerstall. Die Eier, die fast um die Hälfte größer als normale Hühnereier zu sein schienen, wurden mit Öl in der Pfanne gebraten und verwandelten sich gleich in ein köstliches, goldgelbes Gericht. Es schmeckte sehr gut.
Der Tempel Jikjisa In Gimcheon und Umgebung gibt es viele alte Tempel. Das Reich Goguryeo wollte die Lehre Buddhas, die es von China übernommen hatte, auch im Reich Silla verbreiten, doch dieses kleine Reich im Süden dachte nicht daran, die neue Religion zu übernehmen. Daher konnte der Buddhismus am Anfang die Hauptstadt von Silla, Gyeongju, nicht erreichen, sondern schlug zunächst einmal Wurzeln in Gimcheon, dem Tor zum Silla-Reich. Deswegen gibt es in dieser Stadt so viele alte Tempel. Winter 2009 | Koreana 71
Der Tempel Jikjisa, wo die ursprüngliche Form des koreanischen Buddhismus, erhalten geblieben ist, wurde im Jahr 418 unter der Herrschaft des Silla-Königs Nulji von dem buddhistischen Priester Ado aus dem Reich Goguryeo errichtet. Dieser Tempel fungierte bis zum Jahr 527, als Silla den Buddhismus offiziell zur Reichsreligion machte, 110 Jahre lang als Hauptstützpunkt für die Verbreitung des Buddhismus. Eigentlich wollte ich die Nacht in Gimcheon im Jikjisa verbringen, da der Tempel ein Templestay-Programm anbietet. Ich hatte meine Reise daher absichtlich für den Samstag geplant, um diesen bedeutenden Tempel, einer der 24 Haupttempel des Jogye-Ordens, des größten buddhistischen Ordens Koreas, näher zu erleben, aber leider wurden wegen der Neuen Influenza keine Gäste zum Übernachten angenommen. An diesem strahlenden Samstagnachmittag im Herbst wimmelte das Tempelgelände von Besuchern. Alles sah genau so aus wie vor zehn Jahren, als ich den Tempel zum ersten Mal besichtigt hatte. Die drei Buddhas in der Haupthalle saßen wie damals vor einem Buddha-Wandgemälde, das in minutiöser Detailkomposition in präch-
tigen Farben gestaltet war. Auch die farbigen Muster am Dach hatten ihre Schönheit unverändert erhalten. Und vor den goldenen Buddha-Statuen im Birojeon (Halle des Vairocana-Buddhas), die 1992 erneut vergoldet wurden, stehen damals wie heute Frauen mit gefalteten Händen, die um das Wohlergehen der Familie und einen Sohn beten. Der Reiz der traditionellen koreanischen Hanok-Häuser liegt in ihrer architektonischen Zurückhaltung und Schlichtheit. Auch die kleinen und großen Gebäude des Tempels Jikjisa strahlen diese besondere, schlichte Schönheit aus. Früher war die Farbe frisch gestrichener Gebäude normalerweise immer zu stark, so dass man oft den Blick abwenden musste, aber heute sind die Farbtöne – womöglich wegen einer neuen Maltechnik – gedämpfter und gesetzter, was sehr angenehm für das Auge ist. Solche Tempelgebäude und der ansprechend gestaltete Hof machen die Tempelanlage zu einem Raum voller natürlicher Eleganz. Schade ist nur, dass die Gebäude etwas zu dicht angeordnet sind. Daher gefielen mir besonders der mit Bambusbäumen gefüllte Hintergarten des Hauptgebäudes und das abgelegene
1
ruhige Tal, das vom Birojeon am GlockenPavillon Hwagangnu vorbei zum Josajeon (Josa-Halle, wo der Ordensgründer verehrt wird) führt. Es scheint sich in den zehn Jahren kaum verändert zu haben. Der Hof im Westen des Tempelmuseums (Jikji Museum of Buddhist Arts) mit seinem hoch aufragenden Kaminturm aus Dachziegelstücken und Lehm hat seinen ästhetischen Reiz bewahrt. Dazu entdeckte ich diesmal aber etwas Neues: Gegenüber dem Museum sah ich in
Gwahacheon ist die repräsentativste Quelle von Gimcheon, die für ihre hervorragende Wasserqualität bekannt ist. Da die traditionellen alkoholischen Getränke, die man mit diesem Quellwasser herstellte, für ihren hervorragenden Geschmack und ihren Duft bekannt waren, nannte man die Quelle auch „Jucheon“, „Weinquelle“. Gwahaju, der Reiswein aus dem Wasser von Gwahacheon, gilt auch heute noch als Spezialität von Gimcheon, auf die die Bewohner stolz sind.
1 Ein Stein mit der Inschrift „Weinquelle“ an der Quelle Gwahacheon, deren Wasser für den Reiswein Gwahaju, eine regionale Spezialität, verwendet wird.
2 72 Koreana | Winter 2009
2 Das Tor Cheonwangmun im Tempel Jikjisa 3 Das Sudo-Tal liegt südlich von Gimcheon.
einiger Entfernung ein altes Tor. Als ich es öffnete, fand ich mich vor einem kleinen Bambuswald wieder. Um den Blättern zu entgehen, folgte ich mit leicht gesenktem Kopf dem schmalen Pfad, der zu einem Garten mit schön gepflegtem Rasen und einem kleinen Teehaus führte. Es war in der ganzen Tempelanlage das einzige Gebäude im westlichen Stil und mit Glasfenstern. Ich blieb eine Weile im Garten. Wenn jemand gekommen wäre, hätte ich ihn um eine Tasse Tee bitten wollen, aber obwohl ich mich eine geraume Zeit lang dort umsah, erschien keine Menschenseele. Aber das hatte auch etwas für sich. Und noch etwas fiel mir bei meinem diesmaligen Besuch im Tempel Jikjisa auf, was ich vor zehn Jahren nicht bemerkt hatte: In diesem Tempel gab es im Vergleich zu anderen Tempeln besonders viele Frischwasserquellen. Allein innerhalb des Tempelgeländes finden sich elf Quellen. An allen wichtigen Stellen standen große Steinmörser voll mit klarem Wasser, von dem jeder Besucher nach Herzenslust trinken konnte. Mir fiel ein, dass der Taxifahrer das gute Wasser als Gimcheons Besonderheit genannt hatte.
Der Tempel Sudoam Nach meiner Übernachtung in der Bergpension im Sudo-Tal machte ich mich am nächsten Morgen zum Tempel Sudoam auf, der etwa eine halbe Stunde weiter bergauf lag. Der Hof eines Tempels ist immer sauber gefegt und auch den breiten Hof des Sudoam, den die ersten Sonnenstrahlen zärtlich streichelten, musste schon jemand in aller Herrgottsfrühe gefegt haben. Für die meisten Normalsterblichen hat der Tag um diese Zeit noch gar nicht angefangen, doch die Mönche hatten bereits Morgenzeremonie und Frühstück hinter sich und sich wieder in ihre Zimmer zurückgezogen. Im Hof herrschte Stille. Der Tempel Sudoam wurde im Jahr 859 von dem großen buddhistischen Priester Doseon-guksa aus dem Silla-Reich errichtet und in der Joseon-Zeit 1894 beim Donghak-Bauernaufstand niedergebrannt. Der Vairocana-Steinbuddha in
3
der Haupthalle Daejeokgwangjeon (Birojeon), Nationalschatz Nr. 307, gilt in Bezug auf Größe und Stil als repräsentativ für die Buddha-Statuen aus dem Silla-Reich des 9. Jahrhunderts. Östlich davon befindet sich die Yakgwangjeon, eine Halle, in der der Buddha der Heilung Bhaisajyaguru (Nationalschatz 296) aufbewahrt wird. Die beiden dreistöckigen Steinpagoden, die jeweils östlich und westlich im Hof vor den beiden Buddha-Hallen stehen, sind ebenfalls Nationalschätze. Leider fehlt mir die notwendige Kenntnis, um einen Nationalschatz-Buddha von einer normalen Buddha-Statue unter-
scheiden zu können, aber schon der weitläufige weiße Hof und die vom Hof zum Hauptgebäude führende hohe Steintreppe wirken ehrfurchtserregend. Berauscht vom herrlichen Anblick des Tempels auf dem Berg, der allmählich aus den Strahlen der aufgehenden Sonne aufstieg, stand ich auf den Treppenstufen, bevor ich schließlich begann, unter der Treppe Morgengymnastik zu machen.
