FRÜHJAHR 2015
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST
SPEZIAL
MODERNE KUNST
Pioniere der modernen Kunst
JAHRGANG 10, NR.1 ISSN 1975-0617
IMPRESSIONEN
Blumen des Herzens schwingen himmelwärts Kim Hwa-young
Literaturkritiker, Mitglied der National Academy of Arts
A
uf der koreanischen Halbinsel kündigt
säumen, die Blüten wie Feuerwerke des
Form geschnittene gelb, grün und rosa-
sich der Frühling zuallererst auf den
Lichts explodieren.
rot gefärbte Maulbeerbaumpapier auf das
im Südmeer verstreuten Inseln an.
Höhepunkt des Lenz ist jedoch die Yeon-
Bambusrippenskelett klebten und an den
Ende Februar brechen vor dem Hinter-
deung-Lotuslaternen-Parade an Buddhas
Enden lotusblütengleich nach innen bogen.
grund des blauen Meers die karmesinroten
Geburtstag Anfang Mai, wenn die Rhodo-
Die Laterne in den Händen, legten wir den
Kamelienblüten mit ihren gelben Stempeln
dendrenblüte einsetzt. In der Parade scheint
langen, 20 Meilen weiten Weg zum Großen
zwischen dunkelgrün glänzenden Blättern
der Wille des Menschen, die Schönheit aller
Tempel tief in den Bergen zurück. Danach
auf. Das den ganzen Winter über verschlos-
von der Natur sorgfältig gepflegten Früh-
wurde dieser weite, mit Blüten erfüllte Weg,
sen gewesene Herz fängt wieder zu pochen
lingsblumen ans Licht zu bringen, Vollen-
den ich meiner Großmutter folgend lief, für
an. Danach beginnen die von den Seonbi-
dung zu finden. Die Yeondeung, die Papier-
mich ein Weg des Festes und der prächtigs-
Gelehrten dieses Landes so sehr gelieb-
laterne in Lotusform, wird in der Hoffnung
te aller Frühlingswege. Denn ich weiß, dass
ten Pflaumenblüten an Jahrhunderte alten
gefertigt und aufgehängt, dass das von
Segen und Liebe, enthalten in dieser von
Bäumen ihre Blätter zu entfalten.
Düsternis und Leid erfüllte Herz wieder mit
meiner Großmutter als Opfer dargebrach-
Ende März bis Anfang April folgen die gel-
der Weisheit Buddhas erstrahlen und dass
ten Lotuslaterne, mein Herz immer wieder
ben Forsythien, die Freunde der Kinder
warmherzige Liebe sich wie Licht verbreiten
hoch in den blauen Himmel erheben.
und des einfachen Volkes, die Asiatischen
möge, sodass sich die ganze Welt mit der
Verlöscht das Licht und wird die zu einer
Kornelkirschen und rosaroten Azaleen.
Barmherzigkeit und Weisheit Buddhas füllt.
Handvoll Asche gewordene Laterne davon-
Aber anders als vom ungestümen Herzen
Als ich noch klein war, wurde meine Groß-
geweht, so steht der Sommer vor der Tür
erhofft, gibt es noch viele kühle Tage. Der
mutter mit dem Nahen von Buddhas
und der Frühling gleicht einem Traum im
Frühling beginnt erst richtig, wenn an allen
Geburtstag auf einmal Buddhistin. Wir
kurzen Mittagsschlaf, aus dem man unver-
Ästen der Kirschbäume, die die Straßen
bastelten die Laternen, indem wir das in
sehens erwacht.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 1
30
SPEZIAL
Pioniere der modernen Kunst
SPEZIAL 1
04
Künstlerischer Geist aufgeblüht in Zeiten des Umbruchs
Kim Young-na
SPEZIAL 2
08 Kim Whanki: Landschaft der Transzendenz und Ästhetik des Erhabenen
Park Mee-jung
SPEZIAL 3
12 Schriftzeichen, Zeichen, Mensch
Lee Ungno: Darstellung des Wesenhaften mit Tusche und Reflexion über die Geschichte
Mok Soo-hyun
SPEZIAL 4
18
Park Saeng-kwang: Stern der koreanischen Farbmalerei
Park Young-taek
SPEZIAL 5
22 Park Soo-keun: Der „nationale Maler“, 36
FOKUS
48
der die Schwermut der Zeit ins Lyrische transzendierte
Choi Youl
UNTERWEGS
GOURMETFREUDEN
26 Sprunghafte Zunahme der
48 Geomun-do: Wo das wahre Lied vom
58 Gimbap: Beliebt und besonders
Vorteile und Herausforderungen
Gwak Jae-gu
Park Chan-il
Kim Bo-ram
NEUERSCHEINUNG
REISEN IN DIE KOREANISCHE LITERATUR
Pathways to Korean Culture:
62 Largo: Der Weg von der
Zahl chinesischer Touristen:
INTERVIEW
30 Lee Ja-ram: Jungstar des
Leben erklingt
54
Kim Soo-hyun
HÜTER DES TRADITIONELLEN ERBES
Dunkelheit zum Licht
1392-1910
Chang Du-yeong
Wertrolle Fallstudien: Bilder aus der
Geleitschutz des
Joseon-Zeit
Lichts
Die Bibliothek des LTI Korea
Cho Hae-jin
Pansori
Paintings of the Joseon Dynasty,
zugleich
36 Chyung Mi-sook: Die Traditionelle
Online-Archiv der Übersetzungen der
Chung Jae-suk
Charles La Shure
VERLIEBT IN KOREA
ENTERTAINMENT
42
Wie Sie an Ihren Kimchi kommen
und ihn genießen
56
Ben Jackson
Lebenskultur bewahren
koreanischen Literatur
Hidden Singer Stimmimitatoren und ihre Passion - Songs in neuem Gewand
Wee Geun-woo
SPEZIAL 1 Pioniere der modernen Kunst
Künstlerischer Geist Kim Young-na
Direktorin, National Museum of Korea
aufgeblüht in Zeiten des Umbruchs Korea kam Ende des 19., Anfang des 20. Jhs erstmals ernsthafter mit der westlichen Malerei in Berührung. Dies geschah zwar während der japanischen Kolonialzeit (1910-1945) lediglich als Bestandteil der Verbreitung der neuen Kultur über die Besatzer, aber von dem raschen Wandel durch verschiedene Strömungen und Ausdrucksmethoden in der Weltmalerei blieb auch Korea nicht unberührt. Die Bemühungen der koreanischen Meistermaler, inmitten der diversen Richtungen an der Mündung zur Moderne zusammen mit der Modernität auch die koreanische Gefühlswelt auf eine eigene Art und Weise zum Ausdruck zu bringen, waren die Antriebskräfte der koreanischen Malerei von heute.
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916 brachte die Korea Daily News groß aufgemacht
die Schlagzeile, dass das Gemälde Abenddämme-
rung (Sunset) des koreanischen Malers Kim Kwan-
ho (1890-1959) auf dem vom japanischen Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur gesponserten staat-
lichen Kunstwettbewerb ausgezeichnet wurde. Auf ein Foto des Werks hatte man jedoch verzichtet, da die beiden Frauen auf dem Bild unbekleidet waren. In der ostasiatischen Malerei, deren Schwerpunkt traditionell auf mit Tusche und Pinsel gemalten Landschaften und Porträts lag, war der weibliche Akt ein bislang völlig unbekanntes Genre. Selbst gewöhnliche Porträts und Darstellungen von Alltagsszenen von Individuen aus dem einfachen Bürgertum kamen in Korea erst im späten 19. bis frühen 20. Jh auf, als die westliche Malerei im Zuge des Zustroms der neuen Kultur verstärkt Einzug in Ostasien hielt. Daher versetzte ein weiblicher Akt der konfuzianischen koreanischen Gesellschaft einen besonders großen Schock. Auch Aktdarstellungen, die 1921 auf der ersten, im Rahmen der Kulturpolitik des japanischen Generalgouverneuramts als Wettbewerb auf den Weg gebrachten Koreanische Kunstausstellung gezeigt wurden, durften in den relevanten Zeitungsberichterstattungen mit dem Argument „der Gefahr, bei gewöhnlichen, Abenddämmerung (1916) von Kim Gwan-ho, 127,5 x 127,5 cm, Öl auf Leinwand, Tokyo School of Fine Arts. Als Kim Gwan-hos (1890–?) Werk auf der von der Regierung gesponserten Kunstausstellung Bunten gezeigt wurde, berichtete die koreanische Presse in großen Schlagzeilen darüber, brachte allerdings kein Foto, da ein weiblicher Akt gegen die konfuzianischen Moralvorstellungen der Zeit verstieß.
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kunstunkundigen Menschen unsittliche Erregung auszulösen“ nicht veröffentlicht werden. Unter Künstlern, die sich auf westliche Malerei oder Bildhauererei spezialisiert hatten, galten Aktdarstellungen jedoch als grundlegender Bestandteil ihrer Ausbildung zum Künstler. In
demie und die Kunstschule Bunka Gakuin hinzu. Auch schlossen sich einige Studenten Künstlergruppen an und nahmen an Ausstellungen teil. Nach ihrer Rückkehr bemühten sie sich um die Heranziehung des Nachwuchses, indem sie selbst unterrichteten oder Ausstellungen abhielten. Diejenigen, die zu der Zeit zum Studieren nach Tokio gehen konnten, stammten meist aus entsprechend wohlhabenden Familien, sodass viele es sich leisten konnten, alleine vom Unterrichten zu leben, ohne sich um den Verkauf ihrer Werke kümmern zu müssen. Sie empfanden einen gewissen Stolz darauf, Vertreter der neuen Kunst zu sein. In der Vergangenheit war in Korea 2
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1. Porträt von Pater Kim Dae-geon (1920) von Jang Bal, 60,5 x 50 cm, Öl auf Leinwand, Lithurgisches Museum der Katholischen Universität Koreas. Jang Bal (1901–2001) war ein gläubiger Katholik, der viele religiöse Gemälde schuf und nach der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft einen großen Beitrag zu Kirchenbau und Kunsterziehung leistete. Andreas Kim Dae-geon war Koreas erster römisch-katholischer Priester. Er fand 1846 den Märtyrertod. eines Freundes von Gu Bon-ung, 62 x 50 cm, Öl auf Leinwand, Nationalmuseum für 2. Porträt Moderne und Zeitgenössische Kunst. Gu Bon-ung (1906–1953) war ein stark von den Fauves beeinflusster Maler und auch als Bildhauer und Kunstkritiker aktiv. Das Porträt zeigt Gus besten Freund, den jung verstorbenen Dichter Yi Sang. Yis Witwe Kim Hyang-an heiratete später den Maler Kim Whanki, einen der Pioniere der abstrakten Kunst in Korea. In der koreanischen Kunstgeschichte gilt Kim Hyang-an als Lebensgefährtin von zwei bedeutenden Größen der modernen koreanischen Kunst.
der gesellschaftliche Status von Berufsmalern niedrig. Das begann sich jedoch zu ändern, als Künstler, die im Ausland eine formelle westliche Kunstausbildung erfahren hatten, auf die Bühne traten. Für sie war ein Künstler jemand mit besonderem Talent, eine Art „einsames Genie“. Das dürfte dem Einfluss des westlichen Elitarismus seit der Zeit der Romantik zu schulden sein. Die koreanische Kunst der Frühmoderne wurde also größtenteils von den Künstlern, die in Japan studiert hatten, auf den Weg gebracht.
Zeit der Seelenqualen und Experimente Auf die Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft 1945 folgte der Konflikt zwischen Rechten und Linken und angesichts der Wirren von Koreakrieg (1950-
den 1930er Jahren hatte sich schließlich der Horizont in
1953) und Landesteilung sahen sich die koreanischen
der modernen koreanischen Kunst so stark erweitert,
Maler fast außerstande, zu arbeiten. Erst um 1955
dass auch mit abstrakten Darstellungen experimentiert
begannen sie allmählich, sich vom Schock des Krie-
wurde.
ges zu erholen. Die koreanischen Kunstkreise richteten ihren Blick jetzt voller Interesse über Japan hinaus auf
Frühe moderne Malerei, angeführt von in Japan ausgebildeten Künstlern
die Trends in der internationalen Kunstszene. Künstler
Da Korea von 1910 bis 1945 unter japanischer Kolonial-
Kolonialzeit aktiv war, malten in der schweren Nach-
herrschaft stand, war die Einrichtung einer offiziellen
kriegszeit auf der US-Militärbasis Porträts und verdien-
modernen Kunsthochschule unmöglich, sodass die
ten später ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf ihrer
meisten, die westliche Malerei studieren wollten, nolens
Werke an amerikanische Soldaten. Einige Künstler aus
volens nach Japan gingen. Einige wenige Künstler wie
wohlhabenderen Verhältnissen gingen zum Studium
Pai Un-soung (Bae Un-seong,1900-1978), Lee Chong-woo
nach Frankreich, dem Mekka der Kunst. Dazu gehörten
(I Jong-u,1899-1981) und Chang Bal (Jang Bal,1901-2001)
führende Maler wie Lee Ungno (1904-1989), Kim Whan-
zog es zwar nach Europa oder in die USA, doch die Mehr-
ki (1913-1974), Kim Heung-su (1919-2014) und Kwon Ok-
zahl entschied sich für Japan, da man für die Ausreise
youn (1923-2011), die seit der Kolonialzeit aktiv waren.
sowieso zunächst einen japanischen Pass brauchte.
Damals war es noch etwas so Großartiges, zum Kunst-
Anfangs fiel die Wahl der meisten Kunststudenten auf
studium ins Ausland zu gehen, dass selbst die Zeitungen
die Kunstakademie Tokio, eine staatliche Einrichtung.
darüber berichteten.
Ab den 1930ern kamen dann private Bildungsinstitutio-
Die Maler, die nach Frankreich zogen und dort vieles
nen wie die Nihon University, die Kaiserliche Kunstaka-
sahen und lernten, zerbrachen sich den Kopf darüber,
wie Park Soo-keun (1914-1965), der seit der japanischen
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 5
© Lee Ungno / Lee Ungno Museum, Daejeon, 2015
1. Lee Ungno hielt seine erste Soloausstellung 1962 in der Galerie Paul Facchetti in Paris ab. Der Künstler und seine Frau Park In-kyung (in HanbokTracht), Mitte, mit Gästen auf der Vernissage. 2. 1959 brachte die westdeutsche Tageszeitung Neue Presse eine höchst positive Kritik über Lee Ungnos Ausstellung von Tuschebildern in Frankfurt. Lees Porträt wurde von dem Journalisten gezeichnet.
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In der Vergangenheit war in Korea der gesellschaftliche Status von Berufsmalern niedrig. Das begann sich jedoch zu ändern, als Künstler, die im Ausland eine formelle westliche Kunstausbildung erfahren hatten, auf die Bühne traten. Für sie war ein Künstler jemand mit besonderem Talent, eine Art „einsames Genie“. Das dürfte dem Einfluss des westlichen Elitarismus seit der Zeit der Romantik zu schulden sein. Die koreanische Kunst der Frühmoderne wurde also größtenteils von den Künstlern, die in Japan studiert hatten, auf den Weg gebracht. 3
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3. Kim Whanki mit seiner Frau Kim Hyang-an beim Spaziergang in Paris. In Paris wurde sich Kim der geistigen Wurzeln seiner Kunst bewusst und erkundete Wege des Ausdrucks dafür. 4. Nach dem Koreakrieg verdiente sich Park Soo-keun den Lebensunterhalt mit Malen und Verkauf von Soldaten-Porträts auf der US-Militärbasis.
© Park Soo Keun Museum
© Whanki Foundation / Whanki Museum
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Stahlskulpturen, was zum Teil auch mit dem reichlichen Materialangebot in der Nachkriegszeit zu tun hatte.
Künstlerisches Schaffen und Austausch im globalen Zeitalter Ab den 1960er Jahren wandten die koreanischen Künstler ihren Blick von Europa auf die USA, wo sich neue künstlerische Aktivitäten entfalteten. Die USA hatten Südkorea im Krieg unterstützt und halfen in verschiedenen Bereichen beim Wiederaufbau. Im Vergleich zu Landwirtschaft, Medizin und Bildung fiel die Unterstützung im Kunstbereich verständlicherweise gering aus, doch Ausstellungen wie die Wanderausstellung des Seattle Art Museum Acht amerikanische Künstler:
Malerei und Plastik , die 1957 im Nationalmuseum innerhalb des Palasts Deoksu-gung ausgetragen wurde und Werke von Künstlern aus dem Norden und Westen der USA wie Mark Tobey (1890-1976), Morris Graves (19102001) und David Hare (1917-1992) präsentierte, erregten wie sie im westlichen Stil, aber distinktiv anders als die westlichen Künstler malen sollten. Lee Ungnos Begegnung mit der Informellen Kunst inspirierte ihn dazu, die Leinwand mit dem traditionellen koreanischen HanjiMaulbeerbaumpapier zu bekleben, während Kim Whanki sich mit der Darstellung koreatypischer Themen und Gefühlswelten befasste. Von ihnen unterschied sich wiederum die Generation der jungen Kunststudenten der 1950er Jahre. Die meisten von ihnen hatten Kunst an der nach der Befreiung gegründeten Seoul National University und der Hongik University studiert und begnügten sich nun nicht mehr damit, mit akademischen Porträts und Landschafts-
Träume (1960) von Kwon Ok-yeon, Öl auf Leinwand, 73 x 100 cm, Nationalmuseum für Moderne und Zeitgenössische Kunst. Kwon Ok-yeon (1923–2011) war ein prominenter Künstler, der in Frankreich und Japan studiert hatte. Seine Werke bringen östliche Rätselhaftigkeit und Fantasien mit westlichem Empfinden und Techniken zum Ausdruck.
in Korea neues Interesse an der amerikanischen Kunstszene. Der Aufstieg der amerikanischen Kunstwelt zum neuen Mekka der zeitgenössischen koreanischen Kunst dürfte auch Kim Whanki, der während der japanischen Kolonialzeit in Japan studiert hatte und nach seinem dreijährigen Frankreich-Aufenthalt (1956-1959) als Professor an der Hongik University tätig war, zum Aufbruch in die USA bewogen haben. Auch danach dienten die USA als Zentrum der zeitgenössischen Kunst noch eine ganze Weile für viele koreanische Kunststudenten als Ausbildungsstätte. In amerikanischen Kunsthochschulen wie dem Pratt Institute und der Designschule Parsons studieren auch heutzutage
malereien Auszeichnungen bei staatlich unterstützten
noch viele Koreaner. Ab den 1980er Jahren machte sich
Kunstausstellungen einzuheimsen. Diese Generation,
aber wieder eine Diversifizierung der Studienzielländer
die die Grausamkeit des Kriegs erlebt hatte, strebte jetzt
bemerkbar und Länder wie Deutschland, Großbritanni-
nach einer Ausdrucksfreiheit jenseits aller Formalität.
en usw. gewannen an Beliebtheit. Auch änderte sich die
Sie begeisterte sich für die damals in Korea bekannt wer-
Einstellung der koreanischen Kunststudenten zur west-
denden Kunstrichtungen des Abstrakten Expressionis-
lichen Malerei von einfacher Rezeption zum gegensei-
mus aus den USA und der Informellen Kunst aus Europa,
tigen Austausch. Die USA und Europa sind heute weni-
die mit der leidenschaftlichen Intenstität der Pinselfüh-
ger Orte, wo man Neues lernen kann, sondern vielmehr
rung alle bis dahin geltenden Regeln zu brechen schie-
Orte, die man im Zeitalter der Globalisierung erlebt
nen. Auch koreanische Maler, die im traditionellem Stil
haben sollte. Seit den 1990er Jahren werden nämlich
mit Pinsel und Tusche arbeiteten, gerieten unter den
auch in Korea viele internationale Ausstellungen wie
Einfluss des Abstrakten Expressionismus und setzten
die Gwangju Biennale veranstaltet, sodass die Kunst
den Pinsel für Experimente im abstrakten Stil ein. Auch
aus anderen Ländern nicht länger ein Objekt der vagen
die Bildhauer lösten sich von realistischen Werken aus
Neugier oder Sehnsucht ist. Das Auslandsstudium wird
Bronze und Holz und versuchten sich unter Einsatz neuer
heute eher als ein Mittel zur Erweiterung der eigenen
Schweißmethoden an expressionistischen Eisen- und
künstlerischen Aktivitäten betrachtet.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 7
SPEZIAL 2 Pioniere der modernen Kunst
Landschaft der Transzendenz und Ästhetik des Erhabenen Park Mee-jung Direktorin, Whanki Museum
Kim Whanki, der mit seiner subtilen, verfeinerten Sprache der Gestaltung eine gefühlvolle Kunstwelt schuf, war ein Vorreiter der modernen abstrakten Kunst in Korea. Seine Werke, hervorgegangen aus verschiedenerlei gestalterischen Experimenten, sind als Ausdruck seines von Seele und Ewigkeit singenden poetischen Geistes gleichsam eine Reflexion des Lichtes von Sonne und Mond, ein Echo seiner Sehnsucht nach einer unbekannten Welt.
A
ls seine Mutter mit ihm schwanger wurde, träumte sie davon, dass in allen Farbtönen leuchtende Fahnen am Himmel flatterten. Als wollte er dieses Omen wahr werden las-
sen, wurde Kim Whanki (1913-1974; Beiname: Suhwa) Maler, widmete sich bereits in seinen Zwanzigern der abstrakten Kunst und führte später die Moderne in Korea an. Sein Interesse umfasste neben Bildender Kunst auch Literatur und Kim unterhielt einen regen Austausch mit den verschiedensten Kunst- und Kulturschaffenden. Das bereicherte sein Leben als Künstler und ließ ihn auch die Bekanntschaft von Kim Hyang-an (1916-2004) machen, die ihm Weggefährtin in Kunst und Leben wurde und seine künstlerische Laufbahn entscheidend beeinflusste. Sie stellte sein Werk auf der Weltbühne vor, indem sie seine Kunstwelt erforschte, ordnete und in Form von Ausstellungen und Büchern präsentierte. Nach seinem Tod rief sie die Whanki Foundation ins Leben und bemühte sich darum, seine Werke als Kulturerbe des Volkes zu bewahren. Sie gründete das Whanki Museum, wodurch sie einen Beitrag zur Förderung von Künstlern und zur Schaffung eines kulturellen und künstlerischen Umfeldes in Korea leistete.
Das Wesen der Kunst und die Herausforderung des Künstlers Wenn es um die Kunst ging, kannte Kim Whanki keine Kompromisse. Er war von einem solch unbeugsamen Herausforderungsgeist beseelt, dass er sogar ohne Bedauern seine gesicherte Position und das Ansehen, das er in Korea genoss, aufgab, und fest zu einem Neuanfang entschlossen nach Paris und New York, den Hochburgen der internationalen Kunst, aufbrach. In dem Glauben, dass Dekonstruktion der natürlichen Objekte eine „neue Realität, die die Wirklichkeit und die Illusion überschreitet“ enthülle, gründete er Ende der 1940er Jahre zusammen mit Kollegen die sog. Sinsasil-Gruppe, d.i. die Gruppe des Neuen Realismus. Aus seiner Sicht sollte der Künstler danach streben, durch das freie künstlerische Schaffen sein wahres Ich zu entdecken und es zum Ausdruck zu bringen, was für Kim auch der Weg zur Sicherung seines eigenen Platzes auf der Weltbühne der Kunst und zur Koexistenz mit den anderen darstellte.
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8 KOREANA Frühjahr 2015
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Die Werke von Kim WhanKi, der auch als „gestaltender Poet, der die Natur besang“ und als „Barde, der die Ewigkeit pries“ beschrieben wird, können grob in die Periode vor und nach 1963 eingeordnet werden. Die erste Periode umfasst seine Jugendjahre, als er nach den Wurzeln seines kreativen Schaffens suchte und sich Fragen der Darstellungsmethode widmete, die Zeit der Sinsasil-Aktivitäten, als er sich treu an seine Darstellungsideale hielt, die Pariser Jahre (1956-1959), als er seine Identität als Künstler und das Wesen der Kunst erforschte, und schließlich die Zeit der Teilnahme an der Biennale von São Paulo 1963. Damals interpretierte er die Welt aus der Sicht der Natur und versuchte eins mit ihr zu werden. Danach zog er nach New York, um - wieder zurück am Ausgangspunkt - das ultimative Ziel, das ein Künstler verfolgen sollte, zu erkunden und © Whanki Foundation / Whanki Museum
die Ästhetik des Erhabenen und der Transzendenz zu erreichen. Diese sog. New Yorker Phase (1963-1974) entspricht der zweiten Schaffensperiode. Während dieser Zeit internalisierte Kim Whanki durch verschiedene Formexperimente eine kontemplative und objektive Naturwahrnehmung und -erforschung, die sein Schaffen prägte .
