Koreana Winter 2010 (German)

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Koreanische Kunst

und

Kultur

J a h rg a n g 5 , Nr. 4 Wi n t e r 2 0 1 0

Der Gyeongbok-gung: Hauptpalast der Joseon-Zeit ISSN 1975-0617




KOREANISCHER SCHÖNHEITSSINN

Gyeyeongbae

G

yeyeongbae ist kein gewöhnliches Trinkgefäß. Der Name bedeutet sinngemäß „Achte darauf, es nicht zu überfüllen“. Es ist eine Art magisches Trinkgefäß: Wenn man es zu mehr als 70 Prozent mit Alkohol füllt, verschwindet im gleichen Augenblick der ganze Inhalt. Das Geheimnis steckt in der Säule, die sich in der Mitte des Gefäßes befindet und eine hufeisenförmige Röhre verbirgt. Diese ist so konzipiert, dass das Gefäß nur eine angemessene Flüssigkeitsmenge von bis zu 70 Prozent aufnehmen kann. Wird dieser kritische Punkt nicht überschritten, bleibt der Alkohol im Gefäß, anderenfalls wird er nach dem Siphon-Prinzip, bei dem Druckunterschiede zur Anwendung kommen, die Röhre entlang nach oben gesaugt und dann in den unteren Teil, einen kännchenförmigen Behälter unter dem Trinkgefäß, geleitet. Das Gyeyeongbae wurde in der Joseon-Zeit (1392-1910) von dem Silhak Philosophen (Silhak: konfuzianistische soziale Reformbewegung) und Wissenschaftler Ha Baekwon (1781-1845) entworfen. Der Töpfermeister U Myeongok hat eigene Gyeongbae-Trinkgefäße gefertigt. Laut den Erklärungen des Museums für traditionelle alkoholische Getränke in Jeonju (Jeonju Traditional Wine Museum) ist folgende Geschichte über diesen Töpfermeister überliefert: U Myeong-ok lernte sein Handwerk in der Gwangju Keramikmanufaktur, in der zur Joseon-Zeit die Keramikwaren für den Königshof hergestellt wurden. Schließlich gelang es ihm, seinen Lehrer zu übertreffen und Seolbaekjagi zu kreieren, ein schneeweißes Porzellan, das ihm Ruhm und Reichtum brachte. Doch danach gab er sich einem Leben des Genusses und der Ausschweifungen hin.

Erst als er sein ganzes Geld verprasst hatte, kam er zur Einsicht, gab Wein und Weib auf, kehrte zu seinem Meister zurück und schuf das Gyeyeongbae. Wenn man über das Gyeyeongbae redet, darf Im Sangok (1779-1855), der große Händler der Joseon-Zeit, nicht unerwähnt bleiben. Er, der stets ein Gyeyeongbae zur Hand hatte, übte sich in einem bescheidenen Lebenswandel der Mäßigung und brachte es so zu beträchtlichem Reichtum. Heutzutage wird das Gyeyeongbae entsprechend nicht als Trinkgefäß verwendet, sondern dient vielmehr als Symbol des Maßhaltens, und zwar nicht nur in Bezug auf Alkohol, sondern hinsichtlich der Mäßigung in der Lebensführung allgemein. In der Joseon-Zeit schenkte der Vater bei der Initiationszeremonie, mit der der Sohn in die Welt der Erwachsenen eintrat, dem jungen Mann Alkohol ins Gyeyeongbae ein. Dahinter stand die symbolische Absicht, dem jungen Menschen Mäßigung als Lebensprinzip mit auf den Weg zu geben. Das mit Aprikosenblüten verzierte weiße Porzellan Gyeyeongbae in der Abbildung wurde im Jahr 2000 von dem Porzellanhersteller KwangJuYo hergestellt. Es ist eine Neuschöpfung in Anlehnung an das Gyeyeongbae, das im koreanischen Nationalmuseum aufbewahrt wird. Am Säulenabschluss in der Mitte des Trinkgefäßes ist der Aprikosenblütendekor, unter dem sich die oben erwähnte Röhre befindet, gut zu erkennen. Heutzutage werden viele Gyeyeongbae in weißem Porzellan oder jadegrünem Seladon von modernen Töpfern nachgeschaffen und kommerzialisiert.


Koreanische Kunst und Kultur

Jahrgang 5, Nr. 4 Winter 2010

Der Gyeongbok-gung war der Hauptpalast des Königreichs Joseon (1392-1910). Der im Laufe der Zeit weitgehend zerstörte Palast gewinnt jetzt im Rahmen eines groß angelegten Restaurierungsprojekts seine ursprüngliche Pracht zurück. © Suh Heun-gang

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Der Gyeongbok-gung: Hauptpalast der Joseon-Zeit 46

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Die Palastkultur von Joseon und der Gyeongbok-gung Jang Jiyeon

16 Restaurierung des Gyeongbok-gung: die 21Jahre der ersten Phase Lee Kwang-Pyo 70

24 Gesamtprojektleiter: Zimmermannmeister Shin Eung-soo Jung Chung-sin

30 Eine Tour durch den Palast Gyeongbok-gung Charles La Shure 84


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FOKUS

IMPRESSUM

Aufnahme von Hahoe und Yangdong in die UNESCO –Liste des Welterbes | Lee Sang-hae

Herausgeber The Korea Foundation 2558 Nambusunhwanno, Seocho-gu, Seoul 137-863, Korea

INTERvIEw

Schriftstellerin Sin Kyong-suk: Ausdruck von Hoffnung und Mitgefühl | Choi Jae-bong KUNSTHANDwERKER Lee Keun-bok

Dachdeckermeister Lee Keun-bok bringt die Eleganz der Dachlinien zur Geltung Park Hyun Sook

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MEISTERwERKE

Bronzespiegel: Exzellente Gusstechnik und Gestaltung Cho Hyun-jong

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KUNSTKRITIK

Realismus in der asiatischen Kunst: Das Asien des 20. Jahrhunderts in Bildern | Kim Inhye KOREA ENTDECKEN

Korea: Selbstbewusst nach der Überwindung der Vergangenheit Hosaka Yuji

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AUF DER wELTBÜHNE Park Ji-Sung

Fußballstar Park Ji-Sung: körperlich und geistig ein As Jeong Yoonsoo

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UNTERwEGS JEJUDO

Wandern auf den Olle-Trails von Jeju-do | Kim Hyungyoon 78

KÜCHE

Tangpyeongchae: ein farbenfrohes Gericht | Lee Jong-Im 82

BLICK AUS DER FERNE

Korea: Jeong erleben | Nicola Kager-Hägele 84

LEBEN

„Indoor Screen Golf“ im Trend | Chung Jewon 87

REISEN IN DIE KOREANISCHE LITERATUR

Kwon Yeo-sun Die Ästhetik der pathologischen Selbstsezierung Die literarische Welt von Kwon Yeo-sun | Kim Youngchan Die Tage der rosa Schleifen | Übersetzung: Anneliese Stern-Ko / Ahn In-kyoung

PRÄSIDENT Byung-kook Kim REDAKTIONSDIREKTOR Kim Sung-yup CHEFREDAKTEURIN Ahn In-kyoung KORREKTURLESERIN Anneliese Stern-Ko REDAKTIONSBEIRAT Cho Sung-taek, Han Kyung-koo, Han Myung-hee, Jung Joong-hun, Kim Hwa-young, Kim Moon-hwan, Kim Youngna LAYOUT & DESIGN Kim’s Communication Associate REDAKTIONSMITGLIEDER Lim Sun-kun FOTODIREKTOR Kim Sam KUNSTDIREKTOR Lee Duk-lim DESIGNER Kim Su-hye Herausgabezweck: ideell SUBSKRIPTION Vierteljährlich herausgegeben Preis für Jahresabonnement: Korea 18.000 Won, Luftpost in Deutschland und Österreich 32 EUR (einschließlich Porto) Preis für Einzelheft: Korea 4.500 Won, Deutschland und Österreich 8 EUR (einschließlich Porto) Subskription/Korrespondenzanschrift: Deutschland und Österreich The Korea Foundation Berlin Office c/o Botschaft der Republik Korea Stülerstraße 8-10, 10787 Berlin, Germany Tel: +49-(0)30-260-65-458 Fax: +49-(0)30-260-65-52 E-mail: koreana@kf.or.kr Andere Gebiete inkl. Korea The Korea Foundation Diplomatic Center Building, 2558 Nambusunhwan-ro, Seocho-gu, Seoul 137-863, Korea Tel: +82-2-2151-6544 Fax: +82-2-2151-6592 WERBUNG CNC Boom co,. Ltd Towercrystal Building, 1008-1, Daechi 3-dong, Gangnam-gu, Seoul, Korea Tel: +82-2-512-8928 Fax: +82-2-512-8676 LAYOUT & DESIGN Kim’s Communication Associates 384-13 Seogyo-dong, Mapo-gu, Seoul 121-839, Korea Tel: +82-2-335-4741 Fax: +82-2-335-4743 www.gegd.co.kr DRUCK Samsung Moonwha Printing Co. 274-34, Seongsu-dong 2-ga, Seongdong-gu, Seoul 133-121, Korea Tel: +82-2-468-0361/5 Fax: +82-2-461-6798

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Der Gyeongbok-gung: Hauptpalast der Joseon-Zeit

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Die rund 20 Jahre währende erste Phase der Restaurierung des Palastes Gyeongbok-gung wurde mit der Wiederherstellung und Versetzung des Haupttors Gwanghwa-mun an seine ursprüngliche Stelle beendet. Hier erfahren Sie Näheres über den Bau und die turbulente Geschichte des Palastes Gyeongbok-gung, den offiziellen Hauptpalast von Joseon und ein repräsentatives Kulturerbe Koreas, sowie über sein neues Bild nach der Restaurierung.

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Die Palastkultur von Joseon und der Gyeongbok-gung Es gibt zwar viele Paläste aus der Joseon-Zeit (1392-1910), dem Palast Gyeongbok-gung kommt aber eine besondere Bedeutung zu. Als offizieller Hauptpalast, also Residenz und Regierungssitz des Königs, war er nämlich ein Symbol der königlichen Autorität des Joseon-Reichs und die Namen der einzelnen Palastgebäude spiegeln den Geist der Reichsgründung wider. Jang Jiyeon Forschungsprofessorin, Institute of Seoul Studies, University of Seoul | Fotos: Suh Heun-gang

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in Palast ist der Wohnsitz des Königs. Jedoch wurde mit dem Begriff „Palast“ (auf Koreanisch „Gung“) laut den Schriften aus der Joseon-Zeit nicht nur die Residenz des Königs bezeichnet, sondern auch die Gebäude, die er vor seiner Thronbesteigung bewohnte, die Gebäude, die er auf Reisen als Unterkunft benutzte, und sogar die Schreine für die königlichen Ahnen. Im Joseon-Reich gab es fünf Paläste, in denen die Könige hauptsächlich residierten und ihren Amtsgeschäften nachgingen: Gyeongbok-gung, Changdeok-gung, Changgyeong-gung, Gyeonghui-gung, Gyeongun-gung (oder Deoksu-gung). Diese Paläste existierten jedoch nur etwa zehn Jahre lang gleichzeitig. Vor der japanischen Invasion Imjinwaeran im Jahr 1592 galten hauptsächlich die beiden Paläste Gyeongbok-gung und Changdeok/Changgyeong–gung (der Changgyeong–gung war eine Art Annex-Palast des Changdeok-gung) als offizielle Hauptpa-

läste. Ihre Funktion wurde nach dem Krieg vom Changdeokgung/Changgyeong–gung und Gyeonghui-gung übernommen. Der Gyeongun-gung (andere Bezeichnung für Deoksu-gung) war streng genommen keine Residenz der Könige von Joseon, sondern ein Anbau, der im Vorfeld der Proklamation des großkoreanischen Kaiserreiches (Daehan Jeguk; 1897) zusätzlich errichtet wurde. Es gibt daher zwar viele Paläste aus der JoseonZeit (1392-1910), dem Palast Gyeongbok-gung kommt aber eine besondere Bedeutung zu. Als offizieller Hauptpalast, also Residenz und Regierungssitz des Königs, war er nämlich ein Symbol der königlichen Autorität des Joseon-Reiches. Gründung des Joseon-Reiches Im Sommer des Jahres 1392 ging nach 475 Jahren das GoryeoReich (918-1392) unter und wich dem neu gegründeten

Das Tor Gwanghwa-mun ist der Haupteingang zum Gelände des Gyeongbok-gung. Mit seinen drei Bogentoren im Steinsockel und einem zweistöckigen Wehrgang ist es unter den Haupttoren der Königspaläste der Joseon-Zeit das imposanteste und beeindruckendste.

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Joseon-Reich. Die Gründung des Joseon-Reichs geht auf die Allianz der neu auf der politischen Bühne erschienenen Gelehrten, die Anhänger des Neokonfuzianismus waren, und General Yi Seong-gye zurück. Unmittelbar nach der Reichsgründung standen eine Reihe von Entscheidungen an, darunter auch die über die Hauptstadt. Yi Seong-gye setzte sich zunächst für eine Verlegung der Hauptstadt aus Gaegyeong, der alten Hauptstadt von Goryeo (heute Gaeseong in Nordkorea), ein. Dieser Plan stieß jedoch auf massiven Widerstand. Da diesem Vorhaben selbst im Kreis der führenden Gründerväter des neuen Reichs nicht einstimmig zugestimmt wurde, war seine Vorantreibung mühsam und die Diskussionen schleppten sich über zwei Jahre dahin. Schließlich wurde als künftige Hauptstadt von Joseon Hanyang, die damals zweitgrößte Stadt, ausgewählt, die Anfang des 12. Jahrhunderts als südliche Hauptstadt des GoryeoReiches errichtet worden war. Nachdem die Entscheidung einmal gefallen war, beeilte sich Yi Seong-gye mit der Verlegung und wartete nicht erst die Fertigstellung der notwendigen grundlegenden Anlagen der neuen Hauptstadt ab. So wurden der Palast Gyeongbok-gung, der königliche Schrein Jongmyo und der königliche Altar Sajik bereits 1395, also nur ein Jahr nach der Entscheidung über den Umzug der Hauptstadt, fertiggestellt, während weitere Einrichtungen erst in den Folgejahren nach und nach gebaut wurden. Die Eile, mit der die Verlagerung angetrieben wurde, führte dazu, dass das Bild der neuen Hauptstadt Hanseong (1395 wurde Han10 Koreana | Winter 2010

yang in Hanseong umbenannt.) große Ähnlichkeit mit dem der alten Goryeo-Hauptstadt Gaegyeong aufwies. Der Palast Gyeongbok-gung wurde vor dem Berg Bugak-san, vor dem auch der Palast der südlichen Hauptstadt des Goryeo-Reiches gestanden hatte, errichtet, nur etwas südlicher auf einer ebeneren Fläche. Wie am Beispiel Goryeo und Joseon zu sehen ist, richtete man sich bei der Einrichtung einer Hauptstadt traditionell nach den umliegenden Bergen, die oft als Grundrahmen für den Grundriss der Stadt genommen wurden und deren topographische Merkmale man beim Bau der Stadtmauer ausnutzte. Deshalb weisen koreanische Städte oft keine symmetrische Struktur oder viereckige Form auf, wie es in China oder in Japan (die alten Städte in der Umgebung von Kyoto) der Fall ist. Chinesische oder japanische Paläste befinden sich entweder im nördlichen Teil der Stadt oder genau in der Mitte, d.h. hauptsächlich auf der Mittelachse der Stadt, während der offizielle Hauptpalast von Joseon, der Gyeongbok-gung, im westlichen Teil der asymmetrischen Stadt platziert ist, weil der den Hintergrund bildende, so genannte Hauptwächterberg Bugak-san sich westlich vom Zentrum der Stadt befindet. Dies ist eine Besonderheit, die auch auf die traditionelle Geomantik „Pungsu“, nach der besonders verheißungsvolle Örtlichkeiten bestimmt wurden, zurückzuführen ist. Im Vergleich zu den anderen Palästen Joseons ist der Gyeongbok-gung allerdings auf einer ebenen Fläche gelegen, was es erlaubte, die einzelnen Gebäude des Palastes ver-


1 Der Königsthron in der Thronhalle Geunjeongjeon. Das traditionelle Gemälde im Hintergrund zeigt Sonne, Mond und fünf Berge, Symbole der königlichen Autorität. Ein solches Gemälde war dem König vorbehalten.

2 Die Thronhalle Geunjeong-jeon, ein imposantes zweistöckiges Holzgebäude auf einem zweistufigen Steinfundament, wurde für den Empfang ausländischer Gesandter und für offizielle Veranstaltungen am Königshof genutzt.

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In der Joseon-Zeit war für die Legitimität der königlichen Autorität nicht die Machtfülle des Herrschers entscheidend, sondern wie moralisch und gerecht er regierte. Daher sollte ein königlicher Palast zwar eine gewisse Würde ausstrahlen, aber keinen übermäßigen Prunk aufweisen, da dies als Zeichen für die Unterdrückung des Volkes betrachtet wurde. In diesem Sinne kann man sagen, dass die Paläste aus der Joseon-Zeit, die im Vergleich zu denen in den Nachbarländern einfach und zurückhaltend wirken, Geist und Charakter von Joseon widerspiegeln.

1 1 In der Ratshalle Sajeong-jeon ging der König den Regierungsgeschäften nach und kam mit den Hofbeamten zusammen.

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2 Der Changdeok-gung war zwar ursprünglich nur ein Annex-Palast des Gyeongbok-gung, wurde aber nach den japanischen Invasionen Ende des 16. Jhdts. früher als der Gyeongbok-gung wiederaufgebaut und diente als Hauptpalast..

3 Gangnyeong-jeon, die Privatgemächer des Königs. Auf dem Nebengebäude rechts sind auf der Drachtraufe Figuren zu sehen, die der Abwehr böser Geister dienen sollten.

gleichsweise symmetrisch auf dem Gelände anzuordnen. Die Bedeutung des Gyeongbok-gung Joseon führte den Neokonfuzianismus als Staatsideologie ein. Die neokonfuzianistische Lehre definiert das Wesen des Menschen als gut, was laut der Lehre auch mit den ethischen Grundsätzen der Natur übereinstimmt. Daher betont der Neokonfuzianismus innere Werte wie die Moral des Menschen und nicht das äußerlich prächtige Erscheinungsbild. Dementsprechend war für die Legitimität der königlichen Autorität nicht die Machtfülle des Herrschers entscheidend, sondern wie moralisch und gerecht er regierte. Daher sollte ein königlicher Palast zwar eine gewisse Würde ausstrahlen, aber keinen übermäßigen Prunk aufweisen, da dies als Zeichen für die Unterdrückung des Volkes betrachtet wurde. In diesem Sinne kann man sagen, dass die Paläste aus der Joseon-Zeit, die im Vergleich zu denen in den Nachbarländern einfach und zurückhaltend wirken, Geist und Charakter von Joseon widerspiegeln. Verantwortlich für Planung und Bau des Gyeongbok-gung war der neokonfuzianische Gelehrte und Beamte Jeong Do-jeon, der auch den Gebäuden des Palastes ihre Namen gab. In diesen Namen verbergen sich die Ideale, die die Herrscher von Joseon bei der Ausübung der Macht anstreben sollten. Der Gyeongbok-gung besteht aus drei zentralen Gebäudeeinheiten: die königlichen Privatgemächer Gangnyeong-jeon, die Ratshalle Sajeong-jeon und die Thronhalle Geunjeong-jeon. 12 Koreana | Winter 2010

Abgesehen von der Bezeichnung für die Privatgemächer enthalten die Bezeichnungen für Ratshalle und Thronhalle die Mittelsilbe „Jeong (政)“ (staatliche Verwaltungsangelegenheiten), während alle Bezeichnungen für die Haupttore die Silbe „hwa (化)“ (verwandeln) aufweisen. Betrachten wir zunächst einmal die königlichen Privatgemächer Gangnyeong-jeon, die der König zum Ausruhen und Schlafen benutzte. Jeong Do-jeon war davon überzeugt, dass gerade solche Räume die innere Ausgeglichenheit und Geradlinigkeit fördern sollten. „Gangnyeong“ bedeutet „Gesundheit und Seelenfriede“ und zählt zu den fünf Gnaden (langes Leben, Wohlstand, Gesundheit und Seelenfriede, Tugendliebe, friedlicher Tod). Wie kann aber Gesundheit und Seelenfriede erreicht werden? Laut Jeong Do-jeon kann der König durch Selbstkontrolle, also durch aufrichtigen Willen und rechte Geisteshaltung, zur Verkörperung der Moral werden und somit in den Genuss der fünf Gnaden kommen. Warum aber wird dieser Gedanke vor allem in Bezug auf die Schlafgemächer erwähnt? Weil es sich um Räumlichkeiten handelt, in denen der König viel Zeit alleine verbringt und daher geistig leicht ins Wanken geraten kann. Das heißt, an diesem Ort sollte eine Atmosphäre herrschen, die geistige Ausgeglichenheit und Selbstkontrolle befördert. Aufrichtiger Wille und rechte Geisteshaltung gehören zu den acht grundlegenden Tugendpostulaten, die im Lehrbuch Daehak (Das Große Lernen ) erläutert werden. „Aufrichtiger Wille und rechte Geisteshaltung“ bilden zusammen mit „Erforschung


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der Natur der Dinge“ und „Vervollständigung des Wissens“ die vier Kriterien, die als Voraussetzung für das Erzielen moralischer und charakterlicher Vollkommenheit des Menschen gelten, die wiederum vonnöten sind, um Ordnung und Frieden von Heim und Herd zu gewährleisten, die Nation gut zu regieren und schließlich den Frieden zu sichern. Während in den königlichen Privatgemächern aufrichtiger Wille und rechte Geisteshaltung gefördert werden sollten, galt die Ratshalle Sajeong-jeon als Stätte der Erforschung der Natur der Dinge und der Vervollständigung des Wissens. Hier sollte sich der König stets mit dem Wesen der Dinge auseinandersetzen und dadurch neue Kenntnisse erlangen, was durch Vorlesungen der wissenschaftlich hoch angesehenen Hofbeamten und den Meinungsaustausch mit ihnen bewerkstelligt wurde. Jeong Dojeon taufte die Ratshalle „Sajeong-jeon“ (Sa: Denken) aus der Überzeugung, dass man nur durch intensives Nachdenken die Natur der Dinge erkennen kann. Schließlich ist ja das Denken die Grundlage des Studierens und auch des Regierens. Wenn es dem König gelingt, im Gangnyeong-jeon seinen aufrichtigen Willen und eine rechte Geisteshaltung zu stärken und im Sajeong-jeon die Natur der Dinge zu erforschen und sein Wissen zu vervollständigen, wird er moralische und charakterliche Vollkommenheit erlangen. Durch diese Vollkommenheit wird er dann letztendlich das Land gut und gerecht regieren und den Frieden befördern können, was in der Thronhalle Geunjeong-jeon geschieht. Die Bezeichnung „Geunjeong-jeon“,

was in etwa mit „Halle des unermüdlichen (fleißigen) Regierens“ übersetzt werden kann, impliziert nicht, dass sich der Herrscher ziel- und orientierungslos dem Eifer des Regierens verschreiben soll. Laut Jeong Do-jeon war von einem König zwar Fleiß zu verlangen, das bedeutete aber nicht, dass er sich um alles, bis hin zu den Aufgaben der niedersten Verwaltungsbeamten, kümmern sollte. Vielmehr sollte sich sein Fleiß darin äußern, dass er für bestimmte Aufgaben die richtigen tugendhaften und fähigen Personen ausfindig machte und sie damit betraute. Unheilvolle Zeiten Jeong Do-jeon gab dem Palast den Namen „Gyeongbok-gung“ mit dem Wunsch nach ehrenwerten Herrschern und einer ewig währenden Dynastie. Leider hielt der Name nicht lange, was er versprach, denn schon kurz nach der Fertigstellung des Palastes kam es zu zwei Aufständen um die Frage der Thronfolge und die Hauptstadt wurde zwischenzeitlich nach Gaegyeong verlegt, bevor sie dann endgültig wieder nach Hanseong zurückzog. Inmitten dieser Turbulenzen wurde östlich des Gyeongbokgung der Palast Changdeok-gung errichtet. Zwar änderte sich damit nichts am Stellenwert des Gyeongbok-gung als offizieller Hauptpalast von Joseon, aber zur Regierungszeit von König Taejong (reg. 1400-1418) stand der Gyeongbok-gung fast immer leer und verlor entsprechend an Status und Ansehen. Während der Herrschaft von König Sejong (reg. 1418-1450) Winter 2010 | Koreana 13


1 Nachdem der Besucher den Hof hinter dem Hauptportal Gwanghwa-mun durchquert hat, muss er die Zwischentore Heungnye-mun und Geunjeong-mun passieren, um zur Thronhalle Geunjeong-jeon zu kommen. Das zurückhaltende Erscheinungsbild des Palastes spiegelt die Prinzipien der Joseon-Zeit, die Würde zu betonen und Extravaganz zu vermeiden, wider.

geriet der Gyeongbok-gung dazu noch ins Kreuzfeuer eines Streits um geomantische Prinzipien. Es wurde nämlich behauptet, dass der Hauptwächterberg der Hauptstadt Hanseong nicht der Bugak-san hinter dem Gyeongbok-gung, sondern der Berg hinter dem Palast Changdeok-gung sei. Diese Behauptung stellte nicht nur Planung und Anlage der Haupstadt entlang der Pungsu-Meridiane völlig in Frage, sondern machte auch einen anderen Ort zum Punkt der höchsten Energiekonzentration. Das heißt, auf dem Gelände des Gyeongbok-gung sollten nicht mehr alle Energieströme zusammenfließen, was seinen Status als glücksverheißenden Ort fraglich machte. Zur Zeit von König Sejong waren solche Debatten zwar verboten, aber nach der japanischen Invasion Imjinwaeran im Jahr 1592 verbreiteten sich Zweifel dieser Art wie ein Lauffeuer im Volk. Der Imjinwaeran-Krieg, der 200 Jahre nach der Gründung von Joseon ausbrach, war für das Reich eine Katastrophe von zuvor nie erlebtem Ausmaß. Neben dem Gyeongbok-gung wurden alle Paläste der Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt. Warum aber war dieser Krieg ausgebrochen? Wahrscheinlich war es diese Frage, die als Anlass zur Verbreitung der Gerüchte diente, dass der Berg Bugak-san nicht die Eigenschaft eines Hauptwächterbergs besitze, oder dass die schlechte geomantische Lage des Palastes am Kriegsausbruch Schuld sei. Mit der Thronbesteigung von Prinz Gwanghaegun (reg. 1608-1623) 14 Koreana | Winter 2010

begann zwar der Wiederaufbau der zerstörten Paläste in der Hauptstadt und es wurden auch neue Paläste gebaut, aber der Gyeongbok-gung wurde nicht restauriert, sondern blieb erst einmal in Trümmern liegen. Es scheint, dass Gwanghaegun den Gyeongbok-gung als letztes wiederherstellen wollte, aber es ist nie dazu gekommen. Dazu dürfte auch die allgemein verbreitete Ansicht, dass der Standort des Palastes Unlgück bringe, bis zu einem gewissen Grade beigetragen haben. Ein Symbol von Joseon Der Palast Gyeongbok-gung lag seit seiner Zerstörung im Zuge der japanischen Invasion Imjinwaeran bis zu seiner umfassenden Restaurierung in den 1860er Jahren rund 200 Jahre lang als leeres Gelände da. Es war aber nicht so, dass er völlig in Vergessenheit geraten wäre. Verschiedene Könige haben im 18. Jahrhundert auf dem Hofgelände Zeremonien zum Andenken an die Gründer des Reiches abgehalten, wodurch sich der Gyeongbok-gung als Symbol der Legitimität des Reiches und der königlichen Autorität von Joseon etablieren konnte. Nachdem der neunjährige Gojong 1863 den Thron bestiegen hatte, brachte sein Vater Heungseon Daewongun, der vorübergehend die Amtsgeschäfte für den noch minderjährigen Regenten führte, ein umfassendes Projekt zur Restaurierung des Gyeongbok-gung auf den Weg, womit er die im 19. Jahrhun-


