Frühjahr 2017
HOCHZEIT
ISSN 1975-0617
jahrgang 12, nr. 1
Literary Translation in a Post-Trump World | Seoul International Writers’ Festival 2016 LTI Korea Translation Award | Reviews of latest translations | Book excerpts
HOCHZEIT
AUF KOREANISCH
Traditionelle koreanische Hochzeiten: einst und heute; Königliche Hochzeiten im Joseon-Reich: betrachtet im Spiegel der Uigwe-Dokumente; Heirat heute: von Honsu bis Honeymoon; Zukunft der Ehe; Ehe: ein Garten mit alten Schildern namens Liebe und Glück; Internationale Ehen: ein persönlicher Bericht
WINTER 2016
SPEZIAL
FRüHjAHR 2017
http://KoreanLiteratureNow.com
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST
IMPRESSIONEN
AUFNAHMEZEREMONIE IM NONSAN KOREA ARMY TRAINING CENTER Kim Hwa-young Literaturkritiker, Mitglied der national academy of arts
„I
m Vertrauen auf dich können deine Eltern und geschwister beruhigt schlafen!“ Vor einem überdimensionalen Plakat marschieren reihen junger Männer mit Igelhaarschnitt. Sie sehen angespannt aus. aber es sind weder Kriegsgefangene noch gefängnisinsassen, sondern frisch zum Wehrdienst eingezogene junge Männer der republik Korea, die den „Schlaf der Eltern und geschwister“, der für den Frieden des staatlichen gemeinwesens steht, schützen werden. Im Korea army Training Center, dem rekruten-ausbildungslager in nonsan, Provinz Chungcheongnam-do im Südwesten Koreas, wiederholt sich diese Szene jeden Montag und Donnerstag. neben dem Plakat mit dem Willkommensgruß für die frisch Eingezogenen sind Militärausrüstungen, Waffen, Kampfanzüge und alltägliche gebrauchsgegenstände zur Schau gestellt, die etwas über das Leben eines jungen Mannes im Militär verraten. Diesen „ritus“ wird jeder koreanische Mann über 18, der körperlich und geistig für den Militärdienst als tauglich befunden wird, früher oder später durchlaufen müssen. Es ist ein Fest der besonderen art, zu dem sich pro Jahr etwa 7.000 Teilnehmer – 2.000 frischgebackene rekruten sowie deren Familien, Verwandte und Freundinnen – versammeln. Wenn die aufnahmezeremonie vorbei ist und die gäste gegangen sind, werden die jungen Männer ins aufnahmebataillon aufgenommen, wo sie in den folgenden drei Tagen gesundheits- und Eignungsprüfungen unterzogen und mit allem ausrüstungsutensilien für ihr künftiges Soldatenleben versorgt werden. Danach beginnt die fünfwöchige harte grundausbildung. am zweiten Dienstag nach der aufnahme wird den Eltern per SMS mitgeteilt, welchem ausbildungsregiment ihr Sohn zugeteilt wurde, und seine zivilen Kleidungsstücke werden zusammen mit einem Brief nach hause geschickt. Eltern, die „das Paket des Soldatensohnes an seine Eltern“ bekommen, sind voller Sorgen, denn nun beginnt der knapp zweijährige – in einigen Fällen auch längere – Wehrdienst, der den Sohn gefahren aussetzen könnte. Doch die Koreaner haben sich mittlerweile an die ständige Kriegsgefahr gewöhnt, die nach dem ausbruch des Koreakriegs 1950 nun schon seit über 60 Jahren auf der koreanischen halbinsel lauert. Terrorgefahr in fernen Ländern, von deren Besuch abgeraten wird, scheint realer und furchteinflößender. Das nonsan Korea army Training Center ist eine der weltweit größten militärischen ausbildungskasernen. auf einem areal, das 76 Mal größer als das Sangam World Cup Stadion in Seoul ist, leben fast so viele rekruten und ausbilder wie in dem 16.500-Einwohner-Städtchen in der nähe. Dort werden 45% der jährlich 125.000 neu eingezogenen rekruten der armee der republik Korea ausgebildet. Seit der Einrichtung der Kaserne im Jahr 1951 macht das ca. 7,8 Mio. neue Soldaten. Es bleibt nach wie vor ein rätsel, wie die vielen jungen Männer, die beim gesundheitscheck für nicht tauglich befunden und so von diesem ritual zum Erwachsenwerden befreit wurden, später zu führenden Persönlichkeiten der gesellschaftlichen Elite aufsteigen konnten.
Von der redaktion
Eheschließung: Implikationen für Koreas Zukunft Die Ehe als Institution ist universal, aber hochzeiten als zeremonielle Procedere der Formalisierung der Schließung des Ehebunds zwischen zwei Individuen unterscheiden sich je nach kultureller, ethnischer und religiöser gruppenzugehörigkeit und auch je nach gesellschaftlicher Schicht. hochzeiten bringen zudem die unterschiedlichen Bräuche und Traditionen von einzelnen Familien und gesellschaften zum ausdruck, ganz zu schweigen von den Werten derjenigen, die den Bund fürs Leben schließen. „hochzeit auf Koreanisch“, die SPEZIaL-reihe der vorliegenden ausgabe, bietet die gelegenheit, mehr über traditionelle und moderne hochzeitsbräuche, diese wichtigen Bestandteile der koreanischen gesellschaft und Kultur, zu erfahren. Die SPEZIaL-Beiträge geben unseren Lesern einen Blick auf unterschiedliche hochzeitsszenen – angefangen bei königlichen Eheschließungen in alter Zeit bis hin zu modernen hochzeiten – und erklären verschiedene zeremonielle Bräuche und deren Symbolgehalt. Die autoren setzen sich darüber hinaus mit der jetzigen und künftigen Bedeutung der Ehe auseinander, wobei sie aufschlussreiche Betrachtungen über die sich wandelnden normen und haltungen in Bezug auf Liebe und eheliches Miteinander werfen. Diese Diskussionen sind eng verbunden mit den demographischen Problemen Koreas. Die Zahl der Eheschließungen und geburten sinkt beständig, da die jungen Koreaner u.a. wegen arbeitslosigkeit und finanzieller Unsicherheit heirat und Familiengründung zunehmend aufschieben oder gar ganz vermeiden. Wir hoffen, dass die Thematik bei unseren Lesern anklang findet und dabei helfen kann, diese von vielen nationen der Welt geteilten Besorgnisse noch besser zu verstehen. Ahn In-kyoung Chefredakteurin der deutschen ausgabe
VERLEGER REDAKTIONSDIREKTOR CHEFREDAKTEURIN REDAKTIONSBEIRAT
COPY EDITOR KREATIVDIREKTOR LEKTORAT KUNSTDIREKTOR DESIGNER
Lee Si-hyung Kim gwang-keun ahn In-kyoung Bae Bien-u Charles La Shure Choi Young-in han Kyung-koo Kim hwa-young Kim Young-na Koh Mi-seok Song hye-jin Song Young-man Werner Sasse anneliese Stern-Ko Kim Sam Lim Sun-kun, Park Do-geun, Park Sin-hye Lee Young-bok Kim Ji-hyun, Kim nam-hyung, Yeob Lan-kyeong
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Kim’s Communication associates 44 Yanghwa-ro 7-gil, Mapo-gu Seoul 04035, Korea www.gegd.co.kr Tel: 82-2-335-4741 Fax: 82-2-335-4743
üBERSETZER
ahn In-kyoung anneliese Stern-Ko Do Young-in Kim Eun-ji Park Ji-hyoung
Preis pro heft in Korea 6.000 Won außerhalb Koreas US $9 Detailinformationen zu den Subskriptionspreisen finden Sie auf Seite 84. THE KOREA FOUNDATION BERLINER BüRO c/o Botschaft der republik Korea Stülerstraße 8-10, 10787 Berlin, germany Tel: +49-(0)30-260-65-458 / Fax: +49-(0)30-260-65-52 E-mail: koreana@kf.or.kr
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST Frühjahr 2017
Bräutigam und Braut begeben sich in Begleitung ihrer Diener zum haus des Bräutigams, wo die hochzeitszeremonie stattfindet. Das Bild gehört zu seiner Serie, die die hauptereignisse des idealen Lebenswegs eines Mannes aus der Joseon Zeit (1392-1910) darstellt.
Hochzeit Kim hong-do (1745-nach 1806) zugeschrieben 18.-19. Jh., Tusche und Farben auf Seide, 53,9 x 35,2 cm
The Korea Foundation 2558 nambusunhwan-ro, Seocho-gu, Seoul 06750, Korea GEDRUCKT FRüHjAHR 2017 Samsung Moonwha Printing Co. 10 achasan-ro 11-gil, Seongdong-gu, Seoul 04796, Korea Tel: 82-2-468-0361/5
Viertejährlich publiziert von The Korea Foundation 2558 nambusunhwan-ro, Seocho-gu Seoul 06750, Korea http://www.koreana.or.kr
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KUNSTKRITIK
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Innere Landschaftsmalerei eines Meisters der koreanischen abstrakten Kunst Chung Jae-suk
HÜTER DES TRADITIONELLEN ERBES
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Meister Yi Seong-mo: Taucheranzüge, die das Leben der Haenyeo schützen
04
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heo Young-sun
UNTERWEGS
Wind und Steine und Zeit: eine Reise durch Süd-Jeju
48
gwak Jae-gu
Hochzeit auf koreanisch
Soul ho-joung
04
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LIfESTyLE
Digitales Fasten
Traditionelle koreanische Hochzeiten: einst und heute
Kim Dong-hwan
han Kyung-koo
10
Königliche Hochzeiten im Joseon-Reich: betrachtet im Spiegel der Uigwe-Dokumente Yi Song-mi
SPEZIAL 3
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RUND UM ZUTATEN
Verrückt nach Samgyeopsal: die Vorliebe der Koreaner für „Drei-Lagen-Fleisch“
SPEZIAL
SPEZIAL 2
Meine Rolle: Elisabeth Johanna Schepping – Missionarin, Krankenschwester und Freundin Koreas anna rihlmann
16 SPEZIAL 1
60
BLIcK AUS DER fERNE
16
Heirat heute: von Honsu bis Honeymoon
REISEN IN DIE KOREANIScHE LITERATUR
40 EIN GANZ NORMALER TAG
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„Stilvolles Melodrama“ aus der Feder eines Veteranen Choi Jae-bong
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Ähnlich und doch unterschiedlich: Leben der Angestellten in 24-Stunden-Läden
In the Mood for Love gu hyo-seo
Kim Seo-ryung
Lee Yoon-jung
SPEZIAL 4
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Zukunft der Ehe Baek Young-ok
SPEZIAL 5
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Ehe: ein Garten mit alten Schildern namens Liebe und Glück Lee Chang-guy
SPEZIAL 6
Internationale Ehen: ein persönlicher Bericht Charles La Shure
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SPEZIAL 1 hochzeit auf koreanisch
TRADITIONELLE KOREANISCHE HOCHZEITEN EINST UND HEUTE
Han Kyung-koo Kulturanthropologe, Professor, Seoul national University Fotos Ahn Hong-beom
Eine traditionelle koreanische Hochzeitszeremonie im Kulturkomplex Korea House ist traditionell und doch äußerst modern: Nicht nur wurde die Zeremonie räumlich und zeitlich komprimiert, sondern sie lässt auch Menschen, die in der Vergangenheit niemals zusammengekommen wären – Familie, Verwandtschaft und Gäste von Bräutigam und Braut – an einem Platz für die Hochzeitszeremonie und den anschließenden Empfang sich versammeln. 4 KOREANA frühjahr 2017
E
in Samstagnachmittag. Ein etwas kühler Tag, doch die Sonne strahlt und der himmel ist klar und tiefblau. Der Innenhof des im Seouler Viertel Pil-dong gelegenen Korea house, das von der Koreanischen Stiftung für Kulturelles Erbe (Korea Cultural heritage Foundation) verwaltet wird, ist voller Menschen. In der Mitte des hofes wurden ein Schirmdach und eine Faltwand aufgestellt. auf dem breiten Steinsockel einer der umgebenden, aus holz gebauten hallen haben sieben, in schöne traditionelle gewänder ge kleidete Musikerinnen und Musiker Platz genommen, die dem hof einen prachtvollen Zeremonialanstrich verleihen. auf dem mit Binsenmatten ausgelegten Steinboden steht vor der Faltwand ein hoher hochzeitstisch, flankiert von zwei kleinen Tabletttischen in östlicher bzw. westlicher richtung. Der Tabletttisch des Bräutigams steht im Osten, der mit der positiven männlichen Yang-Energie assoziierten himmelsrichtung, der Tabletttisch der Braut im Westen, der mit der negativen weiblichen Yin-Energie assoziierten himmelsrichtung.
Hochzeit in einem traditionellen Innenhof auf dem hochzeitstisch stehen Teller mit Zeremonialgaben wie Jujuben und Maronen sowie Kiefer- und Bambus-Bonsai, darunter, in Tücher eingeschlagen, ein lebender hahn und eine henne. Die gaben unterscheiden sich zwar je nach region, allgemein üblich sind jedoch Jujuben, die für Vitalität und Langlebigkeit stehen, Maronen, die den Wunsch nach glück und gesundheit symbolisieren, sowie die henne als Fruchtbarkeitssymbol. Die immergrüne Kiefer und der aufrecht wachsende Bambus sind Zeichen der Treue. Obwohl es hellichter nachmittag ist, stehen auch zwei Kerzen, eine blaue und eine rote, auf dem Tisch. Die Yin und Yang symbolisierenden Kerzen waren früher wohl unverzichtbar, weil hochzeitszeremonien üblicherweise abends stattfanden. aber selbst in den modernen hochzeitssälen von heute gibt es nach wie vor eine blaue und eine rote Kerze, und die hochzeitszeremonie beginnt damit, dass die Mütter des Bräutigams und der Braut gemeinsam den Saal betreten und die Kerzen anzünden. Im Korea house stehen südlich des hochzeitstisches wie bei jeder anderen hochzeit auch reihen von Stühlen. auf der einen Seite sitzen Eltern und gäste des Bräutigams, auf der anderen Eltern und gäste der Braut. Doch immer noch stehen viele Leute im hof herum. Einige haben keinen Sitzplatz mehr gefunden, andere sind ausländische Touristen. größtenteils sind es aber gäste, die nur kurz ihr gesicht zeigen und nach der abgabe des üblichen geldgeschenk-Umschlags noch vor dem Ende der Zeremonie davoneilen wollen. auch wenn in letzter Zeit kleinere hochzeitsfeiern zunehmend bevorzugt werden, ist eine hochzeit im eigenen Bekannten-
Die Braut und der Bräutigam, beide in traditioneller hochzeitstracht, sitzen einander auf der westlichen bzw. östlichen Seite des hohen, mit einem roten und einem blauen Tuch bedeckten hochzeitstisches gegenüber. Ort der Zeremonie ist der hof des Korea house in der Seouler Stadtmitte.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 5
kreis in Korea immer noch eine Veranstaltung, die man mit einem Umschlag in der hand besuchen sollte. Endlich erscheint der Zeremonienmeister, ein kräftiger herr in Dopo (langer, formeller gelehrtenmantel) und gat (zylinderförmiger herrenhut) und nimmt seinen Platz auf der nördlichen Seite des hochzeitstisches ein. Bei hochzeitszeremonien, die nicht von einem geistlichen geleitet werden, bittet man heutzutage eine angesehene respektsperson wie z.B. einen ehemaligen Lehrer des Bräutigams oder einen guten Bekannten der Eltern, die rolle des Zeremonieleiters zu übernehmen, der auch die Festansprache hält. Bei einer traditionellen hochzeit braucht man jedoch nur jemanden zum Vorlesen der einzelnen Zeremonieschritte, weshalb man früher meist einen älteren, der chinesischen Schrift kundigen nachbarn darum bat. Der diesmalige Zeremonienmeister ist ein zum Korea house gehöriger professioneller Moderator, der manchmal auch bei Ssireum-Wettkämpfen (Ssireum: traditioneller koreanischer ringkampf) moderiert. Bald darauf entfaltet der Zeremonienmeister den Fächer, auf dem der ablauf der Zeremonie steht, und kündigt mit den Worten „haeng Chinyeong-rye“ feierlich den Beginn der Zeremonie an. Für den Fall, dass jemand den sinokoreanischen ausdruck nicht verstehen sollte, erklärt er, dass jetzt die Zeremonie des Begrüßens der Braut durch den Bräutigam stattfinden werde.
Chinyeong-rye: Begrüßung und Heimführung der Braut In der konfuzianischen Tradition ist Chinyeong-rye ursprünglich das ritual, bei dem der Bräutigam sich zum haus der Braut aufmacht, um diese zu begrüßen und für die hochzeit in sein Elternhaus zu geleiten. allerdings steht in den Königlichen annalen aus der frühen Joseon-Zeit (1392-1910), dass „nach den Sitten und gebräuchen unseres Landes der Mann in die Familie der Frau einheiratet und dort seine Söhne und Enkel großzieht“ und dass „in unserem Land der in China übliche Chinyeong-Brauch des heimführens der Braut ins haus des Bräutigams nicht existiert. Daher betrachtet der Mann das Elternhaus seiner Frau als sein heim und ihre Eltern als seine, weshalb er sie Vater und Mutter ruft“. Dem setzten die neokonfuzianischen gelehrten-Beamten entgegen, dass der Mann Yang und damit Verkörperung des himmels sei, und die Frau als Yin für die Erde stehe, weshalb sie ihrem Ehemann zu folgen und nach dem Chinyeong-Brauch im Elternhaus des Mannes leben sollte. Das heißt, der Mann sollte nicht in die Familie der Frau einheiraten, sondern die Frau in die Familie des Mannes. Die Königsfamilie ging mit gutem Beispiel voran und empfahl den Untertanen, die Braut ins haus des Bräutigams zu schicken. In manchen Fällen griff man sogar zu Zwangsmaßnahmen, doch mit geringem Erfolg, denn bei einer heirat geht es nicht nur darum, wo das Paar leben soll. auch andere gesellschaftliche Systeme und Usancen wie z.B. das Vererben von Vermögen oder das abhalten der ahnenverehrungszeremonien sind eng damit verbundene Faktoren. So kam es zum Kompromiss des Ban-Chinyeong (hal6 KOREANA frühjahr 2017
ber Chinyeong): Das Paar heiratete im Elternhaus der Braut, lebte dort eine Weile und zog dann ins Elternhaus des Mannes. Zunächst verließ das Paar das haus der Eltern der Frau erst, wenn die Kinder groß genug waren, dann verkürzte sich der aufenthalt auf drei Jahre, später auf drei Tage. auch wenn bei der hochzeit im Korea house von Chinyeong und damit von heimführung der Braut gesprochen wird, scheint die Örtlichkeit eher nach dem haus der Eltern der Braut konzipiert zu sein. als die Musiker zu spielen beginnen, liest der Zeremonienmeister in klassischem Sinokoreanisch und dann in modernem Koreanisch den nächsten Schritt des hochzeitsprotokolls vor: „Der Bräutigam tritt ein. Ihm folgt der Wildgans-Vater.“ Der Wildgans-Vater ist ein gehilfe, der für den ritus Jeonan-rye, bei dem der Bräutigam der Familie der Braut eine gans als hochzeitsgeschenk überreicht, eine hölzerne gans mitbringt und dem Bräutigam folgt. gänse dienen als hochzeitsgeschenk, weil sie mit den Jahreszeiten (oder dem Fluss von Yin und Yang) kommen und gehen. außerdem stehen sie für Beständigkeit und Treue, da sie nach der Paarung ihrem Partner bis in den Tod treu bleiben. Kurz darauf erscheint oben hinter dem gebäude der Bräutigam und begibt sich mit seinem geleit hinunter in den hof. Der Bräutigam trägt eine weinrote amtstracht mit Seidenhut, ist also wie ein hochrangiger hofbeamter der Joseon-Zeit gekleidet. Im konfuzianischen Joseon-reich strebte ein Mann danach, das gwageo-Beamtenexamen zu bestehen und eine hofbeamtenlaufbahn einzuschlagen. am Tag der hochzeit wurde mit Blick auf dieses Ideal auch Männern einfacher herkunft das Tragen der amtstracht gewährt. Der Bräutigam wird von zwei in hanbok gekleideten Kindern geleitet, die jeweils eine blaue und eine rote aus Seidenstoff gefertigte traditionelle Laterne tragen. hier wurde wohl der Brauch der Blumenkinder einer westlichen hochzeit übernommen. Der Zeremonienmeister kündigt den nächsten Schritt an: „Die Familie der Braut empfängt den Bräutigam und geleitet ihn [...] Der Bräutigam kniet sich nieder und stellt die gans auf den Tisch. [...] Der Bräutigam steht auf und verbeugt sich zweimal.“ Wie zuvor gibt der Zeremonienmeister die anweisungen in Sinokoreanisch und neukoreanisch und erklärt bei Bedarf die Bedeutung der jeweiligen Schritte. Der Bräutigam überreicht den im gegenüberliegenden gebäude sitzenden Brauteltern die hölzerne gans und macht zwei große Kotaus mit Stirnaufschlag. Damit ist der ritus Jeonan-rye des gans-Überreichens beendet und der Bräutigam geht zurück in den hof. Den anweisungen des Zeremonienmeisters folgend tritt jetzt die Braut aus dem gebäude. Sie trägt ein grünes Jeogori (boleroartiges Oberteil des hanbok) über dem orangeroten Wickelrock und auf dem Kopf eine kronenartige Jokduri-Schmuckkappe. Das hochzeitskleid ist die Kopie eines Zeremonienkleides einer adligen Dame des Joseon-reiches. Da der hochzeitstag der wichtigste und freudigste Tag in ihrem Leben war, wurde wie im Falle des Bräutigams auch der Braut das Tragen solcher Kleidung erlaubt.
Erste Begrüßung zwischen Braut und Bräutigam nun steigen die Laternenkinder, gefolgt vom Bräutigam und dahinter der Braut, die mit Satin bedeckten Stufen hinunter in den hof. auch das scheint eine kleine Variation des bei einer modernen hochzeit üblichen Einzugs von Bräutigam und Braut zu sein. Der Bräutigam stellt sich auf die östliche Seite des hochzeitstisches, die Braut auf die westliche. Sie waschen sich die hände als symbolische geste der reinigung von Körper und geist und verbeugen sich voreinander. Dieser gyobae-rye (ritus der gegenseitigen Verbeugung) genannte ritus steht für das gelöbnis der ewigen Treue und Liebe. heutzutage ist es zwar auch üblich geworden, während der Schwangerschaft oder nach der geburt des gemeinsamen Kindes zu heiraten, aber in den Zeiten vor der Moderne, als die heirat eine angelegenheit war, die von zwei Familien und nicht vom Paar beschlossen wurde, sahen sich Braut und Bräutigam beim gyobae-rye zum ersten Mal. Mit Unterstützung von rechts und links stehenden helferinnen verbeugt sich die Braut zwei Mal vor dem Bräutigam, der den gruß mit einer Verbeugung erwidert. Der Zeremonienmeister erklärt zwar, dass die Braut für Yin und damit für gerade Zahlen steht und der Bräutigam für Yang und ungerade Zahlen, aber trotzdem dürften sich junge weibliche gäste gefragt haben, warum sich die Braut zuerst verbeugen und dann doppelt so viele Verbeugungen wie der Bräutigam machen muss. Vereint durch drei Schälchen Reiswein Im anschluss an den Verbeugungsritus folgt der ritus der Zusammenführung der gefüllten reisweinschälchen, hapgeun-rye genannt. Braut und Bräutigam trinken drei Schälchen reiswein während dieser Zeremonie. Der Zeremonienmeister erklärt, dass das erste Schälchen für das gelöbnis vor himmel und Erde steht; das zweite besiegelt die Eheschließung und das dritte das gelöbnis, einander zu lieben, zu ehren und ein Leben lang zueinander zu stehen. Für das letzte und dritte gelöbnis dienen die zwei hälften eines Flaschenkürbis als Schalen, die anschließend wieder zusammengefügt werden. Das soll symbolisieren, dass der Mann und die Frau füreinander bestimmt sind und jetzt wieder „ganz werden“ und eine Einheit bilden. Traditionell wurden die Flaschenkürbishälften mit blauen bzw. roten Fäden geschmückt und an die Decke des Ehegemachs gehängt, um über das Eheglück zu wachen. In Zeiten, in denen die eheliche gemeinschaft wegen Uneinigkeiten zu Im „ritus der Zusammenführung der gefüllten reisweinschälchen“ schenken Braut und Bräutigam als Symbol für das Schließen des Ehebundes einander drei Schälchen reiswein ein.