Der Tempel Cheongamsa Cheongamsa, der zwei Kilometer östlich des Sudoam liegt, ist ebenfalls ein sehr bekannter Tempel. Diesen Tempel Winter 2009 | Koreana 73
1 Ein pagodenförmiger Kaminturm im Tempel Jikjisa, der aus Dachziegelstücken und Lehm gemacht ist.
2 Seongsan Yeosi Hahoetaek, das Stammhaus des Yeo-Clans aus Seongsan, im Dorf Guseongmyeon, das zum Kulturgut Nr. 388 der Provinz Gyeongsangbuk-do erklärt wurde.
1
besuchte ich mit Führung. Am Tag vorher hatte Herr Song Gi-dong, ein netter Mitarbeiter des Gimcheon Kulturzentrums, mir die freundliche Frau Mun Mal-sun vorgestellt. Frau Mun, Ende dreißig, die im zwei Kilometer unterhalb des Cheongamsa liegenden Dorf eine Gaststätte betreibt, war eine sehr freundliche und schlagfertige Frau. Es heißt, dass neben dem Sudoam auch dieser Tempel von Doseonguksa gebaut worden sein soll. Doseonguksa, geboren in der Stadt Yeongam in der Provinz Jeollabuk-do, wurde bereits mit 15 Jahren Mönch und aufgrund seines Ruhms als Meister der Geomantik (Feng-Shui) scheint er überall im Land herumgekommen zu sein. Seine Spuren finden sich jedenfalls in verschiedenen, in herrlicher Landschaft gelegenen Tempeln im ganzen Land, die er erbauen half, so z.B. auch im 74 Koreana | Winter 2009
Doseonsa im Seouler Viertel Ui-dong. Der Name Cheongamsa (Tempel der blaugrünen Felsen) geht darauf zurück, dass die Felsen im Tal unterhalb des Tempels mit grünem Moos bewachsen sind. Linker Hand des Pfads, der zum Tempel führt, findet sich tatsächlich eine moosbedeckte Felswand. Die kleine Quelle gegenüber heißt Ubicheon. Aus geomantischer Perpektive soll das Tempelgelände in Bezug auf seine Form eine „liegende Kuh“ darstellen, wobei die Quelle der Nase der Kuh entspricht. „Wenn eine Kuh eine nasse Nase hat, dann ist das ein Zeichen von guter Gesundheit. Genauso ist es bei dieser Quelle. Wenn im Tempel und im Land Frieden herrscht, sprudelt das Wasser reichlich aus der Quelle, aber wenn es irgendwelche nationale Katastrophen gibt, trocknet die Quelle aus“, erklärte Frau Mun.
Sie sagte zwei Mal während ihrer Erklärungen, dass es ihr schwer falle, in diesem Tempel zu sprechen. Sie machte sich Sorgen darüber, dass sie vielleicht die stille Atmosphäre des Tempels stören könnte. Cheongamsa ist ein Tempel für Bhikkhuni (buddhistische Nonnen), dem auch eine Universität angegliedert ist. Deshalb ist man noch vorsichtiger beim Sprechen und achtet auf sein Benehmen. Ich wusste zwar, dass es eine Universität für buddhistische Ordensangehörige ist, aber nicht dass es sich um eine Bhikkuni-Universität handelt. Mir wurde jetzt erst klar, warum so viele junge Nonnen auf dem Tempelgelände waren. Anders als bei anderen großen Tempeln gibt es vor dem Eingang des Cheongamsa keine Gaststätten, was auf Besucher nicht gerade einen einladenden Eindruck macht. Aber dank der vielen jungen Novizinnen herrscht im Tempel eine freundliche und warme Atmosphäre. Auf den beiden Seiten des kleinen Bachs stehen sich die beiden Hauptgebäude Geungnakjeon und Nambyeoldang gegenüber. In Nambyeoldang wohnte drei Jahre lang Königin Inhyeon-wanghu, die ZweitGemahlin König Sukjongs, im Exil, nachdem ihr im Jahre 1689 der KöniginnenTitel aberkannt worden war. Das Gebäude im Stil der Palastarchitektur, das der Hof damals für die tragische Königin bauen ließ, beherbergt heute die Universität des Tempels. Als ich den Tempel besuchte, waren die Studentinnen bei der Pflege des Gemüsebeetes im Vorhof des Geungnakjeon. Darunter gab es auch eine junge westliche Frau mit blauen Augen.
Die Wunden des Kriegs In Buhang-myeon, einem Bergdorf süd-
westlich der Stadt Gimcheon, gibt es einen alten Wachturm. Dieser Wachturm, der zwar auf der Kulturgüter-Liste der Stadt Gimcheon registriert, aber in den Touristenbroschüren nicht zu finden ist, ist ein Überbleibsel des Koreakriegs. Der Turm, der nur dem Namen nach ein Kulturgut ist und in Wirklichkeit nur die Ruine eines Betonbaus, stand vernachlässigt im Gestrüpp. Aber ich habe mich gefragt, ob nicht noch vielen Bewohnern von Gimcheon eine Last groß wie diese Ruine auf das Herz drückt. Ich erinnerte mich an Kim Il-ung, einen Meister der Messingschmiedekunst und Stolz der Stadt Gimcheon, der bereits mit elf das Handwerk gelernt und 58 Jahre betrieben hatte. Im Koreakrieg packte er alle von ihm gefertigten Messingprodukte zusammen und floh bis Waegwan im Süden von Gimcheon. Der Wirt der Bergpension erzählte, dass er auch bis Waegwan kam. Weiter nach Süden konnte man nicht, weil die Brücke über den Fluss Nakdonggang gesprengt worden war. Gimcheon und die umgebende Region haben im Koreakrieg die stärksten Schäden davongetragen. Die Truppen der nordkoreanischen Volksarmee eroberten in kurzer Zeit die Stadt Seoul, drangen weiter
nach Süden vor und nahmen dabei die verkehrsgünstig gelegene Stadt Gimcheon als Ausgangsbasis für den Angriff auf die Städte Daegu und Busan. Daher bombardierten die UNO-Truppen das ganze traditionsreiche Gebiet um den Stadtkern, wo viele Menschen konzentriert wohnten. 80% des städtischen Bereichs wurden dabei zerstört. In diesem heftigen Kampf zwischen Nord und Süd kamen unzählige Menschen ums Leben. Nicht nur bewaffnete Soldaten, sondern auch unschuldige Zivilisten, die nicht flüchteten, sondern blieben, um ihre Häuser in den Bergtälern zu verteidigen, mussten hilflos sterben. Der Onkel des Pensionswirts, der nicht geflohen war, wurde beschuldigt, ein Kollaborateur der nordkoreanischen Truppen zu sein und als Verräter getötet. Als ich von dem historischen Hintergrund der Stadt erfuhr, wurde mir klar, woran der erste Eindruck von Gimcheon, den ich vor zehn Jahren bekommen hatte, lag. Damals, bereits ein halbes Jahrhundert nach dem Krieg, hatte sich die Stadt immer noch nicht vom Albtraum des Kriegs befreit. In alten Dörfern auf dem Lande gibt es in Korea normalerweise viele traditionelle Hanok-Häuser, aber in
Gimcheon steht kaum noch ein richtiges Hanok-Haus. Das alte Hanok-Stammhaus Hahoetaek des Yeo-Clans von Seongsan im Dorf Guseong-myeon war das einzige Hanok, das ich in Gimcheon sah. Aber auch dieses Haus war verlassen und in nicht so gutem Zustand. Im Krieg gingen viele schönen Dinge verloren. Obwohl seitdem viel Zeit vergangen ist, gibt es immer noch viele leere Stellen in der Stadt, die gefüllt werden müssen. In Buhang-myeon, wo der Wachturm steht, fließt der Fluss Buhangcheon. Am Buhangcheon, der zu den zahlreichen Nebenflüssen des Gamcheon, der Lebensader der Stadt Gimcheon, gehört, wird gerade ein Damm gebaut. Wenn der Damm, der 54,3 Mio. Tonnen Kapazität haben soll, fertig ist, werden viele kleine alte Dörfer von Buhang-myeon im Wasser versinken. Daher werden auch gleichzeitig Bauprojekte wie neue Straßen und Tunnel vorangetrieben. Außerdem werden während der Bauarbeiten die Überreste von Siedlungen aus der Jungsteinzeit und der Bronzezeit aus dem Flussbett ausgegraben. Wo Menschen leben, überschneiden sich alte und neue Kultur ohne Ende. Ich bin gespannt, wie die Zukunft der Stadt Gimcheon aussehen wird.