Die Natur besingen Tendierten Kims Werke in seiner frühen Schaffensperiode noch hin zu Avantgarde und abstrakter Kunst, veränderte sich sein Stil
1. 10-X-73 #322 Air and Sound Ⅱ (1973), 264 x 208 cm, Öl auf Baumwolle 2. Unsterbliche Wesen (1956-1957), 128 x 104 cm, Öl auf Baumwolle
in der Folgezeit zu einem gegenstandsbezogenen Abstraktivismus, mit dem er auf einzigartige Weise die Leinwand füllte. Mit Berg und Mond, Pflaumenblüten und Dal-Hangari als Hauptmotive die Natur
zugrunde liegenden Affirmation und Yang-Energie und damit Symbol
besingend, brachte er die asiatische, nach Einklang mit der Natur
des Lebens, die Themen von Kims Werken heraus.
strebende Mentalität und eine von tiefer Lyrizität durchdrungene
Kim Whankis naturalistisch geprägtes Streben nach Form diente
gestalterische Ästhetik zum Ausdruck. Kim erkannte bereits früh
auch während seiner Pariser Jahre der Bestimmung seiner geisti-
die Schönheit der traditionellen Kultur und alten Kunst Koreas und
gen und künstlerischen Identität und seiner Suche nach dem Wesen
sammelte Antiquitäten, Malereien und Kalligraphien. Seine beson-
der Kunst. In Paris konnte er die Gemälde der großen zeitgenössi-
dere Liebe galt dem Dal-Hangari, der reinweißen, vollmondähnli-
schen Meister selbst in Augenschein nehmen und ihre starke Aura
chen Baekja-Keramik, die mehr als ein reines Steckenpferd war und
der poetischen Botschaften spüren, was ihn zu der quälenden Frage
seine Kunstwelt erheblich beeinflusste. Bevor sich Kim ganz der
brachte, was denn nun seine lyrische Botschaft sei. Ein Brief an
abstrakten Kunst verschrieb, erschienen in seinen Werken häufig
einen Bekannten von 1957 gibt Aufschluss über seinen Gedanken-
Natur und traditionelle Objekte Koreas als gestalterische Elemen-
gang: „Meine Kunst hat sich überhaupt nicht verändert. Was ich hier
te, die seine Identität und seinen poetischen Geist repräsentierten.
gefühlt habe, ist der poetische Geist. Ich glaube, die Kunst muss von
Auch nach seiner vollständigen Hinwendung zum Abstraktivismus
etwas singen. Jedes Werk eines Meisters singt kraftvoll von etwas.
erinnern die einfachen, klaren Linien und die schlichten, zarten Far-
In Paris ist mir klar geworden, welche Art von Gesang ich bislang
ben an die anmutigen und zurückhaltenden Linien und den dezenten,
gesungen habe. Mir scheint, dass ich erst hier erfahren habe, wie
reinen Farbton der weißen Baekja-Keramik. Auf der Leinwand, auf
hell die Sonne ist.“
der sich elegante Linien und schlichte Farbfelder überschneiden und
In Paris wurde Kim Whanki sich der Wurzeln seines künstlerischen
wiederholen, koexistieren auf natürliche Weise die figurative Dar-
Geistes bewusst und lernte, sie zum Ausdruck zu bringen. Dort
stellung mit ihren Motiven von Werden und Vergehen aller Natur-
erkannte er, dass die Kraft zum Überleben nicht im äußeren Schein,
objekte und die Abstraktion. Die facettenreichen Blautöne, die Kim
sondern im inneren Wesen der Werke liegt und dass er daher die
gerne gebrauchte, verleihen seinen Bildern etwas Poetisches und
Authentizität des koreatypischen poetischen Geistes bewahren soll-
Traumhaftes und sind gleichzeitig symbolischer Ausdruck für die
te. Seine Meisterwerke, die in dem nur ihm eigenen Blau seine neue
Natur Koreas. Außerdem streicht das Blau, Spur der aller Schöpfung
Interpretation von Motiven wie Berge, Mond, Vögel, Dal-Hangari und
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Pflaumenblüten widergeben, entstanden in dieser Zeit. Es sind Motive, die für die Natur und Identität Koreas stehen. Die Pariser Jahre waren letztendlich eine Phase des kreativen Schaffens, geprägt von einer Leidenschaft und Intensität, die durch die Energie des Wagemuts beflügelt wurde.
Von der Ewigkeit singen Kim Whanki nahm 1963 als Repräsentant Koreas an der Biennale von São Paulo teil und wurde mit einem Ehrenpreis ausgezeichnet. Nachdem er in Brasilien Künstler und Werke aus der ganzen Welt kennen gelernt hatte, entschied er sich, noch einmal ganz von vorn anzufangen und in New York, dem Hotspot der internationalen Kunstszene, seine Kunst auf den Prüfstand zu stellen. Damals war er 50 Jahre alt. In New York, einer Stadt voller Freiheiten und krea-
Jeder einzelne der Punkte, die sich im Blickfeld wie lebende Zellen vermehren, sind von Kim Whanki ausgeschüttete Teilchen der Meditation. Sie sind Ströme intensiver Sonnenenergie, rhythmisch flimmernder Tanz leuchtender Sternkonstellationen, Landschaft einer Metropole bei Nacht, Berge und Flüsse der vermissten Heimat und Gesichter geliebter Menschen. Auch sind sie Abbilder von Tiefsee und Kosmos, deren Unendlichkeit in alle Ewigkeit nicht zu erahnen ist.
tiver Energie, machte sich Kim erneut Gedanken über den weiteren Weg seiner Kunst. Sich dem neuen Umfeld und dessen Gegebenhei-
men konnte, ohne wie in Korea ständig dem Druck gesellschaftlicher
ten stellend, forderte er sich wieder einmal selbst heraus. In New
Verpflichtungen ausgesetzt zu sein. Als Mekka der internationalen
York hatten sich nach zwei Weltkriegen Menschen der verschiedens-
Kunst eröffnete ihm New York neue Horizonte, die es ihm ermöglich-
ten Ethnien und Kulturen angesammelt und ein komplexes soziales
ten, über seine tieflyrische, auf seiner besonderen Naturergriffenheit
Umfeld geschaffen, in dem eine für jeden akzeptierbare objektive
beruhenden Darstellungsweise hinaus nach einem Malstil von uni-
Sichtweise und Offenheit herrschten. Die Stadt tolerierte vielfältige
versellerem Anklang zu suchen. Seine Kunst strebte entschlossen
künstlerische Trends, die — wie die Künstler des abstrakten Expres-
und unablässig nach Wandel in Inhalt und Stil. Nach Experimenten
sionismus der Künstlergruppe New York School demonstriert hatten
mit verschiedenen Materialien und unzähligen Arten der Bildkom-
— mit einem gemeinsamen Ziel jeweils auf originäre Weise umge-
position verschwand die konkrete Darstellung von Natur-Objekten
setzt wurden.
aus seinen Werken und wich einer abstrakten Darstellung aus reinen
Für Kim Wahn-ki war New York keine beängstigende Arena, in der er
komprimierten Punkten, Linien und Flächen.
sich im Kampf ums künstlerische Überleben erfolgreich zu bewei-
Die gestalterischen Experimente mit Punkten und Linien, die bereits
sen hatte, sondern ein Raum der Neuheiten, der seine Neugier und
in seinen Zeichnungen aus den 1950er Jahren in ihren Anfängen zu
Sehnsucht inspirierte und seinen Willen, sich erneut auf eine künst-
finden sind, setzten sich in Form von verschiedenen Flächenkompo-
lerische Gralssuche zu begeben, anstachelte. Auch war es ein Raum
sitionen fort, bis sie sich schließlich in den späten 1960er Jahren als
der Freiheit und Kreativität, wo er sich vollständig seiner Arbeit wid-
sog. Punktmalerei manifestierten. Kims Werke, die hauptsächlich
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aus implizierenden Kompositionen und Blautönen bestanden hatten, vertieften sich durch die reinen, formativen Grundelemente wie Punkte, Linien und Flächen zu einer Welt der universaleren, mehr nach innen gerichteten poetischen Stimmung. Seine Experimente mit Darstellungsformen — darunter die abstrakte Darstellung von Bergen und Mond, die Kreuzstruktur, die abstrakte Farbfeldmalerei und die sog. Punktbilder — sowie die Versuche mit verschiedenen Materialien wie Pappmaché, Objekten und Collagen oder Öl auf Zeitungspapier sind beredte Zeugnisse für die facetteneiche Entfaltung von Kims kreativem Schaffen. Mit Beginn der 1970er Jahre befasste er sich ernsthaft mit Kompositionen aus Punkten, Linien und Flächen, was schließlich in der sog. „All-over-Punktmalerei“ (vollständige Bedeckung der Leinwand mit Punkten) mündete und ergreifende Werke voller Tiefe und Feinheit hervorbrachte. Jeder einzelne der Punkte, die sich im Blickfeld wie lebende Zellen vermehren, sind von Kim Whanki ausgeschüttete Teilchen der Meditation. Sie sind Ströme intensiver Sonnenenergie, rhythmisch flimmernder Tanz leuchtender Sternkonstellationen, Landschaft einer Metropole bei Nacht, Berge und Flüsse der vermissten Heimat und Gesichter geliebter Menschen. Auch sind sie Abbilder von Tiefsee und Kosmos, deren Unendlichkeit in alle Ewigkeit nicht zu erahnen ist.
Durch die Kunst, mit der Kunst Kim Whankis Gemälde Wo und als was werden wir uns wohl wie-
der treffen (1970), das erste einer Serie, und Universum (1971) gelten als Höhepunkte seiner All-over-Punktmalerei und sind gleichzeitig repräsentative Meisterwerke der zeitgenössischen koreanischen Kunst. Die meditative Fläche, die in tiefen, mysteriösen Blautönen wie Coelinblau, Ultramarinblau und Berliner Blau gehalten ist, und die Nuancen der subtilen Farbpunkte, die Freude, Wut, Trauer und
1. Kim Whanki bei der Arbeit. Der Künstler, der sich für traditionelle Kultur und antike Kunst Koreas interessierte, sammelte Antiquitäten, alte Gemälde und Kalligraphien. Seine Liebe zu den weißen Mondtöpfen, die er sammelte, ging über ein reines Steckenpferd hinaus und hatte deutlichen Einfluss auf sein Werk. 2. Kim Whankis New-Yorker-Phase begann 1963. In dieser Zeit entwickelte er seinen charakteristischen pointilistischen Stil. 3. 16-Ⅶ-68 #28 (1968), 177 x 128cm, Öl auf Leinwand.
Glück von Kims Leben in der Fremde zum Ausdruck bringen, erstrecken sich über Zeit und Raum hinaus in die Ewigkeit. Die Punkte wurden also nicht einfach in mechanischer Wiederholung hingetupft,
von Natur, Mensch und Universum.
sondern sind jeder einzelne Bild gewordenes Resultat der Kontem-
Sein kreatives Schaffen ließ Kim den vollkommensten Weg für den
plation und transzendentalen Meditation des Künstlers über sein
Künstler erkennen: „in der Kunst, durch die Kunst, mit der Kunst“. Die
Leben in Relation zu Natur, menschlichen Beziehungen und Kunst.
kreative Welt, die ein Künstler in Begleitung und in Auseinandersetzung
Kim Whankis Punkt-Werke sind Ergebnis der Sublimation des von
mit der Kunst in der Realität zu schaffen gedenkt, ist ein transzenden-
ihm angestrebten poetischen Geistes über die Realität hinaus ins
tales Reich, das nicht ohne Geburtsschmerzen zu erreichen ist; eine
Reich der Fantasie. Auch wenn er dabei im westlichen Stil Ölfarbe auf
sublime Welt, in die der Künstler nur dadurch gelangen kann, dass er
Leinwand brachte, erzielte er durch die Regulierung der Farbkonsis-
zur Entfachung seiner schöpferischen Leidenschaft seine Seele ver-
tenz Effekte wie bei der östlichen Tuschemalerei. Die feinflüssigen
brennt und mit seiner Ästhetik der Transzendenz die Herzen bewegt.
transparenten Ölfarben wurden vom traditionellen Hanji-Maulbeer-
Während Kim Whanki in seinen Pariser Jahren die Natur mit kon-
baumpapier oder Stoff wie Tusche aufgesaugt und verbreitet. Durch
templativen, aus seinem poetischen Geist fließenden Pinselstri-
asiatische Spiritualität wollte er die Materialiät überwinden und sich
chen besang, offenbarte er in seiner New Yorker Phase Lyrismus
von der physischen zur spirituellen, von der materiellen zur geisti-
pur, indem er seine innere Welt für die neue Form der Natur und des
gen Welt bewegen und damit über die Realität hinaus zur Raum und
metaphysischen Raums, die er in der kalten Stadtzivilisation ent-
Zeit überschreitenden Ewigkeit oder Raumlosigkeit gelangen. Was er
deckte, öffnete. Seine auf diese Weise geborenen Werke ergreifen
durch die Kunst zu verstehen versuchte, war wohl die Bestimmung
uns bis heute durch ihren emotionalen Gehalt.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 11
SPEZIAL 3 Pioniere der modernen Kunst
Schrif zeichen, Zeichen, Lee Ungno Mensch
Darstellung des Wesenhaften mit Tusche und Reflexion über die Geschichte
Mok Soo-hyun
Forschungsprofessorin, Seoul National University, Kyujanggak Institute for Korean Studies
Von den Tagen seiner ersten Bambus-Tuschebilder bis hin zu seiner späteren Menschen-Werkreihe legte Lee Ungno (1904-1989) Papier und Tusche ein Leben lang nicht aus der Hand. Als einer der Pioniere dieser Malerei war er in der Nachkriegszeit auf der ganzen Weltbühne mit Schwerpunkt auf Europa aktiv. Für seine Werke verwendete er nicht nur Papier und Tusche, sondern auch verschiedene andere Materialien und Techniken wie Öl auf Leinwand und Papier collé, und befasste sich darüber hinaus mit Druckgrafik, Bildhauerei und Keramikmalerei. Als Ergebnis seines umfangreichen Schaffens hinterließ er eine monumentale Sammlung von über 10.000 Werken, mit der er ein neues Kapitel in der abstrakten Kunst aufschlug.
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958 gab Lee Ungno im Alter von damals 54 Jahren seine etablier-
le Bambusmalerei, bevor er für zehn Jahre (1935-1945) zum Studi-
te Position und Karriere, die er sich als Professor und Künstler in
um nach Japan ging. Dort besuchte er die Kawabata Malschule und
der Welt der koreanischen Malerei aufgebaut hatte, auf und zog
das Hongo Institut für Malerei. Seine Lehrzeit unter Matsubayashi
nach Paris. Abgesehen von den rund drei Jahren in koreanischen
Keigetsu (1876-1963) öffnete ihm die Augen für die Realistik. In den
Gefängnissen (1967-1969), in die ihn die sog. „Ostberliner Spionage-
späten 1940er und frühen 1950er Jahren beschäftigte er sich mit der
Affäre“, ein auf Koreas Teilung zurückzuführender politischer Skan-
Abstraktion der Tuschemalerei, bevor er schließlich in Paris auf die
dal, gebracht hatte, war er bis zu seinem Tod im Jahr 1989 von Paris
Art Informel stieß. Er unterschied sich zwar in Bezug auf die Motive
aus international aktiv. Im Spannungsfeld von Vergangenheit und
nicht von anderen Tuschemalern, versuchte jedoch gleichzeitig, die
Gegenwart sowie von Orient und Okzident gestaltete er dort seine
Tuschemalerei-Tradition mit der zeitgenössischen Kunst zu verbin-
eigene, einzigartige Kunstwelt.
den. Doch legte er dabei sein altes Künstler-Ich nicht ab, sondern nahm vielmehr seine künstlerischen Wurzeln als feste Basis, auf
Experimente ohne Ende
der er sich die Informelle Kunst zu eigen machte. Auf der Grundlage
Als Lee in Paris ankam, stand die Kunstwelt voll im Zeichen der Art
des Geistes der chinesischen Kalligraphie, deren Zeichen sich aus
Informel, der Bewegung der Informellen Kunst. Mithilfe des renom-
der Form realer Objekte ableiten, und der Tuschemalerei, die allein
mierten Kunstkritikers Jacques Lassaigne (1911-1983) gab Lee
mittels Stangentusche und Papier die Prinzipien aller Dinge zu ent-
1962 mit der Ausstellung Ung-No-Lee Collages in der Galerie Paul
decken versucht, begann er die geistige Welt der Künstler der Zeit zu
Facchetti sein erfolgreiches Debüt. Bei Künstlern wie Hans Har-
erforschen, die bestrebt waren, ins Innere ihres im Elend des Kriegs
tung (1904-1989), Pierre Soulages (geb. 1919) und Zao Wou-ki (1920-
erfahrenen Schreckens und Schmerzes vorzudringen und ihm Aus-
2013), die aus allen Ecken und Enden der Welt nach Paris gekommen
druck zu verleihen.
waren, hatte er eine neue Tür zur Darstellung der Welt entdeckt.
Lee verharrte jedoch nicht in der Informellen Kunst. Die Dekons-
Lee lernte bei Kim Gyu-jin (1868-1933; Beiname: Haegang), einem
truktion der von ihm seit Kindesbeinen an erlernten Kalligraphie-
namhaften Kalligraphen und Tuschemaler der Zeit, die traditionel-
Zeichen entspricht zwar in puncto Formlosigkeit den Prinzipien der
12 KOREANA Frühjahr 2015
Su (Langlebigkeit, 1972), 274 x 132 cm, Tusche auf Hanji-Maulbeerbaumpapier, Collage. In den 1970er Jahren legte Lee in seinen abstrakten, ideographischen Arbeiten aus klar umrissenen Zeichen eine starke Anlehnung an den Konstruktivismus an den Tag.
Informellen Kunst, doch Lees Arbeiten heben sich dadurch ab, dass er auf Grundlage der für ihn typischen Materialien Papier und chinesische Schriftzeichen seine Stil- und Formexperimente fortsetzte. In den 1960er Jahren beschäftigte er sich mit Papier collés und Collagen, wobei er Papier mit der Hand in Stücke riss und durch Zusammenkleben Form schuf, sowie der Dekonstruktion von Form in abstrakten Tuschearbeiten. Die bei den Collagen zusammengeklebten Papierschnipsel können zwar als formlos betrachtet werden, doch setzen sie sich oft durch Striche oder andere Elemente der zerlegten Schriftzeichen wieder zu einem Bild zusammen. Durch Hinzufügen von Watte gewinnt das Werk an Dreidimensionalität, wobei die Kombination von Papier und Watte eine Textur ganz eigener Art ergibt. In Lees abstrakter Tuschemalerei erscheinen die Formelemente manchmal als Zeichen, manchmal als Bäume oder Berge, oder auch als Tiere und Menschengestalten. Lee selbst bezeichnete den Stil dieser Periode als In Paris vollbrachte Lee noch eine weitere Leistung: Im November 1964 gründete er die Pariser Akademie der Orientalischen Malerei (Académie de peinture orientale de Paris) im Musée Cernuschi, einem Museum für östliche Kunst. Zu dieser Zeit begann man sich in Europa stark für östliche Spiritualität zu interessieren und viele wollten durch die Werke von Lee Ungno, des koreanischen Künstlers, der westli-
© Lee Ungno / Lee Ungno Museum, Daejeon, 2015
„abstrakte Darstellung des Wesenhaften“.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 13
che Moderne in seine Werke hatte einfließen lassen, mehr darüber
doch Lees Tusche-Werke aus dieser Phase zeigen auf monumen-
lernen. Bis in die letzten Jahre seines Lebens brachte Lee an der
talen Leinwänden Hunderte, ja Tausende von Menschen, die sich in
Akademie seinen Studenten den Umgang mit Pinsel und Tusche bei
Gruppen marschierend und manchmal auch tanzend fortbewegen.
und lehrte sie die Techniken der Tuschemalerei und die Anwendung
Lees Menschen -Serie der 1980er stellt die Demokratisierungsbewe-
des Leere-Konzeptes. Durch seine rund 3.000 Schüler verbreitete
gung in Korea in Form von Menschenmassen dar, darunter auch den
sich die östliche Gedankenwelt und Gestaltungssprache in Europa.
Gwangju-Aufstand vom 18. Mai 1980. Diese Werke zeugen von Lees tiefen Reflexionen, die er in seinen späteren Jahren über den Men-
Düsteres Selbstporträt im Zusammenhang mit der koreanischen Zeitgeschichte
schen anstellte, und von seiner innigen Liebe für Korea und seiner
Das schmerzhafteste Kapitel in Lee Ungnos Leben waren wahr-
Gründen fernbleiben musste.
scheinlich die Jahre von 1967 bis 1969, die er im Gefängnis verbrach-
1977 wurde Lees Frau mit Nordkoreas versuchter Entführung des
te, nachdem er wegen des Verdachts, in eine vom Koreanischen
Pianisten Paik Kun-woo (geb. 1946), der damals in Frankreich aktiv
Informationsdienst manipulierten Spionage-Affäre in Ostberlin ver-
war, und dessen Frau, dem Filmstar Yun Jung-hee (geb. 1944), in
wickelt zu sein, nach Korea zurückbeordert worden war. Auslöser
Verbindung gebracht, sodass Lee Ungno in koreanischen Kunst-
dieser „Ostberliner Spionage-Affäre“ war, dass in Europa lebende
kreisen erneut gemieden wurde. Sein lang ersehnter Wunsch, in
südkoreanische Studenten und Künstler mit nordkoreanischen Per-
die Heimat zurückzukehren und dort seinen Lebensabend in Ruhe
sönlichkeiten Kontakt aufgenommen hatten. Lee wurde der Kolla-
malend zu verbringen, wurde damit zunichte. Dass er in Korea nicht
boration mit Nordkorea beschuldigt, weil er nach Ostberlin gereist
weit bekannt wurde, obwohl er bis 1958 über 30 Jahre in der kore-
war, wo er Näheres über seinen Sohn, der während des Koreakriegs
anischen Kunstszene aktiv gewesen war und danach in Europa als
in den Norden verschleppt worden und nach Kriegsende verschol-
Maler große Anerkennung gefunden hatte, ist auf die Umstände der
len war, in Erfahrung bringen wollte. Im Gefängnis, wo man ihm die
Zeit nach der Teilung des Landes zurückzuführen.
Benutzung des Pinsels erlaubt hatte, schuf Lee etwa 300 Werke
Auch während der Zeit, in der seine Werke von abstrakten Zeichen zu
mit der Sojasoße, Sojabohnenpaste und den klebrigen Reiskörnern
Menschen, vom Totem zur kalligraphischen Abstraktion übergingen,
schmerzlichen Sehnsucht nach der Heimat, der er aus politischen
seiner Mahlzeiten sowie dem Holz der Essensbehälter. Die Serie
hörte er nicht mit den Bambus-Bildern auf. Die Menschengestalten,
Selbstporträt , die einen tief zusammengekauerten Körper darstellt,
das Hauptmotiv seiner Werke aus den 1980er Jahren, sind also in
stammt aus dieser Zeit. Von all seinen Werken bringen wahrschein-
Wirklichkeit diese Bambusblätter, die er sein Leben lang malte, sie
lich diese Bilder mit ihren an Rußklumpen erinnernden Flecken
sind Natur, Menschen und Geschichte. In der Serie Menschen bewe-
geronnener schwarzer Tusche Lees innere Welt im Stil der Art Infor-
gen sich die menschlichen Gestalten in einem bestimmten Rhyth-
mel am besten zum Ausdruck. In seinen späteren Jahren verarbeite-
mus. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass sich jede
te er die Erlebnisse dieser Zeit in seiner Kunst durch tiefere Reflexio-
einzelne anders bewegt. Und trotzdem gehen sie zusammen in eine
nen über Mensch und Geschichte.
bestimmte Richtung. Unter diesen zahlreichen Menschen findet sich letztendlich das Wir, das Ich.
Abstraktionen von Schriftzeichen und Menschen
Im Zuge der Demokratisierung wurde 1988 das Verbot von Werken
Lees Werke aus den 1970er Jahren werden als „kalligraphische Abs-
von Künstlern, die nach Nordkorea gegangen waren, aufgehoben
traktion“ beschrieben. Er setzte die zerlegten Schriftzeichen zusam-
und auch Lee wurde gesellschaftlich rehabilitiert. 1989 konnte end-
men, sodass sie erneut ihre ursprüngliche Bedeutung verkörperten,
lich eine Retrospektive seines Werks eröffnet werden und Lee Ungno
und belebte dadurch den Geist der östlichen Malerei wieder. Im Ver-
wurde von der koreanischen Kunstwelt neu entdeckt. Lee hatte für
gleich zu den Bildern aus den 1960er Jahren zeigen die abstrakten
die Dauer der Ausstellung nach Korea kommen wollen, verstarb
Werke aus dieser Zeit Kompositionen aus Zeichen mit klaren Kontu-
aber am 10. Januar 1989, dem Tag der geplanten Vernissage in Seoul,
ren und damit konstruktivistische Tendenzen. Andererseits präsen-
in einem Pariser Krankenhaus an einem Herzinfarkt. Danach fanden
tierte Lee eine neue Art von Kalligraphie, bei der er die herkömmli-
eine Reihe von Retrospektiven und Gedenkausstellungen statt, die
chen Prinzipien der Kalligraphie auf moderne Art zerlegte und ver-
von der großen Zuneigung und Bewunderung für ihn und sein Werk
änderte. Ein Beispiel dafür ist seine Serie Juyeok , bei der er die 64
zeugten. Zum Andenken an sein Leben und Werk wurde in Daejeon,
Strich-Hexagramme des chinesischen Klassikers IGing (Buch der
Provinz Chungcheongnam-do, das Lee Ungno Museum gegründet
Wandlungen) in die Form chinesischer Schriftzeichen überführte.
und in seiner Heimatstadt Hongseong auf dem Platz seines Geburts-
Lees Werkreihe Menschen bzw. Menschenmasse ist repräsentativ
hauses das Lee Ungno Haus, eine Gedenkstätte mit Ausstellungsflä-
für sein Schaffen in den 1980er Jahren. Schon seit den 1960ern hatte
che, eingerichtet.
er sich mit der Darstellung der Gestalt des Menschen beschäftigt,
14 KOREANA Frühjahr 2015
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Die Menschengestalten, das Hauptmotiv seiner Werke aus den 1980er Jahren, sind also in Wirklichkeit diese Bambusblätter, die er sein Leben lang malte, sie sind Natur, Mitmenschen und Geschichte. In der Serie Menschen bewegen sich die menschlichen Gestalten in einem bestimmten Rhythmus. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass sich jede einzelne anders bewegt. Und trotzdem gehen sie zusammen in eine bestimmte Richtung. Unter diesen zahlreichen Menschen findet sich letztendlich das Wir, das Ich.
1. M enschen (1986), 167 x 266 cm, Tusche auf Hanji-Maulbeerbaumpapier 2. 1964 gründete Lee Ungno die Académie de peinture orientale de Paris (Akademie der Orientalischen Malerei) im Musée Cernuschi, wo er den Studenten den Umgang mit Pinsel und Tusche beibrachte und sie die TuschemalereiTechniken sowie die Anwendung des Leere-Konzeptes lehrte. Er unterrichtete an die 3.000 Studenten. 3. Das Lee Ungno Museum im Zentrum von Daejeon wurde 2007 mit dem Ziel eröffnet, Lees Werke in der Welt bekannt zu machen. Das Museum richtet Ausstellungen aus und unternimmt verschiedene Forschungsaktivitäten.