2 Der Pavillon Gyeonghoeru bei Nacht. Der Pavillon, der in einem künstlich angelegten See neben einer landschaftsarchitektonisch reizvoll gestalteten Insel liegt, wurde vom König zur Unterhaltung ausländischer Gäste und für Hofbankette genutzt.

dert deutlich schwächer gewordene königliche Macht und Autorität wiederherzustellen versuchte. Der restaurierte Gyeongbok-gung zur Regierungszeit von König Gojong (reg. 18631910) war von der Konzeption der Gesamtanlage her zwar weitgehend identisch mit dem ursprünglichen Palast, übertraf diesen jedoch beträchtlich in Bezug auf Größe und Anzahl der Gebäude. Zudem wurde im Vorfeld der Deklaration von 1870, mit der König Gojong offiziell die Amtsgeschäfte übernahm, in seinem Auftrag im hinteren Bereich des Palastgeländes ein neues Palais namens Geoncheong-gung errichtet. Im Oktober 1895, als König Gojong mit seiner Gemahlin im Geongcheong-gung residierte, wurde Königin Min dort von den Japanern ermordet. Daraufhin suchte König Gojong im Februar 1896 Zuflucht in der russischen Gesandtschaft und ließ sich 1897 nach seiner Rückkehr in den Gyeongbok-gung zum Kaiser von Groß-Korea (Daehan Jeguk) ausrufen. Im Zuge dieser atemberaubenden Ereignisse verlor der Gyeongbok-gung als Residenz des Königs allmählich an Bedeutung. Darüber hinaus wurde der Palast unter der darauf folgenden japanischen Kolonialherrschaft gravierend verunstaltet. Höhepunkt war der Bau des japanischen Kolonial-Hauptquartiers in den 1920er Jahren genau auf dem Vorhof des Palastes, so dass die Sicht auf den offiziellen Hauptpalast, das Symbol der königlichen Autorität von Joseon, völlig blockiert und somit seine

Würde verletzt wurde. Historisch gesehen war der Gyeongbok-gung nie ein besonders beliebter Palast. Seine auffallend wohlgeordnete Struktur – ein normales Kennzeichen der Paläste in China oder Japan – hob den Gyeongbok-gung unter den Palästen von Joseon oder Goryeo (918-1392) hervor. Daher konnte der Palast die Koreaner nie so richtig für sich einnehmen und in der Tat bevorzugen auch heute noch viele den Changdeok-gung vor dem Gyeongbok-gung. Alte Gerüchte wie z.B., dass der Gyeongbok-gung nach der traditionellen Geomantik „Pungsu“ Unglück bringen soll, haben diese latente Abneigung gegen den Gyeongbok-gung noch verstärkt. Der Gyeongbok-gung ist aber ein Palast, der den Gründungsgeist von Joseon widerspiegelt und über 500 Jahre als Symbol von Joseon galt. Daher war der Bau des Hauptquartiers der japanischen Generalgouverneurs direkt vor dem Palast ein besonderer Akt der Erniedrigung und gewaltsamen Unterdrückung. In den 1990er Jahren wurde ein Restaurierungsprojekt durchgeführt, in dessen Rahmen das japanische Verwaltungsgebäude abgerissen und der Palast in seiner Originalform wiederhergestellt wurde. Es war ein Projekt, das zwar stark umstritten war, aber niemand kann verneinen, dass es aus dem gesellschaftlichen Bedürfnis erwuchs, das Trauma der Kolonialzeit zu überwinden. Winter 2010 | Koreana 15


Restaurierung des Gyeongbok-gung: die 21Jahre der ersten Phase Der Höhepunkt der ersten Phase der Restaurierung des Palastes Gyeongbok-gung war die Wiederherstellung des Tores Gwanghwa-mun. Das neu gefertigte Haupttor ist prachtvoll und elegant. Die Dachtraufe weist durch den sanften Schwung ihrer Linienführung eine besondere Eleganz auf, die an einen fliegenden Vogel erinnert. Die drei Bogentore im Steinsockel (Koreanisch Hongye-mun: Regenbogen-Tor) ziehen ebenfalls den Blick auf sich. Durch diese Torbögen sind nämlich das Zwischentor Heungnye-mun und der Berg Bugak-san zu sehen. Durch die Restaurierung gewinnt der Gyeongbok-gung seine ursprüngliche Gestalt zurück. Lee Kwang-Pyo Reporter für Kultur, Tageszeitung Dong-A Ilbo | Fotos: Suh Heun-gang

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war das 100. Jahr der Annexion Koreas durch Japan. Am Tag der Unabhängigkeit Koreas (15. August), der daher diesmal von besonderer Bedeutung war, wurde das restaurierte Gwanghwa-mun, das Haupttor des Gyeongbok-gung, feierlich enthüllt und den Bürgern zurückgegeben. Die Wiederherstellung des Gwanghwa-mun war Höhepunkt und erfolgreicher Abschluss der ersten Phase des Restaurierungsprojektes, die 1990 begann. Während der letzten 21 Jahre wurde ein großer Teil des offiziellen Hauptpalastes des Joseon-Reiches (1392-1910) Schritt für Schritt in seiner ursprünglichen Gestalt wiederhergestellt, wodurch er seine einstige Pracht und Würde wiedererlangte. Der Gyeongbok-gung wurde 1395 als erster Palast des 1392 gegründeten Joseon-Reiches errichtet und war der offizielle Hauptpalast von Joseon. Vor dem Palast erstreckt sich die „Straße der sechs Ministerien“ (heute: Sejong-no) und dahinter der Berg Bugak-san, während rechter Hand der Berg Inwangsan liegt. Diese geographische Lage ist nach der traditionellen Geomantik „Pungsu“ äußerst vorteilhaft und glücksverheißend und bietet zudem noch den Vorteil einer reizvollen Landschaft. Der Palast, der während der japanischen Invasion Imjinwaeran (1592) abgebrannt war, wurde 1865 zur Regierungszeit von König Gojong auf Initiative von dessen Vater Heungseon Daewongun restauriert und 1867 fertiggestellt. Unter der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) wurde er jedoch schwer beschädigt und verunstaltet. Diesen Gyeongbok-gung originalgetreu wiederherzustellen, war für Korea als souveräner Staat und Kulturland eine nur selbstverständliche Aufgabe. Jedoch konnte Korea auch nach seiner Unabhängigkeit ein Projekt von solchem Ausmaße aus verschiedenen Gründen nicht sofort in Angriff nehmen. 16 Koreana | Winter 2010


Das Hauptquartier des japanischen Generalgouverneurs Das Projekt zur Wiederherstellung des Gyeongbok-gung wurde erst in den 1990er Jahren auf den Weg gebracht. Es war eine Zeit, in der man in Korea danach strebte, die Kolonialzeit aufzuarbeiten und zu bewältigen und durch die Bewegung „Die Geschichte gerade rücken“ das nationale Selbstbewusstsein zu stärken. Die Restaurierung des Gyeongbok-gung war ein Teil solcher Bestrebungen. Durch die Wiederherstellung der ursprünglichen Pracht des Palastes sollten nach dem Trauma der Fremdherrschaft das Selbstbewusstsein der Bürger in Bezug auf ihre nationale Identität und die Wertschätzung des eigenen Kulturerbes gefördert werden. Die Restaurierung des von den japanischen Kolonialherren beschädigten und verunstalteten Gyeongbok-gung war daher im Rahmen der Bewegung „Die Geschichte gerade rücken“ gewiss das Projekt mit dem größten symbolischen Gehalt. Allerdings verlief das Restaurierungsprojekt nicht ganz reibungslos. Der größte Stolperstein war zunächst das Hauptquartier des japanischen Generalgouverneurs. Die Japaner hatten

das Tor Heungnye-mun, das in den eigentlichen Palastbereich führende Zwischentor hinter dem Haupttor, abgerissen und an dieser Stelle 1926 ihr Hauptquartier gebaut. Danach versetzten sie das Haupttor Gwanghwa-mun in den nordwestlichen Teil des Palastes an die Stelle, wo heute das Nationale Folkloremuseum (National Folk Museum of Korea) steht, weil das Gwanghwa-mun den Blick aus dem Hauptquartier versperrte. Das Gebäude der einstigen Kolonialverwaltung wurde nach der Unabhängigkeit von 1945 bis 1984 von der südkoreanischen Regierung als Hauptverwaltungsamt genutzt und beherbergte ab 1985 das koreanische Nationalmuseum. Es stellte sich nun die Frage, was mit diesem Gebäude geschehen sollte. Im Kern der Diskussionen ging es darum, ob der Bau abgerissen oder einfach stehen gelassen werden sollte. Die eine Seite war der Ansicht, dass „das Hauptquartier ein Überrest der japanischen Herrschaft ist und daher beseitigt werden muss“. Die andere Seite betonte, dass „auch eine schmerzhafte Vergangenheit, eine Geschichte der Erniedrigung und Schande ein wichtiger Teil der Geschichte des Landes ist und deshalb das Ge-

Geunjeong-mun, das Südtor des Gyeongbok-gung, wird von langen Korridorgängen flankiert.

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1 Amisan, der Garten hinter dem Gyotae-jeon, den Privatgemächern der Königin, ist eine grüne Oase im mittleren Teil des Palast-Komplexes. Der Garten wurde für die Königin angelegt, die das Palastgelände nur selten verlassen konnte. Die sechseckigen Kamine sind mit glücksbringenden Zeichen und Symbolen geschmückt.

2 Die Brücke Yeongje-gyo verbindet das Tor Heungnye-mun mit dem Tor Geunjeong-mun. Das Wasser des Flusses Geum-cheon, das unter der Brücke floss, sollte eine reinigende Wirkung auf das Gemüt des Königs und seiner Ratgeber ausüben.

3 Der ursprüngliche Sockel des Jaseondang, der Residenz des Kronprinzen und seiner Gemahlin, wurde wiederhergestellt.

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In der ersten Phase der Restaurierung des Gyeongbok-gung wurden rund 14.580 Kubikmeter Holz und 1,5 Millionen Dachziegel verwendet. Außerdem kamen auch alle Techniken der traditionellen Holzarchitektur zur Anwendung. Die Restaurierung, an der die jeweiligen Meister ihres Fachs teilnahmen, war eine Arbeit, die alle Bereiche und Techniken der traditionellen Architektur umfassend vereinte.

bäude nicht einfach zerstört, sondern an einen anderen Ort verlegt und bewahrt werden sollte“. Die Wellen schlugen auf beiden Seiten hoch, bis schließlich die Regierung die endgültige Beseitigung des Baus beschloss. Am 15. August 1995, dem 50. Jahrestag der Unabhängigkeit Koreas, wurde in einem symbolischen Akt die Spitze auf der Hauptkuppel des Kolonialbaus entfernt. Im Dezember 1996 wurde dann das Gebäude vollständig abgerissen und verschwand endgültig im Dunkel der Geschichte. Wiederherstellung der Palastgebäude Grundlegendste und wichtigste Aufgabe des Projekts war die von den Japanern zerstörten Palastgebäude wiederherzustellen, und zwar so, wie sie nach der ersten Restaurierung 1867 ausgesehen hatten. Der Palast, der nach der ersten Restaurierung aus rund 500 Gebäuden bestanden hatte, umfasste 1990 lediglich noch 36 Gebäude. Das Bild, das der Palast 1867 geboten hatte, sollte im höchstmöglichen Maße wieder rekonstruiert werden. Der Palast Gyeongbok-gung wurde in fünf Phasen und Zonen aufgeteilt restauriert: die königlichen Privatgemächer, Donggung (der Östliche Palast), Heungnye-mun, Taewon-jeon und Gwanghwa-mun. Das Projekt wurde von 1990 bis 2010 unter Einsatz von rund 155 Millionen Dollar umgesetzt. Die königlichen Gemächer, die die privat genutzten Räumlichkeiten von König und Königin umfassen, wurden von 1990 bis 1995 restauriert. Die beiden Hauptgebäude sind das Gangnyeong-jeon, die Schlafgemächer des Königs, und das Gyotae-jeon, die Schlafgemächer der Königin. Die 1867 wiederaufgebauten Gebäude waren 1876 bei einem Großbrand Opfer der Flammen geworden und wurden 1888 erneut hergestellt. Als aber der Palast Changdeok-gung 1917 teilweise niederbrannte, wurden einige Gebäude des Gyeongbok-gung wie das Gangnyeong-jeon und das Gyotae-jeon zerlegt und die Bauteile wurden für die Restaurierung des Changdeok-gung

verwendet. Die südkoreanische Regierung hat in der Zone der königlichen Privatgemächer nun zwölf Gebäude, darunter das Gangnyeong-jeon und das Gyotae-jeon, rekonstruiert und 1995 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Restaurierung des Dong-gung (Östlicher Palast), quasi eines Palastes im Palast, erfolgte zwischen 1994 und 1999, wobei 18 Gebäude wie das Jaseondang, die Residenz des Kronprinzen, und sein Arbeitszimmer Bihyeongak, wiederhergestellt wurden. Im Dong-gung lebten der Kronprinz und seine Gemahlin. Hier bereiteten sich in der Joseon-Zeit die Kronprinzen durch das Studium der Wissenschaften und der Tugenden eines Herrschers auf ihre künftigen Pflichten als Regent vor. Jaseondang, die Residenz des Kronprinzen, wurde 1914 zerstört. Die Japaner bereiteten damals anlässlich des fünften Jahrestags der Annexion Koreas eine „Ausstellung von koreanischen Produkten“ im Gyeongbok-gung vor, für die viele Gebäude des Palastes geplündert und auseinandergenommen wurden, darunter auch das Jaseondang. Der japanische Unternehmer Okura Kihachiro, der das Jaseondang 1915 abbauen ließ, transportierte die Baumaterialien nach Tokio, Japan, wo er sie für den Bau eines Kunstmuseums, das er „Chosen-kan“ nannte, nutzte. Das Chosen-kan brannte dann 1923 beim großen Erdbeben von Kanto völlig nieder, so dass nur noch der Steinsockel des Holzbaus übrig blieb. Danach geriet das Jaseondang in Vergessenheit. Erst 1993 fand Kim Chung-dong, Professor für Architekturgeschichte an der Mokwon Universität, heraus, dass der Steinsockel vergessen auf dem Gelände des Hotels Okura in Tokio lag. Dank Kims Bemühungen konnte der Sockel 1996 wieder nach Korea zurückgebracht werden. Die Steine hatten jedoch durch Jahrzehnte der Vernachlässigung starken Schaden genommen, so dass man sie für die Restaurierung des Jaseondang nicht verwenden konnte. Sie werden derzeit auf dem Palastgelände separat aufbewahrt. Winter 2010 | Koreana 19


Die Restaurierung des Heungnye-mun begann 1996 und endete 2001. Das Heungnye-mun ist das Zwischentor zwischen dem Haupttor Gwanghwa-mun und dem Tor Geunjeong-mun, dem Tor zur Thronhalle Geunjeong-jeon. Es führt also in den eigentlichen Palastbereich. 1915 wurden das Tor und einige Bauten in der Nähe für die oben erwähnte Ausstellung koreanischer Produkte entweder abgerissen oder verändert. 1916 rissen die Japaner dann das Tor und die umliegenden Korridore völlig ab, um Platz für das Hauptquartier des japanischen Generalgouverneurs zu schaffen. Das Heungnye-mun wurde 2001 in seiner ursprünglichen Form rekonstruiert. Im Rahmen dieser Arbeiten wurden aber nicht nur das Tor und die Korridore wiederaufgebaut, sondern auch der Bach, der durch den Palast fließt, die Brücke Yeongje-gyo, die darüber führt, und der Weg des Königs wurden wiederhergestellt, wodurch der Palast seinen alten Glanz zurückgewann. Im Zuge der Restaurierung des Gyeongbok-gung wurde 2001 auch das Geunjeong-jeon (Nationalschatz Nr. 233) wiederhergestellt. Das Geunjeong-jeon ist die Thronhalle und damit das bedeutendste Gebäude des Palastes. Hier wurden die wichtigsten Veranstaltungen des Reiches wie Krönungszeremonien, Audienzen für Verwaltungs- und Militärbeamte und Empfänge für ausländische Gesandten abgehalten. Das Geunjeong-jeon ist unter den traditionellen Bauwerken das größte zweistöckige Holzgebäude des Landes. Während der Zerlegungsarbeiten am Geunjeong-jeon im Dezember 2000 entdeckten die Mitarbeiter

des Amts für Kulturerbeverwaltung (Cultural Heritage Administration), dass die Säule in der südöstlichen Ecke im ersten Stockwerk an der Stelle, an der sie den Gratsparren stützte, sehr stark beschädigt war. Der Gratsparren, der von der Säule getragen werden muss, war nur noch durch ein Stück von drei bis vier Zentimetern mit ihr befestigt. Nach intensiver Untersuchung der beschädigten Stelle und entsprechenden Instandsetzungsarbeiten konnte die Restaurierung erfolgreich beendet werden. Hätte man diese Stelle übersehen, wäre die Säule vielleicht bald schon zusammengebrochen. Auch die Zone Taewon-jeon wurde zwischen 1997 und 2005 wiederhergestellt. In dieser Zone wurden insgesamt 25 Gebäude restauriert, darunter das Taewon-jeon, in dem ein Porträt von Taejo (reg. 1392-1398), des ersten Joseon-Königs, eingeschreint ist und Ahnenverehrungsriten abgehalten wurden. In dieser Zone im nordwestlichen Teil des Gyeongbok-gung waren in den Zeiten der Militärdiktatur Truppen untergebracht, die das Blaue Hause (Cheongwadae), den Sitz des koreanischen Präsidenten, schützten. Mit der Restaurierung wurden die Schutztruppen verlegt. Gleich neben dem Taewon-jeon befand sich der Geoncheonggung, der von 2004 bis 2007 restauriert wurde. Dieser Gebäudekomplex, in dem 1887 zum ersten Mal in Korea eine elektrische Glühlampe leuchtete, war ein symbolischer Ort für die Modernisierung Koreas, aber auch der Ort einer nationalen Tragödie: Hier wurde am 8. Oktober 1895 Königin Min, die

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unter dem posthum verliehenen Titel „Kaiserin Myeongseong“ bekannt ist, von den Japanern ermordet. Der Geoncheong-gung ist ein kleiner „Palast im Palast“, der 1873 von König Gojong errichtet wurde. Er hatte diesen Palast tief in der nördlichen Ecke des Gyeongbok-gung anlegen lassen, um seine politische Emanzipation von seinem Vater Heungseon Daewongun zu manifestieren. Nach dem Attentat auf Königin Min suchte König Gojong, der um sein Leben fürchtete, im Februar 1896 Zuflucht in der russischen Gesandtschaft. Seitdem stand der Geoncheong-gung leer und wurde schließlich 1908/1909 von den Japanern abgerissen. Auf dem Gelände des Geoncheong-gung errichteten die japanischen Kolonialherren ein Kunstmuseum. Die Räumlichkeiten wurden nach Koreas Befreiung als Ausstellungsort für traditionelle Handwerkskunst genutzt, bis sie 1998 schließlich niedergerissen wurden. Nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten im Jahr 2007 umfasst der Geoncheong-gung heute etwa zwanzig Gebäude, darunter Jangandang, die Schlafgemächer Kaiser Gojongs, Gonnyeonghap, die Schlafgemächer von Kaiserin Myeongseong, und den Anbau Boksudang. Besonders auffällig am neu errichteten Geoncheong-gung ist, dass der sonst für Palastbauten übliche Dancheong-Dekor, der in leuchtend-kräftigen Farben gehaltene dekorative Anstrich der hölzernen Bauteile, fehlt. Die Gebäude sind vielmehr im schlichten Stil der Häuser der Joseon-Literati gehalten. Zimmermannmeister Shin Eung-soo, Träger des Titels Immaterielles Kulturgut und Leiter der Restaurierungsarbeiten,

erklärt, dass, „während alle anderen Palastgebäude in der Pracht des Dancheong-Dekors erstrahlen, allein der Geoncheong-gung in seiner Naturbelassenheit einen schlichten und reinen Eindruck macht“. Außerdem wurde laut Shin bei der Wiederherstellung des Palastes „besonders darauf geachtet, die natürliche Holzmaserung zur Geltung kommen zu lassen“. Die Restaurierung des Gwanghwa-mun Die letzte Aufgabe dieser ersten Phase der Restaurierung des Gyeongbok-gung war die Wiederherstellung des Haupttors Gwanghwa-mun. Die Wiederherstellungsarbeiten in dieser Zone erfolgten von 2001 bis 2010. Da es sich um die Rekonstruktion des Haupttors handelte, zog das Projekt entsprechend große Aufmerksamkeit auf sich. Das Gwanghwa-mun wurde 1865 errichtet. Doch unter der japanischen Kolonialherrschaft stand das Tor unter keinem guten Stern. Wie bereits erläutert, musste es zunächst seinen Platz räumen, um den Blick für das Hauptverwaltungsgebäude der japanischen Kolonialherren frei zu machen, was jedoch nur der Anfang war. Im Koreakrieg (1950-1953) brannte der hölzerne Aufbau über dem Steinsockel nieder. 1968 wurde das Tor zwar wiederhergestellt, aber es befand sich immer noch 14,5 Meter hinter seinem ursprünglichen Standort und war 3,5 Grad in östliche Richtung von der Mittelachse des Palastes ausgerichtet. Außerdem hatte man den ursprünglich hölzernen Aufbau über dem Steinsockel aus Beton gefertigt, so dass das restaurierte Tor

1 Der Geoncheong-gung, ein Palast im Palast, wurde kurz vor dem Untergang des Joseons-Reichs im Auftrag von Kaiser Gojong gebaut und von ihm bewohnt. Im Gegensatz zu den anderen Palastgebäuden ist die Fassade naturbelassen und nicht bemalt.

2 Innenansicht des Gyotae-jeon, der Privatgemächer der Königin

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1 Der Dong-gung (Östlicher Palast), der sich im Innenbereich des Palast-Komplexes befindet, diente als Residenz für den Kronprinzen und seine Gemahlin.

2 Nach der Restaurierung des Tores Gwanghwa-mun wird in Anschluss an umfangreiche Forschungen über Ablauf und Gewänder jetzt eine noch authentischere Wachablösungszeremonie aufgeführt.

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an Authenzität verlor. Es war ganz offensichtlich ein Fehler, den zweistöckigen Aufbau aus Beton zu fertigen, auch wenn die fehlerhafte Ausrichtung des Tors zur Mittelachse damals unvermeidlich war. Die Japaner hatten das Zwischentor Heungnye-mun abgerissen und an dieser Stelle ihre Hauptverwaltung errichtet, wobei sie das Gebäude absichtlich 3,5 Grad abweichend von der Mittelachse des Palastes bauten. Der Gyeongbok-gung war genau zum Berg Gwanak-san ausgerichtet, aber das japanische Hauptquartier sollte auf den Shinto-Schrein blicken, den die Japaner auf dem Berg Nam-san gebaut hatten. Deshalb konnte man bei der Restaurierung das Tor zwar wieder an seinem ursprünglichen Standort errichten, aber es war unmöglich, es 3,5 Grad nach Westen zu drehen, da es sonst nicht parallel zum Hauptquartiersgebäude gestanden hätte, das damals als Hauptverwaltungsamt verwendet wurde. 2001 begann man damit, das Tor in korrekter Ausrichtung an der ursprünglichen Stelle und mit Holzaufbau wiederherzustellen. In Zusammenhang damit entbrannten heftige Auseinandersetzungen über die Schrifttafel des Tores. Die damalige Tafel war 1968 von Präsident Park Chung Hee höchstpersönlich im koreanischen Alphabet Hangeul beschriftet worden. Es wurde kritisiert, dass hinter dem Plan, die Tafel zu ersetzen, die politische Absicht stünde, alle Erinnerungen an Präsident Park, der das Land nach dem Krieg zwar wirtschaftlich vorangebracht, aber mit eiserner Faust regiert hatte, auszulöschen. Inmitten dieser Kontroversen beschloss das Amt für Kulturerbeverwaltung unter Berufung auf die Empfehlungen von Experten, in Orientierung an der Tafel aus dem Jahr 1865 eine neue Tafel mit chinesischen Schriftzeichen anfertigen zu lassen. Das führte zu einer weiteren Debatte, dieses Mal um die Frage, wer mit der Kalligraphie beauftragt werden sollte. Es wurden verschiedene Meinungen eingeholt und von Experten bewertet. Unterdessen wurden die Glasnegative einer Aufnahme der Tafel von 1865 gefunden. Die Kalligraphie stammte von Im Tae-yeong, einem 22 Koreana | Winter 2010

Offizier, der das Restaurierungsprojekt von 1865 in leitender Position beaufsichtigt hatte. Letztendlich wurden die Schriftzeichen auf dem Glasnegativ digital rekonstruiert und originalgetreu auf der neuen Tafel reproduziert. Die Kalligraphie weist einen feinen und gleichzeitig freizügig fließenden Stil auf, der für eine Palasttafel typisch ist. Die Schriftzeichen wurden von Graviermeister Oh Ok-jin auf eine Holzplatte eingraviert. Im Rahmen des Restaurierungsprojektes wurde nicht nur das Gwanghwa-mun wiederhergestellt, sondern auch verschiedene Elemente in der Umgebung wie z.B. der Weg des Königs, der vom Haupttor zum Zwischentor Heungnye-mun führt, und zum Teil auch die Steinplattform vor dem Gwanghwa-mun, was die Pracht des Haupttors noch erhöht. Und im November 2010 wurde die Palastmauer wieder mit dem südöstlichen Wachturm Dongsipjagak verbunden. In der ersten Phase der Restaurierung des Gyeongbok-gung wurden rund 14.580 Kubikmeter Holz und 1,5 Millionen Dachziegel verwendet. Außerdem kamen auch alle Techniken der traditionellen Holzarchitektur zur Anwendung. An der Restaurierung nahmen die jeweiligen Meister ihres Fachs, Träger der Auszeichnung Immaterielles Kulturgut, teil wie Shin Eung-soo, Zimmermannmeister und Gesamtprojektleiter, Metallkunsthandwerker Bak Mun-yeol, Graviermeister Oh Okjin, der die Tortafel herstellte, Steinmetzmeister Im Dong-jo, Dancheong-Maler Yang Yong-ho, Dachdeckermeister Kim Jiseung und Tischlermeister Kim Sun-gi. Die Restaurierung war ein Projekt der Zusammenarbeit, das alle Bereiche und Techniken der traditionellen Architektur umfasste. Diese erste Phase des Wiederherstellungsprojektes, in dessen Rahmen 89 Gebäude rekonstruiert wurden, hat dem Palast sein ursprüngliches Bild noch nicht vollständig zurückgegeben. Der Gyeongbok-gung umfasst nun zwar insgesamt 125 Gebäude, das sind aber nur 25 Prozent der ursprünglich 500 zum Zeitpunkt des großen Wiederaufbaus im Jahre 1867. Diese Zahlen belegen, wie viele Gebäude die Japaner zerstört und welchen


Schaden sie angerichtet haben. Das Amt für Kulturerbeverwaltung wird von 2011 bis 2030 die zweite Phase der Restaurierung des Gyeongbok-gung anführen. Geplant ist die Wiederherstellung von weiteren 253 Bauten. Damit wird die Gesamtzahl der Gebäude 378 oder 76 Prozent des Stands von 1867 erreichen. Bak Yeong-geun, Leiter der Abteilung zur Förderung des Kulturerbes im Amt für Kulturerbeverwaltung, erklärt, dass in der ersten Phase der Restaurierung sozusagen das Knochengerüst des Gyeongbok-gung wiederhergestellt wurde, in der zweiten Phase solle das Fleisch hinzugefügt werden. Der Höhepunkt der ersten Phase der Restaurierung des Palastes Gyeongbok-gung war die Wiederherstellung des Tores Gwanghwa-mun. Das neu gefertigte Haupttor ist prachtvoll und elegant. Die Dachtraufe weist durch den sanften Schwung ihrer Linienführung eine besondere Eleganz auf, die an einen

fliegenden Vogel erinnert. Die drei Bogentore im Steinsockel (Hongye-mun: Regenbogen-Tor) ziehen ebenfalls den Blick auf sich. Durch diese Torbögen sind nämlich das Zwischentor Heungnye-mun und der Berg Bugak-san zu sehen. Durch die Restaurierung gewinnt der Gyeongbok-gung seine ursprüngliche Gestalt zurück. Der Gyeongbok-gung birgt die Essenz der traditionellen koreanischen Architektur und ist als solches der Stolz der Kultur Koreas. Deshalb ist die Restaurierung des Palastes mehr als eine bloße Wiederherstellung und Rekonstruktion von Bauten. Es ist ein Projekt zur Weiterführung der rund 600 Jahre alten Traditionen des Joseon-Reiches und zur Wiederbelebung des nationalen sowie kulturellen Selbstbewusstseins, das unter der japanischen Kolonialherrschaft stark gelitten hat. Es ist Kraft und Inspiration für die kommenden 600 Jahre.