Winter 2009 | Koreana 75
2
KĂœCHE
76 Koreana | Winter 2009
Austernreis:
eine Winter-Delikatesse Wenn die Koreaner mehr Abwechslung auf den Tisch bringen wollen, kochen sie den Reis einfach zusammen mit Meeresfrüchten oder Gemüse. Kocht man die Zutaten mit und isst das Ganze anschließend mit einer Würzsoße gemischt, ergibt sich noch einmal ein ganz anderer Geschmack als bei Bibimbab, bei dem man Reis und verschiedene Gemüse getrennt kocht und anschließend mit einer scharfen Chili-Paste vermischt isst. Je nach Zutat wird der Reis „Gulbap“ (Reis mit Austern), „Kongnamulbap“ (Reis mit Sojabohnensprossen), „Mubap“ (Reis mit Rettich) usw. genannt. Hier stellen wir Ihnen Gulbap vor. Shim Young Soon L eiterin des Shim Young-soon Korean Food Research Institute, Autorin des Buches Best Tastes of Korean Food Fotos: Ahn Hong-beom
„G
ul“ (Auster), auch „Guljogae“ (Austernmuschel) genannt, wird mit chinesischen Schriftzeichen auch als „Moryeo“ (牡蠣: männliche Muschel) oder „Seokhwa“ (石花: steinerne Blume) bezeichnet. Die Auster (Ostreidae) lebt im Meer und gehört zur Klasse der Muscheln und zur Familie der Austern. Sie wird zum Stamm der Weichtiere gezählt und besitzt unterhalb der Schale einen weichen Körper. Ungefähr 22 Austernsorten sind bekannt und sie dienen alle dem menschlichen Verzehr. Austern haben eine sehr lange Geschichte als Nahrungsquelle für den Menschen. In Korea wurden in Muschelhaufen aus der Vorzeit zahlreiche Austernschalen gefunden. Auch enthalten viele alte Schriften Bezüge zu Austern. Vor allem werden im Sinjeung Dongguk Yeoji Seungnam (新增 東國輿地勝覽), dem Überarbeiteten und
ergänzten Überblick über die Geographie Koreas (1530), Austern als regionale Produkte aller sieben Provinzen, ausgenommen der Provinz Gangwon-do, genannt. Das zeigt, dass die Koreaner schon seit alters her mit Austern vertraut sind.
Inhaltsstoffe und Wirkung Austern sind dermaßen reich an Nährstoffen, dass sie sogar „Milch des Meeres“ genannt werden. Sie weisen auch einen hohen Eisengehalt auf, weswegen sie gut gegen Anämie sind. Zudem wirken sie stärkend für Menschen mit geschwächten Leberfunktionen. Austern haben einen hohen Tauringehalt und wirken daher gegen Bluthochdruck, der auf übermäßige Salzzufuhr zurückzuführen ist. Auch wird der Blutdruck durch die Verringerung des Cholesterinspiegels im Blutplasma gesenkt. Austern liefern darü-
Gibt man dem Austernreis Gulbap verschiedene Gemüse und Nüsse hinzu, wird der Geschmack deutlich bereichert. Winter 2009 | Koreana 77
Die Hauptzutat von Gulbap sind zwar Austern, aber man kann den Geschmack der Austern durch den Zusatz von anderen Meeresfrüchten, von Gemüsen oder Nüssen bereichern. Der warme Austernreis wird in Portionsschalen gefüllt und mit einer Würzmarinade aus Sojasoße und Senf gemischt gegessen.
ber hinaus Mikronährstoffe wie Vitamin A, D, E, B1, B2, C, Niazin, Kalium, Kalzium usw., wobei das Kalzium besonders schnell vom Körper aufgenommen wird. Austern helfen auch gegen stressbedingte Zustände, wirken durstlöschend und verbessern durch die Erhöhung der Blutzirkulation das Gesamterscheinungsbild. Sie enthalten auch reichlich Proteine wie Histidine und Lidine. Austern sind sehr weich und leicht verdaulich, was sie zu einem idealen Nahrungsmittel für Rekonvaleszierende, ältere Menschen und Kinder macht. Die Austern, die in Korea kultiviert werden, sind in der Übergangszeit vom Herbst zum Winter besonders gut; dann ist der Nährstoffgehalt am höchsten und der Geschmack am besten. Während dieser Zeit besitzen Austern auch viel tierische Stärke wie Glykogen, also Glykose und Glykoside, die sehr wichtig für Energieproduktion und Metabolismus sind. Vom Frühling bis Spätsommer ist Laichsaison. Daher schmeckt die Auster dann nicht so gut und beinhaltet jahreszeitlich bedingt viele Kalkstoffe. Zudem ist es im Vergleich zur Austernsaison schwieriger, sie auf den Vertriebswegen frisch zu halten. Man sollte besonders im Hochsommer den Verzehr von rohen Austern vermeiden, da sie zu dieser Zeit schnell giftig werden, was bei rohem Verzehr
Eine sorgfältige Auswahl und Handhabung der frischen Austern machen Gulbap zu einem nährstoffreichen und herzhaften Mahl, mit dem man der Winterkälte trotzen kann. 78 Koreana | Winter 2009
zu Vergiftungen führen kann. Auch sind die Austern dann mager, weil sie ihre Reproduktionsorgane zur Reife bringen müssen, was ihren Geschmack entsprechend beeinträchtigt.
Einkaufstipps und Vorsichtsmaß regeln Weil Austern einen ganz charakteristischen Eigengeschmack besitzen und das Fleisch sehr weich ist, empfiehlt es sich, sie roh zu essen. Austern sind jedoch eine Muschelart, die schwierig zu wählen, aufzubewahren und zu handhaben ist. Beim Kauf ist auf höchstmögliche Frische zu achten, d.h. man sollte nach Möglichkeit noch lebende Austern kaufen. Frische Austern haben eine ausgeprägt klare, milchweiße Farbe und eine glänzende Oberfläche. Auch ist es ein Zeichen von Frische, wenn das Fleisch auf
Fingerdruck mit einer gewissen Spannkraft reagiert. Es ist ratsam, Muscheln zu wählen, die in in ihrer Form klare Linien aufweisen und deren Fleisch eine gewisse Elastizität besitzt. Austern sollten nach dem Kauf möglichst schnell verzehrt werden. Will man sie aufbewahren, sollten sie in der Schale bei unter 10°C an der Luft gelagert werden, allerdings nicht länger als eine Woche nach der Ernte. Austern ohne Schale sollte man in Meerwasser bei einer Temperatur von unter 10°C aufbewahren; sie verlieren allerdings an Frische, wenn man sie mehrere Tage stehen lässt. Es gibt natürlich gewachsene und gezüchtete Austern, wobei es nicht leicht ist, zwischen beiden anhand von Aussehen und Geschmack zu unterscheiden. Die kultivierten Austern,
die zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt gebracht werden, haben eine einheitlichere Größe als die Austern aus der Natur und sind praller gewachsen. Aber unabhängig davon, ob es gefangene oder kultivierte Muscheln sind, schmecken sie je nach Jahr, Herkunftsregion und Frischegrad, der je nach Frischhaltevorkehrungen während des Vertriebs variiert, anders. Daher ist es wichtig, nach den oben erwähnten Kriterien die richtige Wahl zu treffen und möglichst frische Austern zu kaufen.
