vo l .J2a4h,rgno m m2e rSo 2m 0 0m 9 er u r e ur K o r ehaen KAurnt st & uCnudl tKult a n. g2 5Su , nr. k oreanisc
2010
60 Jahre nach Ausbruch des Koreakrieges ISSN 1975-0617
KOREANISCHER SCHÖNHEITSSINN
Yeolsoepae (Schlüsselanhänger-Glücksbringer)
© Lock Museum
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rsprünglich waren Yeolsoepae nichts anderes als einfache Schlüsselanhänger, an die man Schlüssel befestigte, um sie bequem bei sich zu tragen. Sie entwickelten sich dann über ihren ursprünglichen Gebrauchszweck hinaus zu dekorativen kunsthandwerklichen Glücksbringern aus Metall. Der Körper bestand aus Byeoljeon, einer Art Gedenkmünze mit Symbolen und Schriftzeichen, die für den Wunsch nach Langlebigkeit und Glück stehen. Die Gedenkmünze ist mit bunten Schnüren, die wiederum mit anderen Münzen oder dekorativen Ornamenten wie Perlen und Zierknoten geschmückt sind, reich verziert. Es bestand die Tradition, der Tochter des Hauses einen Yeolsoepae als Mitgift mitzugeben und dem Paar auf diese Weise Glück und Prosperität zu wünschen. Neben den Schlüsselanhänger-Glücksbringern mit Gedenkmünzen wurden auch welche mit einem Körper aus bestickter Seide oder Riedgras entdeckt. Dieser Yeolsoepae war Teil einer Aussteuer in der Joseon-Zeit (1392-1910). Der Körper besteht aus einer birnenblütenförmigen Kupfermünze mit dem chinesischen Schriftzeichen für Langlebigkeit im Zentrum und dem Abbild eines Knaben jeweils rechts und links. Verglichen mit anderen Yeolsoepae, an denen Dutzende von dekorativen Münzen angebracht sind, wird bei diesem Stück die Ästhetik der zurückhaltenden Einfachheit betont. Das Design und die kunsthandwerkliche Verarbeitung sind jedoch beeindruckend. Geformt wie eine Birnenblüte mit fünf Blütenblättern, ein Symbol
der Herrscherdynastie von Joseon, wurde in den oberen Teil der Münze das Gesicht von Cheoyong, einer legendären Heldenfigur, die Dämonen zu verjagen vermocht haben soll, graviert. Ein Talisman mit dem Gesicht von Cheoyong galt früher als Schutz gegen Pocken. Die Ränder des Yeolsoepae sind mit dem mythischen Löwe-Drachen-Geschöpf Baektaek, das in Zeiten des Friedens und Wohlergehens erscheint, geschmückt. Die acht Dekor-Anhänger in Form von Lotos-Früchten symbolisieren Fruchtbarkeit. Am unteren Rand hängen zwei Kürbisschöpfkellen (Pyojubak) in Form von Pfirsichen. Die Kürbisschöpfkellen, deren beide Hälften ein perfektes Ganzes ergeben, stehen für Eheglück. Zwischen den beiden Kellen gibt es eine Kupfermünze (Yeopjeon), an der ein krummsäbelförmiger Pfeifenkratzer baumelt. Die purpurroten und roten Quasten sind mit Elfenbeinperlen verziert. Dieser Yeolsoepae gehört zur Sammlung des Schlossmuseums (www. lockmuseum.org), in dessen Besitz sich verschiedene antike koreanische Schlösser, Riegel und Yeolsoepae befinden, und das auf diesem Gebiet auch Forschungen durchführt. Die dekorativen Münzen des Yeolsoepae weisen neben der hier zu sehenden Birnenblütenform auch oft die Form eines Glücksbeutels (Bokjumeoni) auf. Daneben sind prächtig gefärbte Yeolsoepae häufig zu finden. Die dekorativen Yeolsoepae mit ihrem einzigartigen Symbolgehalt offenbaren durch ihren kunsthandwerklichen Stil viel über die Kultur und Bräuche in früheren Zeiten.
Koreanische Kunst und Kultur
Jahrgang 5, Nr. 2 Sommer 2010
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Der UN-Friedhof in Busan (U.N. Memorial Cemetery) ist die letzte Ruhestätte für die Soldaten der UN-Tuppen, die für die Verteidigung Koreas und des Weltfriedens ihr Leben geopfert haben. Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens wurden hier die sterblichen Überreste von rund 11.000 UNSoldaten aus 21 Ländern zur letzten Ruhe gebettet. In den Folgejahren wurden jedoch die Gebeine der meisten Soldaten auf Wunsch ihrer Familien in die jeweiligen Heimatländer überführt. Heute finden sich in der Friedhofsparkanlage noch 2.300 Gräber von Soldaten aus 11 Nationen. © Song Bong-keun
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60 Jahre nach Ausbruch des Koreakrieges 8 Der Koreakrieg und das Korea von heute Han Kyung-Koo 16 Das ins Herz geschnittene Trauma des Koreakrieges Hahn Myung-hee
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22 Wachstum Koreas in der Nachkriegszeit Park Tae-gyun 28 DMZ-Fotodokumentation: Militärisches Sperrgebiet und Ökosystem Choi Byung Kwan
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34 Der Koreakrieg in der Literatur Kim Chi-su 40 Koreas Ansehen in der Weltgemeinschaft Lee Tae Joo 84
44 Interview Kim Yuna Eiskunstlauf-Weltmeisterin Kim Yuna
| Kim Dong Wook
50 KUNSTHANDWERKER J o Chung-ik Jo Chung-iks traditionelle Fächer: schöne und praktische Kunstwerke Park Hyun Sook
56 KUNSTKRITIK Ausstellung enthüllt die Skulpturenwelt von Kwon Jinkyu Kim Yisoon 62 KOREA ENTDECKEN Korea-begeistert: von der Zeit der Drei Königreiche bis heute Élisabeth Chabanol 66 AUF DER WELTBÜHNE S him Jae Doo, Yu So Yeon Dr. Shim Jae Doo und seine Frau: 17 Jahre medizinischer Einsatz in Albanien
| Kim Mina
70 UNTERWEGS Fünf malerische Inseln im Gelben Meer warten auf die Wiedervereinigung | Kim Hyungyoon 78 KÜCHE Kongguksu: Nudeln in kalter Sojabohnenbrühe – ein nahrhaftes Gericht für den Sommer Lee Jong-Im
82 BLICK AUS DER FERNE Mit Geist und Herz: Erfahrungen koreanisch-deutscher Freundschaft Hans-Ulrich Seidt 84 LEBEN Die Stadtmauer von Seoul: ein Zeugnis lebendiger Geschichte im Herzen der Hauptstadt Charles La Shure 89
Reisen in die koreanische Literatur
Yi Hyo-seok
Yi Hyo-seok: Leben und Werk
Wenn der Buchweizen blüht |
IMPRESSUM Herausgeber The Korea Foundation 2558 Nambusunhwan-ro, Seocho-gu, Seoul 137-863, Korea PRÄSIDENT Kim Byung-Kook REDAKTIONSDIREKTOR Hahn Young-hee CHEFREDAKTEURIN Ahn In-kyoung KORREKTURLESERIN Anneliese Stern-Ko REDAKTIONSBEIRAT Cho Sung-taek, Han Kyung-koo, Han Myung-hee, Jung Joong-hun, Kim Hwa-young, Kim Moon-hwan, Kim Youngna LAYOUT & DESIGN Kim’s Communication Associate REDAKTIONSMITGLIEDER Lim Sun-kun FOTODIREKTOR Kim Sam KUNSTDIREKTOR Lee Duk-lim DESIGNER Han Su-hee, Kim Su-hye Herausgabezweck: ideell SUBSKRIPTION Vierteljährlich herausgegeben Preis für Jahresabonnement: Korea 18.000 Won, Luftpost in Deutschland und Österreich 32 EUR (einschließlich Porto) Preis für Einzelheft: Korea 4.500 Won, Deutschland und Österreich 8 EUR (einschließlich Porto) Subskription/Korrespondenzanschrift: Deutschland und Österreich The Korea Foundation Berlin Office c/o Botschaft der Republik Korea Stülerstraße 8-10, 10787 Berlin, Germany Tel: +49-(0)30-260-65-458 Fax: +49-(0)30-260-65-52 E-mail: koreana@kf.or.kr Andere Gebiete inkl. Korea The Korea Foundation Diplomatic Center Building, 2558 Nambusunhwan-ro, Seocho-gu, Seoul 137-863, Korea Tel: +82-2-2151-6544 Fax: +82-2-2151-6592 WERBUNG CNC Boom co,. Ltd Towercrystal Building, 1008-1, Daechi 3-dong, Gangnam-gu, Seoul, Korea Tel: +82-2-512-8928 Fax: +82-2-512-8676 LAYOUT & DESIGN Kim’s Communication Associates 398-1 Seogyo-dong, Mapo-gu, Seoul 121-840, Korea Tel: +82-2-335-4741 Fax: +82-2-335-4743 www.gegd.co.kr DRUCK Samsung Moonwha Printing Co. 274-34, Seongsu-dong 2-ga, Seongdong-gu, Seoul 133-121, Korea Tel: +82-2-468-0361/5 Fax: +82-2-461-6798
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Koreana ist als Vierteljahresmagazin beim Ministerium für Kultur und Tourismus registriert (Reg. Nr. Ba-1033 vom 8.8.1997) und erscheint auch auf Englisch, Chinesisch, Französisch, Spanisch, Arabisch, Japanisch und Russisch.
Die Hangang-Eisenbahnbrücke wurde von Südkorea in die Luft gesprengt, um den Vormarsch der nordkoreanischen Truppen zu stoppen. Heute führen in Seoul 27 Brücken über den Fluss Hang-gang, darunter auch die wieder aufgebaute Hangang-Eisenbahnbrücke.
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Der Koreakrieg war eine feindliche Auseinandersetzung, die am 25. Juni 1950 durch den Einmarsch der Truppen aus dem Norden ausgelöst wurde und sich bis zum Abschluss des Waffenstillstandsabkommens vom Juli 1953 drei Jahre lang hinzog. Dieser Krieg, der nur fünf Jahre nach der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft und drei Jahre nach der Proklamation der von den Außenmächten bewirkten Teilung des Landes und der Einsetzung zweier Regierungen ausbrach, hat die koreanische Gesellschaft bis in ihre Grundfesten hinein erschüttert. 60 Jahre nach diesem Krieg zählt die Republik Korea als Vorsitzland des G20-Gipfels in der Hauptstadt Seoul zu den wichtigen Mitgliedern der Weltgemeinschaft, die sich gemeinsam um Lösungen für die globalen Probleme bemühen. Sommer 2010 | Koreana 7
Koreakrieg und gesellschaftlicher Wandel Der Koreakrieg liegt zwei Generationen zurück und die koreanische Gesellschaft wird nun von einer Generation angeführt, die den Krieg nicht erlebt hat. Allerdings ist Korea das weltweit einzige noch geteilte Land, in dem die Konfrontation weiter anhält. Daher gilt der Koreakrieg für die Koreaner als ein „noch nicht beendeter Krieg“. Erfahren Sie mehr darüber, welchen Einfluss der Koreakrieg in den 60 Jahren danach auf die Denk- und Lebensweise der Koreaner ausgeübt hat. Han Kyung-Koo Kulturanthropologe, Professor am College of Liberal Studies, Seoul National University Fotos : Kim Yong-chul, Ahn Hong-beom
Das Nationale Kriegsmuseum (War Memorial of Korea), das im Juni 1994 seine Tore öffnete, gedenkt der historischen Ereignisse und stellt Relikte des Krieges zur Schau. Es befindet sich im Bezirk Yongsan-dong im Seouler Stadtteil Yongsan-gu. 8 Koreana | Sommer 2010
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er Koreakrieg war zwar ein weltpolitisch wichtiges Ereignis, er hatte aber auch auf die koreanische Gesellschaft starke soziokulturelle Auswirkungen. Natürlich war die Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft im Jahre 1945 historisch bedeutsam, ebenso die Gründung der Regierung der Republik Korea im Jahre 1948. Jedoch war der Koreakrieg, der 1950 ausbrach und der 1953 mit dem Abschluss eines Waffenstillstandsabkommens provisorisch beendet wurde, ein historisches Geschehen von wesentlich größerer Tragweite, da er die Weichen für Verhaltensmuster, Denkweise und Weltanschauung der Koreaner stellte und sogar die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung bestimmte. Der Koreakrieg im Überblick Der Koreakrieg brach am 25. Juni 1950 um 4 Uhr früh mit einem Blitzangriff der nordkoreanischen Truppen aus. Den südkoreanischen Truppen, die weit schlechter ausgerüstet und ausgebildet als ihre Gegner waren, blieb nichts anderes übrig, als sich immer weiter zurückzuziehen. Trotz der Intervention der UN-Einheiten gelang es dem Norden, außer einem Teil der Provinz Gyeongsang-do fast die ganze koreanische Halbinsel zu erobern. Eine Zeitlang sah es so aus, als ob das Ziel der gewaltsamen Vereinigung der koreanischen Halbinsel erreicht worden wäre. Doch durch die von General MacArthur geleitete erfolgreiche Landeoperation der UN-Truppen bei Incheon (Operation Chromite) konnte Seoul am 28. September zurückgewonnen werden. Die nordkoreanischen Invasoren wurden zurückgetrieben und die Alliierten drangen bis zum chinesisch-nordkoreanischen Grenzfluss Apnok-gang (Yalu) vor; am 19. Oktober fiel Pjöngjang. Kurz darauf griff China ins Kriegsgeschehen ein und Seoul wurde erneut von den kommunistischen Truppen eingenommen. Die Alliierten schlugen jedoch zurück und nach heftigen Gefechten an der heutigen militärischen Demarkationslinie wurde im Juli 1953 der Waffenstillstand vereinbart. Fast alle Regionen der koreanischen Halbinsel hatten unter dem Elend des Krieges zu leiden. Die sich immer wieder verschiebende Front, die enorme Zahl der Gefallenen und die Zerstörung der materiellen Infrastruktur
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versetzte der koreanischen Gesellschaft einen großen Schock. Es kam zu starken gesellschaftlichen Umbrüchen und Verschiebungen zwischen den sozialen Schichten, zur Verfestigung der Teilung und im Zuge des Wiederaufbaus zur Schaffung einer neuen sozialen und materiellen Infrastruktur. Die bis dahin gültigen zwischenmenschlichen Beziehungen sowie die traditionellen Wertvorstellungen lösten sich schnell auf und wurden zerschlagen, während sich gleichzeitig die Modernisierung beschleunigte, neue Wertvorstellungen aufkamen und Urbanisierung sowie Industrialisierung in Hochgeschwindigkeit erfolgten. In der koreanischen Bevölkerung, die grausame Tode und Verletzungen, Zerstörung, extreme Armut und Hunger, Zersplitterung der Familien und ideologische Konflikte erleben musste, verbreitete sich das große Verlangen nach wirtschaftlichem Aufstieg und Überwindung der Armut, zugleich aber auch die Furcht vor Krieg und Kommunismus. Vor allem aber entstand der brennende Wunsch nach Frieden und Sicherheit, nach Bildung und Kultur. Die Intervention der UN-Truppen ging zudem für die Koreaner mit einem großen Kulturschock einher. Vor allem die Vereinigten Staaten, die entschlossen und in großem Maßstab ins Kriegsgeschehen eingegriffen hatten, galten während des Krieges und in der Nachkriegszeit als mit Abstand wichtigster „Dritter“ in der koreanischen Gesellschaft. Die militärischen sowie humanitären Unterstützungen seitens der USA, ihre fortgeschrittene Wissenschaft und Technologie und ihr materieller Reichtum, der Reiz ihrer demokratischen Werte und Kultur, der im Vergleich zu Korea enorme quantitative und qualitative Unterschied in allen Bereichen usw. beeinflussten die Einstellung der Koreaner gegenüber den USA in entscheidender Weise. 10 Koreana | Sommer 2010
Erfahrung der Flucht Zu Anfang des Koreakrieges mussten viele Koreaner im Süden wegen des plötzlichen Zusammenbruchs der Front und der unverantwortlichen Reaktion der Regierung die Eroberung durch die nordkoreanischen Truppen erleben und den Befehlen der Sieger gehorchen. Das Chaos war besonders groß, weil die damalige koreanische Regierung im Süden dauernd große Töne gespuckt, aber dann Hals über Kopf die Hauptstadt aufgegeben hatte. Von denjenigen, die nicht fliehen konnten, mussten viele schreckliches Leid wie Massaker, Inhaftierung, Folter oder Verschleppung in den Norden ertragen. Die Überlebenden hatten später wegen des Verdachts, Kollaborateure gewesen zu sein, große Probleme, ein normales Leben in der Gesellschaft zu führen. Bei den so genannten „Hintergrundchecks zur Person“, die bis in die 1980er Jahre bei verschiedenen Anlässen an der Tagesordnung waren, galt das Prinzip „Schuldig aufgrund seiner Verbindungen“, was vielen den Weg zu öffentlichen Stellen versperrte. Während des Koreakrieges kam es zwei Mal zum Zusammenbruch der äußersten südkoreanischen Verteidigungslinie. Als Seoul durch die Intervention der kommunistischen Armee Chinas am 4. Januar 1951 zum zweiten Mal fiel, flohen die Bewohner der Hauptstadtregion in Scharen auf dem Land- und Seeweg nach Süden. Als Folge davon wurde Busan von Flüchtlingsströmen überflutet, so dass die Einwohnerzahl dieser Hafenstadt im Süden des Landes von ursprünglich 400.000 auf 1 Million hochschoss. Wer Glück hatte, ergatterte ein Zimmerchen für sich und seine Familie, ansonsten musste man sich aus Holzplatten, Kartons und Zelten eine notdürftige Unterkunft schaffen, die wenigstens etwas vor Regen schützte. Die Tatsache, dass ein Teil der Provinz Gyeongsang-do mit den
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Städten Daegu und Busan nicht in die Hände der nördlichen Truppen geriet, beeinflusste die spätere Entwicklung der modernen Geschichte Koreas in großem Maße. In den genannten Gebieten war die soziale Infrastruktur vergleichsweise gut erhalten geblieben und es gab dort folgerichtigerweise auch relativ wenig „Kollaborateure“, deren gesellschaftliche Aktivitäten beschränkt waren. Vor allem aber galt diese Gegend als am sichersten, auch wenn ein neuer Krieg ausbrechen sollte. Viele Behörden und Menschen hatten im Zuge der Flucht in irgendeiner Form Verbindungen zu dieser Region aufgenommen, was in großem Maße dazu beigetragen hat, dass sich in der Nachkriegszeit die Jeollado-Region (südwestlicher Teil der koreanischen Halbinsel) weniger entwickeln konnte als die Gyeongsangdo-Region (südöstlicher Teil). Die Wunden des Krieges und ihre Heilung Die Folgen des Krieges gingen weit über die hohe Zahl der Opfer und die Zerstörung der materiellen Infrastruktur hinaus. Der Krieg hinterließ auch in den Herzen der Menschen schmerzhafte Wunden und beeinflusste daher lange Zeit Verhaltensmuster und Denkweise der Koreaner. Die Japaner führten den „15-jährigen Krieg“, der mit der Mandschurei-Krise von 1931 begann, sich über den 1937 begonnenen JapanischChinesischen Krieg erstreckte und schließlich 1945 mit dem Ende des Pazifischen Krieges zu Ende ging. Dieser Krieg sorgte auch in Korea, das damals eine japanische Kolonie war, für Spannungen und Krisenstimmung. Die Koreaner mussten zudem nicht lange nach der Befreiung vom japanischen Militarismus und der damit einhergehenden Zwangsmobilisierung für die japanischen Kriegsziele auch noch die Teilung des Landes und den unbarmherzigen Koreakrieg über sich ergehen lassen.
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Die Straße Sejong-ro in der Seouler Innenstadt kurz nach Kriegsende und der Gwanghwamun-Platz, der sich heute im mittleren Abschnitt dieser Straße befindet
Auch nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens hielt die Konfrontation zwischen Nord und Süd weiter an. Das bedeutet, dass sich die Koreaner über Jahrzehnte hinweg in ihrer Existenz bedroht sahen und in einer Atmosphäre der Spannungen lebten. Diese harten Zeiten haben einerseits Überlebenswillen und Entschlossenheit der Koreaner gestählt, aber andererseits auch zu einer starken seelisch-geistigen Traumatisierung geführt. Ein Großteil der als negativ geltenden Seiten der Koreaner und der koreanischen Kultur können auch als Wunden verstanden werden, die eine lang anhaltende Krise und ein grausamer Krieg geschlagen haben. Die Koreaner, die die ausländischen Soldaten oder Auslandskorrespondenten während des Koreakrieges auf der koreanischen Halbinsel kennen gelernt haben, waren Menschen, die erneut einen schrecklichen Krieg erleben mussten, bevor sie sich von den Schmerzen des „15-jährigen Krieges“ hatten erholen können. Die Tatsache, dass Korea als Land gerade durch den Koreakrieg zum ersten Mal ins Bewusstsein der Welt rückte, dürfte einen besonderen Einfluss auf das Bild gehabt haben, das man sich von den Koreanern machte. Während und nach der Kriegszeit haben viele Koreaner im Zuge der Flucht und durch die Einziehung zum Militär zum ersten Mal die vertraute Gemeinschaft ihrer Heimatregion verlassen und mit völlig Fremden aus allen Ecken und Enden des Landes gemeinsam ums Überleben gekämpft. Außerdem erschienen in Krisensituationen wie dem Kampf ums schiere Überleben aufrichtige Menschen als inkompetent, so dass Sommer 2010 | Koreana 11
Koreakriegsveteranen aus dem British Commonwealth bei einem Besuch in Korea. Auf dem Programm stand auch eine Tour zum UN-Friedhof in Busan. Die Frau eines australischen Offiziers, der im Koreakrieg gefallen und hier vor rund 60 Jahren beerdigt worden war, wurde ihrem letzten Willen entsprechend an der Seite ihres Gatten bestattet.
sich das Bewusstsein verbreitete, zu den Verlierern zu gehören, wenn man anständig und aufrecht ist. Auch griff die Befürchtung um sich, dass man es mit fairem Wettbewerb oder mit Festhalten an den traditionellen Werten nicht mehr weit bringen könne. Der absolute Mangel an Gütern aller Art und die allgemeine Armut boten Vorschub für Vordrängelei und berechnendes Zweckdienlichkeitsdenken. Man tendierte auch dazu, die eigenen Regelverstöße durch die Annahme, dass der Wettbewerb sowieso nicht fair ablaufe oder sein Gegenüber die Regeln nicht einhalten würde, zu rechtfertigen. Auch nachdem die zerstörten Städte wieder aufgebaut, ein erstaunliches Wirtschaftswachstum erreicht und die Befreiung von der Armut gelungen war, hat es noch lange gebraucht, bis die Wunden im Inneren der Koreaner, die durch das ständige Gefühl der Bedrohung und den tragischen Bruderkrieg verursacht worden waren, endlich heilten. Denken und Handeln von Menschen, die jahrzehntelang täglich in Furcht leben mussten, ließen sich auch nach der Beseitigung der verunsichernden Faktoren nicht von einem Tag auf den anderen umkonditionieren. Und auch die Kinder dieser Menschen, die den Krieg nur aus Erzählungen kannten, konnten sich dem Einfluss der vom Krieg innerlich gezeichneten Elterngeneration nicht völlig entziehen. Es bleiben zwar immer noch eine Reihe von Problemen bestehen, jedoch sind die Wunden heute, 60 Jahre nach dem Kriegsausbruch, einigermaßen vernarbt. Auch trotz der anhaltenden Konfrontation zwischen Nord und Süd hat Südkorea die Demokratisierung und einen friedlichen Machtwechsel geschafft. Außerdem wurde die Pressefreiheit stark ausgeweitet und die Menschenrechte wurden befördert. Es verbleiben zwar immer 12 Koreana | Sommer 2010
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noch Faktoren der Verunsicherung, jedoch ist das lange Zeit stets unterschwellig vorhanden gewesene Gefühl der akuten Bedrohung verschwunden. Überreste der nationalistischen Erziehung Allerdings hat das anhaltende Krisengefühl auch seine Spuren im koreanischen Bildungswesen hinterlassen. Das imperialistische Japan, das für Invasionen und Kriege verantwortlich war, erlebte unter der amerikanischen Besatzung eine Demokratisierung der Bildung. Jedoch wurden in Korea, dem Opfer des japanischen Militarismus und der Kolonialherrschaft, während der Zeiten des Kriegs und der Verfestigung der Teilung Staatssicherheit, Antikommunismus und Krisenbewusstsein betont, so dass die Überreste der einstigen nationalistischen Bildung Japans in Korea im Vergleich zu Japan noch ziemlich lange zu spüren waren. Kurz vor dem Koreakrieg ordnete das Bildungsministerium an, dass jeder Schüler den so genannten Unser Eid mit folgendem Inhalt auswendig zu lernen hatte: „Erstens, wir als Söhne und Töchter der Republik Korea werden bis zum Tod unser Land verteidigen. Zweitens, wir werden wie Pech und Schwefel zusammenhalten und die kommunistischen Aggressoren niederschlagen. Drittens, wir werden auf dem heiligen Gipfel des Berges Baekdu-san die südkoreanische Flagge wehen lassen und die Vereinigung von Nord und Süd erzielen.“ Unser Eid stand in allen Büchern einschließlich der Schulbücher. Als dann der Krieg ausbrach, wurden die aktive Teilnahme der Schüler und Studenten am Krieg und ihre Aufopferung verherrlicht. In den Bildungseinrichtungen entstanden Schüler- und Studenten-
Diese harten Zeiten haben einerseits Überlebenswillen und Entschlossenheit der Koreaner gestählt, aber andererseits auch zu einer starken seelisch-geistigen Traumatisierung geführt. Ein Großteil der als negativ geltenden Seiten der Koreaner und der koreanischen Kultur können auch als Wunden verstanden werden, die eine lang anhaltende Krise und ein grausamer Krieg geschlagen haben.
korps, in deren Rahmen die Jugendlichen auch militärisches Training erhielten. Erst Ende der 1980er Jahre wurden die strengen Vorschriften bezüglich Haarlänge und Kleidung der Schüler gelockert und die autoritären Elemente in der Gesellschaft beseitigt.
später im Süden als „Hamheung-Naengmyeon“ (kalte Nudeln nach Hamheung-Art) bekannt. Im Süden waren zu der Zeit nämlich bereits Pjöngjang-Naengmyeon beliebt und man nannte das Nudelgericht aus Hamheung jetzt in Analogie dazu auch einfach nach seiner Herkunft.
Ernährungsgewohnheiten Auch die Ernährungsgewohnheiten der Koreaner erfuhren durch den Krieg einen großen Wandel. Durch die amerikanischen Soldaten lernten die Koreaner Produkte wie Kaffee, Kaugummi, Schokolade, Bonbons, Kekse, Trockenmilchpulver usw. kennen. Darüber hinaus wurde Mehl massenweise angeboten, so dass sich Teigwaren und Mehlspeisen verbreiteten. Während Teigwaren zuvor keine Alltagsgerichte waren, stieg seit 1956 durch die Einführung der amerikanischen Mehlüberschüsse das Angebot an Gerichten auf Mehlbasis z.B. Jajangmyeon (Nudelgericht mit schwarzer Bohnensoße). Außerdem verbreiteten sich nordkoreanische Spezialitäten wie Naengmyeon (Buchweizennudeln in kalter Brühe) landesweit. Zwar waren in Seoul und anderen Großstädten des Südens schon vor dem Krieg nordkoreanische Gerichte wie PjöngjangNaengmyeon einigermaßen bekannt, allgemeine und landesweite Verbreitung fanden sie aber erst, als sich mit Ausbruch des Krieges die Flüchtlingsströme nach Süden ergossen. Die Nordkoreaner, die sich im Süden niederließen, eröffneten Restaurants, in denen sie hauptsächlich für Menschen aus dem Norden „Gerichte mit dem Geschmack der Heimat“ anboten. Auf diese Weise hielten typisch nordkoreanische Gerichte wie Naengmyeon, Eobokjaengban (Rindfleisch-Gemüse-Platte mit wenig Brühe gekocht), Onban (Hühnersuppe mit Reis), Nokdujijim (Mungobohnen-Medaillons), Mandu (Maultaschen), Gajami Sikhae (Gewürzte, eingelegte Seezunge mit gekochter Hirse und Rettich) usw. Einzug im Süden. Auch heute kann man in nordkoreanischen Restaurants in den großen Städten wie z.B. in den zahlreichen Naengmyeon-Restaurants in Ojangdong und Eulji-ro oder in den Jokbal-Restaurants (Schweinehaxen-Restaurants) in Jangchung-dong in Seoul oft Kunden begegnen, deren ursprüngliche Heimat Nordkorea ist. Pjöngjang-Naengmyeon, das eigentlich eine nicht alltägliche Spezialität war, wurde nach dem Koreakrieg allmählich zu einem Alltagsgericht, das man heute auf der Speisekarte jedes koreanischen Restaurants finden kann. Hamheung-Naengmyeon wurde in der nordkoreanischen Provinz Hamgyeong-do ursprünglich „Bibimguksu“ (kalte Nudeln mit scharfer Chilisoße gemischt) oder „Hoebibimguksu“ (kalte Nudeln mit scharfer Chilisoße und Rohfischstreifen gemischt) genannt, wurde aber
Religion und religiöses Leben Die Teilung des Landes und der Krieg haben auch das religiöse Leben der Koreaner wesentlich verändert. Traditionell war auf der koreanischen Halbinsel der Schamanismus verbreitet, wobei im Süden der Erbschamanismus vorherrschte, während es im Norden mehr Schamaninnen gab, die ihre Berufung dadurch erhielten, dass ein Geist von ihnen Besitz ergriff. Nach der Gründung der kommunistischen Demokratischen Volksrepublik Korea im Norden wurde dort jedoch der Schamanismus unterdrückt, so dass viele Schamaninnen während des Koreakrieges in den Süden flüchteten. Demzufolge wurden auch im Süden die von Geistern besessenen Schamaninnen aktiv, was zu einem wesentlichen Strukturwandel im Schamanismus führte. Landesteilung und Krieg beeinflussten die einzelnen Religionen und konfessionellen Richtungen in sehr unterschiedlicher Art und Weise. Cheondogyo, die 1860 von dem Koreaner Choe Je-u gegründete „Religion des Himmlischen Weges“ oder „Östliche Lehre“ (verband Elemente des Konfuzianismus und des Taoismus; besonders einflussreich während der Unabhängigkeitsbewegung), deren Anhänger sich zu 70% im Norden befanden, verlor durch die Teilung des Landes und den Krieg stark an Boden. Auch der Konfuzianismus und der Buddhismus wurden zurückgedrängt. Im Gegensatz dazu erhielten die protestantische und die katholische Kirche im Zuge von Teilung und Krieg einen enormen Zulauf. Die presbyterianische Kirche war mit 70% ihrer Mitglieder hauptsächlich im Norden des Landes vertreten. Als sie von der nordkoreanischen Regierung unterdrückt und verfolgt wurde, floh ein großer Teil der Gläubigen und Führer nach Süden, was sich in der Nachkriegszeit entscheidend auf den Charakter des Protestantismus im Süden auswirkte. Die repräsentativsten Kirchen in Seoul wie z.B. die Youngnak Presbyterian Church und die Chunghyeon Church, die von den so genannten nordwestlichen, aus Pjöngjang stammenden Christen, gegründet wurden, fungierten als Zentren des Antikommunismus in der südkoreanischen Gesellschaft. Während und nach dem Krieg verbreitete sich der christliche Glaube stark durch die Missionsarbeiten im Militär und in den Kriegsgefangenenlagern, wobei allerdings auch Präsident Lee Sommer 2010 | Koreana 13
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Seung-mans (reg. 1948-1960) Neigung zum Christentum eine nicht ganz unbedeutende Förderrolle gespielt haben dürfte. Über die Kirchen erhielt die vom Krieg betroffene Bevölkerung Zugang zu Hilfsmitteln; sie stellten eine Brücke zu den Vereinigten Staaten dar und wurden sogar als „Kleines Amerika in Korea“ betrachtet. Viele Koreaner konnten ihre knurrenden Mägen in den Kirchen füllen und das positive Image der Vereinigten Staaten als „Land der Gnade“ nahm feste Gestalt an. Dass das Christentum in Korea zum Teil am Segen für das Leben im Diesseits orientiert ist, hängt nach Meinung von einigen Wissenschaftlern ebenfalls mit der Kriegserfahrung zusammen. Es wird auch interpretiert, dass das starke Wachstum der christlichen Kirchen darauf zurückzuführen sei, dass das Christentum im Unterschied zu anderen Religionen das Modell einer alternativen Gemeinschaft vorgelegt habe und eine Art Erklärung und Rechtfertigung für die Schrecken und Irrationalität des Krieges liefern konnte. Auf den Krieg folgten massive gesellschaftliche Umbrüche und Wanderungsbewegungen im Land, so dass die Kirchen zu Orten der Zuflucht wurden, wo man innere Ruhe und soziale Verbundenheit finden konnte. Die Kirchen, die von den aus ihrer Heimat im Norden in den Süden Geflohenen ins Leben gerufen wurden, fungierten für diese ihrer Wurzeln beraubten Menschen als alternative Basisgemeinschaft. Außerdem hielten die Kirchen für den Krieg eine religiöse Erklärung bereit: einige der religiösen Führer sahen im Koreakrieg eine „Prüfung Gottes, um das koreanische Volk zum großartigen Instrument der Rettung der Welt zu schmieden“. Andere wiederum interpretierten den Krieg als Zeichen des sich nähernden Weltuntergangs und des kommenden Großen Gerichts. Zwar waren das Erklärungen, die nur für einen beschränkten Kreis annehmbar waren, aber sie halfen nichtsdestoweniger die erbärmliche und nur schwer zu ertragende Realität zu verstehen. 14 Koreana | Sommer 2010
Heimatlose aus dem Norden Für den Koreakrieg, der von weitreichendem Ausmaß und langer Dauer war, wurden nicht nur zahlreiche Menschen mobilisiert, er brachte auch eine große Anzahl von Flüchtlingen hervor. Bei der Flucht spielten dabei der vorrangige Schutz männlicher Nachkommen für die Sicherung der Familienlinie und die begrenzten Transportmöglichkeiten eine Rolle, d.h. in vielen Fällen begab sich nicht die ganze Familie auf die Flucht. Das bedeutet, dass auf einen Flüchtling gleichzeitig drei bis vier von ihm getrennt lebende Familienmitglieder kommen. Allein während der 8 Jahre von 1945, als Korea von der japanischen Kolonialherrschaft befreit wurde, bis 1953, als das Waffenstillstandsabkommen abgeschlossen wurde, sind rund 1,5 Millionen Menschen aus dem Norden nach Süden gezogen, wodurch es zu etwa 4,5 bis 6 Millionen getrennt lebenden Familienmitgliedern kam. Diese Zahl entspricht nach dem Stand von 1950 15 bis 20% der gesamten koreanischen Bevölkerung. Die Heimatlosen aus dem Norden haben sich meist in den Städten niedergelassen, so dass sich in den 1950er Jahren Landflucht und Urbanisierung beschleunigten und die Verstädterungsrate 24,5% betrug. Der Krieg trug noch stärker als die Industrialisierung zu Urbanisierung und zum Wachstum der Armenschicht in den Städten bei. Über die in den Grenzgebieten gelegenen Küstenstädte wie Sokcho strömten massenweise Flüchtlinge aus dem Norden ein, so dass diese Gebiete einen plötzlichen Wandel ihres sozialen Charakters erlebten. Schon vor der Unabhängigkeit 1945 galt der nordwestliche Teil Südkoreas als dynamische und fortschrittliche Region mit gut entwickelten Bildungs- und Industrieeinrichtungen und auch einem hohen Anteil an Christen. Außerdem waren die Flüchtlinge aus dem Norden Menschen, die sich für die Flucht entschieden hatten, um zu überleben und die Chance auf ein besseres Leben zu ergreifen. Dass diese Heitmatlosen aus dem Norden in der koreanischen Gesellschaft als Menschen mit
1 Der Campus der Ehwa-Frauenuniversität. Die koreanischen Studenten von heute, die Söhne und Töchter der Nachkriegsgeneration, sind frei von den Wunden des Krieges. 2 Die Chunghyeon-Kirche wurde von Christen gegründet, die aus Nordkorea nach Süden geflohen waren.
starker Überlebenskraft und eisernem Willen gelten, ist daher selbstverständlich. Sie sind als Kämpfer gegen den Kommunismus hervorgetreten und haben die konservative Antikommunismus-Bewegung angeführt, aber gleichzeitig litten sie im Inneren wegen den Familienmitgliedern, die sie im Norden zurückgelassen hatten, und wurden zudem wegen ihrer Verbindungen zum Norden von den zuständigen Stellen überwacht. Erst 1985, 32 Jahre nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens, kam es zum ersten Treffen der in Nord- und Südkorea getrennt lebenden Famlilienmitglieder, 2000 fand das zweite Treffen statt. Viele der Vertriebenen aus dem Norden, die schon einmal ihre Heimat verlassen hatten, wanderten in Drittländer wie die Vereinigten Staaten aus. Die Befürchtung, dass auf der koreanischen Halbinsel erneut ein Krieg ausbrechen könnte, dürfte ein wichtiger Faktor bei dieser Entscheidung gewesen sein. Bildungsfieber und Wehrpflicht der Männer Der Krieg machte den Koreanern, die bereits durch die schmerzhaften Erfahrungen der Kolonialisierung die Wichtigkeit der Bildung erkannt hatten, klar, dass die moderne Bildung letztendlich über Überleben und Fortkommen entscheidet. Während des Kriegs konnten die Studenten den Termin für ihre Einberufung verschieben. Später, in der Zeit des Wiederaufbaus, konnte man unvergleichbar mehr Chancen und besseren Zugang zu verschiedenen Ressourcen genießen, wenn man über Englischkenntnisse oder eine moderne Bildung verfügte. Außerdem galten Bildungsabschlüsse als eine Art sicheres Kapital, das im Gegensatz zu materiellem Vermögen auch im Krieg nicht zerstört oder geraubt werden konnte, und als Schlüssel des Überlebens den Weg zu Macht und materiellem Wohlstand ebnete. Von der Bildung war das Schicksal einer ganzen Familie abhängig. Daher ist es nicht falsch zu sagen, dass das für die Koreaner typische Bildungsfieber durch den Krieg stark geför-
dert wurde. Auch nach Einstellung der Feindseligkeiten infolge des Waffenstillstandsabkommens konnte sich der Frieden auf der koreanischen Halbinsel nicht verankern und das durch die Konfrontation zwischen Nord- und Südkorea verursachte angespannte Klima hielt an. Südkorea sah sich daher gezwungen, eine im Vergleich zur Bevölkerung enorme, rund 600.000 Mann starke Armee zu unterhalten, weshalb jeder Koreaner seine Wehrpflicht zu erfüllen hat. Der Koreakrieg, die Konfrontation zwischen Nord und Süd und das Verteidigungsbündnis mit den USA führten zu einer im Vergleich mit anderen Bereichen sehr schnellen Modernisierung im Militärwesen. Das Militär konnte seinen Angehörigen zahlreiche Bildungs- und Trainingsmöglichkeiten anbieten und war administrativ sowie technisch fortgeschrittener als die übrige Gesellschaft. Diese Tatsache war neben der stark antikommunistischen Einstellung der koreanischen Bevölkerung ein wichtiger Hintergrund für Militärputsche und Militärregierungen in Südkorea. Viele junge Männer in Korea erleben während ihrer Militärzeit zum ersten Mal, was das Leben in Gesellschaft und Gemeinschaft bedeutet. Diese Erfahrungen sind prägend für ihr späteres Berufsleben, da sie im Militär lernen, wie zwischenmenschliche Beziehungen und Organisationen funktionieren. Kritische Intellektuelle meinen, dass die Militärerfahrung zum Fortbestehen der Macho-Tendenzen, des patriarchalischen Familiensystems und des Autoritarismus in der koreanischen Gesellschaft beiträgt und deshalb ein Hindernis für die Demokratisierung ist. Allerdings beneidet die Vorkriegsgeneration in Japan sogar die koreanischen Männer, die sich - im Gegensatz zur japanischen Nachkriegsgeneration - dank der allgemeinen Wehrpflicht durch starke Willenskraft, Kampfgeist, Erfahrung als Mitglied einer Organisation und Solidarisierungskraft auszeichnet.