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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 15
Matriarchinnen der modernen Malerei
Choi Youl Kunstkritiker
Park Re-hyun (1920-1976) und Chun Kyung-ja (geb. 1924) sind zwei Künstlerinnen, deren Leben, geträumte Welt und Gestaltungssprache unterschiedlicher nicht hätten sein können, und doch gingen beide als faszinierende Seelen in die koreanische feministische Kunstgeschichte des 20. Jhs ein. Sie wirkten innovativ in der traditionellen farbigen Tuschemalerei Chaesaekhwa und brachten die geheimnisvolle Gefühlswelt der Frau in traumhaften Farben frei zum Ausdruck. Damit hinterließen sie tiefe Spu-
Park Re-hyun wurde in Jinnampo, Provinz Pyeongannam-do (heute Nordkorea) geboren, wuchs aber im südkoreanischen Gunsan, Provinz Jeollabuk-do, auf. Erst in ihren 20ern ging sie auf die Frauenakademie für Kunst in Japan, um ihren Traum, Malerin zu werden, zu verwirklichen. Noch während des Studiums gewann sie den Großen Preis der Koreanische Kunstausstellung , was eine glänzende Zukunft versprach. Parks künstlerisches Werk kann grob in drei Typen eingeteilt werden: erstens, Gemälde mit geometrischen Kompositionen, bei denen die Bildfläche mittels Techniken des westlichen Kubismus aufgeteilt wurde, um traditionelle koreanische Szenen und Gebräuche darzustellen. Zweitens, Gemälde mit abstrahierten Darstellungen von Volksmotiven wie Bündel aufgefädelter antiker Münzen oder runden Strohsitzkissen. Drittens, eine Objektkunst-Werkreihe mit Webtextil-Reliefen auf Leinwand. Parks thematischer Ansatz ist nicht einfach. Rein motivmäßig gesehen war sie eine Künstlerin, die v.a. Frauen und Szenen aus dem Korea der vormodernen Zeit malte, doch eigentlich war sie eine experimentierfreudige Malerin, die auf Grundlage des westlichen Modernismus innovativ mit Linien, Feldern und Farben arbeitete und sich für Form an sich interessierte. Park war also eine Künstlerin, die sich um eine harmonische Vereinigung von Ost und 1 16 KOREANA Frühjahr 2015
© Woonbo Foundation
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ren in der koreanischen Malerei des 20. Jhs.
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West bemühte. Ihre Textil-Reliefarbeiten, mit denen sie erst in ihren 50ern begann, sind Resultat ihrer Bestrebungen, das Feminine im Alltag in die Kunst zu überführen. Mit dem Anhängen von alten JoseonMünzen auf Textil-Reliefe versuchte sie, Tradition und Moderne, Frauenalltag und -arbeit sowie die Atmosphäre der Märkte
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zu mischen. Durch unaufdringliche Farben, delikate Texturen sowie imposante und den- 1.
mutiger, mysteriöser Vorstellungskraft begann Chuns Phase
noch gezügelte Kompositionen verwandel-
des Fantastisch-Visonären. Unter dem Thema der „sinnlichen
te sich ihre Leinwand in einen mysteriösen Raum von anmutiger Feinheit. Chun Kyung-ja 1924 auf der Halbinsel Goheung, Provinz Jeollanam-do, geboren, ging mit 16 auf die Frauenakademie für Kunst in Japan. Während ihres Studiums wurde ihr Werk für die Koreanische Kunst-
ausstellung angenommen. Nach der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft arbeitete sie als Kunstlehrerin und begann ihre Karriere als Malerin. Anfänglich konzentrierte sich Chun auf die wirklichkeitsgetreue Abbildung von Objekten, aber der Koreakrieg (1950-1953) brachte große Ver-
(1972) von Park Re-hyun, The Origin B 50,5 x 37 cm, Radierung, Schabblatt, Nationalmuseum für Moderne und Zeitgenössische Kunst. Park wandte die Gestaltungsformen des westlichen Modernismus an und schuf tiefgründige, innovative Arbeiten aus Linien, Flächen und Farben. 2. der Maler Kimund Ki-chang, in Park Re-hyun ihr Mann, ihrem Studio zu Hause 3. Werk Schöne Frau (1977). Chun Kyung-ja erklärt ihr 4. Legend” Farbe auf “Page 22(1977), in My Sorrowful Papier, 43.5×36cm, Mit der ihr eigenen weiblichen Sensitivität schuf Chun ein Utopia der Fantasie, in dem sie Natur und Mensch verschmolz.
Weiblichkeit“ schuf sie durch die Fusion von Natur und Mensch ein „Utopia der Frauen“, zu dem nur Frauen Einlass fanden. Mit den Regeln der Perspektive brechend, verwendete sie in ihren Kompositionen die mehrperspektivische Darstellung der traditionellen Malerei der Joseon-Zeit und füllte die Bildfläche mit überall verstreuten Objekten, was den mysteriösen Gehalt verstärkte. Mit geschickter Hand verwendete sie prächtige Farben, die ihren Bildern nicht nur Sinnlichkeit vermittelten, sondern auch anmutige Vornehmheit. Obwohl Park und Chun jeweils andere Themen und Ausdrucksformen erkundeten, ähnelten sie sich darin, dass sie Menschen und Objekte ihrer eigenen Logik, Sensitivität und Fantasie entsprechend transformierten. Park schuf ihren originären Stil, indem sie zwar der in der Nachkriegszeit herrschenden Logik der Kunstwelt treu folgte, aber gleichzeitig durch eine spezi-
änderungen in ihrem Schaffen. Der Krieg
fisch weibliche Sensitivität und Rekonstruktion von Objekten
erschütterte die Grundfesten der Kunstwelt
ihre eigene, ganz individuelle Ausdruckssprache kreierte. Chun
der Malerin, die damals in ihren 30ern war.
lehnte die Logik der damaligen Kunstwelt zwar ab, doch fand
Nun ließ sie die Motive und Farben, die sie in
auch sie ihren individuellen Stil, indem sie weibliche, instinktive
ihrer Realität und ihren Träumen entdeckte,
Sensitivität und traumhaften Fantasien in voller Pracht explosi-
mutig und frei auf die Leinwand fließen. Mit
onsartig auf die Leinwand brachte. In dieser Hinsicht können die
Arbeiten von prächtiger Dekorativität und
beiden Malerinnen als Weggefährtinnen gelten.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 17
SPEZIAL 4 Pioniere der modernen Kunst
Stern der koreanischen Farbmalerei Park Young-taek Professor an der Kyonggi University, Kunstkritiker
18 KOREANA Fr端hjahr 2015
Kaiserin Myeongseong (1984), 330 x 200 cm, Farbe auf Papier. In den 1980er Jahren begann Park Saeng-kwang auf Basis der Erkundung von Buddhismus, Schamanismus und Porträts historischer Persönlichkeiten seinen eigenen, individuellen Stil zu entwickeln.
Park Saeng-kwang (1904-1985) schlug in einem Zeitalter, in dem das Land unter Schmerz und Chaos der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) litt und neuartige westliche Malstile aufkamen, als Maler einen außergewöhnlichen Weg ein, der seinesgleichen sucht. Park, der in seinen Werken die koreatypische Originalität und Spiritualität traditioneller Bildmotive zum Ausdruck brachte, gilt als einer der repräsentativsten koreanischen Maler des 20. Jhs.
K
urz nachdem die westliche Kunst Anfang des 20. Jhs in Korea Einzug gehalten hatte, geriet Korea unter japanische Kolonialherrschaft. Im Zuge der aufoktroyierten Modernisierung
mussten die koreanischen Maler ihre eigene Geschichte der Kunst schreiben, die nicht in der Weiterführung der Tradition bestand, und erkundeten im Spannungsfeld von traditionellem und westli-
chem Stil die „nationale Kunst“. Andererseits gab es auch das Phänomen der blinden Verehrung und Akzeptanz der westlichen Malerei, bedingt durch Ignoranz und Geringschätzung der traditionellen Malerei. In dem Bestreben, die westliche Kunst nachzuahmen, verlor die Kraft der mythischen Spiritualität und religiösen Magie, die der traditionellen koreanischen Kunst mit ihrer Jahrtausende alten Geschichte innewohnte, immer mehr an Boden. Während das unbestrittenermaßen die vorherrschende Haltung war, gab es aber auch Maler, die sich im Mahlstrom des Chaos ihren eigenen Weg bahnten. Park Saeng-kwang ist wohl das herausragendste Beispiel dafür.
Studium in Japan Als Sohn einer der Mittelschicht angehörenden Bauernfamilie in Jinju, Provinz Gyeongsangnam-do, geboren, lernte Park Saengkwang bis in die frühen Teenagerjahre in der konfuzianischen Dorfschule die chinesischen Klassiker. Danach erhielt er an der Jinju Jeil Volksschule und der Jinju Landwirtschaftsschule eine moderne Ausbildung, bevor er 1920 zum Kunststudium nach Japan ging. 1923 wurde er in die Städtische Malereifachschule Kyoto aufgenommen, wo er zwei Jahre unter renommierten Malern lernte, darunter Takeuchi Seiho (1864-1942), Meistermaler des Kyoto-Kunstkreises der Nihonga (Malerei japanischen Stils), Murakami Kagaku (18881939) und Tsuchida Bakusen (1887-1936). Vermutlich war Park jedoch kein ordentlicher Student, sondern eine Art Praktikant. In den 1910er und 1920er Jahren blühte in Japan die sog. TaishoDemokratie, unter der die westliche Kultur in vollen Zügen aufgenommen wurde und der ganze Kulturbereich sich frei entfaltete. Im Kunstkreis von Kyoto experimentierte man mit neuen Nihonga-Stilen, sodass diese Zeit in der Geschichte der modernen japanischen Malerei auch als „Zeit des schöpferischen Brodelns” beschrieben wird, in der vieles zur Blüte gebracht wurde. Stark beeinflusst von der Stimmung der Zeit entwickelte Park Saeng-kwang seinen eige-
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 19
Park fing die typischen Merkmale der traditionellen koreanischen Kunst ein i.e. die kraftvollen Farben und Motive, die feine Harmonie zwischen Botschaft und Bildkomposition sowie die enormen Maße - und schuf Bilder von einer Art, wie sie bis dahin noch nie gemalt worden waren. Inspiriert von schamanistischen und buddhistischen Malereien verwendete er kraftvolle Primärfarben und eine primitivistische Linienführung mit dicken Umrissen, wodurch er seinen Bildern eine magische Kraft einhauchte, und verband Komponenten von Schamanismus, Buddhismus und Volksglauben zu einheitlichen Bildkompositionen. 1
nen Stil der Farbmalerei auf Basis des in der Schule Gelernten: An
mittleren Alter und Vater von zwei Söhnen nach Korea zurück.
der realitätsgetreuen Skizzierung festhaltend, verfeinerte er seine
Doch das Leben in der Heimat war arm und hart. 1974 zog er nach
Technik zur genauen Abbildung von Formen und Strukturen und
Tokio zurück, um „sich selbst auf die Probe zu stellen“, so seine
übte sich streng in der Linienführung. In der Kolorierung übernahm
Begründung. „Mit meinem ganzen Körper möchte ich eher das
er den intensiven und kraftvollen Stil der Landschaftsmalerei der
Asiatische als das Japanische zum Ausdruck bringen. In diesem
chinesischen Nord-Schule.
Bestreben male ich. Als Teil von Asien möchte ich östliche Malerei
Nach Abschluss des Kurses an der Fachschule zog er 1926 nach Tokio,
mit östlichem Geistesgehalt schaffen, ohne Einschränkung auf ein
wo er mit 22 Jahren bei Ochiai Rofu (1896-1937) in die Lehre ging. Ochi-
bestimmtes Land, sei es Korea oder Japan. Die Ausdrucksweise ist
ai war eine der führenden Figuren der neuen hyperrealistischen Schu-
dabei einfach nur in der japanischen Malerei angesiedelt.“
le des Neo-Nihonga und bekannt für die betont flache Gestaltung sei-
1975 stellte er drei Mal in Tokio aus und jeweils einmal in Osaka und
ner Malereien, die aber gleichzeitig mittels leuchtender, klarer Farben
Nagoya. Mit diesen Soloausstellungen wollte er sich die finanziel-
einen räumlichen Eindruck vermittelten. Als Angehöriger des Meirou
le Grundlage für einen Langzeitaufenthalt in Japan schaffen, doch
Kunstinstituts von Ochiai nahm Park an verschiedenen Ausstellun-
seine Gemälde scheinen sich nicht gut verkauft zu haben. Schließ-
gen wie der Meirou Kunstausstellung teil und baute seine Karriere als
lich brach er 1977 seine Zelte in Tokio ab und kehrte endgültig
Maler auf. 1930 wurde er bei der 9. Koreanischen Kunstausstellung ,
nach Korea zurück. Da er jedoch den größten Teil seines Lebens in
einem in Seoul veranstalteten Kunstwettbewerb unter Federführung
Japan verbracht hatte, blieb er ein Außenseiter in der koreanischen
des japanischen Generalgouverneuramts, in der Kategorie „Westliche
Kunstszene. Dort versuchte man nach der Befreiung 1945 beflis-
Malerei“ für sein Werk Zeichnung Nr. 2 ausgezeichnet. 1931 wurde im
sentlich alle Spuren der japanischen Malerei zu beseitigen, wandte
selben Wettbewerb sein Werk Gemüsebeet in der Kategorie „Östliche
sich entsprechend von der Farbmalerei ab und setzte sie herab. Die
Malerei“ angenommen. Er wechselte also frei zwischen östlicher und
Farbmalerei japanischen Stils hatte sich während der Kolonialzeit
westlicher Malerei und eine Abgrenzung von Genres war für ihn ohne
in Korea weit verbreitet und die meisten Künstler hatten sich ihrem
großen Belang. Zu dieser Zeit malte er meistens realistische, dekora-
Einfluss nicht entziehen können. Als Gegenreaktion wurde jetzt die
tive Bilder in zarten Farben.
traditionelle Tuschemalerei der Literati als einzige Alternative zur Farbmalerei betrachtet, auch wenn das völlig absurd war. Park,
Ausdruck des „Asiatischen“
dessen Farbmalerei stark vom japanischen Nihonga beeinflusst
Nach 25 Jahren in Japan kehrte er im Januar 1945 als Mann im
war und der in Korea kaum bekannt war, sah sich in der koreani-
20 KOREANA Frühjahr 2015
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schen Kunstwelt so gut wie ausgeschlossen. Ironischerweise war es gerade das Gefühl der Entfremdung und Einsamkeit, das Park dazu antrieb, seinen unverwechselbaren Stil zu kreieren.
Linien und Farben: Wiederbelebung der Kraft der traditionellen koreanischen Malerei
1. (1981), 136 x 136 cm, Schamanin Farbe auf Papier. Inspiriert von schamanistischen und buddhistischen Malereien ließ Park primitive Techniken wie leuchtende Farben und dicke Umrisse in seine Arbeiten einfließen, die dadurch an magischspiritueller Kraft gewannen. 2. dessen Arbeiten Park Saeng-kwang, stark von moderner japanischer Malerei beeinflusst waren, kehrte in seinen späteren Jahren nach Korea zurück, wo er sich in der Einsamkeit seiner letzten Tage ganz seiner Kunst verschrieb.
Lebensschichten, die dicht mit dem Unterbewusstsein des Volkes verflochten sind. Parks Werke bestehen aus beliebig aneinander gereihten Bildfragmenten oder komprimierten, deformierten Bildern. Er wandte in seinen Bildern, die sich durch ihren hochdekorativen Charakter von den Prinzipien der Perspektive befreit zu haben scheinen, eine flache Darstellungsweise und die Nebeneinanderstellung von Bildobjekten an. Die perspektivische Darstellung der westlichen Kunst ist ein Mittel zur illusionistischen Überwindung der Zweidimensionalität und spiegelt als solche seine menschenzentrierte Sichtweise wider. Im Gegensatz dazu wird in der östlichen Malerei die Zweidimensionalität als prinzipielle Voraussetzung eines Bildes respektiert und es für wichtig gehalten, darin die geistige Energie des Menschen stimulierende Motive darzustellen. Park arrangierte Zeit und Raum transzendierende Objekte frei auf stark dekorativen, flachen Bildflächen. Auf den ersten Blick wirken seine Bilder primitiv, doch sie bauen eine einzigartige und tiefgründige Welt auf. Vor allem die orangefarbenen Linien, die die heterogenen Bildelemente integrieren und einen dynamischen Raum schaffen, sind originäre Bestandteile seines Stils. Für Park war die Tradition mehr als reine Motivquelle für seine Malerei. Er versuchte beim Malen vielmehr ihre wahre Bedeutung und ihren Geist sowie die Magie der Motive wiederzubeleben. Dank ihm wurden die koreanische Volksmalerei sowie die schamanisti-
Ab den 1980er Jahren entwickelte Park Saeng-kwang auf Basis
sche und buddhistische Malerei neu aufgewertet und verstanden.
seines Interesses an Buddhismus, Schamanismus sowie Porträts
Durch seine Bilder fand die in Vergessenheit geratene traditionel-
von historisch bedeutenden Persönlichkeiten und seiner diesbe-
le koreanische Malerei ihre ursprüngliche Kraft, ihren Inhalt und
züglichen Forschungen seinen eigenen, originären Stil. Dass er für
ihren Gebrauch wieder.
sein Ziel, eine „zeitgenössische Variation des koreanischen Sinns
Inmitten von Armut und Einsamkeit entfaltete Park beständig seine
für Ästhetik“ zu schaffen, Motivanlehnungen bei Volksmalerei,
eigene Kunstwelt. Seine Werke von kunsthistorischer Bedeutung
buddhistischen Wandgemälden und antiken Kunstgegenständen
entstanden allesamt in den 1980er Jahren. Seine Farbmalerei-
machte, scheint in gewisser Hinsicht mit dem Klima in der damali-
en mit tanzenden, intensiven Farben, in denen aus buddhistischen
gen Kunstwelt zusammenzuhängen. Ab den späten 1970er Jahren
Gemälden, aus Volksmalereien und Darstellungen schamanisti-
thematisierte man die Wahrung der Tradition, wodurch Volksmale-
scher Gottheiten frei aufgegriffene Motive und Muster verschmol-
rei, Bildnisse schamanistischer Gottheiten und buddhistische Male-
zen sind, kamen als Segen und suchen ihresgleichen. Sie versetz-
rei in den Fokus des Interesses rückten. Dieser Trend beeinflusste
ten den damaligen Malern, für die Farbmalerei nur in der mecha-
auch Park, dessen nach realistischer Farbdarstellung strebende
nischen Wiederholung von Porträts schöner Frauen und Blumen-
Stil ihm den Zugang zu dieser Art von Malerei erleichterte. Er fing
bildern bestand, einen großen Schock. Danach lehnten sich viele
die typischen Merkmale der traditionellen koreanischen Kunst ein
Maler an Parks Werke an und als Resultat konnten die Kunstkreise
- i.e. die kraftvollen Farben und Motive, die feine Harmonie zwi-
der traditionellen östlichen Malerei Mitte der 1980er Jahre einen
schen Botschaft und Bildkomposition sowie die enormen Maße -
Schritt nach vorne machen und sich von der Tuschemalerei mit
und schuf Bilder von einer Art, wie sie bis dahin noch nie gemalt
ihren überkommenen Motiven ein Stück lösen.
worden waren. Inspiriert von schamanistischen und buddhistischen
Viele waren erstaunt über die enorme Menge an Meisterwerken,
Malereien verwendete er kraftvolle Primärfarben und eine primi-
die Park vor seinem 80. Geburtstag hervorbrachte. Er starb mit
tivistische Linienführung mit dicken Umrissen, wodurch er seinen
81 Jahren an Kehlkopfkrebs. Sein Tod kam plötzlich, sodass er die
Bildern eine magische Kraft einhauchte, und verband Komponen-
Früchte seiner Mühen nicht mehren und genießen konnte. Doch
ten von Schamanismus, Buddhismus und Volksglauben zu einheit-
die hinterlassenen Werke, die er in der kurzen Zeit vor seinem Tod
lichen Bildkompositionen. Besonders der Schamanismus, den Park
schuf, reichten aus, um Park Saeng-kwang als neuen Stern am
mit besonderem Interesse erkundete, ist eng verbunden mit den
Himmel der Farbmalerei aufgehen zu lassen.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 21
SPEZIAL 5 Pioniere der modernen Kunst Choi Youl Kunstkritiker
Der„nationale Maler“, der die Schwermut der Zeit ins Lyrische transzendierte
Park Soo-keun ist ein autodidaktischer Maler, der durch endloses Üben eine ungekünstelte Ästhetik der Schlichtheit und eine Ästhetik des Archaisch-Rauen erreichte. Sein unverwechselbar originärer Stil, der sich den unergründlichen Geheimnissen des Universums nähert, ist in seiner Art unnachahmlich. Er repräsentiert die obersten gestalterischen Höhen, die die koreanische Kunst der Zeit erreichen konnte, und setzte Maßstäbe für das Zeitalter.
A
ls Park Soo-keun (geb. 1914) 1965 verstarb, war er nur 51,
und zeichnete mit einiger Geschicktheit alltägliche Dorfszenen wie
also im besten Alter für einen Maler. 1957, acht Jahre davor,
auf dem Hof arbeitende Frauen oder Dorfbewohner beim Sammeln
hatte er einen Wettbewerbsbeitrag bei der staatlich organi-
von Wildgemüse. Nachdem er eine Kopie von Jean-François Millets
sierten Nationalen Kunstausstellung zur Förderung der Kunst ein-
Das Angelusgebet (1857-59) gesehen hatte, keimte in ihm der vage
gereicht, um nur die bittere Pille des Scheiterns zu schlucken. Zu
Wunsch, ein so großer Maler wie der französische Künstler zu wer-
der Zeit hatte er in der koreanischen Kunstszene bereits Anerken-
den. Millets Streben, das, was er sah, möglichst getreu darzustellen
nung gefunden, seine Werke waren schon mehrfach zu Ausstellun-
und so gut wie möglich zum Ausdruck zu bringen, wurde auch Parks
gen des Koreanischen Kunstverbandes zugelassen worden und auf
Traum. Millets Kunstwelt zog ihn völlig in ihren Bann und Park mühte
der Ausstellung von 1955 wurde er sogar mit dem Preis des Vorsit-
sich, seinem Vorbild entsprechend die natürliche Landschaft seines
zenden des parlamentarischen Ausschusses für Kultur und Bildung
Heimatortes und den Alltag der darin lebenden einfachen Menschen
ausgezeichnet. Und dann sollte er auf einmal durchgefallen sein!?
wirklichkeitsgetreu abzubilden.
Es heißt, Park brach in Tränen aus. Noch weniger war zu verstehen,
Ungeachtet dieser reinen, heißen Leidenschaft erlaubten die Fami-
dass er nur zwei Jahre später, 1959, auf eben dieser Ausstellung zum
lienverhältnisse es nicht, Park eine ordentliche künstlerische Aus-
Empfohlenen Maler bestimmt und 1962 zum Juroren ernannt wurde.
blidung zukommen zu lassen. Also setzte er seine Malübungen
Selbstverständlich nahm er diese Ehrungen an.
alleine fort und als er 18 war, wurde eins seiner Werke für die Kore-
Dass Park, ein autodidaktischer Maler mit Grundschulabschluss,
anische Kunstausstellung , die damals das einzige Sprungbrett für
zum Empfohlenen Maler und Preisrichter einer staatlichen Kunst-
eine Künstlerkarriere war, ausgewählt. Danach arbeitete er zwar als
ausstellung ernannt wurde, bewies schon, dass er rein positionsmä-
professioneller Maler, doch da er ständig mit der Armut zu kämp-
ßig gesehen hohes Ansehen in der damaligen koreanischen Kunst-
fen hatte, begann er 1953 schließlich, für die amerikanische Militär-
welt genoss. In Wirklichkeit kamen solche Schachzüge der tonan-
strafverfolgungsbehörde (Criminal Investigation Command) Bilder
gebenden Kräfte in der Kunstszene eher einem Akt der Verhöhnung
zu malen und arbeitete danach auch als Porträtmaler im PX-Laden
gleich. Die Tränen des nicht mehr jungen Malers waren Ausdruck
auf der US-Militärbasis in Seoul. Er wurde daher zwar als „Plakat-
der inneren Resistenz, die sein sanftmütiges Herz entwickelt hatte.
maler“ abgestempelt, aber mit dem so verdienten Geld konnte er
Diese Resistenz führte schließlich zu Leberzirrhose, Grauem Star,
sich wenigstens eine Bleibe im Hüttenviertel Changsin-dong am
Nierenentzündung und Hepatitis. Die Armut, der er sein ganzes
damaligen Stadtrand von Seoul leisten. In dieser Zeit machte er die
Leben lang nicht entkommen konnte, und die mächtigen Cliquen der
Bekanntschaft von Maria Henderson, Gemahlin eines Attachés der
koreanischen Kunstkreise bereiteten Park, der weder über Alumni-
amerikanischen Botschaft, Margaret Miller, einer Kunstliebhabe-
Netzwerke noch sonstige Beziehungsnetzwerke als Rückhalt ver-
rin aus Kalifornien, sowie der Kunsthändlerin und -sammlerin Celia
fügte, endlose Qual, so dass er schließlich in noch viel zu jungen Jah-
Zimmerman, die zu Parks größten Mäzeninnen in seinen letzten Jah-
ren die Welt verlassen musste.
ren werden sollten. Es waren denn auch keine koreanischen, sondern solch amerikani-
Traum vom Einfangen des Alltags
sche Förderer, die Parks Werke aufrichtig lobten, seine Arbeit unter-
Als Grundschüler wanderte Park Soo-keun durch Berge und Felder
stützten und schließlich für den mittlerweile 48-jährigen Maler, der
22 KOREANA Frühjahr 2015
© Gallery Hyundai
Er hatte weder Lehrer noch Tradition zu folgen. Er war so frei, dass er sich seinen eigenen Weg suchen konnte. Ohne renommierte Kunstschule im Rücken konnte er sich nicht an der Politik der Kunstwelt beteiligen und hatte auch keinerlei Interesse daran. Während er zwischen Gangwon-do, Seoul und Pjöngjang wandernd mehr schlecht als recht lebte, schaffte er es allein und durch schiere Hartnäckigkeit als Maler voranzukommen. Er brachte nur das auf die Leinwand, was er wirklich darauf bringen wollte, und hielt ungeschminkt das harte, aber schöne Leben der Menschen um ihn herum fest.
1
1. M ädchen beim Murmelspiel (1960s), 22 x 30 cm, Öl auf Holzfaserplatte 2. mit seinen Gemälden, Park Soo-keun zu Hause seiner Frau Kim Bok-sun und der zweitältesten Tochter In-ae (1959)
noch nie eine Solo-Ausstellung gehabt hatte, 1962 die erste Sonderausstellung auf dem Stützpunkt der US-amerikanischen Luftstreitkräfte in Pyeongtaek auf den Weg brachten. Auch wenn die Ausstellung nur in der Bibliothek der Militärbasis stattfand, so war sie für Park Soo-keun doch die erste, aber gleichzeitig auch die letzte Einzelausstellung.