Bei einer traditionellen koreanischen Hochzeit werden weder verbale Ehegelübde noch Ringe ausgetauscht. Braut und Bräutigam schwören einander schweigend, das Leben miteinander in Liebe und Treue zu verbringen, indem sie einander gegenüberstehen, sich höflich und von Herzen voreinander verbeugen und einander anschauen und die Flaschenkürbisschalen an die Lippen führen. KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 7
HocHzeitszeremonie im Wandel Für die Koreaner war die hochzeit einmal die wichtigste Zeremonie im Leben. harmonie und Vereinigung von Mann und Frau, von Yin und Yang, waren bereits vor der Verbreitung des Konfuzianismus Teil der schamanistischen kosmologischen auffassung und Weltanschauung, sodass heirat ein Muss war und es als großes Unglück betrachtet wurde, nicht heiraten zu können. In der agrargesellschaft der JoseonZeit machten hochrangige Lokalbeamte sogar unverheiratet gebliebene Frauen und Männer ausfindig und brachten sie mit geeigneten Ehepartnern zusammen. Dahinter stand der glaube, dass, wenn Yin und Yang nicht zusammengebracht werden und der dadurch entstandene innere groll den himmel erfüllt, die kosmischen Energien gestört werden, was Dürren und hungersnöte hervorrufen könnte. Dass im Korea von heute für ledige Männer auf dem Lande, die keine Frau finden konnten, Bräute aus südostasiatischen Ländern „importiert“ wurden, ist auch in einem gewissen Zusammenhang mit diesem Denken zu sehen. ab und zu finden nach altem Brauch immer noch spirituelle hochzeiten von Frauen und Männern statt, die starben, bevor sie heiraten konnten. nach wie vor erzählt man sich, dass die erbarmenswertesten und furchterregendsten geister die von Jungfrauen und Junggesellen sind. Doch schon heute liegt der anteil von jungen Menschen, die meinen, dass heiraten keine notwendigkeit mehr sei, bei über 50 %; die anzahl der Eheschließungen unterschritt 2016 zum ersten Mal in 40 Jahren die 300.000-Marke. Mit dem Wandel der geschlechternormen in der koreanischen gesellschaft, die lange die rollen und Beziehungen zwischen Mann und Frau mit den Prinzipien von Yin und Yang erklärte und rechtfertigte, ist es wohl unvermeidlich, dass sich auch die Einstellung zur heirat ändert. Es wird auch gesagt, dass immer mehr junge Menschen aus finanziellen gründen wie hohen Wohnimmobilien- und Mietpreisen die heirat verschieben oder ganz aufgeben. Tatsächlich hat sich in den letzten 15 Jahren das heiratsalter von Männern und Frauen bei der ersten Eheschließung um jeweils fünf Jahre erhöht. Daher sind heute Bezeichnungen wie „Old Miss“ oder „Tochter jenseits des heiratsalters“ kaum noch zu hören. Die heiratsbräuche der Koreaner haben sich in der Joseon-Zeit durch die Verbreitung des Konfuzianismus als herrschaftsideologie stark verändert. Später wurden mit der Verbreitung des Christentums im Zuge der Modernisierung sog. hochzeiten im westlichen Stil populär, bei denen anstelle eines Priesters oder Pfarrers ein Festredner mithilfe eines Moderators die Zeremonie leitet. auch der Ort der Feier wurde
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vom hof des hauses der Braut in Kirchen oder speziell für den Zweck eingerichtete hochzeitshallen verlegt. nach wie vor gibt es im Vorfeld der heirat Besprechungen zwischen den beiden Familien (Uihon), aber die Meinung und Präferenzen des Brautpaares selbst zählen inzwischen mehr. auch gibt es professionelle Ehevermittlungsagenturen. Bräuche wie napchae, nach dem die Familie des Bräutigams, der als Mann für Yang steht, der Familie der Braut einen schriftlichen heiratsantrag mit geburtsdatum und geburtsstunde des Bräutigams zuschickt, und Yeongil, nach dem die Familie der Braut nach der annahme des heiratsantrages im antwortbrief an die Familie des Bräutigams das Datum für die hochzeitszeremonie festlegt, existieren zwar bis heute, werden jedoch häufig übergangen. Beim napchae-ritus, bei dem die Familie des Bräutigams eine holztruhe mit einem Dankesbrief und geschenken an die Familie der Braut schickt, wurden früher Stoffe wie Seide für die hochzeitskleider der Braut beigelegt. In der Phase des rapiden Wirtschaftswachstums ab Ende der 1960er Jahre kamen dann noch ringe und Ketten dazu. Vor nicht einmal 20 Jahren war noch oft zu sehen, wie die Freunde des Bräutigams die „ham“ genannte holztruhe, an die Familie der Braut „verkaufte“: Ein Freund, der eine Maske aus getrocknetem Tinten1 fisch trug, diente quasi als Pferd und schleppte die schwere Truhe auf dem rücken, ein anderer übernahm die rolle des Kutschers, der das Pferd lenkt. Kam der Freundestrupp in die nähe des hauses der Braut, wurde halt gemacht und lamentiert, dass man mit so einer schweren Last keinen Zentimeter mehr weiter könne. Darufhin kamen Familie und Freunde der Braut aus dem haus, bewirteten die ham-Träger mit Speis und Trank und gab geldgeschenke, um sie dazu zu bewegen, ihren auftrag zu erledigen und die Truhe ins haus zu tragen. Es entspann sich ein scherzhaftes hin und her, bei dem die eine Seite behauptete, sich nicht von der Stelle rühren zu können und die andere sie zu überreden versuchte, doch mit ins haus zu kommen. Manchmal konnten die Freunde in ihrem gespielten Draufgängertum auch etwas zu weit gehen, sodass auch schon mal erhobene Stimmen zu hören waren. Fand die hochzeit im Dorf der Braut statt, machten sich die jungen Männer aus dem Dorf oder der Brautfamilie einen Spaß daraus, die „Tauglichkeit“ des Bräutigams durch allerlei Streiche und Possen auszutesten. Diese „Tauglichkeitsprüfung“, die ursprünglich von der Seite der Brautfamilie praktiziert wurde, wird heutzutage oft von den Freunden des Bräutigams übernommen.
zerbrechen droht, sollte das Ehepaar auf die Flaschenkürbishälften schauen und sich noch einmal besinnen. Wie aus dem beschriebenen ablauf ersichtlich, werden bei einer traditionellen koreanischen hochzeit weder verbale Ehegelübde noch ringe ausgetauscht. Braut und Bräutigam schwören einander schweigend, das Leben miteinander in Liebe und Treue zu verbringen, indem sie einander gegenüberstehen, sich höflich und von herzen voreinander verbeugen und einander anschauen und die Flaschenkürbisschalen an die Lippen führen. als nächstes kündigt der Zeremonienmeister den ritus Seonghonrye an, bei dem sich Braut und Bräutigam bei ihren jeweiligen Eltern und den gästen mit einer Verbeugung bedanken. Dieser zeremonielle Schritt wurde ebenfalls von der modernen hochzeitsfeier übernommen. Schließlich erklärt der Zeremonienmeister die hochzeitszeremonie für beendet. Er wünscht dem Paar ein gutes, glückliches Leben, Kinder und diese gut zu erziehen, und ermahnt sie, den Eltern dankbar zu sein, sich pietätvoll zu verhalten und einen Beitrag zur gesellschaft zu leisten. Bei den gästen bedankt er sich für ihre Teilnahme. Es ist eine kurze rede, wie sie ganz ähnlich auch vom Festredner auf einer modernen hochzeit als Dankeswort zu hören sein dürfte. Die traditionelle koreanische hochzeitszeremonie im Korea house ist damit zwar zu Ende, doch in den modernen hochzeitshallen in Korea steht jetzt in der regel noch die Pyebaek-Zeremonie an, die Verbeugung der Braut vor den Eltern und Verwandten des Bräutigams in einem speziell dafür ausgestatteten raum. Diese traditio-
1 auf dem Tisch stehen Zeremonialgaben wie Jujuben und Maronen, ein Kiefer- und ein Bambus-Bonsai als Zeichen der Treue sowie eine blaue und eine rote Kerze. Ursprünglich wurden ein in ein blaues Tuch eingeschlagener hahn und ein in ein rotes Tuch eingeschlagene henne auf Tabletttischchen unter dem hochzeitstisch positioniert, aber heute verwendet man nachbildungen. 2 nach der hochzeitszeremonie verbeugt sich das Brautpaar als Zeichen der Dankbarkeit vor Eltern und gästen. Dieser Brauch ist modernen hochzeitsfeiern entlehnt.
nell als hyeongugo-rye (ritus der Präsentation vor den Schwiegereltern) bekannte Begrüßungszeremonie wurde im Falle von Chinyeong ursprünglich am Morgen nach der ersten nacht im Elternhaus der Braut abgehalten und im Falle der Ban-Chinyeong-Variante nach drei nächten. heute wird Pyebaek als nebenzeremonie der hochzeitsfeier ausgerichtet.
Nachwort Stets wurde kritisiert, dass die für heirat und Familienleben gültigen normen der Koreaner den Männern Dominanz über die Frauen zugestehen und patriarchalisch geprägt sind. Doch der jüngste Wandel vermittelt den Eindruck, dass die koreanische gesellschaft wieder zu den anfängen der Joseon-Zeit zurückkehrt, als die konfuzianische Doktrin noch nicht fest verwurzelt waren. Bei frisch verheirateten Paaren scheint der Beziehung zu Familie und Verwandten der Frau im gegensatz zu der des Mannes immer mehr Wichtigkeit beigemessen zu werden. Was Bestattungsrituale betrifft, wird immer weniger zwischen Eltern und Schwiegereltern unterschieden. Im Erbrecht ist die Diskriminierung zwischen Söhnen und Töchtern gesetzlich verboten. In der heutigen koreanischen gesellschaft scheint die hochzeitsfeier kein feierlicher ritus zum gelöbnis des Zusammenlebens „bis dass der Tod euch scheidet“ mehr zu sein, sondern immer mehr nur noch ein Bestandteil des heiratsprocederes bzw. eine art Performance, die beliebig gestaltet, rückgängig gemacht und erneut versucht werden kann.
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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 9
SPEZIAL 2 hochzeit auf koreanisch
KÖNIGLICHE HOCHZEITEN IM JOSEON-REICH: BETRACHTET IM SPIEGEL DER UIGWE-DOKUMENTE
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Die Uigwe, eine immense Sammlung offizieller Aufzeichnungen über die wichtigsten Zeremonien und Riten der königlichen Familie des Joseon-Reichs (1392-1910), werden für die exzellente Qualität ihrer Text- und Bilddarstellungen geschätzt. Sie bieten genaue Einblicke in das königliche Hochzeitsprotokoll, das die Hochzeitsbräuche des Volkes über alle Klassen hinweg in vielerlei Hinsicht beeinflusste. Yi Song-mi Professorin Emerita für Kunstgeschichte, academy of Korean Studies
Das Uigwe , das gemäß der am 7. 2. 2011 zwischen Frankreich und Korea getroffenen Vereinbarung und dem Vertrag zwischen der französischen nationalbibliothek und dem koreanischen nationalmuseum jetzt als Langzeitleihgabe nach Korea zurückgekehrt ist.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 11
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nsgesamt sind zwanzig Uigwe von königlichen hochzeiten des Joseon-reiches, die erstaunlich detaillierte Informationen über das elaborierte Procedere enthalten, überliefert. Diese Protokolle dokumentieren für die Zeit 1627-1906 in Bild und Text die hochzeitsriten von Mitgliedern des Königshauses. Joseon, ein auf der grundlage neokonfuzianistischer Prinzipien gegründetes Königreich, richtete alle wichtigen rituale nach den 1474 kompilierten gukjo oryeui (normen der Fünf Zeremonien des Königshofes; 1474) aus. Im Einzelnen sind das die riten der ahnenverehrung (gil-rye ), königliche hochzeiten und riten zu anderen feierlichen anlässen (ga-rye), Empfang von ausländischen gesandten (Bin-rye ), militärische riten (gun-rye ), sowie Begräbnisriten (hyung-rye). Laut dem Kapitel über königliche hochzeiten besteht der erste Schritt in der auswahl der Braut durch ein dreistufiges auswahlverfahren, gantaek genannt. Dafür eingereicht werden die namen von in Frage kommenden jungen Mädchen aus Familien von angesehenen gelehrten oder hofbeamten, dazu die namen und offiziellen Titel von Vater, großvater und Urgroßvater. auch name und Titel der mütterlichen Linie sind bis zum großvater der Braut anzugeben.
Dreistufiges Verfahren zur Auswahl der Braut Das Mädchen, auf das in der dritten runde des strengen auswahlprocederes die Wahl fällt, wird von diesem Moment an als eine Königliche betrachtet und kehrt nicht wieder in ihr Elternhaus zurück. Sie wird in eine als Byeol-gung (Sonderpalast) bezeichnete residenz gebracht, wo sie bis zum Tag der Eheschließung in hofetikette, Benehmen und Lebensstil im Palast unterwiesen wird. aus praktischen Erwägungen galt ein Privathaushalt als nicht geeignet für die Serie von Zeremonien, die bis zur königlichen hochzeit zu durchlaufen waren. Zu diesen als „Sechs riten“ (Yuk-rye ) bekannten Zeremonien gehören der königliche heiratsantrag (napchae ), die annahme des antrags (napjing), die Bekanntgabe des Vermählungsdatums (gogi), die Investitur der Königin oder Kronprinzessin (Chaekbi oder Chaekbin ), der Besuch des königlichen Bräutigams im Sonderpalast, um die Braut zu treffen und zum Königspalast zu bringen (Chinyeong), und die formelle hochzeitszeremonie (Dongroeyeon). Während die letzte Zeremonie im Königspalast stattfand, wurden die vorausgehenden fünf riten in der regel im Sonderpalast durchgeführt. Betrachten wir einmal zwei königliche hochzeiten im Lichte der Uigwe -aufzeichnungen: Die hochzeit von Kronprinz Sohyeon und Kronprinzessin Kang im Jahr 1627 sowie die hochzeit eines regierenden Königs, König Yeongjo, und Königin Jeongsun im Jahr 1759.
Das Uigwe der hochzeit von Kronprinz Sohyeon besteht aus einem Band, der mit einer sich über acht Seiten erstreckenden Bilddarstellung des hochzeitszuges abschließt. Sin heum (1566–1658), Minister zur Linken, wurde zum aufsehenden Beamten des garye Dogam ernannt, des vorübergehend eingerichteten Büros, das für das ganze Procedere der königlichen hochzeit zuständig war. In diesem Fall diente die geburtsstätte von Kronprinz Sohyeons jüngerem Bruder als Sonderpalast der Braut. Die ersten vier der sechs riten wurden hier abgehalten, während der fünfte ritus, der Besuch des Bräutigams bei der Braut, sowie die anschließende hochzeitszeremonie im Taepyeonggwan, der halle des großen Friedens, stattfand, die normalerweise als gästehaus für chinesische gesandte genutzt wurde. nach den Uigwe -aufzeichnungen fand die erste runde zur auswahl der Braut am 25. Tag des 6. Mondmonats statt. Es folgten der heiratsantrag am 28. Tag des 10. Mondmonats; die annahme des antrags am 20. Tag des 11. Mondmonats; die Bekanntgabe des hochzeitsdatums am 21. Tag des 11. Mondmonats; die Ernennung zur Kronprinzessin am 4. Tag des 12. Mondmonats und der Besuch des Bräutigams bei der Kronprinzessin am 27. Tag des 12. Mondmonats. allerdings suchte der Kronprinz seine Braut nicht im Sonderpalast auf, sondern ging direkt zur Taepyeonggwan-halle, wo er für die hochzeitszeremonie auf sie wartete. Die Braut kam allein in ihrer Sänfte sitzend, begleitet von einer Eskorte, bei der die Wächter ihr zu Ehren die speziell für den Brautzug gedachten Zeremonialwaffen hochhielten. Da es sich um die hochzeit eines Kronprinzen handelt, ist am Tag des fünften ritus ein weiteres ritual zu befolgen, bevor der Bräutigam sich zum Treffen mit der Braut aufmacht: Der Kronprinz erscheint vor dem König und seinem hofstaat in der Thronhalle des hauptpalastes. Der König befiehlt seinem Sohn: „geh, nimm deine Braut in Empfang, lass sie ihre Pflichten in Bezug auf den Königlichen ahnenschrein übernehmen und weise sie an, mit den Untergebenen ihrem Status gemäß umzugehen“. Der Kronprinz nimmt den Befehl mit folgenden Worten entgegen: „Euer Sohn und Diener wird den Befehl Eurer hoheit in Treue ergeben befolgen“. Danach verbeugt er sich vier Mal vor dem König.
Die Sechs Riten Im Zuge der ausführung der Sechs riten sendet die Königsfamilie als geschenk zwei Mal eine hochzeitsgans zum Sonderpalast der Braut: einmal beim heiratsantrag und dann noch einmal beim Besuch des Bräutigams im Sonderpalast. Für beide Fälle ist vorgeschrieben, dass es eine einzige lebende Wildgans sein soll, also kein Paar hölzerner Wildgänse, wie es heutzutage allgemein
„Geh, nimm deine Braut in Empfang, lass sie ihre Pflichten in Bezug auf den Königlichen Ahnenschrein übernehmen und weise sie an, mit den Untergebenen ihrem Status gemäß umzugehen.“ 12 KOREANA frühjahr 2017
Dieses aus dem Uigwe der hochzeit von Kronprinz Sohyeon stammende gemälde zeigt den hochzeitszug der Braut. Ihre Sänfte wird eskortiert von zwei vorausgehenden Männern mit blauen Laternen und einem weiteren mit einem blauen Schirm, Palastdienern an beiden Seiten, verschleierten hochrangigen hofdamen zu Pferde und weiterem Palastpersonal. Jangseogak archives, academy of Korean Studies
üblich ist. Die Koreaner glaubten, dass die Wildgans ihrem Partner bis zum Tod die Treue hält. Daher wurde der Vogel zum Symbol der ehelichen Treue. Da es sich um eine lebende gans handelte, band man ihr eine Schnur um den hals und schlug den Körper des Tieres in ein speziell für den anlass angefertigtes Tuch ein. Beim zweiten Besuch reitet der Überbringer mit der gans voraus und übergibt dem Prinzen das Tier bei dessen ankunft. Der Prinz platziert den Vogel dann auf den Zeremonientisch für den ritus des Schenkens der gans an die Braut (Jeonan-rye). Für den nächsten Schritt des Vermählungsprocederes begibt sich das Paar zum Ort
der Dongroeyeon-Zeremonie, bei der sich die Brautleute einander einen Becher reiswein einschenken, den die Braut in der regel nur symbolisch leert. alle Schritte der hochzeitsvorbereitungen, die vom 6. Mondmonat 1627 bis zum 1. Mondmonat 1628 unternommen wurden, wurden getreulich aufgezeichnet. Dazu gehörte die Besorgung aller artikel und Materialien für die jeweiligen riten, die Spezifizierung der Vorschriften für die Kleidung aller Teilnehmer und die auflistung der geschenke, die zum haus der Braut zu schicken waren. Das Königliche hochzeitsbüro verfügte über drei abteilungen, die für diese KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 13
angelegenheiten zuständig waren. Die erste abteilung hatte sich um das Dokument zur Unterweisung der Kronprinzessin und die garderobe der Braut zu kümmern; die zweite abteilung um die Bereitstellung der Flaggen und Zeremonialwaffen für die Ehrengarde, die Innen- und außendekorationen der Örtlichkeiten für die einzelnen Veranstaltungen, die Truhen für die ritualgegenstände sowie alle abbildungen auf den Faltwänden inklusive der Faltwände für den Sonderpalast; die dritte abteilung war zuständig für die herstellung des aus Bambusstreifen gefertigten Investitur-Buches mit den Instruktionen des Königs für die Kronprinzessin und die Bereitstellung aller dafür notwendigen Utensilien. Das achtseitige gemälde mit der nach rang geordneten hochzeitsprozession ist die kleinste aller noch in Protokollen königlicher hochzeiten erhaltenene abbildung dieser art. Der grund dafür ist, dass der Bräutigam die Braut gleich in der Taepyeonggwan-halle des großen Friedens traf und sie nicht zuerst im Sonderpalast begrüßte. Daher zeigt das gemälde nur die Sänfte der Braut. Ihrer von Palastdienerinnen eskortierten Sänfte wurden vier kleinere Sänften mit verschiedenen ritualgegenständen vorangetragen. Sie enthielten u.a. das Königliche Dekret zur Unterweisung der Kronprinzessin, ein aus Bambusstreifen bestehendes Schriftstück mit Lobpreisung ihrer guten Taten, das Siegel der Kronprinzessin, das aus Bambusstreifen gefertigte Investiturbuch sowie
Zeremonialroben. Das gemälde mit der Darstellung von König Yeongjos zweiter hochzeit im Jahr 1759 zeigt zum ersten Mal sowohl die Sänfte des Königs als auch die der Königin. Königin Jeongseong (1692–1757), König Yeongjos erste gemahlin, verschied, ohne einen männlichen 1 Thronerben zu gebären. Durch das formelle dreistufige auswahlverfahren wurde die Tochter von Kim hangu, eines jüngeren gelehrten ohne offizielle Position, als Braut gewählt. Zu der Zeit war König Yeongjo 66 Jahre alt, seine Braut 15.
Die zweite Hochzeit des 66-jährigen Königs Diese hochzeit war die erste nach der 1744 Verbesserten und ergänzten Fassung: Die normen der Fünf Zeremonien des Königshofes und den 1749 herausgegebenen Exemplarischen regulierungen für eine Königliche hochzeit, bei der – ganz in Einklang mit Yeongjos Politik der Frugalität – die Zahl der hochzeitsroben und geschenke reduziert wurde. Eine weitere wichtige Änderung war, dass sich der König höchstpersönlich zum Sonderpalast der Braut aufmachte, sodass beide gemeinsam in derselben Prozession zum Palast kommen konnten. Das Banchado-gemälde ihres hochzeitszugs zeigt daher zwei Sänften eskortiert von der jeweiligen Ehrengarde. alle späteren Banchado von königlichen hochzeitsprozessionen weisen dieselbe Zusammensetzung auf. Sin Man (1703–1765), der Oberste Minister, wurde mit der aufsicht 2
Das Uigwe , das gemäß der am 7. 2. 2011 zwischen Frankreich und Korea getroffenen Vereinbarung und dem Vertrag zwischen der französischen nationalbibliothek und dem koreanischen nationalmuseum jetzt als Langzeitleihgabe nach Korea zurückgekehrt ist.
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3 1 Das gyoryonggi , das Banner der zwei gekreuzten Drachen, war einer der wichtigsten Zeremonialgegenstände des königlichen Festzugs. Seide, 404 x 345 cm. national Palace Museum of Korea. 2 Das gemälde mit dem hochzeitszug des Königs aus dem Uigwe der hochzeit von König Yeongjo und Königin Jeongsun . Obwohl die Sänfte nach allen vier Seiten hin offen ist, ist der König selbst nicht abgebildet. Vor dem großen Ereignis ließ das für die königliche hochzeit zuständige hofamt ein Banchado genanntes gemälde anfertigen, auf dem alle Zugteilnehmer nach rang und Funktion positioniert zu sehen sind, und legte es dem König zur Prüfung vor.
3 Detailausschnitt aus dem Uigwe der hochzeit von König Yeongjo und Königin Jeongsun . Es wird angenommen, dass für gemäldeausschnitte mit sich wiederholenden Darstellungen hölzerne Druckstöcke angefertigt und je nach Bedarf eingesetzt wurden. Die Kolorierung erfolgte später. Zum hochzeitszug gehören Fußsoldaten mit verschiedenen Flaggen und Zeremonialwaffen (oben), die Kavallerie mit Bögen und Pfleilköchern (unten links) sowie berittene weibliche hofbedienstete und verschleierte heilkundige Frauen. (unten rechts)
über das Büro für die königliche hochzeit betraut. Das dreistufige auswahlverfahren fand vom 2. bis 9. Tag des 6. Mondmonats statt und alle der Sechs riten wurden noch im selben Monat vom 13. bis zum 22. Tag durchgeführt. Das Uigwe dieser Königshochzeit – das erste, in zwei Bänden verfertigte Protokoll – erwähnt keine in auftrag gegebene Faltwand-Malereien. augenscheinlich befahl der König Instandsetzung und nutzung der vorhandenen Faltwände. Er ordnete weiterhin die Wiederverwendung der schon vorhandenen Jadefiguren für seine hochzeit an und befahl, dass alle goldenen accessoires an den Zeremonialgewändern nur noch aus vergoldetem Metall zu fertigen seien. Die ritualweinschalen für Braut und Bräutigam wurden jedoch aus reingold hergestellt. nichtdestoweniger ist das gemälde von König Yeongjos hochzeitszug bis heute eins der prächtigsten seiner art. Es erstreckt sich über 50 Seiten, wobei die Seiten 1 bis 28 den dem König gewidmeten Teil der Prozession darstellen, während die Seiten 29 bis 50 auf den Teil der Königin fokussieren. Die von 18 Dienern getragene Sänfte ist an allen vier Seiten offen, der König ist wiewohl nicht zu sehen. aus reverenz vor dem regenten wurde das Bildnis des Königs im Joseon-reich grundsätzlich nur in der Form offizieller Porträts dargestellt. Der der Königin gewidmete Zugabschnitt stellt zunächst die Ehrengarde und Objekte für die hochzeitszeremonie dar, gefolgt von vier kleinen Sänften mit dem Königlichen Dekret zur Unterweisung der Königin, dem Jadebuch, dem goldsiegel sowie Zeremonialroben, die der neuen Königin zu überreichen sind; geleitet wird der Zugabschnitt von berittenen Sanggung , hochrangigen hofdamen. Es
folgen hofdienerinnen – einige zu Fuß, einige auf Pferden – deren gesichter der Etikette entsprechend verschleiert sind. Sie gehen der Sänfte mit der Königin voraus. Weitere Dienerinnen folgen der Sänfte der Königin, deren Türen im gegensatz zur Sänfte des Königs verschlossen sind und geschmückt mit roten Vorhängen mit sechseckigen Mustern aus grünen Linien.
Die große Hochzeitsprozession Diese prächtige hochzeitsprozession startete im Sonderpalast der Braut, die im heutigen Stadtviertel Sajik-dong nordwestlich des Palastes gyeongbok-gung gelegen war, und führte von dort über rund 3,6 km durch die breite Straße zum Palast Changgyeong-gung. In einer Prozession dieses ausmaßes hatten die Untertanen hinreichend gelegenheit, einen Blick auf ihren herrscher zu werfen. Diese beiden, in einem abstand von 150 Jahren gehaltenen königlichen hochzeiten des Joseon-reiches weisen einige formale Unterschiede auf, sind in Bezug auf die rituale aber weitgehend identisch. In beiden Fällen ist die Ordnung der Sechs riten fast unverändert gelieben, wenn man davon absieht, dass der König die Braut höchstpersönlich in ihrem Sonderpalast aufsuchte und sie in einem großen hochzeitszug zum Königspalast brachte, wo die Trauung abgehalten wurde. In früheren Zeiten hatte der Bräutigam auf die ankunft der Braut gewartet. Vielleicht waren es König Yeongjos persönliche Vorlieben und sein achtungsgebietender Charakter, die ihn dazu brachten, selbst über die ausführung des rituals zu bestimmen.
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SPEZIAL 3 hochzeit auf koreanisch
HEIRAT HEUTE VON HONSU BIS HONEYMOON
Lee Yoon-jung Chefredakteurin, Lifestyle Magazin noblesse Fotos Ahn Hong-beom, Kim Dae-hyun
Konventionen folgen oder Individualität hervorheben? Das ist die Frage, die das Brautpaar von heute zuallererst entscheiden muss. Und da diese Frage in direktem Zusammenhang mit den Kosten steht, ist die Antwort nicht so ganz einfach.
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och bis Ende der 1990er Jahre, als ich heiratete, war es üblich, bis zur heirat im Elternhaus zu wohnen. Für beide Seiten war die heirat abgesehen von Studium oder arbeit an einem entfernten Ort der einzige legitime grund, das Elternhaus zu verlassen. Deshalb kam es damals auch ab und zu vor, dass jemand nur heiraten wollte, um der elterlichen Fuchtel zu entkommen. heutzutage ist es anders. Schon allein in meinem Umfeld gibt es viele berufstätige Singles, die alleine leben. Da Selbstständigkeit v. a. finanzielle Unabhängigkeit voraussetzt, ist das alter, in dem man das elterliche nest verlässt, unterschiedlich. Dieser Wandel scheint ein nicht unwichtiger grund dafür zu sein, warum heirat für die jungen Leute von heute kein Muss mehr ist, sondern eine Option. auch das Konzept des „besten heiratsalters“ verschwimmt. Jedoch gibt es nicht wenige, die zwar heiraten möchten, aber nicht können oder es vermeiden, wobei der hauptgrund dafür die enormen Kosten sind. Viele junge Leute können die Last nicht schultern, es sei denn, sie haben fleißig gespart oder die wohlbetuchten Eltern greifen ihnen unter die arme. Laut den angaben des Koreanischen Statistikamtes sollen sich 2015 die Kosten für heirat und Wohnung im Schnitt auf 250 Mio. KW (rd. 207.800 Euro) belaufen haben.
Stolperstein Hochzeitsgaben Ein leidenschaftlich verliebtes Paar beschließt zu heiraten – und damit endet der romantische Teil! Sobald die Eltern sich kennengelernt haben und das hochzeitsdatum feststeht, schlägt die realität in Form einer Endlosliste beginnend mit hochzeitslocation und Brautkleid usw. usf. zu, über die es sich zu informieren und Entscheidungen zu treffen gilt. hinzu kommt die Frage der Vorbereitung der honsu, der gaben, die zwischen den beiden Familien ausgetauscht werden. Das sind zum einen die Yedan genannten geschenke der Brautfamilie an die Familie des Bräutigams, die gewöhnlich Bettdecken für die Schwiegereltern, Silbergeschirr, Kleidung, eine Marken-handtasche und geld umfassen. Zum anderen
heutzutage entscheiden sich immer mehr Paare für kleinere, im Freien abgehaltene hochzeitsfeiern mit Familienangehörigen und engen Freunden statt für 0-8-15-hochzeiten in hochzeitshallen.
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die Yemul genannten geschenke an die Braut, wobei anzahl und Wert der geschenkartikel sich nach den Verhältnissen der jeweiligen Familien richten. Die Yemul an die Brautfamilie werden in einer als ham bezeichneten holztruhe überbracht, die neben dem hochzeitsschmuck für die Braut einen honseoji genannten Brief enthalten, in dem sich die Eltern des Bräutigams bei den Brauteltern dafür bedanken, dass sie ihre werte Tochter ihrem Sohn anvertrauen. Einige Tage vor der hochzeit tragen die Freunde des Bräutigams die holztruhe zum haus der Braut, wo sie mit einem Festgelage aus Speis und Trank empfangen werden. Die Truhe enthält Schmuck wie ringe und armbanduhr, eine Marken-handtasche, Kleidung, Kosmetikartikel, Schuhe und ein Portemonnaie. auch hier variieren die geschenkartikel je nach finanzieller Situation und Sitten der betreffenden Familien. Wohlhabendere Familien legen als Zeichen ihres reichtums kostspieligere geschenke wie Pelzmantel, Lederjacke und teuren Schmuck hinein. Da geld und geschenke zwischen den Familien des Brautpaares ausgetauscht werden, kann es zwischen ihnen auch zu Streitigkeiten aufgrund von Konflikten kommen, die durch unerfüllte Erwartungen ausgelöst und unter Umständen von Verwandten weiter angeheizt werden. Seitdem dieser vornehme Brauch, der aus anstand und respekt durchgeführt wurde, zum Zankapfel geworden ist und schlimmstenfalls auch zur absage der heirat führen kann, wird heutzutage der gabenaustauch gegebenenfalls vorsichtshalber ausgelassen.
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Die größte Sorge bereitet dem Brautpaar jedoch die Wohnungssuche. In der Vergangenheit hatte sich für gewöhnlich die Familie des Bräutigams um die Wohnung zu kümmern und die Familie der Braut um die ausstattung. Das ist zwar auch noch heute weitgehend der Fall, aber in letzter Zeit teilen sich immer mehr Paare die inflationär gestiegenen Wohnungskosten.