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Gesamtprojektleiter: Zimmermannmeister Shin Eung-soo Shin Eung-soo, der Ende fünfzig war, als er mit der Gesamtleitung des Projekts zur Restaurierung des Gyeongbok-gung betraut wurde, ist heute, am Schluss der ersten Phase, fast siebzig Jahre alt. Shin, ein Augenzeuge der Geschichte der Restaurierung koreanischer Paläste, betont, dass die Restaurierung des Gyeongbok-gung eine Rekonstruktion der Geschichte Koreas sei. Jung Chung-sin Leiter der Abteilung für Kultur, Tageszeitung Munhwa Daily Newspaper | Fotos: Yi Gyeom, Ahn Hong-beom

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nlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft wurde am 15. August 2010 in einem Festakt im Beisein wichtiger Persönlichkeiten aus Regierung, Politik und Kultur wie Präsident Lee Myung-bak und dem Seouler Oberbürgermeister Oh Se-hoon die neue Tafel des Gwanghwa-mun, des Südtors und gleichzeitig Haupttors des Palastes Gyeongbok-gung, angebracht. Es war ein historisches Ereignis, da das Gwanghwa-mun, das 1865 von Heungseon Daewongun, dem Vater des damaligen Königs Gojong, errichtete Tor, das mit seinem charakteristischen Holzaufbau das Aushängeschild der Stadt Seoul ist, seine ursprüngliche Gestalt zurückgewonnen hat. Die Zeremonie war auch Höhepunkt und feierlicher Abschluss der ersten Phase des Restaurierungsprojekts des Gyeongbok-gung, das vor rund 19 Jahren und zwei Monaten, genau um 10:30 Uhr am 10. Juni 1991, mit dem ersten Spatenstich vor der Thronhalle Geunjeong-jeon, dem größten erhaltenen traditionellen Holzbauwerk Koreas und Ort der Krönungszeremonien, seinen Anfang genommen hatte. Auf der Suche nach dem besten Kiefernholz Zimmermannmeister Shin Eung-soo (68), der die erste Phase des historischen Projekts zur Wiederherstellung des Palastes Gyeongbok-gung erfolgreich zum Abschluss gebracht hatte, stieg vor der Zeremonie zur Einweihung der Tafel auf den Wachturm des Tors. Durch dessen Öffnungen waren mit dem Berg Bugak-san im Hintergrund das Zwischentor Heungnyemun sowie die Reihen der Palastgebäude wie das Geunjeongjeon, die Shin im Schweiße seines Angesichts wiederhergestellt hatte, zu sehen. In den vergangenen rund zwanzig Jahren war er voll und ganz davon in Anspruch genommen gewesen, das perfekte Kiefernholz für die Hauptquerbalken zu finden. Er lebte praktisch im Taebaek-Gebirge und konnte sich kaum um seine Familie kümmern. Natürlich ging es nicht nur um den „Kampf um das ideale Holz“. Wegen seines Ehrgeizes, einen 24 Koreana | Winter 2010

Palast zu bauen, der auch tausend Jahre zu überdauern vermag, und seines Perfektionismus kam es auch öfters zu Auseinandersetzungen mit seinen Mitarbeitern. Ein Dokumentarfilm der britischen Rundfunkanstalt BBC verfolgte den gesamten Restaurierungsprozess des Gwanghwamun mit der Kamera, was auch bedeutete, Projektleiter Shin Eung-soo in die tiefsten Wälder von Yangyang und Taebaek in der Provinz Gangwon-do zu folgen, wo er die Kiefern für das Bauholz aussuchte. Die Leidenschaft der Kameraleute, die vor dem gefährlichen Bergterrain, das selbst für erfahrene Waldarbeiter eine Herausforderung darstellt, nicht zurückschreckten, beeindruckte alle am Restaurierungsprojekt Beteiligten. Es heißt, dass im Hintergrund der BBC-Dokumentation das große Interesse von Prinz Charles am traditionellen Kulturerbe der verschiedenen Länder steht. In Zusammenhang mit dem Interesse der ausländischen Medien lässt sich auch noch erwähnen, dass neben der BBC auch wichtige japanische Sender wie NHK sich für das Gyeongbokgung-Restaurierungsprojekt interessierten und die erste Projektphase vom ersten Spatenstich im Jahr 1991 an verfolgten. Korea hat Ende der 1970er Jahre ernsthaft damit begonnen, Projekte zur Restaurierung des traditionellen Kulturerbes auf den Weg zu bringen. Als die Projekte zur Wiederherstellung historischer Bauten – vor allem Königspaläste, Stadt- und Festungsmauern, aber auch Tempel und traditionelle Häuser – langsam an Fahrt gewannen, kristallisierte sich dabei im Laufe der letzten rund vierzig Jahre auch die wichtige Rolle von Zimmermannmeister Shin Eung-soo heraus. Die Geschichte der Restaurierung Zimmermannmeister Shin Eung-soo, der 1991 mit dem Titel Immaterielles Kulturgut Nr. 74 ausgezeichnet wurde, gilt als repräsentativster, auf die traditionelle koreanische Holzarchitektur spezialisierter Zimmermann. Seine große Hingabe und


Zimmermannmeister Shin Eung-soo hat sich rund 35 Jahre seines Berufslebens der Restaurierung der koreanischen Paläste und traditionellen Holzgebäude gewidmet.

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„Mit dem Erfolg der TV-Serie Dae Jang Geum gibt es viele Besucher, die fragen, wo sich denn die Hofküche Sojubang befindet. Sie interessieren sich auch für das Alltagsleben im Palast und fragen z.B. neugierig, wie die Toiletten früher aussahen. Dieses Interesse sollte man bei der Restaurierung unbedingt berücksichtigen.“

Beständigkeit in Bezug auf die traditionelle Kultur, die damit verbundene Hartnäckigkeit, nur das perfekteste aller Hölzer von einheimischen Kieferbäumen zu verwenden, und seinen Perfektionismus hat er von seinen Lehrmeistern, den HofZimmermännern, geerbt. Shin ist ein typischer Self-made-man, der sich durch seine Aufrichtigkeit und seinen Handwerksmeistergeist hochgearbeitet hat. Er wurde in Cheongwon-gun in der Provinz Chungcheongbuk-do geboren und musste wegen der Armut der Familie auf ein Studium verzichten. Mit siebzehn Jahren zog er nach Seoul, wo er unter einem älteren Vetter, einem Zimmermann für traditionelle koreanische Häuser, arbeitete. Shins Lebensweg erfuhr eine radikale Wende, als er bei den Arbeiten zur Errichtung der Halle Yongam-sa des Tempels Bongwon-sa, des Haupttempels des buddhistischen koreanischen Taego-Ordens im Seouler Stadtteil Sinchon, auf Lee Gwanggyu, einen auf die traditionelle Palastarchitektur spezialisierten Zimmermann, traf, der ihn als Lehrling annahm. Meister Lee war ein Perfektionist und ein strenger Lehrer. Meister und Lehrling arbeiteten dann gemeinsam am Bau der Villa Hoamjang in Yongin, Provinz Gyeonggi-do, der Privatresidenz von Lee Byeong-cheol, des verstorbenen Gründers des Konzerns Samsung. Einen zweiten Wendepunkt in seiner Karriere brachte der Kontakt mit Cho Won-jae, dem Lehrer seines Lehrers Lee, mit dem zusammen er an der Restauration des Sungnye-mun, des auch als „Namdae-mun“ (Südtor) bekannten Nationalschatzes Nr. 1, arbeitete. In der Folgezeit übernahm Shin bei vielen Restaurierungsprojekten die Leitung: Erwähnt seien die Residenz

des Premierministers in Samcheong-dong, das Korea House in Pil-dong, der Teich Anapji in Gyeongju, die Josajeon-Halle des Tempels Guin-sa (Stammsitz des buddhistischen CheontaeOrdens) in Danyang in der Provinz Chungcheongbuk-do sowie die Halle Geungnak-jeon des Tempels Muryang-sa in Buyeo, Provinz Chungcheongnam-do. Shin renovierte auch eine Reihe von Gebäuden im traditionellen Stil: die Villa Seungjiwon des Samsung-Gründers Lee Byeong-cheol im Seouler Stadtteil Itaewon, Yongsan-gu, und die Halle Sangchunjae für den Empfang von Gästen und Sitzungen im Blauen Haus (Cheongwadae). Wichtige Gebäude der Paläste Changgyeong-gung und Changdeok-gung und viele wertvolle Bauten des architektonischen Kulturerbes wurden ebenfalls von Shin wiederhergestellt. Zudem wurden auch Hangnokjeongsa in Uiseong, Provinz Gyeongsangbuk-do, das ursprünglich im Jahr 1750 als Bildungsstätte gebaut worden war, und Simwonjeongsa, das im tradtionellen Stil neu gebaute Haus im Clan-Dorf Hahoe in Andong (Hahoe wurde 2010 von der UNESCO zum Welterbe ernannt.), sowie Damyeonjae in Hahoe, das alte Haus eines Staatsbeamten aus der JoseonZeit, das die britische Königin Elizabeth II besuchte, von Shins Hand gebaut bzw. restauriert. „Während der zwanzig Jahre der Restaurierung des Gyeongbok-gung habe ich die schwierigsten Zeiten meines 53-jährigen Berufslebens als Zimmermann erlebt“, berichtet Shin. „Dank der großen Liebe und der Beharrlichkeit in Bezug auf die Paläste und die traditionelle Architektur, die mir meine Lehrer eingeflößt hatten, konnte ich aus jedem Kräftemessen, das sich im Zuge der Restaurierung des Gyeongbok-gung ergab, erfolgreich

1 Shin Eung-soo hat die letzten 35 Jahre über praktisch in den verschiedenen Palästen des Joseon-Reichs gelebt, was ihn zu einem herausragenden Experten des Palastbaus und der Palastarchitektur macht.

2 Während der Restaurierungsarbeiten war das Tor Gwanghwa-mun mit einer Schutzkonstruktion und einer Fassade verkleidet. 26 Koreana | Winter 2010

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hervorgehen. Für einen Hof-Zimmermann ist das Ringen mit dem Holz sehr wichtig. Da ich aber im Laufe meines Lebens auch im Kampf mit dem Holz gesiegt habe, konnte ich das Restaurierungsprojekt ohne größere Probleme bis zum jetzigen Stand bringen.“ Shin betont, dass die Restaurierung des Gyeongbok-gung der Rekonstruktion der koreanischen Geschichte gleichkommt. „Als das alte Hauptverwaltungsgebäude aus der Kolonialzeit abgerissen wurde, gab es starke Gegenstimmen. Aber jetzt, am Ende der ersten Phase der Restaurierung, bin ich der Meinung, dass der damalige Präsident Kim Yeong-sam die richtige Entscheidung getroffen hat. Er gab die Entscheidung bekannt, als wir gerade an den königlichen Privatgemächern Gangnyeongjeon und Gyotae-jeon arbeiteten. Unmittelbar nach der Bekanntgabe strömten Scharen von japanischen Touristen herbei. Es war wirklich erstaunlich, dass so viele Schüler und Studenten aus Japan vor dem Kolonialbau Schlange standen, um ein Erinnerungsfoto zu schießen. Grund dafür war wahrscheinlich das Bedauern, dass das Symbol der japanischen Kolonialherrschaft endgültig verschwinden sollte, und eine Art Nostalgie. Denkt man an den Nationalstolz der Koreaner, dann kann die Entscheidung, den Bau abzureißen, nur als weise bezeichnet werden.“ Shin war seit der Wiederherstellung des Changgyeong-gung im Jahr 1985 als Hof-Zimmermann tätig, d.h. er hat 35 Jahre lang „ein Leben im Palast“ geführt. In den rund dreißig Jahren, die er als leitender Zimmermann in den Joseon-Palästen ver-

brachte – neben dem Gyeongbok-gung auch im Deoksu-gung, Changdeok-gung und Changgyeong-gung – lernte er die Paläste wie seine Hosentasche kennen. Etwas schüchtern gesteht er, dass die Arbeit im Palast manchmal sehr schwierig war und er das Gefühl hatte, einen dicken Querbalken auf den Schultern zu tragen. „Im Zentrum der tragischen Geschichte Koreas stand der Gyeongbok-gung. Die meisten Paläste wurden während der japanischen Invasion von 1592 niedergebrannt, aber der Gyeongbok-gung blieb lange in Trümmern liegen, bis ihn Heungseon Daewongun 1865 im Rahmen eines umfassenden Restaurierungsprojekts im Laufe von nur wenigen Jahren in seiner Originalform wiederaufbauen ließ. Dann wurden jedoch an die 200 Palastgebäude von den Japanern abgerissen, so dass neben dem Gyeonghoeru und Geunjeong-jeon nur noch eine Handvoll Bauten übrig blieben. Es reichte den Japanern aber nicht, direkt vor dem Geunjeong-jeon ihre Hauptverwaltung hochzuziehen, sie haben auch vor dem Raub von Kulturgütern nicht zurückgeschreckt und haben Einzelteile der Palastgebäude an Privatpersonen verschachert oder besonders wertvolle Artefakte nach Japan mitgenommen.“ Das Amt für Kulturerbeverwaltung (Cultural Heritage Administration) wird 2011 mit der zweiten Phase der Restaurierung beginnen, die bis 2030 dauern soll und einen Etat von etwa 350 Millionen Euro beansprucht. „Ich persönlich interessiere mich für die Restaurierung der Palastküche Sojubang, die durch die TV-Serie Dae Jang Geum , Winter 2010 | Koreana 27


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die stark zur Korea-Welle Hallyu beigetragen hat, bekannt wurde. Die Ausgrabungsarbeiten sind bereits erledigt und es gibt sogar schon Baupläne, aber die Restaurierung wurde erst einmal auf Eis gelegt. Mit dem Erfolg der TV-Serie Dae Jang Geum gibt es viele Besucher, die fragen, wo sich denn die Hofküche Sojubang befindet. Sie interessieren sich auch für das Alltagsleben im Palast und fragen z.B. neugierig, wie die Toiletten früher aussahen. Dieses Interesse sollte man bei der Restaurierung unbedingt berücksichtigen.“ Laut Shin ist von allen Gebäuden des Gyeongbok-gung, die restauriert wurden, das Gwanghwa-mun das ästhetisch und architektonisch herausragendste Bauwerk. „Von allen Bauten, an denen ich gearbeitet habe, ist das Gwanghwamun-Tor das schönste Bauwerk. Das Gangnyeong-jeon und Gyotae-jeon sind zwar größer, aber nicht so prachtvoll, da sie als Privatgemächer des Königspaares dienten. Die Dachtraufen sind sanft geschwungen und wirken sehr ästhetisch, aber die Gebäude können es in punkto Pracht und Erhabenheit nicht mit dem Gwanghwa-mun aufnehmen.“ Zimmermannmeister Shin erzählt erleichtert: „Der Innenraum des ersten Stockwerks des Wehrgangs des Gwanghwa-mun wurde nach einer fotografischen Vorlage originalgetreu rekonstruiert. Aber später stellte sich heraus, dass es sich um ein Foto des Tors Heunginji-mun (Schatz Nr. 1, auch „Dongdae-mun (Osttor)“ genannt) handelte. Die echten innenarchitektoni28 Koreana | Winter 2010

schen Muster wurden erst später in der Bilddokumentation: Das Kulturerbe Joseons , die von der japanischen Kolonialregierung herausgegeben worden war, entdeckt. Zum Glück wurde man noch rechtzeitig auf den Fehler aufmerksam und konnte ihn korrigieren. Aber fast wäre uns ein wirklich schwerwiegender Fehler unterlaufen.“ Die Dachtraufe des Gwanghwamun, die laut den Unterlagen japanischer Wissenschaftler aus der Kolonialzeit lediglich 15 Zentimeter dick war, wurde Shins Meinung entsprechend auf 21 Zentimeter Dicke erweitert. Dank der Bemühungen Shins weist das Gwanghwa-mun heute eine dickere und stärker nach oben gezogenene Dachtraufe auf, was dem Tor einen würdigeren und prachtvolleren Ausdruck verleiht. Respekt vor Bäumen Im Leben eines Zimmermanns dreht sich alles ums Holz. Sie ziehen Bäume groß, fällen sie und bringen das Holz mit dem Hobel in Form. Shin schwört auf das perfekte Holz der einheimischen Kiefer, für das er die Berge des ganzen Landes absucht. Ich habe ihn nach seiner „Holz-Philosophie“ gefragt. „Bevor man einen Baum fällt oder den Hobel ansetzt, sollte man erst drei Mal gut überlegen. Man muss nämlich genau wissen, ob ein bestimmter Baum mit seiner spezifischen Krümmung oder Dicke von Stamm und Ästen sich auch für den gedachten Zweck eignet, oder ob man den Baum nicht lieber


1 Nach dem Tode eines Königs oder einer Königin von Joseon wurde der Leichnam bis zu seiner Bestattung im Schrein Taewon-jeon aufbewahrt.

2 Die hölzernen Stützsäulen des Korridorgangs des Geunjeong-mun 3 Nogeumjeong, ein Beispiel für die traditionelle Architektur Koreas, auf dem Gelände des Korea House, eines beliebten traditionellen Restaurants in Seoul

noch wachsen lassen soll, um später das Holz als Querbalken zu nutzen. Ein Baum wird jährlich lediglich ein bis zwei Millimeter dicker, und wenn der Zimmermann die falsche Entscheidung trifft, kann er mit einem einzigen Hobelzug Jahre des mühsamen Wachstums unwiderbringlich zunichte machen. Es gibt Politiker, die ihren Gegnern das Messer ins Herz rammen, aber das Gesagte dann zurücknehmen, sobald sich das Blatt für sie wendet. Wenn die Menschen so bedachtsam mit Worten umgehen würden, wie ein Zimmermann mit Holz umgeht, dann würden sie einander weniger verletzen.“ Shin fügt noch hinzu: „Da ich ja ständig im Gebirge auf der Suche nach Holz bin, senkt sich mein Kopf automatisch, wenn ich unter den Bäumen hindurchlaufe. Einen alten Baum zu fällen, lastet mir immer schwer auf dem Herzen. Man sollte einen Baum wie sein eigenes Fleisch behandeln.“ Deshalb hält er vor dem Fällen eines alten Baumes ein spezielles Ritual ab. „Zuerst bringe ich ein Opfer dar und spreche ein Gebet, um den Geist des Baumes zu trösten. Danach hebe ich meine Axt und verkünde drei Mal ‚Das ist ein Befehl des Königs!‘ Erst dann setze ich die Axt an. Bei jedem Ausruf ‚Das ist ein Befehl des Königs!‘ schaue ich zur Spitze des Baumes auf. Wenn man im geistigen Kampf mit dem Baum unterliegt, kann es später bei den Bauarbeiten zu Unfällen kommen. Ich fühle mich nicht wohl dabei, einen mehrere hundert Jahre alten Baum zu fällen. Der Oberpriester eines buddhistischen Tempels, für den ich einen Anbau gebaut habe, hat mich das Schutzritual gelehrt. Denn auch ein Baum ist ein Lebewesen, dem man Respekt erweisen muss, wodurch man Unfälle vermeiden kann. Das Fällen der Bäume ist ja schließlich für einen Hof-Zimmermann wie mich tatsächlich eine Arbeit, die auf Befehl des Königs erledigt wird.“ Shin sagt: „Vielleicht ist es tatsächlich dem Königsbefehl-Ritual zu verdanken, dass bei den Restaurierungsarbeiten der Paläste einschließlich des Gyeongbok-gung kein größerer Unfall passiert ist, und zwar bis zur Fertigstellung des GwanghwamunTors. Dafür bin ich sehr dankbar. Und ich bin stolz darauf, dass ich zwanzig Jahre lang Holz geliefert und Holzarbeiten ausgeführt habe, ohne dass je etwas passiert ist, weder im Gebirge, noch auf den Baustellen wie z.B. bei den gefährlichen Dacharbeiten.“ Im Moment beaufsichtigt Shin die Restaurierungsarbeiten

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des Tores Sungnye-mun, das 2008 einer Brandstiftung zum Opfer fiel, und den Bau eines im traditionellen Stil gehaltenen Nebengebäudes des Parlaments im Seouler Stadtteil Yeouido. Das Holz für die Restaurierung des Sungnye-mun wird am Gwanghwa-mun getrocknet. Die Wiederherstellung des Holzaufbaus des Sungnye-mun wurde im September 2010 begonnen und soll laut Plan Ende 2012 abgeschlossen werden. Shin fügt abschließend hinzu: „Das Nebengebäude des Parlaments wird noch Ende 2010 fertig werden und in Zukunft als Sehenswürdigkeit dienen, die z.B. ausländischen Politikern einen Eindruck von der traditionellen koreanischen Baukunst vermittelt.“ Winter 2010 | Koreana 29


Eine Tour durch den Palast Gyeongbok-gung Wenn man den Gwanghwamun Plaza mit den Statuen von Admiral Yi Sun-sin und König Sejong hinter sich lässt und durch das Tor Gwanghwa-mun den Palast Gyeongbok-gung betritt, vergisst man sofort, dass man sich kurz zuvor noch im Hochhauswald der Innenstadt befunden hat. Jetzt beginnt die Reise zurück in die Zeit des Königreiches Joseon. Charles La Shure Professor, Graduate School of Interpretation and Translation, Hankuk University of Foreign Studies Fotos: Suh Heun-gang, Ahn Hong-beom

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nsere Tour beginnt am südlichen Ende des Gwanghwamun Plaza, wo sich die großen Innenstadtstraßen Sejongno und Jongno kreuzen. Es gibt auch schnellere Wege zum Palast: So führt z.B. Ausgang Nr. 5 der orangefarbenen Seouler U-Bahnlinie 3 direkt zum Palastgelände und der Seoul City Tour Bus hält vor dem Eingang. Aber wir wollen uns zunächst etwas die Stadtlandschaft um den Palast ansehen. Der Gwanghwamun Plaza: Zugangsweg zum Palast Am südlichen Ende des Gwanghwamun Plaza erhebt sich die Statue von Admiral Yi Sun-sin über einem Meer von Wasserfontänen. Admiral Yi, einer der großen Seehelden des Landes, verteidigte das Königreich Joseon Ende des 16. Jhdts. gegen die Angriffe der japanischen Kriegsflotte. Hinter der Statue befindet sich der Eingang zum Haechi Madang, einem unterirdischem Platz, der zur U-Bahn führt. Hier kommt man heraus, wenn man an der U-Bahnstation Gwanghwamun aus der violetten U-Bahnlinie 5 steigt. Im Haechi Madang befindet sich der Sejong Belt, ein integriertes Ticketing-Infocenter. Hier kann man Eintrittskarten für an die 30 verschiedene Konzerthallen, Kunstmuseen und Museen in der Nähe kaufen, darunter für das Nationale Palastmuseum (National Palace Museum of Korea) und das Nationale Folkloremuseum (National Folk Museum), die sich beide auf dem Gelände des Palastes Gyeongbok-gung befinden. Auf unserem Weg in Richtung Norden treffen wir auf eine der kulturellen Größen des Landes: König Sejong. Der König, der durch den Beinamen „der Große“ geehrt wird, sitzt würdevoll-gelassen auf seinem Thron, ein offenes Buch in der Hand, das Hunminjeongeum (Korrek30 Koreana | Winter 2010

te Laute zur Unterweisung des Volkes ). Das darin erläuterte Schriftsystem stellt die Grundlage für das moderne koreanische Alphabet Hangeul dar. Vor der Statue befindet sich eine Steinplatte, in die die Einleitung des Hunminjeongeum zusammen mit einer modernen Übersetzung eingraviert ist. In der Nähe sind eine Reihe anderer wichtiger koreanischer Erfindungen zu sehen wie eine halbkugelförmige Sonnenuhr, ein Niederschlagsmesser und eine astronomische Globenuhr. Weiter geht es nach Norden, vorbei an Blumenbeeten, bis zum Ende des Plaza. Auf der anderen Straßenseite erhebt sich das Tor Gwanghwa-mun, das imposante Hauptportal des Palasts. In das steinerne Fundament sind drei gewölbte Eingänge eingelassen, darüber führt ein doppelstöckiger Wehrgang. Das Tor wird rechts und links von zwei steinernen Haetae flankiert, einem mythischen, löwenartigen Wesen mit einem Horn auf der Stirn. Die Haetae sehen recht furchteinflößend aus, aber sie stellen für uns keine Bedrohung dar, denn ihre Aufgabe ist es, gegen Feuer zu schützen, den größten Feind der aus Holz konstruierten Palastgebäude Koreas.

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Der Äußere Palastbereich: Zentrum der Macht Nachdem wir das Palastgelände durch das Hauptportal betreten haben, finden wir uns in einem großen Vorhof wieder, durch den ein Steinplattenweg direkt zum Heungnye-mun, einem Verbindungstor zwischen Vorhof und dem eigentlichen Palastgelände, führt. Nach den dunklen Bogentoren des Gwanghwa-mun hat man beim Betreten des offenen, weitläufigen Vorhofs den Eindruck, dass sich am Ende eines dichten Waldpfades plötzlich eine herrliche Lichtung vor einem auftut und man kann gar nicht anders, als für einen


1 Rang-Markiersteine vor der Thronhalle Geunjeong-jeon zeigten an, wo sich die einzelnen Hofbeamten je nach ihrem Status bei königlichen Audienzen zu positionieren hatten.

2 Im Herzen des Seouler Innenstadt führt das Tor Gwanghwa-mun auf eine Reise zurück in Winter 2010 | Koreana 31 die längst vergangene Joseon-Zeit.

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Moment innezuhalten und die Szene auf sich wirken zu lassen. Obwohl das Verbindungstor Heungnye-mun kleiner als das Gwanghwa-mun ist, lassen der leere Raum des Vorhofes und die sich im Hintergrund erstreckenden Gipfel des Berges Bugak-san das kleinere Tor nicht weniger beeindruckend erscheinen. Als wir uns dem Heungnye-mun nähern, erblicken wir in der Ferne Farbtupfer: leuchtendes Rot, Blau und Gelb. Diese Farbtupfer entpuppen sich aus der Nähe schließlich als Palastwächter, die das Tor mit Bannern und Gleven bewachen. Wie es bei allen Ehrengarden der Welt der Fall ist, ist es heute zwar nicht mehr die Aufgabe der Wächter, die Menschen vor den Toren des Palastes zu halten, aber sie behaupten trotzdem fest ihre Stellung, egal, was für seltsame moderne Vorrichtungen die Besucher auch auf sie richten mögen. Hinter dem Tor Heungnye-mun erstreckt sich das eigentliche

Palastgelände. Rechter Hand befinden sich die Eintrittskartenschalter: Für nur 3.000 Won (rund 2,50 Euro) kann man den Palast nach Lust und Laune erkunden (Eintrittspreis für Kinder und Jugendliche von 7-18 Jahre: 1.500 Won; unter 7 Jahren: Eintritt frei). An den Kartenschaltern starten auch die einstündigen Palastführungen. Englischsprachige Führungen werden täglich um 11.00, 13.30 und 15.30 Uhr angeboten. Es gibt auch Führungen auf Japanisch und Chinesisch. Das erste, was uns auffällt, ist, dass aus dem einen Steinplattenweg jetzt drei geworden sind: rechts und links zwei etwas niedriger gelegene Wege für die Vasallen und in der Mitte ein erhöhter Weg für den König. Während wir uns weiter nordwärts bewegen, kommen wir zu einem schmalen Wasserlauf, dem Geum-cheon. Solche Wasserläufe finden sich überall in koreanischen Tempelanlagen, da sie den Übergang von der

Der so genannte Weg des Königs in der Mitte wird rechts und links von Rang-Markiersteinen gesäumt, die anzeigen, wo sich die Hofbeamten je nach ihrem Rang bei den morgendlichen Audienzen mit dem König aufzustellen hatten. Je höher der Rang, desto näher stand der jeweilige Beamte an der Thronhalle. Es gehört zu den beliebtetesten Vergnügungen der Besucher, sich neben den RangMarkiersteinen für die höchsten Hofbeamten fotografieren zu lassen.