Auf dem Weg zum Maler, hartnäckig und allein 1958, ein Jahr nach dem Debakel bei der Nationalen Kunstausstellung, wurde bekannt, dass Parks Werke auf der East and West Exhi-
bition in San Francisco, einer von der amerikanischen UNESCOKommission geförderten Kunstausstellung, und auf der Ausstellung
der Zeitgenössischen Koreanischen Malerei der World House Galleries in New York ausgestellt wurden. Ein Jahr später wurde er auf der Nationalen Kunstausstellung in Seoul zum Empfohlenen Maler 2
gekürt und erhielt eine Einladung zur dritten Ausstellung Zeitgenös-
sischer Künstler, die von der Tageszeitung The Chosun Ilbo organisiert wurde. Dank seines Erfolgs in Übersee konnte Park also die Hürden der koreanischen Kunstwelt überwinden – ein zugestandenermaßen trauriges Selbstbildnis der koreanischen Gesellschaft des 20. Jhs, die dem Westen blindlings folgte. Dass Park abseits der Strömungen der damaligen koreanischen Kunstwelt stand, hatte aber auch positive Aspekte: Er hatte weder Lehrer noch Tradition zu folgen. Er war so frei, dass er sich seinen eigenen Weg suchen konnte. Ohne renommierte Kunstschule im Rücken konnte er sich nicht an der Politik der Kunstwelt beteiligen und hatte auch keinerlei Interesse daran. Während er zwischen Gangwon-do, Seoul und Pjöngjang wandernd mehr schlecht als recht lebte, schaffte er es allein und durch schiere Hartnäckigkeit als Maler voranzukommen. Er brachte nur das auf die Leinwand, was
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 23
er wirklich darauf bringen wollte, und hielt ungeschminkt das harte, aber schöne Leben der Menschen um ihn herum fest. Die meisten jungen Künstler, die unter der japanischen Kolonialherrschaft in den 1930er Jahren aktiv waren, malten mit Blick auf den Durchbruch bei einem der verschiedenen Kunstwettbewerbe und befassten sich daher mit dem „für Joseon typischen Lokalkolorit“, der als Bewertungsrichtlinie galt. Zu dieser Zeit war auch Park ein aufstrebender Maler Anfang 20, der unter den Härten des Lebens litt. Er träumte nicht einmal vom Großen Preis, sondern hoffte nur darauf, dass seine Arbeiten überhaupt für die Ausstellungen angenommen wurden. Stets ein Einzelgänger in der koreanischen Kunstszene, hatte er niemanden, mit dem er seine Einsamkeit teilen konnte. Erst in den 1940er Jahren knüpfte er Beziehungen zu „richtigen“ Malern an: Er verkehrte mit Choi Young-lim (1916-1985), Chang Lee-suok (geb. 1916) und Hwang Yu-yop (1916-2010), als er in der Abteilung Soziales der Provinzregierung Pyeongannam-do (heute Nordkorea) einen Bürojob fand. Im gleichen Jahr heiratete er sogar, wurde schließlich Vater eines Sohnes und konnte trotz des kümmerlichen Gehalts ein einigermaßen gesichertes Leben führen. Wahrscheinlich war die Zeit bis zum Jahr 1944 die glücklichste Phase in seinem Leben. Zusammen mit seiner Frau Kim Bok-soon (19221979), die seine treue Lebensgefährtin und gleichzeitig sein einziges Modell war, kämpfte er sich durch alle Schwierigkeiten.
Moderner Sinn für Urbanität Park war ein Künstler, der sich die Tradition mit einem modernen Sinn für Urbanität vollständig zu eigen machte. Er selbst hatte seine Lebensgrundlage vom Land in die Stadt verlegt, wo er schließlich nach einiger Zeit des Herumdriftens am Stadtrand unter großen Schwierigkeiten Fuß fasste. Dementsprechend verlagerten sich die Motive seiner Werke von Gestern auf Heute, vom Klassischen auf die Moderne. Der Kunstkritiker Lee Kyung-sung (1919-2009) schrieb einmal: „Dass Park ländliche Motive, die leicht monoton und klischeehaft wirken können, als Sujet nahm und sie nicht in minderwertige Landschafts-Hobbymalerei herabgleiten ließ, sondern sie zu einer reinen, hohen Lyrik der Nation sublimierte, ist Beweis für sein Talent. Vielleicht ist dies auch eher Manifestation seines ungekünstelten Charakters als seines Talents. Die Schlichtheit seiner Werke rührt außerdem von daher, dass er dem Wesen nach — so lange er auch malen mag — für immer bis zum gewissen Grad ein Amateurmaler ist und bleiben wird. Seine Werke sind von einer primitiven Gesundheit, die weder durch technische Geschicktheit noch durch künstleri1. (1953), 28 x 13 cm, auf Leinwand Mädchen mitÖlBaby auf dem Rücken 2. (1965), 20,5 x 36,5 cm, Öl auf Holzfaserplatte Der Weg nach Hause
1
sche Finesse befleckt ist. Ein Maler dieser Art wird nicht einfach und allein aus der Kraft seiner eigenen Anstrengungen geboren, sondern ist ein natürliches Produkt seiner Zeit und seines Umfelds.“ Park Soo-keun begann als Amateur, der keine Ahnung von akademischen Theorien oder Techniken hatte, und konnte nicht anders, wenn auch nicht bewusst, als das Lokaltypische des kolonialisier-
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2
ten Landes zum Thema seines künstlerischen Schaffens zu machen.
symbolisieren suchte, war wohl das „Leben des Zeitalters“. Für Park,
Von seinen Erstlingswerken aus den 1930er und 1940er Jahren ist
der die Stadt und den Krieg erlebt hatte, wurden Rustikalität und
heute so gut wie keins mehr erhalten. Seine Werke aus dieser Zeit,
Schlichtheit zu symbolischen Motiven. Auch das Leben der einfachen
die heute nur noch als Fotografien existieren, bestehen meistens
Bürger am Rande der Stadt, das er erneut als Sujet aufgriff, erhielt
aus kurvigen Linien und weisen Sorgfalt und Grobheit zugleich auf.
allmählich die Form eines symbolischen Motivs wie Mythen und
Ab den 1940er Jahren begann er, mit dicken Farbschichten und brei-
Legenden, die in die Steinbuddhas eingegangen waren. Sein Interes-
ten Umrissen zu malen, wobei seine Bemühungen, das Objekt durch
se hatte sich unversehens auf „Bilder, die die Quelle der Schönheit
Schattierung und Komposition abzubilden, stärker hervortraten.
spüren lassen“, verlagert bzw. auf „schöne Bilder“.
Parks Ölmalerei Frauen beim Ausgraben von Wildgemüse – Früh-
Park Soo-keun nahm die Stimmung der kapitalisierten Stadt in seine
ling aus den 1940er Jahren, die die Komposition seines Aquarells
Bilder auf, wobei er beständig nach Stilisierung strebte. In der Nach-
Frühling aus dem Jahr 1937 getreu kopiert, und das Gemälde Frau
kriegszeit verkörperten seine Werke die Avantgarde schlechthin auf
am Mühlstein, das vermutlich aus den späten 1940er Jahren stammt,
eine Weise, die kein anderer nachzuahmen vermochte. Nur durch
sind entsprechende Beispiele dafür.
Heiterkeit und Ernsthaftigkeit erreichte Park über seine unvergleich-
Mitte der 1950er Jahre zeigen Parks Werke eine deutliche Tendenz
liche Originalität hinaus mühelos den modernsten Stil seiner Zeit.
zur Stilisierung: Die Objekte wurden verflacht dargestellt, die Lini-
Der Kunstkritiker Lee Kyung-sung erklärte: „Mit Grau als Hauptton
en einfacher und gerader. Gute Beispiele dafür sind Frau am Mör-
leuchten Weiß, Schwarz und die gelegentlichen Tupfer Blaugrün wie
ser und Waschplatz (beide 1954) oder Baum und zwei Frauen (1962).
Sterne auf seinen Melancholie-durchtränkten Leinwänden. [...] Auf
Park trug mehrere Farbschichten auf und schuf so eine unebe-
diesen soliden Strukturen trug er Schicht für Schicht die für ihn typi-
ne Oberflächentextur ähnlich den verwebten Fäden eines Stoffes.
schen Farben auf, monoton, doch subtil und zart.“
Dadurch gelang es ihm, die Oberflächenbeschaffenheit traditioneller
Park Soo-keun, der während der japanischen Kolonialherrschaft und
Granitskulpturen zu imitieren. Damals erwähnte er, dass er bei tra-
anschließend im Krieg und modernen Kapitalismus ein hartes Leben
ditionellen koreanischen Steinpagoden und steinernen Buddhafigu-
geführt hatte, fand nach seinem Tod höchste Anerkennung und
ren die Quelle einer unbeschreiblichen Schönheit entdeckt habe, die
wurde zu einem der von den Koreanern besonders geliebten „nati-
er in seine bildnerische Gestaltungssprache aufzunehmen bemüht
onalen Maler“. An der Grenze zwischen Primitiven und Zivilisier-
sei. 1962 beschrieb er seine Werke und seinen Malstil wie folgt: „Der-
tem, Land und Stadt, Realismus und Abstraktion sowie Tradition und
zeit verfolge ich einen symbolistischen und impressionistischen Mal-
Modernität schuf er Lyrizität in reinster Form und erreichte schließ-
stil und bemühe mich, schöne Bilder zu schaffen.“ Das, was er zu
lich die ferne Welt des Nirwana.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 25
FOKUS
Sprunghafte Zunahme der Zahl chinesischer Touristen Kim Bo-ram Journalistin, Hankyung Magazin
Vorteile und Herausforderungen
2014 waren ca. 100 Mio. chinesische Touristen auf der ganzen Welt unterwegs. Mit über 6 Mio. Besuchern stand Korea unter den Reisezielländern an erster Stelle. In Seoul war an allen Touristenattraktionen wie z.B. im Innenstadtviertel Myeong-dong, auf dem Namdaemun-Markt oder an den Straßen und Spazierwegen entlang des Flusses Cheonggye-cheon überall Chinesisch zu hören und Laden- oder Informationsschilder mit chinesischen Schriftzeichen sind in der Hauptstadt bereits ein alltäglicher Anblick.
L
China waren im letzten Jahr die beliebtesten Reiseziele der
Chinesische Touristen: neue Antriebskraft für koreanische Tourismusbranche
aut der Nationalen Tourismusorganisation der Volksrepublik Chinesen Hongkong, Macau und Korea. Da Macau und Hong-
Der rasante Anstieg der Zahl chinesischer Touristen revitalisiert
kong chinesische Sonderverwaltungszonen sind, kann man sagen,
die koreanische Tourismusbranche und den Binnenmarkt. Ange-
dass Korea das beliebteste Auslandsreiseziel für die Chinesen war.
sichts der zunehmenden Bedeutung für die koreanische Wirtschaft
Dass die Zahl der chinesischen Touristen so drastisch gestiegen ist,
ist für die Besucher aus China sogar der respektvolle Neologismus
ist v.a. dem Zusammenspiel verschiedener begünstigender Faktoren
„Youke“ (遊客, wörtlich „der reisende Gast“) aufgekommen. Laut
wie der Korea-Welle in China, der geographischen Nähe, Hongkongs
der Koreanischen Tourismusorganisation KTO geben die Youke
Beschränkung der Besucherzahlen aus Festland-China und dem
während ihres Koreabesuches sagenhafte 82,8% ihres Reisebud-
Konflikt zwischen Peking und Tokio zu verdanken.
gets für Shopping aus. Das heißt, die absolute Mehrheit der chi-
26 KOREANA Frühjahr 2015
Bis vor kurzem sind die meisten chinesischen Touristen hauptsächlich zum Shoppen nach Korea gekommen. Sie kaufen Markenartikel in den Duty-Free-Läden am Flughafen, in der Innenstadt oder im Kaufhaus, aber auch massenweise Niedrigpreis-Produkte auf den traditionellen Märkten wie dem Dongdaemun-Markt.
nesischen Touristen kommt hauptsächlich zum Einkaufen nach
aufs Shopping und versuchen, die Touristen zum Kauf zu animieren,
Korea. Sie erwerben nicht nur hochwertige Markenwaren in den
d.h. sie sehen die „reisenden Gäste“ aus China nur als „kaufkräfti-
Duty-Free-Shops in Flughäfen oder Nobelkaufhäusern, sondern
ge Gäste“. Statt Touren, die den chinesischen Besuchern authenti-
auch massenweise Niedrigpreis-Produkte in den Einkaufsstraßen
sche Erlebnisse der koreanischen Kultur ermöglichen, bieten solch
von Myeong-dong oder auf dem Dongdaemun-Markt. Laut Statis-
umsatzorientierte Agenturen nur Nullachtfünfzehn-Paketreisen
tik stehen Kosmetika, Kleiderwaren, Lebensmittel und kräuter-
unter dem voreingenommenen Pauschalurteil „Youke = Shoppen“ an,
medizinische Zutaten ganz oben auf der Einkaufsliste. Dank der
so die Kritik.
Kaufkraft der chinesischen Touristen stieg neben dem Umsatz der koreanischen Markenwarenhersteller auch der der Händler
Auf der Suche nach Reiseerlebnissen anderer Art
auf dem Dongdaemun-Markt. Die koreanische Tourismusbilanz
Angesichts dieser Sachlage macht sich in letzter Zeit eine gewis-
schaffte es so nach zwei Jahren wieder in den Bereich der schwar-
se Veränderung in den Reisevorlieben der Touristen aus China
zen Zahlen. Die Youke haben sich also quasi unversehens über
bemerkbar: Sie möchten zunehmend Land und Leute auf vielfäl-
Touristen hinaus zu einer wichtigen Stütze für den gesamten Dis-
tigere und besondere Weise erleben. Eins der deutlichsten Phä-
tributionsbereich und den Tourismus Koreas entwickelt.
nomene in dieser Hinsicht ist, dass immer mehr Youke die korea-
Neben solch erfreulichen Nachrichten, die der Anstieg der chine-
nische Kultur durch Theater- und Musical-Aufführungen erleben
sischen Touristen mit sich bringt, ist aber auch von bedauerlichen
möchten. Vor allem die sog. nonverbalen Aufführungen, die ohne
Begleiterscheinungen zu hören. Manche Reiseagenturen, die bil-
Dialoge nur aus Tanz und Körpergestik bestehen, erfreuen sich
lige Pauschalreisen anbieten, planen ihre Touren gezielt mit Blick
zunehmend Popularität. Dadurch, dass die Stärke im nonverba-
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 27
Die individuell reisenden Touristen aus China zieht es überall hin, wo sie den koreanischen Lifestyle genießen können. Der Trendwandel zu mehr Individualismus führt sie jetzt nicht mehr nur zu den herkömmlichen Touristenattraktionen und in die Shoppingzentren, sondern auch zu den von den jungen Koreanern frequentierten Hotspots wie Itaewon, dem von Bäumen gesäumten neuen Trend-Mekka Garosugil im Seouler Südviertel Sinsa-dong, oder lokalen Restaurants, die bislang eher ein Geheimtipp unter Koreanern waren.
1
1. Bei den „Youke“ (遊客, chin. Bez. für „Tourist“), die einst als „Fahnentruppen“ einem Reiseführer hinterher eilend von einer Sehenswürdigkeit in Seoul zur nächsten zogen, macht sich ein Wandel im Reiseverhalten bemerkbar. 2. Nonverbale Performances auf Basis von Körpergestik und Tanz gehören zu den neuen Tourismusangeboten für diejenigen Youke, die Korea auf vielfältigere Weise erleben möchten. Hier eine Straßenvorführung der nonverbalen Show Jump .
len Theater darin liegt, dass es anders als K-Pop oder TV-Serien
Koreas erkunden, ein Wandel, der von jüngeren Touristen auf der
nicht auf die Stars angewiesen ist, wird ein neues Korea-Welle-
Suche nach Reisen mit individuellerer Note ausgelöst wurde. Zu den
Genre erschlossen. Mund-zu-Mund-Propaganda hat bewirkt, dass
neuen Hotspots zählen unter anderem die Insel Jeju-do, der Strand
nonverbale Aufführungen inzwischen auch bei Pauschalreisen ein
Haeun-dae in Busan und die Provinz Gangwon-do. Besonders Jeju-
Muss geworden sind.
do und Gangwon-do konnten ihre Positionen als All-in-one-Urlaubs-
Laut PMC Production, der Produktionsfirma der nonverbalen Per-
ziele stärken, da sie neben der reizvollen Natur und Landschaft auch
formance Nanta , einer unterhaltsamen Comedy rund ums Thema
mit neuen Resortanlagen, Themenmuseen, Unterhaltungseinrich-
Kochen, waren während der chinesischen Nationalfeiertage letz-
tungen und Shoppingzentren werben können.
tes Jahr über 80% aller Besucher des Nanta-Theaters in Myeongdong chinesische Touristen. Der Gewinner des Events anlässlich der
Korea richtig erleben
Erreichung der 10-Millionen-Besuchermarke der Nanta -Aufführung
Auch das Reiseverhalten erfährt einen Wandel. Während chine-
war ebenfalls ein Chinese, der sich die Performance am 29. Dezem-
sische Pauschalreisende bisher in sog. „Fahnentruppen“ einem
ber 2014 ansah. Noch bis vor ein, zwei Jahren war die Halle gefüllt
Fähnlein-schwingenden Reiseführer hinterherzogen und sich nur
mit Gruppenreisenden, aber heutzutage kommen immer mehr Indi-
die touristischen Hauptattraktionen in Seoul ansahen, reisen mitt-
vidualtouristen ins Theater. Es ist nicht mehr so selten, dass sich auf
lerweile immer mehr Chinesen individuell oder in kleineren Grup-
eigene Faust reisende Touristen vor ihrem Koreabesuch Tickets für
pen. Nicht nur die Zahl der Individualreisenden steigt, auch die
bestimmte Vorstellungen über die chinesische Webseite Hanyou-
Qualität des Reisens erhöht sich. Denn da die Zahl der Chinesen,
wang (www.hanyouwang.com) buchen, über die die meisten chinesi-
die zwei, drei Mal nach Korea kommen, nach und nach zunimmt,
schen Touristen Informationen über Korea erhalten sollen.
ist es entsprechend schwer, die Touristen zufrieden zu stellen, die
Auffällig ist auch, dass sich die Youke nicht länger auf Seoul als Rei-
über Nullachtfünfzehn-Standardtouren mit Shopping in Myeong-
seziel beschränken, sondern allmählich auch andere Regionen
dong und Duty Free Läden hinaus etwas Neues sehen möchten.
28 KOREANA Frühjahr 2015
2
Die individuell reisenden Touristen aus China zieht es überall hin,
bessert und Kommunikationsinstrumente wie Smartphone-Apps mit
wo sie den koreanischen Lifestyle genießen können. Der Trendwan-
touristischen Informationen, die auch des Koreanischen unkundige
del zu mehr Individualismus führt sie jetzt nicht mehr nur zu den
Touristen anwenden können, entwickelt werden.
herkömmlichen Touristenattraktionen und in die Shoppingzentren,
Nicht wenige Reiseagenturen haben bereits verschiedene substan-
sondern auch zu den von den jungen Koreanern frequentierten Hot-
zielle Anstrengungen zur Anlockung weiterer chinesischer Touris-
spots wie Itaewon, dem von Bäumen gesäumten neuen Trend-Mekka
ten auf den Weg gebracht. Für Individualreisende haben sie z.B. sog.
Garosu-gil im Seouler Südviertel Sinsa-dong oder lokalen Restau-
„Airtel(Flug plus Hotel)-Produkte“ entwickelt und bieten Themen-
rants, die bislang eher ein Geheimtipp unter Koreanern waren. Die-
orientierte Reiseprogramme wie Medizin-Touren, Touren rund um
ser Wandel steht genau genommen im Einklang mit dem weltweiten
die Hochzeit, Touren mit Besuch der traditionellen Märkte usw. an.
Trend in der Tourismusbranche: Über die einfache Besichtigung der
Am wichtigsten ist jedoch, sein Augenmerk auf die verschiedenen
Touristenattraktionen hinaus wollen sich die Touristen heutzutage
Präferenzen der Individualreisenden und den Wandel in den Rei-
mehr unter die Einheimischen mischen, was sich letztendlich auch
sevorlieben zu richten. Es müssen dringend gehaltvolle Reisepro-
auf das Reiseverhalten der Chinesen auswirkt.
dukte mit Inhalten entwickelt werden, die in der jeweiligen Art nur
Touristen aus China sind zwar mittlerweile in allen Ecken und Enden
Korea bieten kann und die einen entsprechend nachhaltigen Ein-
Koreas angekommen, doch touristische Infrastruktur und Dienst-
druck hinterlassen, d.h. die chinesischen Besucher sollten wirk-
leistungen lassen noch zu wünschen übrig. Individualreisende, die
lich als wertvolle reisende Gäste betrachtet werden und nicht mit
von Unterkunft über Fortbewegung im Land und Wahl der Reisezie-
Fokus auf ihre Kaufkraft und den kurzfristigen Gewinn. Es ist an
le bis hin zur Verpflegung alles selbst arrangieren müssen, haben
der Zeit, sich Gedanken über konkrete Maßnahmen, mit denen der
dementsprechend größere Unbequemlichkeiten als Pauschalreisen-
Zustrom chinesischer Touristen weiterhin sichergestellt werden
de. Deshalb ist es dringend erforderlich, dass das öffentliche Ver-
kann, zu machen, unablässig ein Augenmerk darauf zu haben und
kehrssystem und die Straßenausschilderung in den Regionen ver-
konsequent diesbezügliche Investitionen zu tätigen.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 29
INTERVIEW
LEE JA-RAM
Jungstar des Pansori
Kim Soo-hyun Kolumnistin für Darstellende Kunst Fotos Cho Ji-young
Die Sängerin Lee Ja-ram (36) ist der neue Star des traditionellen epischen Sologesangs Pansori. Sie ist diejenige, die in der Welt der traditionellen Musik Gugak die Publikumsbasis des Pansori, die sich lange Zeit nur auf bestimmte Altersgruppen beschränkt hatte, ausweitete und Jung und Alt, Männer und Frauen zu Pansori-Aufführungen lockte. Bisher waren alle ihre Vorstellungen
ausverkauft, was bei diesem Genre eher selten vorkommt. Sie ist nicht nur in Korea gefragt, sondern auch auf ausländischen Festivals. Ich traf Lee im Januar nach ihrer Rückkehr vom Sydney Festival 2015 , wo sie erfolgreich Ukchuk-ga: Pansori Mother Courage aufgeführt hatte, die Pansori-Version von Bertolt Brechts Drama Mutter Courage und ihre Kinder .
M
utter Courage bricht über dem Leichnam ihrer
Rezitation und Narration übernimmt, während gleichzei-
Tochter in herzzerreißendes Schluchzen aus. Das
tig der dramatische Effekt maximiert wird, indem neben
Publikum im voll besetzten Drama Theatre des
traditionellen koreanischen Instrumenten andere Ins-
Opernhauses von Sydney überschüttet die Pansori-Sänge-
trumente wie afrikanische Schlaginstrumente, Gitar-
rin Lee Ja-ram mit Applaus für ihren von Han, dem typisch
re und Bassgitarre eingesetzt werden. Hinzu kommt,
koreanischen Gefühl des inneren Grolls, erfüllten Klage-
dass Ukchuk-ga zwar auf Brechts Drama basiert, die
gesang. Während der zweieinhalb Stunden, in denen Lee
Geschichte der starken Frau, die im Krieg ums Überleben
Ja-ram alle 15 Rollen von Ukchuk-ga, darunter auch die der
kämpft, jedoch vor der Kulisse des Jeokbyeok-ga spielt,
Protagonistin Mutter Courage, solo darbot, waren immer
eine der fünf heute noch erhaltenen traditionellen Panso-
wieder begeisterte Beifallsbezeugungen zu hören. Fiona
ri-Aufführungen, die die historische chinesische Legende
Winning, die Programmdirektorin des Sydney Festivals ,
von der Schlacht am Roten Felsen (208) zur Zeit der Drei
sagte: „Da auf dem australischen Theatermarkt Panso-
Reiche (ca. 184–280) thematisiert.
ri überhaupt nicht bekannt ist, war es eine gewagte Ent-
Sacheon-ga , ein weiteres kreatives Pansori-Stück von
scheidung, dieses Stück auf die Bühne zu bringen. Umso
Lee Ja-ram, das bereits 2008, also noch vor Ukchuk-
mehr freuen mich die große Begeisterung des Publikums
ga (2011), präsentiert wurde, beschreibt auf Vorlage von
und die unerwartet vielen lobenden Kritiken“. Lee Ja-ram
Brechts Der gute Mensch von Sezuan die Gesellschaft der
selbst hatte während der Vorführung das Gefühl, dass
Zeit. Im Korea des 21. Jhs versucht die Protagonistin Sun-
„Hitze aus dem Zuschauerraum emporwallt“.
deok, „wie ein guter Mensch“ zu leben, hat dabei aber mit
Ukchuk-ga , bei dem Lee in einer Person für Text, Kompo-
den Widersprüchen des Lebens zu kämpfen. Begleitet von
sition der narrativen Gesangsstücke, künstlerische Lei-
lebendig leichter Pansori-Musik werden die lächerlichen
tung und Performance zuständig war, ist ein sog. „kre-
und törichten Züge der modernen koreanischen Gesell-
atives Pansori-Stück“, angesiedelt an der Schnittstelle
schaft wie Schönheits- und Bildungswahn und grenzen-
von traditionellem Pansori und westlichem Theater. Es
lose Konkurrenz aufs Korn genommen. Für diese Vorfüh-
bewahrt die distinktiven Merkmale des traditionellen
rung wurde Lee 2010 auf dem International Theatre Festi-
Pansori, einer erzählenden „Ein-Mann-Oper“, in der ein
val KONTAKT in Polen mit dem Preis „Beste Schauspiele-
Solosänger Gesang und schauspielerische Darstellung,
rin“ geehrt.
30 KOREANA Frühjahr 2015
Die junge Pansori-Diva Lee Ja-ram schl채gt das mit dem epischen Sologesang Pansori nicht vertraute Publikum mit ihrer zarten Stimme und ihrem unaffektierten Auftreten in den Bann.