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Flüchtlinge hasten auf ihrem Weg in den Süden über die Trümmer der Daedonggang-Eisenbahnbrücke in Pjöngjang. Das Bild erzählt von Elend und Schrecken des Krieges.
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Das ins Herz geschnittene Trauma des Koreakrieges Es war an einem Tag im vergangenen Frühling. Ein grauhaariger Mann mit von Falten zerfurchtem Gesicht stand an der mit Stacheldraht markierten Grenzlinie in der Nähe der Sicherheits- und Besuchszone Imjingak, die im Westen nahe der DMZ liegt, und starrte, die Hände auf den Stacheldrahtzaun gelegt, mit leerem Blick auf die Berge und Flüsse im Norden. Die Strahlen der Frühlingssonne, die von seinen silbergrauen Haaren reflektiert wurden, durchdrangen Röntgenstrahlen gleich Körper und Seele und brachten die tief im Herzen vergrabene Bitterkeit des alten Mannes, der durch den Krieg von seiner Familie getrennt worden war, ans Tageslicht. Es waren die Spuren von Schmerz und Leid des Krieges, das die meisten Koreaner erlebt haben, und das auch heute noch, 60 Jahre danach, in vielen nachklingt. Hahn Myung-hee Direktor der Imisi Academy for Korean Music-Culture Fotos : Sung Jong-yun
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or langer Zeit galt Korea in den Augen der Welt als „Königreich der Einsiedler“ oder „Land der Morgenstille“. Wie diese Beinamen bereits erkennen lassen, war es ein friedliebendes Land, das auf der Weltkarte einen Fleck in Nordostasien einnahm, der nicht weiter ins Auge fiel. Doch Ende des 19. Jahrhunderts begann sich ein Sturm über der friedlichen koreanischen Halbinsel zusammenzubrauen. So übten die westlichen Mächte Druck aus, um das Einsiedler-Königreich zur Öffnung zu zwingen, und das japanische Kaiserreich fiel in Korea ein und zwang es unter seine Herrschaft. Und gerade als es Korea gelungen war, innerhalb dieser bedrohlichen Dynamik der internationalen Machtkonstellationen die Unabhängigkeit zu erringen, drang als neue Gefahr - diesmal nicht übers Meer, sondern übers Festland - der Kommunismus auf der Halbinsel ein. Schießlich kam es dazu, dass die Halbinsel, auf der Jahrtausende lang ein Volk mit gemeinsamer Wurzel, gemeinsamer Sprache, gemeinsamer Kultur und Geschichte, gelebt hatte, entlang des 38. Breitengrades, quasi an der Gürtellinie entlang, geteilt wurde, was dazu führte, dass sich die beiden Koreas seitdem feindlich gegenüber stehen. Das Wunder am Han-Fluss Der Koreakrieg war für die Koreaner eine Zeit beispiellosen Elends und Leids. Das Land war bedeckt von den Spuren, die Gefechte und Zerstörung hinterlassen hatten, und durchdrungen vom Gestank der Leichen. Die Realität bestand aus einer unendlichen Folge von Hunger, Verzweiflung und Leid. Es hat zwar lange Zeit gebraucht, aber wie das alte koreanische Sprichwort „Die Zeit ist Arznei“ besagt, hat die Zeit die Wunden, die der Krieg geschlagen hat, allmählich gesäubert und heilen lassen. Wie die Berggipfel, die durch Bombenangriffe kahl geworden waren, aber sich im Laufe
der Zeit wieder grün färbten, so hat auch das einst zerstörte Äußere Koreas jetzt wieder sein eigentliches Bild angenommen. Genauer gesagt, hat es nicht seine ursprüngliche Gestalt wiedergewonnen, sondern es hat ein Meer des Wandels erlebt und präsentiert sich in einem völlig neuen Gewand. Das Land hat sich in ein hoch entwickeltes, neues Korea verwandelt, so dass man weltweit sogar vom „Wunder am Han-Fluss“ spricht. Es ist daher nicht falsch zu sagen, dass man zumindest am Äußeren Koreas keine Wunden des Krieges mehr entdecken kann. Jedoch ist der Koreakrieg noch nicht beendet. Und das ist nicht nur, weil Nord und Süd sich immer noch feindlich gegenüber stehen und bislang lediglich ein Waffenstillstandsabkommen, aber kein Friedensvertrag unterzeichnet wurde. Die Narben des Krieges mögen in wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Hinsicht nicht mehr sichtbar sein, aber geistig und emotional hat sich der Krieg tief in die Herzen der Koreaner gegraben. Nachgewachsenes Gewebe hat zwar die Verletzungen bedeckt und die akuten Schmerzen verschwinden lassen, aber das Trauma des Krieges ist bis ins Knochenmark gedrungen und lebt im Inneren vergraben weiter. Familiensuche 30. Juni 1983. Es war ein besonderer Tag, dessen Abend das ganze Volk mit Tränen in den Augen verbrachte. Denn die öffentlich-
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rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt KBS (Korean Broadcasting System) hatte eine Live-Sendung ausgestrahlt, durch die versucht werden sollte, die durch den Koreakrieg getrennten Familienmitglieder ausfindig zu machen. Obwohl seitdem bereits fast dreißig Jahre vergangen sind, bleiben die Emotionen, die die Sendung weckte, immer noch so frisch in Gedächtnis und Herz der Koreaner, als sei es erst gestern gewesen. Die Sendung mit dem Titel Kennt denn niemand diese Person ? wurde ursprünglich als einmalige Sondersendung produziert. Doch gleich zu Beginn der Ausstrahlung brach eine wahre Flut von telefonischen Anfragen über den Sender herein und zahlreiche, durch den Krieg von ihren Angehörigen getrennt lebende Personen kamen persönlich zum Sender, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. KBS, das von dieser überwältigenden Resonanz überrannt wurde, verlängerte spontan die Sendung bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages. Der Sender änderte schließlich seinen ursprünglichen Plan und machte aus der Sondersendung ein Dauerprogramm, das erst nach 138 Ausstrahlungen beendet wurde. In dieser Zeit nahmen rund 100.000 durch den Krieg getrennte Menschen an der Suche nach ihren Angehörigen teil und 10.189 Personen haben mit Hilfe der Fernsehsendung ihre verlorenen Angehörigen wieder gefunden. Während diese TV-Kampagne lief, kam es zu vielen rührenden Szenen: So wurde z.B. das KBS-Gebäude mit Zehntausenden von Suchanzeigen nach vermissten Familienmitgliedern beklebt, ein Bild, das bis heute in den Herzen der 18 Koreana | Sommer 2010
Koreaner weiterlebt und die Erinnerungen an das Elend des Krieges weckt. In Korea sprach man einst von „10 Millionen getrennt lebenden Familienangehörigen“. Die Zahl der Menschen, die während des Koreakrieges von ihren Familien getrennt wurde, machte fast ein Viertel der gesamten Bevölkerung Südkoreas aus. Jeder Vierte lebte praktisch getrennt von seiner Familie. An der KBSKampagne nahmen Südkoreaner – auch ursprünglich nordkoreanischer Herkunft – teil, die durch den Krieg von ihren Familienangehörigen getrennt worden waren und diese nicht wieder hatten treffen können. Nur diejenigen, die im Koreakrieg ihre Familien im Norden zurückgelassen hatten und alleine in den Süden geflohen waren, konnten nicht einmal den Versuch machen, ihre Angehörigen zu suchen, denn die militärische Demarkationslinie trennte den Süden vom feindlichen Norden und ein innerkoreanischer Austausch war unvorstellbar. Nach der Großaktion von KBS kam es jedoch zu einigen unregelmäßig stattfindenden innerkoreanischen Familientreffen. Die Zahl der Personen, die sich von 1988 bis 2009 für ein Treffen mit ihren Familienmitgliedern in Nordkorea angemeldet haben, beträgt rund 127.000. Etwa 19.000 davon konnten ihre im Norden lebenden Familienangehörigen tatsächlich auf einem der Treffen der getrennt lebenden Familienangehörigen sehen, etwa 42.000 der Antragsteller sind inzwischen verstorben. Denn die Antragsteller, die während des Koreakrieges, also vor rund 60 Jahren, ihre Familienangehörigen verloren haben
1 Soldaten und Flüchtlinge drängen an Bord eines Panzerlandungsschiffes, nachdem der Oberbefehlshaber der UN-Truppen am 12. Dezember 1950 den Evakuierungsbefehl für Heungnam erlassen hatte. Südkoreanische Truppen und UN-Einheiten, denen mit dem Kriegseintritt Chinas der Rückzug abgeschnitten worden war, machten sich zusammen mit Zivilisten in Scharen über den Seeweg in Richtung Süden auf. 2, 3 Am 30. Juni 1983, als KBS eine Direktübertragung zur Zusammenführung von Familien, die seit dem Krieg getrennt gewesen waren, ausstrahlte, wurde das Hauptgebäude des Senders von unzähligen Menschen aus dem ganzen Lande, die auf der Suche nach vermissten Familienangehörigen waren, aufgesucht. Sie bedeckten die Mauern des Gebäudes mit ihren Bitten um Hilfe. Eine Sendung, die ursprünglich als einmalige Ausstrahlung gedacht gewesen war, entwickelte sich zu einem Dauerbrenner für weitere 138 Tage. Es kam zu über mehr als 10.000 erfolgreichen Wiedersehen von durch den Krieg getrennten Familienmitgliedern.
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Die Zahl der Personen, die sich für ein Treffen mit ihren Familienmitgliedern in Nordkorea angemeldet haben, beträgt rund 127.000. Etwa 19.000 davon konnten ihre im Norden lebenden Familienangehörigen tatsächlich auf einem der unregelmäßig stattfindenden Treffen der getrennt lebenden Familienangehörigen sehen, etwa 42.000 der hochbetagten Bewerber sind inzwischen verstorben. Diesen alten Menschen bleibt nicht mehr viel Zeit, aber sie wissen nicht, wann sie ihre Blutsverwandten, nach denen sie sich so sehr sehnen, wiedersehen können. Dies zeigt erneut, wie schmerzhaft und tief die Wunden des Krieges sind.
und nun auf ein Wiedersehen hoffen, sind meist hochbetagte, über 80 oder 90 Jahre alte Menschen. Ihnen bleibt nicht mehr viel Zeit, aber sie wissen nicht, wann sie ihre Blutsverwandten, nach denen sie sich so sehr sehnen, wiedersehen können, da die nordkoreanische Führung diesbezüglich eine harte Haltung vertritt, die jedem gesunden Menschenverstand widerspricht. Dies zeigt wiederum, wie schmerzhaft und tief die Wunden des Krieges sind. Die sterblichen Überreste der Kriegsgefallenen Es war der 25. Juni 2009. In der Imisi Academy for Korean Music-Culture, einem Institut für die traditionelle Kultur Koreas, das mitten in einem stillen Tal außerhalb Seouls liegt, kamen etwa 200 Menschen, darunter Persönlichkeiten aus koreanischen Kulturkreisen, zusammen. Sie hatten sich zu einer Dichterlesung anlässlich des 59. Jahrestages des Ausbruchs des Koreakrieges versammelt. Die Veranstaltung begann mit einem Bericht von Oberstleutnant Yi Yong-seok, der seine Suche nach den sterblichen Überresten der Kriegsgefallenen beschrieb.
Danach wurde eine Reihe von bewegenden Gedichten über den Koreakrieg vorgetragen, und zwar von der bekannten Hörspiel- sowie Radio- und TV-Sprecherin Kim Se-won, den beiden ältesten Hörspielsprechern Koreas, Kim Jong-seong und Yu Gang-jin, und der älteren Schauspielerin Park Jeong-ja. Es folgten Saxophon-Darbietungen von beliebten Schlagern aus der Zeit des Koreakrieges und ein Auftritt von An Suk-seon, der Grande Dame des Pansori (traditioneller epischer Sologesang), die mit einem traurigen Lied das Publikum in eine schwermütige Stimmung versetzte. Über dieser Veranstaltung, die über zwei Stunden dauerte, hing eine ernste und traurig-melancholische Stimmung, die den Teilnehmern immer wieder die Tränen in die Augen trieb. Das war vor allem der Fall, als Oberstleutnant Yi Yongseok seine diversen Erfahrungen mit Suche und Ausgrabung der sterblichen Überreste der Kriegsgefallenen vortrug. Das koreanische Ministerium für Verteidigung hatte im Jahr 2000 das Ausgrabungsteam MND Agency for KIA Recovery & ID ins Leben gerufen. Dieses Büro zur Suche und Identifizierung Sommer 2010 | Koreana 19
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der im Kriegseinsatz Gefallenen wurde, wiewohl mit einiger Verspätung, nach dem Vorbild des JPAC (Joint POW/MIA Acounting Command), der entsprechenden Arbeitsgruppe des US-Verteidigungsministeriums, gebildet. Das koreanische Verteidigungsministerium schätzt die Zahl der Kriegsgefallenen, deren sterbliche Überreste noch nicht gefunden wurden, auf etwa 130.000. In den letzten zehn Jahren seit der Gründung des Ausgrabungsteams konnten 4.133 Kriegsgefallene gefunden werden. Das heißt, dass immer noch 126.000 im Einsatz gefallene Soldaten irgendwo in der Erde der koreanischen Halbinsel liegen und ihre sterblichen Überreste nicht an die Familien zurückgegeben werden konnten. Da seit dem Krieg viele Jahrzehnte verstrichen sind und sich das Umfeld enorm verändert hat, so dass nicht mehr viele die genauen Stellen angeben können, an denen man während des Krieges Gefallene begraben hatte, wird die Aufgabe des Ausgrabungsteams immer schwieriger. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Gebeine der Gefallenen nicht mehr ans Tageslicht gebracht werden können, zu Staub zerfallen, die Erde, in der sie liegen, nähren und die Blumen ihres Heimatlandes zum Blühen bringen. Das Opfer, das diese Soldaten brachten, war erhaben, ihr Ende aber nichtsdestoweniger bedauernswert. Gleich nach der Gründung des Ausgrabungsteams im August 2000 kam es in Hyeon-ri im Kreis Inje-gun, Provinz Gangwondo, zu einem fast mystisch anmutenden Ereignis. Die Region Hyeon-ri, die von Bergen mit einer Höhe von über 1.000 Metern umgeben ist, war während des Koreakrieges ein blutiges Schlachtfeld. Auch Kim Gwon-sun aus Suncheon im Süden der koreanischen Halbinsel kam hier bei einem Gefecht ums Leben. Als er eingezogen wurde, hatte er bereits eine Frau und eine einjährige Tochter. Seine Frau, die lange auf die Rückkehr 20 Koreana | Sommer 2010
ihres vermissten Mannes gewartet hatte, heiratete schließlich wieder und zog auf eine Insel im Südmeer. Kim Chun-hwa, die Tochter von Kim Gwon-sun, wuchs ohne Vater heran, heiratete schließlich und bemühte sich zusammen mit ihrem Mann darum, zumindest die sterblichen Überreste ihres vermissten Vaters zu finden. Von einem alten Kameraden ihres Vaters erfuhr sie, dass er während eines Gefechts in der Nähe der Brücke Yongpo-gyo in Hyeon-ri in der Provinz Gangwon-do gefallen sein sollte. Das Ausgrabungsteam unter Leitung von Oberstleutnant Yi Yong-seok begab sich in ein Dorf in der Nähe von Hyeon-ri und befragte die Dorfbewohner, wodurch es von dem seltsamen Traum des 63 Jahre alten An Seong-hwan, der in einem abgelegenen Haus lebte, erfuhr. In Ans Traum war sein verstorbener Vater erschienen und hatte gesagt: „Du, morgen wird hoher Besuch kommen. Derjenige, den sie suchen, ist im Luftschutzkeller hinter dem Haus. Es ist der, der an der untersten Stelle liegt und der am kleinsten ist.“ Zum Erstaunen aller wurden im Keller tatsächlich die Leichen von drei gefallenen Soldaten gefunden und die Leiche des kleinsten lag wirklich an der der tiefsten Stelle. Noch unglaublicher war aber, dass nach der DNA-Analyse der kleinste Gefallene, dessen Bein eine Kugel durchbohrt hatte, als Kim Gwon-sun, der Vater von Kim Chun-hwa, identifiziert werden konnte, und sich die im Traum gemachte Voraussage damit als wahr erwies. Der Schmerz über die verlorene Heimat Es gibt endlos viele rührende Geschichten in Bezug auf den Koreakrieg. Denn die Wunden, die der Krieg hinterlassen hatte, waren so unbeschreiblich schmerzhaft, die Sehnsucht nach den vermissten Familienmitgliedern und der Liebe des eigenen
1 Die Gedenkstätte Mangbaedan in Imjingak, Stadt Paju-si, Provinz Gyeonggido. Hierhin kommen die aus Nordkorea geflohenen Menschen an den hohen Feiertagen des Jahres und zu besonderen Anlässen, um die Ahnenverehrungszeremonien auszuführen und ihrer Familien auf der anderen Seite der Grenze zu gedenken. 2 Vom dritten Stock des Observatoriums in Imjingak hat man mit Ferngläsern einen Blick auf die in der Ferne gelegenen Landschaften Nordkoreas.
Fleisch und Bluts waren so groß, dass es sogar zu an Wundern grenzenden Ereignissen kam, ganz im Sinne des alten koreanischen Sprichwortes „Wenn man sich von Herzen Mühe gibt, kann sogar der Himmel gerührt werden“. Ein Zeitraum von 60 Jahren ist für den gesamten ostasiatischen Kulturkreis einschließlich Korea eine Zeit von besonderer Bedeutung. Denn in Asien gilt seit alters her der Jupiter als Maßstab der Zeiteinteilung, weshalb dieser Planet auch der „Zeitstern“ genannt wird. Die zwölf Jahre, die der Jupiter für eine Umkreisung der Sonne braucht, werden als die 12 Äste bezeichnet und bilden einen Jupiter-Zyklus. Die 60 Jahre, die der Jupiter für fünf Umkreisungen der Sonne braucht, gelten wiederum als Vollendung eines Zyklus des Menschenlebens. Daher sagt man, dass man mit 61 Jahren in die zweite Runde des Lebens eintritt. In diesem Sinne kommt 60 Jahren traditionell eine besondere Bedeutung zu, und es ist gerade in diesem Jahr, dass sich der Ausbruch des Koreakrieges zum 60. Mal jährt. Obwohl schon ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist, reichen schon kleinste Spuren des Krieges, um bei der Kriegsgeneration auch heute noch die Alpträume der Vergangenheit lebendig werden zu lassen und die alten Wunden aufzureißen. Dafür genügen schon z.B. Fotos von den gesprengten Brücken über dem Han-Fluss und den zerstörten Eisenbahnbrücken über dem Daedong-Fluss oder Fotos von Flüchtlingen, die sich wie ein Schwarm Hornissen auf ein amerikanisches Kriegsschiff im Hafen Heungnam stürzten und es auf das rettende Schiff schafften. Aber auch die Erinnerung an den Rückzug nach Süden am 1. April 1951, als man mitten im Winter ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen die Heimat verlassen musste, oder an die schwierige Zeit der Flucht, als es auf dem GukjeMarkt in Busan nur so vor hungernden Flüchtlingen wimmelte, lässt die Leiden der Kriegszeit wieder auferstehen. Viele Koreaner erinnern sich bei den Klängen der einst beliebten Schlager wie Sei tapfer, liebe Geumsun , an die traurigen Szenen des Koreakriegs. Und Bahnhof Busan, ein Ort des Abschieds lässt sie in die bitteren Tränen des Bedauerns versinken. Der Miari-Hügel voller Schmerzen , gesungen von einer Frau, die hilflos zusehen musste, wie ihr Mann von nordkoreanischen Soldaten verschleppt wird, lässt auch heute noch viele Frauen voller Sehnsucht nach dem im Krieg verlorenen Geliebten seufzen. Kennt denn niemand diese Person ? singt von den Leiden der getrennt lebenden Familienangehörigen und erweckt den Wunsch, ihre Lieben wenigstens im Traum noch einmal wie-
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derzusehen. In der Sicherheits- und Besuchszone Imjingak, die im Westen nahe der DMZ liegt, befindet sich die Gedenkstätte Mangbaedan. Es ist ein Altar, an dem die während des Kriegs nach Süden geflohenen Koreaner ihrer Vorfahren im Norden gedenken können. An den hohen Feiertagen oder an besonderen Tagen wie den Todestagen der Vorfahren suchen diese heimatlos gewordenen Menschen diesen Altar auf und entrichten hier zum Beispiel an Neujahr nach Lunarkalender mit einem Kotau den Neujahrsgruß an ihre Eltern im Norden oder halten Ahnenverehrungrituale für die Vorfahren ab. Es war an einem Tag im vergangenen Frühling, als es nach einem langen und kalten Winter besonders sonnig und warm war. Nicht weit von der Gedenkstätte Mangbaedan stand ein grauhaariger Mann mit von Falten zerfurchtem Gesicht an der mit Stacheldraht markierten Grenzlinie und starrte, die Hände auf den Stacheldrahtzaun gelegt, mit leerem Blick auf die Berge und Flüsse im Norden. Die Berge und Flüsse, die deutlich zu erkennen waren, lagen still da und gaben keine Antwort. Und auch der alte Mann stand still da, den Blick nach Norden gerichtet. Nur ein oder zwei Mal zog er ein Taschentuch heraus und wischte damit über seine Augen. Die Strahlen der Frühlingssonne, die von seinen silbergrauen Haaren reflektiert wurden, durchdrangen Röntgenstrahlen gleich Körper und Seele und brachten die tief im Herzen vergrabene Bitterkeit des alten Mannes, der durch den Krieg von seiner Familie getrennt worden war, ans Tageslicht, den tief sitzenden Schmerz, die Enttäuschung, die Geduld und die Sehnsucht. Es waren die Spuren von Schmerz und Leid des Krieges, das die meisten Koreaner erlebt haben, und das auch heute noch, 60 Jahre danach, in vielen nachklingt. Sommer 2010 | Koreana 21
Wachstum Koreas in der Nachkriegszeit Korea hat mit Hilfe der Soldaten der UN-Friedensmission aus 21 UN-Mitgliedsstaaten den Sprung unter die 20 f端hrenden Wirtschaftsnationen der Welt geschafft. Erfahren Sie anhand verschiedener Statistiken 端ber die wirtschaftliche, gesellschaftliche, kulturelle und demographische Entwicklung sowie den Wandel im Alltagsleben der Koreaner mehr 端ber das Wachstum Koreas in den 60 Jahren nach dem Krieg. Park Tae-gyun Professor an der Graduate School of International Studies, Seoul National University Fotos : Seo Heun-kang
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er Koreakrieg verursachte auf der koreanischen Halbinsel eine verheerende Katastrophe. Neben dem materiellen Schaden wurde durch das Auseinanderreißen der Familien, durch Kriegsmassaker usw. ein psychischer Schaden angerichtet, der sich nicht in Zahlen ausdrücken lässt. Diese inneren Wunden, die der Krieg hinterlassen hatte, äußerten sich vor allem durch den Verlust des Selbstbewusstseins und Verzweiflung. Als sich das Land von der japanischen Kolonialherrschaft befreite, waren die Koreaner von dem Selbstbewusstsein erfüllt, mit eigenen Händen eine starke und wohlhabende Nation aufbauen zu können. Selbst als im Jahr 1948 auf der Halbinsel zwei Regierungen ins Leben gerufen wurden, hoffte man noch, die Teilung bald überwinden und durch die Wiedervereinigung einen souveränen und unabhängigen Staat schaffen zu können.
Ein Ausflugsschiff auf dem Fluss Han-gang in Seoul und nächtliches Uferpanorama
Deshalb arbeitete man schon sehr früh in Nord- und Südkorea Pläne zur wirtschaftlichen Entwicklung aus. Volkseinkommen und Export Der Krieg machte Hoffnung und Selbstbewusstsein zunichte. Nach Kriegsende betrug das Pro-Kopf-Einkommen lediglich 65 Dollar, weniger als unter der japanischen Kolonialherrschaft. Auch einige Jahre später und trotz zwei Regierungswechseln belief sich das Pro-Kopf-Einkommen 1961 immer noch auf nur 82 Dollar. Wenn man die Inflation mit einbezieht, dann war der Einkommenszuwachs von 17 Dollar pro Kopf innerhalb von sechs Jahren relativ gesehen gleich null. Dennoch hatte die Republik Korea Hoffnung. Die Hoffnung, durch Bildung ein besseres Leben zu erreichen, und der starke Wille zur Entwicklung verbreiteten sich landesweit. Der Grundschulbesuch wurde kostenlos und die Rate der Grundschulabsolventen, die weiter zur Mittelschule gingen, stieg von lediglich rd. 16% im Jahre 1954 auf 38% im Jahre 1961. Die Zahl der Universitätsstudenten, die 1952 landesweit bei 30.000 und 1954 bei 60.000 lag, übertraf 1960 die 90.000er Marke. Vor allem hat sich der Anteil der weiblichen Studierenden erhöht: Direkt nach der Unabhängigkeit von Japan betrug er nur 1.000, 1960 aber bereits um die 17.000. Derzeit (Stand: 2009) beläuft sich die Gesamtzahl der Studierenden auf 3,074 Mio., darunter 1,212 Mio. Frauen. Die Kraft der Bildung brachte den starken Wunsch nach Demokratisierung und wirtschaftlicher Prosperität mit sich und führte durch die Revolution vom 19. April 1960 und die Wirtschaftspolitik von Präsident Park Chung-hee zu einem weltweit beispiellos raschen Wirtschaftswachstum. Korea, das 1964 so richtig in die Phase des wirtschaftlichen Aufstieges eintrat, verzeichnete ab den 1960er Jahren bis in die 1990er Jahre drei Jahrzehnte hindurch – ausgenommen nur um das politisch unruhige Jahr 1980 – eine Wachstumsrate von jährlich rund 10%. 1962, als der erste Wirtschaftsentwicklungsplan des Landes auf den Weg gebracht wurde, betrug Koreas Exportvolumen noch nicht einmal 100 Mio. Dollar. 1971 übertraf es bereits 1 Mrd. Dollar, 1977 10 Mrd. und 2008 schließlich 420 Mrd. Dollar. 2009 ging es mit 363,7 Mrd. Dollar um 13,8% zurück. Das Pro-Kopf-Einkommen, das erst 1977 die 1.000-Dollar-Marke überschritt, erreichte 1987 3.218 Dollar, 1995 10.000 Dollar und durchbrach im Jahr 2007 die 20.000-Dollar-Marke. 2009 brachte aber auch hier mit 17.175 Dollar – das niedrigste Niveau in fünf Jahren – einen Einbruch. Status als Industrienation Koreas Wirtschaftskraft fand 2009 Niederschlag in einem Bruttoinlandsprodukt von 832,9 Mrd. Dollar, was Platz 15 im weltweiten Ranking der Wirtschaftsmächte entspricht. In der vom Wirtschaftsmagazin Fortune 2009 erstellten Liste der global agierenden 100 Unternehmen finden sich 4 koreanische, darunter Samsung Electronics. In Korea werden heute in den Sommer 2010 | Koreana 23
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1962, als der erste Wirtschaftsentwicklungsplan des Landes auf den Weg gebracht wurde, betrug Koreas Exportvolumen noch nicht einmal 100 Mio. Dollar. 1971 übertraf es bereits 1 Mrd. Dollar, 1977 10 Mrd. und 2008 schließlich 420 Mrd. Dollar. Auch das Pro-Kopf-Einkommen, das erst 1977 die 1.000-Dollar-Marke überschritt, erreichte 1987 3.218 Dollar, 1995 10.000 Dollar und durchbrach im Jahr 2007 die 20.000-Dollar-Marke.
Bereichen Schiffbau, Halbleiter, Elektronik und Autoindustrie Weltspitzenprodukte gefertigt. Zieht man das Absatzvolumen der koreanischen Unternehmen in Betracht, so stellten sie 1996 2,9% der Gesamtabsätze der 500 weltweit größten Unternehmen. Im Zuge der Finanzkriese sank der Anteil zeitweilig auf 1,5%, hat sich jedoch derzeit wieder auf über 2,0% erholt. Korea ist eins der exportabhängigsten Länder der Welt und besitzt eine entsprechend außenhandelsorientierte Wirtschaftsstruktur. Hauptexportprodukte sind Elektroprodukte und Textilien, die Hauptexportwaren vieler asiatischer Länder sind, aber auch Automobile, die traditionell als Spezialbereich der fortgeschrittenen Industrieländer gelten. Korea vereint damit die Charakteristika der asiatischen Länder und der Industrienationen. Anstieg des Bildungsniveaus und Berufstätigkeit der Frauen Das Wirtschaftswachstum und der Wandel in der Wirtschaftsstruktur brachten enorme Änderungen für die koreanische Gesellschaft mit sich. Gingen 1961 nur 38% der Grundschüler eines Jahrgangs von der Grundschule weiter zur Mittelschule, so waren es 1987 bereits 100%. Während des gleichen Zeitraums stieg die Zahl der Mittelschüler, die weiter zur Oberschule gingen, und die der Oberschüler, die ein Studium aufnahmen, von jeweils 21% auf 80% bzw. von 6% auf 29%. Im Jahr 2008 traten 99,7% aller Mittelschulabsolventen und 99,9% aller Grundschulabsolventen in eine Oberschule bzw. Mittelschule ein und 83,8% aller Oberschulabgänger entschlossen sich zu einem Hochschulstudium. Im Zuge dieses Wandels erschlossen sich auch die Frauen die Berufswelt. Bis Ende der 1970er Jahre arbeiteten Frauen als einfache Arbeiterinnen in der verarbeitenden Industrie oder im Dienstleistungsbereich z.B. als Busbegleiterin. Ab den 1980er Jahren verstärkte sich aber ihre Präsenz in Fachberufen. Die Erwerbsquote der Frauen registrierte im Jahr 2009 50%. Ein auffallend hoher Frauenanteil findet sich dabei im Erziehungsbereich: So betrug 2009 der Anteil der Frauen unter den Grundschullehrkräften 74%, 64,5% im Mittelschul- und 42,1% im Oberschulbereich. Auch unter den erfolgreichen Bewerbern für die Beamtenlaufbahn ist der Frauenanteil hoch: 2009 waren 65,7% aller Kandidaten, die die staatliche Prüfung für den Eintritt in den auswärtigen Dienst bestanden, weiblich. An zweiter Stelle steht der verwaltungsdienstliche Bereich mit 51,2% Frauenanteil unter den erfolgreichen Bewerbern; unter den Kan-
didaten, die das juristische Staatsexamen erfolgreich ablegten, waren 38,0% weiblich. Im derzeitigen 18. Parlament Südkoreas beträgt der Anteil der weiblichen Abgeordneten 13,7% (41 von insgesamt 299 Abgeordneten). Im Vergleich zum 2000 gewählten 16. und zum 2004 gewählten 17. Parlament ist das ein Anstieg von jeweils 7,8% bzw. 0,7%. Urbanisierung Das Ausmaß des gesellschaftlichen Wandels wird vor allem an der Verbreitung von Fernsehapparaten, Radios und Personenkraftwagen deutlich. Im Jahr 1959 gab es auf südkoreanischem Boden nur rund 300.000 Radiogeräte (Verbreitungsrate: 9,1%) und 1.000 Fernseher. Selbst 1965 noch besaßen weniger als zehn von 1.000 Einwohnern ein Fernsehgerät. In den 1980er Jahren stieg die Verbreitungsrate dann auf rund 200 Apparate pro 1.000 Einwohner und bis 1995 auf etwa 360 Apparate. Geht man von 3 bis 4 Mitgliedern pro Familie aus, bedeutet das, dass fast jede Familie mehr als einen Fernsehapparat besitzt. Heutzutage gibt es in der Familie daher nur noch selten Streitereien um das Fernsehprogramm, was bis in die 1980er Jahre noch ein häufiger Zankapfel war. Die Verstädterung nahm sprunghaft zu: die Urbanisierungsrate, die 1955 nur 23% betrug, überschritt 1960 30%, erreichte 1975 47% und kletterte bis 1990 sogar auf 73% und 2005 auf 81%. Derzeit gibt es zwar auch Städter, die des Stadtlebens überdrüssig sind und zurück aufs Land ziehen, aber ihre Zahl ist dermaßen unbedeutend, dass von einem Stopp des Urbanisierungstrends nicht die Rede sein kann. Die Urbanisierung ist einerseits ein Ergebnis der Abwanderung vom Land in die Stadt, andererseits aber auch Resultat der zunehmenden flächenmäßigen Ausdehnung der Städte. Die Urbanisierung führte zum Rückgang der Landbevölkerung: 1967 lebten noch 16 Mio. Personen in Bauernhaushalten. Mit der starken Industrialisierungswelle Ende der 1970er Jahre ging diese Zahl jedoch drastisch zurück. Der Anteil der städtischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung betrug 1960 28%, 1971 bereits 41% und machte bis 1990 einen Riesensprung auf 74%. Im Rahmen der Saemaul-Bewegung (Bewegung Neues Dorf), die 1970 von Park Chung-hee zur Entwicklung der ländlichen Gebiete gestartet wurde, wurde das Stromversorgungsnetz ausgebaut, so dass sich der Prozentsatz der ans Stromnetz angeschlossenen Dörfer von lediglich 20% im Jahr 1970 auf 98% im Jahr 1978 erhöhte. Das konnte jedoch
1 Die Werft von Hyundai Heavy Industries in Ulsan. Koreas Schiffsbauindustrie belegt Platz 1 der Weltrangliste. 2 Der Internationale Flughafen Incheon wurde fünf Jahre in Folge als bester Flughafen der Welt ausgezeichnet.