Schmucktrends Zu meiner Zeit waren die Brauteltern die hauptentscheidungsträger in Sachen hochzeitsschmuck und aussteuer. Das Brautpaar hatte die für sie ausgesuchten armbanduhren und ringe in Bescheidenheit anzunehmen, wobei die Marken für Braut und Bräutigam normalerweise identisch waren. Doch heutzutage nimmt das Brautpaar die von den Müttern getroffenen Entscheidungen nicht in jedem Fall mehr widerstandslos hin. Sie halten mit ihrer Meinung nicht mehr zurück und bringen ihre Wünsche deutlich zum ausdruck. Daher geben einige Eltern dem Brautpaar manchmal einfach etwas geld und überlassen ihm völlig die Wahl. In der Vergangenheit bestand das hochzeitsgeschenk des Bräutigams gewöhnlich aus einem „Drei-, Fünf-, Sieben-Set“. Das grundset war ein Dreier-Set aus Diamantring, Diamantohrringen und Diamantkette, das gegebenenfalls von gold- , Saphir- oder rubinschmuck ergänzt wurde. In jüngster Zeit bevorzugen die Bräute jedoch auch im alltag problemlos tragbare Diamanten und Perlen vor farbigen Edelsteinen wie Saphiren und rubinen, die sie
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1, 2 Die Zeiten mögen sich geändert haben, aber auch heute noch wünscht sich jede Braut, am hochzeitstag - glamourös gekleidet und perfekt geschminkt - so schön wie möglich auszusehen.
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©Kim Bo-ha
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älter wirken lassen. Einige investieren auch lieber alles in einen hochkarätigeren Diamantring statt in ein Set. generell ist heute auffälliger, prunkvoller Edelsteinschmuck passé, der Trend geht hin zur pragmatischen Entscheidung für alltagstaugliche accessoires und weg von überteuertem Schmuck, der im Kleiderschrank versteckt oder in einem Bankfach deponiert wird. So bevorzugen manche Paare z.B. schlichte Cartier-Trauringe. Während Perlen früher aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit Tränen gemieden wurden, gewinnen sie heutzutage wegen ihrer alltagstauglichkeit wieder an Beliebtheit. Laut einer Statistik der Schmuckbranche sollen für hochzeitsschmuck im Schnitt fünf Millionen Won (rd. 4.150 Euro) ausgegeben werden. Trauringe von Tiffany und anderen weltweit führenden Marken stellen den Löwentanteil in diesem Verkaufssegment. Jongno 5-ga, die als Schmuckstraße bekannte Juweliermeile in der Seouler altstadt ist überfüllt mit Paaren, die nach günstigen ringen im Tiffany-Stil suchen. auch bei der Wahl von Uhren entscheiden sich Braut und Bräutigam im gegensatz zu früher nicht mehr unbedingt für identische Marken, Designs und Preisklassen. Interessanterweise legen die Bräute von heute größeren Wert auf armbanduhren statt auf ringe und Ketten. Bei den Männeruhren war früher eine rolex die mit abstand beliebteste Marke. Das ist mit der heute hohen anzahl an Marken und reichlichen Informationen über Uhren nur noch eingeschränkt der Fall. Dass der Luxusuhren-Umsatz in Korea einer der weltweit höchsten ist, ergibt sich v.a. aus der hohen nachfrage als hochzeitsgeschenk.
Hochzeitsfeier und Brautkleid Westliche hochzeitsfeiern sind in Korea mittlerweile die norm. Im anschluss daran wird nach wie vor die traditionelle „Pyebaek-Zeremonie“ (formeller gruß der Braut gegenüber den Schwiegerel-
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1, 2 Der alte Brauch, dass die Freunde des Bräutigams die mit Schmuck und anderen Brautgeschenken gefüllte ham-Truhe zur Familie der Braut bringen und „verkaufen“ ist fast ausgestorben.
HocHzeitsplaner Professionelle hochzeitsplaner erschienen vor rund zwei Jahrzehnten auf der Bildfläche und haben sich mittlerweile als unentbehrliche assistenten etabliert. Immer mehr Paare beauftragen einen hochzeitsplaner mit den unzähligen Details wie Wahl des hochzeitsortes, des Brautkleides, des Make-ups, des Fotostudios, des hochzeitsschmucks und des Flitterwochen-reiseziels ansstatt die Klein- und Laufarbeit selbst zu erledigen. Lee Mi-ja, Direktorin der hochzeitsberatungsfirma „Marryon Wedding“ in gangnam-gu, Seoul, erklärt: „Meistens wenden sich die Paare an Firmen, die ihnen von verheirateten Bekannten oder geschwistern empfohlen wurden. Sie checken aber auch im Internet, mit welchen Brautkleid- und Juwelier-Marken eine bestimmte Beratungsfirma zusammenarbeitet, und schätzen anhand dieser Informationen niveau und Qualität der Firma ein. Die meisten Beratungsfirmen unterbreiten ihren Kunden unter weitgehender Berücksichtigung ihrer Besorgnisse und Wünsche Vorschläge, die ihrem Budget entsprechen. Das ist schließlich unsere aufgabe.“ Lee, die schon um die zehn Jahre als hochzeitsplaner tätig ist, gesteht, dass auch in dieser Branche wie in jeder anderen die zunehmende Polarisierung hautnah zu spüren sei: „Das Mittelfeld ist stark geschrumpft. heutzutage ist die hochzeit entweder eine extravagante oder eine minimalistische, sparsame angelegenheit. nehmen wir die Eheringe: abgesehen von den wenigen, die sich mehrere, mit teuren Edelsteinen besetzte ringe anfertigen lassen, entscheidet sich das gros für einfache Eheringe aus Platin oder 18 Karat gold. Daher gibt es mittlerweile sogar Marken, die sich auf Partnerringe spezialisiert haben“. hochzeitsplaner arbeiten normalerweise nur für eine auf wenige Monate beschränkte Zeit an einem Projekt, wobei sie anhand von gesprächen mit ihren Kunden Persönlichkeit und geschmack von Brautpaar und Brautfamilien festzustellen und sie zu Entscheidungen zu ermutigen versuchen. Dabei müssen sie oft auch die rolle eines beratenden Vermittlers übernehmen, da selbst kleinste Meinungsunterschiede zwischen Braut und Bräutigam oder den Familienangehörigen zu rissen in der Beziehung führen können. So sagt Lee: „Ich bin stolz auf meine geleistete arbeit, wenn das in die Flitterwochen fahrende Paar mir dankt oder mir ein kleines geschenk von der hochzeitsreise mitbringt. andererseits bricht es mir das herz, wenn ein Paar, dem ich nach Kräften zu helfen versucht habe, sich kurz vor der hochzeit trennt. Ich denke, dass sich die Funktion des hochzeitsplaners in Zukunft über seine reine assistenzrolle bei der auswahl des Brautkleides und der Kontaktherstellung zu Juwelieren hinaus dahingehend erweitert, das Brautpaar in Bezug auf die heirat an sich zu beraten.“ auch steigt die Zahl der Universitäten, die ein Studium im Zusammenhang mit der hochzeitsbranche anbieten, was eine positive Weiterentwicklung der Berufssparte „hochzeitsplaner“, die sich in Korea bereits etabliert hat, erwarten lässt.
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Da Geld und Geschenke zwischen den Familien des Brautpaares ausgetauscht werden, kann es zwischen ihnen auch zu Streitigkeiten aufgrund von Konflikten kommen, die durch unerfüllte Erwartungen ausgelöst und unter Umständen von Verwandten weiter angeheizt werden. Seitdem dieser vornehme Brauch, der aus Anstand und Respekt durchgeführt wurde, zum Zankapfel geworden ist und schlimmstenfalls auch zur Absage der Heirat führen kann, wird heutzutage der Gabenaustauch gegebenenfalls vorsichtshalber ausgelassen.
tern) durchgeführt. Für das Pyebaek wechselt das Brautpaar vom weißen Brautkleid und anzug in die traditionelle hanbok-Tracht, um Eltern und Verwandten des Bräutigams zu begrüßen. Während in der Vergangenheit die Braut nach der hochzeitszeremonie das Elternhaus verließ und die Pyebaek-Begrüßung anschließend im Elternhaus des Bräutigams stattfand, ist heute alles an einem Ort konzentriert. Die in einen hanbok gekleidete Braut, verbeugt sich mit einem großen Kotau vor den Eltern und Verwandten des Bräutigams und schenkt ihnen einen Becher reiswein ein. Die Schwiegerleute werfen dem Paar Maronen und Jujuben als Symbole der Fruchtbarkeit zu, die es aufzufangen gilt. Bei der hochzeitszeremonie ziehen Braut und Brautkleid gleichermaßen die aufmerksamkeit auf sich. Waren einst Brautkleider mit langer Schleppe der renner, geht der Trend heutzutage hin zu Designs und Schnitten, die die Individualität der Braut betonen. Die Braut lässt sich zwar noch von den Designern der Brautausstatter beraten, doch immer mehr Bräute kommen mit Infos z.B. aus den Sozialen Medien und wählen ihrem persönlichen Stil entsprechende Designs. Trend ist gewissermaßen, dass es keinen bestimmten Trendsetting-Stil mehr gibt. Beachtenswert ist ebenfalls, dass die grenzen zwischen alltagsmode und Brautkleidern unschärfer wird, da verstärkt Brautkleider bevorzugt werden, die man auch noch zu anderen angelegenheiten tragen kann. Designerin Lee Myungsoon, die im Seouler Viertel Cheongdam-dong seit 28 Jahren eine Brautmodeshop führt, sagt: „Vor einiger Zeit habe ich mich von der Brautkleid-ausleihe auf den Verkauf umgestellt. Denn immer mehr Bräute suchen nicht mehr nach einer pompösen Festrobe für den einmaligen anlass, sondern nach Designs, die ihrem Ich entsprechen und funktional sind“. Dieser Wandel steht in Zusammenhang mit den Trends in Bezug auf die hochzeitsorte. Statt den 0-8-15-hochzeiten in den hochzeitshallen wählen immer mehr Paare individuellere Zeremonien z.B. in den gärten von Ferienhausanlagen oder in Privathäusern. Und auch, wenn die hochzeit in einer hochzeitshalle stattfindet,
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bemüht sich das Brautpaar durch entsprechende Innendekoration und hochzeitskleidung um eine möglichst persönliche und heimelige note.
Kleine Feier, luxuriöse Hochzeitsreise Früher war die hochzeit sowohl ein edler anlass, um allerseits kundzutun, dass der Sprößling nunmehr erwachsen war und eine eigene Familie gründete, als auch eine Bühne, auf der man rang und namen der Familie zur Schau stellte. Je höher rang und reichtum, desto prunkvoller die hochzeit. Die Kinder von einst sind heute selbst Eltern, womit sich auch die Wahrnehmung verändert. Beschleunigt wird der Wandel noch einmal dadurch, dass die jungen Paare der ansicht sind, dass sie selbst und nicht ihre Eltern die hochzeit bestimmen, und dass nicht Form sondern Inhalt, nicht Konventionen, sondern Originalität wichtig ist. Das ist auch der grund, warum immer mehr Paare ihre hochzeit klein halten und mit wenigen, aber auserwählten gästen diesen bedeutenden Moment in ihrem Leben teilen und den Beginn eines neuen Lebensabschnitts feiern möchten, anstatt wie früher üblich viele gäste einzuladen, die dann lediglich ihr geldgeschenk abgeben und Bekannte kurz begrüßen, ohne sich die Mühe zu machen, der hochzeitszeremonie selbst beizuwohnen. andererseits geht der Trend hin zu schlichten hochzeitsfeiern und luxuriösen hochzeitsreisen. Lim Mi-sook, Chefredakteurin des hochzeitsmagazins The Wedding, sagt: „Das mag zwar lustig klingen, aber bis vor kurzem waren die Malediven DaS Flitterwochenziel, weil ein Werbetext vorgab, dass der Inselstaat in ein paar Jahren untergehen werde. Zurzeit ist hawaii im Trend. Mit der visumfreien Einreise hat die nachfrage stark zugenommen. Koreanische Paare lassen sich in den Flitterwochen gerne etwas verwöhnen und bevorzugen luxuriöse resorts, die Villen mit Privatpool anbieten“. Derzeit planen allerdings immer mehr Paare ihre hochzeitsreisen selbst, anstatt dem vom hochzeitsplaner vorgeschlagenen Programm zu folgen.
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1 Bei westlichen hochzeiten ist es üblich, dass die Mütter vor dem Einzug des hochzeitspaars gemeinsam zum altar gehen, um die rote und die blaue Kerze anzuzünden. 2 nach der westlichen Zeremonie zieht das Brautpaar für den Pyebaek -ritus traditionelle hochzeitskleidung an. Es verbeugt sich vor Eltern und älteren Verwandten des Bräutigams, die dem Paar Maronen und Jujuben, Symbole für Fruchtbarkeit, zuwerfen.
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SPEZIAL 4 hochzeit auf koreanisch
ZUKUNFT DER EHE Das Konzept der Ehe ändert sich rasant. Während die geographische Distanz in einer Liebesbeziehung immer weniger ein Problem darstellt, wird das Verlangen, die eigene Unabhängigkeit auch in der Beziehung zu bewahren, immer größer. Baek Young-ok Schriftstellerin
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m ein Uhr nachts, einer Zeit, zu der der Mensch weich wird, strömt eine Flut von geschichten in die Kabine, in der ich den ratgeber-Teil der nachtausgabe eines UKW-radioprogramms moderiere. Die persönlichen gespräche, die ich seit dem Programmstart im Frühling 2016 mit den hörern geführt habe, haben mir bewusst gemacht, dass einige Fragen in Bezug auf Ehe und Partnerschaft den neuen Lebensstil unserer Zeit widerspiegeln, in der man über die Sozialen Medien rund um die Uhr miteinander verbunden ist.
©TOPIC IMagES
Das Konzept von Distanz in einer Beziehung heutzutage ist das Konzept „Menschen, die ich früher kannte“ zu einem anachronismus geworden. In der Vergangenheit gingen mit dem abschluss von Schule oder hochschule die alten Kontakte verloren und der neue Lebensabschnitt brachte neue soziale Beziehungen. Doch heute passiert es nur noch selten, dass man sich aufgrund der Distanz aus den augen verliert. Das gilt sogar für Paare, die sich getrennt haben, denn der „algorithmus der Sozialen Medien“ lässt uns nicht in ruhe. Oft höre ich von Freunden, dass sie ihren Ex-Partner unter „Freundschaftsvorschläge“ auf Facebook oder dem koreanischen Instant-Messaging-Dienst Kakao Talk gefunden haben. Und nicht nur das: Eine Freundin erzählte mir, dass sie tagelang schlecht gelaunt war, weil Facebook ihr die Freundschaft mit der neuen Flamme ihres Ex empfohlen hatte. Ungewollt wurde sie zur Stalkerin und erfuhr im Facebook-account der neuen, dass die beiden bald heiraten wollten – etwas, das sie nicht wirklich wissen wollte. Ein weiterer neuer Trend der Zeit ist die Zunahme von Fernbeziehungen. In meiner radiokabine höre ich oft geschichten von Pärchen, bei denen er z.B. in Tokio und sie in Seoul lebt. Dass ein Partner zum Studium oder für ein Working-holiday-Programm ins ausland geht, geschieht häufiger als man denkt. Bei Tokio und Seoul ist das noch nicht so tragisch, da es keinen Zeitunterschied gibt. aber was machen Paare, die in London und Seoul oder Seoul und São Paulo leben? heutzutage sind solche Fernbeziehungen nicht nur auf unverheiratete Pärchen beschränkt. Ich selbst kenne ein Ehepaar, bei dem der Mann in Seoul und die Frau im rund 270 km entfernten Pohang lebt, und ein anderes, bei dem die Frau in Kalifornien und der Mann in new York wohnt. Eine meiner Seouler Bekannten führte eine Fernbeziehung mit ihrem Freund in amsterdam. Einmal flog sie zu ihm und blieb drei Monate. an dem Tag, an dem sie wegen ihres auslaufenden Visums nach Seoul zurückfliegen musste, schlug ihr Freund auf dem Flughafen die Beantragung eines Verlobungsvisums (fianKOREANISCHE KULTUR UND KUNST 25
cée visa) vor. Das Verlobungsvisum ist ein rechtliches Mittel, das die ausweisung eines Partners mit anderer nationalität verhindert. In Europa beträgt der anteil unverheiratet zusammenlebender Paare bereits knapp 50%. Das heißt, dass die Unterscheidung zwischen Ehe und Zusammenleben allmählich verschwindet. Wie ist es in Korea? Der anhaltende wirtschaftliche abschwung im Lande lässt viele junge Leute auf drei wichtige Dinge im Leben verzichten: feste Beschäftigung, Dating und Ehe – daher der neologismus „Sampo Sedae“, i.e. „generation des dreifachen Verzichts“. Wenn die Institution Ehe in ihrer jetzigen Form erhalten bleibt, werden immer mehr Pärchen aufs heiraten verzichten, da sich zumindest aus wirtschaftlicher Sicht eine Eheschließung kaum noch rentiert. Wer heiratet schon gern, wenn damit die Zinslast eines Bankkredits verbunden ist? Denn es geht dabei ja nicht nur um Liebe, sondern auch um damit in Verbindung stehende gesellschaftspolitische Fragen wie Immobilien und Finanzen. Meine Bekannte, die länger als geplant in amsterdam geblieben war, trennte sich schließlich von ihrem Freund. auch die Beziehung der zwischen Seoul und Busan pendelnden Bekannten ging kürzlich in die Brüche. als ich darüber berichtete, erzählte mir eine Freundin, die in ihrer Beziehung den 14-stündigen Zeitunterschied zwischen new York und Seoul zu überwinden hatte, Folgendes: „Während meiner zweijährigen Fernbeziehung habe ich eines festgestellt: Das kann überhaupt nur mit Fremdgehen funktionieren“. Diese Freundin, eine Psychiaterin, war absolut überzeugt davon. Ihrer ansicht nach ist eine affäre das einzige Mittel, um die hürde der durch die Entfernung „erzwungenen Enthaltsamkeit“ zu überwinden. Sie fügte hinzu, dass die größte Tugend für die Fernbeziehung-Partner von heute eine angemessene Portion Desinteresse sei und nicht zuviel vom anderen erfahren zu wollen.
Halbes Zusammenleben: eine neue Form der Beziehung Erich Kästner schreibt in seinem Fabian , dass „die Liebe an der geographie krepiert“. In vielen Ländern der Welt gibt es Sprüche mit der Bedeutung „aus den augen, aus dem Sinn“, was dann die Frage aufkommen lässt: „Wie viel räumliche Entfernung kann Liebe aushalten?“ Tatsächlich war gleich in der ersten Woche des neuen Jahres „Fernbeziehung“ das Thema meiner radiosendung. Das rat suchende Paar litt bereits vor der zeitlichen und räumlichen Trennung unter der angst davor. Sie wollten heiraten, waren sich aber nicht sicher, ob das überhaupt möglich sein würde, und sahen bereits ein Scheitern voraus. Da möchte ich die gegenfrage stellen: „Muss denn eine heirat die Erfüllung der Liebe sein? Bedeutet Ehe denn, ständig mit dem Partner zusammen zu sein?“ In unserem Zeitalter sollte die Ehe anders als früher aussehen, weil die Lebensbedingungen anders als früher sind. Ich fand folgenden interessanten Kommentar des polnisch-britischen Soziologen Zygmunt Bauman, den er in einem Interview mit der in den USa ansässigen koreanischen Journalistin ann hee-kyung mach26 KOREANA frühjahr 2017
te: „habe ich Ihnen schon von Michel houellebecq erzählt? Einem weisen Schriftsteller, der über Dystopie schrieb. In seinem Buch Die Möglichkeit einer Insel zeichnet er ein schwarzes Bild von einer Zukunft, die das völlige gegenteil zur Utopie ist. Das Buch gibt antwort auf die Frage, wo wir landen werden, wenn wir so weitermachen wie bisher. Was die Liebe betrifft, werden zahlreiche Paare nur noch halb für ihre Partnerschaft leben. nicht wegen der geographischen Distanz, sondern weil sie zwar nähe wollen, aber trotzdem eine gewisse Unabhängigkeit brauchen. In amerikanischen Filmen fällt oft der Satz I need my own space! Das bedeutet, dass man seinen persönlichen Freiraum braucht und auch mal in ruhe gelassen werden will. genau das ist die gängige anschauung in unserem Zeitalter.“ Laut Bauman ist „abhängigkeit“ heutzutage schandhaft. Will sagen, dass das Ehegelöbnis, in guten und in schlechten Tagen, in Zeiten der Fülle und in Zeiten der armut zueinander zu stehen, nicht mehr in unsere Zeit passt. heutzutage liegt die Betonung auf Unabhängigkeit. Die Liebe findet ihr Echo heute an anderen Orten als früher. Die Menschen wollen 24 Stunden lang miteinander verbunden sein, aber die physische gegenwärtigkeit befindet sich in einer art isoliertem Bollwerk. D.h. nur übers Internet miteinander verbunden, lebt jeder alleine für sich. Weil wir wirklich sehr oft einsam sind, wollen wir 24 Stunden lang verbunden sein. Doch gleichzeitig wünschen wir uns die Freiheit, jederzeit überallhin gehen zu können. Das Problem ist, dass Freiheit und Sicherheit letztendlich inkompatibel sind. „Sichere Freiheit“ ist ein Widerspruch in sich. Es gibt keine Freiheit ohne risiko und für Sicherheit ist gemeinschaft unabdinglich. Deswegen entwickelt sich eine neue, von vielen bevorzugte Form des Zusammenlebens: die sog. „Semi-Kohabitation“. Viele Online-Freunde von mir unterhalten eine solche Beziehung, d.h. sie leben nicht zusammen, sondern in getrennten Wohnungen und treffen sich, wann immer sich die notwendigkeit ergibt. Im Falle eines auf der Insel Jeju-do lebenden Paares wohnt der Ehemann im Bezirk hyeopjae und die Ehefrau in Pyoseon. an den Wochentagen gehen sie getrennt ihrer jeweiligen Beschäftigung nach, am Wochenende treffen sie sich meist. natürlich halten sie zwischendurch miteinander Kontakt und sehen sich, wenn es nötig ist. Sie sagten einst zu mir, dass das die goldene Mitte an nähe sei, die sie nach 12-jähriger Ehe erreicht hätten. Sie meinten, dass ein angemessener grad an Freiheit einerseits und Sicherheitsgefühl andererseits als gegenseitige Stimulierung für ihre Partnerschaft wirke. Dieses Paar hat die optimale Distanz bzw. nähe ausgelotet, die ihre Liebe lebendig hält. In jüngster Zeit macht sich die Wortschöpfung „Jolhon“ breit: „abschluss der Ehe“. Darunter ist allerdings nicht die Trennung zu verstehen. Dieser erstmals in Japan aufgekommene Begriff meint, dass ein Ehepaar zwar verheiratet bleibt, aber jeder für sich unabhängig voneinander lebt, ohne sich in das Leben des anderen ein-
zumischen. Jolhon betont die Eigenständigkeit noch stärker als die Semi-Kohabitation.
Ein Zimmer für sich allein Die meisten heiraten, ohne sich recht bewusst zu sein, was Ehe eigentlich bedeutet. Es ist ähnlich wie Sich-verlieben, ohne je etwas über Liebe gelehrt worden zu sein. Was wir über die Liebe wissen, sind tatsächlich meist an aberglauben grenzende Mythen: Liebe auf den ersten Blick; Liebe, die einem ohne jede anstrengung ganz natürlich begegnet; Liebe, die einen in dem magischen Moment überkommt, wenn man einfach mit seinem ganzen Wesen spürt, dass er oder sie es ist. aber diese art Liebe gibt es nur in Filmen, romanen oder TV-Serien. Wenn wir uns wenigstens halb so sehr für die Erforschung des geheimnisses einer „dauerhaften Liebe“ interessieren würden wie für die „keimende Liebe“, würden wir unseren Partner jetzt sicher auf andere art lieben. Das gilt auch für das Eheleben. Kaum jemand dürfte sich so tiefgründig mit dem Thema auseinandergesetzt haben wie alain de Botton. Er schrieb einmal in seinem Blog eine mit On Marrying the Wrong Person betitelte Kolumne, in der er sehr genau den Mechanismus beschreibt, wie ein ganz normaler Mensch sich mit dem ablegen der Ehegelübde in ungeduldige und rücksichtslose Verrückten verwandeln: „Wenn wir alleine sind und wütend werden, brüllen wir nicht herum, weil niemand da ist, der uns hören würde – und übersehen daher die echte, besorgniserregende Kraft, die unserem Wutpotential innewohnt. Oder wir arbeiten die ganze Zeit nur, ohne dass uns bewusst wird – weil niemand uns zum abendessen ruft – wie manisch wir uns um des gefühls willen, das eigene Leben unter Kontrolle zu haben, in die arbeit stürzen, und wie wir Krach schlagen können, wenn jemand versuchen sollte, uns zurückzuhalten. abends wird uns nur bewusst, wie schön es wäre, mit jemandem zu kuscheln, aber wir haben nicht die gelegenheit, uns der Intimität-vermeidenden Seite unseres Ichs zu stellen, die uns kalt und seltsam werden lassen würde, wenn wir glaubten, wir hätten uns jemandem zu sehr verschrieben. Eins der größten Privilegien des alleinseins ist die schmeichelhafte Illusion, in Wahrheit jemand zu sein, mit dem das Zusammenleben einfach ist. Mit dermaßen geringem Verständnis für unseren eigenen Charakter verwundert es nicht, dass wir gar nicht in der Lage sind, auszumachen, nach wem wir überhaupt ausschau halten sollten.“ Deshalb behauptet er mit Entschiedenheit, dass die erste Standardfrage bei allen Dates auf der Welt lauten müsse: „Wie bist du verrückt?“ Warum denn auch nicht?! Wenn jemand mich nach der Definition von Ehe fragen würde, könnte ich über 30 Definitionen auflisten, aber eine, die mir sofort einfällt, wäre: „Ehe bedeutet, in jedem Moment zu scheitern und schon im Voraus genau zu wissen, dass das passieren wird“. Das mag übertrieben klingen, ist es aber nicht. Dementsprechend kann ich die folgenden, realistischsten ratschläge über die Ehe geben: Die Ehe ist in Wirklichkeit eine Entscheidung darüber, ob bzw. welche art von Schmerz man zu ertragen bereit ist. Das bedeutet, dass der Ehepartner einem in Zukunft eine art von Schmerz zufügen wird, die man sich noch niemals vorgestellt hat. Es gilt also zu entscheiden, ob die Person, auf die die Wahl fällt, das aushalten eines solchen Schmerzes wert ist. niemand kann es vermeiden, im Leben von anderen verletzt zu werden. Deshalb sollte man wenigsten selbst die Entscheidung treffen können und müssen, von wem man den verursachten Schmerz aushalten will. Zumindest wird man sich dann weniger unglücklich fühlen. Immerhin ist das Ehrlichste, was ich über die Ehe sagen kann, dass es manchmal unvergleich schwieriger sein kann, einen Mann, den man nicht wirklich liebt, zu ertragen. heiraten oder nicht heiraten? Das mag eine der abgedroschensten Beziehungsfragen sein neben Fragen wie „Kinder oder keine Kinder?“ und „Ist Freundschaft zwischen Mann und Frau möglich?“. Doch nach über 15-jähriger Ehe weiß ich, dass es nicht einfach darum geht, zwischen a und B zu wählen. Jede Wahl ist an sich schon ausschließend und grausam, da man auch die Folgen für das nicht-gewählte zu tragen hat. Und noch eins: Sicher ist, dass jemand, der alleine gut zurechtkommt, auch im Zusammenleben mit jemand anderem zurechtkommen wird. nicht nur Schriftsteller brauchen ein Zimmer für sich. KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 27
SPEZIAL 5 hochzeit auf koreanisch
EHE: EIN GARTEN MIT ALTEN SCHILDERN NAMENS LIEBE UND GLÜCK
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Im Strudel der Geschichte Anfang des 20. Jhs war die sog. Neue Literatur und das Konzept der freien Liebe mit seiner Forderung, sich von den traditionellen Vorstellungen über Liebe und Ehe zu befreien, eine wichtige Grundlage für den gesellschaftlichen Diskurs unter den Intellektuellen der Zeit. Weit in die Moderne bis hin zur Industrialisierung ab den 1960er Jahren beschreiben zahlreiche koreanische Romane Liebesbeziehungen und Ehen von Menschen, die sich entweder auf die herrschenden gesellschaftlichen Konventionen stützten oder sich dagegen wehrten. Lee Chang-guy Dichter und Kulturkritiker
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u Beginn des neuen Millenniums schauten sich die Koreaner – bewegt vom ersten innerkoreanischen gipfeltreffen seit der Teilung des Landes Ende der 1940er Jahre und der gemeinsamen Erklärung von Süd- und nordkorea vom 15. Juni 2000 – wiederholt an, wie sich die beiden regierungschefs vor der gangway des Flugzeuges im Internationalen Flughafen Sunan in Pjöngjang die hände hielten und umarmten. Die innige hoffnung nach Wiedervereinigung und der damit verbundene rege Diskurs verdrängten alle anderen gesellschaftlichen Themen, sodass sich schlüpfrige Trivialromane auf dem koreanischen Literaturmarkt breitmachen konnten. Doch selbst der roman mit dem herausfordernden Titel Ehe ist eine verrückte angelegenheit (2000) von Lee Man-kyo (geb. 1967), der mit dem koreanischen Literaturpreis „autor von heute” ausgezeichnet im Mai herausgegeben wurde, schien unterzugehen. aber als 2002 die Verfilmung ins Kino kam und 2006 Park hyunwooks (geb. 1967) roman mit dem noch verstörenderen, widersprüchlichen Titel Meine Frau hat geheiratet preisgekrönt wurde und 2008 die Kinoversion erschien, beschäftigten sich unzählige artikel und Kritiken mit subversiven Vorstellungen über Ehe als eigenständiges gesellschaftliches Phänomen.