Lee Ja-ram reflektiert das gegenwärtige Zeitalter im
Kim Seit langem sieht sich die koreanische Kunstwelt
Spiegel von klassischen Werken und löst universale Sor-
vor die Aufgabe gestellt, den Bekanntheitsgrad der korea-
gen und Nöte durch Pansori wie Sachun-ga und Ukchuk-
nischen traditionellen Kunst in der Welt zu erhöhen. Dies-
ga , Stücke, die nicht nur in Korea, sondern auch in ande-
bezüglich sagt man, dass „das typisch Koreanischste das
ren Ländern wie z.B. Frankreich, Polen, Rumänien, Bra-
Internationalste“ sei. Was denken Sie darüber?
silien und Uruguay erfolgreich aufgeführt wurden. Seit
Lee Ich würde sagen, dass „das, was meinem Ich am
2011 wird sie jedes Jahr vom Théâtre National Populaire
meisten entspricht, auch das ist, was am internationals-
in Lyon eingeladen.
ten anspricht“. Wenn man auf der Straße die Passanten danach fragen würde, was für sie wohl das Korea-
„Das wahre Ich ist das international ansprechendste Ich“
nischste ist, würde jeder eine andere Antwort geben. Ich denke, dass das wahre Ich am zeitgenössischsten ist und
Kim Soo-hyun Das Drama Theatre des Opernhauses von
das Zeitgenössischste das wahre Ich ist, das die gegen-
Sydney ist berühmt dafür, dass es nur Werke von originärem
wärtige Gesellschaft widerspiegelt. Manche sagen, dass
künstlerischen Gehalt auf die Bühne bringt. Dass gerade dort
ich ein repräsentatives Beispiel für die ‚Popularisierung
koreanisches Pansori aufgeführt wurde, sorgte wohl deshalb
und Globalisierung der koreanischen traditionellen Kul-
als spezieller Fall im In- und Ausland für Furore. The Sydney
tur‘ sei, aber ich selbst arbeite überhaupt nicht in diesem
Morning Herald schrieb, dass die Aufführung „devastating
Bewusstsein. Ich habe mir einfach Fragen gestellt, auf die
(umwerfend)“ gewesen sei, und dass selbst Bertolt Brecht
ich Antworten zu finden versucht habe, und dabei konnte
damit zufrieden gewesen wäre. Wie waren die tatsächlichen
ich Anhaltspunkte zur Kommunikation mit einem breiteren
Reaktionen vor Ort, wie empfanden Sie sie?
Publikum finden.
Lee Ja-ram Mir kam es so vor, als ob ich dem Publikum
Kim Während einer Pansori-Aufführung kommuniziert
in einem Land, in dem Pansori ein völlig unbekanntes Genre
das Publikum aktiv mit dem Pansori-Sänger, indem es
ist, erzählt hätte: „DAS ist Pansori, DAS ist Korea!“ In Euro-
Chuimsae, zustimmende und anfeuernde Zwischenrufe
pa und Lateinamerika war ich schon öfter, aber da es mein
wie „Eolssu!“, „Eolssigu!“, „Jota! (Prima!)“ oder „Jal handa!
erster Auftritt im englischsprachigen Raum war, war ich sehr
(Macht es gut!)“ von sich gibt. Wie ist es bei den Aufführun-
aufgeregt, ja geradezu ängstlich. Doch dann brach ab Mitte
gen im Ausland?
der Vorführung ein solcher Applaus los, dass ich schon mal
Lee Ich erkläre den Zuschauern, wie die Anfeuerungs-
kurz in meiner Darbietung stoppen musste. Es war, wie man
rufe in die Vorführung eingestreut werden, folgenderma-
heute sagt, „der Knaller“ und ich spielte in bester Stimmung.
ßen: „Beim Pansori gibt es die sog. Chuimsae-Zwischen-
Der Bühnendirektor meinte, dass er in seinen 26 Jahren
rufe. Wenn das Publikum Chuimsae zwischenruft, gibt
am Theater nur selten so viele stehende Ovationen während
das dem Pansori-Sänger neue Kraft und Begeisterung.
einer einzigen Aufführung erlebt hätte.
Ich mache es Ihnen einfach mal vor und dann probieren
Kim Was an Ukchuk-ga war so besonders für das Publikum?
wir es zusammen“. Und weil die Zuschauer mich dann auch irgendwie unterstützen und ermuntern wollen, klat-
Lee Es gibt mehrere Besonderheiten, die das heimi-
schen sie zwischendurch zumindest enthusiastisch, wenn
sche und ausländische Publikum gleichermaßen begeis-
es schon verbal nicht so richtig klappt. Einmal sagte ich
tern, wie z.B., dass beim Pansori der Solosänger sämtliche
am Ende der Aufführung zum Publikum: „Ich fühle mich
Rollen spielt und voller Konzentration über lange Zeit die
so, als ob ich jetzt Ihr Freund geworden bin. Genau das
Entwicklung des dramatischen Geschehens voranbringt;
bewirkt Pansori. Ob Sie vorher schon etwas von Pansori
oder dass nicht einfach Töne erzeugt, sondern verschiede-
wussten oder nicht: Jetzt haben Sie es erlebt“.
ne, reiche Stimmtexturen kombiniert und entfaltet werden. Am meisten hat man jedoch darüber gestaunt, dass
„Die Tradition aufrechtzuerhalten ist meine Berufung“
es gelungen ist, eine altehrwürdige Tradition in neuem
Letztes Jahr hat Lee Ja-ram An Ugly Person/Murder der
Gewand attraktiv zu machen. In den Rezensionen zu mei-
Öffentlichkeit vorgestellt, eine Pansori-Reihe, die auf zwei
ner Vorführung wurde sogar erwähnt, dass man sich
Erzählungen von Joo Yo-seop (1902-1972) basiert. An Ugly
Überlegungen über die künftige Richtung der westlichen
Person handelt von einer hässlichen Frau, die seit ihrer
Oper, dem eigenen traditionellen Genre, machen sollte.
Geburt als Monster behandelt wird, und Murder von einer
32 KOREANA Frühjahr 2015
Lee Ja-ram bei ihrer zweieinhalbst端ndigen Solovorf端hrung von Ukchuk-ga: Mutter Courage und ihre Kinder, in der sie 15 verschiedene Rollen spielt.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 33
Lee Ja-rams liebliches Lächeln und ungeschminktes Gesicht lassen kaum Assoziationen zu ihrer charismatischen, das Publikum überwältigenden Präsenz auf der Bühne aufkommen.
„Ich denke, dass das wahre Ich am zeitgenössischsten ist und das Zeitgenössischste das wahre Ich ist, das die gegenwärtige Gesellschaft widerspiegelt. Manche sagen, dass ich ein repräsentatives Beispiel für die ‚Popularisierung und Globalisierung der koreanischen traditionellen Kultur‘ sei, aber ich selbst arbeite überhaupt nicht in diesem Bewusstsein. Ich habe mir einfach Fragen gestellt, auf die ich Antworten zu finden versucht habe, und dabei konnte ich Anhaltspunkte zur Kommunikation mit einem breiteren Publikum finden.“ Prostituierten, die sich zufällig verliebt und auf ihr Leben
kleinen Bühnen machen sollte. Deshalb bin ich auch ganz
zurückblickt. Darüber hinaus hat Lee Gute Reise, Herr Prä-
froh darüber, dass mein nächstes Stück, Our Town (Unse-
sident von Gabriel García Márquez als Pansori adaptiert
re kleine Stadt) von dem amerikanischen Schriftsteller
und in der Konzerthalle der Tongyeong International Music
Thornton Wilder), in etwas größerem Rahmen präsentiert
Foundation aufgeführt. Lee Ja-ram, die auf diese Weise
wird. Mir sind einfach nur große Bilder eingefallen, die in
unermüdlich etwas Neues ausprobiert, sieht in der Auf-
einem kleinen Theater kaum zu verwirklichen sind.
rechterhaltung des traditionellen Pansori ihre Berufung.
Kim An Ugly Person/Murder wurde mit drei Preisen
Ihr Pansori-Debüt erfolgte, als sie zehn Jahre alt war.
ausgezeichnet, darunter auch mit dem „New Concept
Nach ihrem Auftritt in einem Kinderprogramm über die
Theatre Price“ auf dem Dong-A Theatre Award 2014 . Wie
traditionelle Musik Gukak wurde sie die erste Schülerin
finden Sie die Bezeichnung „Theater Neuen Konzepts“?
der Pansori-Diva Eun Hee-jin (1947-2000), von der sie die
Lee Das ist eine Bezeichnung, für die ich dankbar bin.
Grundtechniken des Gukak lernte. Danach besuchte sie
Sieht man daran doch, dass die koreanische Theaterwelt
die Nationale Gukak Mittel- und Oberschule und erwarb
Pansori als zu ihrem Genre gehörig akzeptiert hat. Ehrlich
anschließend in der Abteilung für Koreanische Musik
gesagt hatte ich bisher das Gefühl, weder richtig zur Welt
an der Seoul National University ihren B.A.- und M.A.-
der traditionellen Musik zu gehören, noch zur Theaterwelt.
Abschluss, d.h. ihr Werdegang entspricht der „orthodo-
Der Preis zeigt, dass dem nicht so ist, und kommt als Ermu-
xen“ Laufbahn eines Pansori-Sängers. 1999, als sie zwan-
tigung und offizielle Anerkennung. Auch hoffe ich, dass es
zig war, wurde sie als jüngster Pansori-Interpret, der das
ein Anstoß dazu ist, dass der Pansori-Nachwuchs in Zukunft
über acht Stunden dauernde Pansori-Stück Chunhyang-ga
auch in der größeren Arena namens Theater aktiv sein kann.
durchsang, ins Guiness-Buch der Rekorde aufgenommen.
Kim Manche meinen, dass das traditionelle Pansori
Sie veröffentliche auch diverse Alben, darunter Sugung-ga,
immer mehr an Boden verliert, während sich der Bereich
Jeokbyeok-ga und Simcheong-ga .
des kreativen Pansori immer mehr ausweitet.
Kim Bei den Werken, die nach Sacheon-ga und Ukchuk-
Lee Ich denke, dass es wichtig ist, ein Gleichgewicht
ga auf die Bühne kamen, lassen sich Veränderungen aus-
zwischen beiden Pansori-Arten zu schaffen. Berichtet wird
machen.
zwar hauptsächlich über meine kreativen Pansori-Auf-
Lee Um ehrlich zu sein, gab es Zeiten, in denen mir der
führungen, doch habe ich gleichzeitig immer auch traditio-
Erfolg von Ukchuk-ga zu viel wurde. Die Belastung, allei-
nelle Pansori-Stücke aufgeführt, was weniger bekannt ist.
ne Großbühnen wie das LG Arts Center füllen zu müssen,
So gebe ich z.B. jeden Herbst im Yri Café neben der Hon-
wurde mir zu viel. Deshalb habe ich eine Zeit lang solch
gik University Aufführungen traditioneller Pansori-Stücke,
große Bühnen gemieden. Die Vortrefflichkeit des Pan-
und das vor vollen Sitzreihen mit jungem Publikum. Ich
sori, das ich mag, liegt im Kleinen, Schlichten: einfach in
denke, das ist Grund zur Hoffnung. Auch wenn es viel Kraft
Baumwollrock und T-Shirt mit einem Fächer in der Hand
und Mühe kostet, kann man durch unermüdlichen Einsatz
auf einer leeren Bühne zu stehen und trotzdem diesen
hier Veränderungen anstoßen.
bewegenden Moment des vollen Erfülltseins zu erreichen.
Kim Welche Pläne stehen nun an?
Das ist mir erst spät klar geworden. Durch Stücke wie An
Lee Zuerst werde ich Gute Reise, Herr Präsident , das in
Ugly Person/Murder oder Gute Reise, Herr Präsident , die
Tongyeong zum ersten Mal aufgeführt wurde, in Seoul auf
auf kleinen Bühnen aufgeführt wurden, habe ich versucht,
die Bühne bringen. Für den Sommer sind Vorstellungen in
dem ursprünglichen Aufführungsstil des Pansori wie-
Okinawa geplant und im nächsten Jahr dann in Frankreich,
der näher zu kommen. Natürlich bin ich in einem Alter, in
in Lyon. Ich hoffe, dass ich den Text für Our Town bis Ende
dem man noch keine Unterschiede zwischen großen oder
dieses Jahres ausarbeiten kann.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 35
HÜTER DES TRADITIONELLEN ERBES
Chyung Mi-sook
Die traditionelle Lebenskultur bewahren Chung Jae-suk Kulturredakteurin, Tageszeitung JoongAng Ilbo Fotos Hwang Gyu-beck, Cho Ji-young
K
OFUM-Direktorin Chyung Mi-sook trägt immer einen Hut. Oft sieht man sie auch mit Arbeitshandschuhen, Beweis dafür, dass sie hart
arbeitet, und zwar unter der Sonne. Jede Ecke der über 8.000m2 großen Museumsanlage in dem alten, noblen Wohnviertel Seongbuk-dong (330-557, Seongbuk-dong, Seongbuk-gu, Seoul) pflegt sie mit größter Sorgfalt. Kein Grashalm und kein Zierstein im Garten, der einfach so irgendwo wüchse oder läge, jedes Detail zeugt von Chyung Mi-sooks aufmerksamem und ästhetisch geschultem Blick, der dem Betrachter direkt scheue Ehrfurcht einzuflößen vermag. Zwanzig Jahre sind vergangen, seit sie 1995 den Grundstein für das Korea Furniture Museum legte. Diese Schatzkammer des Erbes der koreanischen Ess-, Kleidungs- und Wohnkultur war lange Zeit nur für einen exklusiven Kreis zugänglich. Doch jetzt öffnet das Museum seine
Chyung Mi-sook, Direktorin des Korea Furniture Museum (KOFUM), widmet ihr Leben dem Ziel, die über Jahrhunderte weitergegebenen Traditionen der koreanischen Ess-, Kleidungsund Wohnkultur in authentischer Form zu bewahren und
Pforten, um ein größeres Publikum anzusprechen.
zu präsentieren. Was sie damit zu bewahren sucht, ist die koreanische Seele.
nung in den Medien. Insbesondere der Besuch von
36 KOREANA Frühjahr 2015
Hauptbesucher: Mitglieder des diplomatischen Korps Zurzeit findet das Korea Furniture Museum oft ErwähPräsidentin Park Geun-hye, die hier im Juli 2014
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 37
1 1. Museum 20Chyung Jahre lange mithat hingebungsvoller Direktorin Mi-sook das Korean Furniture Sorgfalt geführt, um das Erbe der koreanischen Ess-, Kleidungs- und Wohnkulktur zu bewahren. 2. eher klein und einfach sind, beanspruchen sie nicht Da traditionelle koreanische Möbel normalerweise übermäßig viel nutzbaren Wohnraum und wirken nicht erdrückend. Ob alleine vor einer leeren Wand oder im Arrangement mit anderen Haushaltsgegenständen schaffen sie eine natürliche Raumharmonie.
den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping und dessen Gattin zu einem
Töchter immer wieder folgende drei Dinge ein: „Wenn du
offiziellen Mittagessen empfing, trug zur steigenden Bekanntheit bei. In den
Geld hast, dann reise viel; wenn du die Möglichkeit hast,
letzten Jahren wurde das Museum zu einer Attraktion, die hochrangige Gäste
dann tue etwas für dein Vaterland und deine Landsleu-
aus dem Ausland bei ihrem Seoul-Besuch als erste sehen möchten. Außer-
te, vor allem das, was andere übersehen oder vernach-
dem soll es ein Muss für die Gattinnen ausländischer Diplomaten sein, die
lässigt haben. Und lese viel“. Chyung erweiterte Wissen
mehr über die koreanische Kultur erfahren möchten. Auch internationale
über und Einsicht in die Welt durch Lesen und Reisen
Stars nehmen sich trotz ihres meist mörderischen Terminplans die Zeit für
und machte sich dann an die dritte Aufgabe, die quasi
einen Besuch. Der Schauspieler Brad Pitt soll 2013 seinen Eindruck in dem
zum Testament ihrer Mutter wurde.
Ausruf „Amazing!“ zusammengefasst haben. Die Empfehlung, das Museum
Weitere Unterstützung für ihr Möbelmuseum erfuhr sie
unbedingt zu besuchen, soll er von der amerikanischen TV-Moderatorin und
von ihren Schwiegervater, der das Projekt materiell auf
Star-Köchin Martha Stewart erhalten haben. Stewart, bekannt als „Königin
die Beine stellen half. Als sie ihm davon berichtete, dass
der Star Hauswirtschaft“, sei vollkommen hingerissen von koreanischen tra-
es ihre Kräfte übersteige, die seit ihrer Studienzeit in
ditionellen Holzmöbeln, insbesondere vom Soban, einem tragbaren Esstisch-
den 1960er Jahren aufgebaute Sammlung antiker Möbel
chen mit der Funktion eines Tabletts. Sie hatte bemerkt: „Die Koreaner schei-
angemessen zu pflegen und zu bewahren und sie des-
nen die Natur in ihren Möbeln eingefangen zu haben und es zu genießen, sie
halb überlege, sie der Stadt Seoul zu vermachen, riet er
auf diese Weise in ihrer Nähe zu haben.“
ihr, selbst ein Museum zu errichten und vermachte ihr zu
Das Museumsgelände beherbergt zehn traditionelle, vom Abriss bedroht gewe-
diesem Zweck ein wertvolles Stück Land in Seongbuk-
sene koreanische Hanok-Häuser, die aus verschiedenen Landesteilen hierher
dong. Ihrer Schwiegerfamilie gehörte das Seongnak-
verlegt und stilgetreu saniert wurden. Die Sammlung umfasst rund 2.500 seltene
won, eine der wenigen noch erhaltenen Residenzen mit
Holzmöbelstücke aus der Joseon-Zeit (1392-1910). Die wertvollen antiken Möbel
Garten, in der die Oberschicht der Joseon-Zeit die heißen
sind bescheiden, aber nicht unansehnlich, stilvoll, aber nicht pompös. Der ameri-
Sommermonate verbracht hatte. In diesem Sinne ist das
kanische Fernsehsender CNN stellte das Museum 2011 als „das schönste Muse-
Korea Furniture Museum das gemeinsame Werk zweier
um in Seoul“ vor. Doch was brachte Direktorin Chyung dazu, ein Projekt dieser
durch Heirat verbundener Familien.
Größenordnung anzugehen? Sie erklärt: „Meine Eltern haben mich dazu erzogen, stolz auf meine koreanische
Hartnäckige Direktorin mit Vorliebe für Reistruhen
Herkunft zu sein. Bei uns zu Hause gab es schon seit jeher viele antike Möbel,
Chyungs Lieblingsmöbelstück ist die Reistruhe Dwiju,
was mir früh die Augen für den traditionellen koreanischen Ästhektiksinn öffne-
der über die Jahrzehnte hinweg die Spuren unzähliger
te. Außerdem wollte ich meiner Mutter nacheifern, die ohne Rast und Ruh hart
Frauenhände eine unverwechselbare Patina verlie-
arbeitete.“
hen haben. Dwiju ist ein Küchenmöbel, in dem Getrei-
Chyung Mi-sooks Mutter war Dr. Lee Tai-young (1914 -1998), die erste Rechts-
de wie Reis oder andere Nahrungsmittel aufbewahrt
anwältin und Menschenrechtsaktivistin in Korea, Chyungs Vater Dr. Chyung
werden. Warum ausgerechnet die Reistruhe Dwiju,
Yil-hyung (1904- 1982), der als Außenminister diente, acht Mal ins Parlament
wo es doch viele andere elegante Holzmöbel gibt, wie
gewählt wurde und während der Militärdiktatur zu den Führern der Oppositions-
beispielsweise das nach allen vier Seiten offene Regal
partei gehörte. Zu ihren Lebzeiten prägte Lee Tai-young der jüngsten ihrer drei
Sabangtakja, die Büchertruhe Chaekgwe, das trans-
38 KOREANA Frühjahr 2015
2
„Während meiner Oberschulzeit erhielt ich ein Stipendium und konnte als Austauschschülerin nach Nashville im US-Bundesstaat Tennessee gehen. Die Kinder dort wollten wissen: Was esst ihr Koreaner? Was zieht ihr an? Wo wohnt ihr? Zu dieser Zeit lebten nur sehr wenige Asiaten in den USA. Was die Amerikaner am meisten interessierte, war die koreanische Lebensart. Als ich dann zurückblickte, fiel mir auf, dass ich selbst wenig über das Leben meiner Vorfahren wusste. So begann ich gleich nach meiner Rückkehr nach Korea damit, Möbelstücke zu sammeln.“
portable Lesetischchen Seoan, oder das niedrige
Teilnehmern nur nach vorheriger Online-Reservierung - , stehen in Einklang mit
Dokumentenschränkchen Mungap?
der Reistruhe als Symbol für etwas, das standfest seine Bestimmung erfüllt.
„Mein größter Stolz ist die Reistruhe. Zwar stand sie
Der Vorwurf, dass es sich um ein „hochgestochenes Museum“ handele, scheint
meist versteckt in einer Ecke des Hauses und war
in diesen strikten Regulierungen zu wurzeln. In großen Gruppen ist es jedoch
eher unscheinbar, aber tatsächlich war sie Herzstück
unmöglich, die würdevolle Eleganz der Hanok-Häuser und das Stilvolle der Möbel
des Hausrats, da sie zur Aufbewahrung von Getrei-
wirklich zu erfassen. Dafür bedarf es fachkundiger Führung und kleiner Grup-
de und anderen Nahrungsmitteln diente und somit
pen.
Leben und Gesundheit der ganzen Familie schützte.
Wer einmal einen geführten Rundgang gemacht hat, dürfte Chyungs Beharr-
Auch verschiedene Redensarten beziehen sich auf
lichkeit sofort verstehen, da sich ihm so komplett neue, bis dahin verschlos-
Dwiju wie z.B. ‚Großzügigkeit kommt aus einer vol-
sen gebliebene Seiten der Hanok-Häuser eröffnen. Der Besucher entdeckt
len Reistruhe.‘ oder ‚Erst wenn man an den Boden
die Qualität der Hanok neu, die als Wohnhäuser in ihrer Konstruktion den
der Reistruhe kratzt, weiß man den Wert des Reises
Menschen in Einklang mit der Natur in den Mittelpunkt stellen. Laut Chyung
zu schätzen.‘ Die Reistruhe ist also für das arbeiten-
brachte ihr Auslandsaufenthalt zu Ende ihrer Teenager-Zeit sie dazu, den
de Volk ein zuverlässiger Freund. Daher haben wir die
wahren Wert der Hanok-Häuser zu entdecken. „Während meiner Oberschul-
Reistruhe als Museumslogo genommen.“
zeit erhielt ich ein Stipendium und konnte als Austauschschülerin nach Nash-
Chyungs „Reistruhen-Theorie“ steht für ihre Lebens-
ville im US-Bundesstaat Tennessee gehen. Die Kinder dort wollten wissen:
philosophie. Die Prinzipien, nach denen sie das Museum
Was esst ihr Koreaner? Was zieht ihr an? Wo wohnt ihr? Zu dieser Zeit lebten
betreibt - keine Regierungsunterstützung annehmen,
nur sehr wenige Asiaten in den USA. Was die Amerikaner am meisten inte-
strenge Beschränkung der Öffnungszeiten auf fünf Tage
ressierte, war die koreanische Lebensart. Als ich dann zurückblickte, fiel
pro Woche und Einlass von Gruppen von maximal zehn
mir auf, dass ich selbst wenig über das Leben meiner Vorfahren wusste. So
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 39
1 2
40 KOREANA Fr端hjahr 2015
3 1. Das Korean Furniture Museum beschränkt den Einlass streng auf geführte Gruppen von max. 10 Personen. Ziel ist, den Besuchern ein Umfeld zu bieten, das es erlaubt, die anmutige Schönheit der traditionellen Gebäude und Möbelstücke voll zu würdigen. 2. In dem aus zehn Gebäuden im traditionellen Hanok-Stil bestehenden Museum sind 2.500 Holzmöbelstücke aus der Joseon-Zeit zu sehen. 3. Die niedrige Mauer auf einer Seite des Gartens ist mit den anmutigen Motiven von Schildkröte und den Vier Edlen Pflanzen (Pflaumenblüte, Orchidee, Chrysantheme und Bambus) geschmückt.
begann ich gleich nach meiner Rückkehr nach Korea
Seowon und ca. 230 Hyanggyo (lokale, einem konfuzianischen Schrein angeglie-
damit, Möbelstücke zu sammeln. Mein Stolz auf alles
derte Bildungseinrichtungen). Die Seowon waren in ihrer Blütezeit Wiegen der
Koreanische wuchs. Unsere alten Häuser, unsere tra-
wissenschaftlichen Gelehrsamkeit, vergleichbar mit den prestigereichen europä-
ditionellen Möbel und Kleidungsstücke flossen über
ischen Universitäten der Zeit. Aber wir haben sie so schnell vergessen und aufge-
von einem Maß an künstlerischem Geist und ästhe-
geben. Wenn wir eine Verbindung zwischen einem Seowon und jeweils einer Mit-
tischem Empfinden, das die moderne Kunst nicht zu
tel- bzw. Oberschule herstellen könnten, wäre es möglich, den Kindern in jungen
erreichen vermag. Der Gedanke, dass all dies bald
Jahren den Geist der Tradition einzuflößen. Zu diesem Zweck könnte man mit ein-
verschwunden sein könnte, setzte mich unter Druck,
fachen Dingen wie einer grundlegenden Reinigung der Seowon beginnen. Auch
etwas dagegen zu tun.“
könnten die Seowon nach entsprechender Herrichtung in Kultur- und Tourismusprogramme aufgenommen werden.“
Für eine „Dritte Renaissance“
Ein weiteres Projekt, für das sich Direktorin Chyung mit Leib und Seele einsetzt,
Zurzeit beschäftigt sich Chyung mit den Seowon, den
ist das Seongbukdong-Projekt. Auf Initiative und leidenschaftlichen Einsatz von
traditionellen konfuzianischen Akademien aus der
Chyung brachten die Stadt Seoul und die Bezirksverwaltung von Seongbuk-gu
Joseon-Zeit. Sie sucht diese Akademien auf und trifft
gemeinsam den Plan auf den Weg, das Viertel Seongbuk-dong zu einem „Cluster
sich auch mit denjenigen, die sich für ihren Erhalt ein-
der traditionellen Lebenskultur“ zu entwickeln. Seongbuk-dong ist ein geschichts-
setzen. Im Oksan Seowon hat sie Schritt für Schritt die
trächtiges Viertel, wo sich der Altar Seonjamdanji (Altar für die Göttin der Seiden-
Sammlungen studiert und für die Wiedereröffnung die-
würmer) aus der Joseon-Zeit befindet. Hier sollen die Königinnen seit der Zeit von
ses Seowon im April schon eine Großreinigungsakti-
König Sejong dem Großen im 15. Jh Maulbeerbaumblätter gepflückt und Stoffe
on geplant. Chyung ist äußerst besorgt über das kore-
gewebt haben. Außerdem ist der Ort reich an touristischen Ressourcen wie bud-
anische Bildungssystem, dass ihrer Meinung nach in
dhistischen Tempeln und Restaurants mit traditioneller koreanischer Küche und
einer Krise steckt und im Falle eines Zusammenbruchs
weist eine hohe Konzentration von Hanok-Häusern auf. Auch gibt es mehrere
die Grundfesten des Landes erschüttern könnte. Eine
Museen in der Umgebung, wie zum Beispiel das Gansong Art Museum, weitere
Lösung des Problems sieht sie in der Wiederbelebung
Kunstmuseen sind bereits in Planung. Chyung träumt heute davon, auch Museen
der Seowon.
für Seide, Messingwaren, Tonwaren, traditionelle Volksmalerei, regionale Küchen
„In den letzten hundert Jahren haben wir zu sehr nach
usw. nach Seongbuk-dong zu locken und so ein Museumsdorf aufzubauen.
den Modellen des westlichen Auslands gestrebt. Kann
Chyung kommentiert: „Während der Joseon-Zeit kam es im Abstand von 300
unser Land überhaupt eine Zukunft haben, wenn alle
Jahren zu zwei kulturellen Blüten: zunächst im 15. Jh unter König Sejong dem
intelligenten Jugendlichen nur noch in einem der Groß-
Großen (reg.1418-1450) und dann im 18. Jh unter König Yeongjo (reg.1724-1776)
konzerne unterkommen wollen? Welche Chancen kann
und König Jeongjo (reg.1776-1800). Nun sind wieder 300 Jahre vergangen und
es mit einer solchen geistigen Einstellung überhaupt
alle Anzeichen deuten auf eine dritte Renaissance im heutigen 21. Jh hin. Das
noch für Korea geben? Wenn wir unsere diesbezüglichen
Korea Furniture Museum ist zwar nur eine kleine Einrichtung, aber ich glaube,
Wertvorstellungen nicht ändern, werden wir in der Ent-
dass es dazu beiträgt, einen Kanal für einen größeren kulturellen Aufschwung
wicklung wieder zurückfallen. Es gibt landesweit ca. 670
zu schaffen.“
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 41
VERLIEBT IN KOREA
Wie Sie an Ihren Kimchi kommen und ihn genießen Ben Jackson Freiberuflicher Autor Fotos Cho Ji-young
Der Blog Eat-Your-Kimchi ist in den letzten vier Jahren zu einem großen Reich expandiert. Die Suche nach dem Studio im Seouler Stadtviertel Hongdae-ap endete vor einem riesigen, eindeutigen EYK-Logo an der Seite eines Gebäudes. Auf dem Parkplatz dahinter steht ein kleiner Heckklappen-Kia mit Eat-Your-Kimchi -Werbung, die schon aus dem All sichtbar sein dürfte. Irgendwo daneben ist das im August 2014 von EYK eröffnete You Are Here Café , kombiniert mit der Sprachlern-Webseite Talk to Me in Korean . Was ist passiert? 42 KOREANA Frühjahr 2015
E
nde 2010 posierten die EYK-Schöpfer Simon und
war]? Wir dachten, es sei einer von denen, getarnt als
Martina Stawski für das Titelblatt eines in Seoul
Ausländer. Warum sollte jemand überhaupt was auf
herausgegebenen englischsprachigen Magazins.
unsere Videos geben und dann noch so nett auftreten?