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das enorme Wachstum der Städte nicht aufhalten. Die Zunahme der Einwohnerzahl der Städte löste eine dramatische Zunahme der privaten Personenkraftwagen aus. Die Zahl der PKWs pro 10.000 Haushalte lag 1955 noch unter 10, stieg aber bis 1980 auf über 100, bis 1990 auf über 1.000 und lag 2005 schließlich bei mehr als 10.000. Heute besitzt in Korea jeder Haushalt im statistischen Schnitt mehr als einen Wagen. Dieser starke Anstieg der Zahl der privaten PKWs wurde dadurch gefördert, dass Korea ab 1975 mit der Autoproduktion begann, die Ölpreise in den 1980er Jahren zurückgingen und das Autobahnnetz nach der Fertigstellung der GyeongbuAutobahnstrecke von Seoul nach Busan in großem Maßstab ausgebaut wurde. Die Mittelschicht Der oben beschriebene rasche Wandel zu einer Industriegesellschaft hat das Leben der Koreaner komfortabler gemacht und zugleich den Anteil der Bevölkerung erweitert, der sich als zur Mittelschicht gehörig versteht. Im Jahr 1960 sahen sich nur 20,5% der Koreaner als der Mittelschicht zugehörig. Dieser Anteil verdoppelte sich bis 1980 auf 40,3% und betrug 2000 sogar 53%. Die Verbreitung des Bewusstseins, zur Mittelschicht zu gehören, war eine wichtige Grundlage für die rasche Demokratisierung der koreanischen Gesellschaft. Nach dem OECD-Kriterium gehören diejenigen städtischen Arbeitnehmer zur Mittelschicht, deren Einkommen im Bereich von 50% bis 150% des Durchschnittseinkommens liegt. Auf dieser Basis machte 2009 die Mittelschicht mit einem monatlichen Einkommen zwischen rund 1,51 Mio. Won und 4,53 Mio. Won (etwa zwischen 1.190 und 3.560 Dollar) 66,7% der Gesamtbevölkerung aus. Alterung der Gesellschaft und gesellschaftliche Ausgrenzung Der rasche Wandel der Gesellschaft hat Veränderungen in den Wertvorstellungen und im Lebensstil der Koreaner hervorgerufen. Mit der Entwicklung der Medizin und dem steigenden Wunsch nach höherer Lebensqualität erlebt Korea eine rasche
Alterung der Gesellschaft, so dass sich das Interesse von vielen Koreanern jetzt vermehrt auf den Lebensabschnitt nach dem Eintritt in den Ruhestand richtet. Die durchschnittliche Lebenserwartung, die 1960 52,4 Jahre und 1987 70 Jahre betrug, stieg bis 2005 auf 79 Jahre und erreichte 2007 sogar 79,4 Jahre. Parallel dazu ist die durchschnittliche Körpergröße der 17jährigen männlichen Jugendlichen zwischen 1965 und 1987 von 163,7cm auf 169,5cm, i.e. um 6cm, gestiegen. Nach einer Untersuchung über Körpermaße und Körperkraft der südkoreanischen Bürger, die das Ministerium für Kultur und Sport 2007 durchgeführt hat, lag die Durchschnittsgröße der Männer zwischen 19 und 24 Jahren bei 175,0cm und die der Frauen bei 161,9cm. Ein Grund für die Zunahme der durchschnittlichen Körpergröße war zum einen die verbesserte medizinische Versorgung: So sank die Zahl der Einwohner pro Arzt von 1965 (3.066 Einwohner pro Arzt) um 50% auf 1.218 Einwohner pro Arzt im Jahr 1987. Zum anderen verbesserten sich die hygienischen Bedingungen dank der emporgeschossenen Rate der Verbreitung der Kanalisation von 17,1% (Stand: 1965) auf 70% (Stand: 1987). Infolgedessen stieg der Alterungsindex (Anteil der Bevölkerung über 65 im Verhältnis zu den bis 14-Jährigen) rasch an: 1960 registrierte der Index 7 Punkte, 1990 20, 2000 35, 2005 50 und 2009 schließlich 63,5 Punkte. Allerdings ist die Gesamtfruchtbarkeitsrate (Anzahl der Kinder, die eine Frau im gebärfähigen Alter zur Welt bringt), die 1970, als die Familienplanungskampagnen zur Verlangsamung des Bevölkerungswachstums gestartet wurden, noch bei 4,5 Kindern lag, stark zurückgegangen. 2005 gehörte Korea mit nur noch 1,2 Kindern zu den Ländern mit einer der weltweit niedrigsten Gesamtfruchtbarkeitsraten. Während die Gesellschaft stark altert, ist der Anteil der Kernfamilien, inklusive der Ehepaare ohne Kinder und der Alleinlebenden, auf 21,2% aller Familien hochgeschnellt (1960 betrug er nur 7,5%) und die durchschnittliche Zahl der Mitglieder pro Familie auf unter drei Personen (Stand: 2005) gesunken, so dass die Rate der Mehrgenerationenfamilien nur noch 12,5% (Stand: 1990) beträgt. Vor etwa dreißig Jahren noch bestanden 28,5% (Stand: 1960) aller Familien aus drei Generationen. Familien mit mehr als 7 Mitgliedern machten 2009 lediglich 0,5% aller Familien in Korea aus. Demzufolge wird die Altenfürsorge in der koreanischen Gesellschaft als wichtige Aufgabe thematisiert und die so genannte Silberindustrie, die auf die Bedürfnisse der Senioren spezialisiert ist, profiliert sich zu einem strategisch bedeutenden Industriezweig. Die Industralisierung mit deren negativen Folgen der Entfrem-
1 Ein Clean Room im Giheung-Halbleiter-Komplex von Samsung Electronics. Koreas Elektroindustrie, zu der auch die Fertigung von Halbleitern gehört, ist in Riesenschritten gewachsen.
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2 Autos made in Korea werden in die ganze Welt exportiert. Korea ist das 2 fünftgrößte Kfz-Herstellerland der Welt.
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dung und Ausgrenzung hat dazu beigetragen, dass sich die Zahl der Gläubigen zwischen 1964 und 1985 verdreifachte. Während 1964 nur 13% der Gesamtbevölkerung (3,57 von insgesamt 28,18 Mio. Koreanern) einer Religion angehörten, waren es 1985 schon 43% (17,2 von insgesamt 40,42 Mio. Koreanern ). Sonstige Zahlen und Daten Infolge der niedrigen Geburtenrate und des dadurch verursachten Rückgangs der Bevölkerung ergab sich die Notwendigkeit, ausländische Arbeitskräfte ins Land zu holen, so dass die Zahl der Ausländer mit Langzeit-Aufenthaltsgenehmigung, die im Jahr 1999 lediglich bei 150.000 lag, bis 2005 bereits auf über 500.000 gestiegen war. Darüber hinaus stieg auch die Rate der internationalen Eheschließungen, die 2002 lediglich 5,0% aller Heiraten stellte, aber 2003 und 2008 schon bei 8,2% bzw. 11% lag. Bis in die 1980er Jahre kam es zu internationalen Eheschließungen hauptsächlich bei koreanischen Auslandsstudenten oder zwischen koreanischen Frauen und Angehörigen der in Südkorea stationierten US-Streitkräfte. Seit 2000 kommt es jetzt aber immer häufiger vor, dass koreanische Männer auf dem Land Frauen aus anderen asiatischen Ländern heiraten, da junge Koreanerinnen das Leben auf dem Land zunehmend scheuen. Die Kinder aus den internationalen Familien werden „Kosian“ genannt und das gesellschaftliche Interesse an der Multikulturalisierung Koreas nimmt zu. Heutzutage ist es schon etwas Alltägliches geworden, in Korea Menschen aus dem Ausland zu begegnen. Das Desinteresse gegenüber den Problemen der Arbeitsmi granten und gesellschaftliche Probleme verschärfen sich jedoch. Im Zuge der weltweiten Globalisierung hat sich zwar
die Zahl der in Korea tätigen Ausländer erhöht, das allgemeine Interesse Koreas am Ausland richtet sich jedoch fast ausschließlich auf die fortgeschrittenen Länder und weniger auf die Entwicklungsländer. Dies belegt die Tatsache, dass lediglich 0,1% des Volkseinkommens Koreas im Rahmen der Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (ODA) zur Verfügung gestellt wird. Damit rangiert Korea unter den 30 OECD-Mitgliedsstaaten in diesem Bereich auf Rang 29. Die rasche Industrialisierung und der Wandel im Lebensstil der Koreaner hat das Land im Jahr 2005 in Bezug auf Energiesowie Erdölverbrauch auf jeweils weltweit Platz 7 gebracht. Gedankenloser Energie- und Ressourcenverbrauch verursacht Umweltprobleme. Im Jahr 2009 stand Korea im Energie- sowie Erdölverbrauch jeweils auf Platz 9 der weltweiten Spitzenkonsumenten. In Korea ist auch eine negative Entwicklung im Bereich der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeitnehmer zu beobachten, obwohl sich eine normale marktwirtschaftliche Wirtschaftsstruktur etabliert hat: Der Organisationsgrad lag 1963 bei 9%, stieg bis 1981 auf 15%, ist aber bis 2005 auf 10% zurückgegangen. Und auch 2008 waren nur 10,5% aller koreanischen Arbeitnehmer in einer Gewerkschaft organisiert. Korea hat zwar ein so großes wirtschaftliches Wachstum erzielt, dass es nicht länger zu den Entwicklungsländern gerechnet werden kann, aber das gesellschaftliche Interesse an Sozialfürsorge oder Arbeitsbedingungen scheint mit dem Wirschaftswachstum nicht Schritt gehalten zu haben. Obwohl seit der Finanzkrise im Jahr 1997 eine soziale Polarisierung zu beobachten ist und die Gesellschaft sich zu einer alternden Gesellschaft entwickelt hat, werden die Maßnahmen zur sozialen Fürsorge zurückgefahren. Sommer 2010 | Koreana 27
DMZ-Fotodokumentation: Militärisches Sperrgebiet und Ökosystem Die Demilitarisierte Zone (DMZ) auf der koreanischen Halbinsel gilt seit langem als Terra prohibita. Allerdings wurde ich 1997 vom südkoreanischen Verteidigungsministerium damit beauftragt, diese Zone zu fotografieren. Die Ergebnisse des Projekts wurden 1998 in dem Fotoband 155 Meilen Waffenstillstandsgrenze: ein Ort des Bedauerns, der Spannungen, aber auch der Hoffnung veröffentlicht. Die Bilder wurden zudem auf Einladung der UNO im UN-Hauptquartier in New York unter dem Titel Korea‘s DMZ: In Search for Peace and Life präsentiert (28. Juni - 9. Juli 2010). Choi Byung Kwan Fotograf
Die DMZ hat sich entlang der Waffenstillstandslinie zu einer weitläufigen Graslandschaft entwickelt. 28 Koreana | Sommer 2010
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Die Demilitarisierte Zone ist ein Gebiet, das seit Abschluss des Waffenstillstandsabkommens vor über einem halben Jahrhundert für die allgemeine Öffentlichkeit strikt gesperrt und nur für Militärangehörige zugänglich ist. Daher wurde es für die dortige Tier- und Pflanzenwelt zu einem Paradies der vollkommenen Freiheit und des Friedens. Ich konnte dort viele seltene Pflanzen- und Tierarten entdecken, die als ausgestorben galten. Innerhalb der Zone des Todes ist quasi wieder Leben erwacht und die DMZ dient nun als ein Zuhause für eine Vielzahl von wunderbaren und geheimnisvollen Lebewesen.
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er dreijährige Koreakrieg endete an der Stelle, wo er ausgebrochen war. Es war ein Krieg ohne Sieger und ohne Verlierer, ein unsinniger und trauriger Bruderkrieg. Am 27. Juli 1953 unterzeichneten der Oberbefehlshaber der UN-Truppen, der nordkoreanischen Volksarmee und der Freiwilligenarmee der Volksrepublik China ein Waffenstillstandsabkommen. Nach diesem Abkommen wurden die Feindseligkeiten an allen Fronten eingestellt und zur Vorbeugung erneuter militärischer Zusammenstöße eine Pufferzone von 4km Breite und 249,4km Länge eingerichtet. Dieses Gebiet ist die Demilitarisierte Zone (DMZ) zwischen Nordund Südkorea und genau in ihrer Mitte verläuft die militärische Demarkationslinie. An dieser Linie stehen an der südlichen Seite auf der gesamten Länge insgesamt 1.125 in Koreanisch und Englisch beschriftete Warnschilder. Eine 155 Meilen lange Grenzwanderung Anfang 1997 wurden im Hauptquartier der südkoreanischen Armee konkrete Pläne zur Aufnahme von Dokumentarfotos in der Demilitarisierten Zone ausgearbeitet. Ich erhielt den Auftrag und habe zwei Jahre lang drei Mal die 155 Meilen lange Waffenstillstandsgrenze, die die koreanische Halbinsel in der Mitte 3 durchschneidet, zu Fuß und mit der Kamera in der Hand abgewandert. Es war zum ersten Mal nach dem vor einem halben Jahrhundert beendeten Koreakrieg, dass die DMZ von der Kameralinse eines zivilen Fotografen erfasst wurde. Schon Tage vor meinem Aufbruch an diese Stätte der Tragik, die der Krieg hinterlassen hatte, packte mich die Aufregung. Ich konnte es nicht recht fassen, dass ich mich mit Soldaten zusammen in diesem Grenzstreifen aufhalten und dort meiner Tätigkeit als Fotograf nachgehen würde. Ich stellte meine zwei Taschen auf den Rücksitz des Militärjeeps und setzte mich neben mein Gepäck. Meine alte Mutter stand vor dem rostigen Hoftor unseres Hauses und sah mich nur stumm an. Auf dem rechten Vordersitz saß ein Oberstleutnant, der mich bis zu einem Militärlager an der Grenze zu Nordkorea begleiten sollte. Der Jeep fuhr ohne Halt Richtung Norden. Meine achtzig Jahre alte Mutter blieb am Tor stehen, bis der Wagen aus ihrem Gesichtskreis entschwand. Nach einer Weile konnte man an den Straßen Kolonnen bewaffneter Soldaten und auch immer mehr Militärfahrzeuge sehen. Mir schien sogar mit jedem Meter, den wir uns der DMZ näherten, die Luft kühler zu werden. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich vergaß das Sprechen. Im Wagen herrschte Stille. Die Kasernen an der innerkoreanischen Grenze waren in den Wäldern verborgen und kaum zu erkennen. Hier und da hielten uns Militärpolizisten mit Gewehren über der Schulter an, um den Wagen zu untersuchen. Der Offizier für Information und Schulung teilte mir eine Unterkunft zu. Ich hatte meine Mutter, die ich alleine zu Hause zurückgelassen hatte, schon längst vergessen und wünschte mir bloß, dass der Krieg von der koreanischen Halbinsel vollständig verschwinden, Nord- und Südkorea sich versöhnen und wenigstens diese extreme Spannung sich lösen würde. Es vergingen einige Tage, ohne dass ich nachts ein Auge zutun konnte; so sehr ich mich auch bemühte, der Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen. Von meinem Fenster aus war nichts als ein rotes Neonkreuz zu sehen, Mond und Sterne hatten sich wohl versteckt. Hin und wieder waren aus der Ferne sogar Gewehrschüsse zu hören, die mein Herz bis zum Hals klopfen ließen. Auch die Insekten
1~3 Eine Bergziege (Naturdenmal Nr. 217), Rotkronenkraniche (Naturdenkmal Nr. 202) und Chinesische Nelken haben in der DMZ überlebt und gedeihen dort sogar.
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1 Wildblumen blühen durch einen von Kugeln durchlöcherten Helm. 2 Die Ruinen der Brücke Amjeonggyo in Cheolwon, die während des Koreakriegs zerstört wurde. 3 Ein Poster für Choi Byung Kwans Fotoausstellung im UN-Hauptquartier.
im Gras, die laut gezirpt hatten, waren längst verstummt. Ich begann mit meinen Aufnahmen am westlichen Ende des Grenzgebiets. Alle Szenen, auf die ich in der DMZ zum ersten Mal stieß, erschienen mir fremd und traurig. Allerdings lag hinter dieser Trauer auch eine ganz eigene Schönheit verborgen. Das gesamte Areal war vermint, so dass ich mich keinen einzigen Schritt von den vorgeschriebenen Suchpfaden weg bewegen konnte. Überall fanden sich Spuren der Zerstörung, die der Krieg zurückgelassen hatte: von Unkraut überwucherte Eisenbahnwaggons und Schienen, verrostete Panzer und leere Patronenhülsen, durchlöcherte Helme, Schilder, die zur Zeit des Krieges vor Minen warnten, zerstörte Brücken, von denen nur noch die Pfeiler standen, Spuren ehemaliger Dörfer und Plätze, wo einst Schulen gestanden hatten. Darunter entdeckte ich einen verrosteten Helm mit Einschusslöchern, durch die Wildblumen herausgewachsen waren. Mir schien, als wäre die Seele des gefallenen jungen Soldaten als Blume neu geboren worden, so dass ich dort eine ganz Weile verharrte. Ökologische Schatztruhe Die Demilitarisierte Zone ist ein Gebiet, das seit Abschluss des Waffenstillstandsabkommens vor über einem halben Jahrhundert für die allgemeine Öffentlichkeit strikt gesperrt und nur für Militärangehörige zugänglich ist. Daher wurde es für die dortige Tier- und Pflanzenwelt zu einem Paradies der vollkommenen Freiheit und des Friedens. Ich konnte dort viele seltene Pflanzenund Tierarten entdecken, die als ausgestorben galten. Innerhalb der Zone des Todes ist quasi wieder Leben erwacht und die DMZ dient nun als ein Zuhause für eine Vielzahl von wunderbaren und geheimnisvollen Lebewesen. Während ein Teil dieser Zone einem Dschungel ähnelte, glich ein anderer Teil wiederum sich unendlich erstreckenden Grasebenen. Die Wildblumen, die dort blühten, waren besonders farbschön und lieblich. Die DMZ, ein Ort der schmerzvollen Geschichte des Krieges, kann jetzt paradoxerweise als
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gesegnete Erde bezeichnet werden. Denn sie hat sich in eine ökologische Schatztruhe verwandelt, die als international schützenswert gilt. Wenn sich die beiden Koreas im Geiste der Versöhnung und der friedlichen Koexistenz dafür einsetzen würden, die Wunden des Krieges zu heilen, und die internationale Gemeinschaft um Unterstützung ersuchen würden, dann könnte die DMZ sicher in die Liste des Weltnaturerbes der UNESCO aufgenommen werden. Auf der südlichen Seite der 155 Meilen langen Waffenstillstandslinie stehen hier und da Aussichtstürme, von denen aus man einen etwas besseren Blick auf das verbotene Land im Norden hat. Jedes dieser Observatorien war stets voller Menschen, die Familienangehörige im Norden hatten, aber auch voller Besucher aus allen Gesellschaftsschichten. Viele standen Schlange, um zumindest die Ausläufer ihrer Heimat zu sehen. An einem Wintertag, an dem ein schneidender Wind unbarmherzig über die Gegend fegte, stand ein vom Alter gekrümmter Mann auf einer der Aussichtsplattformen und starrte durch ein Fernglas auf das Land auf der anderen Seite der Grenze. Er sagte, dass es sein sehnlichster Wunsch sei, vor seinem Tod noch einmal seinen Heimatort in Nordkorea besuchen zu können. Ich fasste wortlos seine beiden Hände. Sie waren rau und voller Schwielen. Die lange Zeit, die er mit dem Fernglas vor Augen verbracht hatte, zeigte, wie groß seine Sehnsucht nach der Heimat war. Schließlich rannen Tränen aus seinen Augen. Der Wind, der blies, schien auch mit ihm zu trauern. Ich denke, dass die DMZ, die zugleich Narbe und Frucht des Koreakriegs ist, als ein Landstrich des Versprechens, den Frieden zwischen Nord- und Südkorea zu realisieren, geschaffen wurde und im vergangenem halben Jahrhundert eine große Rolle zur Wahrung des Friedens auf der koreanischen Halbinsel gespielt hat. Während ich in der DMZ meinen Auftrag erfüllte, war es weniger Todesangst, die ich empfand, sondern eher ein inständiges Flehen: Ich betete von ganzem Herzen für die Verankerung des wahren Friedens auf der koreanischen Halbinsel.
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Der Koreakrieg in der Literatur Das Thema der Wunden des Koreakriegs erlebt in der modernen koreanischen Literatur bis zum heutigen Tag einen fortwährenden Wandel. Wenn die Nachkriegsschriftsteller ihre grausamen Kriegserfahrungen thematisierten, so fragten die Schriftsteller der dritten Nachkriegsgeneration, welchen Einfluss die Nachwehen des Koreakriegs auf ihr Leben ausgeübt haben. Die Heilung der Wunden bleibt nach wie vor als zu lösende Aufgabe bestehen. Kim Chi-su Literaturkritiker, Ehrenprofessor an der Ewha Womans University
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er Koreakrieg hat in der koreanischen Literatur als Stoff und Erzählhintergrund ein größeres Gewicht als jedes andere historische Ereignis. Durch den geplanten Blitzeinfall der nordkoreanischen Truppen in den Süden zwangen die Nordkoreaner die südkoreanischen Einheiten im ersten Kriegsmonat zum Rückzug bis in die Umgebung der im Süden gelegenen Stadt Daegu und brachten damit fast vier Fünftel der koreanischen Halbinsel unter ihre Kontrolle. Innerhalb von fünf Monaten gelang es dann den südkoreanischen Streitkräften zusammen mit den UN-Truppen bis zum Fluss Yalu vorzurücken. Aber mit dem Kriegseintritt von China fiel Seoul ein zweites Mal in die Hände des Feindes. Nach einem heftigen und für den Süden erfolgreichen Kampf um Seoul einigten sich die UN-Truppen und Nordkorea schließlich auf einen Waffenstillstand mit der Demarkationslinie als Grenze. Während des Krieges, als sich die Frontlinie immer wieder verschob, flüchteten über zehn Millionen Menschen in Richtung Süden, was die damalige koreanische Gesellschaft, die auf Landwirtschaft basierte, in großes Chaos stürzte. Die literarische Welt der Nachkriegsgeneration Die meisten Romane aus den 1950er Jahren nehmen den Krieg als Stoff oder Hintergrund. Schriftsteller, die den Krieg selbst erlebt haben, sind unter anderem Yeom Sang-seop, An Sugil, Hwang Sun-won, Kim Dong-ni, Pak Gyongni, Jang Yonghak, Seonu Hwi, Son Chang-seop, Seo Gi-won, Oh Sang-won, Yi Beom-seon, Lee Hochol, Song Byeong-su und Ha Geunchan. Yeom Sang-seop, An Su-gil, Hwang Sun-won und Kim Dong-ni gehören zur ersten Schriftstellergeneration nach der Befreiung Koreas von der japanischen Kolonialherrschaft. Die Schriftsteller, die in den 1950ern mit ihren schriftstellerischen Aktivitäten begannen, gehören als Nachkriegsschriftsteller zur zweiten Generation. Der Koreakrieg war eine katastrophale und von Gewalt geprägte Kraft, die die Familien, die verschiedenen sozialen Schichten und die koreanische Gesellschaft als Ganzes dermaßen bis in die Grundfesten erschütterte, dass der Krieg sogar als Grenzlinie zur Definition zweier Schriftstellergenerationen dient. Die Nachkriegsschriftsteller haben selbst im Krieg gekämpft, mit dem Feind gerungen, sind manchmal knapp dem Tod entkommen und haben ihre Kriegskameraden sterben sehen. Durch ihre Protagonisten klagen sie in ihren Romanen die Grausamkeit des Krieges an und beschreiben das Umherirren der Überlebenden und deren Kampf um die nackte Existenz. Diese Charaktere verzweifeln an der Endlichkeit und Wechselhaftigkeit des menschlichen Lebens und befinden sich auf der verzweifelten Suche nach einem geistigen Anker. Sie sind ausgerüstet mit den Parolen des Antikommunismus, haben aber nicht einmal die Gelegenheit, die ideologische Richtung der Gesellschaft, der sie angehören, zu hinterfragen. Sie stellen auch nicht den Sinn des Krieges, an dessen Ausführung sie beteiligt sind, in Frage. Auch können sie nicht auf die Gesell-
schaft, in der sie leben werden, vorausschauen. Sie sind nichts weiter als Opfer der Geschichte und Geschädigte der Realität. In diesem Sinne war für die Nachkriegsschriftsteller der Roman ein Mittel, die Realität, die sie erlebt hatten, zu re-kreieren, die Absurdität dieser Realität anzuklagen und die Zufälligkeit des menschlichen Schicksals zu enthüllen. Daher berichten diese Romane über verschiedene Erscheinungen, zu denen es in der Extremsituation des Krieges kommt. Erstens: Die kommunistische Ideologie, die Nordkorea angenommen hat, deklariert die privaten Großgrundbesitzer zur Wurzel allen Übels; ihr Grundbesitz wird konfisziert und unentgeltlich an Arbeiter und Bauern verteilt. Im Zuge dieser Enteignungen eskalieren die Konflikte und Konfrontationen zwischen den Grundherren und den Pächtern und es kommt öfters zu Anklagen und Morden (Hwang Sun-won, Seonu Hwi, Yi Beom-seon, Ha Geun-chan). Zweitens: Da das oberste Gebot des Krieges der Sieg mit allen Mitteln ist, legen die Menschen, die im Krieg kämpfen, eine erbarmungslose und grausame Bestialität an den Tag und dadurch verlieren sie ihre Menschenwürde (Seonu Hwi, Oh Sang-won, Yi Beom-seon). Drittens: Die jungen Menschen, die im Krieg ihre Familien und geliebte Menschen verloren haben, leiden unter diesem psychischen Schmerz und irren verloren umher. Sie haben die Werte, an denen sie sich orientieren sollen, verloren, treffen daher manchmal eine unmoralische Wahl oder neigen zu Ausschweifungen. Die Wunden des Krieges werden dadurch jedoch nicht geheilt, so dass sie sich weiterhin quälen (Yeom Sang-seop, Hwang Sun-won, Seo Gi-won, Yi Beom-seon, Ha Geun-chan). Viertens: Die Kinder, die ihre Eltern und Geschwister verloren haben, werden in den Strudel der Flüchtlingsströme gerissen, irren durch die Straßen und versuchen, irgendwie ihren Hunger zu stillen. Dabei färbt einerseits die dunkle und schmutzige Welt der Erwachsenen auf sie ab, andererseits wachsen sie weiter heran (Lee Hochol, Song Byeong-su). Fünftens: Die große Kraft der Liebe wird anhand von Frauen entdeckt, die ihr Selbstwertgefühl und ihre Würde als Mensch aufgeben und sich nur darauf konzentrieren, den geliebten Menschen, den sie in den Kriegswirren verloren haben, oder ihre Familie aus der Gefahr zu retten (Yeom Sang-seop, Hwang Sun-won, Kim Dong-ni, Pak Gyongni, Seo Gi-won). Sechstens: Menschen, die einen Teil ihrer Familie in ihrem Heimatort zurückgelassen haben und in Richtung Süden geflohen sind. Diese Flüchtlinge haben große Schwierigkeiten, in ihrem neuen Lebensumfeld Fuß zu fassen und leiden zudem darunter, dass sie wegen der Teilung des Landes nicht in ihre Heimat im Norden zurückkehren können (An Su-gil, Jang Yong-hak, Yi Beom-seon, Lee Hochol). Die Nachkriegsschriftsteller werfen viele Fragen auf, indem sie in ihren Werken beschreiben, wie die Grausamkeit des Krieges dem Einzelnen traumatische Erfahrungen aufzwingt und ihn als verletzte und orientierungslose Seele herumirren lässt. In der Extremsituation des Krieges kommen viele Fragen auf: Was Sommer 2010 | Koreana 35
1 Blick auf das Kriegsgefangenenlager auf der Insel Geoje-do; aufgenommen von einem der mit Maschinengewehren bewehrten Wachttürme. 2 Szenen aus Feuerblumen und Die Nachfahren Kains sowie ein Plakat für Überflüssige Menschen. Die Drehbücher für diese Filme beruhen auf literarischen Werken, die den Koreakrieg und seine Tragödien thematisieren.
1 © NOONBIT Publishing Co.
bedeutet es, ein Mensch zu sein? Was bedeutet es, menschenwürdig zu leben? Inwieweit besitzen Moral, Ethik und Gesetze, die Mensch und Mensch miteinander verbinden, einen Wert? Die tiefe Trauer, wenn ein geliebter Mensch stirbt, ohne dass man weiß, warum, und die Absurdität, dass man jemanden, nur weil er als Feind betrachtet wird, töten muss – wer oder was ist dafür verantwortlich?
Der Platz von Choi In-Hun Choi In-Hun, der einige Jahre später als die Nachkriegsschriftsteller mit dem Schreiben begann, hat 1960 den Roman Der Platz veröffentlicht und den Koreakrieg aus einer neuen Perspektive beleuchtet. Der Protagonist Lee Myong Chun, dessen Vater nach der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft in den Norden gegangen ist, wird von den südkoreanischen Untersuchungsbehörden ungerechterweise tätlich angegriffen. Daraufhin besucht er einen Freund in Incheon, von wo er sich in den Norden stiehlt. Er erwartet, das gelobte Paradies der Arbeiter und Bauern vorzufinden, als er aber sieht, dass sein Vater ein Leben voller Privilegien genießt, erkennt er die Verlogenheit der kommunistischen Führung. Als der Norden den Süden unter dem Vorwand der Befreiung angreift, erhält der Protagonist seinen Stellungsbefehl. Bei der Schlacht am Nakdong-Fluss gerät er in Kriegsgefangenschaft. Bei seiner Befreiung entscheidet er sich dann weder für Süd- noch für Nordkorea, sondern wandert in ein Drittland aus. Der Roman Der Platz behandelt das Thema der beiden Systeme des geteilten Landes aus objektiver und grundlegender Perspektive, was damals ein gesellschaftliches Tabu war. Der Protagonist ist angewidert von Nordkoreas Lügen, unter denen es den Krieg führt. Als er aber dann auf dem Schlachtfeld seine einstige Liebe Eun Hye, die als Krankenschwester im 36 Koreana | Sommer 2010
Einsatz ist, wiedertrifft, wird ihm bewusst, dass die Liebe zu ihr die wertvollste Wahrheit ist. Aber der Krieg lässt sie diese Wahrheit nicht allzu lange genießen. Eun Hye, die seine Tochter unter dem Herzen trägt, kommt bei einem Bombenangriff um, während Lee Myong Chun in Kriegsgefangenschaft gerät. Bei seiner Entlassung entscheidet er sich für ein Drittland: Südkorea, dessen kapitalistische Gesellschaft von Irregularitäten und Korruption befleckt ist, ist ebenso wenig eine echte Wahl wie Nordkorea, ein kommunistisches Land mit einem diktatorischen Regime, das im Namen des Volkes regiert. Der Kommunismus im Norden und der Kapitalismus im Süden sind lediglich nominelle, aus dem Ausland eingeführte Ideologien und keine Ideologien, die sich aufgrund einer im Inneren der koreanischen Gesellschaft gegebenen Notwendigkeit herausgebildet haben. Bevor er in Indien ankommt, springt der Protagonist in den Indischen Ozean. Sein Selbstmord ist kein schlichter Tod, sondern ein Ausdruck seiner tiefen Selbstreflexionen, die ihn haben erkennen lassen, dass die Wahrheit in der Liebe liegt und nicht in der Ideologie. Der Tod ist damit auch keine Flucht oder Niederlage, sondern Ausdruck der tiefen Einsicht, dass er ein Weg sein kann, der zur Vollendung der Liebe führt: Auf der Fahrt nach Indien hält Lee zwei über das Meer fliegende Möwen für die Verkörperung von Eun Hye und ihrer gemeinsamen Tochter und stürzt sich ins Meer. Denn das Bild der Möwe, die er vor seinem Selbsmord sieht, ist ein Symbol des neuen Lebens, das Eun Hye in sich trug. Die Ehrfurcht vor dem Leben lässt ihn die Frucht ihrer wahren Liebe annehmen. Während die Nachkriegsromane durch ihren traditionellen, antikommunistisch geprägten Humanismus den Widerstreit zwischen Gut und Böse rekonstruieren und die Absurdität der Bedingungen beschreiben, in denen der Mensch als Opfer des Krieges gefangen ist, stellt Der Platz das Individuum im mo-
© Korean Film Archive
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dernen Sinne anhand eines Protagonisten dar, der unter der Diskrepanz zwischen Ideologie und Realität leidet, und für die Erfahrung der wahren Liebe einen hohen Preis bezahlen muss. Der Roman folgt keinem zeitlich linearen Handlungsablauf, sondern weist notwendigerweise eine moderne Erzählstruktur auf, bei der bei einigen Ereignissen länger verweilt wird und die einzelnen Handlungsstränge immer wieder durch Rückblicke unterbrochen werden. In dieser Hinsicht interpretiert Der Platz den Koreakrieg nicht nur auf einer höheren Ebene und aus neuer Perspektive, sondern eröffnet auch die Ära der Literatur der dritten Nachkriegsgeneration. Schriftsteller der dritten Nachkriegsgeneration Die Nachkriegsschriftsteller der dritten Generation haben in ihrer Kindheit das Leben als Flüchtling erlebt, oder aber den Koreakrieg im Hinterland miterlebt. Sie haben rund zehn Jahre nach dem Waffenstillstand von 1953 mit dem Schreiben begonnen. Sie sind die erste Generation, die nach der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft in der Schule das koreanische Alphabet Hangeul statt Japanisch gelernt haben, weshalb diese Generation auch als „Hangeul-Generation“ bezeichnet wird. Die Angehörigen dieser Generation waren damit die ersten, die quasi in Hangeul dachten und sich in Hangeul ausdrückten. Weil diese Generation die Studentenrevolution vom 19. April 1960 angeführt hat, wird sie auch „419-Generation“ genannt. Als namhafte Schriftsteller sind hier zu nennen: Kim Seung-ok, Yi Chong-Jun, Park Tae-soon, Seo Jeong-in, Hong Seong-won, Kim Ju-yeong, Cho Hae-il, Kim Won-il, Jeon Sang-guk, Yoo Jae-yong, Cho Seon-jak, Yun Heunggil. Sie haben noch Kindheitserinnerungen an den Koreakrieg, entdeckten die Wunden, die der Krieg bei der Elterngeneration hinterlassen hat, und dass diese Wunden auch noch
ihr Leben in der Gegenwart beeinflussen. Als Generation, die in der Demokratie erzogen wurde, besitzen sie das freiheitliche und individualistische Bewusstsein, die Gesellschaft, in der sie leben, selbst bestimmen zu können. Da diese Generation durch die Studentenbewegung vom 19. April 1960 die Erfahrung gemacht hat, eine freiheitliche Demokratie auf den Weg zu bringen, scheut sie sich nicht davor, ihre Meinung auszusprechen, wenn sie mit dem herrschenden gesellschaftlichen System nicht einverstanden ist. Sie deckt die Gründe für Konflikte und Konfrontation zwischen Individuum und Individuum sowie zwischen Individuum und Gesellschaft auf, und sucht, im von Industrialisierung und Kommerzialisierung geprägten Marktwirtschaftssystem einen Platz zu finden, an dem sich das Individuum behaupten kann. Daher ist der literarische Fokus der Werke dieser Schriftsteller zwar diversifiziert und stark individualistisch geprägt, aber es finden sich trotzdem noch Spuren des Koreakrieges. In einigen Fällen steht der Krieg an sich auch im Vordergrund. Manche Schriftsteller schaffen Protagonisten, bei denen die Kriegstraumata ihrer Kindheit in Inneren verborgen liegen, aber unter bestimmten Bedingungen immer wieder an die Oberfläche kommen und sie quälen (Yi ChongJun, Seo Jeong-in, Kim Won-il, Park Tae-sun). Es gibt auch Werke, die von Charakteren erzählen, die in jungen Jahren bereits die Verantwortung für den Lebensunterhalt der Familie übernehmen mussten, weil der Vater im Krieg umgekommen oder verschwunden ist (Kim Joo-young, Kim Won-il, Yoo Jaeyong, Cho Hae-il, Cho Seon-jak). Wieder andere Werke zeichnen Figuren, denen es aus ideologischen Beweggründen nicht einmal möglich ist, die Abwesenheit des Vaters zu thematisieren, die in Nihilismus verfallen und auf der Suche nach ihrer Identität herumirren (Kim Seung-ok, Kim Won-il). Es gibt aber auch Romane, in denen die Großmutter die Nachricht Sommer 2010 | Koreana 37
Der Roman Der Platz behandelt das Thema der beiden Systeme des geteilten Landes aus objektiver und grundlegender Perspektive, was damals ein gesellschaftliches Tabu war. Dargestellt wird das Individuum im modernen Sinne anhand eines Protagonisten, der unter der Diskrepanz zwischen Ideologie und Realität leidet, und für die Erfahrung der wahren Liebe einen hohen Preis bezahlen muss.