Ehe ist eine verrückte Angelegenheit Einige Kritiker hielten außereheliche Liebesbeziehungen für „einen neuen Code der abweichung und Ehe“, während andere verächtlich und gereizt darauf mit Urteilen wie „Seitensprung-romane sind Mist.“ reagierten. Die Leser wiederum zeigten sich entsetzt und fasziniert: entsetzt über die Protagonistin, die mit einem arzt, also einer „guten Partie“, verheiratet ist und trotzdem ihr Verhältnis mit ihrem Ex-Freund, einem Teilzeit-Dozenten, weiterführt und bemerkt: „Ich habe immer weniger Schuldgefühle. Es ist so, als ob ich lediglich ein etwas geschäftigeres Leben als andere führe.“ (aus: Ehe ist eine verrückte angelegenheit ); fasziniert
von dem unerhörten Wunsch einer anderen Ehefrau, die argumentiert: „habe ich je gefordert, dass du mir die Sterne vom himmel holen sollst? Oder den Mond? Ich möchte doch nur noch einen weiteren Ehemann!“ (aus: Meine Frau hat geheiratet) – aber auch zugleich begeistert von diesem Paradox. Das Filmposter zu Meine Frau hat geheiratet stellte mit dem zynischen Werbetext „Bist du dir sicher? Sicher, dass du nur eine Person lieben wirst?“ die Scheinheiligkeit der Monogamie bloß, bevor der französische Wirtschaftswissenschaftler und Sozialtheoretiker Jacques attali, der als Prophet der gegenwart gepriesen wird, das Ende der Monogamie für 2040 vorausgesagt hatte: „Monogamie wurde in der Praxis nur selten eingehalten und wird schon bald auch als Ideal verschwunden sein“. Viele Leser und Zuschauer waren sprachlos über die verdrehten Fabrikationen des banalen alltags und über die rasante, an Kriegsberichterstattung erinnernde handlung des Werks. aus literaturwissenschaftlicher Sicht ist die Bedeutung dieser Werke darin zu finden, dass sie heirat als Passagenritus, der bei konventionellen Literaturgattungen wie Bildungsroman oder autobiographischer roman den narrativen Kontext beeinflusst, auf sein Potential als separates, neues genre austesten. Setzt man den Beginn der modernen koreanischen Literatur mit Yi Kwang-su (1892-1950) an, dann hätte es fast ein Jahrhundert gebraucht, bis die Ehe im literarischen Diskurs zu einem Thema wurde, das direkt angegangen und in Frage gestellt wurde. Koreanische Leser konnten in der durch den Paradigmenwechsel herbeigeführten neuen Literaturlandschaft wenigstens zeitweilig Erleichterung und Befreiung von diesem einer zweiten haut gleichenden institutionellen Joch finden.
Konfuzianische Hochzeitstraditionen Die geistige Kultur der Koreaner manifestiert sich in den vier hauptzeremonien des Lebenszyklus: Volljährigkeit, hochzeit, Beerdigung und ahnenverehrung. Diese vier rituale, die vor rund 600 Jah-
ren mit der Etablierung des Konfuzianismus als herrschende Ideologie Fuß gefasst haben, waren für das koreanische Volk nicht nur einfach riten, sondern normen, die das Leben des Einzelnen über die soziale grundordnung hinaus beeinflussten. Modell für das ritenprotokoll war der chinesische Klassiker Zhuzi jiali (normen der Familienriten der Familie Zhu) des gelehrten Zhu Xi (1130-1200). auf grundlage dieser neokonfuzianischen anleitung und unter Berücksichtigung lokaler Sitten und gebräuche schufen die Joseon-gelehrten mit gukjo oryeui (normen der Fünf Zeremonien des Königshofes, 1474) einen eigenen ritenkatalog, auf den sich auch gyeongguk daejeon (Kodex der Staatsverwaltung; erste ausgabe 1460, letzte ausgabe 1485), der bedeutendste Kodex der Joseon-Zeit, bezog. Während der riten-Leitfaden für die Königsfamilie auch von den übrigen gesellschaftsschichten als absolut maßgebend angenommen wurde, gab es bei der hochzeitszeremonie abweichungen, denn hier mussten sich zwei Familien einigen. Vor allem Chinyeong (Begrüßung und heimführung der Braut; oft in Illustrationen traditioneller hochzeiten in einführendem Material zur koreanischen Kultur dargestellt) wurde wegen der großen finanziellen Belastung nicht streng befolgt, da dieses ritual verlangt, dass sich der Bräutigam mitsamt gefolge zur Brautfamilie begibt und erst nach der dort abgehaltenen hochzeitszeremonie die angetraute zu seiner Familie bringt. Für geraume Zeit hielten sich auch in der frühen Joseon-Zeit die gemeinen Bürger an die alten, praktischeren Bräuche der goguryeo-Zeit (37 v. Chr.-668 n. Chr.), als man seinen Ehepartner frei wählen konnte und der Mann im haushalt der Familie seiner Frau lebte, wo er seine arbeitskraft zur Verfügung stellte, bis die Kinder groß waren. Es scheint aber auch in adligen und vornehmen Familien zu dramatischen Beziehungen gekommen zu sein, in denen die Liebenden für ihr gemeinsames glück selbst vor dem Tod nicht zurückschreckten. Zu sehen z.B. KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 29
in der geschichte von Prinzessin Pyeonggang des goguryeo-reiches (6. Jh.), die sich weigerte, den von ihrem Vater ausgewählten Bräutigam zu heiraten und sich für Ondal entschied, einen jungen Mann aus einfachen Verhältnissen; der Tod vermochte auch nicht Isaeng und das adelige Fräulein Choe zu trennen, dargestellt in der Erzählung Isaeng gyujang jeon (geschichte von Isaeng, der über die Mauer blickte). Die komplizierten, konfuzianischen hochzeitsriten der Joseon-Zeit kamen erst im 18. Jh. im alltag der gemeinen Bürger an, als diese durch Entwicklung von landwirtschaftlichen anbautechniken und Belebung des handels zu Wohlstand kamen. Interessanterweise hielten sich die neureichen in dem Bestreben, gesellschaftlich mit dem adel gleichzuziehen, an die viel strengeren Vorschriften des Zhuzi jiali. Wie aus dem Brauch Uihon (Besprechungen zwischen den beiden Familien) zur anbahnung einer heirat ersichtlich ist, verstand man in der Joseon-Zeit eine Eheschließung nicht als Zusammenführung zweier Individuen, sondern als Verbindung von zwei unterschiedlichen Familien und regionalen Bräuchen. Die Familien hatten dabei möglichst von ähnlichem 30 KOREANA frühjahr 2017
Von links: Pretending to be happy (The Woman) , von Yang da-hye (2014), Tusche und Farbe auf Seide, 69,5 x 53 cm. Pretending to be happy (The Man) von Yang dahye (2014), Tusche und Farbe auf Seide, 69,5 x 53 cm
gesellschaftlichem Status zu sein und für ein harmonisches Zusammenkommen beider Parteien war gegenseitige rücksichtnahme auf die jeweiligen Bedürfnisse und Werte vonnöten. Das garantierte zwar Besonnenheit und respekt bei den Besprechungen, machte den ganzen Prozess aber überaus langwierig und wegen der vielen Details unnötig kompliziert. auch kam es zu manchen Unsitten. V.a. nahmen großtuerische, sinnentleerte Formalitäten zu, die durch die Eitelkeit der beiden Familien befeuert wurden. Yi Deok-mu (1741-1793), ein gelehrter der Silhak-Schule des Praktischen Wissens, klagte im 18. Jh. diesbezüglich über die allgemeine „Verderbtheit der Menschen und der Moral“: „Weil die aussteuer so kostspielig ist, betrachtet man die geburt eines Mädchens als Vorzeichen des Untergangs der Familie. Stirbt eine Tochter in jungen Jahren, tröstet man die Eltern damit, dass sie so geld gespart haben“. (aus: Sasojeol; Kleine Etikette für gelehrte, 1775) Problematisch war auch, dass bei den heiratsbesprechungen eher
die Eltern das Sagen hatten als die jungen Leute. Yi Kwang-su, der eingangs als erster moderner koreanischer Schriftsteller genannt wurde, war selbst Opfer einer heiratsvermittlung, bei der der Wille der Betroffenen ignoriert wurde. Er zeigte auf, wie heiratsvermittlung und arrangierte Ehen scheitern können und verbreitete durch seine romane die Idee der romantischen Liebe.
Heirat in der modernen Literatur In seinem Essay Über die Ehe (1917) kritisierte Yi Kwang-su den damaligen gesellschaftlichen Trend, nach dem die Eltern den Ehepartner ihrer Sprösslinge wählen, wie folgt: „‚gib mir deine Tochter als Schwiegertochter.‘ ‚Einverstanden, dann nehm ich deinen Sohn als Schwiegersohn, haha!‘ Sie lachen, heben vielleicht noch ein glas reiswein auf den Pakt und besiegeln so das lebenslange Schicksal von Tochter und Sohn. Eine Eheschließung sollte ein Vertrag sein, den ein erwachsener Mann und eine erwachsene Frau aus freiem Willen eingehen“. Yi machte sich für Liebesheirat, Unabhängigkeit der Frau und gleichstellung der geschlechter stark. In Die herzlosen (1917),
dem ersten roman in der modernen koreanischen Literatur, betonte er anhand der Selbsterkenntnis der Protagonistin Yeongchae, die zunächst durch Selbstmord dem von ihr geliebten Mann treu zu bleiben versucht, die Befreiung von traditionellen ethischen Werten und normen. Zu nennen ist auch der Schriftsteller Kim Dong-in (1900-1951), der nach freier Liebe rufende „neue Frauen“ der 1920er porträtierte und ihre innere Widersprüchlichkeit im Spannungsfeld zwischen sexueller Offenheit und Mangel an Selbstbewusstsein als notwendige Voraussetzung für diese sexuelle aufgeschlossenheit thematisiert. In seiner Erzählung Leid der Schwachen (1919) beschreibt er, wie eine moderne junge Frau namens gang Elizabeth – verwaist und völlig auf sich gestellt – als
und wie sie von der realität der koreanischen gesellschaft, mit der das Eheleben sie konfrontiert, erdrückt werden. Cho-hui, die älteste Tochter, heiratet statt ihrer Liebe einen „ekelhaften reichen“ in seinen 50ern, weil sie nicht wie ihre Eltern leben möchte, die unerträgliche härten auf sich nehmen mussten, um der armut zu entkommen. Letztendlich ruiniert sie ihr Leben durch eine affäre mit ihrem ehemaligen Liebhaber. U-hui, die zweite Tochter, heiratet den Mann ihres herzens, sieht sich dann aber an profane hausarbeiten wie das Entleeren des nachttopfs ihrer Schwiegermutter gefesselt und redet ständig von „Liebe, als wäre es eine Zauberformel“; sie erkennt, dass ihre Zukunft „eine abgetakelte, einem Motelzimmer ähnelnde, ärmliche Welt“ sein wird. Mal-hui, die jüngste Tochter,
Junge Koreaner schauen zurzeit verängstigt und unsicher in den Garten mit dem alten Schild „Liebe“ und „Glück“ und schleichen um ihn herum. gouvernante im haus von Baron K angestellt wird und sich auf eine affäre mit ihm einlässt, deren leidvolle Folgen sie alleine zu tragen hat.
Mittelstandsehe in der Zeit der Industrialisierung ab den 1970er Jahren, als sich Korea dank des rapiden Wirtschaftswachstums und des außergewöhnlichen Bildungsfiebers der Bevölkerung nach dem Krieg wieder einigermaßen stabilisiert hatte, konnte in der koreanischen Literatur eine neue heiratskultur unter Bezugnahme auf die Theorie der Liebe thematisiert werden. Der roman Der taumelnde nachmittag (1977) von Park Wan-seo (1931-2011) stellt ungeschminkt dar, wie in den 1970er Jahren – dem Zeitalter des „ungebildeten Mittelstands“, der sich aus dem nichts hochgearbeitet hatte und nur im Vermehren des Vermögens erfolgreich war – die drei Töchter eines Kleinunternehmers jeweils nach ihren eigenen Wertvorstellungen heiraten
betrachtet ihre beiden älteren Schwestern mit Mitleid und Verachtung. nach einigem hin und her angelt sie sich einen Mann, der ihr geld und Liebe bietet und mit dem sie ins ausland zieht. Die „Liebe und ambitionen“ dieser drei Töchter liefern bis heute Stoff für typische koreanische TV-Serien. Während es Park Wan-seo gelang, durch diese heiratsgeschichten die gesellschaftlichen Zustände der Zeit gemeinverständlich darzustellen, beschreibt Oh Jung-hee (geb. 1947) in ihrer Erzählung Der alte Brunnen (1994) das Eheleben aus einer fundamentaleren Perspektive. Die Ich-Erzählerin, eine gewöhnliche verheiratete Frau mittleren alters, stellt irgendwann fest, dass sie und ihr Mann nur noch „geringfügige Lebensprobleme, Essen und Sex“ teilen, aber nicht mehr darüber reden, „was [sie] in der letzten nacht geträumt haben“. als sie eines Tages eine alte Flamme trifft, nach der sie sich im Inneren gesehnt hat und die nur mit „Er“ bezeichnet wird, verspürt sie das Verlangen, „irgendwohin zu
gehen, wo niemand ist, und sich dort zu umschlingen“, fühlt sich jedoch gleichzeitig „beruhigt, als das Schiff [kommt], das [sie] aufnehmen und jeden von [ihnen] sicher an den Ort zurückbringen sollte, den [sie] zuvor verlassen hatten“, und verabschiedet sich von ihm. Später erfährt sie zufällig, dass „Er“ gestorben ist, doch kann sie daraufhin lediglich „die Wäsche zu Ende [auffalten] und den Chinakohl, den [sie] mittags eingesalzen hatte, mit den gewürzen [vermengen], um das Kimchi fertig zu machen“, „die Beispeisen für den Schulproviant [ihres] Sohnes vorbereiten“ und „beim Fernsehen mit [ihrem] Mann [scherzen]“. Die Ich-Erzählerin, die wieder zum alltag von gestern zurückgekehrt ist, denkt an den alten Brunnen, der ein trauriges Symbol für Leben und Tod ist, sowie an das alte, von Erinnerungen geprägte Teichhaus, das irgendwann verschwunden ist. Dabei erkennt sie wehklagend ihr Schicksal, dass sie „mit den Schatten der Tode auf der Erde in ihren armen“, die „mit der vergehenden Zeit verschwundenen zahlreichen Existenzen“ sind, „ihr Leben im Sumpf des alltags fortsetzen muss".
Auf weitere Ehegeschichten wartend Es gibt keine andere Institution, die so viele geheimnisse über Unwissenheit und Unbeholfenheit, Liederlichkeit und Erbärmlichkeit einer menschlichen Beziehung birgt wie die Ehe. Ständig lässt sie Familie und Individuum, Ich und Du, Vernunft und Emotion, Mann und Frau miteinander konfrontieren. Junge Koreaner schauen zurzeit verängstigt und unsicher in den garten mit dem alten Schild „Liebe“ und „glück“ und schleichen um ihn herum. Bedenkt man, dass für ein Leben in diesem garten verschiedene alternative Formen von Familie vorgeschlagen werden, dann scheint die Ehe nicht der einzige Impfstoff zu sein, der diesen garten gesund machen und erhalten kann. Wenn alleinbleiben keine antwort sein kann, dann müssen wir mehr übereinander wissen, und auch über das Wesen des Menschen. nur so können wir die angst, die zu hass führt, besiegen. KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 31
SPEZIAL 6 hochzeit auf koreanisch
Wenn man heiratet, muss jeder sich anpassen, um die Ehe erfolgreich zu machen. Ein internationales Paar dürfte sich diesbezüglich aber generell größeren Herausforderungen gegenübersehen. Doch die Dinge können sich auch unerwarteterweise einfacher entwickeln, wie es bei mir der Fall war. Seitdem ich vor 20 Jahren eine koreanische Frau geheiratet und mich in Korea niedergelassen habe, konnte ich in der koreanischen Gesellschaft bemerkenswerte Veränderungen in der Wahrnehmung internationaler Ehen feststellen.
INTERNATIONALE EHEN
EIN PERSÖNLICHER BERICHT Charles La Shure Professor, abteilung für Koreanische Sprache und Literatur, Seoul national University Fotos Kim Dae-hyun
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ärz 1996. Ich bin seit rund sechs Monaten in Korea. Ich sitze in einem restaurant vor dem haupttor der Ewha Frauenuniversität und warte auf meine Partnerin, um mit unserem Sprachaustausch Koreanisch/Englisch beginnen zu können. Ich schaue auf die Uhr: Sie ist zehn Minuten zu spät. gerade in dem Moment eilt ein Mädchen, das ich nie zuvor gesehen habe, auf mich zu und nimmt mir gegenüber Platz. „Tut mir leid, dass ich spät bin“, sagt sie in holprigem Englisch. Sie erklärt, dass meine Partnerin mit ihren Uni-aufgaben sehr beschäftigt sei und sie gebeten habe, den Sprachaustausch zu übernehmen. Ich runzle die Stirn, beschließe aber abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Ich denke, dass ich mit ihr zusammen einige Sitzungen mache und dann mit irgendeiner ausrede den Sprachaustausch abbrechen werde. Zu meiner Überraschung ist meine neue Partnerin aber völlig begeistert davon, mir Koreanisch beizubringen. Bis zu meiner Einschreibung in ein Sprachprogramm an der Yonsei Universität lerne ich mit ihr zusammen Koreanisch und auch danach hilft sie mir noch. aber da ist noch mehr, etwas, das über das Sprachenlernen hinausgeht. genau ein Jahr nach diesem Tag im März 1996 sind wir verheiratet.
Vom Sprachlernpartner zum Lebenspartner Das ist jetzt fast 20 Jahre her und wir sind immer noch eng zusammen. Wir werden oft gefragt, welche herausforderungen unsere internationale Ehe mit sich gebracht hat. Wahrscheinlich glaubt man, dass alles viel komplizierter als in einer „normalen“ Ehe sein muss. natürlich waren kulturelle anpassungen erforderlich. Es gibt Dinge, die in Korea auf eine bestimmte art erledigt werden, in den USa aber auf andere art und umgekehrt. Kulturelle anpassung ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens in einem fremden Land, aber sie ist um so notwendiger und entscheidender, wenn man sein Leben mit jemandem aus diesem Land teilt. aber nicht alles bestand aus Schwierigkeiten und hindernissen. Es gab auch viele angenehme Überraschungen. So ist in Korea der Schwiegersohn traditionell im hause der Eltern seiner Frau willkommen und die Schwiegermutter verwöhnt ihn bei jeder gelegenheit. Er ist „ein gast für 100 Jahre“, wie man im Koreanischen so schön sagt. Umgekehrt ist das Verhältnis zwischen einer koreanischen Schwiegermutter und ihrer Schwiegertochter traditionell ein schwieriges. In den USa ist es anders, wenn nicht genau umgekehrt: Schwiegermütter und -söhne verstehen einander oft
nicht, während Schwiegermütter und -töchter in keinerlei hinsicht so große Schwierigkeiten haben wie in Korea. In unserem Falle haben wir das Beste aus beiden Welten erhalten: Meine Frau versteht sich prächtig mit meiner Mutter und meine Schwiegermutter war vor ihrem Tod für mich viel mehr als nur eine Schwiegermutter. Ehrlich gesagt, hatten die meisten anpassungen, die wir machen mussten, nichts mit der Kultur zu tun, sondern mit dem Charakter des Partners. D.h. wir mussten uns genauso aneinander anpassen wie jedes verheiratete Paar, das seine Ehe erfolgreich machen will. Das bedeutet, zu lernen, wie man sein Leben mit einem anderen menschlichen Wesen verbringt. auf den ersten Blick mag es zwar gegen den gesunden Menschenverstand gehen, aber in gewisser Weise hatten wir es sogar einfacher, gerade weil wir ein „internationales“ Paar sind. Ich glaube nämlich, dass meine Frau und ich einen Vorteil hatten, weil wir von vornherein davon ausgingen, dass die Dinge schwierig sein würden.
Mehr persönliche als kulturelle Anpassung In Wahrheit heiratet doch jeder, der eine Ehe eingeht, in gewisser Weise jemanden aus einer anderen Kultur. Das Paar mag aus demselben Land und demselben Kulturraum stammen, aber beide kommen aus unterschiedlichen Verhältnissen, wurden in unterschiedlichen Familien erzogen und haben unterschiedliche Lebenserfahrungen. Und vielleicht am wichtigsten: Männer und Frauen sind sehr unterschiedlich, egal, aus welcher Kultur sie kommen. In mancher hinsicht kann eine koreanische Frau mehr mit einer amerikanischen Frau gemeinsam haben als mit einem koreanischen Mann. aber trotzdem frage ich mich oft, ob Menschen in „intranationalen“ Ehen überhaupt verstehen, auf welche herausforderungen sie sich mit einer solchen Beziehung einlassen. Meine Frau und ich gingen mit der Bereitschaft in die Ehe, mit ersthaften anpassungsproblemen konfrontiert zu werden, und ich glaube, deshalb konnten wir schon sehr früh viele unserer Differenzen überwinden. Machte der eine etwas, das den anderen enttäuschte, verwirrte oder verletzte, dann konnten wir das immer den „kulturellen Unterschieden“ ankreiden und hinter uns lassen. Im Laufe der Zeit nutzten sich dann unsere rauen Ecken langsam ab und wir lernten, reibungslos miteinander zurechtzukommen. Das ist meine Erfahrung mit internationaler Ehe, aber ich bin kein typischer Fall. Ich bin ein amerikanischer Mann verheiratet mit einer koreanischen Frau, aber ich bin kein heiratsmigrant. Will sagen, ich bin nicht mit dem Ziel der Eheschließung nach Korea gekommen, sondern lebte eben hier, als ich meine Frau kennen lernte. Ein weiterer Unterschied ist, dass wir keine Kinder haben. Ich glaube, die Implikationen und auswirkungen dieser Tatsache wären ein separates Thema für einen weiteren artikel, aber ich denke, ich kann ruhig sagen, dass wir in dieser Ein internationales Paar, das hinsicht ungewöhnlich sind. bei seiner vor kurzem in Senach der regierungsstatistik 2015 über „Multikuloul stattgefundenen hochzeit turelle Ehen“ besteht eine typische internationale glücklich lächelt. allgemein wird angenommen, dass Ehe aus einer Verbindung zwischen einem koreinternationale Partner mehr anischen Mann und einer chinesischen oder vietanpassungsschwierigkeiten namesischen Frau. Das vielleicht gängigste Bild zu überwinden hätten, aber den Problemen liegen oft eher einer internationalen Ehe ist ein junger koreaniunterschiedliche Persönlichscher Mann aus einem Dorf auf dem Lande, der keitszüge als unterschiedliche nationalitäten zugrunde. eine Frau aus Südostasien heiratet. Die Statistiken KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 33
Es ist schwer, Voraussagen über die Zukunft internationaler Ehen in Korea zu machen. Wie immer diese Zukunft auch aussehen mag: Sie wird Teil der allgemeinen Entwicklung des Multikulturalismus sein. Internationale Ehen werden auf ganz natürliche Weise größere Akzeptanz finden, wenn Menschen, die vielleicht nicht in Korea geboren wurden oder keine ethnischen Koreaner sind, stärker als Teil der koreanischen Gesellschaft angenommen werden.
für 2016 zeigen, dass 22,7% aller Ehen, die in den letzten fünf Jahren von in Landwirtschaft und Fischerei tätigen Männern geschlossen wurden, internationale Eheschließungen sind (2007 waren es noch 40%). Wenn Koreaner an internationale Ehen denken, denken sie oft an solche Fälle. Diese Phänomen hat natürlich seine Licht- und Schattenseiten. auf der einen Seite wird damit ein sehr reales gesellschaftliches Problem auf dem Lande – gemeint ist der Mangel an heiratswilligen Frauen – angesprochen und bis zu einem gewissen grade behoben, auf der anderen Seite lassen sich leicht negative geschichten über diese internationalen Ehen finden. geschichten von einer Braut aus einem ärmeren Land, die kurz nach ihrer ankunft in Korea davonläuft, sind z.B. gang und gäbe.
Heiratsmigrantinnen und Multikulturalismus Die koreanische regierung ist sich der Schwierigkeiten, auf die heiratsmigrantinnen – also Frauen, die mit dem Ziel der Eheschließung einwandern – treffen, wohl bewusst. Im Ersten grundlegenden Plan der Einwanderungspolitik (2008-2012) hat die regierung ein ganzes Unterkapitel den heiratsmigrantinnen gewidmet und die notwendigkeit von Maßnahmen zur anpassung an die koreanische gesellschaft und Erlangung finanzieller Unabhängigkeit betont. Die regierung hat in diesem Dokument auch eingestanden, dass die heiratsmigrantinnen unter Diskriminierung und sogar Menschenrechtsverletzungen zu leiden haben. gegenmaßnahmen wurden auf den Weg gebracht. So gibt das Ministerium für gleichstellung und Familie ein „Willkommensbuch“ in acht Sprachen heraus, das praktische Informationen zum Einleben anbietet und über aktivitäten wie Kimchi-Einlegen-Festivals und Bildungsprogramme informiert, die internationalen Bräuten wichtige aspekte der koreanischen Kultur vermitteln. Wichtiger als solche anstrengungen seitens der regierung und weiterer Institutionen ist vielleicht aber die Wahrnehmung internationaler Ehen durch den koreanischen Durchschnittsbürger. Es gibt zwar immer 34 KOREANA frühjahr 2017
noch viele negative Medienberichte über internationale Ehen, wobei es allerdings meist um „Scheinehen“ und „heiratsbetrügerei“ geht. In der allgemeinen Öffentlichkeit scheint sich die Wahrnehmung internationaler Beziehungen und Ehen aber verbessert zu haben. Ich persönlich kann mich noch daran erinnern, dass der anblick eines ausländischen Mannes hand in hand mit einer koreanischen Frau im besten Falle mit missbilligend hochgezogenen augenbrauen quittiert wurde, öfter aber mit Beleidigungen und Beschimpfungen. heutzutage scheinen die Leute internationale und multikulturelle Paare viel stärker zu akzeptieren. Das hängt zwar auch mit der allgemein gestiegenen akzeptanz von ausländern in der koreanischen gesellschaft zusammen, geht aber weit darüber hinaus. Viele Koreaner scheinen offener für den gedanken geworden zu sein, dass ausländische Mitbürger in der koreanischen gesellschaft eine feste rolle spielen und nicht unbedingt nur Besuch auf Zeit sind. Interessanterweise erhöht sich die gesellschaftliche und kulturelle akzeptabilität von internationalen Ehen in Korea weiter, während andererseits die Zahl internationaler Eheschließungen rückläufig ist. In den letzten Jahren nahm die Zahl der Eheschließungen zwar insgesamt ab, aber bei internationalen Eheschließungen ist dieses Phänomen noch ausgeprägter. Unter anderem als resultat einer strengeren aufsicht über die auf internationale Ehevermittlungen spezialisierten agenturen und der seit 2011 verschärften Überprüfung von heiratsmigranten-Visen ist der anteil internationaler Ehen an der gesamtzahl der Ehen in Korea von 10,8% im Jahr 2010 auf 7,4% im Jahr 2015 geschrumpft. angesichts der Tatsache, dass insbesondere Eheschließungen mit chinesischen Partnern rückläufig sind, während heiraten mit Partnern aus den USa und anderen OECD-Ländern zunehmen, könnte es aber durchaus sein, dass der allgemeine rückgang eine Verlagerung im Typ der internationalen heiraten darstellt, aber kein anhaltender Trend ist.