1 Am Eingang zum Palast-Komplex sind immer viele ausländische und koreanische Besucher zu sehen, die die Palastgebäude und das Gelände besichtigen möchten.

2 Das Denkmal von König Sejong dem Großen mit dem Tor Gwanghwa-mun im Hintergrund

3 Am Tor Heungnye-mun wurde die 10. Ausstellung der Werke der Handwerksmeister des koreanischen Kulturerbes (The 10th Korea Cultural Properties Craftsman’s Exhibition) abgehalten.

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säkularen in die sakrale Welt symbolisieren. Auch in den koreanischen Palastanlagen dienen Wasserläufe der Raumaufteilung, allerdings geht es hier mehr um politische denn um spirituelle Grenzlinien: Während großer Veranstaltungen im Palast standen die höherrangigen Beamten nördlich und die niedrigeren südlich des Wasserlaufs. Auf der anderen Seite des Baches sehen wir uns einem weiteren Tor gegenüber, dem Geunjeong-mun. Dieses Tor führt in den Palast-Haupthof, an dessen nördlichem Ende sich die Thronhalle Geunjeong-jeon befindet, das selbstverständlich imposanteste Gebäude der Palastanlage. Der so genannte Weg des Königs in der Mitte wird rechts und links von Rang-Markiersteinen gesäumt, die anzeigen, wo sich die Hofbeamten je nach ihrem Rang bei den morgendlichen Audienzen mit dem König aufzustellen hatten. Je höher der Rang, desto näher stand der jeweilige Beamte an der Thronhalle. Es gehört zu den beliebtetesten Vergnügungen der Besucher, sich neben den RangMarkiersteinen für die höchsten Hofbeamten fotografieren zu lassen. Bei der Thronhalle handelt es sich um ein majestätisches zweistöckiges Gebäude, das auf einem breiten zweistufigen Steinsockel ruht. Während wir die in den Sockel eingelassenen Stufen hochsteigen, ruhen die Augen der steinernen Tiere des östlichen Zodiak, die uns von ihren Posten auf dem Steingeländer zu beäugen scheinen, auf uns. Oben angekommen, ist zu erkennen, dass es sich bei der Thronhalle um einen riesigen Raum mit einer hohen Decke handelt. Der Raum wird optisch vom Königsthron beherrscht, hinter dem ein Gemälde mit Sonne, Mond und fünf Berggipfeln zu sehen ist. Da es sich hierbei jeweils um Symbole für den Herrscher handelt, durfte nur der König ein solches Gemälde besitzen. Von außen ist es zwar etwas schwer zu erkennen, aber wenn man sich leicht über die Absperrung am Eingang lehnt und nach oben schaut, sieht man an der Spitze der Decke zwei goldene Drachen. Wie Sonne und Mond für König bzw. die Könign stehen, so sind auch Drachen Symbole der königlichen Autorität. Hinter der Thronhalle gehen wir durch eine kleine Tür und gelangen in eine weniger einschüchternde Umgebung. Hier, vor dem Sajeong-jeon, der Ratshalle, wo der König normalerweise

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zusammen mit seinen Ministern den alltäglichen Regierungsgeschäften nachging, ist es ruhiger. Der Name der Thronhalle Geunjeong-jeon bedeutet „Halle des unermüdlichen Regierens“, eine Bezeichnung, die der majestätischen architektonischen Struktur alle Ehre macht. Sajeong-jeon bedeutet hingegen „Halle des umsichtigen Regierens“, eine Bezeichnung, die den König an die hohe Verantwortung, mit der seine Pflichten behaftet waren, gemahnte. Die beiden kleineren Gebäude, das Manchu-jeon im Osten und das Cheonchu-jeon im Westen, waren mit Bodenheizung versehen und wurden wahrscheinlich während der kälteren Monate genutzt. Schauen wir uns erst noch etwas um, bevor wir den Äußeren Palastbereich verlassen. Eins der distinktivsten Merkmale der traditionellen koreanischen Architektur sind die geschwungenen Traufen der ausladend ausgekragten Giebeldächer, die hier aus nächster Nähe zu bewundern sind. Auf dem First der Traufe des Sajeong-jeon zieht eine Reihe von kleinen Skulpturen den Blick auf sich. Tatsächlich finden sich solche Figuren auf den Firsten der meisten wichtigen Bauten des Palastes, einschließlich des Tores Gwanghwa-mun. Hier bietet sich jedoch ein besonders guter Blick auf diese dekorativen Elemente. Es ist zwar immer noch nicht ganz einfach, die einzelnen Figuren auszumachen, aber es handelt sich um Darstellungen des Mönches Tripitaka (oder Xuanzang) und seiner Gefolgschaft, darunter auch des Königs der Affen (oder Sun Wukong), aus der Reise nach Westen , einem der vier klassischen Romane Chinas. Diese Statuen wurden nur auf Palastgebäuden angebracht und dienten der Abwehr böser Geister. Der Innere Palastbereich und die Hinteren Gärten Wir lassen den Äußeren Palastbereich, wo der König mit der Außenwelt interagierte, jetzt hinter uns, und begeben uns in den Inneren Palastbereich, der die privaten Gemächer der Königsfamilie umfasst. Im Osten des Sajeong-jeon befindet sich ein Bereich, der als Dong-gung, Östlicher Palast, bekannt ist. Hier lebte der Kronprinz, und zwar nicht von ungefähr, denn als nächster Anwärter auf den Thron stellte er die im Osten aufgehende Sonne des Landes dar. Im Norden des Sajeong-jeon liegt das Gangnyeong-jeon, die Winter 2010 | Koreana 33


Privatgemächer des Königs, und dahinter das Gyotae-jeon, die Privatgemächer der Königin. Interessanterweise sind es die beiden einzigen Gebäude ohne abschließenden Hauptfirst. Das koreanische Wort für den Hauptdachfirst, Yongmaru, enthält das Wort für Drachen (Yong) und manche sagen, den Gebäuden fehle ein Hauptfirst, weil der Drache für den König stehe und nicht zwei Drachen in einem Haus leben könnten. Das klingt zwar einleuchtend, aber in Wahrheit weiß niemand so genau, warum die Dachkonstruktionen dieser Gebäude sich von denen der anderen unterscheiden. Wir spazieren um die Privatgemächer der Königin herum in den einzigen grünen Bereich im Inneren der Palastanlage. Es ist der in Terrassen angelegte Garten Amisan, der mit niedrigen Büschen, dekorativem Mauerwerk und im Frühling rosa und weiß blühenden Blumen geschmückt ist. Im Westen lehnt sich eine ehrwürdige Kiefer in den Hof hinaus. Wahrscheinlich sind die bekanntesten Merkmale des Amisan die rot-orangenen Kamine, die am oberen Ende aufgereiht sind. Diese Rauchabzüge sind nicht nur funktionale Gebrauchsvorrichtungen, sondern mit ihren dekorativen Pflanzen- und Blumenreliefs auch wahre Kunstwerke. Weiter geht es in Richtung Norden. Wir verlassen jetzt den zentralen Palastkomplex. Rechter Hand liegen die Privatgemächer der Königinwitwe und vor uns zwei Gebäude, die einst zu den Gemächern der königlichen Konkubinen gehörten. Dahinter, 34 Koreana | Winter 2010

in der nördlichsten Ecke des Palastes, liegt der Geoncheonggung, der von König Gojong, ab 1897 Kaiser Gojong (reg. 1863-1907), als Zufluchts- und Rückzugsstätte angelegt wurde, wo er in Zeiten der Bedrängnis Frieden und Abgeschiedenheit finden konnte. Ein mit Lotus bedeckter Teich, in dessen Mitte sich ein kleiner Pavillon befindet, strahlt denn auch wirklich Ruhe aus und die Palastbesucher entspannen sich auf den Bänken in der Nähe. Die Gebäude des Geoncheong-gung präsentieren sich auch in einem anderen Gewand als die meisten anderen Gebäuden der Palastanlage. Die Dächer weisen zwar denselben graziösen Schwung auf, aber das Holz wurde nicht in den tiefen Rottönen oder den traditionellen Dancheong, den kräftigen Dekorfarben, die sich sonst überall finden, gestrichen. Sie wirken auch nicht so grandios, sondern besitzen einen ganz eigenen, subtilen und unwiderstehlichen Charme. Heute kann man kaum glauben, dass sich an diesem Ort eine dunkle Geschichte verbirgt: Hier wurde 1895 Kaiserin Myeongseong (1851-1895), die Gemahlin von Kaiser Gojong, von den Japanern ermordet. Im Osten können wir die hoch aufragende Pagode des Nationalen Folkloremuseums sehen, aber wir halten uns statt dessen in westliche Richtung, in Richtung Jibokjae, der Privatbibliothek Kaiser Gojongs. Dieses Gebäude und der umliegende Bereich gehören wahrscheinlich zu den faszinierendsten Stätten der gesamten Palastanlage, da sich hier architektonische Struk-


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turelemente finden, die einzigartig für den Gyeongbok-gung sind. Als erstes sticht ins Auge, dass die beiden Seitenwände des Gebäudes vollständig aus Ziegeln bestehen. Es handelt sich zudem um ein zweistöckiges Gebäude, das tatsächlich einen zweiten Stock besitzt, zu dem innen eine Treppe hochführt. Wenn man nahe herangeht, kann man einen Blick ins Innere werfen. Es ist schon eine Überraschung, am gegenüber liegenden Ende des Hauptzimmers ein rundes Portal im chinesischen Stil zu sehen. Diese Tür geht in einen geschlossenen Gang, der im Westen in einen zweistöckigen Pavillon führt und im Osten in ein traditioneller wirkendes Gebäude. Die Gänge sind im Gegensatz zu den meisten traditionell koreanischen Gebäuden nicht nur geschlossen, sondern weisen auch Glasfenster auf. Während der übrige Teil der Palastanlage die traditionellen Züge der koreanischen Architektur bewahrt, zeigt das Jibokjae mit seinen Nachbargebäuden, dass die koreanische Architektur sich ansatzweise gegenüber ausländischen und modernen Stilelementen zu öffnen begann. Weiter im Westen, in der nordwestlichen Ecke des Palastgelän-

des, befindet sich ein Schrein-Komplex, der Taewon-jeon. Hier wurden die Verstorbenen der königlichen Familie bis zur Bestattung aufgebahrt, hier wurden die Ahnentafeln aufbewahrt, bevor sie endgültig in den Königsschrein Jongmyo gebracht wurden, und hier wurden auch die königlichen Porträts eingeschreint. Dieser Bereich des Palastes ist am entlegendsten und auch – wie es seiner Zweckbestimmung zukommt – am friedlichsten. Wir verweilen einen Moment in der besinnlichen Atmosphäre dieser Stätte. Jetzt ist es an der Zeit, sich wieder in südliche Richtung zum Tor Gwanghwa-mun zu begeben. Auf dem Weg wartet eine letzte Sehenswürdigkeit auf uns: der Pavillon Gyeonghoeru. Der Pavillon liegt auf einer Insel am östlichen Rand eines quadratischen, künstlich angelegten Teiches. Aus nördlicher, südlicher und westlicher Richtung ist das Spiegelbild des Pavillons im ruhigen Wasser des Teiches zu sehen. Im Westen liegen zwei kleinere, künstliche Inseln mit eleganten Kiefern. Die Palastbesucher ruhen sich auf den Bänken entlang des Teiches aus und es lohnt sich, hier einige Momente innezuhalten und die entspannende Gelassenheit, die vom Gyeonghoeru ausgeht, zu genießen. Am südlichen Rand des Teiches liegt der letzte Punkt unserer Besichtigungstour, das Sujeong-jeon, das einstige Verwaltungsgebäude der Minister des Joseon-Reiches. Als der durch die Invasionen der Japaner (1592-1598) zerstörte Palast Gyeongbokgung im Jahre 1867 wieder aufgebaut wurde, wurden hier Schlafgemächer eingerichtet. Ursprünglich befand sich an dieser Stelle jedoch das Jiphyeon-jeon, die so genannte Halle der Ehrwürdigen, die Geburtsstätte des koreanischen Alphabets Hangeul. Auch an dieser historisch bedeutsamen Stätte verweilen wir einen Augenblick, bevor wir die Palastanlage schließlich verlassen. Die großen Tore und beeindruckenden Gebäude des Palastes machen wieder den geschäftigen Straßen der Seouler Innenstadt Platz, aber mit dem Gyeongbok-gung im Herzen und im Geiste können wir das moderne Seoul jetzt mit neuen Augen betrachten, nämlich als eine Hauptstadt mit einer reichen, 600-jährigen Geschichte.

1 Hyangwonjeong, eine idyllische Oase, in der die königliche Familie Augenblicke der Muße in reizvoll gestalteter Landschaft verbringen konnte, wurde im Zuge des Baus des Palais Geoncheong-gung angelegt.

2 Ein Steingeländer am Aufgang zur Thronhalle Geunjeong-jeon ist mit den 12 Tieren des östlichen Zodiaks geschmückt.

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FOKUS

Aufnahme von Hahoe und Yangdong in die UNESCO –Liste des Welterbes Hahoe und Yangdong, zwei traditionelle Dörfer in der Provinz Gyeongsangbuk-do, wurden in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen. Damit wurden sie zu einer kulturellen Ressource, die mit allen Weltbürgern zu teilen ist. Korea sieht daher die Notwendigkeit, verfeinerte Pläne und Maßnahmen für die Bewahrung dieses Kulturerbes zu entwickeln. Lee Sang-hae Professor für Architektur, Sungkyunkwan University, Präsident von ICOMOS-Korea Fotos: Suh Heun-gang

Panoramablick auf das Dorf Hahoe und den Fluss Nakdong-gang; „Hahoe” bedeutet „Fluss, der Dorf umfließt“. Koreana | Winter 2010 36ein


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ei der 34. Generalversammlung des Welterbekomitees, die vom 26. Juli bis 3. August 2010 im brasilianischen Brasilia stattfand, wurden am 31. Juli (1. August koreanischer Zeit) die koreanischen Dörfer Hahoe in Andong und Yangdong, beide in der Provinz Gyeongsangbuk-do, auf die UNESCO-Liste des Welterbes gesetzt. Die offizielle Bezeichnung dieser Dörfer lautet „Historische Dörfer Koreas: Hahoe und Yangdong“.

Hahoe und Yangdong Das Dorf Hahoe befindet sich in Pungcheon-myeon in Andong in der Provinz Gyeongsangbuk-do und das Dorf Yangdong in Gandong-myeon, ebenfalls in Gyeongsangbuk-do. Die Geschichte der Dörfer Hahoe und Yangdong geht jeweils auf das Ende der Goryeo-Zeit (918-1392) und den Anfang der Joseon-Zeit (13921910) zurück. Es sind beide nicht nur repräsentative historische

Dörfer Koreas, sondern auch Sippendörfer der adligen Yangban. Solche Sippendörfer werden im Koreanischen auch „Jipseongchon“ oder „Dongseong-maeul“ (Dorf, in dem Familien gleichen Namens wohnen) genannt. Hahoe wurde vom Ryu-Clan aus Pungsan und Yangdong vom Son-Clan aus Wolseong und Yi-Clan aus Yeogang gegründet. Bei der Bildung eines Clan-Dorfes lassen sich je nach Art und Weise, wie der Clan-Vorfahr in die Gegend kam und sich dort niederließ, zwei Varianten unterscheiden. Bei der ersten Variante verlässt der Dorfgründer seinen ursprünglichen Herkunftsort und sucht nach einem geeigneten neuen Ort, an dem er sich niederlassen kann; das war bei Hahoe der Fall. Bei der zweiten Variante wird ein Dorf durch Heirat zum Sippendorf. In diesem Fall siedelt der Mann in das Dorf der Familie seiner Frau, wo das Paar und seine Nachfahren dann über Generationen hinweg leben, so dass

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sich im Laufe der Zeit ein Clan-Dorf herausbildet. Auf diese Weise entstand Yangdong. Der Ryu-Clan von Hahoe wohnte eigentlich in Pungsan in Andong. Vor etwa 600 Jahren, Ende der Goryeo-Zeit, siedelte Ryu Jong-hye in die Gegend des heutigen Hahoe um, die mit einer besonders schönen Berg- und Flusslandschaft gesegnet und geomantisch gut gelegen ist. Seitdem wohnen seine Nachfahren bis auf den heutigen Tag in Hahoe. Im Falle von Yangdong war es hingegen so, dass Son So (1433-1484) nach der Heirat mit der Tochter von Ryu Bok-ha aus Yangdong 1457 dorthin zog. Damals war es Tradition, dass der Mann ins Dorf seiner Frau übersiedelte. Später heiratete Yi Beon (1463-1500) die Tochter Son Sos und zog nach Yangdong, wo seine Nachfahren heute noch leben. Der Ryu-Clan aus Hahoe und der Son- und Yi-Clan aus Yangdong haben viele Nachfahren hervorgebracht, die es in der Joseon-Zeit zu Rang und Namen brachten, so dass diese Clan-Familien in die Reihen der bedeutenden Adelshäuser aufstiegen.

Die Aufnahme in die UNESCO-Liste des Welterbes Um in die UNESCO-Liste aufgenommen zu werden, muss das in

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Frage kommende Kulturerbe entsprechend den Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens zum Schutz des Kulturund Naturerbes der Welt folgende Kriterien erfüllen: außergewöhnlicher universeller Wert, Authentizität (historische Echtheit) und Integrität (Unversehrtheit). „Außergewöhnlicher universeller Wert“ bedeutet, dass das Kulturerbe auch über die eigenen Landesgrenzen hinaus von überragender Bedeutung sein muss und daher wert ist, für die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen der ganzen Menschheit erhalten zu werden. Wenn eine Stätte zum Welterbe mit außergewöhnlicher universeller Bedeutung ernannt werden soll, müssen mehr als eins der insgesamt 10 Kriterien, die in den Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt genannt werden, erfüllt sein. Die Dörfer Hahoe und Yangdong haben von den 6 speziell für das Kulturerbe geltenden Kriterien folgende erfüllt: Nr. 3 „Die Güter stellen ein einzigartiges oder zumindest außergewöhnliches Zeugnis von einer kulturellen Tradition oder einer bestehenden oder untergegangenen Kultur dar“; Nr. 4 „Die Güter stellen ein hervorragendes Beispiel eines Typus von Gebäuden, architekto-


1 Der 600 Jahre alte Zelkova-Baum ist ein Wahrzeichen des Dorfes. 2 Die Große Holzdiele von Allakjeong im Dorf Yangdong 3 Seit der Registrierung als Welterbe steigt die Zahl der Besucher in Hahoe stetig an, was die Aufstellung verbesserter Maßnahmen zur Bewahrung dieses Kulturerbes notwendig macht.

4 Eine Sammlung von Schriften aus der Feder von Ryu Seong-ryong (15421607; Schriftstellername: Seoae). Der Ryu-Clan von Hahoe hat eine Reihe von Nachfahren hervorgebracht, die während der Joseon-Zeit zu Rang und Namen kamen.

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nischen oder technologischen Ensembles oder Landschaften dar, die einen oder mehrere bedeutsame Abschnitte der Geschichte der Menschheit versinnbildlichen“. „Authentizität“ (historische Echtheit) bedeutet, dass das Kulturerbe je nach Art und kulturellem Kontext schon von Anfang an oder im Laufe der Geschichte an Authentizität und Vertrauenswürdigkeit gewonnen hat. Das Welterbekomitee bewertet das Erbe nach Form und Design, Material und Substanz, Gebrauch und Funktion, Tradition, Techniken und Mangementsystemen, Lage und Umfeld, Sprache und andere Formen der immaterielle Erben, Geist und Gefühl sowie inneren und äußeren Faktoren auf künstlerischer, historischer, gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene. Wenn ein Kulturerbe zum Welterbe ernannt werden soll, hängt – besonders bei Kulturerbestätten – die Aufnahme von seiner Authentizität ab. Die Gebäude in den Dörfern Hahoe und Yangdong erfüllen alle Kriterien, so dass die Aufnahme in die Liste möglich war. In diesem Zusammenhang sollte noch erwähnt werden, dass es ursprünglich die beiden Kategorien „Kulturerbe“ (6 Kriterien) und „Naturerbe“ (4 Kriterien) gab. Vor etwa sechs Jahren wurden die jeweiligen Richtlinien und Bewertungskriterien zusammengefasst. Seitdem wird nicht mehr zwischen „Kulturerbe“ und „Naturerbe“ unterschieden, sondern der Oberbegriff „Welterbe“ verwendet. Die Dörfer Hahoe und Yangdong wurden als Kulturerbe in die Welterbe-Liste aufgenommen. „Integrität ist ein Maßstab, mit dem der Grad der Vollständigkeit oder Intaktheit eines Natur- oder Kulturerbes und seiner Attribute bestimmt wird. Eine Erfassung des Zustands der Integrität verlangt daher eine Bewertung, bis zu welchem Grad das Erbe a) alle notwendigen Komponenten aufweist, die seinen außergewöhnlichen universellen Wert belegen, b) von hinreichender Größe ist, um die Merkmale und Prozesse, die seine Bedeutung übermitteln, vollständig repräsentieren zu können, und c) unter den negativen Einflüssen von Entwicklung und/oder Vernachlässigung leidet. Die Dörfer Hahoe und Yangdong weisen alle notwendigen Komponenten eines Yangban-Sippendorfes auf: Bereich des Alltagslebens der Bewohner; Bereich des rituellen Lebens mit Sadang (Ahnenschrein), Seowon (Gedenk- und Lehrhalle für konfuzianistische Gelehrte) und Jeongja (Pavillon); natürliche Umgebung mit Bergen und Flüssen; Bereich der Produktion mit Reisfeldern und Äckern, die die Grundlage für den Lebensunterhalt der Bewohner bilden.

Gleichzeitige Aufnahme von zwei Dörfern Der Grund für die gleichzeitige Aufnahme von Hahoe und Yangdong in die Welterbeliste liegt darin, dass diese beiden Dörfer unter allen Dörfern im konfuzianistischen Kulturraum Ostasiens für das konfuzianistische Erbe am repräsentativsten sind und dessen kulturellen Gehalt am umfassendsten bewahrt haben. Die beiden Dörfer sind Sippendörfer, deren Bildung vom koreanischen Neo-Konfuzianismus, vom Ständesystem mit der aristokratischen Yangban-Klasse und von der koreanischen geomantischen Lehre „Pungsu“ (Feng Shui) beeinflusst wurde. Verglichen mit anderen traditionellen Dörfern in Korea oder ähnlichen Kulturstätten im In- und Ausland weisen sie distinktive, originäre Merkmale in Bezug auf die Gebäude und Anlage des Dorfes auf. Die beiden Dörfer erhielten im Zuge der Bewertung hohe Noten für folgende herausstechende Faktoren: Sie gehören zu den ältesten Dörfern in Korea; sie haben die Spezifika der YangbanKultur der Joseon-Zeit in hohem Maße bewahrt; es handelt sich um authentische Sippendörfer; nicht nur das Dorf als Ganzes, sondern auch die Architektur ist gut erhalten. Einige weitere Ausführungen zu den genannten Punkten: Charakteristisch für ein Sippendorf ist die Relation zwischen physischem Erscheinungsbild und sozialer Stellung der Dorfmitglieder. So liegen das Haus der Stammfamilie und die Häuser der Zweigfamilien im Zentrum oder an der höchsten Stelle des Dorfes. Dieser Kern wird von den Häusern der Yangban eingerahmt. Die Häuser der normalen Bürger stehen etwas abgelegen davon. Dörfer dieser Art, in denen Adelsschicht und Normalbürger nebeneinander wohnen, finden sich unter den Sippendörfern in China oder den traditionellen Dörfern in Japan nicht. Als herrschende Klasse des Sippendorfs erachteten es die adligen Yangban für wichtig, den Ahnen Ehre zu erweisen. Daher gab es Schreine (Sadang) im Haupthaus der Stammfamilie, die sich in gerader Blutlinie über den erstgeborenen Sohn forsetzte, oder in den Häusern der von ihr abstammenden Zweigfamilien. Im Dorf sind die Bildungsstätten Seowon (eine Gedenk- und Lehrhalle für konfuzianistische Gelehrte) und Seodang (eine konfuzianistische Schule) erhalten, zwei unabdingliche Einrichtungen für die Bewahrung des Ahnenkults und für Bildung und Erziehung im Hinblick auf die Beamtemprüfung Gwageo, die für die Wahrung des Adelsstatus wichtig war. Auch spezielle Gebäude und PavilWinter 2010 | Koreana 39


Die Dörfer Hahoe und Yangdong haben bei der Überprüfung zur Aufnahme in die Liste des Welterbes in allen Bewertungskategorien gute Noten bekommen. Diese beiden traditionellen Dörfer gehören nicht nur zu den ältesten des Landes, es sind zudem Archetypen der Sippendörfer, die die Besonderheiten der adligen Yangban-Kultur der JoseonZeit (1392-1910) aufweisen und aus gut erhaltenen traditionellen Gebäuden bestehen.