Zubereitung Austern sollte man nie in frischem Wasser stehen lassen oder waschen. Das ist die grundsätzlichste aller Regeln zur Bewahrung des Geschmacks, und zwar unabhängig davon, ob die Austern aus der Schale gegessen oder fürs Kochen vorbereitet werden sollen. Der Eigengeschmack bleibt nur erhalten, wenn man sie in Salzwasser wäscht. Gulbap ist eine Delikatesse, die reich an Geschmack und Nährstoffgehalt ist. In Korea kann man zwar das ganze Jahr hindurch Gulbap genießen, aber es geht nichts über den Geschmack von Gulbap, der mit Reis der neuen Ernte und Austern, die während der Saison gefangen wurden, zubereitet wird. Im Folgenden stellen wir ein Gulbap-Rezept vor, das Zutaten wie Meeresfrüchte, Gemüse, Jujuben, Walnüsse, Pinienkerne, Gingkonüsse usw. enthält, die den Geschmack maximieren. Der Reis wird zusammen mit einer Würzmarinade auf Basis von Sojasoße und Senf serviert.
Zubereitung von Gulbap Zutaten für Gulbap 3 Becher Reis (1Becher: 236,6g), 20g Dasima (Kombu-Seetang), 400g Austern, 100g kleine Garnelen, 1 Seeohr, 50g Rettich, 30g Austernpilze (der Sorte King Oyster Mushroom), 3 Kastanien, 2 EL Gingkonüsse, 4 getrocknete Jujuben, 1EL Walnüsse, 1EL Pinienkerne, Sesamöl, Hyangsin-Saft, Gukganjang (Sojasoße für das Würzen von Suppen) mit Meeresfrüchtegeschmack, Öl, Salz
Gewürzmarinade 2EL Sojasoße, 2TL Dasima-Brühe, 1EL gehackter Lauch, 1EL Senfsoße, 1/3TL Ahornzuckersirup, 1TL Satsumasirup, 1 Prise Pfeffer
Zubereitung 1. Den Reis gut waschen und mit Sesamöl mischen 2. 2 Becher Wasser mit 20g Dasima, 1EL Hyangsin-Saft, 2EL Gukganjang mit Meeresfrüchtegeschmack und 1 Prise Salz kochen. Der Hyangsin-Saft ist eine Marinade aus Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer und koreanischen Birnen, die als Zutat optional ist. Um Gukganjang mit Meeresfrüchtegeschmack herzustellen, kocht man Cheongjang (leichte Sojasoße) mit Anschovis, Dasima, Echtem Bonito (Katsuwonus pelamis), Tintenfisch und Zwiebeln. Als Ersatz kann man auch Cheongjang mit Wasser verdünnt verwenden. 3. Die Austern ein oder zwei Mal in Salzwasser waschen und Schalenreste entfernen. Abtropfen lassen und dann kurz durchkochen. Garnelen und Seeohren in dünne Streifen schneiden und zusammen mit den Austernpilzen braten. Die Kastanien schälen, die Jujuben entkernen und jeweils vierteln. Den Rettich in dünne Streifen schneiden und blanchieren. 4. Die Zutaten unter 1 in die gekochte Brühe von 2 geben und den Reis kochen. 5. Wenn der Reis dampft, die Zutaten unter 3 und die verschiedenen Nüsse hinzugeben und alles zusammen hinreichend dämpfen lassen. 6. Die Zutaten für die Gewürzmarinade mischen, in eine Schale füllen und zusammen mit dem Reis servieren.
Winter 2009 | Koreana 79
BLICK AUS DER FERNE
Ein Jahr NNSC Swiss Delegation -
Panmunjeom
Für das schweizerische Militärdepartement war ich 1965 für die NNSC (Neutral Nations Supervisory Commission) in Panmunjeom als Quartiermeister tätig. Ich war für Ankunft und Abreise der Delegationsmitglieder verantwortlich sowie für Verpflegungsbeschaffung und Unterkunft. Das war eine sehr interessante und abwechslungsreiche Aufgabe. Guido Oberwiler Oberst a.D.
F
ür das schweizerische Militärdepartement war ich 1965 für die NNSC in Panmunjeom als Quartiermeister tätig. Der erste Vertrag war für sechs Monate gültig und bei vorbildlichem Verhalten konnte für weitere sechs Monate verlängert werden, was ich dann auch machte. Die Hinreise erfolgte via Frankfurt nach New York, San Francisco mit Übernachtung auf einer Navybase. Dann ging es weiter nach Hawaii mit vier Tagen Aufenthalt in einem Camp der Amerikaner in Honolulu, welches direkt am Ufer des Pazifischen Ozeans lag. Wow! In Tokio wurde ich dann von meinem Vorgänger abgeholt und nach Panmunjeom gebracht. In der ersten Nacht gab es heftige Detonationen im Norden und ich dachte bei mir, dass ich besser zu Hause geblieben wäre. Am Morgen beim Frühstück war ich sehr kurz angebunden und die Kollegen wollten wissen, was los sei. Ich fragte, ob sie die vielen Detonationen im Norden nicht gehört hätten. Darauf antworteten sie, dass das fast jede Nacht passiere, da Nordkorea Artilleriestellungen am Südhang der Berge vorbereite. Um die Amerikaner im Ungewissen zu lassen, werde das nachts gemacht. Für mich jedoch war es ganz unlogisch, Artilleriestellungen am Südhang zu bauen. Logisch wäre im Norden gewesen, um dann über den Berg in den Süden zu schießen. Mit der Zeit habe ich mich dann an den Nachtlärm gewöhnt. Als Quartiermeister war ich für Ankunft und Abreise der Delegationsmitglieder verantwortlich sowie für Verpflegungsbeschaffung und Unterkunft. Das war eine sehr interessante und abwechslungsreiche Aufgabe. Wir hatten nicht nur mit dem Süden Kontakt sondern auch mit den Delegierten von Schweden im gleichen Camp. Im Norden über der Demarkationslinie waren die Tschechoslowaken und die Polen. Zusätzlich hatten
80 Koreana | Winter 2009
wir mit der KPA (Korean People’s Army) und den CPV (Chinese People’s Volunteers) Kontakt. Am Dienstag fanden jeweils die Sitzungen der vier Überwachungsdelegationen mit den zwei Delegierten der Chinesen und zwei Nordkoreanern statt. Diverse Unterlagen wurden ausgetauscht und eventuelle Fragen besprochen. Am Wachposten unseres Camps lernte ich einen Katusa (Südkoreaner, der bei den Amerikanern seinen Militärdienst leistet) kennen. Seine Eltern wohnten auf der Insel Ganghwa-do. Für die Wochenenden konnten wir bei den Amerikanern einen Fahrer mit Fahrzeug bestellen. Mein Freund Lee Sang-ok lud mich ein, seine Eltern zu besuchen. So fuhr ich mit zwei Amerikanern und Lee nach Ganghwa-do. Wir konnten nur mit einer Fähre auf die Insel übersetzen. Für die amerikanischen Fahrer war es Pflicht, mit dem Fahrzeug in einem bewachten Camp zu übernachten. Zum Glück hatte es ein solches auf der Insel. Bei einem Reisbauer Gast zu sein, war für mich ein einmaliges Erlebnis. Zu jener Zeit gab es noch kein elektrisches Licht auf der Insel. Wir wurden von den Eltern und Geschwistern freundlich aufgenommen. In dieser Zeit lernte ich Land und Leute lieben. Was mich sehr faszinierte, waren die mit Stroh bedeckten Bauernhäuser. Ein seit Jahrhunderten erfolgreicher Dachaufbau. Das Stroh hält im Winter die Wärme zusammen und im Sommer wird die Hitze abgehalten. Zudem war das Stroh gratis. Für den Ferienbezug bekamen wir die Bewilligung im fernen Osten mit dem MATS (Military Air Transportation System) günstig zu fliegen. Nach der Anmeldung beim Ticketschalter kamen wir auf eine Warteliste. Sobald ein Flug frei war, konnten wir die Reise antreten. Mit einem Freund der Delegation war ich so auf den Phillipinen, in Vietnam, Thailand und Malaysia. Dank dieser Reisen haben wir unvergessliche Tage erlebt