Wandel in der Wahrnehmung internationaler Ehen Es ist schwer, Voraussagen über die Zukunft internationaler heiraten in Korea zu machen. Wie immer diese Zukunft auch aussehen mag: Sie wird Teil der allgemeinen Entwicklung des Multikulturalismus sein. Wie bereits gesagt, wird es auf ganz natürliche Weise zu einer größeren akzeptanz internationaler Ehen kommen, wenn Menschen, die nicht in Korea geboren wurden oder keine ethnischen Koreaner sind, stärker als Teil der koreanischen gesellschaft angenommen werden. aber internationale Ehen werden auch Korea, und was „Koreanischsein“ bedeutet, neu definieren. als nation hat Korea eine sehr starke ethnische Identität. Diese Identität hat sich natürlich im Laufe vieler Jahrhunderte herausgebildet, aber die Zeit der japanischen Besatzung von 1910-1945 dürfte dabei die größte rolle gespielt haben. als Korea seinen Status als unabhängi-
ge nation verlor und das koreanische Volk dem japanischen Kaiserreich einverleibt zu werden drohte, entwickelte sich ein starkes ethnisches Bewusstsein als Verteidigungsmechanismus. Daher identifizieren sich Koreaner über ihre Ethnizität und nicht über den Pass, den sie besitzen. Und deshalb wird ein Korea-amerikaner, auch wenn er in den USa geboren und aufgewachsen ist, immer noch als „Koreaner“ betrachtet, während ein Westler, der die koreanische Staatsangehörigkeit angenommen hat, nach wie vor als „ausländer“ gilt. Es könnte sein, dass das neue Zeitalter der internationalen Ehen und multikulturellen Familien diese Wahrnehmung von Identität verändert, da Multikulturalismus in der regel ja auch Multiethnizismus bedeutet. Die Vorstellungen von Blutlinie oder Koreas Status als „aus einer einzigen Ethnie“ bestehenden nation müssen neu überdacht werden – tatsächlich werden sie jetzt gerade überdacht –, da die koreanische Bevölkerung kulturell und ethnisch diversifizierter wird. Den Kern der koreanischen Identität wird etwas anderes
ausmachen müssen, etwas, das von allen, die Korea ihre heimat nennen, geteilt werden kann. Selbst ein flüchtiger Blick auf das derzeitige Weltgeschehen reicht, um zu erkennen, dass der Multikulturalismus im Westen in Bedrängnis ist. Die einen haben immer noch die hoffnung, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen in Frieden zusammenleben und gemeinsame Werte annehmen können, die allen zugute kommen. aber es gibt andere, die behaupten, dass Multikulturalismus ein fehlgeschlagenes Experiment sei und die Werte, die vielen im Westen heilig sind, umgestoßen zu werden drohen und daher gegen äußere Kräfte verteidigt werden müssen. Ich kann nicht sagen, was aus dem westlichen Multikulturalismus wird, aber ich glaube, behaupten zu können, dass Korea mit vielen herausforderungen derselben art konfrontiert werden wird, wenn es den Weg des Multikulturalismus weitergeht. Wird Korea in der Lage sein, einigen der Fallstricke auf diesem Weg auszuweichen? Ich glaube, dass der Status internationaler Ehen – die rolle, die sie in der gesellschaft spielen, ihre Wahrnehmung vonseiten der Mitglieder der gesellschaft etc. – ein guter Indikator für das, was vor uns liegt, sein werden. nach meinen persönlichen Erfahrungen zu urteilen, stehen die Zeichen gut, aber ich weiß auch, dass es immer noch viel Verbesserungsbedarf besteht. Mit dem Wandel, den internationale Ehen in der Wahrnehmung der Koreaner erfahren, hat sich auch die alte Vorstellung von Korea als „ethnisch homogene nation“ verändert.
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KUNSTKRITIK
innere landscHaftsmalerei eines meisters der koreaniscHen abstrakten kunst
1 1 Composition with Straight Lines (1949). Öl auf Leinwand, 53 x 45,5 cm 2 Morning (1958) . Öl auf Leinwand, 100 x 73 cm
Yoo Young-kuk (1916-2002), der mit den elementaren Bildelementen Punkte, Linien, Flächen, Formen und Farben die Wesenheit eines Berges einfing, erschloss die Welt des Abstrakten zu einer Zeit, als das Konzept der Abstraktion in koreanischen Kunstkreisen noch fremd war. Die Retrospektive Yoo Young-kuk: Absolutheit
und Freiheit, die anlässlich von Yoos 100. Geburtstag vom 4. Nov. 2016 bis 1. März 2017 in der DeoksugungZweigstelle des Nationalmuseums für Moderne und Zeitgenössische Kunst zu sehen war, präsentierte rund 100 Werke aus sechs Jahrzehnten und entdeckte den Meister der koreanischen abstrakten Kunst neu. Chung Jae-suk Kulturredakteurin, Tageszeitung Joongang Ilbo
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in tiefroter Berg glitzert wie ein Diamant. Von einem rot so intensiv, dass er jeden Moment zu explodieren scheint, füllt er die gesamte Leinwand. grüne, orangene und blaue Berge ragen gen himmel, die Leinwand gleichsam straff spannend. Die auf verschiedenfarbige Dreiecke reduzierten Berge pulsieren vor Intensität. Ein Berg ist ein Berg, aber die kraftvolle Solidität der Berg-Dreiecke fesselt den Betrachter. Die glänzenden bemalten Flächen strahlen zugleich Leidenschaft und Kälte aus. Yoo bemerkte einst: „Der Berg ist nicht vor mir, sondern in mir“. Der von Yoo verehrte niederländische Maler Piet Mondrian sagte etwas Ähnliches: „Wir müssen uns von der Besessenheit mit dem Äußeren lösen. nur so können wir die Tragödie überwinden, wieder aufstehen und das Friedliche in allen Dingen bewusst betrachten“. Für Yoo war das Malen des Berges in seinem Inneren eine Erforschung der menschlichen Seele. Die Berge mit ihren verschiedenen Farben und Formen stehen für die von ihm betrachtete und gefühlte innere Landschaft des Menschen.
Maler der Berge Yoo Young-kuk wurde 1916 in Uljin, Provinz gyeongsangbuk-do (damals Provinz gangwon-do), geboren. In dieser region mit ihren tiefen Tälern liegt das Eungbongsan-gebirge. Die Berge – seine stummen Freunde aus Kindertagen – waren ein Teil von ihm und ein Motiv, das er sein ganzes Leben lang auf die Leinwand brachte. „Viele meiner Werke tragen ‚Berg’ im Titel, weil ich in einer bergreichen region aufgewachsen bin. auch meine ‚Wald’-gemälde wurden von den Erinnerungen an den Dorfwald, in dem ich als Kind spielte, inspiriert. Die Sonnenstrahlen, die durch dichtes Laub und Äste auf das gras hinunterfallen, sind kristallklar und voll Lebenskraft spendender Schönheit. Ich drücke durch meine Bilder gerne die gefühle aus, die ich an mir vertrauten, jederzeit leicht erreichbaren Orten empfinde.“ Waren für Paul Cézanne die Berge von Sainte-Victoire eins seiner Lieblingsmotive, so waren die Berge für Yoo ein vertrautes Motiv, das er mit verschiedenen Strukturen und Farben frei variieren konnte. auch nachdem er sich in den 1960er Jahren in Seoul niedergelassen hatte, ging er häufig in die nahe gelegenen Berge Dobong-san und Bukhan-san und zur Bergfestung namhansanseong, sog die lebens-
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1 Thawing of the ground (1961), Öl auf Leinwand, 130 x 162 cm 2 Work (1967). Öl auf Leinwand, 130 x 130 cm 3 Circle-a (1968). Öl auf Leinwand, 136 x 136 cm
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Frei von allem Unwesentlichen und Verschönerndem, bleibt nur die Wesenheit auf der Leinwand, die den Betrachter in eine Welt von absoluter Stille, Freiheit und Frieden jenseits der Berge versetzt. Äußerlich gesehen mögen Yoos Bilder westlicher Kunst ähneln, im Inneren jedoch setzen sie die Tradition der Landschaftsmalerei der Joseon-Zeit (1392-1910) fort.
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spendende Bergenergie auf und versuchte, mit seinen lebendigen, Freude ausstrahlenden Dreiecken den Schmerz einer unter der raschen Modernisierung leidenden nation zu lindern. Der Kunsthistoriker Lee In-bum sagt über Yoos Kunstwelt, dass sie „durch abstraktion die Würde des Menschen und die Möglichkeit der Freiheit befördert“.
Pionier der abstrakten Kunst Yoo scheint sich der Bedeutung und der Schwierigkeit, sich im Korea der 1950er Jahre der abstrakten Kunst zu widmen, wohl bewusst gewesen zu sein. Yoo Jin, das dritte der vier Kinder des Künstlers und Präsident der Yoo Youngkuk art Foundation, erzählt dazu folgende anekdoten: als er in seiner Mittelschulzeit nach dem Beruf der Eltern gefragt wurde, antwortete er, dass sein Vater Maler sei. Daraufhin kam die Frage, was für eine art von Bilder er denn male. „Ich fragte also meinen Vater, was ich darauf antworten solle, und er sagte: ‚abstrakte Malerei’. Ich meinte, dann wolle man sicher wissen, was abstrakte Malerei sei. ‚Dann sag einfach moderne Kunst’ – war seine antwort. Wieder bemerkte ich, dass auch damit niemand etwas anfangen könne, woraufhin er lachend meinte ‚Dann sag eben, ich sei ein avantgarde-Künstler’. Viel später, als jemand auf einer Solo-ausstellung eins seiner Bilder kaufte, meinte er schmunzelnd ‚Verkaufen sich auch meine Bilder?’ – auch das werde ich nie vergessen.“ nachdem Yoo 1935 in Tokio sein Studium an der Kunsthochschule Bunka gakuen begonnen hatte, verkehrte er mit repräsentativen abstrakten Künstlern wie Saburo hasegawa und schloss sich der avantgarde-Bewegung an. Sein Debüt als Künstler erfolgte, als er 1938 bei der zweiten ausstellung des Verbandes Freier Künstler als erster Koreaner mit dem hauptpreis ausgezeichnet wurde. Dass er zu der Zeit auch an der Oriental Photography School Fotografie studierte und avantgardistische Fotos bei ausstellungen einreichte, belegt seine vorausschauende kreative Leidenschaft. 1943 nach Korea zurückgekehrt, legte Yoo während der turbulenten Zeit der Befreiung vom japanischen Kolonialjoch und des anschließenden Koreakrieges den Pinsel beiseite, um als verantwortungsvolles Oberhaupt einer großen Familie das familieneigene Fischerei- und später Brauereigeschäft zu führen. Doch als er vierzig wurde, erklärte er seiner Frau fest entschlossen: „Ich will keinen goldberg und kein goldfeld. Ich muss malen!“ Damit wandte er sich wieder der Kunst zu. Yoo war aktiv z.B. in Künstlervereinigungen wie der neorealismus-gruppe, der gesellschaft für Moderne Kunst und der gruppe der neuen Form und beteiligte sich an der ausstellung Zeitgenössischer Künstler. So führte er die Bewegung der abstrakten Kunst in Korea mit an, bis er urpötzlich alle Verbindungen abbrach. nach seiner ersten Solo-ausstellung 1964 lebte er in völliger abgeschiedenheit und widmete sich ausschließlich der Malerei. Künstler ohne Mythos Yoo ist als wortkarger, asketischer, dickköpfiger und beharrlicher Künstler bekannt. Er ist ein Maler ohne Mythos. Während seine Zeitgenossen wie Kim Whan-ki, Lee Jung-seob, Park Soo-keun und Chang Ucchin im Schatten der Kolonialherrschaft als genies gefeiert wurden oder als Exzentriker von sich reden machten, verbrachte Yoo seine Tage aufrichtig und monoton wie ein asket. Er hielt sich wie ein „Kunst-Tagelöhner“ an einen rigorosen Tagesplan, der um 08.00 Uhr mit dem gang ins atelier
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1 Mountain and Lake (1979), Öl auf Leinwand, 53 × 65 cm 2 Yoo Young-kuk bei der arbeit in seinem Studio in Yaksudong, Seoul. aufnahme: Limb Eung-sik, um 1968
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1 Mountain-red (1994). Öl auf Leinwand, 126 x 96 cm 2 Work (1989). Öl auf Leinwand, 65,4 x 91 cm 3 Work (1994). Öl auf Leinwand, 66 x 91 cm
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begann und erst um 18.00 Uhr endete. Über seinen strengen Lebensstil sagte die Schriftstellerin Kang Seuk-kyong einmal, dass Yoo so lebte als ob „er alle überflüssigen Spuren seines Lebens quasi abgehobelt hätte, sodass nur noch ein ‚guter Künstler’ übrig bleibt, über den man keine schmückenden Worte zu verlieren braucht“. Yoo lehnte Konventionen und Kompromisse ab und lebte in Isolation und abgeschiedenheit, einzig gefüllt mit der „intensiven Spannung, die er vor der Leinwand empfand“. Yoo war ein freier Mann, den es nach einer reinen und transzendenten geisteswelt gleich den Bergen in seinen Bildern dürstete. Der Maler Kim Byung-ki, der mit Yoo in Japan studierte, beschreibt den mittlerweile verstorbenen Künstler als „freigeistigen Typ mit temperamentvollem Charakter, der Konventionen hasste“. Yoo quittierte eine begehrte Professur an der renommierten Seoul national University nach nur zwei Jahren und drei Monaten und auch an der für Kunst berühmten hongik University kündigte er nach drei Jahren. Er, der sich statt sich unter die Menge zu mischen lieber in der Einsamkeit seines ateliers vergrub und mit dem Berg in seinem Inneren kommunizierte, bemerkte einmal: „Beim Malen geht es darum, sein Ich zu zeigen. Die Quelle meiner Bilder sind die natur und meine alltagsumgebung. Ich habe mit dem gedanken gemalt, bis etwa 60 die grundtechniken der Malerei zu erlernen, und danach mit einer weicheren herangehensweise zur natur zurückzukehren.“ Das pflegte Yoo auch zu seinen Kindern zu sagen. Yoo Jin erzählt: „Vater sprach immer vom ‚malen lernen’. Er sagte, dass er sich bis zu seinem 60. Lebensjahr auf das das Studium der Malerei konzentrieren wolle. Mit 70 sagte er, dass ‚das fünfte Lebensjahrzehnt noch zur Jugend’ gehöre. Mit 80 meinte er dann, dass die Jahre von 60 bis 70 die goldene Zeit des Lebens seien. auch sagte er, dass er ‚für eine bessere Welt’ abstraktifizierte.“
Ein Maler moralischer Landschaften Die vier nach Perioden geteilten ausstellungsräume erinnerten an den alten konfuzianischen Spruch: Ein edler Mensch mag die Berge. Die reine atmosphäre und kraftvolle Energie, die Yoos Bilder ausstrahlen, führen den sich tief in die Berge versetzt fühlenden Betrachter zu Meditation und Lyrik. „Yoo hat das harmonische ganze seines Urgefühls, seiner Erfahrungen und seines glaubens, in der natur, v.a. in den Bergen, das ‚Koreanische‘ zu sehen, in einer Weise zum ausdruck gebracht, als ob es ihm im Blute läge. Sein Ideal war ein völlig harmonischer Einklang von Leben, Kunst und natur. Deshalb strebte er weniger nach einer reinen harmonisierung der Farben, denn er erkannte von Beginn an, dass das Wesen der Farbe mit der Welt der harmonie verbunden ist. aus diesem grunde werden seine Bilder als ‚moralische Landschaften’ bezeichnet.“ (Chung Young-mok: Die Berge von Yoo Young-kuk: moralische Landschaften; erschienen in: Yoo Youngkuk 1916-2002, 2012) Beachtenswert bei dieser retrospektive war auch, dass Kunstfans in aller Welt Yoos Bergbilder bequem zu hause betrachten konnten. Das nationalmuseum für Moderne und Zeitgenössische Kunst stellte in Zusammenarbeit mit google 20 von Yoos hauptwerken auf die kostenlose Online-Kunstausstellungsplattform google arts & Culture. Dabei wurde die vom google Cultural Institute speziell entwickelte art Camera zum ersten Mal in Korea verwendet, um die zweidimensionalen Bilder in gigapixel-auflösung aufzunehmen, was dem Betrachter sogar erlaubt, die Oberflächentextur wie mit einer Lupe genau zu betrachten. Die geometrische, strenge Plastizität, die mit dem Malmesser großzügig und ebenmäßig aufgetragenen Farben, und die Berge, die sich darin majestätisch und unerschütterlich erheben – all dies schien für den Künstler zu sprechen, der „frei und ohne Einmischung von außen“ leben wollte. Frei von allem Unwesentlichen und Verschönerndem, bleibt nur die Wesenheit auf der Leinwand, die den Betrachter in eine Welt von absoluter Stille, Freiheit und Frieden jenseits der Berge versetzt. Äußerlich gesehen mögen Yoos Bilder westlicher Kunst ähneln, im Inneren jedoch setzen sie die Tradition der Landschaftsmalerei der JoseonZeit fort.
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HÜTER DES TRADITIONELLEN ERBES
MEISTER YI SEONG-MO TaUChEranZÜgE, DIE DaS LEBEn DEr haEnYEO SChÜTZEn
Heo Young-sun Dichterin Fotos Lee Han-koo
Meister Yi Seong-mo fertigt für die Haenyeo-Taucherinnen der Insel Jeju-do Taucheranzüge an. Da die Sicherheit dieser legendären Meerfrauen, die tief unter Wasser ohne Sauerstoffflaschen arbeiten, in seinen Händen liegt, empfindet er ein Gefühl der starken Solidarität und warmen Zuneigung zu ihnen. 44 KOREANA frühjahr 2017
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eim majestätischen anblick einer gruppe von haenyeo alte geblieben und begrüßt seine Kundinnen so fröhlich wie eh und (wörtl.: Meerfrauen), die nach einem rauen Tauchgang in je, sagen die haenyeo. ihren pechschwarzen, vor Meerwasser triefenden Taucheranzügen am Kieselstrand erscheinen, füllt sich sein herz mit FreuSohn einer Haenyeo, Ehemann einer Haenyeo de. Er, das ist Meister Yi Seong-mo, der die anzüge der haenyeo Yi Seong-mo erklärt über seinen arbeitsethos: „Perfektion ist fertigt. Er sagt, dass seine Taucheranzüge Leben und Lebensunmeine Pflicht. Wenn der Taucheranzug auch nur ein bisschen zu groß ist oder die kleinste Bruchstelle hat, fließt Wasser hinein – ein terhalt der Meerfrauen schützen helfen. Bereits über 40 Jahre lang echtes Desaster. Stellen Sie sich mal vor, dass Ihnen an einem eisistattet er die haenyeo mit maßgeschneiderten „Meeres-harnischen“ aus. gem Wintertag Wasser in die Kleidung sickert. Beim Freitauchen Yi lebt in Seongsan-ri, einer am Seongsan Ilchulbong (Sonnennach Meeresfrüchten setzt man sein Leben aufs Spiel. Mit einem Fehler meinerseits würde ich mich gleichsam an den haenyeo veraufgangsgipfel) gelegenen Ortschaft, die morgens als erste auf der Insel von der Sonne gegrüßt wird. Die Wände seiner Werksündigen. Denn eine Meerfrau arbeitet mit einer so verbissenen hingabe, dass sie selbst dann nicht aus dem Wasser kommt, wenn statt „Sora-Taucheranzüge“ (Sora: Tritonshorn) schmücken kleine sie merkt, dass ihr Taucheranzug undicht ist. Ein Tauchgang dauert Tewak-Körbe, die früher aus Kürbis, heute aus Schaumpolystyrol rund fünf Stunden. Da jede der älteren haenyeo für mich wie eine gefertigten Schwimmhilfen der haenyeo. In einer Ecke stehen nach Mutter ist, muss ich mit größter Sorgfalt arbeiten.“ Dörfern geordnete Körbe mit den Körpermaß-Listen der TaucheIst es Schicksal? In der Tat ist sowohl die Mutter als auch die Frau rinnen. In einem der räume liegen schwarze und orangefarbene dieses Meisters, der sich der Tauchanzug-Maßanfertigung vergummistoffe ausgebreitet, auf den Kleiderbügeln hängen lieferbereite Taucheranzüge. schrieben hat, eine haenyeo. Seine Mutter han Yang-chun ist In Yis Werkstatt hängt immer ein eigenartiger geruch, da der gumeine ehemalige Sang-gun (je nach Fachkönnen werden haenyeo in Sang-gun , haenyo obersten grades, Jung-gun , haenyeo mittmistoff im gegensatz zu Textilstoffen nicht genäht, sondern mit einem Spezialkleber geklebt wird. Deshalb muss Yi selbst im Winleren grades, und ha-gun , haenyeo untersten grades eingeteilt) aus dem Dorf Bomok-ri, Stadt Seogwipo. Seine von der Insel U-do ter die Fenster weit auf lassen, doch für ihn ist der strenge geruch stammende Frau Kim In-sim war ebenanheimelnd. 1 Yi Seong-mo hilft in seiner Werkstatt einer haenyeo Pausenlos wird seine Werkstatt von haefalls einmal eine haenyeo, die durch Taubei der anprobe einer neuen Taucherkappe. chen ihren Lebensunterhalt verdiente. als nyeo im alter von 50 bis über 80 besucht, 2 In einer Ecke von Yis Werkstatt hängen Taucheranzüsie gerade fünf Jahre alt war, zwang die die ihren Taucheranzug reparieren lasge, die auf ihre Besitzerinnen warten. Sie wurden mit einem handwerklichen Können gefertigt, das auf dem großmutter ihren Kopf in einen Eimer volsen, ihn abholen oder für einen neuen Maß glauben beruht, dass „Taucheranzüge millionenfach nehmen lassen wollen. Ununterbrochen ler Wasser, um sie das Tauchen zu lehperfekter als andere Sportkleidung sein müssen“. sind dort das Lachen und die lebhaft-derren. Und als grundschülerin musste sie manchmal den Unterricht versäumen, um ben Unterhaltungen der Besucherinam gemeinschaftlichen Tauchen teilzunehnen zu hören. am Tag unseres gesprächs war Meister Yi besonders beschäftigt, da men. Kims Mutter, die mit 97 Jahren starb, am nächsten Tag ein gruppentauchgang war ebenfalls eine Sanggun-haenyeo, die anstand. sogar bis nach China zum Tauchen ging Eine haenyeo aus Seongsan-ri kommt herund gut Chinesisch sprach. ein und sagt: „am hals sitzt er zu locker und Wasser sickert hinein“. Unverzüglich Eine exquisite „Luxusmarke“ zückt Yi die Schere und löst das Problem Die haenyeo go Yeong-il, die gerade in die durch scheinbar kinderleichtes Schneiden Werkstatt gekommen ist, sagt: „Yi macht und Kleben. Sein Umgang mit der Schere die besten Taucheranzüge. Sie sitzen pererinnert an Macgyver, den Protagonisten fekt und sehen schick aus. Er macht aber der gleichnamigen TV-Serie, der für alles nicht nur schöne und bequeme Tauchergleich eine Lösung hat. Mit der Eintragung anzüge, sondern repariert sie bei Bedarf der Kultur der Jeju-haenyeo in die UnESauch, was noch besser ist. Ich kann seine Marken-Taucheranzüge nur empfehlen!“ CO-Liste des Immateriellen Kulturerbes Unter den haenyeo von Jeju-do gelten Yis (2016) stieg für die haenyeo auch die finanProdukte als „Markenanzüge von Desigzielle Unterstützung durch die Kommunalnerhand.“ verwaltung und damit Yis auftragsmenge. 2 Die älteren haenyeo, die den Meister nach aber Yi ist trotz der Mehrarbeit ganz der KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 45
dem berühmten verstorbenen koreanischen Luxusdesigner andré Kim „andré Yi“ nennen, sind in ihren Lobpreisungen nicht zu stoppen. „Seine Taucheranzüge sind so warm und so weich, und er behandelt uns alte Leutchen immer so freundlich, dass wir ihm auf ewig dankbar sind“, sagt die 88-jährige Oh Sun-a, seine älteste Kundin. Ohne ihren 5 mm dicken Taucheranzug aus der Werkstatt Sora kann sie nicht tauchen. Yi sagt: „Sie wurde am rücken und Bein operiert und hat neulich Unmengen von Tritonshörnern gesammelt. Ist das nicht bewundernswert?!“
Von den Haenyeo übers Leben lernen Yis goldene regel für die arbeit lautet, dass er die haenyeo-gemeinschaft gut kennen muss, um gute Taucheranzüge für sie herstellen zu können. Deshalb versucht er, den Charakter jeder einzelnen haenyeo zu verstehen, von denen er umgekehrt über das Leben lernt. aber auch, wenn er seine arbeit schon lange macht, wird sie nicht leichter. Einen gut sitzenden Taucheranzug anzufertigen, ist keine leichte aufgabe. Die älteren haenyeo bitten Yi z. B. ihn unbedingt etwas lockerer zu schneidern. Dahinter steckt eine alte gewohnheit aus der Zeit, als die Meerfrauen mit einem einzigen anzug das ganze Jahr lang über die runden kommen mussten und der anzug aufgrund der besonderen Eigenschaften des gummistoffes im Sommer enger anlag. Yi meint: „Wenn ich auf sie höre, kommt es schon mal zu großer aufregung. Denn wenn sie ihren neuen, leicht größer geschneiderten Tauchanzug zum ersten Mal an einem kalten Tag anziehen, finden sie ihn zu locker. Das Schwierigste ist, die goldene Mitte zwischen ihren Wünschen und meinen Erfahrungen auszuhandeln.“ Yi denkt nach wie vor, dass er den Wünschen jeder einzelnen haenyeo mit größtmöglicher aufmerksamkeit und rücksichtnahme entsprechen sollte. „Im gegensatz zu normaler Kleidung nutzen sich Taucheranzüge ja schneller ab. außerdem entstehen schon mal Löcher, wenn man z.B. an einer hacke hängenbleibt und der anzug beschädigt wird. heute werden Taucheranzüge aus importiertem neopren-Synthesekautschuk angefertigt, der äußerst weich und wärmeisolierend ist. Da die Kommunalverwaltung Unterstützung für die Taucheranzüge zahlt, ist es jetzt besser geworden, aber früher haben die Frauen die Löcher einfach immer wieder selbst geflickt, um geld zu sparen. Bittet mich eine, ihren beschädigten anzug auszubessern, mache ich das ohne Frage. Die goldene regel meines handwerks lautet: nicht nach geld gieren, sondern konsequent und sich treu bleiben. Wählerischen Kundinnen komme ich mit freundlichen Worten und kleinen geschenken wie einer Kopfhaube entgegen. Deshalb gibt es in jedem Dorf haenyeo, die sich um mich wie um ihren eigenen Sohn kümmern und mir immer eine Kleinigkeit mitbringen.“ Fertigt Yi für eine der älteren haenyeo schon mal einen anzug umsonst an, hinterlässt sie als Dankeschön eine Meerbrasse. Oft fühlt er sich beschämt, wenn er diese Frauen sieht, die stets bemüht sind, eine Freundlichkeit zu vergelten. 46 KOREANA frühjahr 2017
Aufkommen von Taucheranzügen aus Gummi Bevor Mitte der 1970er Jahre Taucheranzüge aus gummi auf der Insel Verbreitung fanden, mussten die haenyeo auch an kalten Wintertagen im traditionellen, Unterwäsche-artigen Baumwollstoff-Outfit Sokgot (auch Mulot oder Sojunggi genannt) tauchen. Sobald sie aus dem Wasser kamen, schwoll daher ihre haut am ganzen Körper rötlich an oder verfärbte sich schwärzlich. gummi-Taucheranzüge waren für die haenyeo eine Sensation und brachten für Yi einen Wendepunkt im Leben. Ein in Ulsan lebender, von Jeju-do stammender Japan-Koreaner, hatte die gummi-Taucheranzüge aus Japan mitgebracht und Yis Frau darum gebeten, sie in Korea zu verkaufen. So hatte es angefangen. Yi erinnert sich: „als die ersten haenyeo in gummi-Taucheranzügen ins Meer gingen, gab es zunächst einmal viel gerede. nicht ahnend, dass sie sie selbst einmal tragen würden, waren viele absolut dagegen. So ging es ein, zwei Jahre lang. nur wenige, die es sich leisten konnten, kauften sich einen. Doch mit der Zeit wurde immer mehr haenyeo klar, dass die anzüge vor Kälte schützten und es so ermöglichten, stundenlang unter Wasser zu arbeiten, weshalb bald jede trotz der hohen Preise sich einen anzuschaffen begann.“ „Diejenigen, die sich keinen leisten konnten, ließ ihr unerfüllter Wunsch fast krank werden“, erzählt haenyeo go Yeong-il, die ihre Strickmaschine, mit der sie sich nebenher etwas verdient hatte, verkaufte, und zusätzlich 30.000 KW drauflegte, um einen Taucheranzug anzuschaffen. Ihre Schwester habe dafür sogar Schulden aufgenommen. Yi, der damals in seinen späten 20ern in seinem heimatdorf Bomok-ri Mandarinen anbaute, witterte eine neue geschäftschance. Zu Beginn betrieb er die Taucheranzug-Fertigung noch zusammen mit einem guten Bekannten, doch nach vielen aufs und abs machte er sich selbstständig und ging entschlossen seinen eigenen Weg. auf der Suche nach einem geeigneten Standort kam er zum hafen Seongsan-po, der auf halber Strecke zwischen Bomok-ri und U-do, der heimat seiner Frau, liegt und das Zentrum der haenyeo-gemeinde war. Das Material importierte er aus Japan, Designen und Schneidern ließ er sich von einem aus Japan eingeladenen Experten beibringen. Doch das reichte nicht. Yi erklärt: „Eigenhändig nahm ich immer und immer wieder Maß an meinen Kundinnen, studierte ihren Körperbau und ihre Tauchgewohnheiten, um für beste Passform größe und Form individuell und auf die örtlichen Bedingungen abzustimmen.“ Ein Taucheranzug, der damals 35.000 KW teuer war, kostet heute bis zu 320.000 KW. Die meisten haenyeo besitzen heutzutage drei Taucheranzüge: einen dicken für den Winter, einen mitteldicken für den herbst zur Tritonshörner-Ernte und einen dünnen für den Sommer. Da die Wassertemperatur sich je nach Jahreszeit verändert, variiert die Materialdicke von 2 bis 10 mm.