erhält, dass ihr Enkelsohn im Krieg gefallen ist, oder welche, in denen ein Vater, der geflüchtet ist, sich auf dem Sterbebett darüber grämt, dass er seinen Traum, noch einmal in seinen Heimatort zurückzukehren, nicht mehr verwirklichen kann. Mit diesen herzergreifenden Erzählungen bringen die Schriftsteller zur Sprache, wie tief die Wunden des Kriegs und der Teilung des Landes noch immer im Alltag der Koreaner verwurzelt sind (Yun Heunggil, Yoo Jae-yong, Jeon Sang-guk). Wieder andere Schriftsteller thematisieren das ganze Bild des Krieges, d.h. wie er von jeder Gruppe, jeder Schicht und dem Einzelnen in der koreanischen Gesellschaft erlebt wurde, und bringen ihre AntiKriegshaltung durch die Entblößung der Gewalt und des Trugbilds der Ideologien zum Ausdruck (Hong Seong-won). Die Schriftsteller der dritten Generation haben zwar nicht selbst am Koreakrieg teilgenommen, aber sie werfen immer wieder die Frage auf, auf welche Art und Weise der Koreakrieg noch immer in ihrem Leben verblieben ist und welchen Einfluss er noch ausübt. Dadurch wurde ihre individuelle Existenz in den historischen Kontext eingefügt, was der Entdeckung des modernen Individuums entspricht. In vielen Werken der Schriftsteller der dritten Generation, die nach den 1980ern geschrieben wurden, wird der Tod des Protagonisten als Grundmotiv genommen. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die Menschen, die Anfang der 1950er im Koreakrieg gekämpft haben oder ihn erlebt haben, nun ein Alter erreicht haben, in dem sich ihr Leben dem Ende nähert. Der Koreakrieg, der nun in Vergessenheit geraten könnte, wurde durch das Sterben der Kriegs-
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generation erneut ins Gedächtnis der Schriftsteller der dritten Generation gerufen und die realitätsbezogene Bedeutung der Kriegserfahrung wird wieder aufgezeigt. Auch wenn mittlerweile viele Jahre vergangen sind, leidet diese Schriftstellergeneration aufgrund der Teilung des Landes immer noch unter den Nachwehen des Krieges. Anders ausgedrückt, der Tod der Menschen der Kriegsgeneration macht auf die Realitäten des Lebens der Menschen der dritten Generation aufmerksam und problematisiert diese noch einmal. Diese paradoxe Realität, in der der Tod zum Leben wird, ist wohl Manifestation des Schmerzes, den das geteilte Land Korea erleidet. Aufgabe der Schriftsteller der vierten Generation Können dann die Wunden des Koreakrieges überhaupt nie geheilt werden? Wenn Korea nicht wiedervereinigt wird und die Teilung bestehen bleibt, ist keine grundsätzliche Heilung möglich. Aber Der Gast von Hwang Sok-yong, der Mitte 2000 veröffentlicht wurde, spricht Möglichkeiten an, die zwar keine grundsätzliche Heilung versprechen, aber doch zeigen, wie Ressentiments und Hass beseitigt werden könnten. Er analysiert, dass sich das koreanische Volk, das nicht dazu fähig war, selbst die Modernisierung des Landes auf den Weg zu bringen, sich in Gedanken und Konzepte aus dem Ausland verstrickte, was schließlich in der Tragödie des Blutvergießens nach dem Motto „Töten oder getötet werden“ kulminierte. Mit ausländischem Gedankengut sind hier Sozialismus und Christentum gemeint, die der Schriftsteller als „der Gast “ bezeichnet. Dieses Werk versucht, die verletzten Seelen von ihren immer noch bestehenden Hassgefühlen zu heilen, von den Versuchungen der Gewalt zu befreien und dadurch einen Weg für eine friedliche Koexistenz von Norden und Süden aufzuzeigen. Hwang möchte nach seinen eigenen Worten „die noch auf der koreanischen Halbinsel vorhandenen Geister des Kalten Krieges mit einem Gut-Ritual (schamanistisches Exorzismusritual) zur Ruhe bringen“. Mit dem Gut-Ritual ist der Roman Der Gast gemeint. Der Autor glaubt, dass man die bösen Geister von Menschen, die aus un-
Szenen aus Das Taebaek-Gebirge, Yeongjas Blütejahre, Ein Fähnrich ohne Fahne, Die Regenzeit und Nebel – Verfilmungen literarischer Werke, die den Krieg behandeln.
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Literatur über den Koreakrieg
gerechten Gründen sterben mussten, und deren Seelen deshalb auch nach dem Tode rastlos umherwandern, nur dadurch besänftigen und ihre Seelen zur Ruhe bringen kann, indem man ihren Geschichten zuhört. An dieser Stelle sollte auch noch Die weißen Kleider von Yi Chong-Jun aus dem Jahr 1994 erwähnt werden. Yi schreibt in seinem Werk, dass man die Seelen, deren sterbliche Überreste immer noch irgendwo auf dem Land und in den Bergen „ohne Grab als nackte Gebeine herumliegen“, also auch die „Leichen von linken Partisanen“ und die „Leichen der rechten Straftrupps“, von denen jetzt „nichts als weiße Knochen ohne jegliches Gedankengut oder ideologische Färbung übrig geblieben sind“, zusammenrufen, beruhigen und trösten sollte. Er meint damit, dass nicht nur die Partisanen und Straftrupps, sondern auch alle namenlosen Seelen beider Seiten, die im Krieg umgekommen sind, mit einer Art Gedenkfeier besänftigt und getröstet werden sollten. Nur dann sei eine wahre Versöhnung und Frieden zwischen Nord- und Südkorea möglich. Yi weist jedoch darauf hin, dass ein echtes Trauerritual nicht von der Kriegsgeneration, sondern nur von den Menschen der vierten Nachkriegsgeneration, die nicht mehr in direktem Bezug zum Krieg stehen, durchgeführt werden könnte. Denn nur sie seien ohne die Voreingenommenheit der einen oder anderen Seite und könnten die Dinge mit objektiven Augen betrachten, was erst eine wahrhafte Tröstung der Opfer beider Seiten möglich mache. Yi Chong-Jun hat die Grenzen der Kriegsgeneration gut zum Ausdruck gebracht, die immer noch unter dem Alptraum eines nordkoreanischen Angriffs leidet. Die koreanische Literatur erinnert uns daran, dass der Koreakrieg noch nicht beendet ist, sondern sich immer noch in der Phase des Waffenstillstands befindet, und bringt gleichzeitig die Hoffnung zum Ausdruck, dass in nicht allzu ferner Zukunft ein wahrer Friede zustande kommt, so dass die immer noch verbliebenen Kriegswunden des koreanischen Volkes ausgeheilt werden können. Das ist der Traum der Koreaner, die eine Welt frei von Krieg anstreben.
Bak Tae-sun: Das niedergerissene Theater (1972) Choi In-Hun: Der Platz* (1960) Ha Geun-chan: Die Geschichte der Fähre (1959); Schallendes Gelächter (1960); Die Königsgräber und die Besatzungstruppen (1963) Hong Seong-won: Byeongchon am D-Day (1964); Nord und Süd (1987) Hwang Sok-yong: Der Gast* (2001) Hwang Sun-won: Die Nachfahren Kains (1953); Bäume am Hang (1960) Jang Yong-hak: Eine archetypische Legende (1962); Johanns Gedichtband (1955) Jeon Sang-guk: Ahbes Familie* (1979); Goryeojang [1] (1978) Jo Hae-il: Amerika (1974) Jo Jong-Rae: Das Taebaek-Gebirge (1986-89) Jo Seon-jak: Yeongjas Blütejahre (1987) Kim Dong-ni: Die Evakuierung von Heungnam (1955) Kim Jooyoung: Das Grollen des Donners (1986); Der Winter des Sohnes (1979) Kim Seung-ok: Winter 1964 in Seoul (1965); Mujin im Nebel* (1964) Kim Won-il: Das Haus am tiefen Hof* (1988); Sonnenuntergang (1977); Das Fest des Feuers (1983) Lee Hochol: Heimatlos (1955); Kleine Leute* (1964) Lim Chul-woo: Die Erde des Vaters* (1984) Oh Jung-Hee: Der Hof meiner Kindheit* (1980); Die Straße der Chinesen (1979) Oh Sang-won: Aufzeichnungen auf leerem Papier (1957) Pak Kyongni: Markt und Krieg* (1964) Seo Gi-won: Die leere Landkarte (1957); Eine Umarmung in dieser reifen Nacht (1960) Seo Jeong-in: Der Kreistanz (1969) Son Chang-seop: Gottes komische Kreatur (1961); Die überflüssigen Menschen (1958); Ein ungeklärtes Kapitel (1955); Regentag (1953) Seonu Hwi: Feuerblumen (1957); Fähnrich ohne Fahne (1959); Das Finale der Verfolgungsjagd (1961) Yeom Sang-sop: Der Schauer (1952-1953) Yi Byeong-ju: Das Jiri-Gebirge (1985) Yi Chong-Jun: Die Gerüchtemauer* (1971); Der Klavierstimmer (1972); Der Dummkopf und der Idiot (1966); Die weißen Kleider*(1965) Yi Dong-ha: Die Spielzeugstadt (1982) Yi Munyol: Zeit der Helden (1984) Yu Jae-yong: Das Porträt meiner älteren Schwester (1978) Yun Heunggil: Die Regenzeit (1973); Mutter (1982) * Titel der deutschen Übersetzung [1] Alte Bestattungsform, bei der der Sterbende im offenen Grab zurückgelassen wird.
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Koreas Ansehen in der Weltgemeinschaft Korea hat die wertvolle Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, die es in der Vergangenheit erhalten hat, nicht vergessen, und ist bemüht, seine Schuld abzuzahlen. In diesem Rahmen verstärkt es seine Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA), um seine Entwicklungserfahrungen mit den Entwicklungsländern zu teilen. Zudem fungiert Korea als Brücke zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern, damit die Bemühungen zur Bekämpfung der Armut auf der Welt greifbare Erfolge hervorbringen. Lee Tae Joo Professor an der Hansung University
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orea verwandelte sich von einem der ärmsten und verzweifeltesten Ländern der Welt, das in Schutt und Asche lag, in ein Land, das jetzt als dreizehntgrößte Wirtschaftsmacht ein bedeutendes Mitglied der Staatengemeinschaft ist. Im Jahr 2009 trat Korea dem Ausschuss für Entwicklungshilfe, einem Komitee der fortgeschrittenen Länder der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), bei. Im November 2010 findet das Gipfeltreffen der G20 in Seoul statt. Es werden gemeinsame Probleme der Weltgemeinschaft wie Maßnahmen gegen den Klimawandel, Finanzreform, Bekämpfung der Armut, Lösung von Konflikten usw. diskutiert werden und Korea wird dabei eine zentrale Rolle spielen.
1 Die 3. Internationale Konferenz zur Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit wurde im November 2009 in Korea abgehalten. 2 Freiwillige Helfer der Entwicklungshilfsorganisation KOICA (Korea International Cooperation Agency) helfen bei der medizinischen Versorgung in Äthiopien. 40 Koreana | Sommer 2010
Vom Nehmerland zum Geberland In der Vergangenheit war Korea quasi ein Kaufhaus, dessen Regale mit ausländischer Entwicklungshilfe gefüllt waren: Nach der Befreiung von der japanischen Besatzung erhielt Korea von der internationalen Gemeinschaft Soforthilfe, Nahrungsmittelhilfe, Unterstützung für den Wiederaufbau nach dem Krieg sowie Kapital und technische Unterstützung für die Wirtschaftsentwicklung. Bis 1990 floss insgesamt die enorme Summe von 12,7 Mrd. US-Dollar (nach heutigem Wert rund 60 Mrd. USD) als Unterstützung ins Land. Viele Koreaner können sich bis heute noch gut daran erinnern, dass wichtige koreanische Einrichtungen wie das Nationale Gesundheitszentrum (National Medical Center), das koreanische Forschungsinstitut für Wissenschaft und Technologie (Korea Institute of Science and Technology; KIST), das Stahlunternehmen POSCO, das Koreanisch-Deutsche Berufsbildungszentrum, die Gyeongbu-Autobahn usw. mit Hilfe dieser Fördergelder der Weltgemeinschaft errichtet wurden. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass nur Korea unter den Ländern, die jahrzehntelang von der internationalen Gemeinschaft unterstützt wurden, vom Empfänger- zum Geberland geworden ist. Das hat für Erstaunen und Bewunderung in der Welt gesorgt. Eckhard Deutscher, Vorsitzender des Ausschusses für Entwicklungshilfe (DAC) sagt: „Der Beitritt Koreas zum DAC hat vielen armen Ländern der Welt das Selbstbewusstein verliehen, die koreanische Erfolgsgeschichte wiederholen zu können. Koreas Beispiel hat Symbolgehalt, da es für die Überwindung des traditionellen Nord-SüdGefälles steht.“ Von den 21 Ländern, die Südkorea im Krieg zur Hilfe kamen, werden vier, nämlich Äthiopien, die Philippinen, Kolumbien und Thailand, im Rahmen der Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit Koreas unterstützt. Korea will seine im Zuge der Wirtschaftsentwicklung gemachten Erfahrungen mit diesen Staaten teilen und plant den Ausbau seiner Entwicklungshilfe durch z.B. ein Programm zum Teilen von Wissen (Knowledge Sharing Program; KSP ). Von den 16 Ländern, die Streitkräfte geschickt hatten, 5 Ländern, die medizinische Hilfe leisteten und weiteren 32 Ländern, die Korea durch Finanzmittel und materielle Hilfe unter die Arme griffen, sind die meisten heute Entwicklungsländer, darunter auch Länder mit extremer Armut wie Kambodscha und Myanmar, deren Volkswirtschaften sich in
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einer äußerst schwierigen Lage befinden. Äthiopien, das zu den ärmsten der armen Länder in Afrika gehört, wurde nach der Bekanntmachung der koreanischen Afrika-Entwicklungsinitiative zu einem wichtigen Kooperationspartner Koreas. In dem Dorf Yeka, einem Dorf der Koreakriegsveteranen, wurde eine Grundschule errichtet und durch groß angelegte Brunnenbau-Projekte wird dem Land, das unter massiven Trinkwasserversorgungsproblemen leidet, substantielle Hilfe geleistet. Zur Zeit des Koreakrieges waren die Philippinen reicher als Korea. Nun führt Korea auf den Philippinen Landentwicklungsprojekte durch, baut Industriekomplexe, erstellt Machbarkeitsstudien für thermoelektrische Kraftwerke, verbessert Flughafenanlagen und Stromversorgungsnetze, errichtet Berufsbildungs-, IT-Trainings- und Reisverarbeitungszentren, Freundschaftskrankenhäuser, Verarbeitungseinrichtungen für
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Korea hat die wertvolle Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, die es in der Vergangenheit erhalten hat, nicht vergessen, und ist bemüht, seine Schuld abzuzahlen. In diesem Rahmen verstärkt es seine Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA), um seine Entwicklungserfahrungen mit den Entwicklungsländern zu teilen. Es hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2015 0,25% seines Bruttonationaleinkommens, etwa 3 Mrd. USD, als offizielle Entwicklungshilfe auszugeben und erhöht seine Hilfe entsprechend von Jahr zu Jahr. Die koreanische Regierung bemüht sich nicht nur darum, das Volumen der Auslandshilfe zu vergrößern, sondern versucht auch, sinnvoll und von Herzen kommend zu helfen. Im Jahr 2011 wird Korea zusammen mit der OECD/DAC die vierte Internationale Konferenz zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit (High Level Forum on Aid Effectiveness) in Seoul veranstalten.
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Meeresprodukte, Lungenkliniken usw. Auch hat Korea in Bogotà, der Hauptstadt Kolumbiens, das auf der anderen Seite der Welt liegt und im Krieg 5.100 Soldaten zur Unterstützung geschickt hatte, eine Rehabilitationsklinik gebaut und bemüht sich auf diese Weise um die Verbesserung der medizinischen Einrichtungen des Landes. Zudem ist Korea bemüht, sein Know-how in der IT-Technologie an Kolumbien zu vermitteln und führt diesbezügliches Consulting und technische Kooperationsprojekte durch, um der kolumbianischen Regierung bei der Entwicklung des Informations- und Kommunikationsbereiches zu helfen. In Thailand, das ebenfalls militärische Unterstützungseinheiten entsandt hatte, wurde eine Schule für Kinder aus ärmeren Schichten errichtet, zudem wurden die Einrichtung von koreanischen Sprachzentren und die Entwicklung der Koreanistik gefördert. Weiterhin wird die Kooperation zwischen beiden Ländern durch die gemeinsame Entwicklung der ländlichen Regionen, die Unterstützung der Argrartechnik und das Entsenden von freiwilligen Helfern verstärkt. 42 Koreana | Sommer 2010
China: vom Feind zum Freund Die Volksrepublik China, die im Koreakrieg zum feindlichen Lager gehörte, zählt mittlerweile nicht mehr zum Kreis der absolut armen Entwicklungsländer. Zusammen mit Brasilien und Indien entwickelte sich China zu einem neuem Geberland. Als Führer der Gruppe der 77, eines 1964 ins Leben gerufenen losen Zusammenschlusses von Drittweltstaaten, baute China die Süd-Süd-Kooperation für Entwicklung, die im Rahmen der DAC die Hilfe des Westens ergänzt, aus. Korea schafft eine neue globale Entwicklungshilfe-Architektur, indem es das traditionelle Hilfssystem mit Europa im Zentrum einerseits und die Süd-Süd-Kooperation für Entwicklung der neuen Helferstaaten wie China und Brasilien andererseits miteinander verbindet, und fungiert so als Brücke zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern. Es hofft, dass auf diese Weise in kürzester Zeit greifbare Erfolge im Kampf gegen die im Globalen Dorf herrschende Armut erzielt werden können. Die schnelle Wirtschaftsentwicklung und der immer größer werdende
Einfluss der aufsteigenden Supermacht China auf die globale Gemeinschaft werden sich auch im internationalen Hilfssystem bemerkbar machen, während die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen China und Korea immer enger werden. Korea ist ein Land, das schon alle Schwierigkeiten, die die Entwicklungsländer und die ärmsten der armen Länder derzeit haben, gut überwunden hat. Wie auch andere Entwicklungsländer wurde Korea während der Kolonialherrschaft ausgebeutet und hat mit Unterstützung der Vereinten Nationen einen Nationalstaat aufgebaut. Darüber hinaus hat das Land einen
Freiwilligeneinsatz im Ausland Die Bemühungen Koreas, „Global Korea“, „Peace Korea“ und „Green Korea“ zu realisieren, kennen keine Grenzen. In Korea, das von der Peripherie ins Zentrum der Weltgemeinschaft vor gerückt ist, das sich vom Nehmer- zum Geberland entwickelt hat und nun eine Vorreiterrolle in Sachen Grünes Wachstum spielt, weht zurzeit ein neuer Wind. Nicht nur die Regierung, sondern auch Universitäten, Privatunternehmen und Bürgerini tiativen beteiligen sich durch Freiwilligeneinsätze im Ausland engagiert an den Bemühungen der Entwicklungszusammen-
Eckhard Deutscher, Vorsitzender des Ausschusses für Entwicklungshilfe (DAC), sagt: „Der Beitritt Koreas zum DAC hat vielen armen Ländern der Welt das Selbstbewusstein verliehen, die koreanische Erfolgsgeschichte wiederholen zu können. Koreas Beispiel hat Symbolgehalt, da es für die Überwindung des traditionellen Nord-Süd-Gefälles steht.“
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1 Freiwillige beim medizinischen Noteinsatz in Haiti, das von einem schweren Erdbeben heimgesucht wurde. 2 Hilfe aus Korea sorgt für die Menschen in Swaziland für sicheres Trinkwasser. 3 Korea hat den Aufbau einer Grundschule in Äthiopien unterstützt.
Bruderkrieg und die Teilung des Landes erlebt. Auf dem Weg zur Modernisierung litt es unter extremer Armut und der Militärdiktatur. Aber auch in dieser Zeit des gesellschaftlichen Chaos erreichte Korea wie ein Wunder die beiden Ziele der Demokratisierung und des Wirtschaftswachstums auf einmal. Dieses doppelte Wunder ist daher für alle Entwicklungsländer ein Zeichen der Hoffnung und der Realisierbarkeit. Deshalb will Korea mit den Entwicklungsländern seine kostbaren Erfahrungen teilen und glaubt, dass seine internationale Hilfe auf Grund der gemachten Erfahrungen besser auf die reale Situation der Entwicklungsländer abgestimmt ist als die der hoch entwickelten Industriestaaten. Es hofft, dass seine von Herzen kommende Hilfe Hoffnung sät und reiche Früchte trägt.
arbeit. Die Regierung hat ihre Pläne, innerhalb von fünf Jahren 20.000 freiwillige Helfer ins Ausland zu schicken, bekannt gegeben und die Marke World Friends Korea als übergreifende Organisation für alle Gruppen freiwilliger Helfer geschaffen, um mit der ganzen Welt Freundschaft zu schließen. Rechnet man alle Gruppen, die von Privatunternehmen, Universitäten, religiösen Organisationen usw. zum freiwilligen Entwicklungsdienst ins Ausland geschickt wurden, mit, dann leisten jährlich Tausende freiwilligen Einsatz im Ausland. Es gibt keinen Winkel der Welt, in dem nicht junge Koreaner freiwillige Entwicklungsarbeit leisten. Durch diese reale Erfahrung des Teilens wird das globale Korea geschaffen werden, das in und mit der globalen Gemeinschaft lebt. Nur durch die Verbreitung des Bewusstseins, ein globaler Bürger zu sein, und entsprechend Leid und Kummer der Welt nicht als ein Problem der anderen, sondern als ein gemeinsames Problem zu betrachten, kann ein wahres globales Korea geschaffen werden.
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INTERVIEW
1 Kim Yuna mit einer neuen Vorführung zur musikalischen Begleitung von Méditation aus der Oper Thaïs; während einer Galashow bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver
2 Kim Yunas Vorführung zur Musik Don’t Stop the Music von Rihanna; zur Feier ihrer Goldmedaillen-Kür
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ein Ziel ist, besser als Michelle Kwan zu werden.“ Im Jahr 2003 wagte eine Eiskunstläuferin aus der koreanischen Nationalmannschaft davon zu träumen, Kwan zu übertrumpfen. Michelle Kwan, die Silbermedaillengewinnerin im Eiskunstlauf bei den Olympischen Spielen in Nagano (1998), gehörte damals zu den prominentesten Stars auf dem Eis. Der Traum des mutigen Mädchens, das gerade erst den Sprung in die Nationalmannschaft geschafft hatte, schien eine Nummer zu groß zu sein. Bedenkt man zudem das noch vergleichsweise unterentwickelte Eiskunstlauf-Umfeld in Korea, war die Hoffnung noch geringer. Zu der Zeit gab es in Korea nämlich nicht einmal 50 Eiskunstläufer und keine Eisbahn ausschließlich für Eiskunstlauftraining. Das Mädchen (Kim Yuna, 20) unterschied sich in jeder Hinsicht von seinen Konkurrentinnen. Entsprechend dem großen Ziel trainierte sie auch viel härter. Unter den koreanischen Eiskunstläuferinnen in ihrer Altersgruppe, aber auch unter den älteren Profis, gab es keine, die Kim Yuna das Wasser hätte reichen können. Sie richtete ihren Blick auf die Weltbühne. Nach sieben Jahren schaffte sie es tatsächlich, wie sie mutig gesagt hatte, „herausragender als Kwan“ zu sein. Ja, sie ist sogar noch weiter gekommen.
Die Geschichte ihrer perfekten „Lehrbuch-Sprünge“ Kim Yuna zog zum ersten Mal die Schlittschuhe an, als sie fünf Jahre alt war. Spielend machte sie ihre ersten Erfahrungen auf dem Eis. Im Sommer 1996 nahm sie dann ernsthaft das Eiskunstlauftraining auf. In der Nähe ihrer Wohnung war in der Gwacheon-Stadthalle eine Eisbahn angelegt worden. Kim Yunas ältere Schwester, die mit ihr in den Ferien den Eiskunstlaufkurs besuchte, hörte schon nach einigen Monaten auf, aber Yuna wollte weiter lernen. Sie liebte den Eiskunstlauf so sehr, dass sie sich lieber Videos von Eiskunstläufern statt Zeichentrickfilme ansah. Als der Meisterkurs für Amateure sich dem Ende näherte, fragte dann ihre damalige Trainerin plötzlich, ob sie nicht eine professionelle Eiskunstläuferin werden möchte. Die Bemerkung der Trainerin, dass „Yuna Talent fürs Eiskunstlaufen“ besitze, bereitete Park Mi-hui, Yunas Mutter, einiges Kopfzerbrechen. Die Ausbildung zu einer professionellen Eiskunstläuferin bedeutete nämlich einen nicht unerheblichen Kostenaufwand für über zehn Jahre. Als Kim sich dann für den Weg zur Eiskunstläuferin entschied, kletterten die Unterrichtsgebühren sofort von 49.000 Won (≒ 33 Euro) auf 350.000 Won (≒ 238 Euro). Auch die Schlittschuhe, die 90.000 Won (≒ 61 Euro) kosteten, mussten durch 1 Mio. Won (≒ 680 Euro) teure ausgetauscht werden. Der Eiskunstlauf wurde zum alles beherrschenden Thema ihres Lebens. Shin Hye-suk, die Kim Yuna damals trainierte, erzählt in Erinnerung an diese Zeit: „Während die anderen Schüler in der Pause ihre Freizeit genossen, wusch Yuna ihre Handschuhe für das Training am nächsten Tag.“ So strebsam und ernst war sie immer auf dem
Eiskunstlauf-Weltmeisterin Kim Yuna Der Traum der südkoreanischen Eiskunstläuferin Kim Yuna, die nach dem Gewinnen des WM-Titels im Jahr 2009 sagte, dass sie sich wünsche, bei der Medaillen-Verleihung der Olympischen Spiele in Vancouver auf dem obersten Podest zu stehen, wurde mit dem Gewinn der Goldmedaille wahr. Welches Ziel visiert die Eiskönigin, die mit ihrem Eiskunstlauf die Menschen fasziniert und glücklich macht, als nächstes an? Darauf richtet sich jetzt das Augenmerk der Welt. Kim Dong Wook Reporter für Sport & Freizeit bei der Tageszeitung Dong-A Ilbo
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Eis. Sie besaß auch einen starken Willen zum Sieg. Sie konnte es nicht ertragen, jemandem nachzustehen und machte alles 200prozentig. „Während die anderen einmal übten, machte sie die Übung zweimal. Sie hat sozusagen in einem Jahr ein zweijähriges Training gemacht,“ erzählt Kims Mutter über den Fleiß ihrer Tochter. Dabei vergaß sie nie, beim Training an technischen Grundprinzipien festzuhalten. Ihre perfekten Sprünge, die auch „LehrbuchSprünge“ genannt werden, sind unter anderem ein Resultat dieses rigorosen Grundlagentrainings. Kim sagt: „Es ist wirklich schwer, eingeschliffene Gewohnheiten zu ändern. Im Eiskunstlauf, bei dem die Genauigkeit jeder einzelnen Bewegung bewertet wird, stellen schlechte Gewohnheiten große Hindernisse dar.“
Das jüngste Nationalmannschaftsmitglied Im Jahr 2002 machte Kim Yuna ihren Namen auf der Weltbühne bekannt, als sie beim internationalen Eiskunstlaufturnier Triglav Trophy in Slowenien siegte. Im Jahr darauf schaffte sie den Sprung in die koreanische Nationalmannschaft. Aber es blieb nicht viel Zeit zur Freude, denn von da an hieß es täglich - außer Sonntag - von 10 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts zu trainieren. Nach diesem harten Training schlug Kim Yuna ein Jahr später ein neues Kapitel in der koreanischen Eiskunstlauf-Geschichte auf: Im September 2004 gewann sie in Budapest den Junior Grand Prix der International Skating Union (ISU). Nach der Einführung des Eislaufs in Korea im Jahr 1908 ist Kim Yuna die erste Koreanerin, die im Eiskunstlauf bei einem internationalen Wettbewerb siegte. „Mama, ich hab´s den anderen gezeigt. Hab ich doch gut gemacht, oder? Bald werde ich noch Größeres zeigen, wart nur ab.“ Die Siegerin hatte bei diesem Telefongespräch mit ihrer Mutter bereits ihr nächstes Ziel vor Augen. Es gab aber auch Krisenzeiten. Bei den Vorbereitungen auf die Jugendweltmeisterschaft (ISU World Junior Figure Skating Championships) 2006 dachte Kim daran, alles an den Nagel zu hängen. Der Grund waren ihre Schlittschuhe. Die Schlittschuhe, die normalerweise vier Monate halten, waren bereits nach einer Woche nicht mehr zu gebrauchen. So oft sie sie auch auswechselte, jedes Mal war es nach einer Woche wieder dasselbe. Aber das Problem löste sich zum Glück, als sich nach dem Junior Grand Prix Finale eine Firma fand, die bereit war, ihr passende Schlittschuhe zur Verfügung zu stellen.
Der Aufstieg Im Jahr 2006 trat ein neuer Wendepunkt in Kims Karriere ein. Als sie nach Kanada reiste, um den Choreographen David Wilson zu treffen, lernte sie ihren jetzigen Trainer Brian Orser kennen. Orser, der Kim Yuna als „Total Package“ beschrieb, nahm Kims Vorschlag an und machte sie zu seiner ersten Schülerin. Auch das Treffen mit Wilson war für sie ein großes Glück. Durch die Zusammenarbeit mit Wilson verwandelte sich das eher schüchterne Mädchen in einen Profi mit hervorragender Ausdrucksfähigkeit. Wilson beschreibt seinen ersten Eindruck folgendermaßen: „Yuna 46 Koreana | Sommer 2010
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war ein Mädchen mit einem langen schlanken Körper und einem ernsthaften Gesicht. Meine Aufgabe war, dieses Mädchen mit dem ausdruckslosen Gesicht zum Lächeln zu bringen.“ Kim Yuna, die von Orser und Wilson unter ihre Fittiche genommen wurde, begann, ihre Flügel auszubreiten und hoch über die Weltbühne zu fliegen. Von da an gewann sie mehrere internationale Wettbewerbe und schrieb ihre Erfolgsgeschichte weiter. Auf ihrer ersten SeniorBühne schaffte sie es, beim Grand Prix Skate in Kanada 2006 den dritten Platz zu erobern. Bei der Weltmeisterschaft gewann sie trotz des Handicaps einer Verletzung die Bronzemedaille. „Vielleicht war der dritte Platz damals genau das Richtige für mich. Wenn ich schon in meiner ersten Senior-Saison die Goldmedaille gewonnen hätte, hätte mich das nur unter den Druck gesetzt, meinen Platz verteidigen zu müssen. So hatte ich noch viele Chancen, auf den ersten Platz zu kommen.“ In der nächsten Saison stand sie dann bereits an der Spitze. In der Saison 2007/2008 siegte sie bei drei Grand Prix-Wettbewerben. Aber bei den Vorbereitungen auf die Weltmeisterschaft im März 2008 in Göteborg in Schweden litt sie wieder unter den Schmerzen einer Hüftgelenksverletzung. Mit Hilfe von schmerzstillenden Mitteln schaffte sie die Bronzemedaille. Nach den Beobachtungen,
die ich während der Wettbewerbszeit machte, konnte ich feststellen, dass Kim Yuna eine Eiskunstläuferin mit ungeheurer geistiger Kraft ist. Während ihres Auftritts kamen ihrer Mutter öfters die Tränen. Dann war es Yuna, die ihre Mutter beruhigte. „Ich hatte zwar auch schon daran gedacht, aufzugeben, aber dann habe ich mich innerlich von allem frei gemacht und nur noch mein Bestes gegeben. Deswegen bin ich auch mit der Bronzemedaille zufrieden.“ Kim Yuna gewann zwar kein Gold, dafür aber viele Herzen in Korea. Die Zahl der Schüler, die dank Kim Eiskunstlauf lernen wollten, stieg enorm an. Sie bekam auch Angebote von Werbeagenturen und gehört heute zu den zugkräftigsten Werbemodels in Korea.
Über die 200-Punkte-Marke hinaus „Mein Traum als Eiskunstläuferin ist, Weltmeisterin zu werden. Wenn dieser Traum erfüllt wird, dann möchte ich olympisches Gold gewinnen,“ – so Kim Yuna vor der Eiskunstlauf-Weltmeisterschaft im März 2008. Ihr lang gehegter Traum von der Weltmeisterschaft wurde im Jahr 2009 in den USA wahr. Da übertraf sie mit 207,71 Punkten sogar die 200-Punkte-Marke, die für Eiskunstläuferinnen als Traummarke galt. Nachdem 2002 das neue
Wertungssystem eingeführt worden war, gab es keinen einzigen Eiskunstläufer, der diese magische Marke durchbrach. „Ich war selbst über meine Punktzahl überrascht. Es ist eine sehr schöne Erfahrung, die 200-Punkte-Marke durchbrochen zu haben. Ich mache mir aber auch Sorgen, ob ich noch mal einen neuen Rekord aufstellen kann. Aber auch, wenn das nicht gelingen sollte, möchte ich das gute Gefühl von heute weiter bewahren.“ Doch ihre Sorgen waren umsonst. Sieben Monate später brach sie im Oktober 2009 im ersten Teil des Grand Prix mit einer Gesamtwertung von 210,03 Punkten ihren eigenen Rekord. Mit einem Abstand von über 30 Punkten ließ sie alle Rivalinnen weit hinter sich. Auch im dritten Teil und im Finale des Grand Prix blieb sie weiter auf dem ersten Platz. Das immer größer werdende Interesse ihrer koreanischen Fans machte ihr aber auch manchmal das Leben schwer. Beim Grand Prix Final der letzten Saison in der Stadt Goyang in Korea konnte sie sich wegen der übertriebenen Anfeuerung des koreanischen Publikums nicht gut konzentrieren und das Ergebnis war enttäuschend. Lange Zeit später äußerte sie sich dazu wie folgt: „Eiskunstlauf ist keine Disziplin zum Anfeuern, sondern zum Zuschauen. Ich war verwirrt, als das Publikum mit einer leidenschaftlichen und gut organisierten Anfeuerung anfing und konnte mich nicht mehr richtig konzentrieren.“ Aber trotzdem ist Kim ihren Fans stets dankbar. Zu Kim Yunas Fans, die sich „Seungnyangi (Kojote)“ nennen, gehören Frauen und Männer quer durch alle Altersschichten. Sie verfügen zudem über ein hohes Wissensniveau in Sachen Eiskunstlauf. Auch bei Wettbewerben im Ausland sind sie immer mit dabei und feuern Kim an. Manchmal werden sie von allgemeinen Eiskunstlauffreunden als „übertrieben“ kritisiert, doch als Journalist, der bei allen wichtigen Wettbewerben dabei war, erfuhr ich, dass Kims Fans von den ausländischen Eiskunstlauf-Fans „als aktiv und leidenschaftlich“ gelobt werden.