und Bekanntschaften gemacht. Wir waren auch zu den Nationalfeiertagen der verschiedenen Länder eingeladen. Ein spezielles Fest war für uns der 1. August in Panmunjeom mit über 100 Gästen. So verstrich dieses Jahr in Korea außerordentlich schnell. Eine interessante Zeit, die ich nie missen möchte. 1987 hielt Oberst Kaufmann von der Adjutantur in Bern bei der Offiziersgesellschaft in Wil einen Vortrag über den Einsatz der Schweizer in Panmunjeom. An diesem Abend erwähnte er, dass Bern einen Kommandantsstellvertreter suche. Dieses Angebot schien mir verlockend. Die Umstände ließen es aber nicht zu, zu diesem Zeitpunkt die Reise anzutreten. Unerwartet kam anfangs 1990 die Gelegenheit, als Alternate (Kommandantstellvertreter) nach Korea zu gehen. Die Firma Bühler willigte ein, mich ein Jahr zu beurlauben. Nach reiflichen Überlegungen und Diskussionen mit der ganzen Familie willigte meine Frau ein, in der Schweiz die Stellung zu halten und mir meinen Lebenstraum zu erfüllen. Es freute mich, dass wir es der ganzen Familie ermöglichen konnten, mich zu besuchen. Bei der Fahrt vom Flughafen Kimpo nach Panmunjeom stellte ich mit Schrecken fest, dass die Bauernhäuser nicht mehr mit Stroh gedeckt waren, sondern mit Blechdächern, was für mich eine riesige Enttäuschung war. Anfang des Sommers bekam ich Heimweh nach meiner Familie. Meine Frau und ich fragten den jüngsten Sohn, ob er nach den Herbstferien nicht bei mir bleiben wolle. Er willigte ein, obwohl er nur einige Brocken Englisch sprach. Dank des Direktors der American High School lernte er die Sprache innerhalb von acht Monaten. Er konnte sich rasch an Gesprächen beteiligen. Unter der Woche wohnte er bei einer Schweizer Familie in Seoul und am Wochenende konnte er nach Panmun-
jeom kommen, oder ich war mit ihm in unserem Pavillon im amerikanischen Militärstützpunkt Yongsan in Seoul. Wir waren etliche Male zu Gast bei größeren Aufführungen in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang. Einmal waren wir sogar auf dem Baekdu-san, einem riesigen, erloschenen Vulkanberg in Nordkorea. Das war ein weiterer Höhepunkt während meines Aufenthalts im Land der Morgenstille. Die Unterschiede zwischen Nord- und Südkorea waren so extrem, dass ich es fast nicht glauben konnte. Der Norden ist 120 Prozent kommunistisch und das Militär ist der bestimmende Faktor. Die wirtschaftlichen Veränderungen in Südkorea waren nach 25 Jahren riesig. Der Wechsel von einem Bauernstaat zu einer großen Industrienation war augenfällig. Das war unter anderem dank der großen Unterstützung der Amerikaner möglich. Bei meinem zweiten Aufenthalt hatten wir an den Wochenenden keine Fahrer mehr zur Verfügung, lediglich für die Fahrt am Freitagabend nach Seoul und am Montagmorgen wieder zurück nach Panmunjeom. Ich hatte das Glück, bei einer Vernissage einen aufgeschlossenen jungen Koreaner kennen zu lernen, der uns dann in Seoul und Incheon sehr viel zeigen konnte. Wir haben viele Stunden während meines Aufenthalts in Südkorea mit ihm und seinem Bruder verbracht. Er betreibt nun ein eigenes Geschäft mit Transformatoren und elektrischen Anlagen und hat uns auch schon verschiedene Male in der Schweiz besucht. Am meisten bedrückt mich, dass das Waffenstillstandsabkommen seit mehr als 50 Jahren immer noch nicht in einen Friedensvertrag umgewandelt werden konnte. Wer kann da noch helfen? Ich schließe das koreanische Volk in meine Gebete ein und hoffe fest, dass es eines Tages zur Wiedervereinigung kommt.
Winter 2009 | Koreana 81
LEBEN
Blogkultur und Powerblogger in Korea W
ie jeder weiß, ist geteilte Freude doppelte Freude und geteiltes Leid nur noch halbes Leid. Der Kontakt mit anderen Menschen bereichert unser Leben und macht es noch lebenswerter. Aus diesem Grund haben sich die Menschen seit der Entwicklung der Sprache darum bemüht, ihre Gefühle mit anderen zu teilen. Mit der Zeit hat sich zwar das Medium zur Mitteilung unserer Erfahrungen verändert, der dahinter stehende Wille zur Mitteilung ist jedoch unverändert geblieben. Auf der Schwelle zum neuen Millennium wurde ein neues Kommunikationsmedium geboren, das heutzutage die ganze Welt beherrscht: das Blog. Auch Korea wurde von dieser neuen Strömung erfasst und entwickelte eine eigene, koreaspezifische Blog-Kultur.
Ein weltweites Phänomen Der Begriff „Blog“ ist eine Abkürzung des Neologismus „Weblog“, den John Barger im Jahr 1997 schuf, um die Form einer chronologisch sortierten Liste von Einträgen zu beschreiben. Obwohl die Meinungen über die konkrete Geburtsstunde des Blogs auseinandergehen, kann man sagen, dass Blogs im Jahr 1999 mit der Einrichtung der amerikanischen Blog-Services Pitas und Blogger allgemeine Verbreitung fanden. Man weiß zwar nicht ganz genau, wie viele Blogs es heute gibt, aber die bekannte Blogsuchmaschine Technorati erfasste im Jahr 2008 112,8 Mio. Blogs. Es dauerte einige Jahre, bis die Blog-Welle auch nach Korea schwappte, aber 2001 wurde eine Blog-Webseite namens Weblog-In-Korea eingerichtet. Die erste Blogger-Gemeinde aus etwa 150 Bloggern schrieb das erste Kapitel der koreanischen Blog-Geschichte. Aber wie es auch in den USA der Fall gewesen war, verbreitete sich das Phänomen erst mit der Entstehung von Blog-Services, die auf die Interessen der Blogger ausgerichtet waren. Zum Beispiel startete die im Jahr 1999 eingerichtete Soziales-Netzwerk-Website CyWorld im Jahr 2001 ihren Mini-Hompage-Service. Über diesen kostenlosen Service können die Netizens kurze Nachrichten hinterlassen, Fotos aufladen oder Hintergrundbilder für ihre Mini-Hompage und Kleidung für ihren Avatar auswählen, um ihren Online-Auftritt individuell zu gestalten. Der Service erlebte seit Herbst 2002 einen wesentlichen Aufschwung. 2003 kündigte die Einrichtung von AbleClick , des ersten Blog-Spezialservices in Korea, das Zeitalter der Portalseiten-Blogs und der allgemeinen Verbreitung des Blog-Trends an. Auf diese neue Welle reagierten kommerzielle Portalseiten wie Daum, Nate, Naver, Yahoo Korea usw. mit dem Start eigener, konkurrierender Blog-Services. Solche Portal-Blog-Services stellten den koreanischen Internetnutzern die Blog-Kultur vor und behaupteten sich als starke Präsenzen in der koreanischen Blogosphäre. Seitdem hat die Blog-Kultur als reprä82 Koreana | Winter 2009
Für die koreanischen Netizens, die sich bestens mit dem Internet auskennen, sind Blogs eine Art von Online-Gemeinschaft der Gleichgesinnten. Bemerkenswert ist, dass dieses Phämomen zum Auftreten von Powerbloggers führte, die mit ihren Blogs zu Ruhm und Reichtum kommen können.