Bis Mitte der 1970er Jahre arbeiteten die Taucherinnen von Jeju-do selbst im Winter in einem Unterwäsche-artigen dünnen Baumwoll-Outfit. Yi Seong-mo, der fest davon überzeugt ist, dass seine Taucheranzüge Leben und Lebensunterhalt der haenyeo schützen, stattet die Taucherinnen bereits seit über 40 Jahren mit „Meeres-harnischen“ aus.
Alle sind seine Familie 2007 fiel Yis Werkstatt einem Feuer zum Opfer. Eine große Zahl lieferbereiter Taucheranzüge verwandelte sich in einen aschenhaufen. „Ich war voller Sorge, denn meine Kundinnen brauchten die anzüge ja dringend für den Winter. Doch als sie von dem Feuer hörten, meinten sie, dass sie ruhig länger warten könnten. Ich stand also in ihrer Schuld“, erinnert sich der Meister. Für ihn sind alle haenyeo wie Familie. Ihm entgeht nicht, wie sich das körperliche Erscheinungsbild jeder einzelnen haenyeo im Laufe der Jahre verändert hat, wie krumm der rücken geworden ist, wie viel gewicht verloren wurde. ruft eine an einem kalten Tag an, um zu berichten, dass es ein Problem mit ihrer Kopfhaube gebe, bricht er auf, um eine neue zu liefern. „Wenn ich daran denke, was sie unter Wasser auszuhalten hat, kann ich einfach nicht anders“, bemerkt Yi. Im September, kurz vor dem Einbruch der Kälte, hat er am meisten zu tun, denn dann müssen die Taucheranzüge instandgesetzt werden. „Ist einer haenyeo der anzug zu klein geworden, muss ich hin – aus Pflichtbewusstsein. gehe ich nicht, ruiniert es ihren Tag. Tauchen sie in einem schlecht sitzenden oder schadhaften anzug, ist die Erkältungsgefahr hoch. Und eine Erkältung würde die arbeit zur Qual machen. Denn die haenyeo gehen ja auch selbst dann ins Wasser, wenn sie krank sind“, erklärt Yi. Sein Kundenkreis ist nicht auf die Stadt Seogwipo beschränkt: Weit über 1.500 haenyeo kommen zu ihm, darunter auch die Taucherinnen in den Küstengebieten und auf den Inseln der beiden Provinzen Jeolla-do sowie diejenigen, die nach Japan tauchen gehen. Selbst für eine einzige Kundin auf einer Insel scheut er die anfahrt nicht, um Maß zu nehmen. anders als bei normalen Maßanfertigungen
müssen für einen Taucheranzug mehr als 20 Körperstellen ausgemessen werden. „Ich gehe auf alle möglichen Inseln in Jeolla-do. Einmal brauchte ich allein für die hinreise vier Tage. Im letzten Jahr konnte ich dank der Unterstützung der Kommunalverwaltung einen rundbesuch auf gleich mehreren Inseln machen und für 50 bis 60 anzüge Maß nehmen“, erzählt Yi. Bei solchen reisen macht Yi auch unvergessliche Begegnungen: Vor einigen Jahren lernte er im Dorf gangjeong an der Südküste der Insel Jeju-do eine über 80 Jahre alte haenyeo kennen. „Es war ein großmütterchen, das sich beim gehen auf einen Stock stützte. Sie machte sich immer als letzte auf, um der gut gemeinten Schelte der besorgten jüngeren haenyeo zu entgehen. Es war ein sehr windiger Tag. Ich fragte sie, warum sie bei solchem Wetter nicht einfach zu hause bleibe, und sie antwortete, dass sie tauchen gehe, weil sie sich nach Menschen sehne und sich einsam fühle“, erinnert sich Yi. Ein oder zwei Stunden Später hörte er die traurige nachricht von ihrem Tod. Unter Wasser hatte sich eins ihrer Beine zwischen zwei Steinen festgeklemmt.
Die Zukunft der Haenyeo und ihrer Taucheranzüge Für Yi Seong-mo gibt es niemanden, der fleißiger ist als die haenyeo-Meerfrauen. Mit dem durchs Tauchen verdienten geld finanzieren sie den Familienunterhalt, den Erlös aus dem Mandarinen-anbau sparen sie. Die geschichten von älteren haenyeo in ihren 70ern, die ihr Leben unter Wasser riskieren, um das so mühsam verdiente geld für ihre Kinder auszugeben, rühren ans herz. Yi erklärt: „Bis zum Lebensende auf niemanden angewiesen zu sein. Ein eigenes Bankkonto haben. Das sind die eisernen regeln der haenyeo. Bis zum Lebensende wollen sie auf der geberseite bleiben.“ Doch in meinen augen steht auch Yis Fleiß in nichts dem der haenyeo nach. hat er viele aufträge, fertigt er pro Tag sechs bis zehn Taucheranzüge an. Von 05.00 bis 23.00 Uhr! Yi erzählt, dass dieses Jahr so viele Bestellungen eingegangen seien, dass er mitten in der nacht voller Sorge wegen möglicher Lieferverspätungen aufwache. Tagsüber arbeitet er zusammen mit einem Mitarbeiter, abends hilft ihm seine Frau, die das Tauchen mittlerweile aufgegeben hat. Ein ernstes Problem ist die Weiterführung des handwerks. So wie die Zahl der haenyeo jährlich um etwa 100 abnimmt, so schwierig ist es, einen nachfolger für das Traditionshandwerk zu finden. „Da ich dank der haenyeo mein tägliches Brot verdiene, denke ich, dass ich mein Bestes tun muss, um so lange wie möglich für sie zu arbeiten.“ Yi, der nie getrunken hat und vor fünf Jahren auch das rauchen aufgab, habe seit 30 Jahren ein – wie er sagt – hobby, nach dem er „verrückt“ sei: das Ziehen von Topf-Bonsai. Von Mai bis Juli, wenn er vergleichsweise weniger aufträge hat, geht er zur reinigung seiner vom tagelang eingeatmeten Chemie-Dünsten geplagten Lungen in die Berge, wo er sein Interesse an Bonsai entdeckte. Mittlerweile hat sein hobby Expertenniveau erreicht. Er träumt davon, nach dem ruhestand einen Bonsai-garten aufzumachen. KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 47
UNTERWEGS
WIND UND STEINE UND ZEIT EINE REISE DURCH SÜD-JEJU Die Vulkaninsel Jeju-do bildet ein Oval, das sich in östliche und westliche Richtung des Berges Halla-san erstreckt, der sich in der Mitte der Insel erhebt. Die südliche Hälfte der Insel steht unter der Verwaltung der Stadt Seogwipo. Als südlichste Region Koreas begrüßt sie den Frühling als erste.
©KO BOng-su, spring oF JeJu, the 5th JeJu international photo competition
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Gwak Jae-gu Dichter Fotos Lee Han-koo
Hinter der gelben Rapsblütenflut sind das Meer und der Seongsan Ilchulbong, der „Sonnenaufgangsgipfel“, zu sehen.
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„H
allo“, sage ich bei unserer ersten Begegnung auf dem Weg. Wissen sie das? Dass das glücklichsein im leben beim grußwechsel mit dem geliebten menschen beginnt? Dass die einzelnen grüße sich zu einem Berg des glücklichseins anhäufen? glücklichsein ist wie Wein: es bietet uns eine kleine arche und ein ruder, wenn das leben den Fluss von schmerz und Verzweiflung überquert. Deshalb brauchen wir das glück. ich stehe heute auf einer straße in der südlichen region der insel Jeju-do. ich weiß nicht, zum wievielten mal ich schon hier stehe, aber jedes mal spreche ich einen warmen gruß aus, so, als ob ich meine erste liebe treffen würde. und mit derselben Wärme grüßen sie mich auch: „hallo!“ Dieser grußwechsel lässt mein herz höher schlagen und meine augen strahlen, als hätten sie ein Blumenbeet im himmel entdeckt. Jeder schatten von hass und Verzweiflung in meinem inneren verweht wie der Frühlingswind. sie winken mir mit einem lächeln zu. Denken sie manchmal darüber nach, aus welchem land sie stammen? ich bin Koreaner. ich lebe in Korea und schreibe gedichte. essenz der sechzig Jahre, die ich auf dieser erde verbracht habe: Das ist wohl schamgefühl. ich vermochte es nicht, ein leben voller leidenschaft und reinheit zu führen, vermochte nicht, aus der tiefe meines herzens die wirklich besten gedichte zu schreiben. stolz hielt ich die gedichte für meine besten, die, in schlaflosen nächten geschrieben, von den Kritikern 50 KOREANA frühjahr 2017
ein zustimmendes nicken bekamen. Wenn ich daran denke, dass ich dabei nur einfach pfützen von mit ungeduld und ungeschick gefüllter Zeit überquert habe, verdunkelt sich mein herz noch mehr.
Warum der Sonnenaufgang so schön ist Die straße des grußwechsels ist die Küstenringstraße, die um die insel Jeju-do führt. es ist die regionalstraße nr. 1132, die aber unter ihrem alten namen „nationalstraße nr. 12“ besser bekannt ist. Die insel mit ihren mystischen und wunderschönen naturphänomenen wurde 2007 unter der Bezeichnung „Jeju-Vulkaninseln und lavatunnel“ in die unesco-liste des Weltnaturerbes aufgenommen: Die von lavasteinen umgebenen Dörfer, die unermesslich tiefen lavahöhlen, die ins meer stürzenden Wasserfälle und die tausend inselchen im meer. Die ganze landschaft ist, wenn die Zeit kommt, von leuchtend gelben rapsblüten bedeckt. einen moment lang vergesse ich, aus welchem land ich komme und was mein Beruf ist. und auch mein schamgefühl verschwindet einen moment lang. Daher komme ich hierher. Der mensch vergisst seine einsamkeit in der Begegnung mit der straße und die straße findet ihre Vollendung in der Begegnung mit der einsamkeit und dem schamgefühl des menschen. ich befinde mich gerade im südöstlichen abschnitt der Küsten-
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ringstraße. Vor meinen augen ragt eine geheimnisvolle Felsformation in der Form eines elefanten auf. Die Bewohner von Jejudo nennen sie seongsan ilchulbong: sonnenaufgangsgipfel von seongsan. hier, am östlichen ende der insel, kann man den schönsten sonnenaufgang in ganz Korea sehen. Dieser tuffkegel bildete sich vor 5.000 Jahren, als bei einer eruption unter dem meer magma aus dem Wasser schoss. Der anfänglich isolierte Kegel verband sich später durch sedimentablagerungen mit der insel. Der sonnenaufgang hier ist besonders schön, weil die sonne am horizont ihre strahlen in einer spektakulären Farbpalette von grünen, rosafarbenen, blauen und gelben tönen ergießt. sonnenstrahlen in regenbogenfarben! Denken sie einen moment an gauguins Bilder. Die primitiven Farben, die auf den gemälden des auf tahiti verstorbenen „edlen Wilden“ zu sehen sind, sind die Farben dieses sonnenlichts. auf das schwarze Vulkangestein voller löcher, auf die Kaskaden gelben rapses, die sich den Fuß des Berges entlang bis zum meer ergießen, auf die Wogen des blauen meeres und zwischen das lang ausgestoßene atempfeifen der haenyeo-taucherinnen fallen die sonnenstrahlen hinunter. hier heißt es einen moment innehalten und von den haenyeo erzählen. Diese zähen meerfrauen sind ein symbol des lebens auf der insel Jeju-do. ohne tauchausrüstung oder sauerstoffflaschen tauchen sie in zig meter tiefe hinunter, um abalonen, seegurken,
1 eine ehrfurchtgebietende Formation von schwarzem Basalt und säulenartig miteinander verbundenen Klippen erstreckt sich die Küste von seogwipo entlang. es ist einer der spektakulärsten anblicke auf der Vulkaninsel Jeju-do. 2 Beim spaziergang entlang der Küstenstraße, die zu Kim Jeong-huis Verbannungsort führt, trifft man auf eine Felsgestein-pagode, auf der eine steinfigur mit menschlichem gesicht sitzt. rechter hand ist einer der seltenen, nach oben spitz zulaufenden parasitären Kegel (oreum) von Jeju-do zu sehen.
tritonshörner zu sammeln. Veteraninnen können bis zu fünf minuten unter Wasser aushalten. Das pfeifenartige geräusch, mit dem die haenyeo beim auftauchen ausatmen, ist nicht nur das symbol der meerfrauen, sondern steht auch für die starke lebenskraft der inselbewohnerinnen. Der gedanke, dass diese Frauen in einem ständigen Kampf dem meer ihren lebensunterhalt abtrotzend alt werden, gebietet ehrfurcht. Die haenyeo-taucherinnen von Jeju-do und ihre Kultur wurden 2016 in die repräsentative unesco-liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. ich parke meinen Wagen am straßenrand und warte auf den sonnenaufgang über dem ilchulbong. Zuerst zeigen sich gelb-rötliche sonnenstrahlen, die allmählich einen grün-blauen schimmer annehmen, um sich schließlich in einen äußerst geheimnisvollen rosaton zu verwandeln. an einem Frühlingstag mitten in den rapsblüten sitzend die sonne über dem ilchulbong aufsteigen zu sehen, lässt mich verstehen, warum die KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 51
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Sehenswϋrdigkeiten im Sϋden Jeju-dos
Seoul
U-do
446km
Seongsan-Sonnenaufgangsgipfel Seopjikoji Berg Halla-san Berg Sanbang-san
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cheonjiyeonWasserfall
Leejungseop Art Museum Jeongbang Wasserfall
Jeju
Vögel singen und die Blumen so helle gesichter haben. auf dem Weg nach seopjikoji überlege ich es mir anders und wechsle die richtung. „Koji“ ist Jeju-Dialekt und bedeutet „winzige landspitze“. als ich vor dreißig Jahren auf meiner hochzeitsreise zum ersten mal hier war, war die ursprüngliche schönheit noch unverfälscht erhalten. Da waren wir frischgebackenen eheleute, da war der mit Blumenduft getränkte Wind, da war das geräusch der klatschenden Wellen, und da waren die auf uns herabfallenden vielfarbigen sonnenstrahlen. Vielleicht war aber auch nichts von all dem da. Für ein junges paar, das nicht wusste, dass es vor der tür zur harten Wirklichkeit stand, war dieser ort ein vom leben gewährtes, paradies-ähnliches geschenk; die unwägbare Zukunft musste erst noch ertragen werden. aber heutzutage sind zu viele menschen hier. Kennen sie die koreanische tV-serie all in? nicht nur diese serie, sondern viele andere serien und Filme wurden hier gedreht – kein Wunder also, dass der ort so viele Besucher anlockt. erst als ich sehe, wie ein einst einsamer, aber holdseliger ort seinen mysteriösen glanz verloren hat und sich die menschenmassen anhäufen, wird mir bewusst, dass ich ein mensch bin. Jeder leidet unter seiner eigenen Verzweiflung, seiner trauer, seinem schmerz. Der gedanke, dass sie vielleicht vor ihrem Kummer hierher geflüchtet sind, erregt mein mitleid. Denn ich, sie, wir alle sind menschen, die inmitten ihrer traurigkeit hoffnungsvolle träume träumen.
1 touristen beim Bergwandern auf dem mt. sanbang olle hiking trail. 2 Dolharubang, steinstatuen von „alten groβväterchen”, finden sich überall auf der lnsel.
Lee Jung-seob und die Küste von Seogwipo Zwei menschen möchte ich ihnen auf meiner reise in den süden von Jeju-do vorstellen. Der eine ist lee Jung-seob (1916-1956), ein koreanischer maler. als ich um die zwanzig war, verliebte ich mich in seine Werke und sein leben. ich las seine von Dichter Ko un verfasste Biografie so oft, bis der einband zerfleddert war. erst meine einberufung zum Wehrdienst setzte der lektüre ein ende. in der stadt seogwipo gibt es ein Kunstmuseum zu ehren des malers und eine nach ihm benannte straße. ich weiß nicht genau, wo ich mit meiner erzählung über lee beginnen soll. im Januar 1951 kam lee Jung-seob im süden der insel an. es war mitten im Koreakrieg (1950-1953) und lee war mit seiner Frau und seinen beiden kleinen söhnen hierher geflüchtet. Der als sohn eines wohlhabenden großgrundbesitzers geborene Künstler ging mit zwanzig nach Japan, um malerei zu studieren. Dort traf er masako, die liebe seines lebens. Diese romanze zwischen einem koreanischen Künstler und einer japanischen Frau während der japanischen Kolonialherrschaft ließ mein herz schmerzen. Die beiden pendelten über die als Koreastraße bekannte meerenge zwischen Japan und Korea und heirateten schließlich 1945. Kurz darauf wurde Korea vom japanischen Joch befreit. Das ehepaar, das friedlich in Wonsan, einer stadt im heutigen nordkorea, gelebt hatte, flüchtete nach süden, als Wonsan 1950 während des Koreakriegs bombardiert wurde. so kam lee mit seiner Familie in den südlichen teil von Jeju-do. Die Familie, die über die mit Flüchtlingen überfüllte hafenstadt Busan nach Jeju-do kam, lebte von Januar bis Dezember 1951 an der Küste vor seogwipo. sie lebten mehr schlecht als recht und ernährten sich von selbst gefangenen Krabben. Daher zeigen viele von lees Bildern Kinder, die mit Krabben spielen. lee sagte einmal, dass ihm das, 2 was sie den Krabben angetan hätten, sehr leid KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 53
tue. nachdem er 1952 seine Frau und Kinder nach Japan geschickt hatte, begann für ihn eine trostlose Zeit, in der er alle paar tage einen Brief an seine masako schrieb. hier ist einer davon: „Kunst ist ausdruck unendlicher liebe. es ist der ausdruck wahrer liebe. erst wenn man von wahrer liebe erfüllt ist, wird das herz rein. [...] ich brauche nur meine unendlich teure nam-deok noch intensiver, stärker und leidenschaftlicher zu lieben, lieben, lieben und innigst zu lieben und alles im leben, das sich in den reinen herzen von uns beiden widerspiegelt, wahrhaftig neu zu gestalten und zum ausdruck zu bringen. an meinen unsäglich sanften und warmen monsieur Zeh sende ich wieder, und immer wieder wieder, innigste Küsse.“ nam-deok ist der koreanische name masakos. es gibt eine Zeile in diesem Brief, von der ich meine augen nicht lassen kann: die stelle mit den Küssen an „monsieur Zeh“. Dieser ausdruck einer unendlichen liebe für etwas so Bescheidenes und niedriges gibt aufschluss über lees Weltbild. er liebte die Zehen seiner Frau abgöttisch. in vielen Briefen finden sich Küsse an ihre Zehen. lee malte gern Bullen. in der ehrlichen einfachheit eines Bullen versuchte er essentiell Koreanisches zum ausdruck zu bringen. lee, der sich im chaos des Kriegs keine ordentlichen malfarben und anderen Künstlerbedarf beschaffen konnte, machte stanniolpapier zu seiner leinwand. nachdem er eine packung Zigaretten aufgeraucht hatte, gravierte er Zeichnungen in das stanniolpapier, die er dann kolorierte. Von lees rund dreihundert stanniolwerken befinden sich drei im museum of modern art in new York. Family on the road ist mein lieblingsbild unter lees Werken. Das Bild eines Familienvaters, der – Frau und Kinder in einen von einem
ochsen gezogenen Karren geladen – zu einem ausflug aufbricht, zeigt die Welt, von der der Künstler träumte. 1955 hielt er in seoul seine letzte ausstellung, aber seine Werke verkauften sich nicht. geistig geschwächt verweigerte er jegliche nahrungsaufnahme und wurde von einer psychiatrie zur anderen geschickt, bis er schließlich 1956 in einem Krankenhaus in seoul einen einsamen tod fand. in dem ihm zu ehren errichteten Kunstmuseum (leejungseop art museum) kann man sich seine Bilder, denen er sein ganzes leben widmete, und die Karten und Briefe an seine Frau anschauen. es ist herzerwärmend zu sehen, welche Bedeutung dem leben eines in Zeiten der armut schaffenden Künstlers zukommt. an der Küste Jaguri, die sich unterhalb des museums befindet, machte lee spaziergänge mit seiner Familie. hier an einem einsamen und trostlosen tag auf den spuren eines armen Künstlers zu wandeln und über sein leben zu sinnieren: Könnte das nicht ein wundes herz trösten? empfehlenswert ist auch ein Besuch der zehn, zwanzig gehminuten entfernten Wasserfälle Jeongbang und cheonjiyeon. Vielleicht ist es ja gerade die einsamkeit, die die menschen hier versammeln lässt. ein koreanischer Dichter sagte einst: „Wir sind menschen, weil wir einsam sind.“
Leben eines Joseon-Gelehrten Der Berg sanbang-san befindet sich am westlichen ende des südteils von Jeju-do. Der Bergrücken wirkt sanft und warm. auf den Wiesen sind friedlich grasende pferde zu sehen. Direkt daneben gibt es einen kleinen hafen mit dem lieblich klingenden namen moseulpo. Den
Zu Recht wird der Weg zwischen den Sonnenaufgangsgipfel Seongsan Ilchulbong und dem Berg Sanbang-san als „Paradies-Weg“ bezeichnet: Denn nicht nur die Natur entlang des Wegs ist von mystischer Schönheit, hier haben auch die von den Koreanern am meisten geliebten Gelehrten und Künstler ihre Spuren hinterlassen.
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1 sehando (Die große Kälte) von Kim Jeong-hui. 1844. tinte und lavierung auf papier, 23 x 69,2 cm. Dieses als eins der berühmtesten „literati-gemälde“ (i.e. von konfuzianischen gelehrten und nicht von professionellen malern gefertigt) bekannte Werk gibt aufschluss über Kims geistigen Zustand während der dunklen Jahre der Verbannung auf Jeju-do. 2 in das steinmonument am eingang zum leejungseop art museum in seogwipo ist das gesicht des Künstlers gemeißelt.
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Bergrücken entlang schlendernd, erreiche ich bei sonnenuntergang moseulpo, wo ich in einer kleinen gaststube einkehre und gebratenen pazifischen hering mit reis esse. Den kulinarischen genuss als lebensgenuss zu betrachten, ist wohl etwas unklug. aber an einem einsamen tag, einem tag der Verzweiflung in einem schäbigen restaurant in einem kleinen hafen zu sitzen und nur mit einer Flasche soju-schnaps als gesellschaft zu essen, ist nicht so unklug. Denn dabei gerät man ins analysieren und sinnieren über sein einstiges ich. und es gibt keinen grund, warum man keine neuen lebensbahnen finden können sollte. 1840 wurde ein mann nach moseulpo verbannt: es war Kim Jeonghui (1786-1856), bekannt unter dem Beinamen chusa. in der Joseon-Zeit war Verbannung die strafe für ungehorsam gegenüber dem König. Kim lebte acht Jahre in Verbannung. sein Bewegungsradius wurde durch einen Dornenzaun um sein strohgedecktes haus beschränkt. Über alle epochen und ländergrenzen hinweg gilt die Wahrheit, dass der mensch in Zeiten der armut und des mangels über sich hinauswächst und großes vollbringt. es war hier im exil, dass Kims gelehrsamkeit und künstlerisches schaffen ihren höhepunkt erreichte. Das Bild sehando (Die große Kälte), das
jeder Koreaner kennt, wurde 1844 in moseulpo gemalt. Jeder sollte diese als nationalschatz nr. 180 designierte gemälde einmal gesehen haben. nichts könnte schlichter sein: ein heruntergekommenes, in wenigen linien dargestelltes haus, daneben eine alte, knorrige Kiefer und drei junge pinienbäumchen. am rande ist in chinesischen schriftzeichen eine alte Weisheit von Konfuzius zu lesen: „nach der großen Kälte erkennt man das grün der Kiefer und des pinienbaums“. Das meint wohl, dass das leben erst nach einer harten Zeit zu leuchten beginnt. auf dem Bild sind Bewertungen von 16 gelehrten der chinesischen Qing-Dynastie zu sehen. es ist bemerkenswert, dass chinesische gelehrte das Bild eines verbannten gelehrten des Joseon-reiches kommentierten. im haus von Kim Jeong-hui an seinem ort der Verbannung über die Bedeutung des lebens zu sinnieren: ist das nicht eine sinnvolle sache? Zu recht wird der Weg zwischen dem sonnenaufgangsgipfel seongsan ilchulbong und dem Berg sanbang-san als „paradies-Weg“ bezeichnet: Denn nicht nur die natur entlang des Wegs ist von mystischer schönheit, hier haben auch die von den Koreanern am meisten geliebten gelehrten und Künstler ihre spuren hinterlassen. KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 55
EIN GANZ NORMALER TAG
Ähnlich und doch unterschiedlich: Leben der Angestellten in 24-Stunden-Läden 24-Stunden-Läden sind Örtlichkeiten, an denen Desinteresse eine Tugend ist. Für die meisten der dortigen Teilzeitbeschäftigten dient der Job nur dem Erwerb des Lebensunterhalts. Bei näherer Betrachtung wird aber deutlich, dass es auch an diesem Arbeitsplatz Träume und Warmherzigkeit gibt.
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1 „es reicht nicht, einfach nur hinter der Kasse zu stehen. eine wichtige aufgabe für teilzeitkräfte wie mich besteht darin, immer wieder ins lager zu gehen und die regale gut mit produkten gefüllt zu halten“, sagt lee Deok-ju. 2 aus jahrelanger erfahrung weiß lee Deokju, dass sein Job weniger ein angemessenes maß an Freundlichkeit verlangt, sondern eher ein angemesses maß an Desinteresse.