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lons im Dorf oder in der Umgebung sind noch vorhanden, wo die neokonfuzianistischen Literati ihren Studien und ihren kulturellen Interessen nachgehen oder auch Erholung finden konnten. Die koreanischen Sippendörfer wurden seit alters her nach den Prinzipien der Geomantik (Pungsu) angelegt, anhand derer besonders glücksverheißende Standorte für Wohnhäuser und andere Gebäude bestimmt wurden. Der Lage und den physischen Charakteristika von Bergen und Flüssen wurde symbolische Bedeutung beigemessen, die bei der Raumplanung des Dorfes berücksichtigt wurden. Das chinesische Feng Shui-Konzept betont die Wichtigkeit der absoluten vier Himmelsrichtungen (Norden, Süden, Osten, Westen) und auch der relativen Positionen wie „vorn“ und „hinten“, „rechts“ und „links“ und legt Wert auf die Anlegung künstlicher Teiche oder Kanäle vor oder in einem Dorf. Im Unterschied dazu wird in der koreanischen Geomantiklehre Pungsu die natürliche Umgebung in ihrer spezifischen natürlichen Beschaffenheit interpretiert und betont. Die Häuser in den Sippendörfern sind im Stil der traditionellen koreanischen Häuser „Hanok“ gebaut, d.h. sie verfügen über Ondol (Boden aus Steinplatten und Lehm mit eigenem Heizsystem) und Maru (Raum mit ungeheiztem Holzboden; Holzdiele). 40 Koreana | Winter 2010

Während die Ondol-Räume einen geschlossenen Charakter aufweisen, öffnet sich die Holzdiele Maru mit freiem Blick auf den vorderen Innenhof nach außen. Die einzelnen Gebäude eines Hanok-Anwesens waren je nach Funktion in Gruppen angeordnet, wobei jedes Gebäude einen kleinen, mit einer Mauer eingefriedeten Vorhof besaß, in dem verschiedene Arbeiten verrichtet wurden, die man in den Innenräumen nicht ausführen konnte. In dieser Hinsicht unterscheidet sich ein Hanok-Haus von den typischen chinesischen Häusern der Han-Dynastie, bei dem die einzelnen Gebäude eines Anwesens nach dem gängigen Siheyuan-Konzept um einen einzigen, zentralen Wohnhof angeordnet sind. Und anders als ein traditionelles japanisches Haus, das aus einem einzigen Gebäude mit Räumen für verschiedene Funktionen besteht, setzt sich ein koreanisches Hanok aus mehreren Einzelgebäuden mit verschiedenen Funktionen zusammen. Ein weiteres Merkmal der Hanok ist die Anordnung der Gebäude nach folgenden Mustern: ㄱ, ㄴ, ㅁ. Ein koreanisches Dorf besteht aus Einheiten von verschiedenen Gebäuden mit Höfen, die alle von einer Mauer umgeben waren. Zwischen den Mauern der einzelnen Einheiten verliefen Pfade, die alle auf natürliche Weise am Dorfeingang zusammenkamen. Diese Wege waren nicht von vornherein geplant und begradigt, sondern verliefen den natürlichen topographischen Gegebenheiten entsprechend auch manchmal kurvig. Dies stellt einen Unterschied zu den chinesischen Dörfern dar, deren Grundplan einem Rastermuster folgt, so dass Wege und Gebäude geradlinig und ordentlich angeordnet sind und die Mauern der Häuser die Begrenzungen der Wege bilden. Zum Anwesen des Clan-Oberhauptes gehörte ein Ahnenschrein, in dem die Nachkommen von Stammfamilie und Zweigfamilien dem Gründer des Clans ihre Verehrung erwiesen. Die Anwesen der Adligen hatten getrennte Herren- und Frauengemächer und waren auch in Bezug auf die soziale Stellung streng nach Herren und Diener getrennt, was jeweils auf die Lehren des Konfuzianismus zurückzuführen ist. In japanischen Häusern gibt es in jedem Haushalt einen kleinen Altar für die Ahnen, der allerdings nur dem Gedenken der direkten Vorfahren des jeweiligen Hausherren dient. In chinesischen Dörfern steht der Schrein der gemeinsamen Vorfahren der Dorfbewohner nicht im Hauptsitz der Stammfamilie, sondern wird an einem bestimmten Ort innerhalb des Dorfes eingerichtet, was ebenfalls einen Unterschied zu den koreanischen Traditionen darstellt. In den Dörfern Hahoe und Yangdong findet sich das wertvolle Erbe der Frühgeschichte der koreanischen Wohnhausarchitektur. Daneben gibt es im Dorf und in seiner Umgebung verschiedene Einrichtungen wie konfuzianistische Schulen und Akademien,


1 In Hahoe widmete sich Ryu Un-ryong (1539-1601) der Gelehrsamkeit in Binyeonjeongsa, von wo aus man einen Blick auf die natürliche Landschaft der Umgebung hat.

2 Regelmäßig werden konfuzianistische Rituale zu Ehren von herausragenden Gelehrten und Staatsmännern abgehalten.

3 Wie bei allen Sippendörfern spiegelt sich auch in der Raumplanung von Yangdong die gesellschaftliche Hierarchie wider. So liegt das Haus der Stammfamilie der Sippe entweder im Zentrum oder auf dem höchsten Punkt des Dorfes.

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Pavillons u.ä., die alle dem Streben nach den konfuzianistischen Idealen dienten. In Hahoe und Yangdong werden zudem deutlich mehr Ahnengedenkzeremonien für bedeutende Gelehrte und Staatsmänner, deren Ahnentafeln entgegen der üblichen Regel auch nach vier Generationen nicht aus dem Ahnenschrein entfernt werden, als in anderen koreanischen Dörfern abgehalten und es wird auch eine große Anzahl von wertvollen Buch- und Schriftensammlungen und anderen Erbstücken bewahrt. Weiterhin werden traditionelle Rituale wie das Ritual zum Eintritt ins Erwachsenenleben und Volksspiele gepflegt. All dies war wichtig in der Joseon-Zeit, als der Konfuzianismus Staatsphilosophie war. Die Dörfer Hahoe und Yangdong unterscheiden sich deutlich von anderen koreanischen Dörfern in historischer, kultureller, wissenschaftlicher und ästhetischer Hinsicht. Sie liegen zudem beide in einer landschaftlich ungewöhnlich reizvollen Umgebung, wobei Hahoe ein typisches Dorf am Fluss und Yangdong ein typisches Dorf im Tal ist. Die Dörfer sind zudem jeweils repräsentativ für die beiden Methoden der Gründung eines Sippendorfes. Insgesamt sind sie damit Beispiele für ein authentisches koreanisches Sippendorf.

Anstehende Aufgaben Alle Welterben, die in die Welterbeliste aufgenommen worden sind, müssen systematisch durch flankierende Gesetze, Vorschriften, Institutionen und Managementsysteme geschützt werden, um ihre außergewöhnliche universelle Bedeutung, ihre Authentizität und Integrität bewahren und erhöhen zu können. Um eine UNESCO-Welterbestätte zu schützen, muss das jeweilige Land eine Kulturerbezone und eine Pufferzone bestimmen und deren Grenzen festlegen. Die Kulturerbezone ist die Zone, in der

sich das Welterbe befindet, und die Pufferzone ist die umliegende Zone. Um das Welterbe effektiv schützen und bewahren zu können, bedarf es Restriktionen bezüglich der Nutzung und Entwicklung von Gebäuden und Grundstücken in der Pufferzone. Die Dörfer Hahoe und Yangdong wurden nicht einzeln, sondern gemeinsam zum Welterbe erklärt. Daher braucht man ein integriertes Managementsystem, um die beiden Dörfer, die sich jeweils in anderen Verwaltungsdistrikten befinden, effektiv schützen zu können. Zu diesem Zweck haben am 30. April 2010 die Stadt Andong, die Stadt Gyeongju und die Provinz Gyeongsangbuk-do gemeinsam mit dem koreanischen Amt für Kulturerbeverwaltung (Cultural Heritage Administration) das „Komitee für die Bewahrung der Dörfer Hahoe und Yangdong“ ins Leben gerufen. Um die Authenzität der Gebäude in den beiden Dörfern weiterhin garantieren zu können, sollten Richtlinien mit detaillierten Vorschriften für Restaurationstechniken und Materialien erarbeitet werden. Für die Aufrechterhaltung der Unversehrtheit sollte zudem besonderes Augenmerk auf die Landschaftsverwaltung gelegt werden. Im Zuge dieser Bemühungen wurde der Bau eines Flussdammes unterhalb der Klippe Buyongdae (eine Klippe am Fluss, der durch Hahoe fließt und besondere Attraktion des Dorfes), der im Rahmen des Regierungsprojektes zur Sanierung der vier Hauptflüsse vorangetrieben wurde, abgelehnt. Die wichtigste Aufgabe besteht jetzt darin, unter Beteiligung der Bewohner der beiden Dörfer Kultur- und Tourismusprogramme auszuarbeiten, da die Zahl der Touristen in Zukunft steigen wird. Die Touristen sollten in den Dörfern zwar viel sehen und erleben können, aber das Privatleben der Bewohner sollte dabei nicht zu stark beeinträchtigt werden. Winter 2010 | Koreana 41


INTERvIEw

Schriftstellerin Sin Kyong-suk: Ausdruck von Hoffnung und Mitgefühl Sin Kyong-suk gehört zu den heutzutage populärsten Schriftstellern in Korea. Ihr jüngster Roman Eommareul Butakhae (Titel der engl. Übers.: Please Look After Mom ) war im vergangenen Jahr mit einer Verkaufszahl von etwa 1,5 Mio. der Topseller auf dem koreanischen Buchmarkt. Das Buch, dessen Publikationsrechte an 19 Länder verkauft wurden, wird am 8. April 2011 durch den Verlag Alfred A. Knopf der amerikanischen Verlagsgruppe Randome House in Englisch erscheinen. Um diese Zeit sind auch Veröffentlichungen in den jeweiligen Landessprachen in Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien, den Niederlanden und Norwegen geplant. In Korea landete Sins Roman Eodiseonga Nareul Channeun Jeonhwaberi Ulligo (Irgendwo klingelt das Telefon nach mir ) nach seiner Veröffentlichung im Mai 2010 sofort auf der Bestsellerliste und erfreut sich seitdem ständiger Beliebtheit. Welche Bedeutung und Hintergründe stecken hinter dem Phänomen dieser Popularität, die sogar als „Sin-Kyong-suk-Syndrom“ bezeichnet wird? Choi Jae-bong Kulturabteilung, Tageszeitung The Hankyoreh

„Ich schreibe weiter in der Hoffnung, dass meine Romane die Dinge, die am Sterben sind, gleich der fürsorglichen Hand der Mutter nähren und zu neuem Leben erwecken.“


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it ihrem Erzählband Punggeumi Itdeon Jari (Wo das Harmonium stand; Titel der engl. Übers.: The Blind Calf) rückte Sin Kyong-suk 1993 ins Zentrum der literarischen Bühne Koreas vor. Das Werk machte sie zu einer repräsentativen Vertreterin der „Erzählästhetik der 1990er Jahre“. Dazu war das Buch ein kommerzieller Erfolg, was bei Erzählbänden selten der Fall ist. Seitdem gilt Sin, die sowohl eine positive literaturkritische Bewertung als auch kommerziellen Erfolg gewinnen konnte, als „Königin“ der koreanischen Literatur der 1990er Jahre.

Literatur, die Emotionen weckt Sin Kyong-suk debütierte 1985 mit einer Erzählung in einer literarischen Zeitschrift und veröffentlichte 1990 ihren ersten Sammelband mit der Erzählung Gyeoul Uhwa (Winterfabeln). Sie ist also ist eine Schriftstellerin, die ihre Karriere in den 1980er Jahren begann. Die 1980er Jahre waren in Korea eine harte Zeit aufeinander folgender diktatorischer Militärregierungen unter Präsidenten, deren eiserne Faust schließlich in allen Bereichen der Gesellschaft den Widerstand der Demokratisierungsbewegung hervorrief. Bei diesem Prozess wurde auch die soziale Verantwortung der Literatur hervorgehoben. Die übermäßige und einseitige Forderung des „Dienstes“ der Literatur für das Ziel der gesellschaftlichen Reform führte jedoch zu einer Verzerrung der wesenhaften Eigenschaften der Literatur und einer Beeinträchtigung ihrer Selbstbestimmtheit, was dann ab den 1990er Jahren Gegenstand einer tiefen Selbstreflexion wurde. Wie die 1980er Jahre auf eine Schriftstellerin wie Sin Kyong-suk gewirkt haben, lässt sich ohne Weiteres in einem später verfassten Essay erkennen: „Ich betrachtete Literatur nicht so sehr als Instrument des Wandels, sondern als Mittel zur Weckung von Emotionen.“ Damit distanzierte sie sich von der literarischen Hauptströmung der 1980er Jahre. Zu der Zeit, als ihre ersten Erzählungen in den Zeitschriften erschienen und schließlich im Sammelband Gyeoul Uhwa (Winterfabeln ) auf den Buchmarkt kamen, wurde „Erzählung à la Sin Kyong-suk“ von der Literaturkritik nicht besonders wohlwollend aufgenommen. Was ist denn nun konkret „Erzählung à la Sin Kyong-suk“? Zur besseren Veranschaulichung ein Zitat aus Sins Malhaejil Su Eomneun Geotdeul (Die nicht in Worte fassbaren Dinge), in dem sie von ihren Träumen als Schriftstellerin erzählt: „Abschiede, die ich anzunehmen versuchte, mit denen sich aber mein Herz nie abfinden wollte, Traurigkeiten, Schönheiten und aus der Welt verschwundene Dinge, die Welt, die außerhalb der wissenschaftlich erfassbaren Logik liegt, die unbeschreibbaren Dinge – all diese Dinge. Das Verlangen, den anonymen Existenzen, deren Leben bereits zerdrückt ist und die keiner beachtet, Lebenskraft einzuhauchen; der Schatten des Todes, der überall

lauert; die Liebe, die vor der Zeit nur kraftlos ist; das Klammern an Unmögliches, das Sehnen nach Nicht-Vorhandenem... Davon zu träumen, die nicht in Worten fassbaren Dinge durch mein Schreiben zu repräsentieren. Davon zu träumen, bereits verschwundene und abhanden gekommene Dinge zurückzuholen, sie sanft auf das Wesenhafte zu führen und in den Duft der Natur tauchen zu lassen. Von der Unmöglichkeit zu träumen, auf diese Weise diesen Augenblick für ewig eingefangen halten zu wollen.“ Trotz philosophischer Begriffe wie „Repräsentation“ oder „Wesenhaftes“ sollte man dieses Zitat nicht als objektive Tatsachen-Aussage oder logisches Argument verstehen, sondern vielmehr als eine Art emotionales Echo. Das, was Sin mit ihrer Literatur verwirklichen möchte, ist weder eine klare logische Aussage noch ein großes gesellschaftliches Anliegen; sie möchte vielmehr einer rein emotionalen, einer inneren „Wahrheit“ Ausdruck verleihen. Ihr Interesse und ihre Empathie gelten v.a. den Schwächen und Grenzen des Menschen, der angesichts der brutalen Gewalt der Zeitströmung z.B. in Form von Trennung oder Tod endlos ohnmächtig ist. Sin weiß zwar, dass ihr Schreiben die zerstörerische Kraft der Zeit nicht überwinden kann, glaubt und hofft jedoch, dass ihre Werke dem jener Gewalt ausgesetzten, schwachen Menschen Trost spenden können. Dies setzt sie auch stilistisch um, indem sie durch exquisite Anordnung einzelner Wörter und Sätze, die an feine Stickereien erinnern, die subtile Textur des Alltags und des Innenlebens darzustellen versucht. Unter ihrer Feder werden die Einzelheiten des Alltags, die sonst so unbedeutend und erbärmlich aussehen, unversehens in einen prächtigen poetischen Glanz gehüllt.

Erste Erfolge In der Literaturszene der 1990er Jahre, in der eine Stimmung der kritischen Betrachtung und Selbstreflexion über die Literatur der 1980er Jahre herrschte, wurden Sins Werke mit euphorischer Begeisterung aufgenommen. Ihre literarische Welt stand in schönster Harmonie mit der damaligen Zeit. Zehn Jahre nach ihrem Debüt war sie Preisträgerin fast aller renommierter Literaturpreise wie Hankook Ilbo Literary Award, Today’s Young Artist Award, Hyundae Literary Award, Manhae Literature Award, Dong-in Literature Award und Isu Literary Award; diese Auszeichnungen erhielt sie alle innerhalb von nur drei, vier Jahren. Dies beweist die allgemeine Zufriedenheit der koreanischen Literaturkreise mit ihren Werken, und zwar unabhängig von den Winter 2010 | Koreana 43


„Davon zu träumen, die nicht in Worten fassbaren Dinge durch mein Schreiben zu repräsentieren. Davon zu träumen, bereits verschwundene und abhanden gekommene Dinge zurückzuholen, sie sanft auf das Wesenhafte zu führen und in den Duft der Natur tauchen zu lassen. Von der Unmöglichkeit zu träumen, auf diese Weise den Augenblick für ewig eingefangen halten zu wollen.“ (aus dem Prosawerk Malhaejil Su Eomneun Geotdeul (Die nicht in Worte fassbaren Dinge ))

Ein Editor bemerkte: „Sin verbringt mehr als drei Stunden bei Buchsignierungen, da sie gern persönlichen Kontakt zu ihren Lesern hat.“

unterschiedlichen ideologischen Standpunkten der Kritiker. Der politisch liberale Verlag Changbi zeichnete Sin für ihren Roman Oettan Bang (Titel der dt. Übers.: Das Zimmer im Abseits), in dem sie mit Rückblick auf ihre Jugend beschreibt, wie sie tagsüber in einer Fabrik arbeitete und danach die Abendschule besuchte, mit dem Manhae Literature Award aus. Außerdem publizierte er auch ihren dritten Erzählband Orae Jeon Jibeul Tteonal Ttae (Vor langer Zeit, als man das Haus verließ) sowie den Bestseller Please Look After Mom. Damit sprach sich der liberal orientierte Verlag öffentlich für „Erzählung à la Sin Kyong-suk“ aus. Gichaneun Ilgopsie Tteonane (Der Zug fährt um sieben Uhr ab ), Sins dritter großer Roman nach Gipeun Seulpeum (Tiefe Trauer) und Oettan Bang (Titel der dt. Übers.: Das Zimmer im Abseits), spielt vor dem Hintergrund der Demokratisierungsbewegung der 1980er Jahre. Dies sollte aber nicht als ein Akt der „Dankesbezeugung“ gegenüber dem Verlag Changbi und dem Manhae Literature Award interpretiert werden. Sin ist zwar eine Schriftstellerin, die von den Einflüssen der Studenten- und Demokratisierungsbewegung der 1980er Jahre nicht gänzlich frei war, was auch an ihrem jüngsten Roman Eodiseonga Nareul Channeun Jeonhwaberi Ulligo (Irgendwo klingelt das Telefon nach mir ) zu erkennen ist. Doch die Art und Weise, wie sie mit solchen politischen und gesellschaftlichen Themen umgeht, ist eine rein alchemistische Verschmelzung der ganz persönlichen inneren Wunden und Erinnerungen des Einzelnen. Ihre Literatur zielt nicht darauf ab, schlechte Systeme „aufzudecken“ oder zum Kampf für eine bessere Welt „anzuregen“. „Ich habe die gesellschaftliche Stimmung einer Zeit immer durch einzelne Individuen zum Ausdruck zu bringen versucht. Ich denke, ich habe auf meine eigene Art und Weise die unguten Realitäten der Zeit, die einen starken Hintergrund für meine Geschichten bilden, aufgezeigt. Ich wünsche mir, dass die Niedergeschlagenen, die in Anyonymität Befangenen und die in Trauer Verlorenen 44 Koreana | Winter 2010

durch das Lesen meiner Romane in eine andere zeitliche Sphäre überwechseln können.“ Sins intensive schöpferische Arbeit in den 1990er Jahren setzte sich auch nach der Jahrtausendwende fort. Nachdem sie im Jahr 2000 den Erzählband Ttalgibat (Erdbeerfelder ) und 2001 die zu dem gleichnamigen Roman erweiterte Fassung der Erzählung Baiollet (Das Veilchen) veröffentlicht hatte, brachte sie 2003 mit Jongsori (Der Klang der Glocke ) einen weiteren Erzählband heraus, dem 2007 dann der zweibändige historische Roman Rijin (Yi Jin) folgte.

Nach Please Look After Mom Nachdem sich Sin Kyong-suk mit dem historischen Roman Rijin (Yi Jin) zeitweilig auf literarische „Abwege“ begeben hatte, kehrte sie wieder zum Familienroman, wo ihre eigentliche Stärke liegt, zurück und gab im November 2008 Please Look After Mom heraus, der sie zur Top-Bestsellerautorin machte. Please Look After Mom handelt in vier Kapiteln und einem Epilog von einer Familie, die durch das Verschwinden der alten, leicht dementen Mutter ihre Liebe zu ihr erkennt und sich ihrer Bedeutung erneut bewusst wird. Die ersten drei Kapitel werden jeweils aus der Sicht der ältesten Tochter, des ältesten Sohnes und des Vaters erzählt, im vierten Kapitel ist die Mutter selbst die Erzählerin. Es ist beachtenswert, dass die einzelnen Personen, aus deren Sicht jeweils erzählt wird, vom fiktiven Erzähler mit „du“ (Tochter), „er“ (Sohn), „Schatz (Vater)“ angeredet werden. Diese narrativen Modi helfen dem Leser, die einzelnen Charaktere aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und die jeweiligen Situationen in ihrer Vielschichtigkeit zu verstehen. Das erste Kapitel, das aus der Sicht der ältesten Tochter, die mit „du“ angeredet wird, geschrieben ist, wird von dem eklatanten Kontrast zwischen der analphabetischen Mutter und der Tochter, die Schriftstellerin ist, bestimmt. Auf die Nachricht, dass das Buch ihrer Tochter in Blindenschrift gedruckt wurde, reagiert


die Mutter mit: „Die können dein Buch wenigstens lesen.“ Diese Bemerkung impliziert die Klage: „Ich, als Mutter einer Schriftstellerin und mit zwei gesunden Augen, kann noch nicht mal das Buch meiner Schriftsteller-Tochter lesen.“ Da es für die Mutter eine lebenslange Qual war, nicht lesen zu können, drängte sie ihre Tochter zur höheren Bildung und diese wurde schließlich Schriftstellerin. Als ihre Mutter eines Tages plötzlich verschwindet, kommt es dazu, dass sie ihr schriftstellerisches Talent für die Suche nach ihr zunnutze macht, und zwar durch die Verfassung von Flugblättern. Sie überlegt sich, was sie schreiben soll: „Welche deiner Sätze könnten bei deiner Suche nach Mutter helfen?“ Tatsächlich lässt ein Flugblatt mit den notwendigen Daten wie Name, Alter, Beschreibung des Aussehens der Vermissten, Angabe des Ortes, wo sie zuletzt gesehen wurde und einem möglichst aktuellen Foto kaum noch Raum für die Tochter, ihre schriftstellerischen Fähigkeiten zur Anwendung zu bringen. Diese Frage bezieht sich also weniger auf das Flugblatt, sondern eher auf den Roman Please Look After Mom an sich. Der Roman an sich ist nämlich eine Aufzeichnung über die Suche nach der vermissten Mutter und Darstellung ihres wahren Ichs, das dadurch zurückgefunden wurde. Die Mutter findet zwar nicht wieder zu ihrer Familie zurück, doch durch den Prozess, sie aus der Tiefe ihrer Erinnerungen hervorzuholen und der Reflexion zu unterwerfen, entdecken die Familienmitglieder ihre wahren Seiten, die sie bislang nicht wahrgenommen hatten oder die sie zu übersehen bemüht waren. Die Mutter war ein komplexes Wesen, das zwar nach außen hin ein typisches Bild der Mutter darstellte, die sich endlos für Mann und Kinder opfert, aber zugleich als unabhängiges Individuum unterhalb der Ebene „Frau von ...“ oder „Mutter von ...“ über eine eigene innere Welt verfügte. Please Look After Mom ist also ein Roman, der paradoxerweise mittels einer tragischen Situation und in schmerzlichen Trauertönen nach Liebe und Hoffnung sucht. In Sins jüngstem Roman Eodiseonga Nareul Channeun Jeonhwaberi Ulligo (Irgendwo klingelt das Telefon nach mir ) geht es um die Übergangsriten von Freundschaft, Liebe, Tod und Trennung, die die Protagonistin Yun und ihre drei Freunde Myeongseo, Miru and Dan erleben. Der Freund von Mirus älterer Schwester Mirae gehört zum Kern der Studentenbewegung und verschwindet im Zuge der Verfolgungen von Seiten der Regierung. Als Mirae erfährt, dass ihr vermisster Freund nicht mehr lebend zurückkommen wird, zündet sie sich an und springt vom Dach eines Hochhauses in den Tod. Nach dem Tod der Schwester verbarrikadiert sich Miru in ihrem kleinen Zimmer. Während ihre Freunde Myeongseo und Yun sich an Demonstrationen beteiligen und singend mit anderen Aktivisten durch die Straßen marschieren, hungert sich Miru allein und verlassen in ihrem Kämmerlein zu Tode. (Die Gewissensbisse der Protagonistin, mit den Demonstranten durch die Straßen gezogen zu sein, während die engste Freundin im Sterben lag, werden auch in Sins früher Erzählung Meolli Kkeudeomneun Gil Wie (Weit weg auf dem endlosen Weg ) thematisiert.) Auch Dan

stirbt schließlich, und zwar durch eine Schussverletzung während seines Militärdienstes, bei der es sich angeblich um einen Unfall gehandelt haben soll. Der Roman beginnt mit einem Prolog, in dem Myeongseo Yun, mit der er nach den aufeinander folgenden Toden ihrer guten Freunde kaum Kontakt hatte, nach acht Jahren zum ersten Mal anruft. Der Titel des Prologs heißt „Soll ich dahin kommen?“ und steht im Einklang mit dem des Epilogs „Ich komme dahin“. Während die Frage im Prolog von Myeongseo gestellt wird, kommt die Antwort im Epilog von Yun. Suchte Please Look After Mom in einer tragischen Situation nach Liebe und Hoffnung, so thematisiert Eodiseonga Nareul Channeun Jeonhwaberi Ulligo (Irgendwo klingelt das Telefon nach mir) das Ringen um Verständigung und Verstehen inmitten von Tod und Trennung.

Das Treffen mit amerikanischen Lesern im Jahr 2011 Sin Kyong-suk wohnt seit Juli dieses Jahres mit ihrem Mann Nam Jin-woo, einem Dichter, Literaturkritiker und Professor, der ein Forschungsjahr genommen hat, in New York. Als Gastprofessorin an der Columbia University führt sie mit den Studenten Diskussionen über ihre Werke und nimmt auch an Vorlesungen, die sie interessieren, teil. „Ich gehe in die Uni, lese Bücher und besuche auch Vorlesungen. Ich fühle mich wieder wie eine Studentin. Auf den Straßen New Yorks sind Menschen so vieler verschiedener Rassen zu sehen, als hätte sich hier die ganze Welt versammelt. Ich wandere jeden Tag zwei oder drei Stunden durch die Stadt und sehe mir auch viele Galerien, Ausstellungen und Aufführungen an.“ Please Look After Mom zirkuliert seit Juli 2010 in einer vorläufigen Druckversion mit Einband unter den Buchkritikern und Buchhändlern. Bei der Internet-Buchhandlung Amazon läuft schon der Vorverkauf. „Ich freue mich schon darauf, vor Ort die Reaktion der amerikanischen Leser auf mein Buch erfahren zu können. Robin Desser, die Chefeditorin bei Knopf, hat das Buch quasi in ihr Herz geschlossen und daher läuft alles gut. Wir korrespondieren fleißig per E-Mail. Sie scheint sich auch von dem universalen Anklang und den sentimentalen Gefühlen, die die Figur der Mutter erweckt, angesprochen zu fühlen.“ Die Reaktion des amerikanischen Markts auf den Roman Please Look After Mom wird als Prüfstein für den erfolgreichen Einstieg der koreanischen Literatur in den anspruchsvollen englischsprachigen Buchmarkt dienen. Deswegen warten neben Sin viele gespannt auf die Veröffentlichung des Buchs im April 2011. In Anschluss daran ist für April und Mai eine Buchtour in den USA und Kanada geplant. Auch eine etwa einmonatige Tour durch Europa steht auf dem Programm. Sin äußert sich zwar etwas besorgt darüber, ob ihr Körper den ganzen Strapazen gewachsen sein wird, kann aber nicht verbergen, wie sehr sie schon jetzt auf die Reaktion der amerikanischen und europäischen Leser gespannt ist.

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KUNSTHANDwERKER

Dachdeckermeister

Lee Keun-bok

bringt die Eleganz der Dachlinien zur Geltung Lee Keun-bok, der zurzeit an der Restaurierung des Tors Sungnye-mun teilnimmt, ist ein Handwerksmeister, der sich in den letzten 40 Jahren seines Berufslebens der Kunst widmete, die Dächer der traditionellen koreanischen Hanok-Häuser mit Ziegeln zu decken. Seine Arbeit besteht darin „elegant fließende Dachlinien zu kreieren, die an den runden Rücken eines riesigen, fröhlich tanzenden Wals erinnern“. Park Hyun Sook Freie Schriftstellerin | Fotos: Ahn Hong-beom, Kim Young-gwang

Für Dachdeckermeister Lee Keun-bok bedeutet die Fertigung eines traditionellen koreanischen Daches eine Symbiose von Funktionalität und eleganter 46 Koreana | Winter 2010 Schönheit zu schaffen.