Nach Angaben der Korea Internet and Security Agency aus dem Jahr 2007 lesen 56,8% der koreanischen Internetnutzer regelmäßig Blogs und 42,9% betreiben selbst ein eigenes Blog. Mit der Verbreitung von Blogs sind auch die sogenannten Powerblogger aufgekommen. Charles La Shure Professor, Graduate School of Interpretation and Translation, Hankuk University of Foreign Studies Fotos: Ahn Hong-beom
sentativste Erscheinung der koreanischen Internet-Kultur Wurzeln geschlagen, was an den „Power-Bloggern“, die durch ihre Blogs zu mehr oder weniger großem Ruhm und Reichtum gelangt sind, oder an der enormen Zahl der Internetnutzer, für die Bloggen zur Alltagsbeschäftigung gehört, zu erkennen ist.
Die koreanische Blogosphäre Blogs haben sich als ein wichtiger Bestandteil der koreanischen Kultur profiliert. Nach dem 2007 von der internationalen PR-Agentur Edelman veröffentlichten Corporate Guide to the Global Blogosphere liegt Korea bezüglich des Anteils der Netizens, die regelmäßig Blog-Seiten besuchen, mit 43% auf Platz zwei hinter Japan. Ähnliche Ergebnisse finden sich in einem Bericht der Korea Internet and Security Agency aus dem Jahr 2007: Danach besuchen 56,8% der koreanischen Internetnutzer regelmäßig Blog-Seiten und 42,9% betreiben selbst ein eigenes Blog. Mit der Verbreitung von Blogs sind auch die so genannten Powerblogger aufgekommen. Powerblogger betreiben Blogs, die auf spezielle Themen wie Kochen, Filmkritik oder Blogs selbst ausgerichtet sind und bieten auf ihren Blogs aktuelle und hochwertige Informationen, wodurch sie eine große und treue Leserschaft gewinnen. Viele Powerblogger machen das Bloggen zum Beruf und erzielen Einnahmen, indem sie Werbung in ihre Blogs stellen oder ihre Blog-Beiträge in Buchform publizieren. Mun Seongsil ist eine Mutter von Zwillingen, die mehrere Kochblogs betreibt. Sie stellt auf ihren Blogs leckere Kochrezepte vor, die durch Fotos für die einzelnen Zubereitungsschritte lebendig erklärt werden. Aus den Kochrezepten auf ihren Blogs machte sie vier Kochbücher. Yi Jiseon betreibt ein Metablog namens Blogkorea . Ein Metablog ist, wie der Name bereits andeutet, ein Blog über Blogs, das für die Blogleser die besten Blogs aus der Blogosphäre auswählt. Lee schrieb auch ein Buch über Blogs: Blogs einrichten – vom Computeranalphabeten zum Powerblogger. Choe Munjeong ist eine weitere Powerbloggerin, die durch ihr Blog in die Verlagsindustrie einstieg. Ihr Blog ist insofern einzigartig, als dass sie nicht spezielle Themen wie Kochen oder Blogs behandelt, sondern über ihre eigenen persönlichen Erfahrungen erzählt. Ihr Erzählstil ist so populär, dass ihre Webseite in nur zwei Jahren nach dem Start eine Besucherzahl von über einer Million erreichte; seitdem hat sie einen eigenen Verlag gegründet und zwei Bände mit ihren Erzählungen veröffentlicht. Winter 2009 | Koreana 83
Suchen Sie fürs Abendessen nach Rezepten für koreanische Beilagen? Möchten Sie wissen, was die Leute über den jüngsten Filmhit denken? Oder haben Sie vielleicht Interesse daran, mit einer Sportart wie Schwimmen oder Radfahren zu beginnen? In der Blogosphäre können Sie Menschen, die Ihre Interessen teilen und auf ihren Blogs Informationen darüber anbieten, kennen lernen. Blogs sind für die Koreaner eine reiche Schatzkammer der Informationen.
84 Koreana | Winter 2009
1
1 Hausfrauen, für die das Internet zum Alltag gehört, suchen im Web nach neuen Rezepten oder interessanten Variationen, die den Esstisch bereichern können.
2~3 B logs im Cyberspace sind Treffpunkte für Menschen mit gleichen Interessen, über die sie Informationen über ihr Hobby erhalten können wie hier z.B. Trockenblumenkunst oder Blumenstecken.
2
Die Bereiche Verlagswesen oder Journalismus weisen traditionell große Hürden auf, so dass es allgemein sehr viel Zeit und Mühe kostet, sich erfolgreich hochzuarbeiten. Aber Blogs haben diese Einstiegsbarrieren herabgesetzt. Die Powerblogger sind der beste Beweis dafür, dass jeder erfolgreich sein kann, der ausreichend Talent hat, genügend Begeisterung für den gewählten Interessensbereich aufbringt und weder Zeit noch Mühe für die Arbeit scheut. Powerblogger wie Choe Munjeong haben gezeigt, wie sie aus eigener Kraft Hindernisse aller Art erfolgreich überwanden, indem sie die Dinge in die eigene Hand nahmen. Ihr Einfluss und ihr innerer Antrieb sind so groß, dass sie die traditionellen Medien kanäle umgehen und sich ohne Vermittler direkt an ihre treue Leserschaft und auch an neue Leser wenden können. Selbstverständlich wird nicht aus jedem Blogger ein erfolgreicher Powerblogger; bei der großen Mehrheit in der koreanischen Blogosphäre handelt es sich um weitgehend unbekannte Blogger. Manche wollen zwar Powerblogger werden, aber die meisten sind schon damit zufrieden, am Rande der Informationsautobahn einen eigenen kleinen Straßenladen eröffnet zu haben. Einige betreiben in CyWorld ihre eigene Mini-Hompage, auf der sie ihre Fotos mit Familie oder Freunden teilen, andere haben einen Blog auf einer Portalseite, auf dem sie über ihr Leben oder ihre Meinungen zu den verschiedensten Themen schreiben. Das Bild des einsamen Bloggers, der in einer kleinen Ecke der Blogosphäre für ein paar Freunde und Familienmitglieder Contents produziert, mag zwar grob die allgemeine Realität in den USA widerspiegeln, die Situation in Korea sieht jedoch etwas anders aus. Während in den USA spezielle Blog-Services wie Blogger, Live Journal oder Type Pad der Standard sind, basieren die meisten koreanischen Blogs auf großen Portalseiten. Selbst die neueren, spezialisierten Blog-Services wie Tistory oder Egloos gehören zu Internet-Portal-Firmen oder deren Mutterfirmen. (Tistory gehört zur Portalfirma Daum Communication und Egloos zur Telekommunikationsfirma SK Telecom, die auch Besitzer von
3
Cyworld und der Portalseite Nate ist). Dieses Umfeld erleichtert es in Korea, die Blogs mit den bestehenden Communities zu verknüpfen und so steigt für die Blogger die Chance, dass ihre Contents von Lesern außerhalb ihres kleinen Freundeskreises gelesen werden. Auf jeder koreanischen Portalseite findet man auf der ersten Seite Links zu den beliebtesten Blogs mit ihren aktuellsten Beiträgen. Es gibt auch Portalseiten wie z.B. Naver , die zur Förderung beliebter Blogs jährlich populäre Blogs in Bereichen wie Kultur, Stars, Innenraumgestaltung und Lebensstil auswählen und sie als Powerblogs preiskrönen. Wenn die Blog-Leser alle nur Blogger wären, dann wäre die Blogosphäre nichts als eine virtuelle Blogger-Plauderecke. Aber auch viele Koreaner, die kein eigenes Blog betreiben, lesen regelmäßig verschiedene Blogs. Solche Blog-Besuche laufen über die Homepages der großen Portalseiten wie Naver oder Yahoo Korea. Gibt man in der Suchmaschine einen Suchbegriff ein, werden die Suchergebnisse unter verschiedenen Kategorien wie Nachrichten, allgemeine Webseiten, Blogs, Sponsorenlinks usw. angegeben. Bemerkenswert ist, dass nach gebührenpflichtigen Hyperlinks, Sponsorenlinks und speziellen Kategorien meistens direkt die „Blog“-Gruppe kommt. Suchen Sie fürs Abendessen nach Rezepten für koreanische Beilagen? Möchten Sie wissen, was die Leute über den jüngsten Filmhit denken? Oder haben Sie vielleicht Interesse daran, mit einer Sportart wie Schwimmen oder Radfahren zu beginnen? In der Blogosphäre können Sie Menschen, die Ihre Interessen teilen und auf ihren Blogs Informationen darüber anbieten, kennen lernen. Blogs sind für die Koreaner eine reiche Schatzkammer der Informationen. Aber diese Einstellung gegenüber Blogs ist nicht universal. Zum Beispiel hat man in den USA Bedenken darüber, dass die steigende Zahl der Blogs die Sucheergebnisse qualitätsmäßig in entsprechendem Maße herabsetzt. Ein Student jammerte: „Viele Winter 2009 | Koreana 85
Für die Verleger sind Powerblogger potentielle Bestsellerautoren, die es zu ermutigen gilt. Umgekehrt sind allerdings mittlerweile einige Powerblogger so beliebt unter ihrer treuen Leserschaft geworden, dass sie einen eigenen Verlag aufgemacht haben.