3D-Brillen auf der Nase, saßen sie bei Sonnenunter-
Wir glaubten, sie wollten uns irgendwohin locken, um
gang Popcorn essend auf einer Bank in einem Schilf-
uns um die Ecke zu bringen. Gott sei Dank war es dann
grasfeld im Seouler Noeul Park. Damals arbeitete das
aber nur ein cooler Typ aus England.“
vor Optimismus sprühende Paar aus Kanada mit Spud-
Die Zuschauerzahlen kletterten unaufhaltsam und
gy, ihrem „bunten Hund“, gerade ernsthaft an einem
nahmen historische Marken. Im EYK-Studio findet sich
Video-Blog der etwas anderen Art. Ihr unverwech-
ein offizieller YouTube-Preis für das Überschreiten der
selbarer Stil, mit dem sie neue Aspekte der koreani-
100.000-Zuschauer-Marke. Zum Zeitpunkt des Ver-
schen Kultur schräg-komisch verpackt präsentierten,
fassens dieses Artikels waren die drei YouTube Kanäle
und ohne jede Scheu — die Chemie stimmte einfach
der Stawskis insgesamt 241.033.279 Mal angeschaut
— auf dem Bildschirm agierten, begann Zuschauer in
worden, ein Erfolg, der auch dem Ehepaar Stawski die
aller Welt zu berauschen. Simon hatte wagemutig sei-
Sprache verschlägt.
nen Job als Englischlehrer an den Nagel gehängt, um
„Warum das überhaupt jemanden interessiert, ist mir
die Webeseite Eat Your Kimchi und den gemeinsamen
schleierhaft“, meint Simon. „Das werden wir wohl nie
YouTube Kanal zu entwickeln. Martina verdiente als
herauskriegen. Wir genießen das einfach so lange es
„Sugar Mama“ weiterhin die Brötchen.
geht.“ – kommentiert Martina. Die beiden agieren auch beim Interview als ein unge-
Simon und Martina Stawski eroberten mit ihren YouTubeVideos, in denen sie mit viel Humor und auf ihre ganz spezielle Weise Lifestyle und Popkultur Koreas vorstellen, die Herzen von Zuschauern im Inund Ausland.
Hinein ins Flammenmeer
wöhnlich gut abgestimmtes Team: witzig und enthu-
Es begann 2008, als die Stawskis auf dem Internationa-
siastisch, aber ohne den anderen zu dominieren. Wie
len Flughafen Incheon landeten. Vor ihnen lagen neue
Ping-Pong-Bälle springen ihre Späße hin und her,
Jobs als Englischlehrer. Hinter ihnen lagen andere
und sie scheinen ihre Freude daran zu haben. Dieses
Karrieren als Lehrer und verängstigte Eltern in Kana-
harmonische Miteinander dürfte Teil ihres Erfolgsge-
da, die Nordkoreas jüngste Drohungen, den Süden in
heimnisses sein: Einige Fans, die in einem schwierigen
ein Flammenmeer zu verwandeln, in Angst versetzten.
Familienumfeld aufgewachsen sind oder sich in einer
„Später wurde uns klar, das Nordkorea Metaphern wie
wackligen Partnerschaft befinden, kommentieren,
Meere und Feuer einfach mag“, sagt Martina.
dass das bloße Zuschauen dieses glücklichen Paares
„Flüssige Zerstörung“, fügt Simon hinzu.
ihnen Trost spendet.
Um ihre Familien zu beruhigen, filmten sie sich beim Essen von Sundubu-jjigae , einem beliebten Gericht mit
Alles unter Kontrolle
weichem Tofu. So startete eine ganze Serie von heute an
Ruhm, insbesondere in der Online-Welt, kann unbe-
die 2.000 Videos, die alles – vom Essen bis hin zu K-Pop
ständig und kurzlebig sein. Während andere vielleicht
– thematisieren und Fragen der Fans beantworten. Das
längst auf Grund gelaufen wären, reiten die Stawskis
Zielpublikum, das zunächst nur aus Familienmitgliedern
geschickt auf den Wellen ihrer Popularität, die bereits
bestand, umfasste bald auch Englischlehrer-Kollegen
epische Ausmaße erreicht hat. Ihr unbeschwertes Bild-
(sie merkten, dass nirgendwo Videos über praktische
schirm-Geplänkel ruht auf dem soliden Fundament
Dinge wie den Gebrauch einer koreanischen Waschma-
knallharter Zahlenanalysen. Simon, der sich selbst
schine oder das ordnungsgemäße Entsorgen von Müll
als Technik-Freak beschreibt, monitort und analy-
zu finden waren), Korea-Interessierte und Leute, die sich
siert beständig die Zuschauerzahlen, um herauszufin-
einloggten, um einfach Simon und Martina zu sehen.
den, welche Inhalte die Leute mögen und wie lange sie
„Ich erinnere mich noch an unseren allerersten
zuschauen, bevor sie gelangweilt weiterklicken. EYK
Zuschauer, einen gewissen Steve aus England“, sagt
passt seine Beiträge entsprechend an.
Simon. „Er schickte uns folgende Mail: ‚Hey, ich komme
Derzeit werden die Videos in sechs die Woche über
nach Bucheon und hätte gern einige Infos hierüber und
angebotenen Kategorien präsentiert: von K Crunch
darüber.‘ Erinnern Sie sich noch an Anti-English Spec-
Indie Segment am Sonntag, in dem koreanische Indie-
trum [eine koreanische Gruppe, die zu der Zeit für die
Musik vorgestellt wird, bis Wonderful Treasure Find
Belästigung muttersprachiger Englischlehrer bekannt
(WTF) Korea am Samstag, in dem das Paar seinen gut
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 43
entwickelten Sinn für das Absurde auf verschiedene ungewöhnliche Produkte und Objekte anwendet. Dazu gehören z.B. Hello Kitty Fußwärmer oder Soju-Gläser mit Markierungen für die optimale Menge So-ju (Reisschnaps) und Bier, Maek-ju , die es braucht, um ein perfektes Glas So-maek zu kreieren. Die Videos auf YouTube sind kurz und schlagkräftig, während die Webseiten-Einträge mehr Tiefgang bieten.
Internationale Fangemeinde Nach sieben Jahren ist die Fangemeinde riesig geworden. Sie haben bereits einige internationale Touren hinter sich: zweimal Europa, Australien, Singapur usw. Eine USA-Tour ist in Vorbereitung. „Es ist rührend und vewirrend zugleich“, sagt Simon. „Einige Leute stehen für unsere Events stundenlang 1. Simon und Martina vergnügen sich in einem Wasserpark auf einer Wasserrutsche und erklären, wie man selbst in der Stadt in diesen bei den Koreanern beliebten „Hitze-Fluchtburgen“ der Sommerschwüle entgehen kann. 2. Simon und Martina erklären Zutaten und Geschmack des kalten Nudelgerichts Naengmyeon , einer koreanischen Sommerspezialität.
Schlange. Im letzten Jahr, als wir vor Eröffnung unseres Cafés einen Tag des offenen Studios hatten, ist ein Australier extra dafür angereist. Er hatte uns bei unserem Melbourne-Besuch verpasst und wollte uns diesmal unbedingt sehen.“ Tatsächlich verblüfft es einen, aber die Touren des Paares geben auch Aufschluss über die Begeisterung ihrer Fans. „Wir hatten vergessen, dass wir schon so sieben Jahre Videos in Korea gemacht haben“, sagt Martina. „Die Leute sind damit aufgewachsen. Sie haben unsere Videos in ihrer Oberschulzeit und danach in der Uni verfolgt, d.h. sie haben erlebt, wie wir genau so wie sie gewachsen sind. In diesem Sinne ist es fast wie Reality TV. Sie haben uns zugeschaut, wie wir uns durch unser sprachliches Unvermögen im Koreanischen gekämpft haben, wie wir Sachen besprochen haben, die wir eigentlich gar nicht mochten. Ich hatte Bananen-Milch oder
Soseji [industriell gehärtete Käse-Fleisch-Masse, eingepackt in Plastikfolie und als Würstchen vermarktet] oder
Odeng [Kamaboko-Fischkäse-Gericht], das an Tteokbokki -Reiswurst-Straßenständen verkauft wird, gehasst. Fünf Jahre später haben wir aber beteuert: ‚Das ist die tollste Sache überhaupt!’ Sie haben miterlebt, wie wir uns verändert haben und gewachsen sind. In Bezug auf unsere Haare, unser Gewicht, unseren Stil, alles.“ Simon fügt hinzu, dass Online-Medien eine besonders enge Bindung zum Zuschauer schaffen: „Die Kamera ist genau vor dem Gesicht, wir schauen in die Linse, wir sprechen zu den Leuten, in vielen Videos sprechen wir sie mit Namen an. Wir machen Live-Chats, d.h. es gibt ein Gefühl der Gemeinschaft, das den traditionellen Medien abgeht.“
1
2
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 45
„Am eigenartigsten war für uns wohl der Auftritt in
stern-Himmel), einen Stehtisch („Dauernd zu sitzen,
unserer Heimatstadt, weil das Event gerade an unse-
soll so ungesund wie Rauchen sein.“– Martina), und
rer Alma Mater, der Universität von Toronto, stattfand“,
eine Wand mit allen Namen von EYK s Indiegogo-Spen-
erinnert sich Martina. „Leute als Zuschauer in dem
dern. Ein anderer Raum ist voller Waren, die über den
Raum zu sehen, in dem man einst im Seminar saß, und
Online-Store verkauft werden, während einige Wände
dann selbst auf dem Podium zu stehen, ist schon ver-
mit Geschenken, Briefen und Zeichnungen begeister-
wirrend. Unsere Eltern waren da, Simons Eltern saßen
ter Fans zugepflastert sind.
in der ersten Reihe und weinten sich die Augen aus.“
Sponsorship Wer isst EYK s Kimchi?
Das Eat Your Kimchi -Mobil auf dem Parkplatz war ein
Ausländer erscheinen oft in den koreanischen Medi-
weiterer Meilenstein in der Entwicklung von EYK . Der
en einfach deshalb, weil sie Ausländer sind. Wenn
Wagen, der seit Mai 2014 auf Koreas Straßen rollt, ist
sie dann noch Koreanisch sprechen, erhöht sich
das Ergebnis von über einem Jahr Anstrengungen,
der „Wunderaffen-Effekt“ um ein Vielfaches und sie
Kia Motors als Sponsor zu gewinnen. „Von einer Firma
erfreuen sich Starruhm, bis sie dann ein Skandal vom
Anerkennung zu finden, war schon ein tolles Gefühl“,
Podest fegt, eine außereheliche Affäre oder der Faux-
meint Martina. „Blogger und YouTuber erfahren im
pas, das Ostmeer als „Japanisches Meer“ zu bezeich-
Gegensatz zu anderen Ländern hier in Korea noch
nen. Ein Blick auf die Zuschauerzahlen von Simon und
nicht so viel Anerkennung. Man betrachtet sie nicht als
Martina zeigt, dass sie nicht in diese stereotype Kate-
echte Unternehmer und deshalb haben sie es schwer,
gorie gehören. „98% unser Zuschauer leben nicht in
Sponsoren zu finden.“ Der Wagen erscheint oft in den
Korea“, sagt Simon. „75% sind weiblich. Den höchsten
EYK-Videos und erleichtert das Reisen kreuz und quer
Prozentsatz macht die Altersgruppe von 20 bis 29 aus,
durchs Land. „Wir schicken Kia alle Aufnahmen mit
gefolgt von der von 13 bis 18. 35% sind aus den USA,
dem Wagen und Kia gefällt, wie wir ihn einsetzen“,
10% aus Kanada, 9% aus UK und viele aus Südost-
erklärt Martina. „Wir beschränken uns nämlich nicht
asien.“ Viele Fans haben sich als ethnische Koreaner
auf Werbestereotypen wie Hinweise auf all die tollen
erwiesen, die in amerikanischen Kleinstädten leben
Eigenschaften des Autos.“
und sich isoliert von der Kultur ihrer Ahnen fühlten. Sie
Weitere Meilensteine in der EYK -Geschichte sind die
finden es faszinierend, dass ein kanadisches Paar ganz
Weltreisen und die Eröffnung des You Are Here Café ,
ohne Scheu seine Bemühungen filmt, mit Land und
das nur einen Steinwurf vom Studio entfernt ist, im
Leuten zurechtzukommen.
letzten August. Auf der Karte finden sich einige der
Während die Welt voller Möchtegern-Stars ist, die
Eigenkreationen von Simon und Martina, u.a. Milk-
die glatten Marmormauern des Ruhms emporzu-
shakes, Zucchini-Brownies und gesunde „Powerballs“.
klettern versuchen, erlangten Martina und Simon
Interessanterweise gibt es auch eine anonyme Video-
ganz unverhofft dank einer großen und treuen Fan-
Aufnahmekabine, wo Gäste sich frei von der Leber über
gemeinde Berühmtheit. Als sie 2012 auf der Websei-
kontroverse Themen äußern können, wahlweise in
te Indiegogo einen Crowdfunding-Aufruf starteten,
Koreanisch oder Englisch (EYK hat ein Heer von freiwil-
um 40.000 $ für die Eröffnung eines Studios zu sam-
ligen Untertitlern).
meln, kam die Summe innerhalb von knapp sieben Stunden zusammen. „Wir hatten den Aufruf abends
Zukunftspläne
vor dem Schlafengehen hochgeladen und am nächs-
Vor vier Jahren hatten Simon und Martina mit Japan als
ten Morgen stellten wir fest, dass unser Ziel erreicht
neuem Abenteuerspielplatz geliebläugelt. Ihr schnel-
war“, erzählt Martina. Das in Primärfarben gehalte-
ler Aufstieg in Korea ließ sie jedoch diesen Plan erst
ne Studio, wo sie auf gigantischen Sitzsäcken darüber
mal auf Eis legen, aber kurz nach dem Interview mit
berichten, gleicht einer Feststoff-Verkörperung von
Koreana machten sie sich nach Japan auf. Die Beliebt-
EYK s Online-Inhalten: Es erweckt den Eindruck der
heit ihrer Europa-Videos hatte bewiesen, dass es vielen
Künstlichkeit als trüge es einen falschen Schnurrbart,
Fans um Inhalte mit den beiden ging und nicht unbe-
verfügt aber auch über aufmerksame Komponenten
dingt um Korea-Bezogenes. „Ich lasse mich gerne
wie einen Schlafraum (komplett mit einem Leucht-
überraschen“, meint Martina.
46 KOREANA Frühjahr 2015
Martina hilft beim Einlegen des KimchiWintervorrates in einer koreanischen Familie und demonstriert die Zubereitung.
Wie haben die letzten Jahre die beiden verändert? „Ich vermisse die alte Naivität und Spontaneität“, sagt Simon. „Heute müssen wir uns viel mehr Gedanken um die Inhalte, die wir hochladen, machen, und darüber, wie sie bei all den vielen Zuschauern ankommen. Die Dinge scheinen nicht mehr so neu und frisch“. Das heißt nicht, dass ihnen die Ideen ausgehen. „Wir haben zwei Video-Editoren, brauchen aber mehr“, sagt Simon. „Wir haben noch so viel vor. Ich wünschte nur, wir hätten mehr Zeit.“ Angesichts des unerbittlichen wöchentlichen Terminplans, dem großen Ideen-Vorrat und der kontinuierlichen Suche nach Neuheiten dürfte
Eat Your Kimchi noch eine ganze Weile auf Erfolgskurs bleiben.
„In diesem Sinne ist es fast wie Reality TV. Sie haben uns zugeschaut, wie wir uns durch unser sprachliches Unvermögen im Koreanischen gekämpft haben, wie wir Sachen besprochen haben, die wir eigentlich gar nicht mochten. Ich habe Bananen-Milch oder Soseji [industriell gehärtete KäseFleisch-Masse, eingepackt in Plastikfolie und als Würstchen vermarktet] oder Odeng [Kamaboko-Fischkäse-Gericht], das an Tteokbokki -Reiswurst-Straßenständen verkauft wird, gehasst. Fünf Jahre später haben wir aber beteuert: ‚Das ist die tollste Sache überhaupt!’ Sie haben miterlebt, wie wir uns verändert haben und gewachsen sind.“
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 47
48 KOREANA Fr端hjahr 2015
UNTERWEGS
wo das wahre Lied vom Leben erklingt
Alle Anlegestellen befinden sich am äußeren Ende der Insel. Am Hafen angekommen, ist der Reisende am Ende seines Weges angelangt.
Gwak Jae-gu Dichter Fotos Lee Han-koo
Aber für die Fischerboote ist der Hafen erst der Ausgangspunkt ihrer Reise. Ist das nicht geheimnisvoll? Wo der Weg für die Schritte des Menschen endet, beginnt die Reise wieder.
V
or so zehn Jahren, als ich kurz vor den 50ern
telanges Fischen und Ernten von Seetang alt und faltig
stand, zog ich einmal von Ort zu Ort das Meer
geworden waren. Es waren raue, aber warme Hände,
entlang. Gab es keine Pension, schaute ich im
gleichsam Sinnbilder für all die Trauer und Sehnsüchte,
Gemeindehaus vorbei und fragte die alten Dorfbewoh-
für all die Träume und Verzweiflung, die ein Mensch im
ner, ob ich dort eine Nacht verbringen könnte. Bereitwil-
Laufe seines Lebens erfährt.
lig erlaubten sie es mir mit einem „Natürlich, nur zu!”.
Damals, als ich von Dorf zu Dorf wanderte, trugen mich
Sie lächelten strahlend und streckten mir die Hände
meine Füße am Ende immer zu den Anlegestellen.
entgegen. Ich weiß noch, wie sich diese Hände anfühl-
Jedes Mal, wenn ich dort den Fischerbooten zusah, die
ten: Es konnten die Hände von jemandem sein, der sein
mit tuckerndem Motor das Wasser aufwühlend irgend-
Leben lang in fernen Städten herumgewandert war,
wohin fuhren, spürte ich plötzlich eine Art Stechen im
mal in Fabriken, mal auf den Märkten arbeitend, um am
Herzen. Dann aber, wenn ich, in irgendeiner Ecke der
Ende wieder in sein Heimatdorf zurückzukehren. Oder
Anlegestelle hockend, bis zum Sonnenuntergang beob-
die Hände von jemandem, für den sein Dorf das Zentrum
achtete, wie die Boote ausliefen und wieder zurückka-
des Universums darstellte, Hände, die durch jahrzehn-
men, wurde mir wieder ganz warm ums Herz.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 49
2 3
1
Drei Inseln, die das Meer umschließen Auf dem Schiff, das mich von Yeosu zur Insel Geomun-do brachte, begann mein Herz schneller zu schlagen. Yeosu ist eine Hafenstadt mit ca. 300.000 Einwohnern. 2012 fand hier die Welt-MeeresExpo statt, was schon für Reiz und intrinsische Schönheit von Hafen und Stadt spricht. Im Expo-Jahr reiste ich mit Freunden aus Europa durch einige der Küstendörfer in der Nähe von Yeosu. Einer der Freunde hieß Eric und kam aus Nizza in Frankreich. Er war Leichtflugzeugpilot. Er wurde Pilot, weil er die Küste seiner Heimatstadt so sehr liebte, dass er sein Leben lang in ihrer Nähe verbringen wollte. Als wir am Dorf Gajeong-ri vorbeiliefen, meinte Eric: „Das Meer hier erinnert mich an das Meer vor Nizza. Ich meine, wie es war, bevor Nizza durch die Zivilisation angeschmutzt wurde.“ Die Insel Geomun-do gehört zum Meeresnationalpark Dadohae-
In einem Küstendorf möchte ich unbedingt in einem Haus mit Fenster zum Meer übernachten, denn ich möchte das Brausen der Wellen hören. Egal, ob Tag oder Nacht, ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, selbst bei klirrender Kälte lasse ich das Fenster offen und lausche beim Einschlafen dem Klang der Wellen. Zum Glück sind alle koreanischen Unterkünfte mit OndolFußbodenheizung ausgestattet, sodass das recht problemlos geht.
haesang und liegt 114,7km vom Hafen Yeosu entfernt. Eigentlich ist es eine Inselgruppe, bestehend aus den kleinen Inseln Dongdo, Seo-do und Go-do, die zusammen einen Kreis bilden, sodass
von Admiral Ding Ruchang in die Gewässer von Geomun-do ein-
Geomun-do auf den ersten Blick wie ein Ei aussieht. Die Gewäs-
drangen. Die Chinesen wollten schriftlich mit den Inselbewoh-
ser zwischen den Inseln werden Donaehae genannt. Die Inseln
nern kommunzieren und notierten die Zeichen „菊花發“ (Chrysan-
selbst sind gesprenkelt mit Dörfern, die alle eine lange Geschich-
themen in voller Blüte), aber niemand von den Dörflern konnte sie
te haben. Die Außenklippen der Inseln blockieren als Schutzwall
entziffern. Sie eilten zu einem ehrwürdigen Gelehrten der Insel,
raue Wellen, weshalb die Gewässer auf der inneren Seite so ruhig
der die Botschaft entschlüsselte und die Dörfler beauftragte, den
sind, dass man sie früher „Samho“ nannte, was wohl „See, gebildet
Chinesen eine Kiste getrocknete Persimonen zu überreichen.
aus drei Inseln” bedeutet. Es heißt, dass die Insel Geomun-do 1845
Die Chinesen landeten im Herbst auf Geomun-do, als überall die
zum ersten Mal durch einen Schiffslogbuch-Eintrag des britischen
Chrysanthemen blühten. Sie wollten zum Ausdruck bringen, dass
Kriegsschiffes Samarang in der Welt bekannt wurde. Die reich von
„überall auf der Insel die Chrysanthemen so schön blühen“, was
der Natur beschenkte Insel eignete sich bestens als Schutzhafen
den Gelehrten, den tieferen Sinn wohl verstehend, zu dem Persi-
und wurde von den Briten nach dem damaligen Sekretär der Admi-
monen-Geschenk veranlasste. Der Gelehrte und die Männer des
ralität Captain W. A. B. Hamilton „Port Hamilton” getauft.
Admirals verständigten sich schriftlich, wobei die Chinesen der-
Zu der Zeit interessierte sich auch das chinesische Qing-Reich für
maßen von der Weisheit des Gelehrten beeindruckt waren, dass
die Insel und es heißt, dass Kriegsschiffe unter dem Kommando
sie begannen, die Insel „Geomun-do“ zu nennen: „Insel des gro-
50 KOREANA Frühjahr 2015
1. Geomun-do gehört zu einem Meeresnationalpark, der sich 114,7km südlich des Hafens von Yeosu in der Provinz Jeollanamdo befindet. Die Fähre, die zwischen den Fischerdörfern auf der Ostinsel Dong-do und der Westinsel Seo-do verkehrt, ist für die Inselbewohner ein wichtiges Transportmittel. 2. Der Makrelenfischfang ist die Hauptbeschäftigung der Fischer von Geomun-do. Die Touristen können die frisch gefangenen Makrelen roh genießen oder aber in würziger Soße geschmort. 3. Das Geomun-do Schiffslied , Wichtiges Immaterielles Kulturgut der Provinz Jeollanam-do Nr. 1, ist ein Arbeitslied der Fischer, das von ihrem harten Leben, ihren Freuden und Sorgen erzählt. 4. Der 1km lange Wanderweg, der zum Leuchtturm Noksan Deungdae am nördlichen Ende der Westinsel Seo-do führt, ist ein gut gepflegter Trail über weite Ebenen. Er zählt zu den Highlights einer Wanderung über die Insel. 5. Im Februar, wenn die Kamelien in voller Blüte stehen, sind die Wanderwege über den Berg Suwol-san auf Seo-do von heruntergefallenen Kamelienblüten bedeckt.