Der Weltrekord und die Goldmedaille Vor den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver wurde Kim Yuna von den Eiskunstlaufexperten zu den absoluten Gold-Kandidatinnen gezählt. Philip Hersh von der amerikanischen Tageszeitung Chicago Tribune lobte die koreanische Eiskunstläuferin wie folgt: „Kim Yuna ist hervorragend. Sie bemüht sich, ihre schon perfek-
1 Kim Yuna verwirklichte ihren Lebenstraum, als sie bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver im Eiskunstlauf der Damen die Goldmedaille errang.
2 Kim Yuna bei ihrem fehlerfrei vorgetragenen Kurzprogramm zur Musik Danse Macabre von Camille Saint Saens
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1 Kims hervorragendes technisches Können und ihr künstlerischer Ausdruck werden durch ihren für den Eiskunstlauf perfekten Körperbau weiter erhöht.
2 Kim Yuna beendet ihr Kurzprogramm zu einem James Bond Filmmusik-Medley mit einer Pose, die zu ihrem Markenzeichen geworden ist: Sie nimmt ein Ziel mit einer fiktiven Pistole aufs Korn.
„Ich bin noch nicht perfekt. ... Ich möchte nicht als ein erfolgreicher Sportstar erinnert werden, sondern als ein Mensch, der sich ständig weiterentwickelt. Ich möchte, dass man sich an mich als eine strebsame Athletin, die für ihren Traum stets ihr Bestes gibt, und als einen Menschen, der sich immer weiter bemüht, erinnert.“- Aus dem autobiographischen Essay von Kim Yuna: Die sieben dramatischen Minuten von Kim Yuna
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te Performance noch um eine Nuance zu verbessern. Sie scheint einfach in einer anderen Liga als die anderen Eiskunstläuferinnen zu spielen.“ Entsprechend solcher Medienmitteilungen entfaltete sie auf ihrer letzten Traumbühne ungezügelt ihre Fähigkeiten. „In bester Verfassung“, wie sie sagte, erreichte ihre Performance fast absolute Perfektion. Aber zu sagen, dass sie sich vor dem Wettkampf locker und wohl gefühlt habe, hieße zu lügen. Kim Yuna wurde von ihren Fans immer „als starkherzig“ gelobt. Sie war stets gelassen und mutig. Aber die Olympia-Bühne, ihr größter Traum, war doch etwas anderes. Der psychische Druck war da. Bis vor ihrem Auftritt nahm Kim Yuna auf Pressekonferenzen oder bei Interviews keine Fragen entgegen. Sie wollte sich nicht durch unnötige Fragen irritieren lassen. Anders als bei anderen Wettbewerben lag diesmal auch eine ernsthafte Entschlossenheit auf ihrem Gesicht. Ihr Gesichtsausdruck war ein völlig anderer. Mit 228,56 Punkten stellte sie einen Weltrekord auf, den niemand vorauszusagen gewagt hätte, und trug die lang ersehnte olympische Goldmedaille um den Hals. „Ich bin glücklich, dass ich auf dem Eis all das zeigen konnte, was ich so lange vorbereitet hatte, und dazu noch die Goldmedaille gewonnen habe. Weil es die olympische Bühne war, habe ich mich eher wohler gefühlt und konnte mein Bestes zeigen. Ich hatte ein großes Selbstbewusstsein und war auch nicht nervös. Meine größte Aufgabe war, den psychischen Druck loszuwerden. Aber jetzt bin ich froh, dass ich es hinter mich 2 gebracht habe. Ich bin wirklich glücklich, nicht nur, weil ich Weltmeisterin geworden bin, sondern auch, weil jetzt endlich alles vorbei ist.“ Nachdem sie alles geschafft hatte, sah ihr Gesicht wieder anders aus. Erleichterung stand darauf geschrieben. Sie spaßte mit den Leuten in ihrer Umgebung und machte Scherze. Auf der Gratulationsveranstaltung für die koreanische Nationalmannschaft, die nach dem Wettkampf stattfand, wirkte sie dann wegen der vielen Bitten um Autogramme und Fotos wieder müde. Aber als sie meinen Reporter-Ausweis mit Foto sah, scherzte sie schon wieder, dass ich auf dem Foto viel besser als in Wirklichkeit aussehen würde. Und sie lächelte das glückliche Lächeln eines Mädchens, dessen Herzenstraum in Erfüllung gegangen ist.
Koreas Ikone Nr. 1 Nach den Olympischen Winterspielen fühlte sich Kim Yuna für kurze Zeit etwas verloren. Ihr machte die Leere zu schaffen, die entsteht, wenn man sein großes Ziel plötzlich ereicht hat und
danach keine weitere Herausforderung in Sicht ist. Zwanzig Tage nach dem großen Sieg zeigte sie bei der Eiskunstlauf-Weltmeisterschaft im Kurzprogramm ihre bislang schlechteste Performance und landete auf Platz sieben. Im Kürlauf aber kam sie wieder auf den ersten Platz und wurde Zweite in der Gesamtwertung. Danach sagte sie: „Ich hatte nicht geahnt, dass die Zeit nach den Olympischen Spielen so hart sein würde. Ich bereue die Teilnahme an der Weltmeisterschaft.“ Sie litt unter psychischem Stress, so dass sie erst eine Woche vor der Weltmeisterschaft anfangen konnte, richtig zu trainieren. Sie brauchte eine Pause und auch Zeit, um ihre Zukunft zu planen. Nach dem Sieg bei den Olympischen Spielen ist Kim Yuna in Korea zu einem der größten Stars aufgestiegen. Jedes Wort und jede Geste von ihr wird in den Medien thematisiert. Jetzt ist es sogar schwer für sie geworden, einfach durch die Straßen zu laufen. Sie ist in mehreren TV-Werbespots zu sehen und es gibt Produkte mit ihrem Namen. Kleider, Taschen, Handys und Kosmetika, die Kim benutzt, werden sofort zur großen Mode. Die Produkte sind schlagartig ausverkauft. Selbst Terminkalender, Brot und Ohrringe werden zu Hit-Produkten, wenn sie nur Kim Yunas Namen tragen. Mit einem Wort: Kim Yuna ist DIE Ikone des 21. Jahrhunderts in Korea geworden. Darüber hinaus wurde sie auch von der amerikanischen Zeitschrift Time unter die 100 einflussreichsten Personen der Welt gewählt. Durch Kim gab es auch einen großen Wandel im koreanischen Eiskunstlauf. Die koreanische Eiskunstlauf-Geschichte vor und nach Kim Yuna unterscheidet sich wie Tag und Nacht. Die Zahl der Eiskunstläufer, die sich unter Kims Einfluss für eine EiskunstlaufKarriere entschieden, stieg um etwa das Zehnfache an. Zur Zeit tauchen immer wieder Nachwuchstalente auf. Doch der Weg zur eiskunstlaufstarken Nation ist noch weit. Noch immer gibt es keine Eishalle ausschließlich für Eiskunstlauf und NachwuchsEiskunstläufer von Weltniveau wie Kim sind noch nicht in Sicht. Es werden auch schon Sorgen über die Zukunft des koreanischen Eiskunstlaufs nach Kim Yunas Rücktritt laut. So wird sogar die voreilige Vermutung geäußert, dass die Disziplin in Korea dann wieder in ihren alten Zustand zurückverfallen könne. „Ich kann mir ein Leben ohne Eiskunstlauf nicht vorstellen. Vielleicht werde ich später Trainerin und kümmere mich um den Nachwuchs.“ Kim hat schon sehr vieles erreicht. Doch da sie noch jung ist, sind die Eiskunstlaufkreise und die ganze Bevölkerung Koreas darauf gespannt, wie sie ihren Weg fortsetzen wird.
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KUNSTHANDWERKER
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n Korea, das zu 70% aus gebirgigem Gelände besteht, weisen die einzelnen Regionen alle ihre eigenen Besonderheiten auf, die auf die durch die Gebirgsketten gegebenen topographischen Charakteristika zurückzuführen sind. In der Provinz Jeollado im Südwesten des Landes erstrecken sich weite Ebenen mit Reis- und Getreidefeldern bis zum West- und Südmeer. Das angenehme Klima der Region schlug sich seit frühester Zeit in der Entwicklung verschiedener für die Region spezifischer Kunstformen nieder. Ein Beispiel ist der traditionelle epische Sologesang Pansori, der als Verkörperung der koreanischen Seele gilt und daher auch der „Klang Koreas“ genannt wird. Auch heute noch kann man auf den Landstraßen in Jeolla-do ältere Landbewohner treffen, die auf Bitte gern eine Kostprobe aus dem Pansori-Stück Shimcheong-ga (Die Geschichte der Shimcheong) zum Besten geben. Das milde Klima bietet ideale Wachstumsbedingungen für Bambusbäume, so dass das Bambus-Kunsthandwerk hier stark entwickelt ist. Die Bambus-Produkte beweisen ihren kühlenden Wert an heißen Sommertagen: Der Bambus-Vorhang Daebal blockiert die durch die Tür einfallenden Sonnenstrahlen und lässt gleichzeitig kühle Luft ins Zimmer. Die Jukbuin, eine als „Bambus-Frau“ bekannte, aus Bambus geflochtene Hohlrolle, über die man bequem die Beine schlagen kann, sorgt für Kühlung in Sommernächten, wenn einen die Hitze nicht schlafen lässt. Und Daetoshi, eine Art Ärmelrahmen aus Bambus, sorgten für erhöhte Luftdurchlässigkeit der Kleidung. Auch für Fächer, mit denen man manuell einen Luftzug erzeugt, wird Bambusholz verwendet. Das Fächer-Grundgerüst wird aus Bambusholz gefertigt und mit Hanji, dem traditionellen koreanischen Papier aus der Rinde des Maulbeerbaums, beklebt. Auf
Sinokoreanisch heißt „Fächer“ „Seon“ und die Technik zur Herstellung von Fächern bzw. deren Inhaber nennt man „Seonjajang“. In der Joseon-Zeit (1392-1910) gab es in der Stadt Jeonju in der nördlichen Provinz Jeolla-do ein Seonjajang-Amt zur Förderung und Verwaltung der Fächerherstellung. Jeonju ist so bekannt für seine Fächer, dass jedem diese Stadt einfällt, wenn man über Fächer spricht. Jo Chung-ik, 63 Jahre alt, ist ein Fächer-Experte, der die Seonjajang-Technik, die als Immaterielles Kulturgut Nr. 10 der Provinz Jeollabuk-do registriert ist, beherrscht.
Verschiedene Arten von Banggu-Fächern Koreanische Fächer lassen sich grob in Faltfächer und nichtfaltbare, blattförmige Fächer, sog. Banggu-Fächer, unterteilen. Bei den letzteren beklebt man den aus Bambus gefertigten runden Grundrahmen mit Hanji-Papier. „Banggu“ bedeutet „rund“. Banggu sind auf Sinokoreanisch auch als „Danseon“ oder „Wonseon“ bekannt. Bei den Faltfächern, den Jeobseon oder Jeobcheolseon, wird das Papier entsprechend auf ein faltbares Grundgerüst aus Bambusstäben geklebt. In früheren Zeiten wurden die koreanischen Fächer wegen ihrer hochwertigen Verarbeitung sehr geschätzt, weshalb sie oft als offizielle Staatsgeschenke an die Gesandten anderer Länder überreicht wurden. Die FaltfächerHerstellungstechnik der Goryeo-Zeit (918-1392) wurde auch nach China und Japan weitergeleitet. Banggu-Fächer, die über eine längere Tradition als die faltbaren Fächer verfügen, gibt es in den verschiedensten Ausführungen. Sie werden nach der Grundform und den Dekormotiven unterschieden: Fächer mit dem YinYang-Symbol in der Mitte heißen Taegeukseon. Paulownienblattförmige Fächer nennt man Oyeopseon und Wegerichblatt-
Jo Chung-iks traditionelle Fächer:
schöne und praktische Kunstwerke Koreanische Fächer lassen sich grob in Faltfächer und nicht-faltbare, blattförmige Fächer, sog. Banggu-Fächer, unterteilen. Die Banggu-Fächer verfügen dabei über eine längere Tradition und die verschiedensten Varianten. Meister der Fächerherstellung Jo Chung-ik, der als Träger des Titels Immaterielles Kulturgut Nr. 10 der Provinz Jeollabuk-do registriert ist, bewahrt seit über 30 Jahren in der für die Fächerherstellung bekannten Stadt Jeonju die Tradition der traditionellen Fächer und hat bislang rund 100 verschiedene kreative Fächer-Designs entworfen. Park Hyun Sook Freiberufliche Schriftstellerin | Fotos: Ahn Hong-beom
Kunsthandwerker Jo Chung-ik machte sich einen Namen in der Welt der traditionellen Fächerherstellung, indem er ein standardisiertes, auf geometrischen Proportionen basiertes Design für das Dreier-Taegeuk-Symbol entwarf. Sommer 2010 | Koreana 51
förmige Pachoseon. Semiseon haben einen dichten Grundrahmen aus dünnen Bambusstreifen und Suseon sind mit dekorativen Stickereien in fünf Farben geschmückt. Yunseon erinnern in der Form an ein Rad mit Speichen. Die Oberfläche der Hwangchilseon ist mit dem gelben Lack des koreanischen Dendropanax-Baums versiegelt, der dem Fächer einen glänzenden Goldton und zarten Duft verleiht. Und der Daewonseon ist so groß, dass man ihn mit zwei Händen halten muss. Jo Chung-ik ist ein Seonjajang, der Banggu-Fächer herstellt. Jo, der in der Stadt Jangsu in der nördlichen Provinz Jeollabuk-do geboren und aufgewachsen ist, lernte mit 29 in Jeonju den Taegukseon-Fächer schätzen und stellt seitdem Banggu-Fächer her.
Entwicklung der Zeichentechnik für Taegeukseon „Früher verdiente ich meinen Lebensunterhalt damit, am Pavillon Gwanghallu in Namwon kleine Faltwände mit Motiven aus dem Volksroman Chunhyangjeon (Die Geschichte der Chunghyang), der ja in Namwon spielt, als Souvenirs zu fertigen und zu verkaufen. Eines Tages fielen mir Taegeukseon-Fächer auf, die hier ebenfalls als Souvenir angeboten wurden. Das Yin-Yang-Symbol auf diesen Fächern, die einst so sehr geschätzt wurden, dass man sie am Dano-Frühlingsfest im fünften Mondmonat dem König schenkte, sah jedes Mal anders aus. Die schlampige Darstellung des Symbols störte mich. Ob klein oder groß dargestellt: Chunghyang, die Hauptfigur des Volksromans, muss immer wie die ursprüngliche Chunhyang aussehen, also wie ein anmutiges junges Mädchen und nicht anders. Dasselbe gilt für das Yin-Yang-Symbol. Aus diesem Gedanken heraus entwickelte ich eine Zeichentechnik für das Yin-Yang-Motiv und stellte nach diesem Standard Taegeukseon-Fächer mit regelmäßigem, exaktem Yin-YangSymbol her. Bis dahin zeichnete man die drei Teile des Motivs nach Augenmaß, so dass Größe und Proportionen jedesmal anders ausfielen. Die genaue Form des von mir entwickelten Dreier-Yin-YangMotivs stellte mich zufrieden und auch andere fanden es gut.“ Jos leidenschaftlicher Ausdruck lässt diese Erklärungen so reizvoll wie ein Pansori-Gesang klingen. Mit der Herstellung von Taegeukseon-Fächern mit dem koreatypischen Dreier-YinYang-Symbol, das für Himmel, Erde und Mensch steht, wurde er bekannt. Beim Taegeukseon werden Himmel, Erde und Mensch jeweils durch die Farben Blau, Gelb und Rot symbolisiert. Die Fächer, mit denen die koreanische Nationalmannschaft bei verschiedenen Eröffnungs- und Schlussfeiern internationaler Sportwettkämpfe wie den Asienspielen in NeuDelhi 1982 sowie in Seoul 1986, den Olympischen Sommerspielen in Seoul im Jahr 1988 und der Fußballweltmeisterschaft in Korea und Japan 2002 beim Einmarschieren winkte, waren gerade die Taegeukseon-Fächer von Jo. „Während ich Taegeukson-Fächer herstellte, ist mir bewusst gewor-
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den, wie weit und tief die Welt unserer traditionellen Fächer ist. Ich habe die Spuren der traditionellen Fächer, die am Verschwinden sind, zurückverfolgt und reproduziere sie nach altem Stil. Normalerweise haben die Träger des Titels Immaterielles Kulturerbe einen einzigen Meister, von dem sie ihr Leben lang die jeweilige Technik gelernt haben. Aber ich habe von mehreren Lehrern gelernt. Jedesmal, wenn ich von einem Fächer-Experten hörte, habe ich ihn aufgesucht und seine Technik gelernt. Ich habe gelernt, wie man Oyeopseon, Pachoseon, Semiseon und Daewonseon herstellt. Dann kam ich auf die Idee, neue Fächerarten zu entwickeln. Ich habe Motive der Volksmalerei und exquisite Blumen-, Vogeloder Fischmotive auf dem Fächer angebracht. Ich habe auch den größten Fächer der Welt hergestellt. Er ist 2,70m breit und 4,20m lang. Auch der kleinste Fächer der Welt mit einer Breite von 2,5cm und einer Länge von 5cm ist mein Werk. Ich habe auch einen Fächer in Form der ausgebreiteten Schwanzschleppe eines Pfaus gefertigt, für den ich 8.000 Bambusstreifen gebraucht habe, was ebenfalls weltweit einmalig ist.“
Fortsetzung der Tradition und Neuschaffung Jo Chung-iks Werkstatt Jukjeon Seonjabang befindet sich in Daeseong-dong, Wansan-gu, Jeonju. Über diese Werkstatt, die nach seinem Künstlernamen „Jukjeon“ (Bambuswald) benannt ist und in der er seine Zeit damit verbringt, Fächer herzustellen, zu reproduzieren, zu kreieren und auch auszustellen, sagt er mit einem Lächeln: „Es ist weder eine richtige Werkstatt noch ein richtiger Ausstellungsraum. Sieht unordentlich aus, oder? Mir fällt dazu das Gedicht Ouga (Gedicht über die Fünf Freunde der Natur) ein, in dem der Dichter Yun Seon-do über den Bambus schreibt: Er ist weder Gras noch Baum. Wer hat ihm befohlen, so kerzengerade zu stehen, und wie kann es sein, dass er innen hohl ist? Ich mag ihn, weil er durch alle vier Jahreszeiten grün ist .“ In Jos etwa 165m² großer Werkstatt hängen Fächer aller Formen und Typen eingerahmt an den vier Wänden und hier und da liegen Materialien herum. Außerdem fallen die vielen Bücherstapel auf. Es sieht fast wie in einem Antiquariat aus: Dongmunseon (1478), eine Anthologie koreanischer Poesie des Hofbeamten und Gelehrten Seo Geo-jeong aus der Joseon-Zeit, Yeolhailgi (1780), ein Reisebericht des Gelehrten Bak Ji-won über seine Chinasreise, Bücher über koreanische Malerei, chinesische Wörterbücher, koreanische Wörterbücher, Philosophiebücher usw. „Mein Vater studierte chinesische Literatur. Ich wurde als Nesthäkchen geboren, als er schon 40 Jahre alt war. Er brachte mir noch vor meiner Einschulung die chinesischen Schriftzeichen bei. Aber interessanterweise begann er nicht mit der Einführung Cheonjamun (Tausend-Zeichen-Klassiker ), sondern mit Gedichten des
Jo bewahrt die Grundstruktur eines traditionellen Fächers, variiert jedoch die Anordnung der Bambusrippen und die dekorativen Elemente. Sommer 2010 | Koreana 53
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„Fächer sind nicht nur einfache Instrumente der Winderzeugung. Um kühlende Luft zu erzeugen, wäre eine Klimaanlage viel effektiver, aber unser fieberndes Herz vermag sie nicht zu erfrischen; das kann nur der Fächer. Den erfrischenden Wind, den die Mütter mit dem Fächer für ihre Kinder erzeugten, wenn sie ein Nickerchen auf ihrem Schoß machten, müssen wir bewahren.“
chinesischen Dichters Tao Yuanming. Als ich eingeschult wurde, bat er meinem Lehrer, mich gleich in der zweiten Klasse beginnen zu lassen. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, dann spüre ich die fürsorgliche Liebe meines alten Vaters. Da ich ohne die koreanischen Schriftzeichen gelernt zu haben gleich in die zweite Klasse kam, war ich Küken erst einmal ziemlich verwirrt. Die Grundschule musste ich dann in der fünften Klasse aufgeben, weil meine Familie nicht genug Geld hatte. Zwar habe ich die Schule nur kurz besucht, aber beeinflusst von meinem Vater, der sehr belesen war, lese ich gerne und die Bücher helfen mir auch in beklemmenden Lebenslagen. Während ich durch die FächerHerstellung meinen Lebensunterhalt verdiente, fühlte ich mich irgendwie bedrückt. Als ich dann das Buch des Religionswissenschaftlers Ham Seok-heon Die koreanische Geschichte aus spiritueller Perspektive las, musste ich über den Zweck meiner Fächer-Herstellung nachdenken. Ein Handwerker muss seine Werke mit guten Gedanken füllen, aber mir wurde bewusst, dass ich die Fächer ohne große Überlegung wie eine Maschine fertigte, nur um Geld zu verdienen. Der koreanische Philosoph An Byeonguk schrieb in seinem Buch Das Schönste auf der Welt, dass unser Leben ein kreativer Selbstausdruck ist. Diese Worte ließen mein Herz kräftiger schlagen. Es ist diesen Worten zu verdanken, dass ich jeden Tag ein neues Design entwickelt und bislang über 100 neue Fächerarten entworfen habe.“
auf dem Feld, ersetzen das Kehrblech beim Fegen und fungieren als Basisstütze beim Transportieren von Sachen auf dem Kopf. Für Schamanen, die eine Exorzismus-Zeremonie ausführen, oder für Tänzer und Pansori-Sänger sind Fächer wichtige Requisiten zur Erhöhung der Stimmung und zur Ausdruckssteigerung der Vorführungen. Außerdem konnte man sich jederzeit an Gedichten, Kalligraphienn oder den Bildern auf dem Fächer in seiner Hand erfreuen. „Die Herstellung von Fächern ist wirklich ganz einfach. Ich sage das jetzt nicht aus Bescheidenheit. Man muss nur die grundlegenden handwerklichen Fertigkeiten lernen und den einzelnen Herstellungsschritten folgen. Wenn man alle Materialien vorbereitet hat, braucht man für einen einfachen Taegeukseon nur einen halben Tag. Ein Fächer mit einem aufwändigen Bambusgerüst beansprucht hingegen über zwei Monate. Der Herstellungsprozess eines Taegeukseon-Fächers besteht aus elf Stufen. Zuerst wird ein zwei Jahre altes Bambusrohr, das in einem sonnigen Gebiet gewachsen ist, in Stücke mit einer für Fächerrippen geeigneten Länge geschnitten. Die Rohrstücke werden dann in Streifen mit einer Breite von 1,5cm und 1mm Dicke geschnitten und anschließend auf runde Streifen von ca. 1mm Breite zugeschnitten. Diese gleichmäßig geschnittenen Rippen ordnet man dann auf einem
Der Herstellungsprozess Für die Koreaner war seit jeher ein Fächer mehr als ein einfaches Instrument der manuellen Winderzeugung. Das zeigt die Bezeichnung „Paldeokseon“ oder „Palyongseon“, wörtlich „Acht-Tugenden-Fächer“, die auf den vielfältigen Gebrauch verweist: Fächer erzeugen kühlenden Wind, vertreiben Mücken und Moskitos, dienen als Deckel für offene Behälter und als Schutz vor Sonnenstrahlen, helfen beim Entfachen des Feuers, dienen als Sitzmatte 54 Koreana | Sommer 2010
1 Die Bambusrippen werden auf einem in die gewünschte Form zugeschnittenen weißen Papier angeordnet.
2 Das dreiteilige Taegeuk-Motiv wird auf ein dünnes Blatt MaulbeerbaumPapier aufgeklebt.
3 Die beiden Blätter Papier werden fest aneinander geklebt. Dann werden die Ränder säuberlich abgeglichen und eingefasst.
4 Ein Fächer wird mit einem aufwändigen Design aus dünnen Bambusstreifen dekoriert.
weißen Blatt Hanji-Papier an, das bereits auf die Umrisse des Fächers zugeschnitten ist. Dann klebt man auf ein dünnes HanjiPapier das Dreier-Yin-Yang-Motiv auf und „tapeziert“ dieses Papier auf das mit dem Rippengerüst. Um den Leim gut zu verteilen, legt man den Fächer zwischen zwei Decken auf den Boden und tritt vorsichtig mit dem Fuß darauf. Diese Technik nennt man „Dapseon“, „den Fächer mit den Füßen drücken“. Danach werden die Motivränder mit einer Schere in Form gebracht und der Fächer anschließend mit einem Papierrand versehen. Als letztes wird der Griff mit ornamentalen Nägeln angebracht. Dann ist ein Taegeukseon fertig.“ Jo ließ oft die Hauptfläche seiner Fächer leer und bat namhafte 3 2 Kalligraphen und Maler, darauf Gedichte, Schriftzeichen oder Bilder zu malen. Am Anfang lehnten sie diese Bitten häufig ab, aber als seine Leidenschaft für Fächer bekannt wurde, sagten sie zu und so wurden Jos Fächer in neuem Gewande wiedergeboren. Jo Byeong-hui, der bekannte verstorbene Lokalhistoriker der Stadt
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Jeonju, beschrieb zwei von Jos Fächern, was ein sehr besonderer Fall ist. Er hinterließ dem Meister der Fächerherstellung sogar eins seiner Lieblingswerke. Der Maler Song Gye-il nahm an einem heißen Sommertag die lange Fahrt von Ilsan nach Jeonju auf sich und schmückte im wahrsten Sinne des Wortes im Schweiße seines Angesichts Jos Fächer mit einem Tuschebild. „Die Fächer, die nicht nur das künstlerische Potential, sondern auch die Persönlichkeit des Künstlers ausströmen, bewegen mich immer wieder aufs Neue. Um die besondere Schönheit, die Fächer ausstrahlen, zu teilen, wird in Jeonju seit 2003 jährlich zum Dano-Fest im fünften Mondmonat ein Fächer-Festival veranstaltet. Fächer sind nicht nur einfache Instrumente der Winder4 zeugung. Um kühlende Luft zu erzeugen, wäre eine Klimaanlage viel effektiver, aber unser fieberndes Herz vermag sie nicht zu erfrischen; das kann nur der Fächer. Den erfrischenden Wind, den die Mütter mit dem Fächer für ihre Kinder erzeugten, wenn sie ein Nickerchen auf ihrem Schoß machten, müssen wir bewahren.“
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KUNSTKRITIK
Ausstellung enthüllt die Skulpturenwelt von Kwon Jinkyu Vor kurzem fand in Seoul und Japan eine großangelegte Retrospektive des Werks von Kwon Jinkyu (19221973), einem Pionier der Bildhauerkunst, der zwischen der neuzeitlichen und gegenwärtigen Bildhauerei Koreas eine Brückenrolle spielte, statt. Die Ausstellung, die dem Kunstpublikum zahlreiche bislang unbekannte Werke zugänglich machte, gab einen umfassenden Überblick über Kwons Kunstwelt und wurde als Wendepunkt in der Erforschung von Kwons Werk bewertet. Kim Yisoon Professorin an der Graduate School of Art, Hongik University Fotos: The National Museum of Modern Art
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rotz des ungewöhnlich kalten Winters besuchten über 38.000 Zuschauer die Ausstellung von Kwon Jinkyu, die vom 22. Dezember 2009 bis zum 1. März 2010 im Deoksugung Nationalmuseum für Kunst (National Museum of Art Deoksugung) stattfand. Diese Besucherzahl war wirklich beeindruckend für die Soloausstellung eines modernen Bildhauers. Gezeigt wurden 100 bildhauerische Werke, 40 Zeichnungen und eine Gipsform, die zur Demonstration des Herstellungsprozesses einer Terrakotta-Skulptur diente. Darüber hinaus gab die Ausstellung einen umfassenden Überblick über Kwons Kunstwelt, angefangen von Terrakottabüsten wie Jiwon, Aeja oder Die Priesterin , die zu seinen Meisterwerken zählen, über plastische Selbstbildnisse, die er zu verschiedenen Zeiten seines Lebens schuf, Menschen- und Tierskulpturen aus der Frühphase seines Künstlerlebens und abstrakte Reliefs, bis hin zu buddhistischen Skulpturen aus der Spätphase seines künstlerischen Schaffens.
Tokyo) und vom 19. Oktober bis zum 5. Dezember 2009 in der Bibliothek und im Museum der Kunstuniversität Musashino (Musashino Art University) gezeigt. 2006 führte die Kunstuniversität Musashino im Vorfeld ihres 80-jährigen Gründungsjubiläums im Jahr 2009 eine Umfrage über den erfolgreichsten Künstler unter den Absolventen der Universität durch und dabei wurde Kwon Jinkyu gewählt. Kwon schloss 1953 das Studium der Bildhauerei an der Kunsthochschule Musashino (Musashino Art School), die später in „Kunst universität Musashino“ umbenannt wurde, ab. Er war ein Schüler von Shimizu Takashi (1897-1981), dem seinerzeit angesehensten Professor und Künstler dieser Hochschule. Vor diesem Hintergrund wurden auch zwölf Werke von Shimizu Takashi und fünf Reliefs von Shimizus Lehrer Émile-Antoine Bourdelle (1861~1929) ausgestellt. Dem lag die Absicht zugrunde, Kwon in die genealogische Abfolge „Antoine Bourdelle – Shimizu Takashi – Kwon Jinkyu“ einzuordnen
Korea-Japan Wanderausstellung Kwon Jinkyu veranstaltete bis zu seinem Tod im Jahre 1973 insgesamt drei Soloausstellungen. Danach fanden drei Retrospektiven statt: 1974, zum Gedächtnis seines ersten Todestages, 1988 anlässlich seines 15. und 2003 anlässlich seines 30. Todestages. Die diesmalige Ausstellung, für die alle vier Galerien im Erdgeschoss und ersten Stock des Deoksugung Kunstmuseums in Anspruch genommen wurden, übertraf die bisherigen in Bezug auf Größe und Bedeutung bei Weitem. Zudem wurde die Ausstellung von Japan und Korea gemeinsam als Wanderausstellung organisiert. Vor der Präsentation in Korea wurden Kwons Werke vom 10. Oktober bis zum 6. Dezember 2009 im Nationalmuseum der Modernen Kunst in Tokio (National Museum of Modern Art, 56 Koreana | Sommer 2010
Ein tragisches Leben Eigentlich kam Kwon im Jahr 1948 nach Japan, um sich um seinen älteren Bruder zu kümmern, der als Arzt in einem japanischen Krankenhaus arbeitete und selbst ernsthaft erkrankt war. Im darauf folgenden Jahr nahm er nach dem Tod seines Bruders das Studium der Bildhauerei an der Kunsthochschule Musashino auf. Zu der Zeit bestanden noch keine diplomatischen Beziehungen zwischen Korea und Japan und ein Jahr später brach der Koreakrieg aus, weshalb nur wenige Koreaner zum Kunststudium nach Japan gehen konnten. Während des Koreakriegs hielt sich Kwon in Japan auf und setzte sein Kunststudium fort. Nach dem Abschluss seines bildhauerischen Studiums blieb er
1 Kwon Jinkyu mit einer Selbstporträt-Büste. Sein Studio im Seouler Stadtviertel Dongseon-dong, Seongbuk-gu, ist als neuzeitliches Kulturerbe registriert.
2 Pferdekopf (1969), Terracotta. Während seines ganzen Schaffens gehörten Tiergestalten, darunter Pferde, zu Kwon Jinkyus beliebtesten bildhauerischen Motiven.
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als Student in der wissenschaftlichen Abteilung der Hochschule und erhielt beim einflussreichen Kunstwettbewerb Nika (Nika Art Competition) einen Preis. 1959 kehrte er nach Korea zurück, um seine verwitwete Mutter zu pflegen. Die Beweggründe waren zwar zunächst einmal familiärer Natur, aber daneben schien in Kwon auch der Ehrgeiz erwacht zu sein, aus dem Schatten seines Lehrers heraus zu treten und seine eigene Kunstwelt zu schaffen. Kwon kaufte sich in einer abgeschiedenen Gegend weit weg vom Stadtzentrum Seouls ein Haus auf einem Hügel und baute den Innenraum zu einem Atelier um. Es war ein bescheidener Raum, der mit dem für seine Arbeit Notwendigsten wie einem Terrakotta-Brennofen ausgestattet war. Bis zum Tod zog er sich in dieses Refugium zurück und widmete sich ganz seinem kreativen Schaffen. Abgesehen von Vorlesungen an Universitäten oder Treffen mit Freunden verbrachte er die meiste Zeit damit, in seinem Atelier Werke zu entwerfen und herzustellen. Wer seinen Arbeitsraum aufsuchte, der sprach immer von einer gewissen Abgeschiedenheit. Die Stille seines Ateliers hoch auf dem menschenleeren Hügel, Kwons Wortkargheit und seine bildhauerische Methode, durch Hinzufügen einzelner Tonstückchen eine Form zu schaffen – all das lag jenseits jeglicher Geräuschkulisse. Die räumliche Abgeschiedenheit und die Einsamkeit des Künstlers, der dort in seiner Welt versunken war, spiegeln sich in seinen zahlreichen Werken wider. „Einsamkeit“, „Selbstmord“, „tragischer Künstler“ – das sind die Assoziationen, die unweigerlich mit Kwon Jinkyu verbunden sind.