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s ist, als ob der Himmel einbreche“ – mit diesem Ausdruck beschreiben die Koreaner eine Situation äußerster Verzweiflung. Ein solcher Schock überkam Dachdeckermeister Lee Keun-bok (61), der seiner Arbeit auf den Dächern von traditionellen koreanischen Hanok-Häusern nachgeht, wenn er in seiner Jugend eingestürzte Dächer, deren Schönheit ihn stets faszinierte, sah. Die tief verwurzelten Erinnerungen haben aus ihm das gemacht, was er heute ist. Der Weg zum Dachdeckermeister war zwar steinig, aber er schöpfte Hoffnung aus einem anderen koreanischen Sprichwort: „Auch wenn der Himmel einstürzt, gibt es immer einen Ausweg.“ Die traditionellen Bauwerke Koreas bergen die Vorstellung vom Universum und den Schönheitssinn der Koreaner in sich. Die wesentlichen kosmologischen Konzepte Koreas wie Taegeuk (große Absolutheit), Yin-Yang-O-haeng (männliches und weibliches Prinzip plus die fünf Elemente Wasser, Erde, Feuer, Holz, Metall), der kreisrunde Himmel und die viereckige Erde sowie die Dreiheit aus Himmel, Erde und Mensch, die das Universum ausmacht, spiegeln sich in der Struktur der traditionellen Gebäude Koreas wider. Darüber hinaus wurden durchweg Naturmaterialien wie Holz, Erde, Stroh und Hanji (das traditionelle koreanische Papier aus der Rinde des Maulbeerbaums) verwendet, was das ästhetische Empfinden für die Harmonie mit der Natur reflektiert. Die Dächer von Hanok-Häusern lassen sich in Strohdächer und Ziegeldächer unterscheiden. Ein Strohdach ähnelt in der Linienführung der Rückenlinie einer sanftmütigen Kuh, während die Linienführung des Ziegeldachs in Einklang mit den Berghängen hinter dem Haus steht und an den sanften und lebendigen Flügelschlag von gerade landenden Kranichen erinnert. Die sich elegant nach oben wölbenden Linien, die in Dachformen wie im einfachen Giebeldach oder in den ausladend ausgekragten Giebeldächern zu sehen sind, vermitteln ein gewisses Gefühl der Geborgenheit. Unter den ästhetisch-gestalterischen Komponenten kommt dem Dach bei einem traditionellen koreanischen Bauwerk ein wich-

tiger Stellenwert zu. Nach der traditionellen Philosophie Koreas gehören zu den drei Elementen (Samjae), die das Universum ausmachen, Himmel, Erde und Mensch. Angewendet auf die traditionelle Architektur stehen die Dächer für den Himmel, während das Fundament die Erde verkörpert, so dass dazwischen ein Raum für den Menschen geschaffen wird. Das Dach eines traditionellen Hanok-Hauses zeigt also die Art und Weise, wie der Raum des Menschen und der Himmel aufeinander treffen und ist daher in der koreanischen Holzarchitektur derjenige Teil, bei dem die Technik auf die Schönheit zielen muss. Die gestalterische Schönheit eines Daches hängt also von den Techniken des traditionellen Dachdeckerhandwerks ab. Am 21. 10. 2008 wurde Dachdeckermeister Lee zum Träger des „Immateriellen Kulturgutes Nr. 121“ ernannt, was ihn zum ersten und einzigen Träger dieses Titels für den Bereich des traditionellen Dachdeckerhandwerks macht.

Dachziegel: Garanten der ewigen Beständigkeit Es gibt Dinge, die sich nur durch Erfahrung lernen lassen. In der Tat erscheint die Wahrheit nicht nur in Gestalt von Klugheit oder der Lektüre von Zehntausenden von Büchern, sondern auch in Erfahrungen. Früher begleitete Lee seinen Vater, der Bauarbeiter war, von einer Baustelle zur anderen und lernte so die Arbeit von der Pike auf. Dabei entdeckte er den Wert der Dachziegel, die über die Lebensdauer eines Hanok-Hauses entscheiden. „Heutzutage herrscht Arbeitsteilung, aber früher mussten die Bauhandwerker, die im Dorf ein Haus errichteten, nicht nur etwas von Zimmerei verstehen, sondern sich auch noch rund zehn andere Techniken aneignen, um eigenhändig ein Haus bauen zu können. Mein Vater war in meiner Heimat Imsil in der Provinz Jeollabuk-do Bauarbeiter. Schon in jungen Jahren habe ich ihm bei der Arbeit geholfen, so dass ich fast alles über den Bau eines Hauses gelernt habe. Damals habe ich viele Häuser mit verfaulten Dachsparren gesehen, da die Dächer bei Regen undicht wur-

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den. Wenn die Sparren erst einmal anfangen zu faulen, kann man nichts mehr dagegen tun, weil sie dann einsinken. Beim Anblick der einstürzenden Häuser fühlte ich mich so, als ob der Himmel einstürzen wolle. Ein Haus zu bauen, ist keine leichte Arbeit. Damals wurde mir bewusst, wie wichtig das Dach ist, und da kam ich auf den Gedanken: Das Dach! Ich werde es mit Dachdeckerei probieren.“ In seiner Jugend begann Lee damit, bei den renommiertesten Dachdeckern Koreas zu lernen. Der mittlerweile verstorbene Dachdeckermeister Gi Seon-gil nahm ihn als Lehrling an. Während er die Dachdeckerei von Grund auf lernte, wuchs auch sein Selbstvertrauen als Dachdecker. Ganz gleich, wie gut ein Hanok-Haus sonst gebaut sein mag, es wird nicht lange bestehen bleiben, wenn das Dach nicht ordentlich gedeckt ist. Es kommt häufig vor, dass ein Haus zwei oder drei Jahre nach dem Bau bereits Schäden aufzuweisen beginnt, wenn Regen oder Schnee durch die Dächer dringen. Die als Kulturerbe unter Denkmalschutz stehenden Hanok-Häuser, Paläste und Tempel wurden mit Materialien von höchster Qualität gebaut. Statt Zement, der rund 100 Jahre überdauert, verwendete man Ätzkalk, der 1.000 Jahre lang beständig bleibt, und es wurden auch nur stabile Hölzer für den Bau ausgewählt. Aber alle solche Anstrengungen nützen nichts, wenn das Dach nicht ordentlich gedeckt wird, dann ist es, als ob man ein Haus auf Sand baut. Beginnend in den 1970er Jahren lernte Lee von seinem Lehrer Gi Seon-gil und erwarb vor Ort zehn Jahre Schritt für Schritt das Dachdeckerhandwerk. Meister Gi war zu seiner Zeit der beste Dachdecker. Wer ein erstklassiges Dach haben wollte, der ließ es unabhängig von den Kosten von ihm decken. Lee entschloss sich, in die Fußstapfen seines Lehrers zu treten, dessen Name allein schon für hochwertige Qualitätsarbeit stand. Dieses konkrete Ziel vor Augen trieb den jungen Lee dazu an, nicht nur die Techniken des Dachdeckens zu lernen, sondern sich auch ein umfassendes Wissen über den Bau von Hanok-Häusern anzueignen. 40 Jahre lang widmete er sich der Dachdeckerei und restaurierte oder deckte die Dächer von zahlreichen historischen Gebäuden neu: das Dach des Tors Sungnye-mun (auch als „Südtor“ (Namdae-mun) bekannt, Nationalschatz Nr. 1); Dächer von Gebäuden in den fünf wichtigen Palästen der JoseonZeit (1392-1910), darunter das Dach der Halle Sujeong-jeon und des Pavillons Gyeonghoeru im Palast Gyeongbok-gung und das Dach des Tors Donhwa-mun im Palast Changdeok-gung; die Dächer von 200 historischen Gebäuden wie der Halle Geungnakjeon des Tempels Bongjeong-sa und der Haupthalle des Tempels Beopju-sa.

1 Die Dachziegel werden mit einem Mörtel aus Lehm befestigt. 2 Beim Dachdecken ist stets ein spezielles Dachdeckermesser zur Hand.

Funktionale Eleganz

3 Jeder einzelne Dachziegel verlangt besondere Aufmerksamkeit.

Man weiß zwar nicht genau, seit wann in Korea Dachziegel benutzt wurden, aber Ausgrabungsfunde lassen darauf schließen, dass Dachziegel seit der Zeit der Drei Königreiche (57 v. Chr. - 668 n. Chr.) weit verbreitet waren. Die Dachziegel werden aus Lehm hergestellt, der in gerundete Formen gebracht und bei 1.000-

4 Der Endziegel des Dachfirsts ist oft mit glücksverheißenden Symbolen oder chinesischen Zeichen geschmückt.

5 Lee Keun-bok bei der Inspektion von Gerüst und Füllmaterialien; die Qualität der später nicht mehr sichtbaren Vorarbeiten ist von großer Bedeutung. 48 Koreana | Winter 2010


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„Bei der Restaurierung des Daches des Tores Sungnye-mun werden 18.000 weibliche und 7.200 männliche Ziegel sowie jeweils 500 weibliche und männliche Dach-Endziegel eingesetzt. Wenn die hölzernen Stützkonstruktionen darunter das Gewicht der Dachziegel nicht ausreichend zu tragen vermögen, wird sich das Dach senken und die Eleganz der Dachlinien wird beeinträchtigt. Daher müssen Dachdecker die Postulate der Schönheit und Funktionalität gleichzeitig erfüllen.“

1.200 Grad Celcius gebrannt wird, was ihnen außerordentliche Beständigkeit verleiht. Aufs Dach kommen nur perfekte Ziegel ohne Risse oder Verformungen. Nach dem Prinzip von Yin und Yang (männliches und weibliches Prinzip) werden die Ziegel in männliche Ziegel oder Mönche, (Sumaksae; konvexe Ziegel mit rundem, halbrundem oder ovalem Abschluss, die die Lücken zwischen weiblichen Ziegeln abdecken) und weibliche Ziegel oder Nonnen (Am-maksae; flache, leicht konkav gewölbte Ziegel) unterschieden und auch bei den DachEndziegeln unterscheidet man zwischen Mönchen und Nonnen. Zuerst werden die konkaven weiblichen Dachziegel von der Mitte aus vom First zur Traufe hinunter verlegt, wobei normalerweise drei Ziegel eine einander überlappende Einheit bilden. Dadurch wird verhindert, dass das Dach undicht wird, selbst wenn zwei der drei Ziegel zerbrechen. Die konvexen männlichen Ziegel, die mit einem Lehmschlammgemisch mit den weiblichen Ziegeln verbunden werden, werden vom Ende der Dachsparren bis zum Dachfirst in geraden Linien verlegt. Am Ende dieser Linien werden Dach-Endziegel mit einem Mörtel aus gebranntem Ton und Schlamm angebracht, um ein Verrutschen der Ziegel zu verhindern. Je nachdem, wie die Dachziegel in gekurvte Linien gelegt

werden, ergibt sich ein unterschiedlicher ästhetischer Eindruck. Dachdeckermeister Lee merkt an: „Eins der wichtigsten Merkmale der traditionellen koreanischen Architektur ist die Schönheit der gekurvten Linien, die in den Dachlinien am besten zum Ausdruck kommt. Betrachtet man ein Hanok-Haus aus der Ferne, sind mehr als 70 Prozent der Dachziegel zu sehen. Der Abschluss von Dachsparren, Hauptfirst und Dachstuhl ist am wichtigsten. Das Gewicht der Ziegel, der zur Stützung der Dachschräge dienenden Stützkonstruktionen und der Lehmerde ist auch nicht gering. Ein Ziegel allein wiegt 7kg. Bei der Restaurierung des Daches des Tores Sungnye-mun werden 18.000 weibliche und 7.200 männliche Ziegel sowie jeweils 500 weibliche und männliche Dach-Endziegel eingesetzt. Wenn die darunter angebrachten Stützhölzer das Gewicht der Dachziegel nicht ausreichend zu tragen vermögen, wird sich das Dach senken und die Eleganz der Dachlinien wird beeinträchtigt. Daher müssen Dachdecker die Postulate der Schönheit und Funktionalität gleichzeitig erfüllen.“ Wenn der Zimmermann den Bau des Hauses nach rund einem Jahr abgeschlossen hat, beginnt die Arbeit des Dachdeckers, die etwa 20 Tage in Anspruch nimmt. Beim Dachdecken sind stabile Stützkonstruktionen vonnöten. Auf die Dachsparren kommen Winter 2010 | Koreana 49


1 Ein Dachfirst-Endziegel mit einem Doppeldrachen-Dekor

2 Das Decken des Daches eines traditionellen koreanischen Gebäudes ist ein äußerst arbeitsintensiver Prozess, bei dem keine Schnellverfahren angewendet werden dürfen.

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erst Holzbretter oder ein Geflecht aus Zweigen des Japanischen Buschklees, der Japanischen Erle o.ä. und darauf dann die Stützhölzer und der Lehmmörtel, die die Dachschräge tragen sollen. Der Zimmermann schneidet die hölzerne Fassung für die weiblichen Ziegel am Ende der Dachtraufe zu. Der Dachdecker bringt diese dann entsprechend den gekurvten Linien der Dachziegel in abschließende Form, damit keine Zwischenräume zwischen der Fassung und den Ziegeln entstehen. Diese hölzerne Fassung entscheidet maßgeblich über Formschönheit und Stabilität des Daches. Bei kleineren Ziegeln wird die Holzfassung dünn zugeschnitten und der Abstand zwischen den konkaven Wölbungen wird entsprechend klein gehalten. Für größere Ziegel ist die Holzfassung dick und die Ziegel werden mit Dachpappennägeln befestigt. Werden zu viele Stützhölzer verwendet, kommen die schön gerundeten Linien nicht zur Geltung, bei zu wenigen Stützhölzern können die Ziegel leichter zerbrechen. Auch der Anteil des beigemischten Ätzkalks im Lehmmörtel, mit dem die Dachziegel befestigt werden, muss exakt bestimmt werden, damit die Ziegel nicht abfallen. Da all diese Prozesse eine hohe Genauigkeit verlangen, sind beim Dachdecken Geschick und Erfahrung des Dachdeckers ausschlaggebend. „An der Deckung des rund 1.983-Quadratmeter umfassenden Daches des Pavillons Gyeonghoeru arbeiteten 20 Dachdecker einen ganzen Monat lang. An einigen tieferen Stellen wurde auf die Dachsparren eine 60 Zentimeter dicke Lehmerdeschicht gegeben. Die Menge der Stützhölzer und der Lehmerde wurde aufs Sorgfältigste bestimmt, um ein möglichst ideales Gleichgewicht zu schaffen. Es dürfte wohl keine Arbeit geben, die größere Geduld erfordert als das Dachdecken. In der Sommerhitze heizen sich die Dachziegel auf und die Temperatur steigt dabei bis 60, 70 Grad Celsius. Dann stockt mir der Atem und es ist sogar schwer, stehen zu bleiben, aber ich muss bei der Arbeit mit gesenktem Kopf die runde Linienführung der Dachziegel im Auge behalten und die Linien aufeinander abstimmen. Das Dach ist die reinste Sauna. Dagegen ist man im Winter einem eisigen Wind ausgesetzt. Zu der Kälte kommt noch die erhöhte Absturzgefahr. Die Ziegel unter den Füßen sind glatt und die Zerrung im Rücken ist sehr schmerzhaft. Aber wenn ich mir nach der Beendigung der Arbeit die glänzenden und sanft geschwungenen Dachlinien anschaue, erfüllt mich dieser Anblick mit großer Zufriedenheit.“

Lee Bescheidenheit. Er unterstreicht, dass Dackdecker und Zimmermann in einer unauflösbaren Verbindung miteinander stehen, da der Zimmermann die Nägel einschlagen müsse, so dass das Hanok-Haus 1.000 Pfund tragen könne, während der Dachdecker die Dachziegel legen müsse, so dass das Gebäude 1.000 Jahre überdauern könne. Ein Dachdecker kann nur dann als wahrer Handwerksmeister anerkannt werden, wenn er Verantwortung für „1.000 Pfund“ und „1.000 Jahre“ übernehmen kann. In der brütenden Sommerhitze ohne den winzigsten Schatten lernte er Selbstüberwindung, während er in der Winterkälte die Tugend der Geduld kultivierte. Zurzeit bringt Lee seinen Lehrlingen die „Geschenke des Lebens“, die er durch diese Erfahrungen 4 erhielt, bei: Lee besorgte im Stadtbezirk Susaek-dong in der Provinz Gyeonggi-do auf eigene Kosten ein Haus, wo er seine 20 Lehrlinge in die Geheimnisse der Dachdeckerei einführt. Im Winter baut er eine Art Treibhaus aus Planen auf, in dem er seine ganze Energie in die praktische Unterweisung im Handwerk fließen lässt. „Bevor ich noch älter werde, möchte ich alles, was ich übers Dachdecken weiß, weitergeben. Ich denke, dass es für den Menschen, der weniger als 100 Jahre lebt, wertvoll ist, sein ganzes Leben dem Bau von schönen, 1.000 Jahre überdauernden Holzgebäuden zu widmen. Wenn ich eine fließende Dachlinienführung sehe, die an den runden Rücken eines riesigen, fröhlich tanzenden Wals erinnert, dann durchströmt eine unbeschreibliche Freude meinen ganzen Körper.“ Lee sucht auch erfahrene ältere Dachdecker auf, um von ihnen weiter zu lernen. Immer wenn er ältere Handwerksmeister trifft, die schon über 70 oder 80 Jahre alt sind, bittet er sie: „Bringen Sie mir bitte alles bei, was Sie wissen und können!“ Sein Enthusiasmus bewegt die älteren Dachdecker, die ihr Leben ganz der Arbeit widmeten, dazu, ihr „Bündel der Techniken“ aufzuschnüren. Lee setzt alles, was er lernt, sofort in die Praxis um und macht es sich zu eigen. Dann vermittelt er seinen Lehrlingen die neu erworbene Technik. Bedauerlich ist nur, dass viel zu wenig Zeit bleibt, meint er.

Lebensweisheiten sammeln Aus seiner jahrzehntelangen Arbeit als Dachdeckermeister hat er viele Weisheiten des Lebens gelernt, sagt Lee. Die Bearbeitung von Hölzern und die Füllung der Räume über den Sparren mit Erde und Hölzern – Arbeiten, die in Vorbereitung auf das eigentliche Dachdecken durchgeführt werden müssen – betonen den Wert der zwar unsichtbaren, aber als Basis dienenden Arbeit. Und egal, wie hoch das handwerkliche Geschick des Dachdeckers sein mag – alle seine Anstrengungen können zunichte werden, wenn er sich nicht die Mühe macht, einen guten Zimmermann zu finden und mit ihm eng zusammenzuarbeiten. Diese Erkenntnis lehrte

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MEISTERwERKE

Bronzespiegel: Exzellente Gusstechnik und Gestaltung Bei den bis heute erhaltenen antiken Spiegeln in Korea lassen sich Steinspiegel, Eisenspiegel und Bronzespiegel unterscheiden. Besonders berühmt darunter sind runde Spiegel mit zwei oder drei Ösen zum Aufhängen, die als „Danyugyeong“, wörtlich „Spiegel mit mehreren Ösen“, bekannt sind. Cho Hyun-jong Hauptkurator, National Museum of Korea Fotos: Korean Christian Museum, Soongsil University

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eben Bronzedolchen und anderen Waffen gehören die Spiegel namens Danyugyeong zu den Hauptrelikten der koreanischen Kultur der Bronzezeit. Ähnliche Spiegel wurden auch im Nordosten Chinas und im japanischen Kyushu gefunden. Es wird allgemein angenommen, dass die Danyugyeong auf Bronzeknöpfe der Ordos-Kultur im Süden der inneren Mongolei oder auf einösige Spiegel aus der Yin-Shang-Zeit (16.-11.Jhdt. v. Chr.) in China zurückgehen. Es lassen sich zwei Arten von mehrösigen Bronzespiegeln unterscheiden: Spiegel mit groblinigen und Spiegel mit feinlinigen Gravuren. Das hier vorgestellte Artefakt ist der „Bronzespiegel mit zwei Ösen und feinlinigem geometrischen Dekor“ (Nationalschatz Nr. 141) aus der Sammlung des Christlichen Museums (Korean Christian Museum) der Soongsil Universität. Es gilt als repräsentativstes Relikt aus der koreanischen Bronzezeit. Die dekorierte Rückseite der flachen Bronzescheibe, deren reflektierende Vorderseite glatt-glänzend poliert ist, ist in drei Dekorbereiche unterteilt, die mit einem feinlinigen und aufwändig-komplexen geometrischen Sägezahnmuster aus Dreiecken und einem Design aus konzentrischen Kreisen geschmückt sind. Im zweiten und dritten Jahrhundert vor Christus waren diese Art von Bronzespiegeln in der Region unterhalb des Flusses Daedong-gang (heute in Nordkorea) weit verbreitet. Bislang wurden 25 solche Spiegel gefunden, meistens zusammen mit Bronzeschwertern, Bronzespeeren und Bronzerasseln. Sie stammen meist aus Holzkistengräbern mit Steineinfassung, Tongräbern oder Holzkistengräbern in archäologischen Stätten in Daegok-ri in Hwasun und in Chopo-ri in Hampyeong, Provinz Jeollanam-do. Auch außerhalb der koreanischen Halbinsel wurden Überreste gefunden, so z.B. in Kyushu, Japan.

Bronzespiegel mit feinsten Gravuren Dieser Bronzespiegel aus der Sammlung des Christlichen Museums der Soongsil Universität ist der größte und am feinsten dekorierte Bronzespiegel, der je in Korea gefunden wurde. Der Spiegel mit einem Durchmesser von 21,2cm besteht aus einer glatt polierten Vorderseite und einer dekorierten Rückseite 52 Koreana | Winter 2010


Bronzespiegel mit zwei Ă–sen und feinlinigem geometrischen Dekor Bronzezeit, 2.-3. Jhdt. v. Chr.; Durchmesser: 21,2 cm, Dicke: 1 cm (Rand), Nationalschatz Nr. 141, Korean Christian Museum, Soongsil University Winter 2010 | Koreana 53


Der Dekor mit seinen 13.000, in Abständen von nur 0,3 Millimeter eingravierten Linien stellt aus heutiger Sicht in technischer Hinsicht ein kleines Wunder dar. Es ist fraglich, ob bereits vor 2.200 bis 2.300 Jahren anderswo auf der Welt über die notwendige Technik zur Fertigung eines solch elaborierten Designs verfügt wurde.

mit zwei Ösen. Der Dekor ist in einen äußeren, einen mittleren und einen inneren Abschnitt unterteilt. Der äußere Abschnitt zeigt mehrere Reihen vertikal angeordneter Dreiecke mit feinliniger Schraffur und vier Paare konzentrischer Kreise. Der mittlere Dekorabschnitt besteht ebenfalls aus fein schraffierten Dreiecken, die diesmal waagrecht angeordnet sind. Der innere Dekorabschnitt weist eine Vierteilung auf, die ebenfalls aus feinlinigen Dreiecken besteht. Dieser innere Abschnitt ist etwas dicker und entsprechend leicht vorgewölbt. Der Dekor mit seinen 13.000, in Abständen von nur 0,3 Millimeter eingravierten Linien stellt aus heutiger Sicht in technischer Hinsicht ein kleines Wunder dar. Es ist fraglich, ob bereits vor 2.200 bis 2.300 Jahren anderswo auf der Welt über die notwendige Technik zur Fertigung eines solch elaborierten Designs verfügt wurde. Die Fertigung eines Dekors, dessen Herstellung nach einer Technologie vom Niveau der modernen Hochtechnologie zu verlangen scheint, ist für die damalige Zeit schon sehr erstaunlich. Gussformfunde auf der koreanischen Halbinsel bestätigen, dass Bronzespiegel normalerweise hergestellt wurden, indem man flüssige Bronze in eine Talkform goss. Ein Dekor mit feinen Linien in dermaßen kleinen Abständen hätte sich jedoch mit dieser Methode nicht herstellen lassen. Selbst ein erfahrener Techniker hätte heutzutage Probleme damit, mit dem Kompass um den Mittelpunkt des Spiegels Kreise zu ziehen und Vierecke, deren Linien kürzer als 1 cm sind, in zwei Dreiecke zu unterteilen und jedes Dreieck dann mit mehr als 20 Linien zu schraffieren, wie es bei diesem Spiegel der Fall ist. Noch erstaunlicher ist, dass im äußeren Dekorabschnitt 20 konzentrische Kreise auf einem Durchmesser von weniger als zwei Zentimetern angebracht sind. Bedenkt man zudem, dass der Spiegel klein und nur wenige Millimeter dick ist, dann kann man sich leicht vorstellen, wie kompliziert das Gießen eines solchen Stücks gewesen sein muss. Fest steht auf jeden Fall, dass dieser Spiegel, für den eine für den Zweck ideale Bronzelegierung verwendet wurde, das Resultat von über lange Zeiten akkumulierten Techniken der Bronzeherstellung und Metallurgie kombiniert mit den besten Gusstechniken der Zeit ist.

Die Zauberkraft von Spiegeln Im Allgemeinen waren antike chinesische Bronzespiegel mit glücksbringenden Figuren aus Mythen und Legenden wie Drachen oder Helden geschmückt. Die koreanischen Bronzespiegel Danyugyeong wiesen hingegen bevorzugt Dekore aus feinlinigen Dreiecken auf, die um das dritte vorchristliche Jahrhundert einen Höhepunkt erreichten. Grundmotive auf Spiegeln mit feinlinigem Dekor waren dabei Blitze, Sägezahnmuster, Sterne und konzentrische Kreise. Dekore aus einer Aneinanderreihung von mit vielen parallelen Linien gefüllten Dreiecken gehören zu den Mustern, die universell von der ganzen Menschheit benutzt wurden. Sternen- und Sägezahnmuster aus solchen sich wiederholenden Dreiecken stehen für die Strahlen der scheinenden Sonne. Dekore wie im äußerem Abschnitt der Bronzespiegel aus dem dritten und zweiten Jahrhundert vor Christus auf der koreanischen Halbinsel stellen also Sonnenstrahlen in ihrer symbolischen Bedeutung dar. Die strahlenden Sägezahn-Designs auf den mit großem handwerklichem Geschick hergestellten Bronzespiegeln verstärken den Effekt der Reflexion der Sonnenstrahlen, also der grundlegenden Funktion eines Spiegels. Das Sägezahn-Dreieck-Muster steht nicht nur für den Glanz des strahlenden Sonnenlichts, sondern ist auch Symbol für eine sonnengleiche Macht. Daher wertet man Bronzespiegel mit solch aufwändigem, elaboriertem Dekor als wichtige Relikte mit größtem symbolischen Gehalt für das Verständnis der gesellschaftlichen Ordnung des Bronzezeitalters. So galt z.B. die Reflexion des mystischen Sonnenlichts, das an einer Stelle konzentriert wurde, oder die Widerspiegelung des eigenen Antlitzes als ein unglaubliches Phänomen. In der fernen Vergangenheit war die Reflexion des Lichts ein mystischer Anblick, auf den viele sicherlich mit Erstaunen, Angst oder sogar Schrecken reagierten. Ein Herrscher, der im Besitz eines Spiegels mit feinem Dekor war, dürfte 54 Koreana | Winter 2010


Der Spiegel besteht aus einer aufwändig dekorierten Rückseite mit zwei Ösen zum Aufhängen und einer glatt polierten, reflektierenden Vorderseite. Er wurde in Seide eingeschlagen in einem speziellen Spiegel-Kasten verwahrt.

ihn sicherlich dazu angewendet haben, die Emotionen der Menschen zu kontrollieren und auf diese Weise bestimmte Ziele zu erreichen.