4 5
ßen Gelehrten”. Zuvor war die Insel in Qing-China als „Geoma-do” bekannt, als „Insel, die von Riesenfelsen umgeben ist”. Der Name des Gelehrten war Kim Yu. Am 15. April 1885 besetzten drei Schiffe der britischen Ostasienflotte die Insel und hissten den Union Jack. Die Soldaten errichteten Geschützgestelle und Bollwerke und legten Stromleitungen. Dadurch sahen die Bewohner der Insel als erste Bürger außerhalb des Hauptstadt-Königspalastes Gyeongbok-gung elektrisches Licht und erlebten mit eigenen Augen die künftige Modernisierung. Großbritannien rechtfertigte die Besetzung der Insel zwar als Prä-
Berge geraten alle Kümmernisse des Lebens von alleine in Verges-
ventivmaßnahme gegen das Vorrücken der russischen Kriegsflot-
senheit.
te nach Süden, aber es handelte sich dabei um einen klaren Ver-
Auf dem Weg zum Leuchtturm Noksan Deungdae waren hier und
stoß gegen das Völkerrecht. Geomun-do sah sich im Zentrum des
da Felder zu sehen, die mit einer Art von grünen Netzen bedeckt
Machtkampfs, den sich die Großmächte Ende des 19. Jhs lieferten,
waren. Ich fragte eine der im Feld arbeitenden Frauen und sie
aber obwohl sich der Joseon-Hof der Faktenlage wohl bewusst
erklärte, hier würde Haepung-ssuk angebaut, eine Beifußart, die
war, war er zu schwach, um sich gegen die illegale Okkupation sei-
im Seewind wächst. Diese regionale Beifuß-Spezialität hat dank
nes Territoriums wehren zu können. Im Februar 1887 zogen die
des frischen Seewinds einen klaren und intensiven Duft. Der Bei-
Briten zwar von Geomun-do ab, jedoch nur unter der Bedingung,
fuß wird von den Inselbewohnern als Suppenzutat verwendet oder
dass sich die russische Kriegsmarine von der Insel fernhielt. Auf
getrocknet als Tee aufgebrüht.
Geomun-do sind heute noch die Grabstätten von drei britischen
Kurz bevor ich auf den Leuchtturm kletterte, sah ich im Meeres-
Marinesoldaten zu sehen, die auf der Insel starben.
park die Statue einer Meerjungfrau. Die „Shinjikki“ oder auch. „Shinjikke“ genannte Meerjungfrau von Geomun-do hat der Legen-
Die Meerjungfrau Shinjikki: Beschützerin der Fischer
de nach helle Haut und lange, glatte schwarze Haare. Sie taucht in
Nachdem ich mein Gepäck in der Unterkunft im Küstendorf Geo-
mondhellen Nächten oder bei Tagesanbruch auf, wirft Steine auf
mun-ri ausgepackt hatte, brach ich sofort zum Trekking auf Seo-
die Klippen oder macht Geräusche, um die Fischer vor Felsenriffen
do auf. Auf Seo-do, der größten der drei Inseln, steht am nördlichen
zu warnen oder vor Taifunen zu bewahren. Es scheint nur selbst-
Ende der Leuchtturm Noksan–Deungdae und am südlichen Ende
verständlich, dass es auf einer so weit vom Festland entfernten
der Leuchtturm Geomundo–Deungdae. Auf dieser quasi „Leucht-
Insel eine Legende mit einer schönen Meerjungfrau gibt.
turm-Trekkingroute“ liegen die Dörfer Seodo-ri, Byeonchon-ri
Der koreanische Schriftsteller Han Chang-hoon, der auf Geonmun-
und Deokchon-ri. Beim Wandern durch diese von Menschenleben
do geboren ist und seine Kindheit dort verbrachte, beschreibt in
erfüllten Dörfer sowie entlang der Wege am Meer und durch die
seinem Buch Auch das Meer schaut manchmal in den Schatten
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 51
2
1
1. Die inneren Gewässer von Geomundo werden von den drei umgebenden Inseln vor Wind und hohem Wellengang geschützt, weshalb das Wasser friedlich und ruhig ist. 2 . Geomun-do ist eine kleine Insel mit rund 1.400 Einwohnern (590 Haushalte). Es ist herzerwärmend zu sehen, wie die Dorfleute fremde Besucher mit freundlichem Lächeln begrüßen.
der Inseln hinein in warmen Tönen Szenen aus längst vergange-
men sind, korrigieren ihren Kurs danach. Der 1905 fertig gestellte
nen Tagen und begeistert den Leser mit der Gespenstergeschich-
Leuchtturm Geomundo–Deungdae ist mittlerweile im Ruhestand
te eines Freundes: In einer pechschwarzen Nacht ging besagter
und steht nur noch friedlich da. Er wurde abgelöst von dem neuen,
Freund zum Angeln am steinigen Hang der Bucht in der Mitte der
33m hohen Leuchtturm direkt daneben, der 2006 gebaut wurde.
Insel. Beim Angeln zog plötzlich etwas stark an der Schnur. Als er
Alle 15 Sekunden blitzt das Leuchtfeuer auf und die Signale sollen
die Schnur hochrollte, um zu sehen, was angebissen hatte, fand er
noch in 42km Entfernung auf dem Meer zu sehen sein.
eine Frau vor sich am Angelhaken hängen, die ihn anstarrte. Die Frau kam näher und stürzte sich auf ihn. Er kämpfte auf Leben und
Brausen der Wellen wie Wiegenlieder der Mutter
Tod mit diesem Wassergeist, der unglaubliche Kraft besaß. Han
Als die Sonne unterging, suchte ich mir für eine Nacht eine Unter-
schreibt in seinem Buch, dass er die Geschichte voll und ganz glau-
kunft in einer kleinen Pension am Kai. Wenn es um die Wahl der
be, sein Freund sei ein einfacher Mensch ohne große Schulbildung,
Unterkunft geht, gibt es für mich ein einziges absolutes Muss: ein
der in seinem Leben nie eine Lüge über die Lippen gebracht habe.
Fenster zum Meer. Es ist egal, ob es groß oder klein oder wie klar
Wenn die Legende von der Meerjungfrau Shinjikki eine Geschichte
die Sicht nach draußen ist. Es reicht völlig, wenn es ein aufs Meer
voll lieblich-reizender Lebensträume ist, so ist die Geschichte von
hinaus gehendes Fenster in der Wand gibt. In einem Küstendorf
dem Wassergeist in weißer Trauerkleidung, der am Angelhaken
möchte ich unbedingt in einem solchen Haus übernachten, denn ich
aus dem Wasser hochgezogen wird, eine Geschichte, die vom Leid
möchte das Brausen der Wellen hören. Egal, ob Tag oder Nacht, ob
im realen Leben erzählt.
Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, selbst bei klirrender Kälte
Der Weg, der an der „Klippe mit dem Drachenmuster” und dem
lasse ich das Fenster offen und lausche beim Einschlafen dem
„Felsen der Unsterblichen” vorbei zum Leuchtturm Geomundo-
Klang der Wellen. Zum Glück sind alle koreanischen Unterkünfte
Deungdae führt, ist wohl der Höhepunkt meiner Trekkingroute. Am
mit Ondol-Fußbodenheizung ausgestattet, sodass das recht prob-
Ende dieses Weges, der mit Blick aufs Meer die Klippen entlang
lemlos geht. Für mich klingt das Geräusch der Wellen bei Nacht wie
verläuft, schließt sich der Weg durch den Kamelienbaum-Wald an.
das Wiegenlied meiner Mutter. Der Wellengesang bringt mir dieses
Dieser Waldweg gleicht einer Höhle oder aber auch einem Tunnel.
Wiegenlied, das wie die DNA in meinem Körper nistet, wieder ins
Einige bezeichnen ihn auch als „Weg der Liebenden”. Allein schon
Gedächtnis und weckt schöne Erinnerungen daran, wie meine Mut-
die Vorstellung, dass zwei Verliebte Händchen haltend zwischen
ter mich in ihrem Schoß wiegte und dabei mit sanfter Stimme sang.
den Kamelien spazieren, erfüllt mich mit Freude. Der Pfad erstrahlt
Das wird wohl allen so gehen. Menschen, die sich an Wiegenlieder
im rötlichen Glanz gefallener Kamelienblüten und im Zwitschern
erinnern, sind Menschen, die ihre Träume lange zu lieben wissen.
der durch den Wald fliegenden Vögel. Der Leuchtturm am Ende
Und Geomun-do, eine Welt, in der solche Menschen versammelt
des Weges ist doch ein direkt bezauberndes Symbol! Er erhellt
sind, wird noch lange, lange Zeit ein warmes und friedliches Fleck-
das dunkle Nachtmeer. Und die Schiffe, die vom Kurs abgekom-
chen Erde bleiben.
52 KOREANA Frühjahr 2015
Wie man auf die schöne Insel Geomun-do kommt Gimpo International Yongsan Station Seoul Airport
Yeosu Airport
Die Amateurband Deungdae und eine Mutter, die Gedichte liebt Es war eine Fügung des Glücks, dass ich im Gemeindehaus von Geonmun-ri auf die Dorfband traf. Die 2014 von den Dorfbewohnern gegründete Band heißt „Deungdae (Leuchtturm)“. Sie hatte zwar noch keinen offiziellen Auftritt, aber die Leidenschaft, mit der die Band probt, kann sich mit der etablierter Bands messen. Das Schöne an dieser Band ist, dass alle 13 Mitglieder Dorfbewohner sind, die tagsüber ihren jeweiligen Berufen nachgehen, um sich dann abends zum Proben zu versammeln. K ist der Bandleader und spielt Schlagzeug. Als Architekt und Designer baut er Gebäude auf Geomun-do und kümmert sich um die Innenausstattung. Schon als Mittelschüler wollte er Schlagzeug spielen und jetzt hat er endlich seinen Traum erfüllt. P ist der Leadsänger und mit 41 der Benjamin der Band. Tagsüber fährt er eins der beiden Insel-Taxis. Er schmetterte Lieder wie Let’s Go On a Trip von Cho Yong-pil oder Ra-gu-yo von Kang San-ae. Y betreibt eine Pension und spielt Bassgitarre. Nach mehreren Geschäftspleiten auf dem Festland litt er unter schweren Depressionen, aber nach drei Jahren auf Geomun-do fühlt er sich wieder gesund. Dass er das Leben wieder als lebenswert empfinden kann, ist vielleicht ein Geschenk von Wind, Sonne und Wellengesang. Js Saxophonspiel war fantastisch. Hier fließen die Erfahrungen von 32 Jahren Berufssoldaten-Dasein ein. Meine Plauderei mit dem Gitarristen T war herzerwärmend. Er arbeitet eigentlich bei einer Firma in Yeosu und war nur auf einem Kurzbesuch in seinem Heimatdorf. Ich schreibe hier nieder, was er mir erzählte: Vor 26 Jahren, als er seinen Militärdienst leistete, schickte seine Mutter ihm einen Brief mit einem Gedicht. Dieses Gedicht stammte von mir. Er rückversicherte sich mehrmals meines Namens und dann reichten wir einander von den jeweils entgegengesetzten Enden der Erinnerung die Hände. In ihrer Schulzeit war seine Mutter an Literatur interessiert gewesen. Oft las sie die ganze Nacht
Yeosu EXPO Station Yeosu
Geomundo Jejudo
Flugzeug KTX Auto/Bus
Seoul > Yeosu hindurch Gedichte und eins davon schickte sie an Kimpo Auto/Bus Die Fahrtzeit von Seoul nach ihren Sohn. Er erzählte, dass seine Mutter, als sie Yongsan Station Yeosu mit dem Auto beträgt ca. 4 Stunden. ihm diesen Brief schrieb, ein Jahr jünger als er International Seoul Airport Mit dem Expressbus vom Central City Termiselbst jetzt war, gewesen sei. nal in Banpo-dong dauert es ca. 4 Std. 15 Min. An dem Abend öffnete ich das Fenster in meiner Ab 5:30 Uhr fahren alle 30 Minuten Busse Pension sperrangelweit und legte mich hin. (hticket.co.kr). Preise: Regulärer Bus Das Rauschen der Wellen drang leise wie das 20.700 KRW, Premiumbus 30.800 KRW. Wiegenlied meiner Mutter ans Ohr. Der Gedanke KTX Der KTX-Hochgeschwindigkeitszug an das Treffen mit Ts Mutter am nächsten Tag verkehrt etwa im Zweistundentakt 9 Mal pro hielt mich wach. Über vierzig Jahre lang hatte ich Tag zwischen dem Bahnhof Yongsan und der Gedichte geschrieben. Der Wunsch, dass meine Station Yeosu Expo. Die Fahrtdauer beträgt ca. Gedichte für den Leser ein Löffel Nahrung für die 3 Std. 40 Min. Weitere Details finden Sie auf Seele sein möge, war immer noch da, aber auf die der Webseite der Korea Railroad Corporation Frage, welches meiner Gedichte für mich diese (korail.com). Qualität hätte, müsste ich eine Antwort schuldig Flug Korean Air (koreanair.com) und Asibleiben. Morgen würde ich sie fragen, welches ana Airlines (flyasiana.com) bieten jeweils Gedicht sie an ihren Sohn geschickt hatte. Der 3 bis 4 Flüge pro Tag von Gimpo nach Yeosu Gedanke, dass vielleicht eins meiner Gedichte an. Die Preise variieren je nach Wochentag. einem Menschen in Herzensnot geholfen haben Rechtzeitige Reservierung wird empfohlen. könnte, ließen die letzten vierzig Jahre nicht als eitel vergeudete Zeit erscheinen. Yeosu Passenger Ich fuhr mit dem Schiff nach Seo-do und rief Ts Terminal Mutter an. „Ich bin Gwak Jae-gu, der Gedichte Yeosu schreibt. Ich möchte Sie sehen.“ Ich legte mein ganzes Herz in meine Worte. Dann hörte ich ihre Stimme: „Ich bin jetzt eine alte Großmutter. Als ich jung war, mochte ich Gedichte. Jetzt verbringe ich meine Zeit damit, Beifuß auf den Feldern und Geomundo Fährverbindung Seetang im Meer zu ernten. Ich bin zu alt und Yeosu Costal Ferry Terminal > Geomun-do schäme mich zu sehr, um Sie zu treffen.“ Ich Vom Yeosu Passagierfähren-Terminal legen konnte Ts Mutter an dem Tag nicht treffen. Es Jejudo 2 Mal am Tag Fähren nach Geomun-do ab: schien mir besser, mich ihren Worten zu beugen. 7:40 Uhr und 13:10 Uhr. Rückfahrten nach Verweht war zwar der Traum, ein Gedicht zu Yeosu sind um 10:30 Uhr und 15:50 Uhr mögerhalten, das Balsam für die Seele eines anderen lich. Die Fahrtzeit beträgt jeweils 1 Std. 26 gewesen war, aber mir wurde doch ganz warm Min. Ein Hin- und Rückfahrtticket kostet ums Herz bei dem Gedanken an das Leben einer 72.200 KRW. Je nach Wetterlage kann die Frau, die in jungen Jahren Gedichte las und in Abfahrtszeit variieren. Daher sollte man sich hohem Alter Beifuß pflückt. rechtzeitig beim Yeosu Costal Ferry Terminal Auf dem Weg zurück nach Yeosu stand ich am Bug (Tel. 1666-0920) erkundigen. Die Homepage und schaute mit winkender Hand in Richtung Seoder Stadt Yeosu (ystour.kr) bietet allgemeine do. In zehn Jahren werde ich in ihrem Alter sein. Informationen in Englisch, Chinesisch, JapaDann möchte ich noch einmal nach Geomun-do nisch und Französisch. kommen und ihre Hände in den meinen halten.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 53
NEUERSCHEINUNG
Charles La Shure Professor, Department of Korean Language and Literature, Seoul National University
54 KOREANA Frühjahr 2015
Wertrolle Fallstudien: Bilder aus der Joseon-Zeit Pathways to Korean Culture: Paintings of the Joseon Dynasty, 1392-1910 Burglind Jungmann, London: Reaktion Books. 392 Seiten. £40.00
W
ährend in Korea die Erforschung
über die erhaltenen Werke, unterschiedliche Romanisierungssyste-
der Malerei der Joseon-Zeit (1392-
me usw. Jungmann hat sich bemüht, diese Schwierigkeiten zu über-
1910) für die kunsthistorische For-
winden bzw. in problematischen Fällen die damit verbundenen Impli-
schung als solche als fruchtbares Terrain
kationen nicht aus den Augen zu verlieren.
gedient hat, wurde sie im Westen weitgehend
Methodisch behandelt Pathways die Thematik unter zwei Prinzipien:
vernachlässigt. Die Kluft zwischen koreani-
Es stellt das Konzept „Einfluss“ in Frage und bietet als Alternative
scher Forschung und westlichem Kenntnis-
das von Stuart Hall eingeführte Konzept „kulturelle Übersetzung“.
stand versucht Pathways to Korean Culture
Während bisher viele davon ausgegangen sind, dass die chinesische
zu überbrücken. 500 Jahre abzudecken ist
Kunst die koreanische ihre ganze Geschichte hindurch beeinflusste,
selbst in einem fast 400 Seiten starken Werk
ist diese Sicht für Jungmann nicht haltbar: Sie spricht von Inspiration
nicht einfach. Daher gibt die Autorin keinen
und Interpretation und fokussiert auf die Adapationsweise einzelner
umfassenden Überblick über die gesamte
Elemente. Hauptunterschied ist, dass das „Einfluss-Konzept“ Kunst-
Joseon-Zeit, sondern präsentiert Pfade im
geschichte eine hierarchisierende Betrachtung überstülpt, die beim
Sinne von Fallbeispielen, die als Ausgangs-
Konzept der„kulturellen Übersetzung“ fehlt.
punkte für weitere Forschungen dienen kön-
Pathways gliedert sich in drei Teile. Der erste umfasst die frühe
nen. Entsprechend kann einigen Bereichen
Joseon-Zeit vom 15. bis späten 17. Jh. Hier geht es um chinesische
nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit
Traditionen und ihre Interpretation durch Künstler der frühen Jo-
gewidmet werden, die jeweils behandelten
seon-Zeit, die Ästhetik der Literati im 15. Jh und die Rolle von Frauen
Themen werden vielmehr in ihren jeweiligen
als Produzentinnen und Konsumentinnen/Mäzeninnen von Kunst.
soziokulturellen Kontext eingebettet erörtert
Teil 2 und 3 widmen sich dem 18. und 19. Jh und thematisieren Fra-
und nicht als unabhängige Erscheinungen.
gen wie Wandel im Landschaftsgemäldestil, Erkundung neuer
Das ist zwar eine Kompromisslösung, aber
Trends, Arbeiten von Profimalern außerhalb der Literati-Kreise
eine gelungene.
sowie Beziehung zwischen hof- und Volksmalerei.
Die Autorin räumt die Herausforderungen
Gedruckt auf schweres, glänzendes Papier und illustriert mit über
ein: Verlust vieler Joseon-Malereien aus
hundert großformatigen Farbreproduktionen ist Pathways zudem in
der Zeit vor dem 17. Jh, Mangel an Debatten
Bezug auf Material und Optik ein Schmaus.
nline-Archiv der O Übersetzungen der koreanischen Literatur Die Bibliothek des LTI Korea http://library.klti.or.kr
D
as Literature Translation Institute of
Der größte Pluspunkt der Webseite liegt darin, eine Unzahl von
Korea, kurz LTI Korea, hat sich in den
Einzelinformationen zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus
letzten zwanzig Jahren für die welt-
noch die Verbindungen zwischen diesen Informationen aufzuzei-
weite Bekanntmachung der koreanischen
gen. Sucht man z.B. in der Autorenliste einen bestimmten Autor,
Literatur eingesetzt. Die Bibliothek des Ins-
erhält man nicht nur biographische Informationen zur Person,
tituts, deren Geschichte 2001 als Institutsar-
sondern auch Links zu Übersetzungen seiner Werke, diesbezügli-
chiv begann, wurde 2007 offiziell eingerich-
che Events, Berichte über sein Werk oder andere relevante Infor-
tet und fungiert seitdem als wertvolle Infor-
mationen.
mationsquelle für alle an der Übersetzung
Die Datenbasis der romanisierten Namen, die die unterschiedli-
koreanischer Literatur Interessierten.
chen Transkriptionen der Autorennamen und Vorschläge für eine
Seit 2009 besteht eine Online-Präsenz der
Standardisierung enthält, erscheint angesichts des Mangels an
Bibliothek und am 15. Januar 2015 wurde
Einheitlichkeit in der Romanisierung von Autorennamen beson-
schließlich die offizielle Webseite eröffnet,
ders nützlich. Obwohl laut Webseite die Datenbank im Dezember
womit ein unschätzbarer Fundus an Infor-
2014 hochgeladen wurde, scheint sie noch nicht direkt zugänglich
mationen über Übersetzungen koreani-
zu sein, weshalb die Suche in der Autorenliste eine exakte Ent-
scher Literatur der Öffentlichkeit zugäng-
sprechung zur bevorzugten oder empfohlenen Romanisierung
lich gemacht wurde. In der Bibliographie
verlangt.
sind über 4000, in 37 Sprachen übersetzte
Abgesehen von diesem kleinen Mangel, um dessen Abhilfe man
Buchtitel gelistet. Hinzu kommen Links zu
sich hoffentlich bald bemühen wird, dürfte die Webseite der LTI-
DVDs, E-Büchern, Videos und Webseiten
Bibliothek ein nützliches Instrument für jeden sein, der sich mit
sowie Informationen über Events, Presse-
dem wachsenden Pool von Informationen über übersetzte korea-
meldungen und Zeitschriftenartikel. Eine
nische Literatur beschäftigen möchte.
Liste von Autoren, Übersetzern und Verlagen gibt Aufschluss über das Who’s Who in der Welt der Übersetzung koreanischer Literatur.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 55
ENTERTAINMENT
Hidden Singer
Stimmimitatoren und ihre Passion Songs in neuem Gewand Wee Geun-woo
Journalist, Webmagazin IZE
Im November 2014 sorgte der Survival-Gesangscontest Hidden Singer des koreanischen Kabelsenders JTBC durch den Verkauf der Programmformat-Publikationsrechte an das US-Medienunternehmen NBC Universal für einige Furore. Davor hatte bereits der koreanische öffentlich-rechtliche Sender MBC die Format-Rechte seines TVProgramms Dad, Where are We Going? an China verkauft, wo es unter dem Titel „爸爸去哪儿 (Where are We Going, Dad!)“ ausgestrahlt wurde. Des Weiteren wurde das Sendeformat von Better Late than Never von tvN als erstes koreanisches Unterhaltungsprogramm an das amerikanische Hörfunk- und Fernseh-Network NBC verkauft. Aber wie im Fall von Superstar K von Mnet, das viele Elemente des FOX-Programms American Idol übernommen hat, und The Voice of Korea , dessen Format ursprünglich auf den niederländischen englischsprachigen Gesangswettbewerb The Voice of Holland zurückgeht, war die vorrherrschende Meinung, dass das SurvivalGesangscontest-Konzept ursprünglich aus dem im weiteren Sinne englischsprachigen Raum stammt. Aus diesem Grund kann der Export von Hidden Singer in die USA als bahnbrechend für Korea betrachtet werden.
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s ist weit bekannt, dass der weltberühmte britische Schauspie-
Dieses neue Umkehr-Konzept sorgte für enthusiastische Reaktio-
ler und Filmregisseur Charlie Chaplin es beim Charlie Chaplin
nen. Als 2012 Jahresend-Pilotprogramme mit der berühmten korea-
Look-Alike Contest nur auf Platz 3 schaffte. Aber es ist schwer,
nischen Sängerin Lena Park und danach mit dem Rockmusiker Kim
Aufzeichnungen über den Erst- und den Zweitplatzierten zu finden,
Kyung-ho ausgestrahlt wurden, folgte eine prompte Zuschauerre-
vielleicht, weil die Imitation nur als ein Schatten des Originals ange-
aktion. Und als dann drei Monate später Hidden Singer als reguläres
sehen wurde. Hidden Singer, ein Kabel-Fernsehprogramm, das sich
Programm mit dem koreanischen Balladensänger Sung Si-kyung
mit einer beispiellosen Einschaltquote von 4 bis 5% hoher Beliebtheit
übertragen wurde, kletterte die Einschaltquote auf 2%, was damals
erfreut, räumt mit solchen Vorurteilen auf.
für einen Kabelsender mit Genre-übergreifenden Programminhalten wie Serien, Allgemeinbildung, Unterhaltung und Sport, der nor-
Wettbewerb zwischen Original-Interpret und Imitator
malerweise nicht über die 1%-Quote hinauskommt, ein bemerkens-
Die Regeln sind simpel: Ein berühmter Sänger und einige hervorran-
werter Erfolg war.
gende Imitatoren singen, hinter einem Vorhang versteckt, abwechselnd einige Verse eines ausgewählten Liedes des Stars. Nach der
Imitator gewinnt gegen Original-Interpret
Gesangsdarbietung drückt eine Jury von einhundert Personen jeweils
Bei Programmstart war der unterhaltsame Faktor relativ eindeutig:
die Nummer des Teilnehmers, der dem Original-Interpreten am
Nirgendwo sonst konnte man miterleben, dass ein Sänger, der sich
wenigsten nahe kommt. Nach der Bewertung hebt sich der Vorhang
selbstverständlich für spitze hält, wegen der Imitationskunst eines
und es wird festgestellt, wer mit wie vielen Stimmen durchgefallen ist.