Blogs geben vor, nützliche Informationen zu bieten, obwohl sie nur sinnlose Plaudereien enthalten. Wenn man sich in Google über wichtige politische oder gesellschaftliche Ereignisse informieren möchte, muss man mit dem Abrufen ab dem 40. Ergebnis oder so anfangen, weil davor zu viele Blog-Beiträge mit minderwertigen Inhalten angezeigt werden.“ Kurz nach der Einführung von Blogs im Jahr 2003 erstellte Google wegen dieses Problems eine extra Seite für „Blogs Durchsuchen“, so dass unter den Hauptergebnissen nicht mehr so viele Blogs erscheinen. Im Gegensatz dazu genießen in Korea die Meinungen der „Bürgerjournalisten“ über aktuelle Nachrichten und Angelegenheiten große Aufmerksamkeit unter den Internetnutzern. In der koreanischen Blogosphäre wird die Online-Demokratie im wahrsten Sinne des Wortes verwirklicht, indem im Vergleich zu den Blogosphären anderer Länder jeder als gleichberechtigt gilt und jede Stimme die gleiche Chance auf Gehör hat. Blogs sind für die Koreaner, die sich mit den modernen Technologien gut auskennen, ein weiterer Aspekt ihres Alltagslebens in der Informationsgesellschaft.
Blogs: Quo vadis? Obwohl die Verbreitung von Blogs mit Portalgrundlage in Korea dabei hilft, ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen und einen leichteren Zugang zu Blog-Contents zu gewährleisten, gibt es auch nachteilige Effekte. IT-Berater Yi Gang-seok, der sich selbst als „Early Adapter“ bezeichnet und beim AllBlog’s Award 2008 zu den zehn besten Bloggern im Bereich Wissenschaft und Technologie zählte, beschreibt die Grenzen der Portal-basierten Blogosphäre wie folgt: „Sämtliche Neigungen der Blogger in Richtung BürgerJournalismus werden durch die eindeutige Position der Portalseiten in Bezug auf Skandalaufdeckungen durch Unternehmensmit arbeiter, Produktkritiken von Konsumentenseite oder politische Kritik geschwächt. Der Interessengegensatz zwischen Bloggern und Portalseiten wird weiter anhalten, wobei die Portalseiten sich in der besseren Ausgangslage befinden. Es besteht die große 86 Koreana | Winter 2009
Wahrscheinlichkeit, dass dieser Konflikt mit den Bloggern dazu führen wird, dass die Portalseiten die Rolle der Blogger auf einfache Contents-Produzenten reduzieren werden.“ Es ist schwer vorherzusagen, in welche Richtung sich die Blogs in Zukunft entwickeln werden. Doch es ist klar, dass die Portalseiten für die koreanische Blogosphäre weiterhin eine wesentliche Rolle spielen werden. Und wie die Geschichte beweist, können die Hoffnungen und Erwartungen der allgemeinen Öffentlichkeit nicht auf ewig unterdrückt werden. In der koreanischen Geschichte gibt es viele Beispiele dafür, dass sich die einfachen Bürger zum Widerstand erhoben, um sich für die Sache, an die sie glaubten, einzusetzen. Wenn die Zahl der Blogger mit starken Überzeugungen hinreichend steigt, könnte es auch eine Revolution in der Blogosphäre geben. Es könnte ein unabhängiges Blog-ServiceSystem, das mit Portalseiten konkurriert, eingeführt werden, oder es könnte dazu kommen, dass immer mehr Blogger auf ihren eigenen Domains eigene Blogs betreiben. Unabhängig davon, welche Entwicklung die koreanische Blogophäre künftig erleben wird, steht außer Zweifel, dass Blogs einen wichtigen Bestandteil des Lebens der Koreaner darstellen. Während man lange Zeit Tagebücher und Briefe schrieb, um seine Meinungen und Gedanken festzuhalten oder Erfahrungen mit Familie oder Freunden zu teilen, sind Blogs heutzutage für Koreaner aller Altersgruppen ein wichtiges Medium des Austausches geworden. Die Koreaner teilen auf diese Weise ihr Leben mitein ander als Individuen, aber dadurch bestätigen sie sich gleichzeitig auch als Teil des koreanischen Volkes und damit Teil der Menschheit als Ganzes. So wie die Blogs von heute anders aussehen als die von vor zehn Jahren, so werden auch die Blogs in zehn Jahren anders aussehen als die von heute. Aber das Verlangen danach, das eigene Leben mit anderen Menschen auf der ganzen Welt teilen und der Welt angehören zu wollen, ist und bleibt unverändert. Die Blogs werden auch weiterhin eine bedeutende Rolle im Leben der Koreaner spielen.
R e i s e n i n d i e k o r e a n i s c h e Literatur
Yi Mun-yol
Yi Mun-yol ist ein Autor, der sich seit seinem Debüt im Jahr 1977 in unterschiedlichster Form mit verblüffend vielfältigen Themen wie existenzielle Angst, Religion und Kunst, Landesteilung und ideologische Konflikte auseinandergesetzt hat. Aus der Feder dieses produktiven Schriftstellers sind zahlreiche Bestseller geflossen wie Menschensohn, Jugend-
jahre, Dem Kaiser oder Grenzgebiet. Seine im Jahr 1982 veröffentlichte Erzählung Die Insel der Anonymität ist eine kleine Erzählung, die die für ihn typische Schaffensweise, i.e. das Primat des Konzepts, gut demonstriert.