Der Symbolgehalt von Spiegeln Zu den wichtigsten Zeremonialgegenständen der auch heute noch in Korea aktiven Schamanen gehören Schwert, Spiegel und Rassel. Diese Gegenstände gehen auf die drei magischen Ritualgegenstände zurück, die im Grab eines schamanistischen Oberpriesters aus dem dritten bis zweiten Jahrhundert vor Christus gefunden wurden, nämlich ein Bronzeschwert, ein Bronzespiegel und eine Bronzerassel. Auf diese Gegenstände lassen sich auch Schwert, Spiegel und Jade in der japanischen Mythologie zurückführen. Auch heutzutage ist der Spiegel nicht nur für koreanische Schamanen ein symbolischer und zauberkräftiger Gegenstand, sondern auch für die Schamanen Sibiriens. Bronzezeitliche Spiegel mit mehreren Ösen wurden meist auf der Brust des Verstorbenen liegend gefunden. Daraus, und aus der Tatsache, dass der Spiegeldekor in engem Zusammenhang mit der Sonne steht, lässt sich schließen, dass Spiegel in Zeiten, in denen religiöses Ritual und politische Macht eine nicht zu trennende Einheit waren, symbolträchtige Gegenstände im Besitz von schamanistischen Oberpriestern oder Stammesführern waren. Was die anderen Ritualgegenstände betrifft, so trug das Schwert zum Wohlergehen des Einzelnen oder der Gruppe bei, indem es das Böse bannte, während die Rassel geschüttelt wurde, um die Götter anzurufen. Als schamanistische Gegenstände, die für rituelle Zwecke genutzt wurden, gehörten Schwert, Spiegel und Rassel zu den Besitztümern eines Schamanen, der als Medium dazu diente, mit dem Klang der Rassel Himmel und Erde zu vereinen. Anhand solcher archäologischer Relikte, die in alten Gräbern gefunden wurden, lassen sich die so Bestatteten als Oberschamanen identifizieren, die Rituale ausführten und die Kraft besaßen, die Götter der Sonne und der Natur mit Spiegel und Rassel zu bewegen. Winter 2010 | Koreana 55


KUNSTKRITIK

Realismus in der asiatischen Kunst: Das Asien des 20. Jahrhunderts in Bildern Die Ausstellung Realismus in der asiatischen Kunst (Realism in Asian Art ), die vom koreanischen Nationalmuseum für Zeitgenössische Kunst (National Museum of Contemporary Art Korea) und von der Nationalen Kunstgalerie Singapurs (The National Art Gallery Singapore) gemeinsam organisiert wurde, fand zuerst in Singapur und danach in Korea statt. Die Ausstellung, die 104 Werke aus 10 asiatischen Ländern präsentierte, bot unter dem Schlüsselwort „Realismus“ einen Überblick über die Strömungen in der modernen Kunst Asiens, in der der rasante Wandel dieses Kontinents vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zu den 1980er Jahren zum Ausdruck kommt. Kim Inhye Kuratorin, National Museum of Contemporary Art Korea | Fotos: National Museum of Contemporary Art Korea

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n jüngster Zeit zeigt die internationale Kunstwelt ein rasch steigendes Interesse an der asiatischen Kunst. Bisher beschränkte sich dieses Interesse aber meist nur auf die zeitgenössische Kunst ab den 1990er Jahren, als weltweit die Globalisierung einsetzte. Kunst aus der Zeit davor wurde bislang hingegen weder von der Öffentlichkeit, noch von der Wissenschaft hinreichend wahrgenommen. Die „Künstler des Volkes“, die zu Beginn der modernen Geschichte Asiens aktiv waren, erfreuten sich zwar in ihren jeweiligen Heimatländern hoher Beliebtheit, waren in der internationalen Kunstwelt aber kaum bekannt. Die asiatischen Länder teilten jedoch seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Kolonialherrschaft und zwei Weltkriegen ziemlich ähnliche historische Erfahrungen. Die aus dem Imperialismus geborene Struktur des Kolonialismus und die zwei Weltkriege, die totale Kriege waren, führten schließlich dazu, dass sich die Geschichte der einzelnen Länder nur im Rahmen der Gesamtkonstellation der Weltdynamik bewegen konnte.

Zeitgenössische Kunst Asiens

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Auch im Kunst- und Kulturbereich kamen in Ländern wie den Philippinen oder Indonesien zur gleichen Zeit beispielsweise Themen auf, die der „Diskussion um Lokalität“ oder dem Konflikt zwischen dem Nationalimus und der proletarischen Kunst in Korea zur japanischen Kolonialzeit (1910-1945) ähnlich sind. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs liefen der Kurs der sozialistischen Staaten wie China und Vietnam und der Kurs der den USA nahe stehenden Länder wie der der Philippinen, Südkoreas und Thailands völlig auseinander. Die letzteren standen unter dem starkem Einfluss des amerikanischen Abstrakten Expressionismus der 1950er Jahre. Es war auch in mehreren asiatischen Ländern zu beobachten, dass als Gegenreaktion darauf in den 1970er und 1980er Jahren die hauptsächlich von Studenten angeführte, politisch gefärbte Bewegung des Neuen Realismus auftrat. Eine auf die Dichotomie „Modernismus versus Realismus“ vereinfachte Struktur des Diskurses war ein weiteres Phänomen, das sich in mehreren Ländern bemerkbar machte. Dieses gemeinsame Problembewusstsein spiegelt sich in den Werken der Künstler in

1 Raja Ravi Varma, Indien, Lady in the Moonlight (Dame im Mondlicht), 1889 2 Takahashi Yuichi, Japan, Courtesan (Kurtisane), 1872

3 Raden Saleh, Indonesien, Puncak Pass (Der Puncak-Pass), 1871

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Wenn man sich die fünf Themengruppen der Ausstellung anschaut, kann man erkennen, dass der Realismus in Asien zunächst als eine Art Repräsentationstechnik angenommen wurde, dass er sich dann aber unter dem Einfluss der besonderen historischen Realitäten der einzelnen Länder entsprechend veränderte, so dass seine Stellung objektiviert wurde und er schließlich selbst über seine eigene „Position“ sprach.

unterschiedlich hoher Intensität wider. Erst heute, wo die Ära des Kalten Krieges fast zu Ende ist und sich das neue Paradigma der Globalisierung durchgesetzt hat, scheint es möglich zu sein, diese Vergangenheit mit etwas Distanziertheit zu betrachten. Daher ist es an der Zeit, eine grundlegendere Reflexion über die „zeitgenössische asiatische Kunst“, die zu einer Art Modetrend geworden ist, anzustellen. „Was ist Realismus?“ – auf diese Frage mit einer eindeutigen Definition zu antworten, ist schwierig. In der westlichen Kunstgeschichte assoziiert man mit Realismus zuerst die Künstler des 19. Jahrhunderts wie Gustave Courbet, Honoré Daumier und Jean-François Millet, aber man denkt auch an den Sozialen Realismus in den USA in den 1930er Jahren oder den Sozialistischen Realismus in der ehemaligen Sowjetunion. Daher lautet die fundamentale Frage in Bezug auf die Realismus-Diskussion weniger, „was“ Realismus ist, als vielmehr, „welcher“ Realismus zur Rede steht. Das heißt, im Realismus geht es im Kern um Ansicht und Haltung, weniger um Stil. Vor diesem Hintergrund versuchte die Ausstellung nicht, Realismus zu definieren oder die kunstgeschichtliche Genealogie zu vervollständigen. Stattdessen wurden fünf spezielle Themen aufgestellt, anhand deren 104 Werke aus 10 asiatischen Ländern (Südkorea, China, Japan, Indien, Singapur, Malaysia, Vietnam, Thailand, Indonesien, die Philippinen) je nach ihrer thematischen Haltung so gruppiert wurden, dass die unterschiedlichen Richtungen des Realismus daran erkennbar wurden.

Themen der Ausstellung Das erste Thema Realismus als Repräsentationstechnik behandelte, wie die asiatischen 58 Koreana | Winter 2010


1 Nguyen Gia Tri, Vietnam, Landscape of Vietnam (Landschaft von Vietnam), 1940 2 Pai Un-Soung, Korea, A Big Family (Eine große Familie), 1930-35 3 Fernando Amorsolo, Philippinen, Rice Planting (Reis pflanzen), 1924 4 Shindudarsono Sudjojono, Indonesien, Angklung Player (Angklung-Spieler), 1956

Künstler zum ersten Mal mit der westlichen Malerei in Berührung kamen und sie als Repräsentationstechnik annahmen. Die westliche Malerei wurde in Asien anfänglich als eine Technik, dreidimensionale Objekte effektiv auf der zweidimensionalen Oberfläche der Leinwand darzustellen, d.h. als eine realistische Darstellungstechnik, aufgenommen. In dieser Themensektion wurden Werke der Ölmaler der ersten Generation des jeweiligen Landes, darunter Raja Ravi Varma aus Indien, Raden Saleh aus Indonesien und Takahashi Yuichi aus Japan, zum ersten Mal dem koreanischen Publikum vorgestellt. Es gab aber auch Werke, bei denen die westlichen Maltechniken mit den jeweiligen Maltraditionen des eigenen Landes kombiniert und verschmolzen wurden. Beispielsweise wurden in Landschaft von Vietnam (Landscape of Vietnam) von Nguyen Gia Tri die traditionellen Lackmalereitechniken Vietnams mit einer Landschaft im westlichen Stil kombiniert. In Eine große Familie (A Big Family ) von Pai Un-soung wurde für eine Familienporträt Baengmyo-beop (Skizzieren der Grundlinien und Kolorierung der Innenflächen), eine Technik der traditionellen Tuschemalerei Koreas, angewendet. Das zweite Thema (Rural; Land) und das dritte Thema (The Worker; Arbeiter) sind zwar in gewisser Hinsicht miteinander verbunden, aber in vielen Fällen standen sie sich als konträre Konzepte gegenüber. Das eine Thema präsentierte die jeweilige Interpretation des Künstlers von „Land“, während das andere das Leben der städtischen Arbeiter und des Proletariats thematisierte. Die Werke zum Thema „Land“ zeigten pastorale Idyllen im Kontext von „Mutter Erde“, wohingegen die Werke zum Thema „Arbeiter“ sich auf die „Stadt“ bezogen und aufforderten, sich der elenden Realität zu stellen und diese zu überwinden. Das Bild Reis pflanzen (Rice Planting ) von dem philippinischen Künstler Fernando Amorsolo, das unter der Tropensonne auf dem Feld arbeitende Frauen zeigt, hatte dem Maler die Kritik eingebracht, die Augen vor der Realität, unter der das Volk in der Kolonialzeit litt, zu schließen, da die Frauen anziehend und elegant wirken und eher auf einer Bühne zu tanzen als Knochenarbeit zu verrichten scheinen. Im Gegensatz dazu gab es aber auch zahlreiche Werke, die Bettler, Arbeiter und Menschen der Unterschicht zeigen, die in der Stadt ums nackte Überleben kämpfen, wobei sowohl ihr Elend, als auch

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ihre starke Energie zum Ausdruck kommen. Der aus Indonesien stammende Künstler Shindudarsono Sudjojono stellte die Tradition seines Landes bezüglich der schönen Landschaftsmalerei in Frage und merkte an: „Maler rennen nicht auf der Suche nach Ästhetik in die Berge, sondern decken in den Städten die realen Dinge und Realitäten des Stadtlebens auf. Flaschen, Pfannen, Schuhe, Büros, Stühle, Kinder, Damen, Städte, hässliche Brücken, Straßengräben, Straßen und arme Arbeiter sind ihre Themen.“ Die proletarische Kunst Asiens, die den Charakter einer Unabhängigkeitsbewegung hatte, blühte in den 1920er und 1930er Jahren auf und stieß auch gleich nach dem Zweiten Weltkrieg auf große Resonanz.

Sozialer Kommentar und Kritik Das vierte Thema war Krieg und Realismus. Hier wurde die realistische Malerei als leicht

1 1 Lai Foong Moi, Malaysia,The Sun Sui Worker (Der Sun Sui Arbeiter), 1967 2 Phan Ke An, Vietnam, Hanoi Christmas Bombing of 1972 (Bombardierung Hanois an Weihnachten 1972), 1985

verfügbares Kommunikationsmittel der Berichterstattung und der Propaganda betont. Dazu gehörten auch Bilder, die die grausame Realität der nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zu vermeidenden Unabhängigkeitskämpfe der meisten asiatischen Länder schildern. Die Kunst bezieht in Zeiten des Kriegs stets eine bestimmte politische Position, sei es, um eine Aggression zu rechtfertigen, die Realität der Opfer anzuklagen oder zur Solidarität aufzurufen. Sozialer Kommentar und Kritik (Social Commentary and Criticism ), die letzte Themengruppe, zeigte die Bewegung des Neuen Realismus (in Korea Minjung-Kunst; Volkskunst), der in den 1970er Jahren nach dem starken Auftritt der abstrakten Malerei in den beiden vorangegangenen Jahrzehnten vielerorts gleichzeitig aufkam. Diese Bewegung des Neuen Realismus, die hauptsächlich im Zuge der Studentenbewegung in Form von Gruppenaktivismus getragen wurde, forderte dazu auf, den gesellschaftlichen Realitäten ins Auge zu sehen und durch aktive Partizipation seiner Stimme Ausdruck zu verleihen. Die eine fast „surrealistische“ Stimmung ausstrahlenden Bilder dieser Richtung werfen einen direkten Blick auf die fast unglaubliche, aber dennoch wirkliche Realität und lassen die Frage aufkommen, was nun die wahre Realität ist.

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Wenn man sich die fünf Themengruppen der Ausstellung anschaut, kann man erkennen, dass der Realismus in Asien zunächst als eine Art Repräsentationstechnik angenommen wurde, dass er sich dann aber unter dem Einfluss der besonderen historischen Realitäten der einzelnen Länder entsprechend veränderte, so dass seine Stellung objektiviert wurde und er schließlich selbst über seine eigene „Position“ sprach.

Mutige Auseinandersetzung Die Frage, was „Realität“ ist, scheint auf den ersten Blick einfach und klar zu beantworten zu sein. Aber auch hier gibt es wie beim Realismus letztendlich keine objektive Antwort, da bereits in dem Moment, in dem man zu einer Antwort ansetzt, persönliche „Positionen“ und „Haltungen“ zum Tragen kommen. Jedenfalls verfolgte diese Frage die im Zeitalter der ideologischen Polarisierung lebenden asiatischen Künstler unablässig und jeder suchte auf seine eigene Weise eine Antwort darauf. Hier ein eindeutiges Urteil „richtig versus falsch“ fällen zu wollen, würde nur zu endlosen Diskussionen führen. Wichtiger ist, die Mikrogeschichte der Künstler der damaligen Zeit zu erforschen und ihre mutige Auseinandersetzung an sich aufzudecken. Diese mutige Auseinandersetzung ist es, die beim Betrachter eine innere Bewegung hervorzurufen vermag, und sie ist auch der Anlass dafür, den Blick erneut auf uns selbst im Jetzt und Hier zu richten. Die Ausstellung Realismus in der asiatischen Kunst (Realism in Asian Art ) zeigte die verschiedenen Weisen, wie die Künstler der asiatischen Länder, die sehr ähnlichen historischen Erfahrungen im 20. Jahrhundert wie Kolonialherrschaft, zwei Weltkriege, Unabhängigkeitskampf, ideologische Konflikte, Wirtschaftsentwicklung und politische Diktatur teilen, ihre eigene Realität sehen und interpretieren. Neben den auf den historischen Gemeinsamkeiten beruhenden Ähnlichkeiten wurden auch die Unterschiede zwischen den Ländern aufgedeckt. Die Ausstellung sorgte beim koreanischen Publikum, dessen Blick bislang zu sehr auf den Westen gerichtet war, für einen frischen Schock. Auch in kommerzieller Hinsicht erwies sich die Ausstellung mit 120.000 Besuchern als großer Erfolg.

3 3 Shin Hak-chul, Korea, History of Modern Korea 4 (Geschichte des modernen Korea 4), 1982 4 Dede Eri Supria, Indonesien, Urban Class (Die städtische Klasse), 1977

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KOREA ENTDECKEN


Professor Hosaka Yuji von der Sejong Universität. Nach dem Abschluss seines Studiums an der Universität Tokio promovierte er an der Korea Universität in Seoul in Politikwissenschaft. 2003 nahm er die koreanische Staatsbürgerschaft an. Professor Hosaka veröffentlichte mehrere Bücher zum Thema der Territorialhoheit Koreas über die Insel Dokdo, für die er historische Karten und Dokumente untersuchte.

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n meiner Oberschulzeit, als ich noch in Japan lebte, habe ich durch verschiedene Medien und Bücher erfahren, dass es in Japan viele Sportler und Show-Promis gibt, die ethnische Koreaner sind. Nachdem ich erfuhr, dass die meisten Sportler, Sänger und Schauspieler, die ich mochte, Japan-Koreaner waren, kam ich zu dem Schluss, dass Koreaner in den Bereichen Sport und Unterhaltung talentierter als die Japaner sind.

Erinnerungen aus meiner Kindheit Rikidozan, der legendäre Profiringer und zu seiner Zeit ein japanischer Held, dessen eigentlicher Name Kim Sin-rak ist, der Meister der Kyokushin Karate Masutatsu Oyama (Choi Bae-dal), der ProfiBaseballspieler Isao Harimoto (Jang Hun), der auch als „Hit-Maschine“ bezeichnet wurde, und der mit 400 Siegen legendäre Baseball-Werfer Masaichi Kaneda (Kim Kyung-Hong) waren die Superhelden meiner Kindheit. Der Rekord von 3.085 Treffern, den der Baseballer Jang Hun 28 Jahre lang ungebrochen hielt, wurde erst 2009 von Ichiro, der jetzt in den USA für die Seattle Mariners in der Major League spielt, gebrochen. Jang war auch ein Power Hitter, der es auf 504 Home Runs brachte. Masaichi Kanedas Rekord von 400 Siegen ist immer noch ein Rekord im japanischen Baseball, der vielleicht nie übertroffen werden wird, da der Werfer, der hinter ihm an zweiter Stelle steht, nur 313 Siege vorweisen kann, viel weniger als Kaneda. Es gibt einen anderen Baseballspieler, der mit den japanischen Helden koreanischer Abstammung konkurrieren kann. Das ist Sadaharu Oh (Wang Chen-chu), ein Japaner taiwanesischer Herkunft. Er hält einen Rekord von 868 Home Runs, was auch nicht leicht zu überbieten ist. Die Spieler koreanischer Abstammung sind technisch geschickter und besitzen mehr Kraft als japanische Spieler. Der jetzige Held der japanischen Baseball-Liga ist Nagashima Shigeo, der zum „Ehrencoach auf Lebenszeit“ der Yomiuri Giants ernannt wurde. Aber seine Leistungen sind mit denen von Jang Hun oder Sadaharu Oh nicht zu vergleichen. Im japanischen Sport, nicht nur im Baseball, sondern auch im Fußball, Volleyball und vielen anderen Sportarten, sind öfters japanische Spieler koreanischer Abstammung in den ersten Rängen zu finden. In meiner Kindheit waren auch in der Unterhaltungsbranche die hervorragenden Sänger und die Schauspieler, die besser aussahen, die schöner waren, immer – und das kann man durchaus ohne Übetreibung sagen – Korea-Japaner. Diese Entertainer hatten auch immer eine lange Karriere.

Korea: Selbstbewusst nach der Überwindung der Vergangenheit Bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver, bei denen Kim Yuna zur Königin des Eiskunstlaufs gekrönt wurde, überraschten die koreanischen Schlittschuhläufer die Zuschauer weltweit mit mehreren Medaillen im Eisschnelllauf und Shorttrack. Durch eine Reihe von internationalen Sportveranstaltungen beginnt sich Korea weltweit einen Namen als starkes Land in Sachen Sport zu machen. Hosaka Yuji Professor für Japanologie, Sejong University | Fotos: Ahn Hong-beom

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Die Golferinnen koreanischer Abstammung, die in Amerika aktiv sind und „Pak Se Ri Brigade“ genannt werden, haben in ihrer Kindheit das legendäre Spiel gesehen, bei dem Pak barfüßig ins Wasser watete, um von dort den Ball zu schlagen. Auch ich habe mir das Spiel mitten in der Nacht angeschaut. Wenn Korea gegen Japan spielt, werde ich manchmal gefragt, welche Seite ich anfeuere. Auf solche Fragen versuche ich so neutral wie möglich zu antworten, aber eigentlich feuere ich immer die koreanischen Spieler an, weil ich die guten koreanischen Sportler sehr mag.

Als ich älter wurde, war ich schockiert und wütend, als ich sah, dass Spieler koreanischer oder taiwanesischer Herkunft diskriminiert wurden. Ich habe einmal ein Spiel mit Jang Hun gesehen, bei dem sich die beiden Mannschaften wegen eines Balles, der den Schlagmann getroffen hatte, stritten. Auch Jang Hun war an dem Streit beteiligt. Einige Zuschauer schrien wiederholt „Verschwinde, Josenji!“ (Josenji: abwertende Bezeichnung für „Koreaner“). Als ich diese Szene hautnah erlebte, wurde ich wütend. Nicht nur, weil ich viele Freunde koreanischer Abstammung hatte, sondern auch, weil mir Leute zuwider sind, die ohne Grund andere diskriminieren oder beschimpfen. Zum Glück forderten andere Zuschauer in der Nähe diese ungehobelten Fans auf, gefälligst Ruhe zu geben und brachten sie damit zum Schweigen. Ich war erleichtert, dass es doch noch vernünftige Menschen gab. Doch nach diesem Vorfall las ich in einer Sportzeitung einen Bericht über einen Vorfall, dessen Beteiligten ich heute noch nicht vergeben kann. In dem Bericht hieß es, dass ein Spieler Sadaharu Oh, der inzwischen Coach der Yomiuri Giants geworden war, mit „Wangkoro“(=Mistkerl) beschimpft habe. Dieser Spieler gab Sadaharu Oh die Schuld am schlechten Abschneiden der Mannschaft: „Der Grund, warum wir verloren haben, ist nur der hochnäsige Wangkoro. Es ist alles wegen diesem Wangkoro.“ Als ich damals diesen Artikel las, dachte ich: „Das kann doch nicht sein, dass ein Spieler seinen Coach als Mistkerl beschimpft...“ Dieser Spieler ist heute ein Baseball-Kommentator. Ich kann nicht verstehen, dass die Yomiuri Giants oder die japanische Gesellschaft diesen Menschen nicht irgendwie diszipliniert haben. Die unterschwellige Diskriminierung der Japaner gegenüber Sadaharu Oh war auf diese Weise zutage getreten. Dies wurde zum Anlass, dass ich Misstrauen gegenüber dem pathologischen Symptom der japanischen Gesellschaft entwickelte, aus den ehemaligen Kolonien stammende Personen von großem Talent oder mit hervorstechender Persönlichkeit unter einem unbegründeten Vorwand anzugreifen.

Die Korea-Welle In meiner Kindheit hatte ich den Eindruck, dass die Koreaner in den Bereichen Sport und Entertainment den Japanern überlegen sind. Jetzt, wo das diskriminierende Bewusstsein fast verschwunden ist, werden meine Eindrücke durch verschiedene Erscheinungen bestätigt. Die Korea-Welle Hallyu und die Sportwettkämpfe zwischen Korea und Japan belegen dies deutlich. Die Korea-Welle nahm ihren Anfang in der japanischen Entertainmentbranche durch Filme, Fernsehserien und Popmusik. Seit 64 Koreana | Winter 2010

dem Jahr 2000 erfreuten koreanische Sänger wie die Sängerin BoA und Schauspieler wie Bae Yong Joon in Japan explosionsartiger Beliebtheit. Eine Zeit lang schien die Korea-Welle dann etwas abzuflachen und einige sagten sogar schon ihr Ende voraus, aber Hallyu hat sich schon eine breite Fan-Basis geschaffen und wächst in neue Richtungen. Zur Zeit sind die fünfköpfige Boy Band Dong Bang Shin Gi (Tong Vfang Xien Qi) und die neunköpfige Gruppe Girls´ Generation in Japan heiß beliebt und haben die Herzen der jungen japanischen Fans erobert. Die Gruppe Dong Bang Shin Gi wurde zwar aufgelöst, aber ihre Lieder sind immer noch populär und stehen ganz oben in den Oricon Charts, auf deren Wertung man sich am ehesten verlassen kann, wenn es um die Beliebtheit von Popmusik geht. Die Gruppe Girls´ Generation, die in diesem Jahr ihren ersten Auftritt in Japan hatte, wurde gleich ein großer Hit, vor allem unter den weiblichen Teenagern. Schon seit jeher weisen die japanischen Schülerinnen die Besonderheit auf, Sängerinnen und Schauspielerinnen nicht weniger als Sänger oder Schauspieler zu mögen. Diese Fanschicht schenkt nun Girls´ Generation ihr ganzes Interesse. Früher gab es bei der Schauspielerin Jeon Ji-hyun ein ähnliches Phänomen. Girls´ Generation hat das Herz der jungen Japanerinnen gewonnen, die tolle weibliche Idole lieben. Anfänglich waren die Fans der KoreaWelle Hausfrauen mittleren Alters. Die Fanschicht hat sich nun aber durch das Wirken der jungen Sänger wie Dong Bang Shin Gi und Girls´ Generation auf die junge Generation verlagert.

Powerhouse des Sports Dieses Jahr schneidet Korea auch im Sport gut ab, vor allem im Fußball. Seitdem die koreanische Nationalelf bei der Fußballweltmeisterschaft 2002 das Halbfinale erreicht hat, haben die koreanischen Mannschaften ihren Status bei internationalen Wettkämpfen erfolgreich verteidigt. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika erreichte die koreanische Männer-Nationalelf das Achtelfinale, während die Frauenmannschaft bei der U-20Weltmeisterschaft auf Platz drei kam. Die Fußball-Juniorinnen gewannen sogar vor Kurzem den U-17 WM-Titel. Im Vergleich dazu wiedeholt es sich bei den Japanern immer wieder, dass sie in den entscheidenden Runden aufgrund eigener Fehler verlieren. Ich bin der Meinung, dass es einen Grund für dieses Phänomen gibt. Im Vergleich zu Korea, wo es nur 60 Oberschulen gibt, die eine eigene Frauenfußballmannschaft haben, gibt es in Japan ungefähr 1.400. Müssen da die Spielerinnen durch die schiere Anzahl der Konkurrentinnen nicht schon körperlich und seelisch


Um Korea noch besser verstehen zu lernen, befasst sich Prof. Hosaka auch mit Werken der koreanischen Literatur.

erschöpft sein, bevor sie es in die Nationalmannschaft schaffen? Im Oberschul-Baseball ist es nicht anders. Während in Korea 60 Oberschulen um den ersten Platz kämpfen, nehmen in Japan 4.500 Schulen zweimal im Jahr an den nationalen Wettbewerben teil. Es ist zwar wünschenswert, eine gut ausgebaute Infrastruktur zu haben, aber die Spieler können durch die vielen Wettkämpfe überfordert werden. Besonders beim Baseball gibt es viele Werfer, die schon in der Oberschulzeit ausgepowert sind und aufgeben. Wenn man sich die World Baseball Classic (WBC), die Baseball-WM, ansieht, kann man feststellen, dass die koreanischen und japanischen Spieler einzeln betrachtet keine großen Leistungsunterschiede aufweisen. Es mag zwar sein, dass das Umfeld in Korea nicht ganz so gut ausgebaut ist, aber es kann

trotzdem besser dazu geeignet sein, dass die Spieler ihren Traum verwirklichen. Korea gewann im Baseball bei den Olympischen Spielen 2008 in Beijing die Goldmedaille und nahm den zweiten Platz bei den WBC 2009 ein. Unter den koreanischen Werfern, die in der japanischen Liga spielen, wird Lim Chang-Yong von den japanischen Schlagmännern gefürchtet. Es gibt auch in der japanischen Baseball-Nationalmannschaft viele Korea-Japaner, die die japanische Staatsangehörigkeit angenommen haben. Vielleicht sind die verschiedenen Wettkämpfe, bei denen Korea gegen Japan antritt, gar keine Korea-Japan-Wettkämpfe, sondern eher ein Kräftemessen zwischen Koreanern und Korea-Japanern. In diesem Jahr feierte Korea auch in anderen Sportarten große Erfolge. Bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver, bei denen Kim Yuna zur Königin des Eiskunstlaufs gekrönt wurde, überraschten die koreanischen Schlittschuhläufer die Zuschauer weltweit mit mehreren Medaillen im Eisschnelllauf und Shorttrack. Aber die Japaner haben bei den Olympischen Winterspielen keine einzelne Goldmedaille gewonnen. Durch eine Reihe von internationalen Sportveranstaltungen beginnt sich Korea weltweit einen Namen als starkes Land in Sachen Sport zu machen. Im Golf sind es auch koreanische Spieler, die in Japan oder Amerika um den ersten Platz ringen. Im Golf spielen nicht nur koreanische, sondern auch japanische Spieler in den USA. Die Golferinnen koreanischer Abstammung, die in Amerika aktiv sind und „Pak Se Ri Brigade“ genannt werden, haben in ihrer Kindheit das legendäre Spiel gesehen, bei dem Pak barfüßig ins Wasser watete, um von dort den Ball zu schlagen. Auch ich habe mir das Spiel mitten in der Nacht angeschaut. Wenn Korea gegen Japan spielt, werde ich manchmal gefragt, welche Seite ich anfeuere. Auf solche Fragen versuche ich so neutral wie möglich zu antworten, aber eigentlich feuere ich immer die koreanischen Spieler an, weil ich die guten koreanischen Sportler sehr mag. Unter den Leuten in Japan, deren Eltern bzw. Großeltern aus Japans ehemaligen Kolonien Korea und Taiwan oder aus der Präfektur Okinawa, auf deren gesamtes Territorium Japan nach wie vor Anspruch erhebt, stammen, erscheinen nun Talente, die die Japaner übertreffen und besondere Leistungen hervorbringen. Die heutige Welt, in der die Amerikaner einen Präsidenten mit schwarzer Hautfarbe gewählt haben, zeigt uns, dass die dunklen Zeiten überwunden wurden und eine neue Ära angebrochen ist, in der Diskriminierung keinen Platz mehr hat. Korea hat die Vergangenheit überwunden und begonnen eine ehrenvolle Position in der globalen Gemeinschaft einzunehmen. Es bleibt nur noch ein Weg, der zum echten Sieg führt. Winter 2010 | Koreana 65


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AUF DER wELTBÜHNE

Fußballstar Park Ji-Sung: körperlich und geistig ein As Der südkoreanische Fußballspieler Park Ji-Sung gilt bereits als eine Legende in Asien. Sein Einstieg in den britischen Premier-League-Club Manchester United erfüllte das Herz der koreanischen Sportfans mit Stolz. Sie erwarten von ihrem Fußballhelden, der auf sechs Jahre Erfahrung in der Premier-League zurückblicken kann, dass er in der kommenden Spielsaison mit einem etwas aggressiveren Angriffsspiel seinem Team und Trainer sein Potential als einer der weltbesten Mittelfeldspieler bestätigt. Jeong Yoonsoo Sport-Kolumnist, Adjunct Professor, Abteilung für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Sungkonghoe University

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m Sommer 2005, als Park, der repräsentativste koreanische Fußballspieler des Jahrhunderts, von dem niederländischen Fußballverein PSV Eindhoven zum britischen Manchester United wechselte, hatten seine koreanischen Fans gleich an zwei Fronten zu kämpfen. Der eine Kampf war gegen den Schlaf. Auf Grund der Zeitverschiebung wurden die Fußballmatchs in Korea entweder spät in der Nacht oder früh am Morgen übertragen. Die koreanischen Fans stellten ihr Leben darauf ein, nachts die Spiele vor dem TV zu verfolgen und am nächsten Tag den Schlafmangel durch kleine Nickerchen in der Schule oder im Büro auszugleichen. Der zweite Kampf, den sie führten, war gegen die unbegründeten Gerüchte, wonach der britische Traditionsclub Park nur aufgenommen habe, um auf dem ostasiatischen Sportmarkt mehr Trikots verkaufen zu können. Die koreanischen Fußballfreunde mussten gegen die Anti-Fans in aller Welt, die voller Vorurteile im Internet über Park herzogen, kämpfen.