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Kim Seo-ryung leiterin des old & Deep story lab Fotos Ahn Hong-beom
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ee Deok-ju, ein student im vierten Jahr, der im sommer die universität abschließen wird, arbeitet im 24-stunden-laden gs25 vor der u-Bahn-station Bucheon in der provinz gyeonggi-do. seit etwa drei Jahren arbeitet er an seinen beiden vorlesungsfreien Wochenendtagen von 08.00 bis 16.00 uhr in einem ca. 50m² großen raum. er bekommt den für 2017 gesetzlich festgelegten mindeststundenlohn von 6.470 KW (ca. 5,29 euro), 7,3 % mehr als der 2016 gültige mindestlohn von 6.030 Won. multipliziert mit 8 ergibt das einen tageslohn von etwas über 50.000 Won (ca. 42,33 euro). Zwei acht-stunden-tage pro Woche sichern ihm das taschengeld für die folgende Woche. lees Fall ist wohl eher die ausnahme unter den teilzeitarbeitern in den 24-stunden-läden des landes. Da seine eltern die studiengebühren übernehmen, jobbt er nur am Wochenende in der nähe seines Wohnortes. außerdem betrachtet er den Job als Vorbereitung zur realisierung seines Zukunftstraums: eine Büroärbeit bei gs retail, dem Vertriebsunternehmen, das die 24-stunden-laden-Kette betreibt. Deshalb stellte er sich auch bereitwillig für ein interview zur Verfügung, ganz im gegen-
satz zu den über zehn teilzeitbeschäftigten in 24-studen-läden, die ich um interviews bat und die meine anfrage entweder von vornherein ablehnten oder die, als ich sie nach zwei- oder dreistündigen gesprächen um ein formelles interview und Fotoaufnahmen bat, letzten endes ablehnten. heutzutage kann Korea durchaus als „republik der 24-stunden-läden“ bezeichnet werden. gerade an einem 24-stunden-laden vorbeigelaufen, trifft man keine 100 m weiter auf den nächsten. Daher ist es leicht, hier einen teilzeitjob zu bekommen und die Fluktuationsrate bei den Jobbern ist entsprechend hoch. Wahrscheinlich ist das der hauptgrund, weshalb die dort angestellten nicht in den medien erscheinen möchten.
Für manche eine Job-Vorbereitungsphase in 24-stunden-läden gibt es alle möglichen produkte. lee Deok-ju sagte, dass er nicht wisse, wie viele produktsorten im laden angeboten werden. es gebe zwar eine große auswahl an artikeln für den alltagsbedarf, doch stellten getränke, snacks und verzehrfertige lebensmittel den größten teil des umsatzes. Früher waren
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instant-cup-ramen, eine heiße nudelsuppe, und samgak-gimbap, in getrockneten purpurtang eingeschlagene reisdreiecke, zusammen mit portionspackungen chinakohl-Kimchi die hauptspeisen in den 24-stunden-läden. aber vor zwei, drei Jahren kam Dosirak, die koreanische lunchbox, in die regale, was dazu führte, dass die einzelnen 24-stunden-ladenketten miteinander konkurrierend ihre eigenen Dosirak-marken entwickelten, sodass es heute eine große auswahl an ansprechenden und appetitlichen Dosirak-angeboten gibt. auch in dem laden gs25, in dem lee arbeitet, stellen Dosirak derzeit den löwenanteil am umsatz. im letzten Jahr entwickelte die Kette ihre eigene Kaffee-marke. Vor dem laden lockt ein strategisch platziertes Werbeplakat die Kunden mit frisch gemahlenen caffè americano für nur 1.000 Won (ca. 0,82 euro). ich bombardierte lee mit den Fragen, die ich vorbereitet hatte: gibt es einen persönlichkeitstyp, der besonders für die teilzeitjobs in den 24-stunden-läden geeignet ist? gibt es ein training für den umgang mit den Kunden? gibt es ein spezielles Knowhow für präsentation und arrangement der verschiedenen produkte? gibt es
regeln für das einpacken der verkauften Waren? Welche Kunden sind die schwierigsten? hatten sie jemals mit einem ladendieb zu tun? als Vorbereitung für meinen artikel las ich den roman Konbini ningen (convenience store people) von sayaka murata, der 2016 mit dem akutagawa-preis, einem der begehrtesten japanischen literaturauszeichnungen, geehrt wurde. Dieser halbautobiographische roman, in den die autorin ihre 18-jährige erfahrung einfließen ließ, beschreibt unterhaltsam das zweiwöchige trainingsprogramm, in dem das „24-stunden-laden-lebewesen“ oder, wie die autorin es ausdrückt, ein „uniformes geschöpf" gestanzt wird. Dazu gehören regeln wie „bei der Begrüßung dem Kunden lächelnd in die augen schauen“, „mit heiterer und hoher stimme sprechen“, „Damenbinden in einer papiertüte verpackt überreichen“, „warme und kalte speisen getrennt einpacken“, „nach der annahme einer Bestellung für Fast Food als erstes die hände desinfizieren“ usw. nach lees antworten zu urteilen, scheint die situation in Korea jedoch anders zu sein: „extra training habe ich nicht erhalten. natürlich ist es gut, die Kunden heiter
zu begrüßen, aber ich schaue ihnen eher nicht direkt in die augen. sie mögen nämlich keinen direkten Blickkontakt. es reicht vollkommen, den strichcode exakt einzuscannen und den preis klar und deutlich zu sagen. es gibt kein spezielles Know-how für das arrangement der produkte, aber eine Faustregel dafür: Was zuerst geliefert wurde, sollte auch zuerst verkauft werden. Der ladenbesitzer hat das mir gegenüber ausdrücklich betont.“ Die atmosphäre eines 24-stunden-ladens ist je nach lage total unterschiedlich. in dem Viertel, in dem sich lees arbeitsstelle befindet, gibt es eine hohe Konzentration von einzimmerwohnungen, in denen ausländische gastarbeiter leben. Daher kommen nicht wenige ausländische Kunden in den laden, die Bedarfsartikel und lebensmittel wie Fertiggerichte brauchen. manchmal sind ihre Koreanischkenntnisse noch unzureichend, sodass sie um hilfe bei der suche nach den gewünschten produkten bitten. in den drei Jahren, die lee jetzt schon in dem laden arbeitet, gab es aber nur einen einzigen Kunden, der etwas zu ihm sagte, was nichts mit dem Kauf eines produktes zu tun hatte. „als ich am morgen des lunar-neujahrstages im 24-stunKOREANISCHE KULTUR UND KUNST 57
mit der verstärkten umstellung des produktsortiments auf frisch zubereitete gerichte müssen teilzeitkräfte auch häufiger lieferungen per Kühllaster entgegennehmen.
„Als ich am Morgen des Lunar-Neujahrstages im 24-Stunden-Laden an der Kasse saß, fragte mich ein Mann in den 40ern, ob ich Reiskuchensuppe, die traditionelle Neujahrsmorgen-Speise, gegessen hätte. Ich war sehr überrascht, weil es das erste Mal war, dass jemand Interesse für mich, der ich hinter der Kasse stand, gezeigt hatte. Alle gehen nach dem Bezahlen einfach, ohne mir überhaupt mal ins Gesicht geschaut zu haben. Mir ist das normalerweise auch lieber so.“
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den-laden an der Kasse saß, fragte mich ein mann in den 40gern, ob ich reiskuchensuppe,die traditionelle neujahrsmorgen-speise, gegessen hätte. ich war sehr überrascht, weil es das erste mal war, dass jemand interesse für mich, der ich hinter der Kasse stand, gezeigt hatte. alle gehen nach dem Bezahlen einfach. mir ist das normalerweise auch lieber so.“ Vielleicht ist das ja auch irgendwo selbstverständlich. Kunden, die unrasiert und ungepflegt, als ob sie gerade aus dem Bett gekrochen wären, milch und toilettenpapier kaufen oder spätnachmittags wortlos instant-cupramen und samgak-gimbap am plastiktisch in der ecke essen, wünschen sich von der person an der Kasse nichts weiter als höfliches Desinteresse. Der 24-stunden-laden ist für die meisten menschen kein ort der Begegnung, sondern ein ort des mechanischen aneinander Vorbeihuschens, an dem das menschliche Wesen quasi in Fragmente aufgelöst verfliegt. Die angestellten dürfen nicht an der Kasse essen. aber sie dürfen den laden auch nicht für eine mahlzeit verlassen. also isst lee gerichte wie instant-cup-ramen, wenn gerade keine Kundschaft im laden ist. „einmal habe ich einen grundschüler beim stehlen eines eisriegels erwischt, angsteinflößende Diebe gab es nie. Die
meisten männlichen Kunden reden informell mit mir. ,hallo, student!‘ ist die höfliche Version, die meisten rufen mich mit ‚hey!‘. es gibt Kunden, die grob sprechen oder mir das geld nicht überreichen, sondern hinschmeißen. Das ist manchmal nicht ganz einfach wegzustecken, aber so ist es nun mal bei dieser art arbeit. ich richte meinen Fokus eher darauf, wie die Kunden auf die produkte reagieren und nicht, ob sie mich von oben herab behandeln oder nicht. mein Ziel ist ja, einmal eine stelle bei gs retail zu bekommen.“
Für manche ein Zuhause Die person, mit der ich mich bei mehreren gelegenheiten und am längsten unterhalten habe, war ein gewisser herr Bak, ein mann anfang 50, der als Kassierer in einem 24-stunden-geschäft der seVen eleVen-Kette an der hauptstraße am Dongdaemun-tor arbeitet. seine situation ist ganz anders als die von lee. er weigerte sich strikt, fotografiert oder namentlich erwähnt zu werden, sodass ich seine geschichte nur unter Wahrung der anonymität erzählen kann. Zunächst einmal ist die arbeit im laden für Bak kein teilzeitjob, sondern sein hauptberuf. er arbeitet 12 stunden pro tag. normalerweise gibt es drei 8-stunden-schich-
ten, aber Bak und der ladenbesitzer teilen sich die beiden 12-stunden-schichten, eine regelung, die dem rücksichtsvollen Verständnis des ladenbesitzers für Baks persönliche lage zu verdanken ist. „Das hier ist für mich eine arbeitsstelle, wo ich ohne einmischung von außen essen und übernachten kann. ich arbeite nicht länger, um pro tag 20.000 Won (ca. 16,38 euro) mehr zu verdienen, sondern hier habe ich die arbeitsbedingungen, die ich jetzt gerade brauche.“ Bak, der seine schicht in dem engen raum hinter der Kasse um 20.00 uhr beginnt und bis früh um 08.00 uhr arbeitet, hat kein Zuhause. nach der pleite seines eigenen geschäfts trennte er sich von seiner Familie. er entschied sich von anfang an für diese arbeit, weil er so die nacht im 24-stunden-laden verbringen kann. „es ist wie ein kleines gefängnis. aber eins, das ich jederzeit verlassen kann. Da der laden in richtung osten liegt, kann ich jeden morgen den sonnenaufgang beobachten. es ist zwar je nach Jahreszeit etwas unterschiedlich, aber wenn die sonne aufgeht, weiß ich, dass bald Feierabend ist.“ nach der schicht beginnt er den tag damit, sich in der öffentlichen toilette des gebäudes das gesicht zu waschen und die Zähne
zu putzen. ist er besonders müde oder möchte sich hinlegen, geht er ins Jjimjilbang (koreanische sauna- und Badeeinrichtung mit Übernachtungsmöglichkeit) nebenan. sein Ziel ist, monatlich 1,7 mio. Won (ca. 1.392 euro) zu sparen. Das macht rund 20 mio. Won (ca. 16.377 euro) im Jahr, sodass er in fünf Jahren 100 mio. Won (ca. 81.886 euro) auf dem Konto haben kann. Da er weder trinkt noch raucht und bereits zweieinhalb Jahre vergangen sind, seitdem der laden zu seinem universum wurde, hat er sein Ziel schon zur hälfte erreicht. „Jeder einzelne Kunde ist mein Wohltäter. mit diesem gedanken begrüße ich jeden Kunden herzlich. es gibt auch schon einige, die gerade deswegen hierherkommen.“ er sagt, dass es nicht wenige stammkunden gäbe, die sogar für eine Flasche Wasser extra zu ihm kommen. „Für den menschen ist nicht das geld das Wichtigste, sondern die gefühle. Das gilt besonders für arme menschen, die sonst kaum etwas haben.“ Vielleicht ist es auch deswegen, dass ihm Kunden vorschlagen, nach der arbeit gemeinsam zu essen, oder ihm Kleidung von ihren marktständen schenken, die sie nicht verkaufen konnten. „als ich mit der arbeit begann, dachte ich, dass ich auf dem absoluten tiefpunkt angekommen wäre, aber dann habe ich gemerkt, was für ein unerwartet warmer ort es ist.“ parks tagesroutine verläuft nicht so, wie man es von jemandem erwarten würde, der die ganze nacht hinter der Kasse verbracht hat. er nimmt z.B. auch am tanzsport-unterricht bei der örtlichen Verwaltungsbehörde teil, wo er für 14 stunden im monat 20.000 Won (ca. 16 euro) zahlt. er geht auch oft zur Bezirksbibliothek. „ich habe mir verschiedene methoden überlegt, wie man ohne irgendwelche geldausgaben den tag sinnvoll verbringen kann. manchmal denke ich, dass mein leben derzeit noch reicher und inhaltsvoller ist als früher, als ich als selbstständiger geschäftsmann locker mit dem geld umgehen konnte.“ seine gedanken über die arbeit im 24-stunden-laden sind eine art lebens-
anschauung. „außer studenten, die sich durch teilzeitarbeit in 24-stunden-läden selbst finanzieren, sei das nun wegen der finanziell schwierigen situation zu hause oder aus ausgeprägtem unabhängigkeitsdrang, kann der rest von uns als gesellschaftliche Versager betrachtet werden. aber auch diese arbeit ist nicht so schlecht, solange man vor anderen nicht unbedingt großartig dastehen möchte. sind denn nur angestellten von großfirmen monatslohn-empfänger? ich habe doch auch meinen monatsverdienst. Das geld, das jeden monat auf mein Konto eingeht, ist ein geschenk des himmels. erst nach meinem scheitern ist mir das klar geworden.“ Bak konnte genau sagen, wie viele sorten von Waren es in seinem laden gibt: 852. Die teilzeitbeschäftigten in 24-stunden-läden halten sich nur an die gängigen regeln, doch wenn man sich in einem laden umschaut, spürt man, dass die jeweilige atmosphäre vom charakter der angestellten abhängt. „hier in der nähe gibt es viele 24-stunden-läden, doch unserer ist am saubersten geputzt und die mülleimer sind immer tiptop. anders könnte ich das gar nicht ertragen“, meint Bak. man brauche über umsatz und soldo nicht einzeln Buch zu führen, das mache ein extra dafür im computer installiertes programm. auf dem monitor erscheinen umsatz und Warenbestände automatisch, sodass er beim schichtwechsel nur den platz mit dem ladenbesitzer wechseln muss. „es ist natürlich ein tolles gefühl, wenn ich viel verkauft habe. ist der umsatz geringer, tut mir das leid, so, als ob es meine schuld wäre. Vielleicht sind das die einzigen schweren momente bei meiner arbeit.“ Zuletzt machte Bak sich sorgen über das land: „Das problem liegt nicht beim einzelnen. Die Wirtschaft des landes muss besser werden. aber wie soll das möglich sein, wenn die großen Konglomerate unsummen zur Bereicherung von leuten in machtpositionen abzweigen? sogar ich, der für eine 12-stunden-schicht nur 70.000 Won (ca. 57 euro) bekommt, weiß das.“ KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 59
BLIcK AUS DER FERNE
MEINE ROLLE : ELISABETH JOHANNA SCHEPPING MISSIONARIN, KRANKENSCHWESTER UND FREUNDIN KOREAS Anna Rihlmann schauspielstudentin an der Korea national university of arts
Wie alles begann „Warum wollen sie denn unbedingt in Korea schauspielerin werden?“ – „sind sie sich im Klaren darüber, dass es große einschränkungen bei den rollen für sie geben wird?“, waren unter anderem Fragen, die ich bei meiner aufnahmeprüfung an der hochschule für Kunst, der Korean national university of arts (Karts), zu hören bekam. nun studiere ich schon seit zwei Jahren im masterprogramm für schauspiel – als erste ausländerin meiner Fachrichtung. mit diesen Fragen sehe ich mich immer noch konfrontiert, aber ich habe mit der Zeit gelernt, das Beste aus der situation zu machen. und vor allem zu suchen. und wer suchet, der findet. Denn wer sich die koreanische geschichte genauer betrachtet, der wird entdecken, dass seit jeher viele ausländer nach Korea kamen. es waren überwiegend missionare, Ärzte, schiffsbrüchige und gelehrte, die ein neues leben im damaligen Königreich Joseon anfingen. hinter diesen personen verbergen sich außergewöhnliche lebensgeschichten.Wie der Zufall es wollte, bekam ich die chance,eine dieser personen in einem Dokumentarfilm zu verkörpern: Johanna elisabeth schepping. Vorarbeiten Bereits im Frühsommer 2016 war ein Filmteam des christian glo-
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bal network television (cgntV) aus südkorea in Deutschland, und zwar in limburg an der lahn und in Wiesbaden.in Wiesbaden fand das team im staatsarchiv die geburtsurkunde von Johanna elisabeth schepping (geb. am 27. sept. 1880) und im limburger Diözesanarchiv wurde den gästen aus Korea ein taufbuch mit den einträgen zur person von Johanna elisabeth schepping gezeigt. scheppings Familie stammt aus dem Westerwald (Wallmerod und elz). 1891 wanderte schepping nach new York aus, konvertierte dort zur presbyterianischen Kirche, machte eine ausbildung zur Krankenschwester und wurde als missionarin nach Korea entsandt. unter dem koreanischen namen seo suh-pyeong wirkte sie in schulen und Krankenhäusern und half den armen und schwachen.
Dreharbeiten Die Dreharbeiten für den Dokumentarfilm begannen anfang oktober 2016. Für Wochen reiste das ganze Filmteam zu verschiedenen orten aus Johanna elisabeth scheppings Vergangenheit. im Vorfeld der Dreharbeiten war das regieteam voll damit beschäftigt, die Drehorte in augenschein zu nehmen und auszuwählen. Von jeder szene wurde eine skizze angefertigt und alles genau beschrieben. und doch ging nicht immer alles wie geplant. eine Brückenszene konnte z.B. wegen starken Überschwemmungen am Vortag nicht
gedreht werden. so mussten wir einen tag länger bleiben und warten, bis das Wasser abgelaufen und die Brücke wieder aus den Fluten aufgetaucht war. man kann eben trotz perfekter planung nicht gegen mutter natur ankommen. calltime: 4 uhr in der Frühe. schließlich musste ich altersgemäßgeschminkt werden. Für die garderobe wurde extra eine spezialistin für historienfilme organisiert und die zeitgemäße garderobe musste größtenteils angefertigt werden. auch Brille, tasche und weitere accessoires wurden dem Zeitalter entsprechend ausgewählt – es handelt sich ja um eine Dokumentation über das 19. Jahrhundert. eine größere herausforderung stellte die maske dar. elisabeth Johanna schepping starb mit 54 Jahren. meine Filmrolle umfasste szenen im alter von 20 Jahren bis zu ihrem lebensende. Das bedeutete, dass ich mich während der Dreharbeiten verwandeln musste: von der jungen elisabeth, die in new York das erste mal über das leid im Königreich Joseon erfuhr,über eine vierzigjährige Frau, die den alten und Kranken half, bis hin zur gestalt der Verstorbenen. in dem Film wirken etliche nebendarsteller mit. sie verkörpern personen, die eine ganz besondere Beziehung zu der missionarin hatten: Die Waisenkinder, die schepping bei sich aufnahm und in Bibelkunde unterrichtete, wurden von Kindern gespielt, deren Familien die von schepping errichtete Kirche besuchten. Die Krankenschwestern, die suh seo-pyeong auf ihrem letzten Weg im Krankenhaus begleiteten und der mutigen deutschen „eomeoni“ (= mutter) nachtrauerten, waren mitglieder einer laien-theatergruppe aus gwangju, welche im Jahr
zuvor ein musical zu schepping aufgeführt hatten.Die Ärzte, die schepping in der letzten szene die organe entnehmen,waren nicht etwa schauspieler, sondern Ärzte, die in dem von schepping in der stadt Jeonju gegründeten Krankenhaus arbeiten. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten haben mich meine eltern in südkorea besucht. Da kurzfristig eine Darstellerin ausgefallen war, übernahm meine mutter nach kurzer Überlegung deren rolle. Das war für sie ein ganz besonderes ereignis. sie spielt in der Dokumentation meine 60-jährige Freundin; gedreht wurden diese szenen auf der insel Jeju-do in einem historischen Dorf und am strand. mit der mutter als gleichaltrige vor der Kamera zu stehen – auch das war eine einmalige erfahrung.
Eine Rolle wird zu einem Vorbild elisabeth schepping hinterließ nach angaben nicht mehr als drei münzen... doch ihre seele lebt in den herzen der Koreaner weiter. in ihren schriftlichen hinterlassenschaften kann man viel über das leben der jungen Frau erfahren. Vielleicht war es die abneigung, die sie von der eigenen Familie erfuhr, die ihr die Kraft gab, sich ein leben lang für die Benachteiligten und schwachen einzusetzen. in der stark männerdominierten gesellschaft Koreas setzte sich schepping v.a. für die rechte der Frauen, der gläubigen, der Kranken und der Kinder ein. „not success but service“ (=Dienst und nicht erfolg), so lautete das motto von elisabeth Johanna schepping. Diese rolle zu spielen, war ehre und herausforderung zugleich. Die güte und aufopferung von elisabeth schepping nachzuempfinden und zum ausdruck zu bringen, war eine schwierige, aber dankbare aufgabe. im april 2017 kommt dieser besondere Film in die koreanischen Kinos und stößt hoffentlich auf großes interesse. Dokumentarsprecher ist der bekannte schauspieler ha Jeong-woo. Der Filmtitel lautet „seo-suh-pyeong – langsam und friedlich“. elisabeth Johanna schepping – eine Frau, die Korea und sein Volk liebte. es war eine rolle, die ich niemals vergessen werde. nicht nur vor der Kamera, sondern auch im alltag. elisabeth scheppings Vorbild nachzueifern – das ist etwas, was ich von dieser rolle für mich mitnehme.
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RUND UM ZUTATEN
VERRÜCKT NACH SAMGYEOPSAL
Soul Ho-joung lebensmittel-Kolumnistin Fotos Shim Byung-woo
DIE VORLIEBE DER KOREANER FÜR „DREI-LAGEN-FLEISCH“ Vielen Koreanern kommt bei „Schweinefleisch“ zuallererst „Samgyeopsal“ in den Sinn: gegrillter Schweinebauch, allgemein als „Drei-Lagen-Fleisch“ bekannt. Samgyeopsal, das auf einem Grillrost oder in einer Spezialpfanne über einem Gasbrenner auf dem Esstisch zubereitet und direkt vom Rost gegessen wird, ist in Korea für seinen herzhaften Geschmack allseits beliebt. 62 KOREANA frühjahr 2017
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992 revidierte die koreanische regierung artikel 27 des sog. naturparkgesetzes und verbot Kochen und Kampieren u.a. in den national- und provinzparks des landes. Damit wurden, kurz gesagt, das Braten von Fleisch sowie das damit oft verbundene trinken von soju-reisschnaps in der freien natur verboten. Dahinter stand die öffentliche Besorgnis, dass uneingeschränkte menschliche aktivitäten dieser art die naturparks verschmutzen und die Waldbrandgefahr erhöhen würden. Die gesetzesmaßnahme kam, nachdem viele Koreaner seit den 1980ern über zehn Jahre lang ohne irgendwelche einschränkungen in freier natur samgyeopsal gebraten hatten.
Heimat des Samgyeopsal schweinefleisch lässt sich abgesehen vom schweinekopf in sieben, für den Verzehr geeignete teile einteilen: nacken, rippen, schulter, Bauch, rückenspeck, Filet und Keule. samgyeopsal ist der besonders fetthaltige Bauchteil mit lagen aus fettem und magerem Fleisch. Der genaue ursprung ist unklar, doch samgyeopsal soll anfang des 20. Jhs in der heute nordkoreanischen stadt gaeseong entwickelt worden sein. Die gaeseonger, die für ihren guten riecher fürs geschäftliche berühmt sind, sollen die schweine abwechselnd mit Futter unterschiedlichen nährstoffgehalts gemästet haben, sodass sich im Bauchbereich der tiere abwechselnd Fett- und Fleischlagen bildeten. choe sang-ok, 1928 geboren und gründerin der hanjeongsik-restaurantkette Yongsusan (restaurant mit koreanischer table d’hôte), erinnert sich an das samgyeopsal ihrer heimatstadt gaeseong wie folgt: „in gaeseong verkauften die metzgereien gekochten schweinebauch. er hatte einen unverfälschten, guten eigengeschmack. Kimch-Jjigae, ein stew zubereitet mit der schweinebauch-Brühe vom metzger und chinakohl-Kimchi, war eine wahre Delikatesse.“ Die erste bekannte aufzeichnung über samgyeopsal findet sich in dem 1931 veröffentlichten Kochbuch rezepte für koreanische gerichte von prof. Bang sin-yeong, die an der ewha Frauenuniversität hauswirtschaftslehre unterrichtete. Die darin vorkommenden volkstümlichen Bezeichnungen für schweinebauch wie „Drei-lagen-Fleisch“, „Fleisch im Bauch“ oder „Drei-stockwerk-schweinefleisch“ sind sehr deskriptiv und amüsant. Dwaeji-Gukbap und Tonkatsu Das traditionelle gaeseong-samgyeopsal soll sehr schmackhaft gewesen sein, aber die Koreaner bevorzugen seit jeher eher rindfleisch. gründe dafür sind v.a. der strenge eigengeruch des Fleischs vom Borg und die tatsache, dass die traditionelle koreanische medizin patienten, die traditionelle medikamente einnehmen, schweinefleischverzehr verbietet. Da schweinefleisch jedoch schon immer deutlich preiswerter als rindfleisch war, ist es die bevorzugte Fleischsorte des Durchschnittsverbrauchers. mit Beginn der 1970er Jahre wurde schweinefleisch für den kleinen mann noch erschwinglicher. Die rasante Wirtschaftsentwicklung Japans in den 1960er Jahren verursachte einen akuten nachfrageanstieg, der ab 1973 durch schweinefleischimporte u.a. aus Korea gedeckt wurde. Dabei wurde hauptsächlich fettfreies Fleisch importiert. Der gastronomiekritiker hwang gyo-ik erklärt, dass die Japaner zu der Zeit auf den geschmack von tonkatsu (schweineschnitzel) kamen und schweinerücken und Filet zu importieren begannen. Der rest der wachsenden schweinefleischproduktion wurde preisgünstig auf dem koreanischen markt angeboten, sodass der kleine mann noch häufiger in den genuss von schweinefleisch kam. hwang vermutet, dass auch der landesweite anstieg der Zahl der restaurants, die Dwaeji-gukbap (suppeneintopf aus Knochen, innereien und Fleisch vom schwein und reis) anbieten, auf die gegebenheiten der Zeit zurückzuführen ist. parallel dazu erlebten die schweinezucht-Betriebe sowie die auf die Verarbeitung des Fleisches zu schinken, Würsten und speck spezialisierten Betriebe einen aufschwung. Vorgeschnittenes samgyeopsal auf dem heißen grillrost. Bauchfleisch vom Kohlegrill schmeckt besser und ist weniger fettig als in der pfanne gebratenes samgyeopsal.
Entwicklung von Samgyeopsal es lässt sich jedoch nicht genau sagen, warum ausgerechnet schweinebauch als grillgericht so berühmt wurde. Die theorie, dass in den restaurants namens ttalnejip (haus der tochter) und mansuKOREANISCHE KULTUR UND KUNST 63
jip (haus von mansu) in cheongju, provinz chungcheongbuk-do, zum ersten mal samgyeopsal über rundbrikett-Feuer gegrillt serviert wurde und sich dann der leckere geschmack von gegrilltem samgyeopsal herumsprach, scheint am überzeugendsten. in der Viehwirtschafts- und der Fleischverarbeitungsindustrie ist man sich einig, dass der samgyeopsal-Boom anfang der 1980er Jahre einsetzte. Das damals große angebot von preisgünstigem, aber schmackhaftem schweinebauch in Kombination mit dem aufkommen billiger, tragbarer camping-gaskocher beflügelte den Konsum dieses „restprodukts“ der damals rasch wachsenden Fleischproduktion. samgyeopsal wurde zu einem gericht, das v.a. bei den damals noch allgemein üblichen, häufigen Firmenessen der angestellten nach Feierabend nicht fehlen durfte. Den Zeitläuften entsprechend kamen samgyeopsal-Varianten auf: sottukkeong-samgyeopsal, gegrillt auf dem umgestülpten Deckel eines gusseisernen Kessels, oder in rotwein mariniertes samgyeopsal. in jüngster Zeit ist Daepae-samgyeopsal populär: hauchdünn gehobelter, gefrorener schweinebauch, der sofort gegrillt wird.