Herausforderers, der „echter als das Original“ klingt, ins Schwitzen
Auf diese Weise scheidet in jeder Runde ein Kandidat aus und der Sie-
gerät. Insbesondere in der Folge mit dem Rockmusiker Kim Kyung-
ger der Endrunde, in der die letzten zwei Sänger gegeneinander antre-
ho beeindruckte der Kandidat Won Kill mit einer so perfekten hohen
ten, erhält ein Preisgeld von umgerechnet rund 8.000 Euro. Bis hierhin
Tonlage, dass selbst der Profi Kim perplex war. Zudem versetzte
scheint es sich um einen normalen Imitations-Gesangcontest im Sur-
bei der Folge mit dem Sänger Lee Moon-sae ein Imitator die Jury in
vival-Format zu handeln. Aber der kreative springende Punkt bei Hid-
Erstaunen, da nicht nur seine Gesangsimitation, sondern auch seine
den Singer ist, dass sich auch der Sänger dem Wettbewerb stellt. D.h.
Sprechstimme kaum von der des echten Interpreten zu unterschei-
bei diesem Contest-System kann der ursprüngliche Interpret durch-
den war. Die Möglichkeit, dass im Wettbewerb mit den Imitatoren
fallen, wenn er auf einen Imitator trifft, der besser als er ist.
auch der Star durchfallen könnte, machte nicht nur die Sänger ner-
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Der Wettstreit zwischen dem Star und den Imitatoren in Hidden Singer sorgt für FestivalStimmung, egal, wer gewinnt oder verliert.
vös, sondern auch die Zuschauer. In den meisten Fällen schafften es die Profis trotz der kritischen Momente, in denen der Ausgang auf der Kippe stand, dann doch noch mit knapper Not ins Finale und die Zuschauer verfolgten Woche für Woche gebannt die Endrunde. Was die im September 2013 gestartete zweite Staffel dann besonders beeindruckend machte, war, dass das bis dahin normale Muster, nach dem der Star letztendlich dann doch gewann, durchbrochen wurde. Genau das passierte in der Folge mit dem Sänger Shin Seunghun, der unter den bis dahin aufgetretenen Stars in puncto Bekanntheitsgrad, Alben-Verkaufszahlen usw. zu den Besten gehörte. Der
Der Grund dafür, dass Hidden Singer über Generationen hinweg an Popularität und Zustimmung gewinnen konnte, liegt letzten Endes darin, dass es über den reinen Kampf um Platzierungen hinaus gelang, durch die Songs an sich eine emotionale Bindung zwischen Sängern, Imitatoren, Jury und Zuschauern herzustellen.
Wettkampf fokussierte hauptsächlich auf Shins Hits aus seiner Blütezeit in den 1990ern, was für die Imitatoren Wettbewerbsvorteile mit
unterhaltsames und interessantes Spiel sein wird, wenn der echte
sich brachte, da sich Shins Stimme im Laufe der Zeit verändert hatte.
Sänger und die Stimmimitatoren mit verdeckten Gesichtern singen.
Dennoch kam das Ergebnis als Schock. Und noch bevor sich dieser
Aber während der Vorrunden und der Aufnahmen wurde mir klar, dass
Schock gelegt hatte, erlitt der Balladensänger Jo Sung-mo gleich in
die Teilnehmer nicht nur gesangstechnische Imitationstalente waren,
der nächsten Folge eine Niederlage, und zwar nicht einmal im Finale,
sondern dass sie sich auch viel Mühe gaben, um einen bestimmten
sondern bereits in der zweiten von insgesamt vier Runden.
Sänger und dessen Lieder möglichst haargenau nachzuahmen, weil sie ihn und seine Songs so sehr mochten. Ich habe bei ihnen eine Fan-Lie-
Songs erwecken Erinnerungen und Emotionen
be entdeckt, die über das normale Maß hinausging.“
Der Grund dafür, dass Hidden Singer über Generationen hinweg bis
Genau deshalb könnte Hidden Singer aber auch an Grenzen stoßen:
Staffel 3 an Popularität und Zustimmung gewinnen konnte, liegt letz-
Es gibt zwar unzählig viele Sänger, aber nur wenige, deren Popula-
ten Endes darin, dass es über den reinen Kampf um Platzierungen
rität eine Generationskluft von zehn Jahren überdauert hat und die
hinaus gelang, durch die Songs an sich eine emotionale Bindung zwi-
viele Hits landen konnten. Die Sänger von solch legendärem Niveau
schen Sängern, Imitatoren, Jury und Zuschauern herzustellen. Die
sind größtenteils bereits in der Sendung aufgetreten, so dass nur
meisten der Stimmenimitatoren waren Fans, die den jeweiligen Inter-
noch wenige übrig bleiben, und auch das Casting ist nicht einfach.
preten bewunderten, seine Songs liebten und sich deswegen im Nach-
Wird Hidden Singer diese grundlegenden Beschränkungen überwin-
singen übten. Die Teilnehmer der ersten Folge der zweiten Staffel mit
den und noch einmal eine erfolgreiche Staffel präsentieren können?
dem Sänger Lim Chang-jung waren gar den Tränen nah, als sie sich
Die Antwort darauf gibt wohl folgende Erklärung von Regisseur Jo
gemeinsam an die Zeit seines Rücktritts als Sänger erinnerten. Auch
Seung-uk: „In unserem Programm gibt es neben Sänger und Imita-
diejenigen, die mit seinen Hits aufgewachsen waren, konnten, ein-
toren einen weiteren ‚Hauptdarsteller‘: den Song. Wird ein Song zum
getaucht in die Stimmung einer Zeitreise in die Vergangenheit, sich
ersten Mal präsentiert, gehört er ausschließlich dem Interpreten,
bestens unterhaltend mitsingen, als Lim gemeinsam mit den Imita-
aber mit der Zeit bekommt er eine neue Bedeutung und verändert
toren sang. Der leitende Produzent, Regisseur Jo Seung-uk, erklärt
sich wie ein lebendiges Wesen. Er wird erneut aufgenommen oder
ebenfalls, dass die emotionale Bindung, die unabhängig vom Ergebnis
von neuen Zuschauern neu interpretiert. Deswegen freue ich mich
zwischen Sängern und Teilnehmern entsteht, das eigentliche Thema
sehr, wenn ich höre, dass die Zuschauer nach unserer Sendung zu
dieses Programms sei: „Eigentlich dachte ich am Anfang, dass es ein
Hause die alten CDs wieder herauskramen und sich anhören.“
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 57
GOURMETFREUDEN
Gimbap
Park Chan-il Koch, Kolumnist Fotos Lim Hark-hyoun
Von Gimbap („gim“: Seetang, „bap“: Reis) à la Mama aus den Kindheitserinnerungen, den man für Schulausflüge einpackte, über den Ein-Euro-Gimbap, der für viele mit schmaler Haushaltskasse als Mahlzeit dient, bis hin zum Luxus-Gimbap, der im Zuge des Wellness-Hypes teuer verkauft wird: Erfahren Sie mehr über diesen koreanischen Lieblingsimbiss und seine Geschichte.
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ls ich klein war, ließ meine Mutter mich oft
um Mutter beim Gimbap-Machen zuzuschauen.
Besorgungen machen. Vielleicht bin ich
Der Höhepunkt war das Rollen: Auf eine speziel-
ja deshalb Koch geworden, weil ich als
le Bambusmatte wird ein Blatt Gim gelegt, auf
Kind öfters Lebensmittel für sie einkaufen muss-
dem dann der gewürzte Reis gleichmäßig verteilt
te: Das Kochen beginnt mit Überlegungen, wel-
wird. Darauf kommen in die Mitte die Füllzutaten.
che Zutaten man braucht, was gute Zutaten kenn-
Anschließend wird das Ganze eingerollt, wobei eine
zeichnet, ob der Preis stimmt usw. Meine Botengänge waren gute Übungen dafür. Wenn ich Gim holen sollte, war ich in Hochstimmung. In der Vorfreude, am nächsten
gleichmäßige und angemessene Druckstärke - nicht zu stark und nicht zu schwach - entscheidend ist. Auch das Schneiden ist nicht so einfach. Ist man nicht vorsichtig genug,
Tag Gimbap essen zu können, besorgte ich Spinat, Karotten, Dan-
kann das Gim-Blatt reißen und dazu führen, dass „die Gimbap-
muji (eingelegter Rettich), Eomuk (eine Art Fischkäse, jap. Kama-
Rolle an der Seite platzt“. Diese Wendung benutzen die Koreaner
boko) Würstchen und zwei Cheop (Packung mit 10 Gim-Blättern)
auch scherzhaft, um auszudrücken, dass unerwartet geschehene
Gim. Auf dem Nachhauseweg riss ich manchmal von den Ecken
Dinge sie völlig von den Socken hauen, d.h. das Platzen der Rolle
der Gim-Blätter Stückchen ab und aß sie genussvoll. Damals,
war eine entsprechend ernst zu nehmende Angelegenheit. Damit
als getrocknete Seetangblätter noch wertvoll und teuer waren,
das nicht passiert, ist auch beim Schneiden Vorsicht angesagt. Man
schmeckte Gim mir auch pur nur zu gut. Sobald die Seetang-
schneidet die Rolle mit einem Küchenmesser mit gut geschärfter
Stückchen in meinen verschwitzten Fingern in Mundnähe kamen,
Stahlschneide, die zwischendurch mit Wasser befeuchtet wird, in
konnte ich den intensiven Meeresgeruch riechen.
kleine Stücke. Meine Mutter, eine freigebige Natur, schnitt die Rolle immer in so großzügige Stücke, das keins auf einen Happs in den
Das beste Lunchbox-Essen für Schulausflüge
Mund passen wollte.
An Schulausflugtagen begann Mutter frühmorgens mit der Gim-
Am wenigsten mundete Gimbap, wenn der Ausflug wegen Regen
bap-Zubereitung, indem sie Reis aufsetzte. Dabei gab sie sich
ins Wasser fiel und wir die Röllchen in der Aula oder dem Klassen-
besondere Mühe: Sind die Körner zu weich, verliert die Gimbap-
zimmer essen mussten. Da fehlten einfach der Duft des Grases
Rolle ihre Form, sind sie zu hart, kleben sie nicht ordentlich anei-
und die warme Maisonne.
nander. Abgeschmeckt mit Salz und mit etwas Essig vor dem Schlechtwerden im Laufe des Ausflugstages bewahrt, konnte es
Gimbap in allen Geschmacksrichtungen und Formen
danach an die Füllung gehen. Mutter war dann schon seit vier oder
Laut Wörterbuch ist Gimbap „ein Gericht, bei dem Zutaten wie
fünf Uhr früh auf den Beinen. Wenn der aromatische Duft der zu
Reis und Gemüse in ein Seetangblatt eingerollt werden“. Je nach
dünnen Pfannkuchen verarbeiteten geschlagenen Eier, die in der
Füllzutaten wie z.B. Kimchi, Thunfisch, Käse, Anchovis, Jangajji
Pfanne brutzelten, und von Spinat und Karrottenstreifen, die kurz
(in Soße oder Paste eingelegte Gemüse) usw. ergeben sich unter-
in der Pfanne gerührt wurden, uns Kinder weckte, standen wir auf,
schiedliche Geschmacksnoten. Heutzutage kommt Gimbap auch
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Gimbap ist ein Gericht, für das Reis, Gemüse usw. in ein Blatt getrockneten Purpurtang (Gim) gerollt werden. Je nach Füllung wie Kimchi, Dosenthunfisch, Käse, Anschovis, eingelegtem Gemüse usw. schmeckt Gimbap anders.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 59
Ob Gimbap aus Japan nach Korea kam oder es eine ursprünglich koreanische Spezialität aus alter Zeit ist – darüber wird immer noch heiß diskutiert. Manche behaupten, dass das japanische Maki-Sushi oder Futomaki-Suhi während der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) oder schon mit der Öffnung der Häfen Ende des 19. Jhs nach Korea kam, andere kontern, es sei doch nur natürlich, dass die Koreaner, die schon seit jeher Gim gegessen haben, Reis in getrocknete Seetangblätter eingewickelt verzehren.
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1. Es macht Spaß, bei der Gimbap-Zubereitung zuzuschauen. Besonders interessant und nicht zuletzt Appetit anregend ist zu sehen, wie der Gimbap mit der Bambusmatte gerollt wird, nachdem Reis und verschiedenfarbige Füllungen auf dem Gim-Blatt arrangiert wurden. 2. Der neue Luxus-Gimbap, der mit dem Stereotyp „Gimbap=Armeleutegericht“ aufräumt, und in verschiedenen Geschmacksvarianten in ansprechendem Ambiente serviert wird, gewinnt unter den jungen Leuten immer mehr an Beliebtheit.
in unterschiedlichen Formen und Größen daher: als Samgak-Gim-
Dr. Jeong Mun-gi, der als erster in Korea in Fischereiwissenschaft
bap (Dreieck-Gimbap), Mini-Gimbap für Kleinkinder-Münder oder
promovierte, schrieb in Fischereierzeugnisse der Joseon-Zeit ,
„nacktes“ Gimbap, bei dem die Füllung mit Gim umwickelt und
dass die Geschichte des Gim in Korea 200 Jahre zurückreicht, als
die Reishülle darauf gepappt wird. Dazu gibt es noch landesweit
man an den Bangnyeom (reusenartige Fischfang-Vorrichtungen)
beliebte regionale Gimbap-Spezialitäten: Repräsentativstes Bei-
im Meer vor der Insel Wan-do, Provinz Jeollanam-do, Seetang
spiel ist Chungmu-Gimbap, eine Spezialität aus Chumgmu (heute:
fand, der dann zum Verzehr in Meeresfarmen angebaut wurde.
Tongyeong), Provinz Gyeongsangnam-do, bei dem der ungewürz-
Hiermit wird betont, dass unabhängig von der Frage, welches
te Reis in Gim gewickelt wird und mit scharfen Beilagen wie z.B.
Land nun Urheimat des Gimbap sein mag, die Gim-Zucht eigen-
Ggakdugi (würfelförmiger Rettich-Gimchi) oder gewürztem Tin-
ständig in Korea entwickelt wurde. Gim findet aber noch früher
tenfisch serviert wird. Es heißt, dass diese Variante für Seeleute
Erwähnung: In einem Gedenk-Monument aus den 1640er Jahren,
erfunden wurde, denen es an Zeit und haltbaren Zutaten für auf-
das für den Seonbi-Gelehrten Kim Yeo-ik in Gwangyang, Provinz
wändigere Gerichte und Mahlzeiten fehlte.
Jeollanam-do, errichtet wurde, ist zu lesen, dass Kim „während
Seit wann essen die Koreaner Gimbap? Ob Gimbap aus Japan nach
der Zweiten Mandschu-Invasion 1636 als Milizsoldat diente und zur
Korea kam oder es eine ursprünglich koreanische Spezialität aus
Zeit von König Injo (reg. 1623-1649) Gim züchtete und so zum Wohl-
alter Zeit ist — darüber wird immer noch heiß diskutiert. Man-
ergehen des Dorfes beitrug“. Auch in Der Geographie der Provinz
che behaupten, dass das japanische Maki-Sushi oder Futomaki-
Gyeongsang-do aus der Zeit von König Sejong (reg. 1418-1450)
Suhi während der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) oder
und im Dongguk yeoji seungnam (Geographischer Überblick über
schon mit der Öffnung der Häfen Ende des 19. Jhs nach Korea
Korea ) aus der Zeit von König Seongjong (reg. 1469-1494), wird Gim
kam, andere kontern, es sei doch nur natürlich, dass die Koreaner,
erwähnt. Beide Belege weisen darauf hin, dass Gim bereits lange
die schon seit jeher Gim gegessen haben, Reis in getrocknete See-
bevor er gezüchtet wurde, bei den Koreanern ein beliebtes, aus
tangblätter eingewickelt verzehren.
dem Meer gewonnenes Nahrungsmittel war.
60 KOREANA Frühjahr 2015
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Im Kreis Hadong-gun, Provinz Gyeongsangnam-do, wird folgende
le, sondern auch noch Suppe und Kimchi dazu. Wie auch immer,
berühmte, seit alter Zeit tradierte Geschichte über die Gim-Züch-
fest steht, dass Gimbap für alle, um die es wirtschaftlich schlecht
tung erzählt: Vor ca. 300 Jahren fand eine alte Muschelsammle-
bestellt ist, ein willkommenes und geschätztes Gericht darstellt.
rin an der Stelle, wo der Fluss Seomjin-gang ins Südmeer fließt,
Im Gegensatz dazu gibt es auch „Luxus-Gimbap“, propagiert als
ein von Seetang bedecktes Stück Holz. Inspiriert davon befestigte
„Wellness-Essen“ für Gesundheitsbewusste, dessen hoher Preis
sie Gim an Bambusstangen, die sie dann ins Meer steckte. Diese
mit den gesunden Zutaten gerechtfertigt wird. Manche kritisie-
als Stützstangen-Methode bezeichnete Zuchtmethode ist eine der
ren ihn als „Kaiser-Gimbap“ und monieren, dass es sich lediglich
ältesten ihrer Art.
um einen billigen Verkaufstrick handelt, während wieder andere meinen, dass Gimbap nicht unbedingt in der niedrigen Preis-
Billig-Gimbap vs. Luxus-Gimbap
klasse bleiben müsse. Die Idee, Gimbap vom Image des Kleine-
Gimbap, einst ein seltener und geschätzter Imbiss, den es nur zu
Leute-Essens zu befreien und in Restaurants mit einem gewissen
besonderen Anlässen wie Schul- oder Familienausflügen gab, ist
Ambiente zu genießen, ist erfrischend. Stellt sich die Frage, wie
heute einer der billigsten und beliebtesten Essen für jedermann
viele Menschen wohl bereit sind, 5.000-6.000 Won für eine Rolle
und jeden Tag. Die günstigste Rolle Gimbap ist schon für 1.000
Gimbap auszugeben bzw. sich dies überhaupt leisten können. Es
Won, also nicht mal einen Euro, zu haben und kostet damit deutlich
bleibt abzuwarten, ob dieser Luxus-Gimbap-Trend, geboren aus
weniger als eine durchschnittliche Mahlzeit. Als Koch beschäfti-
dem Misstrauen gegenüber der Qualität des Billig-Gimbaps einer-
ge ich mich stets mit Zutaten und Preisen, und ich frage mich, wie
seits und dem Verlangen nach einer neuen Art des kulinarischen
bei diesem Preis noch Gewinn zu machen ist. Denn eine Schale
Genusses andererseits, sich als kurzlebig erweisen wird, oder
Reis kostet in einem durchschnittlichen Restaurant normalerwei-
aber in nachhaltiger Erinnerung bleiben wird als ein aufschluss-
se 1.000 Won. Für denselben Preis erhält man in manchen Gim-
reicher Versuch, der die Wertschätzung von Gimbap als einst
bap-Läden aber nicht nur eine gewürzte und gefüllte Gimbap-Rol-
nahrhaftes und gesundes Essen erneut bestätigt.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 61
REISEN IN DIE KOREANISCHE LITERATUR
REZENSION
Der Weg von der Dunkelheit zum Licht Chang Du-yeong Literaturkritiker
Auf die Erzählungen von Jo Hae-jin passt das Wort „largo“ sehr gut: „breit und langsam, äußerst gedehnt“. In treffenden Ausdrücken und schlichten Sätzen bar jeder Überflüssigkeiten erzählt die Autorin langsam, aber ohne Stockungen. Sie gehört nicht zu den Schriftstellern, die zu sehr auf neue Stoffe oder Ideen angewiesen sind oder sich gern Humor, Geistreichtum oder Zynismus bedienen. Exakt berechnete „Langsamkeiten“ werden aufgehäuft, um am Ende der Erzählung erfolgreich einen gewichtigen Nachklang der Gefühle zu hinterlassen. In diesem Sinne kann man sagen,
A
uch die Erzählung Geleitschutz des Lichts ist voll von Ele-
menten der „Langsamheit”, was bereits von Anfang an deutlich zu erkennen ist. Sie beginnt damit, dass „ICH“ bei
seiner Ankunft auf dem New Yorker Flughafen auf dem Weg zur Einreisekontrolle kurz stehen bleibt. Der Flughafen voller Menschen, von denen jeder in Richtung seines jeweiligen Ziels hastet, ist ein symbolträchtiger Raum, der den Alltag des modernen Städters in konzentrierter Form widerspiegelt. Inmitten all dieser „Schnellheit“ hält der Protagonist plötzlich inne und wendet sich der „Langsamheit“ zu. Auslöser ist der fallende Schnee jenseits der Fenster. Der leise vom Himmel rieselnde Schnee, der die Rollbahnen bedeckt, verkörpert die Langsamheit. ICH bleibt, sich ans „Largo“ des fallenden Schnees anpassend, kurz stehen, löst sich in diesem Moment der Langsamheit von der Alltagsgeschäftigkeit und wird mit einer schemenhaften Szene aus Erinnerungen an eine ferne Vergangenheit konfrontiert. Ab hier beginnt die Erzählung mit dem Prozess, langsam, aber mit unnachgiebiger Stetigkeit zu den Geheimnissen der Vergangenheit vorzudringen.
dass Jos Erzählungen sich treu an die
Die dem Erzähler in diesem Moment im Ohr erklingende Melodie
charakteristische Ästhetik der kurzen Erzählung halten, bei der es Ausschnitte des menschlichen Lebens mit feinem,
aus der Vergangenheit ist ebenfalls von endloser Langsamheit.
scharfem Blick zu erfassen gilt.
auch dem Protagonisten. Die vage Melodie führt ihn „durch lange
Es ist eins dieser Lieder, die man den ganzen Tag einfach so vor sich hin summt, ohne Titel oder Interpret zu kennen, und das niemand außer einem selbst wahrzunehmen vermag. So ergeht es Zeiträume hindurch“ in eine weit zurückliegenden Vergangenheit: zu einem „kleinen, dunklen Zimmer“, einem „schneebedeckten Schulhof am Sonntag“ oder in ein „von dichtem Medikamentengeruch durchdrungenes Krankenzimmer“, und die Schritte, die der „breiten, langsamen und äußerst gedehnten“ Melodie folgen, bestimmen den epischen Rhythmus der Erzählung. Der in „Largo“ begonnene narrative Verlauf zeitigt mittels wohl durchdachter Andeutungen, geschickter Tempo-Kontrolle der
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epischen Entwicklung und gut gestrickten Plots ein komplexes
das wahrscheinlich entstehende Schweigen unter dem Regen-
Bedeutungsgeflecht. Der langsame und ruhige, manchmal sogar
schirm fürchtet. ICH hält Anteilnahme oder Kommunizieren für
Andächtigkeit hervorrufende originäre Grundton der Erzählung
Einmischung und gesteht daher: „Ich wollte nicht unbesonnen am
erinnert an eine von Meisterhand Stich für Stich gefertigte Sti-
inneren Drama eines anderen teilhaben“. Dass dieser Prozess
ckerei. Er verwebt die verschiedenen Einzelprozesse gekonnt zu
so mühevoll und schleppend ist, zeigt uns, welch tiefe und uner-
einem Ganzen, bei dem die Akkumulation kleiner Einzelhinwei-
schütterliche Aufrichtigkeit eine wahre Kommunikation mit dem
se Erstaunen auslöst und die Akkumulation dieser Momente des
Anderen erfordert.
Erstaunens wiederum Ansätze zu Einsichten in das Wesen des
Drittens, bei dieser Erzählung geht es um den Prozess, aufzu-
Menschen und der menschlichen Zivilisation gebiert.
zeigen, wie die Größe beschaffen ist, die vom Menschen verlangt
Erstens, bei dieser Erzählung geht es um den Prozess des Rät-
wird. Folgt man der sich mittels feiner Metaphern entwickelnden
sellösens. Der Leser beteilligt sich bereitwillig an den Bemühun-
Geschichte, stößt man auf die Gestalt des Anderen, der durch unser
gen des Protagonisten, die Schluchten der Vergessenheit über-
Desinteresse von der Welt entfremdet in einem kleinen, dunklen
springen zu wollen und sich der Wahrheit der Vergangenheit zu
Zimmer eingesperrt ist. Manchmal geschieht das auf der Ebene
stellen. Die Hinweise werden einer nach dem anderem angeboten
des Individuums, manchmal auf der der Geschichte. Wie dem auch
und ICH betrachtet sie still und lange. „Erst nachdem noch etwas
sein mag, wichtig ist: dem Anderen einen Lichtstrahl zu reichen,
mehr Zeit verflossen war, kamen diese Hinweise langsam und
damit er aus dem dunklen, kleinen Zimmer entkommen kann. Men-
Schritt für Schritt zu mir, gleichsam wie Fußspuren, die in gewis-
schen retten, d.h. einen „Geleitschutz des Lichts“ anzubieten, ist
sen Abständen in den Schnee auf dem Schulhof hineingedrückt
zwar „das Größte, etwas, das auch nicht jeder kann“, gleichzeitig
waren.“ Die Melodie jenseits des Gedächtnisses lässt sich nicht
aber auch eine menschliche Pflicht, die jeder unternehmen kann
durch einen Willensakt zum Erklingen bringen, sie nähert sich
und auch muss – so das leise Plädoyer der Erzählung.
einem vielmehr von alleine, Stück für Stück und langsam. Des-
Eine der Hauptfiguren in der Erzählung sagt: „Der Fußabdruck
halb sagt ICH: „Erst da wurde mir langsam bewusst, dass die-
trägt Licht in sich. Sieht er nicht aus wie ein voll mit Licht belade-
ses Bild von ihr, das ich an dem Tag auf der Straße gesehen hatte,
nes Bötchen?“ Tatsächlich gibt es immer und überall Licht in unse-
schon lange einen Teil meines Inneren besetzt gehalten hatte.“
rer Umgebung. Nur: um dieses Licht zu entdecken, muss man
Zweitens, bei dieser Erzählung geht es um den Prozess, den
die Wahrheit wiederherstellen und dem Anderen die Hand rei-
Anderen wahrhaftig zu verstehen. Sie zeigt, wie man entfremde-
chen. Mut ist gefragt, um das Zögern zu überwinden. Durch solche
te und verlassene Mitmenschen ansprechen kann, und die Lich-
Anstrengungen kann ein „kleines Licht“ zu einem „großen Licht“
terpracht, die sich in diesem Moment entfaltet. Dabei macht der
werden, das den einsamen und entfremdeten Menschen in unse-
Gefühlsaustausch zwischen dem ICH und dem Anderen einen
rer Umgebung Geleitschutz bietet. Die bedächtige und volle Stim-
mühsamen und schwerfälligen Prozess des Zögerns durch. Der
me der Autorin konzentriert sich am Ende auf die Möglichkeit der
Protagonist überlegt sich kurz, auf den anderen zuzugehen und
wahren Kommunikation mit dem Anderen. Das ist das menschliche
mit ihm seinen Regenschirm zu teilen, lässt es dann aber, weil er
Ethos, das diese Erzählung zum Ausdruck bringen möchte.
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