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1 Reiter (1965), Lehm 2 Die Priesterin (1967), Terracotta 3 Jiwon (1967), Terracotta
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Weil er im Frühling 1973 im Alter von 51 Jahren in seinem Atelier seinem Leben ein Ende setzte, wurde mehr von der „Tragödie“ seines Lebens als von seiner künstlerischen Qualität gesprochen. Aber die jüngste Ausstellung machte deutlich, dass der Stempel „Tragödie“ nicht mehr angemessen ist, um sein bildhauerisches Werk zu bewerten. Nach dem während des Koreakriegs in Japan absolvierten Kunststudium und der sechsjährigen Tätigkeit an seiner Alma Mater kehrte Kwon nach Korea zurück, wo er zu einem erfolgreichem Künstler wurde, der während der folgenden dreizehn Jahre seines Schaffens drei gesponserte Ausstellungen abhielt. Damals war es für Bildhauer in Korea äußerst schwierig, eine eigene Ausstellung auf die Beine zu stellen, geschweige denn, Sponsoren dafür zu gewinnen. Die Gästebücher seiner Ausstellungen waren voll von den Unterschriften der die Kunstkreise der Zeit anführenden Persönlichkeiten, darunter renommierte Kunsthistoriker, Kunstkritiker, Maler und Bildhauer. Daran ist zu erkennen, dass die koreanischen Künstlerkreise den künstlerischen Wert seiner Werke anerkannten, obwohl Kwon von Natur aus wortkarg und nur schwer zugänglich war. Aber da zu der Zeit die Tendenz vorherrschte, asiatische Malereien, die man an die Wand hängen konnte, zu bevorzugen, ließen sich Terrakotta-Werke oder Trockenlackfiguren nicht verkaufen. Wer wollte schon schwere und leicht zerbrechliche Terrakotta-Werke oder raue, düster wirkende Trockenlackbüsten sammeln und zu Hause aufbewahren? In den 1960er Jahren mussten sich nicht nur Kwon, sondern die meisten Künstler in Korea mühsam durchschlagen. Sogar der Verkauf von Werken der informellen und der konzeptionellen Kunst sowie der monochromen Malerei, die mittlerweile in der modernen Kunstgeschichte Koreas längst festen Fuß gefasst haben, war ein seltener Fall. Vor diesem Hintergrund war es eine Überraschung, dass auf der ersten Versteigerung moderner Kunstwerke, die 1979 in Korea abgehalten wurde, zwei von Kwons Werken verkauft werden konnten. Kwon Jinkyu ist mit Sicherheit ein Bildhauer, der repräsentativ für die koreanische Kunst ist. In der 5.000 Jahre umfassenden Kunstgeschichte Koreas gibt es nur eine Handvoll Bildhauer, die als repräsentative Künstler bezeichnet werden können, darunter beispielsweise der Mönch Yangji aus der Silla-Zeit (57 v.Chr.–668
Gipsbüsten, die Kwon zurückgelassen hatte, über 50 Jahre lang auf. Auf der diesmaligen Ausstellung wurden auch solche Werke, die dem Publikum bisher noch unbekannt waren, präsentiert. Es ist zudem nicht auszuschließen, dass noch weitere unbekannte Werke Kwons im Verborgenen existieren. Unter Kwons Hinterlassenschaften befand sich ein Tagesplan, aus dem hervorgeht, dass er normalerweise nach dem Aufstehen an seinen Skizzen arbeitete, sich dann am Vor- und Nachmittag mit den Skulpturen beschäftigte und sich abends noch einmal den Entwürfen zuwandte. Es gibt auch Aufzeichnungen, die Aufschluss über den Herstellungsprozess eines Werks geben, also wie eine bestimmte Idee über mehrere Skizzen schließlich die gewünschte Gestalt annahm. Kwon war ein wahrhaft besonderer Künstler. Aber seine einzigartige Stellung in der Geschichte der koreanischen Bildhauerei lässt sich nicht nur auf seinen schöpferischen Genius zurückführen, wie es häufig angenommen wird, sondern auch auf seine Disiziplin und Hingabe zur Schaffung einer eigenen Kunstwelt. Womöglich ist auch sein Tod eine Art
n.Chr.), der im siebten Jahrhundert aktiv war und dessen buddhistische Skulpturen im Samgugyusa (Memorabilia der Drei Königreiche) Erwähnung fanden, oder Kim Bok-jin (1901-1940), der die westliche Bildhauerei in Korea einführte. In der Geschichte Koreas gab es zwar zahllose Bildhauer, aber meist handelte es sich dabei eher um Kunsthandwerker als um Künstler, da nicht der künstlerisch-kreative Aspekt im Vordergrund ihres Schaffens stand, sondern der praktische Gebrauchszweck. Bildhauer, die ihre eigene, distinktive Kunstwelt schufen und damit Kunsttrends auf den Weg brachten, oder durch ihre charakteristische Kunstwelt als repräsentativ für ihr Zeitalter gelten könnten, sind kaum zu finden. Aber Kwon Jinkyu schuf seine ganz eigene Kunstwelt und hinterließ ein umfassendes Werk. Die Wanderausstellung und das internationale Symposium, die in Japan und Korea stattfanden, boten den Besuchern die Gelegenheit, sich einen detaillierten Überblick über die Kunstwelt von Kwon Jinkyu zu verschaffen. Es war eine seltene Chance für das Publikum, sich dem vom Schleier des tragischen Genies verhüllten Künstler, dessen Leben und Schaffen den meisten unbekannt war, einen Schritt zu nähern. Da Kwon vergleichsweise spät mit dem Kunststudium begann, scheint er in seiner Studienzeit eine reife und ernste Haltung gezeigt zu haben. Kwons japanische Kollegen und ehemalige Kommilitonen erinnern sich an ihn jedenfalls als reif und ernsthaft. Der auf westliche Malerei spezialisierte japanische Maler Senna Hideo wurde wohl auf Kwons außerordentliche Begabung aufmerksam, denn er bewahrte die
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1 Selbstporträt (1968), Terracotta 2 Schwarze Katze (1963), Terracotta
Kunstwerk, da er seinen Schülern häufig gesagt haben soll, dass man für die Kunst sogar sterben könne.
Bewusstsein der Existenz In den koreanischen Kunstkreisen wird Kwon Jinkyu als Künstler bewertet, der nach typisch koreanischen Traditionen oder Archetypen suchte, i.e. als Künstler mit einem starken Traditionsbewusstsein. Das ist nicht nur, weil er einmal gesagt hat, dass er in der koreanischen Kunst den Realismus auf den Weg bringen möchte, sondern auch, weil er Anlehnungen bei Techniken der traditionellen Kunst wie Terrakotta oder Trockenlack machte, und zudem traditionelle Motive wie Dämonenmasken, Tonpuppen, Dachziegel, ornamentale Dachfirstfiguren und Wandgemälde aus den Königsgräbern von Goguryeo (37 v. Chr.–668 n. Chr.) einführte. Aber seine Innovation überschritt die Grenzen der antiken Kunst Koreas, was sich in seinem Interesse an der antiken Kunst der Menschheit und den verschiedenen Traditionen der alten und der zeitgenössischen Kultur widerspiegelt. Seine Aufmerksamkeit galt der antiken Kunst Mesopotamiens und Ägyptens, der Kunst der Kykladen, Etrusker und Griechen, sowie den kunstgeschichtlichen Epochen der Romanik und der Renaissance. Darüber hinaus interessierte er sich für die künstlerischen Prinzipien von Cézanne, Rodin, Antoine Bourdelle, Shimizu Takashi, Aristide Maillol, 60 Koreana | Sommer 2010
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Giacomo Manzù, Marino Marini und Giacometti – die ganze Bandbreite seiner Interessen lässt sich kaum aufzählen. Dabei richtete er sein Augenmerk auf die Methode, die ursprünglichen und primitiven Strukturen der Objekte herzuleiten. Er sagte: „Jedes Objekt besitzt eine Struktur. In der koreanischen Bildhauerei fehlt es an einer grundlegenden Erforschung dieser Strukturen.“ Diese Aussage sollte im Kontext seines tiefen und ganz persönlichen Kunstverständnisses aufgefasst werden. Letztendlich verfolgte er in seiner Kunst nicht Nationalbewusstsein oder Ideologie, sondern reinen Geist und Universalität der Kunst. Um dies zum Ausdruck zu bringen, stellte er von Ursprünglichkeit und Primitivität geprägte Figuren her und projizierte wie Alberto Giacometti (1901–1966) und andere Nachkriegsbildhauer sein eigenes Existenzbewusstsein auf seine Werke. Kwons Kunstverständnis kommt in seinen Menschenfiguren und Selbstporträts deutlich zum Ausdruck, insbesondere in den Büsten junger Frauen, die er ab 1967 herstellte, und in denen das Charakteristische seiner Ausdrucksart noch deutlicher zum Vorschein kommt. Die Gesichtszüge der einzelnen Figuren entsprechen zwar jeweils denen der tatsächlichen Modelle, aber die Skulpturen weisen dennoch alle gleiche gestalterische Merkmale auf und schaffen daher eine ähnliche Stimmung. Das Gesicht, das jeweils etwas kleiner als in der Realität ist, und der lange Hals
Auf der Ausstellung wurden auch zwölf Werke von Shimizu Takashi (1897-1981) und fünf Reliefs von Shimizus Lehrer Emile Antoine Bourdelle (1861~1929) präsentiert. Dem lag die Absicht zugrunde, Kwon in die genealogische Abfolge „Antoine Bourdelle – Shimizu Takashi – Kwon Jinkyu“ einzuordnen.
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auf den hängenden Schultern bilden eine dreieckige Grundstruktur. Kwons Büsten zeichnen sich durch ihre aufrechte Kopfhaltung, den in die Ferne gerichteten Blick und ihre frontale Gerichtetheit aus, die bar jeden Dekors wie Haare oder Kleidung ist. Der lange Hals und die Hängeschultern erinnern an die Werke von Manzù und Marini, aber der Gesamteindruck, der vermittelt wird, ist ein anderer. Kwon schilderte zwar die objektiven Gesichtszüge seiner Modelle, aber Bemühungen, ihr subjektives Gefühl und ihre innere Welt zum Ausdruck zu bringen, sind nicht zu erkennen. Kwons Büsten entströmt allen dieselbe Stimmung, weil er versuchte, den Skulpturen seine eigene Psyche und seine eigene Geisteswelt einzuflößen. Deshalb besteht natürlicherweise eine Ähnlichkeit zwischen der Figur Die Priesterin, für die ein Mädchen namens Yeonghi Modell stand, und dem Selbstporträt im buddhistischen Mönchshabit. Kwons Sprache der künstlerischen Gestaltung, eher die Grundstrukturen als die äußeren Merkmale eines Objekts zu unterstreichen, wurde von seinen Lehrern Shimizu Takashi und Antoine Bourdelle beeinflusst. Dies war bei einem Vergleich der Werke der drei Künstler auf dieser Ausstellung deutlich zu erkennen. Die Unterschiede jedoch übererwiegen die Parallelen. In Bezug auf den Ausdruck von Gefühlen wie Besonnenheit oder Spannung
unterscheiden sich Kwons Werke deutlich von denen seiner beiden Lehrer. Die Betonung, die die beiden Meister den Strukturen des menschlichen Körpers zukommen lassen, erfährt in Kwons Werken eine noch deutlichere Ausprägung. Der Realismus und die Schönheit des menschlichen Körpers, die in den Werken seiner Lehrer evident sind, wurden von Kwon offensichtlich für weniger relevant erachtet. Da Kwon Jinkyu einer der führenden Bildhauer Koreas ist, war er auch Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Forschung. Die Wissenschaftler neigten jedoch dazu, sich inhaltlich immer wieder zu wiederholen, denn trotz Kwons Bekanntheit als Künstler fehlte es an Materialien und Informationen. Aus diesem Grund diente die jüngste Ausstellung als wertvolle Gelegenheit, einen umfassenden Überblick über Kwons Leben und Werk zu schaffen. Der Ausstellungskatalog mit einer kritischen Biographie, die auf der Untersuchung verschiedener Hintergrundmaterialien beruht, wird für die weitere Erforschung von Kwons Werk eine wichtige Informationsquelle darstellen. Es bleibt zu hoffen, dass anlässlich der diesmaligen Ausstellung der Künstler Kwon Jinkyu und sein Werk die Aufmerksamkeit und Anerkennung nicht nur des koreanischen Publikums, sondern auch darüber hinaus erhält. Sommer 2010 | Koreana 61
KOREA ENTDECKEN
Korea-begeistert: von der Zeit der Drei Königreiche bis heute 1
Die École Pratique des Hautes Études (EPHE), die schon über 100 Jahre alt ist, ist ein Institut unter der Schirmherrschaft des französischen Ministeriums für höhere Bildung und Forschung. Hauptziel der Einrichtung ist das Studium der alten asiatischen Zivilisationen durch Forschungen im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften. Im Januar 2002 wurde ich nach Korea geschickt, um hier innerhalb des Forschungsinstituts für Asienstudien der Korea Universität die 17. Niederlassung der EPHE einzurichten. Élisabeth Chabanol Leiterin des Seoul Center der École pratique des hautes Études
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m November 2008 erhielt ich ein Schreiben des französischen Außenministers Bernard Kouchner. Er teilte mir darin mit, dass ich auf seine Empfehlung und auf Order des französischen Präsidenten mit einem Chevalier dans l’Ordre national du Mérite, einem französischen Verdienstorden, ausgezeichnet werden sollte. Der Orden sei eine Würdigung meiner besonderen Verdienste in Bezug auf das Verständnis des historischen Kunstund Kulturerbes Koreas und meines Beitrags zur Entwicklung der Beziehungen zwischen Korea und Frankreich. Nachdem mein Herzklopfen sich etwas gelegt hatte, überlegte ich, warum mir wohl eine solche Ehre zuteil werden sollte. Für mich waren die vergangenen 20 Jahre eine Zeit, die mir erlaubte, angetrieben von nicht nachlassender Begeisterung, ununterbrochen nach Neuem und Interessantem zu suchen und zu forschen, die verschiedensten Menschen zu treffen und mich selbst zu übertreffen.
Die ersten Tage in Seoul Meine Begeisterung für das Land ist auf die Nacht des 14. Februar 1981 zurückzuführen, als ich mit einer Maschine der Korean Air über Japan nach Korea kam und zum ersten Mal meinen Fuß auf koreanischen Boden setzte. Da zu dieser Zeit eine nächtliche Ausgangssperre herrschte, wurden die ganze Crew und alle Passagiere von Soldaten vom Flughafen Gimpo zum Garden Hotel im Seouler Stadtteil Mapo-gu eskortiert, wo wir übernachteten. Das Hotelgebäude war zu der Zeit, als es in Seoul noch nicht so viele hohe Gebäude gab, eine Art Orientierungshilfe in diesem westlichen Teil der Hauptstadt. Am nächsten Tag, dem 15., gab es eine 62 Koreana | Sommer 2010
Zivilschutzübung. In wenigen Minuten waren die Straßen wie leer gefegt und am Himmel flogen Flugzeuge über der Stadt. Es war zur Zeit der Militärherrschaft unter Präsident Chun Doo-hwan. Da noch Winter war, war es sehr kalt. Trotz der trostlosen grauen Straßen strahlte die Sonne hell und stark und auch die Gesichter der Seouler wirkten hell und freundlich. Ich blieb damals zwar nur drei Tage in Seoul, aber ich spürte, dass ich bald wieder zurückkommen und mein ganzes Leben lang in diesem Land verbringen würde. Einige Jahre später – es war im Jahr 1986, als ich mich nach meinem Abschluss der l’École du Louvre auf meinen Magisterkurs an Universität Paris-Sorbonne(Paris IV) vorbereitete und zu diesem Zweck an der École Pratique des Hautes Études an einem Seminar über die chinesische Archäologie teilnahm – hörte ich vor dem Unterricht vor der Kirche der Sorbonne zufällig ein Gespräch zwischen zwei Kommilitoninnen aus dem Seminar. „Sie suchen jemanden, der in Korea Französisch unterrichten kann. Aber es gibt keinen einzigen Bewerber.“ „Was? Es gibt niemanden? Dann kann ich doch gehen,“ dachte ich, und ein paar Monate später, am 15. Oktober 1986, kam ich wieder auf dem Internationalen Flughafen Gimpo an. Am Bahnhof Yeongdeungpo in Seoul stieg ich in den Nachtzug nach Daejeon und fuhr von dort direkt nach Yuseong, wo sich die Chungnam Universität befand. Ich kann mich immer noch erinnern an die Reisfelder, an das Quaken der Kröten im Hochsommer, an die schwülen Junitage, wo man mit dem Fächer aus Bambus und Maulbeerbaumpapier die Hitze zu vertreiben versuchte und auf die Kühle Erntezeit wartete. Auch die Erinne-
2 1 Élisabeth Chabanol stellte ihr Forschungsprojekt 2006 im Rahmen der Feierlichkeiten zum Gedenken des 120. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Korea und Frankreich aus. 2 Élisabeth Chabanol und der französische Botschafter in Korea bei einem Empfang zur Feier ihrer Auszeichnung mit dem L’Ordre national du Mérite
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rungen an den aromatischen Geruch von Sesamöl, der den ganzen Marktplatz einhüllte, und an die eiskalten Winter, in denen man unter eine Ibul, eine dicke koreanische Decke mit Baumwollfüllung, kriechen musste, um den vor Kälte steif gewordenen Körper wieder aufzutauen, sind immer noch frisch. Wie ein Fallschirmspringer landete ich mitten in einer völlig fremden Kultur, in einer Welt, in der die Männer das Sagen hatten, in der es noch kaum Kontakt mit der Außenwelt gab und niemanden, der Französisch oder Englisch sprechen konnte, abgesehen von zwei französischen Priestern, die außer mir die einzigen Ausländer waren und die man zu Missionszwecken aus Paris hierher geschickt hatte.
Verliebt in die Grab-Architektur der Zeit der Drei Königreiche
Baekje-Reiches (18 v. Chr.-660 n. Chr.), wo sich auch das Grab von König Muryeong befindet. Das war der Moment, in dem ich entschied, was das Thema meiner Forschungsarbeiten sein sollte. Ich beschloss, die Tumulus-Grab-Architektur der Zeit der Drei Königreiche zu studieren. Viele Jahre beschäftigte ich mich damit, die Herrscher des Baekje- und Silla-Reiches, deren würdevolle Majestät und geistige Kraft gut in den historischen Aufzeichnungen wie dem Samguksagi (Geschichte der Drei Königreiche; 1145) und dem Samgukyusa (Memorabilia der Drei Königreiche; Ende 13. Jh.) beschrieben werden, und die Überreste der von ihnen geschaffenen Bauten zu erforschen. Ich musste zwar immer wieder für längere Zeit nach Frankreich zurückfliegen, um an der Sorbonne meine Magister- und Doktorarbeit bewerten zu lassen, aber eigentlich waren es koreanische Archäologen, Professoren und Forscher von nationalen Forschungseinrichtungen für Kul-
Ich kam nach Korea, um zu lehren und zugleich auch zu lernen. Ich war bereit, einem völlig anderen Lebensstil zu folgen. Ich wollte all das erleben, was ich bis dahin nur aus Büchern kannte, und viel über das Land lernen, das mich fünf Eines Tages als ich im EPHE an einem Seminar über chinesische Archäologie Jahre zuvor bezaubert hatte. Ich kann nicht teilnahm, hörte ich zufällig ein Gespräch zwischen zwei Kommilitoninnen. „Sie behaupten, dass der Lernprozess ganz ohne suchen jemanden, der in Korea Französisch unterrichten kann. Aber es gibt Probleme und Schwierigkeiten verlief. Aber keinen einzigen Bewerber.“ „Was? Es gibt niemanden? Dann kann ich doch geich lernte Schritt für Schritt und auf eine Art, hen,“ dachte ich, und ein paar Monate später kam ich auf dem Internationalen die mit den emotionalen Veränderungen einer Flughafen Gimpo an. jungen französischen Frau verzahnt war. Auf meiner Entdeckungstour des „Anderen“ hatte ich stets viele Wegbegleiter. Mir wurde der Name Chong A-reum gegeben, womit ich sozusagen ein Mitglied des Chong-Clans von Gyeryong-san wurde (Gyeryong-san: „Hahn-Drachen-Berge“ in turgüter, die mir dabei halfen, bei meinen Arbeiten die Richtung der Nähe von Yuseong). Aus mir wurde nach und nach ein Mädfestzulegen und mich betreuten. chen vom Lande, eine Tochter der Provinz ChungcheongnamBedeutung des französischen Verdienstordens do. Ich lernte, koreanische Gerichte zuzubereiten wie DoenjangJjigae (Bohnenpastensuppe), Dwaejigogi-Duruchigi (scharf Im Sommer 1997 verabschiedete ich mich von der Stadt Daejeon, gewürztes, gebratenes Schweinefleisch), Oi-Sobagi (gefüllter deren Name „großes Feld“ bedeutet. Dass ich meine Doktorarbeit Gurken-Kimchi), Pajeon (Lauchpfannkuchen) usw. Das einzige unter besten Bedingungen schreiben konnte, habe ich den damaLebensmittel, das mich noch mit Frankreich verband, war ungeligen Direktoren des Nationalmuseums Gyeongju, Dr. Ji Geonwürzter Thunfisch in der Dose. Ab und zu gab es auf dem Markt gil und Kang U-bang, zu verdanken. In den ersten beiden Jahren auch Butter zu kaufen und ich rannte immer voller Freude los, konnte ich zusammen mit Kuratoren und Archäologen die historium welche zu holen, aber sie roch und schmeckte meist widerschen Stätten, Ausstellungsräume, nicht öffentlich zugänglichen lich. Der Makgeolli (trüber, gegorener Reiswein) und Dongdongju Relikt-Lagerstätten und die Museumsbibliothek nach Herzenslust (klarer, destillierter Reiswein), den wir an den Tagen tranken, an durchkämmen. Außerdem konnte ich Feldforschung direkt vor denen es Studentendemonstrationen gab, um den Geruch des Ort betreiben und die Struktur der Königsgräber aus der Silla-Zeit Tränengases zu vergessen, ließ mich auch allmählich vergessen, (57 v. Chr.-676 n. Chr.) und der Zeit des Vereinigten Silla-Reichs wie Rebenwein schmeckte. Bei schönem Wetter stiegen wir am (676 n. Chr.-935 n. Chr.) untersuchen, aber auch Grabbeigaben Wochenende auf den geheimnisvollen Gyeryong-san, wanderten wie Kronen, Ohrringe, Gürtel, Keramikstücke sowie verschiedene an der Nammaetap (Bruder-und-Schwester-Pagode) vorbei und Werkzeuge. besuchten den mehr femininen Tempel Donghak-sa und den Auf diese Weise nahm meine künftige Laufbahn langsam koneher maskulinen Tempel Gap-sa. krete Gestalt an. Mit ängstlichem Herzen zog ich „hinauf“ nach Nicht lange Zeit nach meiner Ankunft in Korea besuchte ich Seoul. Dort arbeitete ich drei Jahre als Editorin bei der englischdie Songsan-ri Nekropole in Gongju, der Hauptstadt des alten sprachigen Tageszeitung Korea Herald, wo ich nach der Welt der 64 Koreana | Sommer 2010
nach Nordkorea aus. Lange Zeit hatte ich keinen Blick in Richtung DMZ getan. Ich hatte viele Jahre im südlichen Teil des Landes, in Daejeon und Gyeongju, gelebt, also weit weg von dieser „Linie des Schmerzes und der Narben“, die die Halbinsel teilt. Außerdem war es mir weniger schmerzvoll vorgekommen, ihre Existenz einfach zu ignorieren, als sich damit auseinanderzusetzen. Aber als Archäologin konnte ich es mir nicht entgehen lassen, die wichtigen historischen Stätten und Überbleibsel der Königreiche Goguryeo (37 v. Chr.-668 n. Chr.) und Goryeo (918-1392) persönlich in Augenschein zu nehmen. Ich hatte zwar die historischen Stätten von Goguryeo in der Mandschurei besucht und war mit allen historisch und archäologisch bedeutenden Stätten zwischen Paju im äußersten Norden und Jeju im Süden Südkoreas vertraut, aber ich wusste kaum etwas über die Stätten zwischen den Flüssen Yalu und Han-gang, weshalb mir auch das notwendige Verständnis dafür fehlte. Dann wurde mir endlich die Gelegenheit gegeben, diese Orte zu besuchen. War es ein Fingerzeig des Schicksals? Die goldene Gelegenheit, die Demokratische Volksrepublik Korea zu besuchen, ergab sich wie meine erste Koreareise 1986 gerade zum richtigen Zeitpunkt und eher zufällig. Es war im kalten Winter um die Zeit des Neujahrsfestes nach Lunarkalender und die Straßen nördlich des 38. Breitengrades waren mit Schnee und Eis bedeckt. Die Wasserleitungen des „Joseonsik sallimchip“ („Wohnhaus nach Joseon-Art“. Nordkoreanische Bezeichnung für ein traditioÉlisabeth Chabanol im Sariwon Museum in Nordkorea. Seit 2003 konnte sie ihre Fornelles koreanisches Haus mit Ziegeldach; schungsaktivitäten auf historische Stätten in Nordkorea ausweiten. „Hanok“ in Südkorea), in dem ich untergebracht war, waren zugefroren und die Ondol-Bodenheizung war so heiß, dass ich dachte, ich würde mir studien der Korea Universität die 17. Niederlassung der EPHE den ganzen Rücken verbrennen. Unter solchen äußeren Umstäneinzurichten. Zu der Zeit gab es an der EPHE noch keinen einziden erkundete ich Gaeseong, die alte Hauptstadt des Goryeogen Korea-Spezialisten. Reiches, und ihre historisch bedeutenden Hinterlassenschaften. Eines der Forschungsprojekte, die damals auf den Weg gebracht Diese Stätten wurden schon bald zum Kern meiner Studien und wurden, beschäftigte sich mit den ersten französischen Koreaich suchte sie auch weiterhin ab und zu auf. nisten, nämlich den ersten französischen Diplomaten in Korea. Wenn ich heute so auf meinen Lebensweg zurückblicke, wird mir Unter ihnen haben besonders Victor Collin de Plancy und Maubewusst, dass der Verdienstorden, mit dem ich ausgezeichnet rice Courant Korea eingehend erforscht und Land und Leute aus wurde, nicht nur mir alleine zukommt, sondern dass diese Ehre tiefem Herzen respektiert. Ein anderes Thema dieses Projekts allen gebührt, die mich auf meiner langen Reise begleitet haben. behandelte Koreaner wie Yi Beom-jin und Min Yong-chan, die Allen, die Interesse an der französischen Sprache und Kultur als erste nach Frankreich reisten, um Europa kennen zu lernen. gezeigt haben, die mir die Richtung meiner Forschungen über Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden im Rahmen der die koreanische Halbinsel aufgezeigt haben, die mich in ihre ForFeierlichkeiten zum 120. Jubiläum der französisch-koreanischen schungsprojekte miteinbezogen und meine eigenen Forschungen Beziehungen im Jahre 2006 durch Sonderausstellungen im Korea unterstützt haben. Ich hoffe von Herzen, auch weiterhin wie bisher University Museum, im Albert-Kahn Museum in Boulogne und einen Beitrag, und sei er auch noch so klein, zur Intensivierung in der Mediatheque de l‘Agglomeration Troyenne zusammen mit der Beziehungen und des besseren Verständnisses zwischen einem Begleitbüchlein vorgestellt. Korea und Frankreich leisten zu können. Im Januar 2003 dehnte sich der Bereich meiner Forschungen bis Wissenschaften auch die des Geschäfts kennen lernte. Aber mir wurde bewusst, dass eine Stelle bei einem Forschungsinstitut die einzige Möglichkeit bieten würde, mich vor Ort auf meine Forschungen über die koreanische Halbinsel zu konzentrieren, über die neuesten archäologischen Entdeckungen auf dem Laufenden zu bleiben und zugleich europäische Studenten an die koreanische Archäologie und Kunst heranzuführen. All das war an der École pratique des Hautes Études möglich. Die École Pratique des Hautes Études (EPHE), die schon über 100 Jahre alt ist, ist ein Institut unter der Schirmherrschaft des französischen Ministeriums für höhere Bildung und Forschung. Hauptziel der Einrichtung ist das Studium der alten asiatischen Zivilisationen durch Forschungen im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften. Im Januar 2002 wurde ich nach Korea geschickt, um hier innerhalb des Forschungsinstituts für Asien-
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AUF DER WELTBÜHNE
Dr. Shim Jae Doo und seine Frau: 17 Jahre medizinischer Einsatz in Albanien Im Jahr 1884 kam der amerikanische Arzt Horace Newton Allen als Missionar der Presbyterianischen Kirche ins damalige koreanische Königreich Joseon. 1972, also 88 Jahre später, unternahm der Arzt Kang Won-hee als erster Koreaner medizinische Hilfseinsätze im Ausland. 1993 flogen der koreanische Internist Dr. Shim Jae Doo und seine Frau Dr. Yu So Yeon, eine anatomische Pathologin, nach Tirana in Albanien. Seit 17 Jahren arbeiten sie dort für den Aufbau des Gesundheitswesens und des medizinischen Versorgungssystems. Kim Mina Korea Doctor’s Weekly
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eutzutage befinden sich weltweit 271 koreanische Ärzte im freiwilligen Einsatz und bieten bedürftigen Menschen in Asien, Afrika, Osteuropa, im Nahen Osten usw. medizinische Hilfe an. Dr. Shim Jae Doo, der als „der Helfer unter den Helfern“ bekannt ist, ist einer von ihnen. Dr. Shim, Direktor des Shalom Health Center in der albanischen Hauptstadt Tirana, arbeitet seit 1993 als Arzt in Albanien und setzt sich in verschiedenen Bereichen, von Ausbildung bis zur Sozialfürsorge, für das Wohlergehen der Menschen ein.
Mit einem Preis geehrt Im Dezember 2009 wurde Dr. Shim vom Koreanischen Ärzteverband mit dem zweiten „HanmiPreis für besonders verdienstvolle Ärzte“ ausgezeichnet. Dieser Preis wird Ärzten verliehen, die im gesundheitspolitischen Bereich über zehn Jahre lang geforscht bzw. gearbeitet haben, die für die Entwicklung des Gesundheitssystems sowie der Gesundheitspolitik in Korea einen wertvollen Beitrag geleistet oder bemerkenswerte medizinische Leistungen hervorgebracht haben. Der erste Preisträger war der ehemalige Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation WHO, Dr. Lee Jongwook. Dr. Shim wurde für seinen persönlichen Einsatz und seinen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung von Gesundheitswesen und medizinischer Ausbildung in Albanien gewürdigt, dessen Menschen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus unter Armut und schlechten Lebensbedingungen leiden. Für Dr. Shim war die Auszeichnung, die er nach 17 Jahren in Albanien von der Delegation des Koreanischen Ärzteverbandes erhielt, eine große Freude. „Die Bewerbungsfrist endete am 1. Oktober. Mein ehemaliger Kommilitone von der medizinischen Fakultät der Kyung Hee Universität in Seoul hat sich überall nach meiner Telefonnummer erkundigt und schließlich sogar hier in Albanien angerufen. Er drängte mich, die erforderlichen Bewerbungsunterlagen so schnell wie möglich fertig zu machen. Das war am 30. September. Ich habe also gleich alles vorbereitet und nach Korea geschickt.“ Spring 2010 2010 66 Koreana | Sommer
Dr. Shim Jae Doo, Direktor des Shalom Health Center in Tirana, Albanien, und seine Frau und Kollegin Dr. Yu So Yeon haben sich 17 Jahre ihrer beruflichen Laufbahn der so dringend notwendigen medizinischen Versorgung des albanischen Volkes gewidmet.
Für Dr. Shim war es vor allem von großer Bedeutung, dass seine 17 Jahre lange Arbeit Anerkennung fand. Als seine Frau Yu So Yeon , die ebenfalls Ärztin ist, sich gleich nach Abschluss ihrer Facharzt ausbildung auf den Weg nach Albanien machte und damit auf die Chance, eine Professur an ihrer Alma Mater zu erhalten, verzichtete, warfen einige Freunde dem Paar „Weltunerfahrenheit“ vor. Dr. Shim musste auch zugeben, dass er sich entmutigt fühlte, wenn er bei gelegentlichen Heimaturlauben sah, dass seine Kollegen mittlerweile als Professoren arbeiteten oder eigene Kliniken betrieben, während sich die Lage in Albanien nicht verändert hatte. Doch im Dezember 2009 konnte er auf der Preisverleihungszeremonie die Glückwünsche der zahlreich erschienenen Kollegen entgegennehmen. Als Preisträger eines anerkannten Medizin-Preises konnte Dr. Shim die Direktoren der einzelnen Fachkliniken und den Präsidenten des Kyung Hee Medical Centers ansprechen und mit ihnen über neue Wege beraten, wie der Austausch mit Albanien auf Ebene des Centers weiter ausgebaut werden könnte. Dr. Shim plant, das medizinische Ausbildungssystem in Albanien u.a. durch die Kooperation zwischen koreanischen und albanischen zahnmedizinischen Fakultäten zu fördern. Die Auszeichnung mit einem renommierten Preis ebnet ihm für solche Vorhaben den Weg.
Medizinische Ausbildung und Leadership-Training Dr. Shims Frau studierte an derselben Universität wie Shim. Dr. Yu ist anatomische Pathologin und arbeitete von 1994 bis 2002 in der Anatomisch-pathologischen Abteilung der Universitätsklinik Tirana. Ihre Aktivitäten umfassten verschiedene Bereiche: Natürlich Diagnosen, aber auch Ausbildung von Fachärzten und Medizintechnikern, Zur-Verfügung-Stellung von medizinischen Fachbüchern und Zeitschriften, Einführung der Zellpathologie usw. Dr. Shim Jae Doo, Arzt für Innere Medizin, arbeitete von 1994 bis 1998 ebenfalls am Universitätsklinikum Tirana, und zwar als Facharzt in der Abteilung für Tuberkulose und Atemwegserkrankungen. Er führte die Inhalationstherapie ein und veranstaltete auch Seminare über Asthma. Im Jahr 1996 eröffnete er darüber hinaus sogar eine Bibliothek. Sommer 2010 | Koreana 67
„Natürlich ist auch die Behandlung von Patienten wichtig. Aber ich interessiere mich mehr für die medizinische Ausbildung und Leadership-Training. Ich möchte den Albanern helfen, selbstständig zu werden. Bis zum Jahr 2000 habe ich in einer Art öffentlichen Einrichtung gearbeitet und bis zum letzten Jahr habe ich den Schwerpunkt auf den Ausbau der medizinischen Versorgung durch das Shalom Health Center, das im Jahr 2001 eröffnet wurde, gelegt. Ab diesem Jahr werde ich mich für die Entwicklung der medizinischen Ausbildung und Leadership-Training im medizinischen Bereich einsetzen. Ich habe einen solchen Versuch schon einmal in den 1990er Jahren gestartet, aber ohne Erfolg. Damals ging es den Albanern nur um die Versorgung mit dem dringend Notwendigsten, also Medikamente und ärztliche Behandlung. Aber ich weiß, dass es viel wichtiger ist, ihnen dabei zu helfen, selbstständig zu werden. Wir wollten ein System zur Selbsthilfe aufbauen, aber damals hat man unsere Absichten nicht verstanden.“ Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus im Jahr 1992 öffnete auch Albanien der Außenwelt seine Tore, doch die noch in kommunistischen Strukturen verhaftete Bürokratie erschwerte die Entwicklung des Landes. Da die Albaner mit den Umständen, in denen sie zuvor gelebt hatten, nicht unbedingt unzufrieden waren, betrachteten sie Hilfe nicht als zwingend notwendig. Man schien Entwicklung nicht für dringlich zu halten. Die schwache Infrastruktur erschwerte zudem das Leben. Im Shalom Health Center gab es von 08.00 bis 17.00 Uhr keinen Strom. Behandlungen mit medizinischen Geräten waren daher erst nach 17.00 Uhr möglich. Da die Notaufnahme des staatlichen Universitäts-
krankenhauses nur schlecht ausgetattet war, gab es in Dr. Shims Shalom Health Center Tag und Nacht viele Patienten. Die Lage verbesserte sich einigermaßen, als 2004 der Internist Choi Jo Young nach Albanien kam und aushalf. „Viele fragen nach dem Geheimnis für meinen langen Aufenthalt hier in Albanien. Da wir fast bei null angefangen hatten, waren auch kleine Fortschritte für uns eine große Freude. Wir waren glücklich darüber, dass es immer ein klein wenig besser wurde und so verflog die Zeit im Nu.“ sagt Dr. Shim und lacht.