REZENSION
Die faszinierende Erzählkunst und das Primat des Konzepts: Die Insel der Anonymität von
Yi Mun-yol
Jung Hong-su Literaturkritiker
W
enn die modernen Erzählungen und Romane das Ergebnis der Erfindung bzw. Entwicklung eines epischen Stils sind, dem die kapitalistische Moderne gegenübersteht, so wird die Funktion des „Erzählens“ in der epischen Literatur unweigerlich kleiner. Trotzdem kann man nicht verneinen, dass auch für die modernen Erzählungen und Romane „das Erzählen“ und das „dem Erzählten Zuhören“ als ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen immer noch als eine nicht gering zu schätzende Antriebskraft fungiert. Um die Begeisterung des Lesepublikums über das glanzvolle Erscheinen des Schriftstellers Yi Mun-yol (geb. 1948) in der koreanischen Literatur im letzten Jahrhundert zu verstehen, werden Annährungen aus verschiedenen Blickwinkeln vonnöten sein, aber seine Erzählkunst kann dabei nicht genug betont werden. Man kann aber auch die auf Basis des umfassenden Wissens des Schriftstellers, für den die Bildung das höchste Gut ist, aus allen Ecken des menschlichen Lebens geschöpften, überaus vielfältigen Themen als den Grund für die Anziehungskraft und die Macht seiner Werke nennen, oder den eleganten, verfeinerten Stil, der mit seiner intensiven Lektüre der Klassiker des Ostens und Westens im Zusammenhang zu stehen scheint. Auch die romantische Weltanschauung, die „die Sehnsucht nach dem Fernen“ in sich trägt, und die literarische Nostalgie nach der Inkarnation des asiatischen Geistes, die mitunter sogar auch etwas regressiv anmutet, sind ebenfalls nicht zu übersehende Komponenten, die seinen Werken ihre ganze spezielle Note ver88 Koreana | Winter 2009
leihen. Zudem hat Yi in seinen existentiell begründeten Versuchen, die Schmerzen seiner Familie, deren Oberhaupt nach Nordkorea ging, zu verstehen und zu überwinden, eine eigene ideologische Grundlage für die Kritik der Gewalt und der Eitelkeit der Ideologie aufgebaut und diese Thematik ununterbrochen zur Agenda seines Schreibens gemacht. Dass er sich damit dem heißesten Thema der koreanischen Gegenwartsliteratur nach der Teilung des Landes geradezu frontal gestellt hat, verleiht seinem Schaffen literaturhistorische Bedeutung. Die schriftstellerische Individualität von Yi Mun-yol sollte vielleicht aber trotz alledem in seinen erzählkünstlerischen Fähigkeiten gesucht werden, worauf viele Kritiker bereits verwiesen haben. Das heißt jedoch nicht, dass er für die besondere Position oder für die Möglichkeiten der modernen Erzählung bzw. des modernen Romans, die sich von dem vormodernen „Erzählstil“ wie z.B. dem Epos oder dem französischen Ritterepos verabschieden mussten, unsensibel wäre. Der Anarchismus in Yi Mun-yols Werken ist weitgehend beabsichtigt wie es in seinem Roman Dem Kaiser , der als eines seiner repräsentativen Werke gilt, der Fall ist. Wenn seine Erzählkunst in seinen Werken hervorsticht, so liegt es wohl daran, dass er den in gewissem Sinne schicksalhaften Entwicklungsgang der modernen Erzählung kritisch betrachtet. Es bedarf besonderer Beachtung, dass seine „hervorrangende Erzählkunst“ auf einer Linie mit dem Primat des Konzepts bei seinem Schaffen steht, der ein weiterer wichtiger Aspekt der Besonderheit seiner Erzählungen bzw. Romane ist. Die verblüffend vielfältigen Themen in seinen Werken sind streng genommen nicht offen zur Realität. Der Autor scheint zu allen Themen in seinen Werken bereits eine unumstößliche, vorgefasste Meinung zu haben. Daran liegt es wohl, dass seine Werke eher den Eindruck erwecken, dass das Erzählen eher einer raffinierten literarischen Rhetorik der Überzeugung des Lesers und der Bestätigung seiner eigenen Ansichten dient, als dass es als Erkundungsprozess einer offenen Realität ausgeführt wird. Sein umfassendes Wissen und sein Bildungshumanismus, die seinen Werken Geltung verschaffen, und seine elegante Sprache setzen auch da Kräfte frei, wo die
Rhetorik ihren Beitrag zu Inhalt und Stil leistet. Der Schlüssel seiner Schaffensweise ist darin zu sehen, dass das Primat des Konzepts das Erzählen unter Kontrolle hält und Geschichten unterschiedlicher Art hervorbringt. Seine im Jahr 1982 veröffentlichte Erzählung Die Insel der Anonymität zeigt diese Charakteristika von Yi Munyols Erzählungen aufs Vortrefflichste. Diese Erzählung, die die Methoden der Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse der Frauen eines Sippendorfs in der Provinz Gyeongsang-do behandelt, könnte man als eine anthropologische Fallstudie bezeichnen. Wie ein schreibender Alchimist verwandelt der Autor die Anonymität, die oft als ein typisches Merkmal des modernen städtischen Lebens bezeichnet wird, zu einem universellen Thema, das sich nicht auf die modernen Städte beschränkt. Die predigtartige Klage des Ehemannes, der beim Zuschauen des Berichts über die geheimen Tanzkeller in den Fernsehnachrichten über die sexuelle Zügellosigkeit und den moralischen Verfall in Zusammenhang mit der „Anonymität“ der modernen Gesellschaft klagt, erinnert die fiktive Erzählerin, eine Frau mittleren Alters, an die Zeit vor etwa zehn Jahren, als sie gleich nach ihrem Studienabschluss als Lehrerin in einer Grundschule in einem abgelegenen Bergdorf antrat. Die ganz spezielle Geschichte in ihrer Erinnerung bezeugt, dass ein ländliches Sippendorf, in dem alle Bewohner blutsverwandt sind, entgegen der Annahme ihres Ehemannes keine Ausnahme in Bezug auf abweichendes Verhalten unter dem Deckmantel der Anonymität bildet. Die Erzählung Die Insel der Anonymität bietet dem Leser eine Erinnerung, deren Anfang, Mitte und Ende von der fiktiven Erzählerin bereits perfekt gegliedert sind, in einer nochmals bearbeiteten Form an. Die Neugier der Erzählerin wird an ihrem Antrittstag an
der Bushaltestelle durch die Begegnung mit einem Mann geweckt, in dessen Blick eine Mischung aus Dumpfheit und Wahn liegt. Die Erzählerin kommt im Zuge ihrer detektivischen Aufschlüsselungen Stück für Stück der Wahrheit auf die Spur. Die Andeutungen und Übergänge, die der Autor in diesem Prozess verlegt hat, sind so glatt aufeinander abgestimmt, dass ihre Natürlichkeit in Zweifel gezogen werden könnte. Diese epische Glattheit ist darauf zurückzuführen, dass die Erzählung basierend auf einer bereits vorgefassten Antwort deduktiv strukturiert ist. Die Tatsache, die eigentlich überraschend wirken könnte, nämlich, dass die Figur Kkaecheol mit ihrem seltsamem Blick der anerkannte Liebhaber aller Dorffrauen ist, der ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigt, und dass hier das stillschweigende Einverständnis bzw. die stumme Zustimmung der Dorfleute einschließlich der Ehemänner am Wirken ist, mehr oder weniger vorhersehbar erscheint, rührt von dem erwähnten deduktiven Vorgehen her. Deshalb fungiert das „schockierende“ Geständnis, dass die fiktive Erzählerin sich auf das sexuelle Angebot, das ein offenes Geheimnis ist, einlässt als ein raffinierter Ausweg aus der epischen Künstlichkeit der Erzählung. Hier finden wir Yis Schaffensmethode - „das Primat des Konzepts“ - noch einmal bestätigt. Da für den Erhalt und Fortbestand einer Gesellschaft ein Ausgleich für überschüssige Bedürfnisse, die über das rationale Maß hinausgehen, nötig ist, können überflüssigen Existenzen wie Kkaecheol, die die menschliche Gemeinschaft aus anthropologischer Weisheit heraus bereitgestellt hat, eine gewisse Legitimität und Universalität zuerkannt werden. Kkaecheol stellt auch eine schöne Allegorie für das Verborgene der menschlichen Gesellschaft dar. Diese anthropologische Einsicht kann nicht einzig dem Schriftsteller Yi Mun-yol zu eigen sein, aber die erzählkünstlerische Qualität, daraus eine interessante Geschichte wie Die Insel der Anonymität zu schaffen, ist ausreichend, um den Namen Yi Mun-yol in Verbindung mit der literarischen Originalität einer ganz besonderen Klasse zu bringen.
Winter 2009 | Koreana 89