Traditionelle Schweinefleisch-Gerichte Für samgyeopsal-Kenner geht nichts über ogyeopsal , den fünflagigen schweinebauch von den schwarzen schweinen der insel Jeju-do. Dieses besonders magere, aber mit der haut geschnittene schweinebauchfleisch gilt als besonders köstlich (Kaugenuss garantiert!) und besonders teuer. man glaubt fälschlicherweise oft, dass es sich dabei um Fleisch von der einheimischen sorte schwarzer schweine handelt. Die kleinwüchsigen, spitzohrigen, schwarzen schweine, die seit der Zeit der Drei-Königreiche (18 v. chr. - 668. n. chr.) auf Jeju-do gezüchtet werden, wurden 2015 nach einer strengen prüfung zum naturdenkmal nr. 550 ernannt und stehen seitdem unter artenschutz. D.h. sie sind vom aussterben bedroht. Zurzeit werden ca. 260 dieser geschichtsträchtigen schweine vom Jeju-institut zur Förderung der Viehzucht geschützt. Daher besteht natürlich keine möglichkeit, ihr Fleisch zu kosten. es gibt jedoch schwarze Jeju-schweine, die für den Verzehr bestimmt sind. es sind mastschweine einer mischrasse, die das Förderinstitut durch Kreuzung eines einheimischen Zuchtschweins mit sorten wie landrace, Yorkshire und Duroc fortgepflanzt hat. tatsächlich schmeckt ihr Fleisch gut. hinzu kommt, dass gezieltes marketing dem schwarzen Zuchtschwein erfolgreich den ruf einer einheimischen schweinerasse verlieh und ihr Fleisch entsprechend als von höchster Qualität gilt. nicht umsonst leben wir im Zeitalter des storytelling. abgesehen von der neuen methode des samgyeopsal-grillens sind auch noch die bis ins 19. Jh. allgemein üblichen Fleisch-Zubereitungsarten und gerichte unverändert erhalten: suyuk , gekochtes, in scheiben geschnittenes Fleisch; pyeonyuk , gekochtes, zur erhöhung des Kaugenusses in einer terrine mit stein beschwertes pressfleisch, oder Yangnyeom, mariniertes, kurzgebratenes schweinefleisch. schweinefleisch kommt auch in gukbap -suppeneintopgerichte, in scharfe stews wie Kimchi-Jjigae und in das mit der
In der Viehwirtschafts- und der Fleischverarbeitungsindustrie ist man sich einig, dass der Samgyeopsal-Boom Anfang der 1980er Jahre einsetzte. Das damals große Angebot von preisgünstigem, aber schmackhaftem Schweinebauch in Kombination mit dem Aufkommen billiger, tragbarer Camping-Gaskocher beflügelte den Konsum dieses „Restprodukts“ der damals rasch wachsenden Fleischproduktion. 64 KOREANA frühjahr 2017
suyuk , zartes, mit aromatischen Kräutern und gewürzen gekochtes schweinefleisch, das in dünne scheiben geschnitten zusammen mit verschiedenen frisch zubereiteten oder eingelegten gemüsen und gewürzen auf einer platte serviert wird, ist ein traditionelles koreanisches gericht, das heutzutage als gesundheitsessen neue aufmerksamkeit auf sich zieht. auf der suyuk-platte finden sich rettichstreifen-salat, schnittknoblauch-Kimchi, rochenfleischstreifen in peperonipaste-essig-Dressing sowie gestiftelte gurken und nashi-Birnen. Dazu gibt es schälchen mit eingelegten minimakrelen, ssamjang-Dippaste (sojabohnenpaste gemischt mit roter peperonipaste und anderen Würzzutaten) und dünnen Knoblauchscheiben.
roten chilipaste gochujang zubereitete gochujang-Jjigae. Doch unterscheiden sich die schweinefleisch-gerichte, die die einwohner von Jeju-do seit alter Zeit essen, deutlich von den Festlandgerichten. Wöchnerinnen auf Jeju-do wird z.B. momguk serviert, eine algensuppe, bei der Brühe aus ausgekochtem schweinefuß zusammen mit der in den gewässern vor Jeju-do überall zu findenden Braunalgenart golftange gekocht wird. Dieses gericht ist auf dem Festland nicht zu finden.
Dongpo-Rou, Jamón und Rafute es gibt wahrscheinlich weltweit kein land, in dem schweinefleisch so beliebt ist wie in china. allein 2015 sollten 52% des gesamten schweinefleisches der Welt von den chinesen verzehrt worden sein. Das chinesische Wort für Fleisch (rou) meint schweinefleisch, rindfleisch verlangt eine ergänzung (rindfleisch: niu-rou). es soll in china sage und schreibe über 1.500 „rou-gerichte“ geben. Davon ist Dongpo-rou, das auf su Dongpo, einen gelehrten der chinesischen song-Dynastie (960-1279), zurückgeht, am berühmtesten. Für dieses gericht werden fettige Fleischteile wie z.B. schweinebauch lange in alkohol und sojasoße geschmort. Dieses wegen seiner rötlichen Farbe auch als hongshao-rou bekannte Fleischgericht soll eine der lieblingsspeisen von mao Zedong gewesen sein. Das wohl teuerste schweinefleisch der Welt dürfte das cerdo ibérico de bellota aus spanien sein. es stammt von iberico-schweinen, die in Westspanien und portugal in freier natur in eichenwäldern herumlaufen und sich von pilzen und eicheln ernähren. es gilt weltweit als das schmackhafteste schweinefleisch. Der spanische rohschinken Jamón ibérico, der nach dem einsalzen der Keule des ibérico-schweins drei Jahre lang luftgetrocknet wird, gilt als Delikatesse von höchster Qualität. er wird als so kostbar erachtet, dass er sogar Bestandteil der mitgift ist. im japanischen okinawa ist schweinefleisch so beliebt, dass es sogar heißt, dass „außer dem Quieken des tieres alles gegessen wird“. champurū, ein pfannengerührtes schweinefleischgericht mit Bittermelone, und rafute, für das ähnlich wie beim chinesischen Dongpo-rou in sojasoße und reisschnaps marinierter schweinebauch lange geschmort wird, gelten als spezialitäten von okinawa. Vorliebe für Samgyeopsal i n K o re a h a t s i c h d e r s a m gyeopsal-preis durch die im Vergleich zu anderen schweinefleischsorten einseitig steigende nachfrage sage und schreibe verdreifacht. gleichzeitig mangelt es an angebot, sodass Jahr für Jahr aus chile, Deutschland, Belgien, spanien, den usa, niederlanden usw. importiert wird. mit dem zunehmenden gesundheitsbewusstsein ist zwar der Konsum fettarmer Fleischteile wie schulter, Keule und Filet gestiegen, aber die Vorliebe der Koreaner für samgyeopsal ist wohl kaum zu brechen.
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LIFESTyLE
slide to power off Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass das Smartphone ihre Zeit stiehlt. Aber es ist nicht einfach, die Entscheidung, sich aus den Fängen des Internets zu befreien, ernsthaft in die Tat umzusetzen. Daher kam sogar die Begriffsschöpfung „Digitales Fasten“ auf und als „Entzugshilfen“ sind camps und Smartphone-Anwendungen entstanden. Kim Dong-hwan Journalist, Digital news Desk, segye ilbo Fotos Shim Byung-woo
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is zum Boarding für den Flug nach london bleiben noch dreißig minuten. Werde ich mir die Zeit auch mit einem „Ziegelstein-handy“ ohne roaming vertreiben können? obwohl ich nichts Bestimmtes zu sagen habe, checke ich ständig die chaträume von Kakao talk, dem koreanischen instant-messaging Dienst, auf nachrichten. „ich kann sie doch auch dort über Kakao talk erreichen, oder?“ im gespräch mit meinem Vorgesetzten, der mich kurz vor der sicherheitskontrolle anrief, verneinte ich die Frage ohne lange zu überlegen. natürlich könnte ich den nachrichten-eingang bei W-lan-Verbindung problemlos checken, aber das wollte ich nicht. sonst würde ja quasi nur mein Körper verreisen, ich aber immer noch ans smartphone gefesselt sein.
Ein Leben eingeschlossen in der digitalen Welt ich kann mich nicht genau daran erinnern, wann es anfing, aber irgendwann ließ ich mein smartphone während des mittagessens im Büro. mein schon fast drei Jahre altes gerät wog schwer in meiner hosentasche und es reichte mir schon, wenn mein voller magen durchhing. außerdem bestehe ich darauf, wenigstens beim essen in das gesicht meines gegenübers zu blicken. Da ich auf der arbeit ständig von smartphones und computern umgeben bin, möchte ich zumindest beim mittagessen frei davon sein und die mittagspause erlaubt mir in meinem Beruf als Journalist diese Freiheit. aber darauf kann ich mich nicht völlig verlassen, denn es gibt tage, in denen ich nach der rückkehr vom essen im Büro unzählige verpasste anrufe auf meinem smartphone finde. einmal waren im minutenabstand fünf anrufe von einem älteren arbeitskollegen meines teams eingegangen, der, fallls ich keine mittagsverabredung hätte, gerne mit mir essen wollte. herr lee, ein 32-jähriger Büroangestellter, der zwischen seinem Wohnort incheon und seoul pendelt, beginnt seinen tag mit dem smartphone. er liest die in der nacht eingegangenen Diskussionsfäden im gruppen-chatraum und die aktualisierten Kommentare auf Facebook. genauer gesagt, fühlt er sich eher verpflichtet, sie zu lesen. Wenn er, in der Firma angekommen, seinen pc anschaltet, erscheint automatisch der mobile messenger in der pc-Version auf dem Bildschirm. Für die arbeit muss er den gruppen-chatraum seiner abteilung checken, daneben aber auch chaträume mit Freunden, um nicht ausgeschlossen zu werden. manchmal fällt es ihm schwer, sich auf seine arbeit zu konzentrieren, weil ständig neue nachrichten auf dem monitor erscheinen. nachmittags ist es dasselbe. auch auf dem nachhauseweg kann er das smartphone nicht beiseite legen. Beim ein- oder aussteigen aus Bus oder u-Bahn bleibt das gerät stets in seiner hand. es ist auch
nicht übertrieben zu sagen, dass acht von zehn u-Bahn-nutzern Kopfhörer tragen und ein smartphone in der hand halten. Zu hause angekommen, hört lee musik übers smartphone, surft im internet oder nimmt an social-network-services (sns) teil. sein tag endet damit, vor dem schlafen auf dem smartphone den Weckalarm einzustellen. Betrachten wir den Fall von Frau choi, einer 38-jährigen hausfrau und mutter eines 3-jährigen sohnes. nachdem ihr mann das haus verlassen hat, frühstückt sie gegen acht. Bis ihr sohn aufwacht, kann sie den Vormittag genießen; sobald er wach ist, läuft nichts mehr ohne smartphone. Vielleicht ist sie schuld daran, dass er so schnell auf den geschmack gekommen ist: als ihr sohn weinte, zeigte sie ihm einmal auf dem smartphone die beliebte Kindertrickfilm-Figur pororo, was wundersamerweise die tränen sofort versiegen ließ. seitdem greift choi an immer mehr tagen zum Video-stream, um ihren sohn zu beruhigen. Das smartphone-Kindermädchen wirkt auch in öffentlichen Verkehrsmitteln Wunder. sobald choi ihrem sohn Videos zeigt, ist er ruhig. ohne dieses kompetente Kindermädchen geht jetzt nichts mehr. aber eines tages traf choi fast der schlag, als sie ihren sohn, der sich immer wieder die augen rieb, zum augenarzt brachte und erfuhr, dass seine sehkraft nachgelassen hatte. Zu viel Zeit mit dem kleinen smartphone-Bildschirm dicht vor den augen hatte die sehstärke beeinträchtigt und der arzt warnte, das Kind müsse vielleicht eine Brille tragen. Die Vorstellung, dass ihr sohn, der noch nicht einmal in den Kindergarten ging, eine sehhilfe brauchen könnte, brach der mutter das herz.
Apps für digitales Fasten Das ministerium für Wissenschaft, ict und Zukunftsplanung führte gemeinsam mit der national information society agency die „umfrage 2015: Übermäßige abhängigkeit von smartphone und internet“ durch, an der 18.500 smartphoneund internetnutzer im alter zwischen 3 und 59 Jahren teilnahmen. „Übermäßige abhängigkeit“ wurde dabei definiert als Zustand, bei dem übermäßiger smartphone-gebrauch zu entzugserscheinungen führt und das reibungslose Bewältigen des alltags beeinträchtigt. Je nach grad der übermäßigen abhängigkeit wurden die nutzer in „hoch gefährdet“ und „potentiell gefährdet“ eingestuft. 2,4% der Befragten gehörten zur gruppe mit einem hohen risiko übermäßiger abhängigkeit und 13,8% zur gruppe mit einem potentiellen risiko. Verglichen mit derselben umfrage aus dem Jahr 2011, als die Werte bei 1,2% bzw. 7,2% lagen, hatte sich der prozentsatz innerhalb von nur vier Jahren fast verdoppelt. angesichts dieser sachlage geben experten empfehlungen, sich von der smartphone-sucht zu befreien, und die nutzer selbst verspüren den Wunsch, ihr übermäßig smartKOREANISCHE KULTUR UND KUNST 67
„Am Anfang fühlte ich mich befreit, doch nach etwa drei Tagen vom Rest der Welt abgeschnitten. Es war auch erstickend, beim Pendeln nicht mehr ins Internet zu können. [...] Ich werde es jetzt nicht mehr wie eine Vollfastenkur, sondern wie eine Diät angehen und versuchen, die Smartphone-Nutzung auf eine bestimmte Anzahl von Stunden zu beschränken.“
phone-abhängiges leben in gesündere Bahnen zu lenken, sodass sich ratgeber mit titeln wie „Digitales Fasten“ oder „Digitale entgiftung“ wie warme semmeln verkaufen. außerdem sind Jugendcamps für digitales Fasten in planung und bereits apps zu haben, die smartphone-sucht zu besiegen versprechen - per smartphone. Wenn Versuche zur passiven digitalen entgiftung durch löschen von sns- oder spiele-apps nicht den gewünschten effekt zu erzielen scheinen, kann der nutzer zu apps für digitales Fasten greifen, die die smartphone-nutzung für eine festgelegte Zeit beschränken. Bei einigen wird bei vorzeitigem entsperren sogar eine strafgebühr erhoben. ein hersteller von mobilen programmen warb mit folgenden Funktionen seiner app: Überwachung der nutzungsmenge, Berechnung des abhängigkeitsgrades, Kontrolle der smartphone-nutzung mithilfe einer timer-Funktion und Kinderschutz durch vorherige spezifizierung der nutzungsmenge. Besondere aufmerksamkeit ziehen apps auf sich, bei denen ein alarm losgeht, wenn eine bestimmte anwendung zu lange in gebrauch ist, oder der internetzugang für bestimmte Zeit blockiert wird, sodass der nutzer sich auf offline-aktivitäten konzentrieren kann. eine andere app, die bereits mehr als eine million mal heruntergeladen worden sein soll, zählt, wie oft das smartphoneDisplay eingeschaltet wurde. sie registriert nicht nur die gesamtnutzungszeit des smartphones, sondern listet auch die nutzungszeit bestimmter anwendungen. im google play store gab es viele postings mit Bewertungen der apps zum digitalen Fasten, in denen die nutzer die apps als hilfreich einschätzten, da sie ihnen bewusst gemacht haben, wie viel Zeit sie jeden tag mit dem smartphone verbringen und wie ihr suchtverhaltensmuster aussieht. es gab sogar reviews, in denen der Wunsch nach noch strengeren Kontrollfunktionen geäußert wurde. irgendwo ist es doch absurd, app-abstinenz mit hilfe einer app befördern zu wollen, wenn es doch ausreichen würde, sich einfach vom smartphone fernzuhalten und es irgendwohin zu verbannen.
Leichter gesagt als getan Der traum, sich aus der digitalen abhängigkeit zu befreien, 68 KOREANA frühjahr 2017
ist leichter geträumt als realisiert. ein älterer Kollege folgte einmal meinem Beispiel und ließ das smartphone in der mittagspause links liegen. auch wenn er genug von seiner smartphone-Versklavung hatte, schaffte er es nicht, auf ein gerät ohne internetverbindung umzusteigen und dürstete danach, wenigstens in der mittagspause frei zu sein. aber schon einige tage später entdeckte ich beim gemeinsamen mittagessen sein smartphone bereits wieder in der hosentasche. „Was soll denn das? Dein entschluss hält wohl nicht lange, was?“, sagte ich. „Wenn ich nach dem Bestellen auf das essen gewartet habe, habe ich sonst immer die nachrichten im internet gelesen. Das plötzlich nicht mehr zu können, kam mir irgendwo seltsam und öde vor.“ hwang, die in den 30ern ist und für eine pr-agentur arbeitet, gestand, sich zu schämen, jemals gesagt zu haben, eine digitale Fastenkur machen zu wollen. sie hatte sich zwar entschlossen ein altes handymodell besorgt, erschien aber eine Woche später schon wieder mit einem smartphone, da es sie frustrierte, nicht länger mobile-messenger und internet nutzen zu können. sie sagte: „am anfang fühlte ich mich befreit, doch nach etwa drei tagen vom rest der Welt abgeschnitten. es war auch erstickend, beim pendeln nicht mehr ins internet zu können.“ sie rät grundsätzlich von radikalem digitalen Fasten ab und fügte hinzu: „ich werde es jetzt nicht wie eine Vollfastenkur, sondern wie eine Diät angehen und versuchen, die smartphone-nutzung auf eine bestimmte anzahl von stunden zu beschränken.“
Kurze Bravour Während meines viertägigen aufenthaltes in london fühlte ich mich befreit. Weil ich nicht arbeitete, durfte mein smartphone ruhig ausgeschaltet bleiben. ich nutzte es nur, um bei der rückkehr in meine unterkunft, wo es W-lan-Verbindung gab, meinen eltern mitzuteilen, dass es mir gut gehe. und über die uhrzeit hielt mich meine armbanduhr auf dem laufenden. ich fand, dass die reise und meine digitale Fastenkur ganz gut liefen. ich trug sogar ein leichtes lächeln auf den
Freunde beim Ausprobieren einer Gruppentherapie-Methode zur zumindest zeitweisen Befreiung von ihrer digitalen Sucht: Während der Kaffeepause liegen die Smartphones außer Reichweite an einer Seite des Tisches aufgestapelt.
lippen, da ich im Kampf gegen das smartphone gewonnen zu haben glaubte. Doch in paris gab es dann probleme. Vor meiner abreise hatte ich mir im internet infos über empfehlenswerte restaurants herausgesucht und notiert. aber handschriftlich festgehaltene informationen sind für jemanden, der allein an einem unbekannten ort unterwegs ist, nur bedingt nützlich. mein digitales Fasten wurde zum problem, als ich echtzeit-infos brauchte. ich erinnerte mich daran, ein Bildschirmfoto vom stadtplan auf meinem smartphone gespeichert zu haben. so schaltete ich meinen „Ziegelstein" nach langem wieder ein, um nach dem Weg zu fragen. ich zeigte den einheimischen den gespeicherten stadtplan, doch die meisten versuchten, das Bild zu vergrößern, weil sie glaubten, es sei google map. „What…?“ „sorry, this is just an image. i can’t use the internet.” ich war mit einem koreanischen touristen, der in der gleichen unterkunft wie ich übernachtete, in einem restaurant mit 3-michelin-sternen verabredet. Wir hatten geplant, vormittags die stadt separat zu erkunden und uns zum mittagessen zu treffen. als ich mit mühe und not das restaurant gefunden hatte, hatte der herr, mit dem ich verabredet war, das Warten aufgegeben, bestellt und war gerade dabei, sich
nach der mahlzeit mit der serviette die mundwinkel abzutupfen. „Warum kommen sie denn so spät?“ „Warum ist es so kompliziert, den Weg hierher zu finden?“ Die mittagszeit war längst vorbei, ich spürte auch keinen großen hunger mehr. mir taten nur die Beine weh und ich war gereizt. ich bat um die speisekarte, doch der ober erklärte mir bedauernd, dass nach 14.00 uhr keine essensbestellung mehr möglich sei. Was? ich checkte meine uhr: es war 14.06 uhr. ich war nur sechs minuten zu spät, aber ich konnte mir das 3-sterne-restaurant nur kurz von innen anschauen und musste mir nolens volens etwas anderes suchen. glücklicherweise fand ich dank des smartphones meines Begleiters schnell und ohne herumirren ein einigermaßen gutes restaurant. „liebe Fluggäste, wir landen in Kürze auf dem incheon international airport...“ noch bevor die ansage des piloten zu ende war, schaltete ich mein smartphone ein. Wie ich mich freute, auf dem Display das lte-antennen-Zeichen zu sehen! Über Kakao talk strömten die angesammelten nachrichten herein. „Jetzt bin ich wieder am leben!“ Das war's dann wohl erst einmal mit dem digitalen Fasten. KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 69
REISEN IN DIE KOREANIScHE LITERATUR
REZENSION
„StilvolleS MelodraMa“ auS der Feder eineS veteranen choi Jae-bong reporter, the hankyoreh
„Der Mann in meiner Erzählung hält seine Liebe lebendig, indem er sie aufschiebt, ohne jemals ein Liebesgeständnis abzulegen. Bei der Sprache ist es ähnlich: Selbst wenn sie immer auf die geliebte Person verweist, gleitet sie jedoch stets aus, bevor sie sie erreicht und bewahrt so die Distanz.“
D
er titel der erzählung wurde von einem berühmten hongkonger Kinofilm entlehnt, der sich wiederum von der traditionellen chinesischen Wendung hua yang nian hua ableitet: Die Zeit, die so schön wie Blumen war. Das thema der hoffnungslosen liebe zwischen zwei unglücklich Verheirateten und die herausragende schauspielerische leistung von maggie cheung und tony leung in den hauptrollen ließen diesen Film aus dem Jahr 2000 lange in erinnerung bleiben. in Korea lief er unter seinem ursprünglichen chinesischen titel. Der englische titel in the mood for love ist der titel eines beliebten songs aus den 1930er Jahren, auf den regisseur Wong Kar-wei bei der nachbearbeitung stieß. Die erinnerungen an diesen Film lenken die gedanken des lesers auf den schmerz der unerfüllbaren außerehelichen liebe. Der erfahrene autor gu hyo-seo dürfte diesen hintergrund bedacht haben, als er den titel für seine erzählung wählte. Die protagonisten, die in gus erzählung zwischen gefühlstaumel und schmerz einer verbotenen liebesbeziehung hin- und hergerissen werden, sind die 35-jährige song-ju und der vier Jahre ältere Bong-han. anders als im Film ist nur song-ju verheiratet, Bong-han aber noch ungebunden. mitte Februar fährt Bong-han unter dem Vorwand, sich die pflaumenblüte ansehen zu wollen, nach gwangyang im südwesten Koreas. Vor der abfahrt telefoniert er mit song-ju, die in gurye lebt, einer stadt ganz in der nähe von gwangyang. Die beiden haben an derselben universität dasselbe Fach studiert.
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schon von anfang an gibt es Komplikationen. Bong-han, der Koreanisch fürs lehramt studiert hat, sollte aus seiner lektüre klassischer schriften eigentlich wissen, dass „pflaumenblüte im zweiten monat des Jahres“ sich auf den östlichen mondkalender bezieht und damit nach dem westlichen sonnenkalender märz und nicht Februar meint. Dieses lächerliche missverständnis scheint für die entwicklung der handlung von Vorteil zu sein. als er jedoch vor der abfahrt song-ju anruft, zieht er sich mit einem halbem scherz aus der affäre: „ich hab’ doch schon gesagt: um dich zu sehen. Braucht es da noch einen anderen grund?“ im weiteren Verlauf kommt die gemeinsame geschichte der beiden ans licht: Während seiner studienzeit war Bong-han so krankhaft in song-ju verliebt, dass er sich sogar eingestand, „dass sein Körper zu einem regelrechten Zwischenwirt für song-ju geworden war“. Dass seine liebe trotzdem nicht in erfüllung gehen konnte, lag hauptsächlich daran, dass er wegen seiner extremen schüchternheit und Zaghaftigkeit den richtigten Zeitpunkt verpasste: „ein Zögern nach dem nächsten hatte zur jetzigen situation geführt.“ auch nach ihrer heirat ruft song-ju ihn noch oft an und klagt über eher belanglose Dinge. in der erzählung wird dieser umstand als „spielraum“ beschrieben, was soviel bedeutet wie „eine möglichkeit nicht ganz ausschalten und grund zur hoffnung erhalten“. Das ist der hintergrund für Bong-hans entscheidung, unter dem Vorwand der pflaumenblüten-Besichtigung zu song-ju zu fahren.
in the mood for love ist eine erzählung, bei deren lektüre der leser den Verästelungen eines delikaten herzens zu folgen hat. es ist ein feines tauziehen zwischen einem mann und einer Frau, die sich lieben, aber ihre liebe einander nicht gestehen können und auch nicht dürfen. mit dem „tauziehen“ ist hier nicht nur das spiel des gegenseitigen in-Versuchung-Führens und Zurückweisens gemeint, sondern auch der innere Kampf, das herausbrechen und unterdrücken des Verlangens auf subtile Weise zu kontrollieren. Die beiden protagonisten legen ihre wahren gefühle nie unverhohlen offen, sondern stützen sich auf die rhetorik von umschreibung und ironie, von metaphor und paradoxon. Das bedeutet: Wenn er oder sie „a“ sagt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass „nicht a“ gilt. Bei der Betrachtung der beiden, die sich in dem Bemühen, ihre gefühle zu verbergen, einen schlagabtausch von scherzen und Flunkereien liefern, verspürt der leser eine schwindel erregende spannung und gleichzeitig unterschwellige schmerzen in einer ecke seines herzens. Da es unmöglich ist, die pflaumenblüte zu sehen, wenn die Knospen noch nicht aufgebrochen sind, geht die Besichtigung der pflaumenblüte zwar daneben, dafür entdecken die beiden jedoch Blüten auf Felsbrocken. Beim anblick dieser Blüten, die nicht echt, sondern nur muster sind, schauen sich die beiden wie auf ein verabredetes Zeichen hin kurz an. und obwohl nur kurz, sind ihre Blicke tiefer und intensiver als je zuvor. „auch ohne pflaumenblüten ist die Welt hell durch dein lachen.“ „Wollen wir ein liebespaar werden? Da du ungebunden bist,[...] es folgen zwar scherze und entsprechendes lachen, doch kommt es auch noch zu einem zweiten, intensiven Blickkontakt. Die darauf folgende Äußerung von Bong-han „ich bin im Februar gekommen und hab’ trotzdem pflaumenblüten gesehen“ oder die von song-ju „egal, wann wir kommen, wir werden sie immer sehen können“ deuten zusammen mit dem titel der erzählung an, dass ihre liebeschance zwar verpasst ist, aber doch noch als möglichkeit existiert. Wäre es dann schön, wenn diese liebe doch noch, wenn auch verspätet, in erfüllung gehen würde? Das vom autor gewählte ende macht eine Voraussage nicht leicht. gu hyo-seo ist ein schriftsteller, der unterschiedliche stoffe und themen geschickt zu präsentieren weiß. seit seinem Debüt im Jahr 1987 veröffentlichte er über 30 Bücher: 20 romane, 8 sammlungen längerer und kürzerer erzählungen, 1 Kurzgeschichten-sammlung, 2 Bände ausgewählter erzählungen, 2 prosabände und 1 märchenband. seine schriftstellerische Versiertheit, die von seiner 30-jährigen schaffenstätigkeit herrührt, zeigt sich in in the mood for love in komprimierter Form. im april 2016 veröffentlichte gu einen melodramatischen roman mit dem titel Wenn der morgenstern meine stirn berührt . Bei einem treffen mit Journalisten anlässlich der publikation sagte er: „ich mag zwar melodramatische Filme und theaterstücke, aber es ist mein erster Versuch mit einem melodramatischen roman.“ Die erzählung in the mood for love lässt sich wohl schwer als melodramatisch definieren, ist aber sicherlich ein Werk, in dem das besondere Können des autors, gefühle und Beziehung zwischen einem mann und einer Frau, die einander lieben, zu beschreiben, zur vollen entfaltung gekommen ist. KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 71
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