„Wir haben viel zu tun.“ Von Seoul nach Tirana dauert es einen ganzen Tag. Damals, als Shim sich auf den Weg nach Albanien machte, erschien das Land wegen der in Korea vorherrschenden antikommunistischen Stimmung noch weiter entfernt zu liegen. Trotzdem entschieden er und seine Frau sich für Albanien. Warum? „Das Leben läuft nicht immer nach dem eigenen Willen. Von Albanien habe ich zum ersten Mal über eine Ärztin, eine Absolventin der Korea Universtät, erfahren, die einige Zeit dort verbracht hatte. Damals wusste ich nur, dass Albanien ein armes Land war. Danach habe ich mich dem Albanien-Hilfsteam des Missionsvereins, zu dem ich auch gehöre, angeschlossen.“ Nicht Dr. Shim hat Albanien gewählt, sondern Albanien ihn. Allein mit der Information, dass Albanien ein ehemaliges kommunistisches, verarmtes Land sei, stieg er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern ins Flugzeug. Die lange Anreise half ihm, ein besonderes Gefühl für Albanien zu entwickeln. In London, wo sie einen Zwischenaufenthalt einlegten, ging Dr. Shim nämlich in
„Ab diesem Jahr werde ich mich für die Entwicklung der medizinischen Ausbildung und Leadership-Training im medizinischen Bereich einsetzen. Ich habe einen solchen Versuch schon einmal in den 1990er Jahren gestartet, aber ohne Erfolg. Damals ging es den Albanern nur um die Versorgung mit dem dringend Notwendigsten, also Medikamente und ärztliche Behandlung. Aber ich weiß, dass es viel wichtiger ist, ihnen dabei zu helfen, selbstständig zu werden, als mein ganzes Leben lang hier zu bleiben.“
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eine Bibliothek und las Bücher über Albanien. „Ursprünglich hatten wir geplant, dass meine Frau mit den Kindern erst einmal in London bleiben sollte, während ich das Land und die Lage vor Ort erkundete. Aber in London sahen wir in den Büchern Fotos von Albanern. Aus ihren Augen sprach die innere Leere, die Erschöpfung aus Armut und das Flehen um Hilfe. Meine Frau hat dasselbe empfunden wie ich: Wir haben viel zu tun. Machen wir uns schnell auf den Weg.“ Auf dem Flughafen in Tirana waren diese Menschen mit den südkoreanischen Pässen fremde Wesen für die Albaner. Zum Glück war „Nordkorea“ für die Beamten auf dem Flughafen, die über die Visaerteilung für die „Südkoreaner“ zu entscheiden hatten, ein vertrautes Land. Wahrscheinlich kamen sie zu dem Schluss, dass es auch ein „Süd-Korea“ geben müsse, wenn es ein „NordKorea“ gibt, und schließlich stellte man Dr. Shims Familie ein Visum aus. Seitdem sind schon 17 Jahren vergangen. Es war eine Zeit voller Aufs und Abs. Während der Albanien-Krise 1997 mussten sie nach Italien fliehen und alles in Albanien aufgeben und zurücklassen. „Am Anfang sagte ich den Albanern, dass ich mein ganzes Leben in Albanien verbringen werde und davon war ich auch selbst überzeugt. Aber als ein Bürgerkrieg drohte, befahl die Regierung, das Land zu unserer eigenen Sicherheit sofort zu verlassen. Wir konnten nichts dagegen tun. Ein jüngerer koreanischer Kollege von mir, der sich 2007 wegen der Entführung von Koreanern in Afghanistan aus Afghanistan zurückziehen musste, hat mir von seinem inneren Konflikt erzählt. Er konnte es nicht akzeptieren, dass er wegen des Geiseldramas alles, was er bis dahin aufge-
baut hatte, zurücklassen sollte. Ich habe dasselbe gefühlt wie er. Doch jetzt weiß ich, dass es viel wichtiger ist, den Menschen hier zu helfen, selbstständig zu werden, als mein ganzes Leben lang bei ihnen zu bleiben. Ab diesem Jahr werden wir uns gezielt dafür einsetzen.“ Die 17 Jahre im feucht-kalten Klima Albaniens haben Dr. Shim gesundheitlich zugesetzt. Er sagt, dass er zurzeit viel darüber nachdenke, wann der richtige Zeitpunkt zum Gehen sei, ob er für die Entwicklung des Landes genug beiträgt usw. Aber er möchte trotzdem so lange wie möglich in Albanien bleiben. Mittlerweile gibt es mehr Ärzte, die in Albanien Einsatz leisten. Dr. Shim plant, die medizinische Hilfe auf die Regionen Kosovo, Makedonien und die Balkanhalbinsel auszuweiten. Gwanghaewon, das erste westliche Krankenhaus in Korea, das der amerikanische Missionar Horace Allen Ende der JoseonZeit aufbaute, war der Vorläufer des heutigen Severance Hospital in Seoul, das in Korea die ersten Ärzte der westlichen Medizin hervorbrachte. Heutzutage verfügt Korea über ein fortgeschrittenes Gesundheitssystem und die medizinische Wissenschaft entspricht höchsten internationalen Standards. Die Zahl der praktizierenden Ärzte beträgt rund 80.000. Es gibt auch viele koreanische Ärzte und Medizinwissenschaftler, die im Ausland tätig sind. Das alles nahm seinen Anfang vor 126 Jahren mit der Ankunft eines amerikanischen Arztes und Missionars. Wie wird Albanien in 100 Jahren aussehen? Wir hoffen, dass die Hingabe von Dr. Shim Jae Doo und seiner Frau Dr. Yu So Yeon in Albanien reiche Früchte trägt.
1 Dr. Shim Jae Doo nimmt an einem Seminar für Zahnmedizin in Albanien teil. Um die Qualität der zahnmedizinischen Ausbildung in Albanien zu verbessern, bemüht er sich um den Aufbau von Partnerschaften mit führenden zahnmedizinischen Fakultäten in Korea.
2 Während des Kosovo-Konflikts half Dr. Shim in einem Flüchtlingslager bei der medizinischen Versorgung.
3 Dr. Shim spendete einem Militärkrankenhaus in Albanien Röntgengeräte. 4 Dr. Yu So Yeon berät sich mit albanischen Ärzten und Mitarbeitern der Abteilung für Anatomische Pathologie an der Universität Tirana.
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UNTERWEGS
Fünf malerische Inseln im Gelben Meer warten auf die Wiedervereinigung Die fünf Inseln im Gelben Meer sind zwar mit einer reizvollen Landschaft gesegnet, aber es sind auch Orte der Spannung, die die Koreaner ständig an den seit mehr als einem halben Jahrhundert dauernden, von Konfrontation geprägten Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea erinnern. Zivile Aktivitäten wie Fischfang und Tourismus laufen hier Seite an Seite zur strikten militärischen Überwachung des Gebiets. Kim Hyungyoon Essayist | Fotos : Kwon Tae-Kyun
© Yun Ki-jung
Malerische Klippen und Felsformationen in Dumujin auf der Insel Baengnyeong-do, dem beliebtesten touristischen Reiseziel unter den fünf nördlichsten Inseln im Gelben Meer vor Koreas Westküste 70 Koreana | Sommer 2010
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m ersten Reisetag machte ich mich auf den Weg zur Insel Baengnyeong-do. Baengnyeong-do, die am weitesten nördlich gelegene Insel in den Gewässern vor der Westküste der koreanischen Halbinsel, ist etwa 228km vom Hafen Incheon entfernt. Das Hydrofoil, das mit einer Geschwindigkeit von 60km/h fuhr, brachte mich innerhalb von vier Stunden auf diese fremde Insel. Der Tag war windig und der Himmel bewölkt. Es war zwar schon Ende März, aber vom Frühling war auf dieser Insel noch nichts zu spüren. Die Kälte ließ den Hafen noch trostloser erscheinen. Die Information für die Ausflugsschiffe war geschlossen und aus unerfindlichen Gründen gab es einen Lagerplatz für Schiffscontainer, hinter dem ausgediente Aushängeschilder von Restaurants hingen. Während ich mich so umsah, waren die Fahrgäste - das Hydrofoil mit einer Kapazität von 400 Personen war zu etwa zwei Fünftel ausgelastet gewesen - rasch in verschiedene Richtungen verschwunden. Eine Gruppe von 30 Männern mittleren Alters, die schwarze Wanderkleidung mit der koreanischen Nationalflagge auf dem linken Arm trugen, war auch schon nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich waren es ehemalige Marineinfanteristen, die einst auf dieser Insel stationiert gewesen waren und jetzt um der guten alten Zeiten willen einen Besuch abstatteten.
Die gute Tochter Simcheong und Panzer Ich hielt ein Taxi an. Die Stimme des Taxifahrers, dessen Familie seit drei Generationen auf dieser Insel lebte, erinnerte mich an den starken Akzent, den ich vor fünf Jahren bei meinem Besuch in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang bei den dortigen Männern gehört hatte. Das machte mir bewusst, dass ich mich auf Baengnyeong-do wirklich in greifbarer Nähe von Nordkorea befand. Der Fahrer brachte mich zum Pavillon Simcheong-gak an der Küste, von dem aus man die Landspitze von Jangsangot in Nordkorea sehen konnte. Simcheong-gak ist ein Schrein, der zum Gedenken an das Mädchen Simcheong errichtet wurde, einer legendären Figur der Insel, die einer berühmten koreanischen Volksgeschichte nach für ihre kindliche Pietät bekannt ist. Die Halbwaise Simcheong verkaufte ihren Körper als Opfer für den Meeresgott an chinesische Seeleute, um die Opfergabe von 300 Sack Reis zu beschaffen, mit der der Vater sein Augenlicht wieder erlangen sollte. Mein freundlicher Taxifahrer deutete auf eine Stelle im Meer, die als Indangsu bekannt ist. Dort soll sich Simcheong bereitwillig ins Meer gestürzt haben, um den Drachenkönig, den Herrscher der Meere, zu besänftigen, der das chinesische Handelsschiff mit seiner Besatzung sonst verschlungen hätte. Dieser Ort liegt auf halbem Wege zwischen Baengnyeong-do und Jangsangot, der Spitze der nordkoreanischen Provinz Hwanghae-do. Der VolkserSommer 2010 | Koreana 71
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zählung nach wurde Simcheong vom Drachenkönig wegen ihrer starken kindlichen Pietät gerettet und von ihm zu seiner Königin gemacht. Aber der hiesigen Legende zufolge stieg Simcheong in einer Lotusblüte wieder an die Oberfläche des Meeres und trieb auf dem Lotus nach Baengnyeong-do, wo sie schließlich auf den Yeonbong Bawi, den Lotusstein, gespült und damit gerettet wurde. Simcheong-gak befindet sich in einem von einer Steinmauer umgebenen Park, in dem auch ein Panzer mit einer langen Kanone stand. Die Kanone zeigte in Richtung nordkoreanische Küste, schien aber nicht sofort einsatzfähig zu sein. Später stellte ich fest, dass es überall auf den fünf Inseln viele alte Panzer und gepanzerte Fahrzeuge gibt, was die Omnipräsenz des Militärs in dieser Region verdeutlicht.
1 Sommerlilien in voller Blüte auf Baengnyeong-do, einer Insel mit einer einzigartigen Topographie
2 Ein regelmäßiger Fährbetrieb verbindet Baengnyeong-do mit dem koreanischen Festland.
3 Baengnyeong-do ist Koreas größtest Habitat für Seelöwen.
Schnittstelle zweier Grenzen Zu den fünf Inseln im Gelben Meer, die sich entlang der nördlichen Grenzlinie (NLL), der Seegrenze zwischen Nord- und Südkorea, befinden, gehören Baengnyeong-do, Daecheong-do, Socheong-do, Yeonpyeong-do und U-do. (U-do ist unbewohnt und es gibt keinen Fährverkehr zur Insel.) Die NLL wurde im Jahr 1953 gezogen, als der Koreakrieg mit dem Waffenstillstandsabkommen beendet wurde. Zwanzig Jahre später, 1973, verkündete 72 Koreana | Sommer 2010
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Nordkorea jedoch seine eigene militärische Demarkationslinie (MDL) mit der Behauptung, dass die NLL von Mark Wayne Clark, dem Oberbefehlshaber der UN-Truppen in Korea, ohne vorherige Vereinbarung mit Nordkorea einseitig gezogen worden und daher nicht anzuerkennen sei. Nach dem von Nordkorea deklarierten Grenzverlauf befänden sich die fünf Inseln im Gelben Meer im Norden der MDL und damit in nordkoreanischem Hoheitsgebiet. Die Inseln wurden zu einem heißen Eisen zwischen Nord- und Südkorea, da so plötzlich die Kontroverse um die Verletzung der Seegrenze und das Eindringen in die Hoheitsgewässer des Nordens aufkam. Neben der Erklärung seiner Territorialansprüche versuchte der Norden die Inselbewohner einzuschüchtern, indem er Kriegsschiffe und MIG-Jagdflugzeuge über die NLL schickte. Daher verstärkte die südkoreanische Regierung ihre militärische Präsenz auf diesen Inseln erheblich, was sie in eine Art breite militärische Sicherheitszone verwandelte. Obwohl die Inseln offiziell der Zuständigkeit des Militärs unterstehen, verkehren hier Ausflugsschiffe und Fähren. Am Nachmittag ging ich am Hafen Junghwa-dong an der Südküste von Baengnyeong-do an Bord eines Schiffes, das auf dem Weg zum Nordwesten der Insel an malerischen Basaltfelsen vorbeifuhr. Als sich das Schiff seinem Ziel näherte, ragten die Klippen höher
auf, während die ans Ufer klatschenden Wellen riesige Schaumkronen auf der Wasseroberfläche bildeten. Die Seelandschaft bot einen großartigen Anblick. Aber selbst hier konnte man die Allgegenwart des Militärs nicht vergessen. Hoch auf den Klippen, um die Kormorane gemächlich ihre Runden zogen, war ein Flugabwehrstützpunkt zu erkennen, der wie ein Eingang in den Fels geschnitten zu sein schien.
Warnung vor hohem Seegang Auch den zweiten Tag meiner Reise verbrachte ich auf Baeng nyeong-do. Eigentlich wollte ich nur bis zum Vormittag auf dieser Insel bleiben und um 13 Uhr eine Fähre nach Daecheong-do nehmen. Aber die Fähre, die normalerweise zweimal pro Tag, einmal am Morgen und einmal am Nachmittag, ablegte, konnte nicht auslaufen, weil die Wetterstation vor hohem Seegang gewarnt hatte. Deshalb verbrachte ich die Zeit damit, die Küste entlang nach Dumunjin, also entlang der Nordwestküste in der Nähe der Fährenanlegestelle, wo ich am Tag zuvor angekommen war, zu wandern. Am Ende des Kieselwegs führte ein steiler Pfad den Hügel hinauf zu einer Klippe, von der aus man einen Blick über das Meer hatte. Dort gab es ein Wachhäuschen, das tagsüber leer stand. Ich stand am Rande der Klippe und blickte über das Sommer 2010 | Koreana 73
1 Die Bewohner von Baengnyeong-do sind sich des Sicherheitsrisikos besonders bewusst, da sich die Insel direkt an der Nördlichen Seegrenze befindet.
2 Socheong-do besteht aus hügeligem Terrain. Die Küstenlinie wird durch schroffe Felsformationen bestimmt.
3 Blick auf Socheong-do von Daecheong-do
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Wasser nach Nordkorea. Da ich im letzten Sommer Kajak fahren gelernt hatte, fragte ich mich, wie es wäre, übers Wasser nach Nordkorea zu paddeln. Das verbotene Terrain Nordkoreas schien mir so nah zu sein. Von der Klippe stieg ich einen schmalen Treppenweg zur nordwestlichen Küste hinunter. Das Meer, das ich am Tag vorher vom Schiff aus betrachtet hatte, führte nun zu meinen Füßen seinen Wellentanz auf. Die Kormorane, die sich wohl wegen des hohen Seegangs nicht ans Wasser trauten, schienen damit zufrieden zu sein, die Klippen zu umkreisen. Die Klippen und die Felsen darunter waren mit den weißen Tüpfeln ihrer Ausscheidungen gedeckt. Ich hatte darauf gehofft, in dieser abgelegenen Meeresregion Seehunde zu Gesicht zu bekommen, aber es ließ sich keiner blicken. Dumujin ist eine der drei Gegenden auf Baengnyeong-do, an denen die Seehunde im Frühling mit ihren Jungen, die sie im Winter in der Bohai-Bucht in China geworfen haben, vorbeikommen. Ob sie noch nicht gekommen waren? Ein Fischer im Dorf erklärte mir später, dass die Seehunde schon auf der Insel seien, sich aber wegen der kühlen Witterung kaum sehen ließen. Die Seehunde, die als Naturdenkmäler unter Schutz stehen, hätten auf ihrer Suche nach Nahrung die Fischreusen beschädigt und damit die hiesigen Fischer verärgert. Offiziell betrage die Zahl der Seehunde, die zu dieser Insel kommen, rund 300, aber seit fünf Jahren sei die Zahl drastisch gestiegen und erreiche zurzeit mehr als 1.000, so der Fischer.
Vor Milliarden von Jahren Am dritten Reisetag konnte ich morgens mit der Fähre nach Daecheong-do fahren. Zum Glück war die Warnung vor hohem Seegang aufgehoben worden. Verglichen mit Baengnyeong-do, das über reichlich landwirtschaftlich nutzbare Flächen verfügt, so dass 70% der Bewohner in der Landwirtschaft tätig sind, ist diese 74 Koreana | Sommer 2010
Insel gebirgig. 90% der Inselbewohner leben entsprechend von der Fischerei. Daecheong-do ist lediglich ein Drittel so groß wie Baengnyeong-do und die Einwohnerzahl beläuft sich auf 1.200, was nur einem Viertel der Einwohnerzahl von Baengnyeong-do entspricht. Daher gibt es hier nur zwei Taxis, während auf Baengnyeong-do acht Taxis fahren. Diese schönen Inseln im Gelben Meer sind berühmt für ihre malerische Landschaft, so dass sie trotz ihres Status als Militärzonen im Sommer viele Touristen vom Festland anziehen. Auf Baengnyeong-do besuchte ich die Strände Sagot und Kongdol. Der Strand Sagot hat eine Länge von vier Kilometern und bei Ebbe eine Breite von 300 Metern. Der Strand ist auch bekannt als eine der beiden einzigen Naturflugpisten der Welt. Kongdol, was „Bohnenstein“ bedeutet, ist ein reizvoller, ein Kilometer langer Strand, der von bohnenförmigen Steinen bedeckt ist. Ich wanderte eine ganze Zeitlang barfuß über diese Steine. Man sagt, dass die Luft auf Baengnyeong-do die reinste in ganz Korea sei. Und tatsächlich gehört dieser Spaziergang auf den „Bohnensteinen“ in der kristallklaren Luft zu den schönsten Erinnerungen dieser Reise. Auf Daecheong-do ging ich vom Hafen eine Stunde lang zu Fuß in Richtung Nordwesten und kam zum Strand Okjukpo, dessen sich über zwei Kilometer erstreckende Sanddünen von den Bewohnern „Wüste“ genannt werden. Da es auf der koreanischen Halbinsel keine Wüste gibt, bin ich mit dieser Bezeichnung gerne einverstanden. Die sich die Küste entlang schlängelnden Dünen sind aus besonders feinem Sand und bilden mit dem Kiefernwald als Hintergrund einen dramatischen Kontrast. Diese Wüstenlandschaft war so ruhig, als ob sie nie von den Zeitläuften berührt worden wäre. Eigentlich hatte ich auch die Insel Socheong-do auf meinem Reiseplan stehen, aber da ich einen Tag länger als geplant auf Baengnyeong-do verbracht hatte, musste ich am Nachmittag das Schiff zurück nach Incheon nehmen. Glücklicherweise fuhren wir an Socheong-do vorbei, so dass ich wenigstens einen Blick auf den „Puderfelsen“ Bunbawi werfen konnte. Der Name rührt daher, dass die dortigen Felsen so weiß sind, als wären sie mit Puder bestäubt. Aber in Wirklichkeit handelt es sich um Marmor, der sich aus Kalkstein entwickelte. Mineralogischen Dokumenten zufolge enthält der Marmor Stromatolithen, biogene Sedimentstrukturen, die aus Blaualgen entstanden sind. Diese Gesteine, deren Aussprache schon für mich schwierig ist, sollen seltene Fossilien und Überbleibsel der Erdgeschichte von vor drei Milliar-
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3 Š Jung Bo-sang
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© Jung Bo-sang
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Ich stand auf einer Klippe des malerischen Aussichtspunktes Dumujin auf der Insel Baengnyeong-do, von wo ich nach Nordkorea hinüberblicken konnte. Ich fragte mich, wie es wäre, übers Wasser nach Nordkorea zu paddeln. Das verbotene Terrain Nordkoreas schien mir so nah zu sein.
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1 Der Pavillon Simcheonggak auf Baengnyeongdo ist eine Gedenkstätte für das Mädchen Simcheong, einer Figur aus der klassischen Volksliteratur des Landes, die kindliche Pietät verkörpert. In der Ferne ist die nordkoreanische Landspitze Jangsangot zu sehen.
2 Der Stacheldraht, der in verschiedenen Teilen der Insel zu sehen ist, erinnert ständig an die Teilung Koreas.
3 Die Insel Daecheong-do ist für ihre anmutig wirkenden Klippen und einsamen Strände bekannt.
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den Jahren sein. Daher betrachtete ich die Steine vom Schiff aus mit gebührendem Respekt und einem Gefühl der Verehrung.
Ein Fest der Einsamkeit Am vierten Reisetag ging ich an Bord eines Schiffes nach Yeon pyeong-do. Der Name dieser Insel war mir schon wohlbekannt, da sie die Hauptquelle für Gelbfische war, die ich schon seit meiner Kindheit gerne gegessen habe. Ohne Zögern würde ich sagen, dass der Gelbfisch aus Yeonpyeong-do eine der Lieblingsspeisen der Koreaner meiner Generation ist. Deshalb wäre ich nie darauf gekommen, dass die Insel so winzig sein könnte. Konnte es sein, dass die Insel seit 1970 geschrumpft ist, weil der Gelbfisch ab da nicht mehr in den Gewässern der Umgebung zu finden war? Da Yeonpyeong-do nur halb so groß wie Daecheong-do ist, gibt es auf dieser Insel keinen Taxidienst. Also besuchte ich zu Fuß die hiesigen Sehenswürdigkeiten wie das Gelbfisch-Geschichtszentrum, das sich hoch auf einem Hügel am südlichen Zipfel der Insel befindet. Dort lernte ich vieles über die Gelbfische, die früher Yeongpyeong-do so reich gemacht hatten, dass man sagte, sogar die Hunde trügen Geld bei sich. Ich blickte von der Steilklippe auf die sich zu meinen Füßen brechenden Wellen und fragte mich, warum die Gelbfische, die früher diese Gewässer in Schwärmen bevölkert hatten, so plötzlich verschwunden sein mochten. Ich machte mich auf den Weg zum Observatorium Manghyangdae, das auf einer Erhebung im Nordwesten der Insel zu finden ist. Von diesem Observatorium aus hat man einen deutlichen Blick übers Meer auf Haeju in Nordkorea. Dem Besitzer der Pension, in der ich übernachtet hatte, zufolge, sei die Küste von Nordkorea bis in die 1980er Jahre nachts hell beleuchtet gewesen, liege jetzt aber schon lange in Dunkelheit gehüllt. Auch die Geräusche der dortigen Zementfabrik seien schon seit langem verstummt. Ich hätte gerne die Gesichter der Menschen dort gesehen, aber die Distanz von rund zehn Kilometern war zu groß, um Gesichtszüge erkennen zu können. Ähnlich wie auf Baengnyeongdo und Daecheong-do gibt es auch auf Yeonpyeong-do überall verschiedene militärische Einrichtungen. Sehr häufig stieß ich auf Kasernen und Soldaten in Tarnuniform. Sie waren mir aber gleichgültig. Und ich meinerseits schien ihnen von Anfang an gleichgültig gewesen zu sein. Nie wurde ich von irgendjemandem angesprochen. Ich bildete mir schließlich sogar ein, die Soldaten seien zum Schutz meiner persönlichen Freiheit anwesend. Daher fühlte ich mich in dieser Militärzone völlig frei. Abgesehen vom Zwitschern der Vögel und dem Geräusch der ans Ufer klatschenden Wellen war ich auf dem Weg zur JunghwariKüste ganz allein. Als ich die Küste, die sich mit weitem Blick übers Meer vor mir auftat, erreichte, kam das Erwachen: Die letzten Tage über hatte ich in der Einsamkeit dieser fernen Inseln geschwelgt. Diese fünf Naturinseln, die nach wie vor für die Menschen hier eine Quelle der Spannungen zwischen Nord- und Südkorea darstellen, sind in Wirklichkeit wohl nur ideale Orte für Menschen wie mich, die eine gemächlich-sorglose Reise mögen. Mit diesem Gedanken ging meine viertägige Reise zu Ende. Sommer 2010 | Koreana 77
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KÜCHE
Kongguksu: Nudeln in kalter Sojabohnenbrühe – ein nahrhaftes Gericht für den Sommer Kongguksu, Nudeln in kalter Sojabohnenbrühe, ist ein Gericht für den Sommer, bei dem die Nudeln in einer erfrischenden Brühe auf Sojabohnenbasis serviert werden. Die Brühe lässt sich leicht zubereiten, indem man die in Wasser gut eingeweichten Bohnen mit einem Rührstab püriert oder im Mixer zerkleinert. Mit einer Schüssel dieses traditionell koreanischen Gesundheitsgerichts, das einen hohen Proteingehalt hat, aber nur wenig Kalorien besitzt, kann man für eine Weile die Sommerhitze vergessen. Lee Jong-Im Leiterin des Korea Food & Culture Research Center | Fotos: Ahn Hong-beom
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ine Schüssel Nudeln in kalter Sojabohnenbrühe war schon früher und ist auch heute noch ein Vitalität und Widerstandskraft förderndes Wellnessgericht für die heißen Sommertage, wenn der Appetit leicht schwindet. Kongguksu, die meistens in einer kalten Glasschüssel serviert werden, schmecken nicht nur gut, sondern schenken dem von der Hitze erschlafften Körper auch neue Kraft. Die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten hat einen übermäßigen Verzehr von Fleisch und Fett mit sich gebracht, was wiederum der Grund für die Zunahme verschiedener Zivilisationskrankheiten ist. Deshalb gelten Kongguksu, die aus Bohnen, die pflanzliche Proteine enthalten, zubereitet werden, als Gesundheitsgericht für den Menschen von heute. Die Koreaner lieben es, die Sommerhitze mit heißen Gerichten wie Samgyetang (Suppe mit Hühnchen, gefüllt mit Klebreis, Ginseng, Jujuben, Knoblauch usw.) oder Yukgaejang (scharfe Rindfleischsuppe mit verschiedenen Gemüsen) zu vertreiben, aber auch kalte Gerichte wie Naengmyeon (kalte Buchweizennudeln in Fleischbrühe), Kongguksu (Weizennudeln in kalter Sojabohnenbrühe) oder Kkaeguksu (Nudeln in Sesamkörnerbrühe) usw. passen ausgezeichnet zum Sommer.
Geschichtlicher Hintergrund Man weiß zwar nicht genau, seit wann in Korea Nudeln in kalter Sojabohnenbrühe gegessen werden, aber im Siuijeonseo , einem Kochbuch, das Ende des 18. Jahrhunderts erschien, finden sich Rezepte für Kongguksu und Kkaeguksu. Daraus lässt sich schließen, dass diese Gerichte eine entsprechend lange Geschichte haben. Es kann auch sein, dass sie bereits viel früher existierten, man aber einfach nicht die Notwendigkeit empfand, die Rezepte aufzuzeichnen, weil es sich um weit verbreitete Alltagsgerichte handelte. Die adligen Yangban bewältigten im Sommer die Hitze auch mit Kkaeguksu, einem Nudelgericht mit Sesamkörnerbrühe. Im Dongguksesigi, einem 1849 von dem Gelehrten Hong Seok-mo veröffent-
Eine Schüssel Kongguksu aus dünnen, grünen Nudeln, dekoriert mit einer farbenfrohen Garnierung aus Gemüse Sommer 2010 | Koreana 79
Sojabohnen werden auf Grund ihrer Nährstoffvielfalt und Wirkungen als einziges Lebensmittel, das Fleisch ersetzen kann, bewertet. Nahrungsmittel auf Sojabohnenbasis sind z.B. Tofu, Sojasoße, die fermentierte Sojabohnenpaste Doenjang und die schnell fermentierte „Schimmel“-Sojabohnenpaste Cheonggukjang. 2
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lichten Werk über die koreanischen Feste und Bräuche im Jahresreigen, heißt es, dass man im Sommer Weizennudeln in einer sämigen Hühnerbrühe mit gerösteten und gemahlenen Sesamkörnern und zusammen mit frischem Gemüse wie Zucchini und Gurken sowie Hühnerfleisch servierte. Anders als die adligen Yangban trotzte das einfache Volk der Sommerhitze mit Nudeln in Sojabohnenbrühe. Heutzutage sind Bohnen als Wellnessnahrungsmittel beliebter als Hühnerbrühe, weshalb Kongguksu zu einem repräsentativen erfrischenden Gericht für den Sommer geworden ist.
Nährwert der Sojabohnen In Sojabohnen, dem Hauptbestandteil von Kongguksu, sind alle acht essentiellen Aminosäuren enthalten. Sojabohnen sind
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zudem reich an Protein sowie Vitaminen und Mineralien wie Eisen, Kalzium, Kalium, Vitamin A, Vitamin C, Folsäure usw. Gleichzeitig sind sie fett- und kalorienarm, weshalb sie Übergewicht vorbeugen. Zudem beinhalten sie reichlich wasserlösliche Ballaststoffe und sind daher wirksam gegen Verstopfung und Krebs. Auch helfen sie den Blutzuckeranstieg zu regulieren und eignen sich daher für die Diabetesbehandlung. Ihr hoher Kalziumund Magnesiumgehalt stärkt die Knochen. Und die in den Sojabohnen enthaltenen weiblichen Geschlechtshormone wie pflanzliches Östrogen lindern Wechseljahrebeschwerden und beugen zugleich Osteoporose vor. Das macht Sojabohnen, die das Knochenwachstum fördern, auch zu einem für Jugendliche empfehlenswerten Nahrungsmittel. Die in Sojabohnen enthaltenen Isoflavone befördern die Aufnahme von Kalzium und verhindern als Phytoöstrogene die Vermehrung von Krebszellen, weswegen sie hormonabhängigen Krebserkrankungen wie Brust-, Prostata- und Eierstockkrebs vorbeugen. Sojabohnen sind äußerst proteinreich und die meisten darin enthaltenen Lipide sind ungesättigte Fettsäuren wie Linolsäuren und Linolensäuren, die Cholesterinablagerungen in den Blutgefäßen verhindern und so gegen Arteriosklerose wirken. Sojabohnen werden auf Grund ihrer Nährstoffvielfalt und Wirkungen als einziges Lebensmittel, das Fleisch ersetzen kann, bewertet. Nahrungsmittel auf Sojabohnenbasis sind z.B. Tofu, Sojasoße, die fermentierte Sojabohnenpaste Doenjang und die schnell fermentierte „Schimmel“-
Sojabohnenpaste Cheonggukjang.
Zubereitung von Kongguksu In dem oben genannten Kochbuch Siui jeonseon wird die Zubereitung von Nudeln in Sojabohnenbrühe einfach erklärt: „Die Sojabohnen werden zunächst in Wasser eingeweicht und, nachdem sie gut gequollen sind, kurz gekocht und anschließend mit einem Mahlstein zerrieben. Danach streicht man das Püree durch ein Sieb, schmeckt die Sojabohnenbrühe mit Salz ab, gibt gekochte Weizennudeln hinein und dekoriert das Ganze mit in feine Streifen geschnittenem Gemüse.“ Wenn man Kongguksu zubereiten will, lässt man die Bohnen ausreichend in Wasser quellen und entfernt dann die Schalen. Danach werden sie kurz gekocht und abgeschüttet. Nachdem die Bohnen abgekühlt sind, zerkleinert man sie mit einem Rührstab oder Mixer und schmeckt sie mit Salz ab. Danach wird die so gewonnene Sojabohnenbrühe kalt gestellt. Gibt man beim Mahlen der Sojabohnen zusätzlich etwas Sesam, schwarzen Sesam, Erdnüsse oder Pinienkerne hinzu, erhält die Brühe eine noch aromatischere Geschmacksnote. Zum Schluss gibt man gekochte Weizennudeln in die Brühe, die mit dünnen Gurkenstreifen garniert werden.
1 Die vorbereiteten weißen Bohnen oder Sojabohnen werden gekocht.
2 Verschiedene Nudel-Varianten, darunter auch Nudeln mit grünem Tee
3 Weiße Bohnen vor dem Einweichen
Variationen Am einfachsten von allen Weizennudelsorten lassen sich Somyeon, runde Fadennudeln aus Weizenmehl, mit Sojabohnenbrühe kombinieren. Somyeon sind wie die westlichen Pastanudeln leicht aufzubewahren und bei Bedarf in heißem Wasser zu kochen. Am besten eignet sich die feinste und dünnste Somyeon-Sorte. Eine Schüssel weiße Somyeon in sämiger Sojabohnenbrühe, dekoriert mit Gemüse – das ist ein Nudelgericht von bestechender Schlichtheit. Wer zusätzliche optische und geschmackliche Variationen mag, der verwende Chlorellanudeln oder Grünteenudeln. Das sind Nudeln, deren Teig Pulver der Süßwasser-Grünalge Chlorella bzw. Grünteepulver zugesetzt wurde. Der Grünton der Nudeln lässt nicht nur das Auge mitessen, sondern der aromatische Geschmack der Sojabohnenbrühe wird durch die leicht bittere, duftende Geschmacksnote der Nudeln noch weiter bereichert. Gurken, Tomaten, Birnen, Rettichsprossen (Raphanus sativus L.) und Pinienkerne liefern zusätzliche Nährstoffe und setzen optische Akzente, die die Gaumenfreude erhöhen.
Zubereitung (3 Portionen) Zutaten: 300g Somyeon, 1/3 Gurke, 3 Kirschtomaten, 1/8 orangefarbige Paprika, 1/8 asiatische Birne, 1EL Pinienkerne, Sesamkörner Sojabohnenbrühe: 2 Becher gequollene, weiße Sojabohnen, 1EL geröstete Sesamkörner, 8 Becher Wasser (2 Becher fürs Kochen der Bohnen, 3 Becher fürs Mahlen, 3 Becher fürs Kochen der Somen), 1TL Salz * 1Becher=236.6g
Zubereitung: 1. Die weißen Sojabohnen gründlich waschen und ca. 10 Stunden in Wasser einweichen. Die Bohnen zwischen beiden Händen reiben, um die Schalen zu entfernen. 2. Zwei Becher Wasser in einen Topf geben, die gequollenen Bohnen hinzugeben und leicht kochen. Danach abkühlen lassen. (Zu langes Kochen vermindert den aromatischen Geschmack der Bohnen.) 3. Die gekochten Sojabohnen zusammen mit den gerösteten Sesamkörnern, dem Kochwasser und zusätzlich 3 Bechern Wasser mit Mörser, Pürierstab oder Mixer fein zermahlen. 4. Die Sojabohnenbrühe von Nr. 3 mit Salz abschmecken und im Kühlschrank kalt stellen. 5. Die Gurken zuerst in schräge Scheiben und dann in feine Streifen schneiden. Die Kirschtomaten halbieren, Birnen und Paprika in feine Streifen schneiden. 6. Wasser in einem Topf erhitzen und leicht salzen. Wenn das Wasser kocht, die Somyeon hineingeben und mit Stäbchen umrühen, damit die Nudeln nicht zusammenkleben. Die bissfesten Nudeln abschütten und mehrmals in kaltem Wasser spülen. Die Nudeln in eine ansprechende Portionsform bringen. 7. Die Somyeon auf drei Schüsseln verteilen, mit Gurken-, Paprika- und Birnenstreifen sowie Kirschtomatenhälften garnieren und die Sojabohnenbrühe hinzugeben. Zum Schluss einige Eiswürfel hinzugeben und dem Ganzen mit den Pinienkernen und einigen Sesamkörnern den letzten optischen Schliff geben.
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BLICK AUS DER FERNE
Mit Geist und Herz: Erfahrungen koreanisch-deutscher Freundschaft Hans-Ulrich Seidt, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Korea
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wei Überraschungen erwarten den deutschen Neuankömmling in Korea: die beeindruckende Modernität des Landes und die Tiefe der deutschkoreanischen Freundschaft. Seit mehr als 125 Jahren verbinden offizielle völkerrechtliche Beziehungen Korea mit Deutschland. Aber das Verhältnis beider Länder und ihrer Menschen beruht offenkundig auf festeren und tieferen Fundamenten. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts legten bedeutende Persönlichkeiten die Grundlagen. Paul Georg von Möllendorf sprach nicht nur fließend koreanisch, sondern er wurde auch zum Vize-Außenminister und Leiter des koreanischen Zolldienstes ernannt. Der junge Mediziner Richard Wunsch begründete in Korea die medizinische Wissenschaft westlicher Prägung. Der Kapellmeister Franz Eckert brachte die Begegnung mit der deutschen und europäischen Musik. Tatkräftig und voller Sympathie begleiteten Möllendorf, Wunsch und Eckert die tastenden Bemühungen des koreanischen Königreichs, einen eigenen Weg in die Moderne zu finden. Mit Gründung der Republik Korea im Jahre 1948 und dem Ausbruch des Koreakrieges im folgenden Jahr begann ein weiteres Kapitel koreanisch-deutscher Zusammenarbeit. Seit 1953 arbeiteten deutsche Ärzte und Krankenschwestern in der Hafenstadt Busan, der zweitgrößten Stadt des Landes. Dort fan-
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den im Hospital des Deutschen Roten Kreuzes Tausende von Koreanern Hilfe und Unterstützung. Die Erinnerungen deutscher Ärzte und Krankenschwestern bezeugen ihre Zuneigung und die Anerkennung, mit der sie in schwerer Zeit ihren koreanischen Patienten und Mitarbeitern begegneten. Das Wirtschaftswunder am Rhein und die zeitlich versetzt begonnene, energisch vorangetriebene Modernisierung Koreas gaben der Zusammenarbeit beider Länder eine neue Dimension. Nun begegneten sich immer mehr Koreaner und Deutsche, die Menschen beider Länder kamen sich in großer Zahl näher. Ab 1963 gelangten Tausende von koreanischen Bergleuten und Krankenschwestern nach Deutschland. In den Bergwerken und Schächten des Ruhrgebiets arbeiteten Koreaner und Deutsche gemeinsam unter Tage. Der Einsatzwille und die Leistungskraft der koreanischen Kumpels sind an der Ruhr bis heute unvergessen. Koreanische Krankenschwestern pflegten in ganz Deutschland Patienten mit Hingabe und gewannen ihre tiefe Dankbarkeit und ihre Hochachtung. Heute ist der koreanische Beitrag zum wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands fester Bestandteil einer gemeinsamen Geschichte, an die 2013 aus Anlass des 50. Jahrestags des Abkommens über die Entsendung koreanischer Bergleute und Kranken-
schwestern in würdiger Weise erinnert werden soll. Die vielen Koreaner, die heute in Deutschland leben, können wirklich voller Stolz auf ihre Lebensleistung zurückblicken. Und sie sollen wissen, dass ihr großartiger Beitrag von der neuen Heimat dankbar anerkannt und dauerhaft gewürdigt wird. Zur selben Zeit, als die koreanischen Bergleute und Krankenschwestern nach Deutschland reisten, begann eine außergewöhnlich enge und erfolgreiche wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Weit über 20.000 koreanische Studenten und Doktoranden beendeten ihr Studium in Deutschland mit einem akademischen Abschluss. Heute studieren jährlich rund 5.000 junge Koreanerinnen und Koreaner an deutschen Universitäten und Kunsthochschulen. Sie garantieren dafür, dass die koreanisch-deutsche Freundschaft nicht nur eine große Vergangenheit besitzt. sondern über eine vielversprechende und gute Zukunft verfügt. Wer das Glück hat, in koreanischen Konzertsälen junge Musiker zu erleben, der hört nicht nur, dass sie ihre Instrumente perfekt beherrschen, sondern fühlt auch, wie sie die deutsche Musik innerlich erfassen. Ein Schumann-Liederabend, ein Kantatenkonzert mit Werken Johann Sebastian Bachs oder die Aufführung einer Mozart-Oper verdrängen in Korea jedes Heimweh. Denn der Hörer spürt: Hier
bin auch ich nicht fremd. Doch nicht nur die Musik schlägt eine Brücke der Freundschaft und des gegenseitigen Verstehens. Auch die Wissenschaft verbindet. Zahlreiche Doktorarbeiten und Habilitationen, die junge Koreanerinnen und Koreaner an deutschen Universitäten vorgelegt haben, führen ihrem Leser vor Augen, mit welcher Eindringlichkeit diese jungen Wissenschaftler deutsche Literatur, Theologie, Philosophie, Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre studiert und verstanden haben. In der Medizin und in den Naturwissenschaften werden koreanische Forschungsleistungen ebenfalls mit höchstem Lob bedacht. Sie lassen nicht nur einen wachen und scharfen Verstand, sondern auch ein hoch entwickeltes Einfühlungsvermögen in wissenschaftliches Denken und Arbeiten erkennen. Mit Begeisterung und Freude arbeiten viele Koreaner in den akademischen Vereinigungen und AlumniOrganisationen, die sie mit ihrer deutschen Alma Mater dauerhaft verbinden. So darf es nicht verwundern, dass der frühere Bundespräsident Professor Köhler gemeinsam mit seiner Frau bei ihrem Staatsbesuch im Februar 2010 von den zahlreichen Begegnungen und Gesprächen mit Koreanern begeistert waren. Sie verließen Seoul tief bewegt mit dem Gefühl, in Ostasien Freunden begegnet zu sein.
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LEBEN
Die Stadtmauer von Seoul:
ein Zeugnis lebendiger Geschichte im Herzen der Hauptstadt Die Stadt Seoul war ursprünglich von einer imposanten Stadtmauer umgeben. Heutzutage verbringen viele Bewohner der Hauptstadt ihre Wochenenden damit, den Spuren dieser Mauer auf einem Wanderpfad zu folgen. So können sie die Geschichte der Stadt erleben und sich gleichzeitig an der wunderbaren Aussicht erfreuen. Das ist aber erst seit einiger Zeit möglich, da durch die stufenweise Öffnung einst gesperrter Abschnitte der Mauer der Weg rund um das historische Seoul wieder zugänglich geworden ist. Charles La Shure Professor, an der Graduate School of Interpretation and Translation, Hankuk University of Foreign Studies | Fotos: Kim Yong-chul
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bwohl die Stadtmauer von Seoul bereits über 600 Jahre alt ist, ist eine Wanderung entlang dieser historischen Befestigung für die Bewohner der südkoreanischen Hauptstadt ein noch vergleichsweise neues Erlebnis. Der längste noch erhaltene Teil der Stadtmauer wurde nämlich für die Öffentlichkeit gesperrt, nachdem im Januar 1968 eine Gruppe schwer bewaffneter nordkoreanischer Spione durch die Berge bis nach Seoul vorgedrungen war. Die Mauer auf dem Berg Inwangsan wurde 1993 allgemein zugänglich gemacht und die Teile auf dem Berg Bugak-san direkt hinter dem Blauen Haus, der Residenz des Präsidenten, wurden stufenweise 2006 und 2007 frei gegeben. Heute können die Koreaner einen wichtigen Teil der Geschichte der Hauptstadt erleben und die Stadt aus einem anderen Blickwinkel betrachten.
600 Jahre Geschichte Über 500 Jahre lang, von 1392 bis zur Annexion des Landes durch Japan im Jahre 1910, stand die koreanische Halbinsel unter der Herrschaft der Könige von Joseon. Eine der ersten Taten von König Taejo (reg. 1392-1398), des Gründers von Joseon, war die Verlegung der Hauptstadt von Gaeseong, der alten Hauptstadt des Vorläufer-Reiches Goryeo (1918-1392), nach Seoul (damals Hanyang) im Jahre 1394. Aber es reichte nicht, einfach eine neue Hauptstadt zu bestimmen: Die Stadt musste über alle Einrichtungen und Anlagen verfügen, die die Hauptstadt eines Reiches vorweisen können muss. Es wurden also Paläste und die für einen konfuzianistischen Staat wichtigen Ahnenverehrungsschreine gebaut. 1396 begann man dann mit der Errichtung der Stadtmauer. Seoul ist von Gebirgen umgeben, wobei insbesondere der Stadtkern von allen vier Seiten von den so genannten „vier inneren Bergen” eingerahmt ist. Das sind im einzelnen der Bugak-san (342 m) im Norden, der Nam-san (262 m) im Süden, der Nak-san (125 m) im Osten, und der Inwang-san (338 m) im Westen. Die Stadtmauer wurde so angelegt, dass sie alle vier Bergzüge miteinander verband, wobei auf den Bergen selbst Steinmauern gebaut wurden, während die dazwischen liegenden Ebenen durch Erdwälle geschützt wurden. Der größte Teil der ursprünglichen Stadtmauer wurde bis 1396 fertig gestellt. Es dauerte aber noch einige Jahre, bevor alle Stadttore und Fortifikationen errichtet worden waren. Nach etwas über zwei Jahrzehnten waren große Teile der Stadtmauer vom Verfall bedroht und König Sejong (reg. 1418-1450) ordnete eine völlige Instandsetzung der Mauer an. Für die Restaurierungsarbeiten, die 1422 in Angriff genommen wurden, wurden über 300.000 Fronarbeiter aus dem ganzen Land mobilisiert. Diese Zahl ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass die Gesamteinwohnerzahl Seouls zu dieser Zeit nur rund 100.000 betrug. Innerhalb von nur fünf Wochen wurden die Stein84 Koreana | Sommer 2010
Die Seouler Stadtmauer bietet eine Vielfalt von Wanderrouten, von kurzen Strecken bis hin zu längeren Trekking-Touren, die sich um und hinauf zu den Bergrücken winden.
mauern und Wehranlagen ausgebessert und die Erdmauern durch Steinmauern ersetzt. Obwohl die Stadtmauer eigentlich zum Schutz der Hauptstadt errichtet worden war, hat sie diese Funktion – selbst in den unruhigen Zeiten Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts – nie erfüllt. Mauern können immer nur so stark sein wie diejenigen, die sie verteidigen. Und wenn sich niemand dem Feind entgegenstellt, kann auch die stärkste Festungsanlage eingenommen werden. Als die Japaner 1592 im Joseon-Reich einfielen und auf die Hauptstadt zumarschierten, floh König Seonjo (reg. 1567-1608) mit dem ganzen Hof, so dass die Stadtmauer ohne Verteidigung blieb und die Stadt kampflos in die Hände des Feindes fiel. Und 1624 nahmen die Rebellen unter der Führung des Militärbeamten Yi Gwal die Hauptstadt ebenfalls ohne jeglichen Widerstand ein. Als die Mandschus 1636 schließlich in Joseon eindrangen, floh König Injo (reg. 1623-1649) aus der Hauptstadt auf die Bergfestung Namhansanseong im Süden Seouls, ein Unterfangen, das letztendlich zum Scheitern verurteilt war, da das Mandschu-Heer die Festung belagerte und den König zur Kapitulation zwang. Bevor die Mandschus abzogen, zwangen sie Joseon zur Unterzeichnung eines Vertrages. Dieser enthielt eine Klausel, die den Joseon-Regenten verbot, die bestehenden Stadtmauern wieder instand zu setzen oder neue zu bauen. Dadurch wurde die Stadtmauer von Seoul für die kommenden fast 70 Jahre dem allmählichen Verfall ausgeliefert. König Sukjong (reg. 1674-1720) widersetzte sich dann aber schließlich diesem Verbot und ordnete Reparaturarbeiten an. Diese wurden 1704 aufgenommen und zogen sich in mehreren Intervallen bis zu ihrer Beendigung fünf Jahre später hin.
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1 Das Tor Changui-mun: hier beginnt oder endet eine Tour des Bugaksan-Abschnittes der alten Seouler Stadtmauer.
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Eine Wanderung entlang der Seouler Stadtmauer vermittelt den Besuchern Einblick in wichtige Aspekte der Geschichte der Stadt und lässt sie Seoul in einem völlig neuen Licht sehen.
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„Wer etwas über die Geschichte Seouls erfahren möchte, der kann jederzeit einen der Königspaläste der Stadt besuchen. Aber eine Wanderung entlang der alten Stadtmauer vermittelt ein Gefühl dafür, wie Seoul in der Vergangenheit einmal gewesen sein muss und zeigt, wie die Stadt nach den Prinzipien der geomantischen Lehre Pungsu (Feng Shui) angelegt wurde. Damit eröffnet sich eine völlig neue Sicht der Stadt.“
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Mit Anbruch der Modernisierung und während der japanischen Kolonialherrschaft wurde die Stadtmauer ein Hindernis auf dem Weg zum Fortschritt. 1898 und 1899 wurden Teile der Mauer abgerissen, um den Weg für die ersten Straßenbahn-Linien der Stadt frei zu machen. Weitere Teile wurden nach der Jahrtausendwende beseitigt. Als die Japaner Joseon 1910 offiziell annektierten, stellten sie im Rahmen ihrer Ostasien-Strategie Pläne zur Modernisierung des Landes auf. Die Modernisierungspläne für Seoul wurden 1912 veröffentlicht und führten dazu, dass fast alle Teile der Stadtmauer, die über die Ebenen liefen, niedergerissen wurden. Erst 1975 konnte 3 Korea mit der Rekonstruktion und Restaurierung der Mauerreste beginnen. Die Arbeiten gehen auch heute noch weiter. 2006 haben das Amt für die Verwaltung des Kulturerbes und die Stadtregierung Seoul ein gemeinsames Restaurierungsprojekt auf den Weg gebracht, das bis 2013 abgeschlossen werden soll. Die Regierung erwägt, in Anschluss daran einen Antrag auf Aufnahme der Seouler Stadtmauer in die Liste der UNESCO-Welterbestätten zu stellen.
Die Stadtmauer heute Heute stehen nur noch 10,5 km der ursprünglich 18,2 km langen Stadtmauer. Der längste, durchgehende Abschnitt der Mauer verläuft über den Berg Bugak-san im Norden, es gibt nur eine kleine Lücke kurz vor der Weiterführung der Mauer über den Berg Inwang-san im Westen. Einige kürzere intakte Abschnitte befinden sich noch auf dem Berg Nak-san im Osten zwischen den Stadttoren Hyehwa-mun und Heunginji-mun (allgemein als „Dongdae-mun“ oder „Osttor“ bekannt) und auf dem Berg Namsan im Süden. Der Abschnitt vom Inwang-san zum Bugak-san dürfte aber am beliebtesten sein, zum Teil wohl auch deshalb, weil er lange Zeit gesperrt war. Herr Gu, der schon lange in Seoul lebt, war ganz aufgeregt bei dem Gedanken, zusammen mit seinen beiden älteren Brüdern zur Stadtmauer zu gehen. Er sagte: „Ich brauche nur an diesen lohnenswerten Aufstieg zu denken und schon freue ich mich. Wir leben jetzt schon vierzig, fünfzig Jahre hier in Seoul, kennen aber bislang nur die Panoramastraße Bugak Skyway und den Aussichtspavillon Palgakjeong auf dem Bugak-san.“ Frau Jo, die von ihrem Arbeitsplatz in der Seouler Innenstadt einen Blick auf den Inwang-san und den Bugak-san hat, kommt zwei Mal im Monat zur Stadtmauer: „Mir gefällt, dass man vom Gipfel einen Blick auf ganz Seoul hat. Entlang der Mauer hat man zudem mehrere Aussichtsplattformen eingerichtet, so dass man die schöne Aussicht von dort genießen kann.“ Ihre Kollegin, Frau Yi, stimmt dem zu: „Wer etwas über die Geschichte Seouls erfahren möchte, der kann jederzeit einen der Königspaläste der Stadt besuchen.
Aber eine Wanderung entlang der alten Stadtmauer vermittelt ein Gefühl dafür, wie Seoul in der Vergangenheit einmal gewesen sein muss und zeigt, wie die Stadt nach den Prinzipien der geomantischen Lehre Pungsu (Feng Shui) angelegt wurde. Damit eröffnet sich eine völlig neue Sicht der Stadt.“ Da sich der größte Teil der Stadtmauer über Berggrate und -gipfel zieht, haben die Wanderer nicht nur einen Panoramablick auf Seoul, sondern erhalten als Dreingabe ein ordentliches Fitnesstraining. Wenn man im Osten vom Tor Changui-mun kommt, erstreckt sich die Mauer steil den Bugak-san hinauf, den die Besucher auf einer langen, gewundenen Treppe erklimmen. Aber einmal oben angekommen lässt einen die frische Luft und der atemberaubende Ausblick auf Seoul, das sich an die Berge schmiegt, jegliche Müdigkeit vergessen. Wenn sich der Wanderer dann endlich von dem Blick auf die zu seinen Füßen liegende Stadt losreißen kann, lädt die Mauer zu einer Reise durch die Geschichte ein. Es lassen sich deutlich drei verschiedene architektonische Stile unterscheiden: die ursprüngliche, von König Taejo gebaute Mauer, die unter König Sejong reparierten Mauerteile und die Jahrhunderte später unter König Sukjong durchgeführten Restaurierungen. Die ursprüngliche Mauer besteht aus kleineren, unregelmäßigen Steinen, die zu einem Befestigungsmauerwerk zusammengefügt wurden, das äußerst organisch wirkt. Als König Sejong die Mauer instand setzen und einige Teile neu errichten ließ, wurden größere, rechteckige Steine verwendet und kleinere Steine zum Füllen einzelner Zwischenräume eingesetzt. Auch dieses Mauerwerk macht noch einen organischen Eindruck, aber die Linienführung ist insgesamt viel einheitlicher. Die im 18. Jahrhundert durchgeführten Instandsetzungsarbeiten heben sich am deutlichsten ab, da Granitblöcke in identische Quader geschnitten wurden, um eine imposante Wehrmauer zu errichten. In einer ganzen Reihe von Mauerabschnitten wie z.B. denen am Sukjeong-mun, dem am nördlichsten gelegenem Tor, findet man alle drei Stile nebeneinander. Ein aufmerksamer Wanderer wird bemerken, dass in einige der Mauerquader Zeichen eingraviert sind. Einige der Gravuren geben das Baudatum und die Namen der Verantwortlichen an. Andere markieren, welcher Abschnitt der Mauer von Arbeitern aus welcher Region des Landes gebaut wurde. Die ganze Stadtmauer war zudem in 97 Abschnitte von jeweils rund 180 Metern eingeteilt. Diese Abschnitte hat man aber nicht einfach durchnummeriert, sondern die Erbauer verwendeten dafür den Text des TausendZeichen-Klassikers, eines Anfänger-Lehrwerks zum Erlernen der grundlegenden chinesischen Zeichen. Der erste Mauerabschnitt, der sich auf dem Gipfel des Bugak-san befindet, ist z.B. mit dem Sommer 2010 | Koreana 87
ersten Zeichen aus diesem Lehrbuch versehen, und zwar dem Zeichen für „Himmel“ (天). Die weiteren Abschnitte schließen sich der Reihe nach in Richtung Osten an - also in Uhrzeigerrichtung - und enden mit dem 97. Zeichen auf dem Gipfel des Bugak-san: „Kondolieren“ (弔). Die Mauer an sich besitzt aber auch ihre ganz eigenen Charakteristika. Die augenscheinlichsten und symbolreichsten sind die Mauerzinnen. Sie weisen enge Spalten und breite, zahnartig emporragende Mauerstücke auf, die jeweils von drei Schießscharten durchbrochen sind. Die beiden äußeren Schießscharten führen gerade durch die Mauer, aber die mittlere Schießscharte führt stark abgewinkelt nach unten, so dass die Verteidiger sowohl auf Angreifer in weiter Entfernung als auch auf Angreifer in Mauernähe feuern konnten. Entlang der Mauer befinden sich auch kleinere quadratische und größere, bogenförmig verlaufende Basteien. Diese Bollwerke boten den Verteidigern größeren Spielraum zum Feuern und ermöglichten es, die Mauer von beiden Seiten zu decken. Die imposantesten Konstruktionen entlang der Mauer sind aber die vielen Tore. Das Osttor Heunginji-mun (Dongdaemun) und das Südtor Sungnye-mun (Namdae-mun) stehen heute inmitten der geschäftigen Staßen von Seoul. Das Sungnye-mun befindet sich derzeit im Wiederaufbau, nachdem es 2008 durch einen Brandanschlag fast völlig zerstört worden war. Das Westtor Donui-mun wurde unter den japanischen Kolonialherrschaft abgerissen, soll aber bis 2013 wieder rekonstruiert werden. Nur das Nordtor Sukjeong-mun befindet sich heute noch in seiner ursprünglichen Umgebung.
Trekking als ein neuer Trend Die Stadtmauer von Seoul ist ein wertvolles Kulturerbe, das einen 1 Blick auf die Geschichte der Stadt erlaubt. Sie ist aber auch ein
Nach dem Genuss des Panoramablicks auf Seoul lässt die alte Stadtmauer den Besucher eine Reise in die Geschichte machen.
lebendiger Bestandteil des heutigen Seoul. Die Stadtmauer, die heute die Seouler Innenstadt umschließt, kann von verschiedenen Punkten aus erreicht werden, so dass man zwischen kürzeren Spaziergängen und längeren Wanderungen die Bergrücken hinauf und hinab wählen kann. Heutzutage, in einem Zeitalter, in dem die Menschen dermaßen damit beschäftigt sind, zu einem Ziel zu eilen, dass sie keinen Blick mehr für die Umgebung haben, bemühen sich jetzt viele um eine bewusst langsamere Gangart und konzentrieren sich stärker auf den Weg als auf das Ziel. Unter denjenigen, für die der Weg der eigentliche Genuss ist, ist Trekking recht beliebt geworden. Es wurde sogar mit voller Unterstützung der Regierung eine neue Bildungseinrichtung namens Korea Trekking School ins Leben gerufen, die die Koreaner an diese vergleichsweise neue Art der Freizeitgestaltung heranführen soll. Auf der Webseite der Seoul Trekking School (www. kts2009.com) heißt es: „Während beim Bergsteigen das Ziel darin liegt, Gefahren und Widrigkeiten zu überwinden und durch Abenteuer und Herausforderungen das Gefühl zu vermitteln, eine Leistung vollbracht zu haben, werden beim Trekking die Gefahrenfaktoren so weit wie möglich ausgeschlossen, damit der Trekker die Landschaft genießen und in einem sicheren und entspannten Umfeld ein Teil der Natur werden kann.“ Es gibt eine ganze Reihe von solchen Fernwanderrouten auf der koreanischen Halbinsel. Der Jiri-san ist mit 1.916m die höchste Erhebung auf dem südkoreanischen Festland. Seine nebelverhangenen Schluchten nehmen einen besonderen Platz in der Vorstellungswelt der Koreaner ein. In den letzten Jahren wurde ein Wanderweg, der rund um den Berg führt und als Dulle Trail (Wanderpfad) bekannt ist, für Trekking-Touren instand gesetzt. Die Trekking-Route hat eine Gesamtlänge von rund 300 Kilometern und verläuft durch Gebiete, die noch weitgehend von Menschenhand unberührt sind. Sie ist in kürzere Abschnitte unterteilt, so dass auch Tagestouren möglich sind. Auf der Insel Jeju-do vor der südwestlichen Spitze des koreanischen Festlandes windet sich der Olle Trail die Küste entlang um den höchsten Berg Südkoreas, den Hallasan (1.950 m). Zurzeit umfasst der Olle Trail 15 verschieden Wanderrouten, die sich rund 215 Kilometer die Südküste entlang vom westlichen Ende der Insel bis zum östlichen Ende hinziehen. Und es bestehen Pläne, weitere Wanderpfade anzulegen. In der Nähe von Seoul wird derzeit eine Trekking-Route rund um den Berg Bukhan-san angelegt. Im März 2010 wurde der 64 Kilometer lange Sulle Trail, der erste Streckenabschnitt, für die Öffentlichkeit frei gegeben. Bis 2013 soll die ganze Route fertig gestellt werden. Es sieht also so aus, dass neben dem Bergsteigen Trekking als neuer, für Körper und Seele gesunder Lebensstil in der koreanischen Kultur Fuß fasst.
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R eis en in d i e k o r e a n i sc h e L ite r at u r
Yi Hyo-seok
Anglistische Literatur, Verlust der Heimat, spezifische Gefühlswelt – das sind die Elemente, von denen zahlreiche Erzählungen, Gedichte und Romane von Yi Hyo-seok durchdrungen sind.
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REZENSION
Yi Hyo-seok:
Leben und Werk
Kim Yoon-shik Professor für koreanische Literatur, Seoul National University
Y
i Hyo-seok (1907-1942), auch unter seinem Schriftstellernamen „Gasan“ bekannt, wurde in Jinbu, Pyeongchang-gun in der Provinz Gangwon-do als Sohn des Gemeindevorstehers Yi Si-hu geboren. Er besuchte die Pyeongchang Grundschule und die Erste Gyeonggi Oberschule (Gyeonggi Mittelschule nach der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft), und studierte anglistische Literaturwissenschaft an der damaligen Kaiserlichen Universität Gyeongseong (heute Seoul National University). Als seine Mutter in seinem fünften Lebensjahr starb, wurde er von seiner Stiefmutter Gang Hong-gyeong aufzogen. Es ist nicht ganz klar, ob es an dem Konflikt mit seiner Stiefmutter lag, auf jeden Fall wohnte Yi während seiner Grundschulzeit in einer Pension, die vierzig Kilometer von zu Hause entfernt war. Die Universität, an der Yi Hyo-seok studierte, wurde während der japanischen Kolonialzeit (1910-1945) gegründet. 1924 wurden die Grundstudiengänge und 1926 die Hauptstudiengänge eingerichtet. Yi studierte zwischen 1925 und 1930 anglistische Literaturwissenschaft mit Schwerpunkt auf der irischen Literatur und schrieb seine Studienabschlussarbeit über J. M. Synges Dramen. Die Kaiserliche Universität Gyeongseong war damals die einzige, an der koreanische Studenten zusammen mit japanischen studierten. Yi hat also wie der Politiker und Schriftsteller Yu Jin-o (1906-1987), der ein Jahr früher als er mit dem Studium begonnen hatte, das Elitestudium der Kolonialzeit absolviert. Ein weiterer Faktor, der Yis Schaffen nachhaltig beeinflusste, war der Verlust der Heimat. Seine Erinnerungen an seine Heimat stammen einzig und allein aus seiner Grundschulzeit. Als er einmal über seine Heimat gefragt wurde, antwortete er: „Meine Heimat, die mein halbes Leben lang meinen Charakter und mein Gemüt mit Sanftheit und Stärke genährt hat, ist mir abhanden gekommen.“ Dennoch ist der Schauplatz seiner Erzählung Wenn der Buchweizen blüht (1936), eines seiner am meisten gepriesenen Werke, seine Heimat. Anglistische Literatur, Verlust der Heimat, spezifische Gefühlswelt – das sind die Elemente, von denen zahlreiche Erzählungen, Gedichte und Romane (z.B. Die Pollen (1939); Der endlose blaue Himmel (1940)) von Yi Hyo-seok durchdrungen sind. Bis er in jungem Alter von nur 35 Jahren an Hirnhautentzündung 90 Koreana | Sommer 2010
starb, arbeitete Yi als Lehrer an einer Schule auf dem Land und schrieb gleichzeitig. Sein Schaffen kann aus wissenschaftlicher Sicht in zwei Phasen, eine Früh- und eine Spätphase, eingeteilt werden. Entscheidend für die Frühphase ist Yis Debüt als Schriftsteller. Er debütierte 1925, als er noch studierte, mit der Erzählung Stadt und Geister . 1929 veröffentlichte er Unverhoffte Begegnungen und Marschmusik . Alle drei Erzählungen geben Einblick in die elenden Lebensumstände der Menschen, die in den Städten zur untersten Schicht zählen. In Stadt und Geister verfolgt ein Gipser zwei Geister, die plötzlich vor ihm erschienen sind, nur um am Ende herauszufinden, dass es sich bei diesen Geistern um eine elende Bettlerin, die durch einen Autounfall einen Fuß verloren hat, und ihren Sohn handelt. Unverhoffte Begegnungen ist eine Geschichte, die aus der Sicht eines politisch links gerichteten Aktivisten vom Ruin der Tochter eines Pensionshauses erzählt. In Marschmusik wird das Leben der städtischen Arbeiter in ihrer Arbeiterunterkunft beschrieben. In diesen drei Erzählungen bleibt Yi nicht bei einer einfachen Beschreibung des Elends, sondern er übt auch Gesellschaftskritik aus. Gerade dieses soziale Bewusstsein zeichnet Yis Frühwerk aus. Schriftsteller mit einer solchen gesellschaftskritischen Haltung nannte man „Weggefährten“. Es gab damals viele Organisationen von Schriftstellern, die ihre Schreibkunst als Instrument zur Erweckung des gesellschaftlichen Bewusstseins und zur Vorantreibung der Revolution sahen wie z.B. die Koreanische Vereinigung der Proletarischen Schriftsteller KAPF (Esperanto für: Korea Artista Proleta Federatio), die zwischen 1925 und 1935 existierte, die Russische Vereinigung Proletarischer Schriftsteller RAPP (Rossiiskaja Assotsiatsija Proletarskich Pisatelej) oder die japanische NAPF (Esperanto für: Nippon Proleta Artista Federatio). Schriftsteller, die zwar keine Mitglieder solcher Organisationen, aber Gleichgesinnte waren, wurden als „Weggefährten“ bezeichnet. Die KAPF, die der allgemeinen Strömung der Zeit entsprach, war zur Zeit von Yis Debüt sogar stärker als die Kräfte der nationalistischen, gegen die japanische Kolonialherrschaft gerichteten Bewegung. Schriftsteller wie Yi Hyo-seok und Yu Jin-o wurden als Weggefährten verstanden, und sie veröffentlich-
ten auch kontinuierlich Werke mit den typischen sozialkritischen Charakteristika. So gab Yi 1931 beispielsweise einen Erzählband mit dem Titel Auf der Seefahrt nach Sowjetrussland heraus. Dieser Band bestand aus den drei Erzählungen Auf der Seefahrt nach Sowjetrussland, Landung, Brief aus dem Nordland . In der ersten Erzählung Auf der Seefahrt nach Sowjetrussland erzählt ein junger Mann, der, ausgerüstet mit einer Weltkarte und einem Konversationsbuch des Russischen, in der dritten Klasse eines Schiffs nach Sowjetrussland fährt. Es ist die Geschichte eines jungen Menschen, der sich nach dem Land, das sein Ideal verkörpert, sehnt, das Land der Revolution und das Paradies der Arbeiter und Bauern. In Landung wird beschrieben, wie ein junger Mann zusammen mit seinem Freund Kim in einem kleinen Hafen in einem Winkel der Sowjetunion, von der er lange geträumt hat, ankommt. Brief aus dem Nordland ist eine Brieferzählung, in der ein junger Mann seinem Freund in der Heimat über die Geschehnisse in einer sowjetrussischen Hafenstadt berichtet und beschreibt, wie er sich durch die Liebe zu einem russischen Mädchen an das Leben im Land der Revolution anpasst. Auffällig an allen drei Erzählungen ist die romantische Sehnsucht der jeweiligen Protagonisten nach dem Land der Revolution. Mit „romantisch“ ist hier gemeint, dass die Sehnsucht nicht auf Realität oder Erfahrung basiert, sondern dass es Emotionen sind, die sich auf ein nicht wirklich existierendes Abstraktum beziehen. Das ist an den irrealistischen Detailbeschreibungen oder auch am Gebrauch der russischen Wörter zu erkennen. Die Spätphase von Yi Hyo-seoks Schaffen wird als die Zeit der „Rückkehr zur Natur“ bezeichnet. Die Wende von der Weggefährtenliteratur zu der für Yi spezifischen literarischen Welt wird durch die Erzählung Schwein aus dem Jahr 1933 deutlich markiert. Schwein ist die Geschichte eines armen jungen Mannes namens Sigi. Er bringt die Sau, die er zu Hause züchtet, zum Gemeindegarten um sie decken zu lassen. Schweinezucht war für arme Familien damals die beste Methode, sich ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen. Auf dem Weg zurück nach Hause vertieft er sich in Gedanken an das geliebte Mädchen Buni und merkt deshalb nicht, wie sein wertvolles Zuchtschwein unter die Räder eines Zuges gerät. Wie viele Kritiker bereits erklärt haben, ist in dieser Erzählung die Erwähnung zu beachten, dass das Decken der Sau durch den Eber nicht viel anders ist als der Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau. Der Anblick der sich heftig paarenden Schweine lässt Sigi an Buni denken. In seinen verworrenen Phantasien vermischt sich die Gestalt des Schweins mit dem Bild des Mädchens. Nach Schwein erschienen Werke wie Bunnyeo (1936) und Feld (1936). In diesen Werken stellt Yi heraus, dass die Paarung der Tiere sich in nichts von der Kopulation der Menschen unterscheidet. Auch Wenn der Buchweizen blüht (1936) steht in diesem thematischen Kontext. Solche Geschichten heben hervor, dass im Sexualakt, dem allernatürlichsten Phänomen der Natur, das
eigentliche Wesen des Menschen zum Ausdruck kommt. Damit bilden diese Werke eine ganz andere literarische Kategorie als Yis Frühwerke über die Revolution oder den Wiederaufbau der Gesellschaft. Die Kritiker glauben, dass diese Wende von der Auflösung der KAPF in den 1930er Jahren und dem Einfluss von D. H. Lawrence, des Autors von Sons and Lovers (Söhne und Liebhaber ) herrührt. Unbedingt anzumerken ist jedoch, dass Yi Hyo-seok einen besonderen und originären Stil hat, die Handlung zu entwickeln. Er war nicht am Sexualakt an sich oder an der Erotik interessiert, sondern für ihn war Geschlechtsverkehr nur ein Medium, um die Ordnung der Natur zu verstehen. In der Erzählung Wenn der Buchweizen blüht , in der die Brunst der Tiere ein Motiv ist, wird die Kraft der Natur, die in der reizenden Landschaftsszene mit dem in voller Blüte stehenden und vom Mond beschienenen Buchweizen ihren Ausdruck findet, auf die erotische Handlung in der Wassermühle übergeleitet. Eine solche Thematik ist schon per se kritisch gegenüber dem städtischen Milieu. Wie in Prosa der Menschen (1936) oder Engel und Prosagedicht (1936) zu sehen ist, kritisiert Yi unentwegt das Böse der Stadt. Eine solche anti-städtische Haltung führt ihn zum Schreiben von Gedichten oder von etwas, was man vielleicht als „anti-prosaisch“ bezeichnen könnte. Die Prosa ist zwar die äußere Form der Erzählung, Yi jedoch schuf eine in hohem Grade andere Welt, i.e. eine lyrische Welt, in seinen Erzählungen, weshalb die Kritiker ihn als einen Schriftsteller bezeichnen, „der Erzählungen in der Form von Gedichten“ schrieb. Das macht seine Werke immer wieder zum Diskussionsgegenstand. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei der für Yi spezifische, ästhetische Sinn, der an dem ganz eigenen Reiz der von ihm verwendeten Wörter spürbar ist. „Es ist nützlicher an die Geographie als an die Geschichte zu denken, wenn man nach dem Schönen sucht.“ Am Ende konnte jedoch nicht einmal die Erde ihm den ästhetischen Sinn geben, nach dem er gesucht hatte. Yi Hyo-seok sagte einmal: „Es ist sinnlos, etwas, was nicht dem Wesen der Dinge entspricht, aus Voreingenommenheit und Eigensinn schaffen zu wollen und in Erinnerungen zu verweilen. Die Bemühung um die Entdeckung neuer Schönheit ist ein Akt der Schöpfung.“ Damit meinte er das so genannte verfeinerte, moderne Gefühl, das man im Korea der Zeit mit westlichen Vorstellungen assoziierte. Gerade deshalb bestand Yi auf Blumen westlichen Ursprungs und auf Namen westlichen Stils. Die dichterische Sprache des Schriftstellers Baek Seok (19121995) hat Yi zu der Idee des Entfernt-Seins von der Heimat angeregt und er entdeckte in den Birnenblüten aus Katherine Mansfields Bliss (Seligkeit ) die Schönheit des Blütenmotivs. Für Yi Hyo-seok, der eine Eliteausbildung in der westlichen Literatur genossen hatte, war nur das nur natürlich.
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