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Sir Alex Fergusons Entscheidung Es war Sir Alex Ferguson, der renommierte Trainer von Manchester United, der bei diesem Kampf die koreanischen Fans tatkräftig unterstützte. Im März 2010 wählten die Sportkanäle Eurosport und Sky Sports Park JiSung zu einem Mittelfeldspieler der besten Elf der 31. Runde der britischen Premier League. Bei einem Interview machte Ferguson klar, dass seine Entscheidung für Park allein auf dessen fußballerischen Qualitäten beruhe und nichts damit zu tun habe, in Korea mehr T-Shirts absetzen zu wollen. Der US-Nachrichtenagentur Associated Press zufolge hob Ferguson hervor, dass bei Parks Aufnahme sein kommerzieller Wert keine Rolle gespielt habe. Es seien seine Energie, Gesamthaltung und Intelli1 Park Ji-Sung manövriert sich an John genz, die ihn überzeugt hätten. „Als ich ihn mir 2005, als er noch für den PSV Eindhoben spielte, Pantsil vom Fulham FC vorbei; bei einem bei einem Halbfinalspiel der Champions League angesehen habe, habe ich gedacht: Hier ist ein Rückrundenspiel der Saison 2010-2011 der englischen Premier League. Spieler, der wirklich etwas von Fußballspielen versteht.“ 2 Park Ji-Sung, der für die FußballweltDie koreanischen Fußballfans wussten bereits seit mehreren Jahren, dass Ferguson mit seiner meisterschaft 2010 zum Kapitän der Bewertung Recht hat. Park Ji-Sung, im Jahr 1981 geboren, begann während seiner Grundsüdkoreanischen Nationalelf ernannt schulzeit an der Seryu-Grundschule in der Stadt Suwon mit dem Fußballspielen. Gegenwärtig wurde, vertrat die Mannschaft auf einer gibt es dort eine „Park-Ji-Sung-Straße“ und ein Fußballzentrum zur Nachwuchsförderung, das Pressekonferenz im Nelson Mandela Bay Stadion. „Park-Ji-Sung-Fußballzentrum“, befindet sich im Bau. Winter 2010 | Koreana 67


Das, was den südkoreanischen Fußballtrainer Huh Jung-Moo, der den damals noch unbekannten Fußballspieler vor zehn Jahren zum Nationalspieler ernannte, und Sir Alex Ferguson, der ihn vor fünf Jahren in den bekanntesten Fußballverein der Welt aufnahm, begeisterte, war Parks außerordentliche Angriffsfähigkeit, mit der er der gegnerischen Verteidigung droht.

Nach seiner Aufnahme in die Myongji Universität debütierte Park im Jahr 2000 als Nationalspieler. Die Geschichte, wie es zu seinem Auftritt als Nationalspieler kam, ist auch interessant. Damals war Park wie ein ungeschliffener Diamant in der Fußballwelt, ein Spieler mit Potential, aber noch ohne Schliff, für den sich die Profi-Fußballvereine oder die renommierten Universitäten nicht interessierten. Doch Huh Jung-Moo, der damalige koreanische Nationaltrainer für die Olympischen Spiele in Sydney, erkannte Parks Potential. Nach Huhs Worten sei Park ein ausgezeichneter Fußballspieler, der nicht nur hervorragenden Kampfgeist und Willen besitze, sondern zudem auch noch über eine angeborene Fähigkeit zur Raumorientierung verfüge, was ihn auf jeder Angriffsposition im Mittelfeld einsetzbar mache.

Raumorientierungsfähigkeit und Angriffstaktik Park Ji-Sung wird oft „der Mann mit den zwei Herzen“ genannt. Damit betont man seinen Spielstil, 90 Minuten lang ununterbrochen mit vollem Einsatz zu laufen und zu schießen. Nach dem im Februar 2009 vom Koreanischen Institut für Sportwissenschaft durchgeführten Herzfrequenztest schlägt Parks Herz ungefähr 40 Mal pro Minute. Ein ähnliches Ergebnis ergab sich bei einem weiteren koreanischen Sportstar, dem Marathonläufer Lee Bong-Ju, dem Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele in Atlanta 1996 und Sieger des Boston Marathon 2001. Bei normalen Menschen beträgt die Herzfrequenz durchschnittlich 60 bis 80 Schläge pro Minute. Dies bedeutet, dass Park die angeborene körperlichen Fähigkeit besitzt, bei relativ niedrigem Sauerstoffverbrauch mit hohem Tempo laufen zu können, ohne Erschöpfung zu zeigen. Auch bei der Vitalkapazität übertraf er mit 5.000cc den Durchschnitt (3.000-4.000cc) mit großem Abstand. Aber Fußball ist anders als 100-Meter-Lauf oder Schwimmen. Fußball ist eine Disziplin, bei der fast jede Minute zahlreiche Problemsituationen, die nicht allein mit hoher Herz- und Vitalkapazität gelöst werden können, auftreten. Ballübergaben misslingen, Mannschaftskameraden sind im entscheidenden Moment entweder zu schnell oder zu langsam und die Verteidiger der gegnerischen Mannschaft stehen immer am „falschen“ Platz und blockieren den Angriff. Es ist zwar wahr, dass Park Ji-Sung mit einer Körpergröße von 1,78m und einem Brustumfang von 101cm über optimale körperliche Voraussetzungen verfügt, doch beim Fußball ist nicht die „Hardware“ entscheidend. Es gilt vielmehr, mit feiner Technik und außerordentlicher Intuition einen Raum, der bis vor einer 68 Koreana | Winter 2010

Sekunde noch gar nicht existierte, schaffen und nutzen zu können. Die koreanischen Fußballfans jubelten Park zu und schenkten ihm Vertrauen und Applaus, wenn er mit der gelben Kapitänsbinde am linken Arm auf dem Spielfeld erschien, weil er nicht nur durch seine physische Ausdauer hervorragte, sondern mit ausgezeichneter Technik und intuitivem Überblick entstehende Problemsituationen geschickt zu meistern verstand. Das, was den südkoreanischen Fußballtrainer Huh Jung-Moo, der den damals noch unbekannten Fußballspieler vor zehn Jahren zum Nationalspieler ernannte, und Sir Alex Ferguson, der ihn vor fünf Jahren in den bekanntesten Fußballverein der Welt aufnahm, begeisterte, war Parks außerordentliche Angriffsfähigkeit, mit der er der gegnerischen Verteidigung droht. Auf Grund dieses Talents wurde Park Ji-Sung im Juni 2000 in den japanischen Profi-Fußballverein Kyoto Sanga F.C. aufgenommen. Mit seiner Hilfe konnte die Mannschaft, die 2001 in die zweite Liga abgestiegen war, 2002 wieder in die erste Liga zurückkehren. Im selben Jahr half Park als Mitglied der Nationalelf bei der Fußballweltmeisterschaft Korea/Japan 2002 durch den historischen Einzug des koreanischen Teams ins Halbfinale die Geschichte des koreanischen Fußballs neu zu schreiben. Guus Hiddink, der damalige Trainer der koreanischen Nationalmannschaft, warb Park gleich nach der Fußball-WM für den niederländischen Spitzenclub PSV Eindhoven an. Die schicksalhafte Verbundenheit zwischen Trainer und Spieler hatte sich während der Weltmeisterschaft 2002 durch das Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen Spanien, das der koreanischen Mannschaft den Einzug ins Halbfinale brachte, befestigt. Kurz vor dem historischen Augenblick zögerte Park, den Elfmeter zu übernehmen, da er seit seiner Oberschulzeit kaum Elfmeter geschossen hatte. Doch Hiddink überzeugte ihn, dass er gerade deshalb den Elfmeter schießen müsse. „Wenn dieser Elfmeterschuss ein Treffer wird, hast du eine 100%ige Erfolgsquote beim Elferschießen.“ Und Park ließ Hiddinks Worte wahr werden. Die UEFA Champions League 2005, bei der Park für den PSV Eindhoven spielte, zählt zu den feinsten und heroischsten Momenten der niederländischen Fußballgeschichte. Der PSV Eindhoven verlor damals das Auswärtsspiel der ersten Halbfinalrunde gegen den AC Mailand mit 0:2. Es war nur zu hoffen, dass in der zweiten Runde, beim Heimspiel, ein Wunder geschehen möge. Johan Cruyff, der legendäre frühere Fußballspieler aus den Niederlanden sowie anerkannter Fußball-Analytiker in Euro-


pa, prophezeite vor dem wichtigen Match: „Wenn ein Wunder geschehen sollte, dann wird es Park Ji-Sung vollbringen.“ Schon in der ersten Hälfte dieses schicksalhaften Spiels erwies sich, dass Johan Cruyff den richtigen Riecher hatte. Sir Alex Ferguson, der das Spiel vor Ort sah, rief Park noch vor Beginn des Sommers zu Manchester United.

Manchester United Park Ji-Sung ist nicht nur ein geborenes Fußballtalent, sondern zugleich auch ein Perfektionist, für den die 24 Stunden des Tages nicht zum Trainieren reichen. Seine Hände ähneln in ihrer weichen Eleganz fast Frauenhänden. Aber seine Füße sind rau und verformt, als hätte er jahrzehntelang auf Baustellen hart gearbeitet. Betrachtet man das Foto von Park Ji-Sungs Füßen, das die koreanische Fotografin Jo Seon-hee im November 2002 in der Frauenzeitschrift Elle Korea veröffentlichte, fällt auf, dass Zehennägel fehlen, der Mittefußknochen verformt ist und die Fußrücken mit großen und kleinen Verletzungen übersät sind. Wahrscheinlich dürften alle Fußballspielerfüße mehr oder weniger so aussehen, aber Park Ji-Sungs Füße erinnern die koreanischen Fans noch einmal mehr daran, welch unermüdliche Bemühungen und Leidenschaft hinter seinem Erfolg stehen, und lassen diesen Einsatz erneut würdigen. Park schrieb mit seiner Karriere die dramatische Geschichte vom Aufstieg eines unbekannten Fußballspielers zu einem der Kern-Spielstrategen von Manchester United. Diese Geschichte weist auch Parallelen zur modernen Geschichte Südkoreas auf: Das einstige Entwicklungsland Südkorea arbeitete sich auf Basis von Bau- und Schwerindustrie zu einem führenden IT-Land hoch und erreichte auf dem Weg dorthin neben einem gewissen Wohlstand auch die Demokratisierung des Landes und eine innere Solidarität.

Park Ji-Sung landet einen Treffer im Spiel Südkorea-Griechenland, dem ersten Wettkampf der Gruppe B bei der Fußball-WM 2010; im Nelson Mandela Bay Stadion in Port Elizabeth.

Park gehört heute zu den Schlüsselspielern von Manchester United und ist zugleich Kapitän der koreanischen Nationalmannschaft. Es könnte gut sein, dass seine Mannschaftskollegen in der Verteidigung während des Spiels sein Gesicht vergessen, da sie immer nur seinen Hinterkopf zu sehen bekommen, weil er das Angriffsspiel des Gegners an vorderster Front abwehrt und unermüdlich in Richtung gegnerisches Tor stürmt. Seit der Ausrichtung der Fußball-WM 2002 Korea/Japan wurden in Korea mehrere Fußballstadien von Weltspitzenniveau und regionale Fußballzentren gebaut, und Profi-Ligen und Nationalmannschaft werden effektiver gemanagt. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe Spieler, die durch besondere Karrieren auffallen. Park Joo Young (AS Monaco) und Ki Sung-Yong (Celtic Glasgow) zum Beispiel gingen bereits in jungen Jahren ins Ausland, d.h. nach Brasilien bzw. Australien, um ihr fußballerisches Können zu erhöhen. Lee Chung-Yong (Bolton Wanderers) schlug bereits im dritten Mittelschuljahr im Alter von 16 Jahren den Weg zum Profispieler ein. In diesem Jahr holten sich die südkoreanischen Juniorinnen zum ersten Mal den Sieg bei der FIFA U-17 Frauen-Weltmeisterschaft. Die jungen Spielerinnen gehören alle zur „Nachfolgegeneration von Park Ji-Sung“, d.h. sie konnten die Vorteile einer ausgeweiteten Infrastruktur und eines effektiveren Managementsystems genießen. Nicht zuletzt hatten sie mit Park Ji-Sung auch ein großes Vorbild und Rollenmodell, dem sie folgen konnten. In diesem Sinne ist Park Ji-Sung ein attraktiver Sportstar, der für die jungen Koreaner und die Nachwuchs-Fußballspieler ein Symbol der großen Träume verkörpert. Winter 2010 | Koreana 69


UNTERwEGS

Wandern auf den Olle-Trails von Jeju-do Die Insel Jeju-do wurde von der UNESCO zum Weltbiosphärenreservat und Weltnaturerbe erklärt. In jüngster Zeit wurden zudem neun Stätten, darunter der Vulkanberg Halla-san und der Sonnenaufgangsgipfel Seongsan Ilchulbong, in das globale Netzwerk nationaler Geoparks der UNESCO aufgenommen. Zurzeit brechen immer mehr Koreaner nach Jeju-do auf, um die Sehenswürdigkeiten der Insel abzuwandern. Ihr Ziel sind dabei die so genannten OlleTrails, Wanderpfade durch besonders reizvolle Gegenden. Kim Hyungyoon Essayist | Fotos: Ahn Hong-beom

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nfang des Herbstes verbrachte ich drei Tage auf Jeju-do, um die Insel zu Fuß zu erkunden. Am ersten Reisetag begrüßte mich ein herrlich blauer und hoher Himmel als deutliches Zeichen des Herbsteinbruchs. Doch die Sonne stach noch dermaßen heiß, dass die Felsen entlang der Küste eine starke Hitze ausströmten. Aber das konnte die Wanderlustigen nicht davon abhalten, über die Felsformationen von verschiedenster Größe und Gestalt zu klettern. Ich fand Trost in der Meeresbrise, die mir über die Wangen streichelte. Das Geräusch der ununterbrochen ans Ufer klatschenden Wellen faszinierte mich und die sich ständig verändernde Himmels- und Meereslandschaft schlug mich in ihren Bann. Wer hätte da dem Drang, durch die Gegend zu schweifen, zu widerstehen vermocht? Jeju-do ist die größte Insel Koreas und das beliebteste Reiseziel der Koreaner. Diese weitläufige, ovale Insel, die sich vor der südlichen Landspitze der koreanischen Halbinsel befindet, weist die geologische Besonderheit auf, rein vulkanischen Ursprungs zu sein, und auch klimatisch sticht sie hervor, da sie in der Übergangszone vom gemäßigten zum subtropischen Klima liegt. Vor diesem Hintergrund bietet Jeju-do eine ganze Reihe von Sehenswürdigkeiten sowie Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten. Um

jede Ecke tut sich dem Besucher eine neue Landschaft auf und Abenteuerlust beflügelnde Herausforderungen verbergen sich in allen Winkeln.

Hintergrund der Olle-Trails Ab 2007 wurden auf Initiative einer auf der Insel geborenen und aufgewachsenen Frau Wanderrouten entlang der Küste von Jejudo, die von den Koreanern „geheimnisvolle Erde“ genannt wird, entwickelt. Die meisten dieser Pfade existierten bereits seit Ewigkeiten, aber da lange kein Mensch mehr einen Fuß auf sie gesetzt hatte, waren viele entweder von den Wellen weggespült oder von der Natur überwuchert worden. Suh Myung Sook machte sich zusammen mit ihren Freunden auf, die alten, verschwundenen Pfade wieder zu finden, unterbrochene Pfade miteinander zu verbinden und neue Verbindungswege zwischen den einzelnen Routen anzulegen. Die Inspiration zu dieser Mission war eine einmonatige Wallfahrt, die Suh von Frankreich nach Santiago de Compostela in Spanien gemacht hatte. Während dieser Pilgerreise dachte sie oft an den Duft der Erde und die Brise ihrer Heimat Jeju-do, auf der es keine solche Wanderwege gab. Gleich nach ihrer Rückkehr kündigte sie ihre Stelle als Journalistin und schlug als „Pionierin

Wanderer auf dem Weg vom Berg Songak-san an OlleTrail Nr.10 in Richtung Hafen Moseulpo (Foto: Jeju olle). Winter 2010 | Koreana 71


1 Eine 2 km lange Teilstrecke von Olle-Trail Nr. 8 führt an der Küste von Jungmun-dong, Seogwipo, an steilen Felsklippen vorbei nach Daepo-dong.

2 Zu Trail Nr. 7 gehört diese natürliche Felsensäule, bekannt als „Oedolgae“, die sich hoch aus den Küstengewässern reckt (Foto: Jeju olle). 72 Koreana | Winter 2010

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der Wanderwege“ ein neues Kapitel in ihrem Leben auf. Suh Myung Sook nannte die von ihr erschlossenen Wanderwege „Olle“, was im Dialekt der Insel so viel wie „schmaler Weg vom Haus bis zur größeren Straße“ bedeutet. Mit Hilfe von Freunden erschloss sie zunächst einen 16km langen Weg und kurz danach zwei weitere Pfade. Diese drei Trails haben eine Gesamtlänge von 46km. In den Jahren darauf setzte sie ihre Mission fort, so dass es heute 22 Olle-Routen mit einer Gesamtlänge von 357km gibt. Die meisten Olle-Trails winden sich die Küsten entlang. Manchmal führt ein Weg zwar auch durch Dörfer, Wälder und Berge, aber letztendlich heißt die Endstation „Meer“. Auf den Olle-Pfaden kann der Wanderer trunken werden vom Geruch des Meeres und betäubt vom Geräusch der plätschernden Wellen. Der rhythmische Klang der Natur, der von Graskäfern, Vögeln und Wellen erzeugt wird, erfüllt die Olle-Pfade. Am ersten Tag wanderte ich 13km auf Olle-Trail Nr. 7 von Oedolgae bis zum Hafen Gangjeonghang. Ein Felsenriff, das bei dem Vulkanausbruch vor einer Million Jahren, der das Aussehen der Insel entscheidend prägte, entstand, schoss an der Küste wie eine Säule in die Höhe. Oedolgae ist der Name sowohl dieses Felsenriffs als auch des Küstenstreifens gegenüber der sich in den Himmel reckenden Steinsäule. Am Vormittag hatte die Sonne bereits heiß gebrannt und die von den Felsfromationen an der Küste ausströmende Hitze war intensiv, aber wie die anderen Wanderer auch hatte ich noch nicht genug vom Laufen: Ich konnte einfach meinen Blick nicht von der erstaunlichen Landschaft um mich herum losreißen.

Klippen durch den Bildsucher Während der Reise trug ich eine Kamera bei mir. Ich habe lange als Zeitschriftenredakteur gearbeitet und habe daher mit vielen guten Fotos zu tun gehabt. Aber ich hätte früher nie im Leben daran gedacht, diese Kunstwerke des Lichtes selbst zu schaffen, da mir der fachmännische Umgang mit der Kamera ein Feingefühl

zu erfordern schien, das mir einfach abging. Nach Anbruch des digitalen Zeitalters, in dem jeder mit einer Kamera herumläuft, brachte ich jedoch den Mut auf, mich der „Herausforderung“ zu stellen. Digitalkameras sind ja auch viel einfacher zu handhaben und man braucht den Film nicht zu wechseln. Objekte durch den Sucher zu betrachten, machte auf Jeju-do den Akt des „Sehens“ zu einer bewussten Handlung. Es führte dazu, genauer hinzuschauen, so wie man beim Essen gründlich kaut. Darüber hinaus sensibilisierte es mich für die Präsenz des Lichts und die sich wandelnde Lichtbeschaffenheit. Das Licht, das auf die Landschaft um mich herum fiel, weckte Emotionen in mir. Dies war selbst der Fall bei „Licht ohne Licht“. Mir gefielen diese neuen Erfahrungen, die ich mit der Kamera machte. Entlang der Südküste von Jeju-do sind die so genannten Jusangjeolli zu sehen, Lavasteinformationen, die durch Vulkanausbrüche entstanden. Es handelt sich um Formationen unterschiedlichster Gestalt wie z.B. rechteckige oder sechseckige Säulen, die ein Resultat erstarrter Lavaströme sind und zusammen imposante Klippen bilden. Ich verlor mich in den Anblick der Vielfalt von Farben und Formationen, die sich dicht an dicht von oben bis unten erstrecken, und schoss die Landschaftsszenen, die in endloser Abfolge in meinem Bildsucher auftauchten. Gefesselt vom Fotografieren bemerkte ich nicht, wie schnell die Zeit verflogen war, und musste dann feststellen, dass ich noch nicht besonders weit auf meiner geplanten Route gekommen war. Die Zeit reichte nicht mehr, um es bis zum Shuttlebus am Ende der Route zu schaffen, außerdem war alle Energie aus meinem dehydrierten Körper gewichen, so dass mir die Kraft zum Weiterwandern fehlte. Also ließ ich den Trail hinter mir und machte mich zum nächsten Dorf auf, wo ich ein Taxi rief. Egal, wo auf Jeju-do man sich befindet, es ist überall einfach, wieder in die Zivilisation zurückzukehren. An anderen Orten, sei es in Tibet, aber auch im spanischen Santiago, ist das nicht möglich. Auf Jeju-do kann der

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Die meisten Olle-Trails winden sich die Küsten entlang. Manchmal führt ein Weg zwar auch durch Dörfer, Wälder und Berge, aber letztendlich heißt die Endstation „Meer“. Auf den Olle-Pfaden kann der Wanderer trunken werden vom Geruch des Meeres und betäubt vom Geräusch der plätschernden Wellen. Der rhythmische Klang der Natur, der von Graskäfern, Vögeln und Wellen erzeugt wird, erfüllt die Olle-Trails.

müde Wanderer, wenn er sich nicht gerade in den tiefen Tälern des Halla-san befindet, überall einfach ein Taxi bestellen, das ihn innerhalb von 30 Minuten aufsammelt und in die Zivilisation zurückbringt. Natürlich gibt es auch unter den Koreanern besonders hartgesottene Abenteurer, denen die Bequemlichkeiten des Trekkings auf Jeju-do nur ein müdes und verächtliches Lächeln entlocken würden. Aber selbst sie dürften der Versuchung kaum widerstehen können, die Trails der Vulkaninsel abzuwandern.

Der Niederländer Hendrik Hamel Am zweiten Tag nahm ich Olle-Trail Nr. 10. Wie die Route Nr. 8 erstreckt sich dieser Weg entlang der Südküste vom Strand Hwasun zum Hafen Moseulpo. Obwohl es sich um einen KüstenTrail handelt, führt der Weg auch durch ein Gebiet mit sanften Hügeln und breiten Ebenen. Auf der Wanderung verbrachte ich lange Zeit am Strand Yongmeori (Drachenkopf), der sich am Fuß des majestätisch ruhenden Berges Sanbang-san befindet. Der Name „Yongmeori“ soll auf die dortigen topographischen Besonderheiten zurückgehen, die in ihrer Form an einen Drachen erinnern sollen, der mit hochgerecktem Kopf ins Meer taucht, aber ich selbst konnte die angebliche Drachenform nicht recht ausmachen. Was meinen Schritt zum Stocken brachte, waren vielmehr die steilen Sandsteinklippen mit den flachen Felsen darunter und die weißen Schaumkronen, die von den ununterbrochen an die Felsen klatschenden Wellen gebildet wurden. In der Nähe von Yongmeori liegt ein Segelschiff vor Anker, das schon längst nicht mehr die Meere befährt. Es dient als Ausstellungsraum zum Gedenken an Hendrik Hamel, einen Seefahrer aus den Niederlanden. Sein Handelsschiff, die De Sperwer (Der Sperber), das über Taiwan nach Nagasaki in Japan unterwegs war, erlitt 1653 in einem Sturm Schiffbruch. Von der 65 Mann starken Besatzung überlebten nur 35. Hamel und seine Männer strandeten im August 1653 vor der Küste von Jeju-do. Sie wurden von den 74 Koreana | Winter 2010

Behörden des damaligen Joseon-Königreichs (1392-1910) festgehalten und mussten in Zwangsarbeit im Marine-Oberkommando Handlangertätigkeiten verrichten. Im Jahr 1666 gelang Hamel und sieben anderen Besatzungsmitgliedern die Flucht nach Nagasaki, von wo aus Hamel schließlich in die Niederlande zurückkehrte. Nach seiner Rückkehr veröffentlichte Hendrik Hamel einen Erlebnisbericht über seinen 13-jährigen Aufenthalt in Korea: Tagebuch über die unglückliche Reise der Sperber (Journal van de Ongeluckige Voyage van‘t Jacht de Sperwer). Dies waren die ersten Aufzeichnungen über Korea, die den Europäern Einblicke in das bis dahin völlig unbekannte Land der Morgenstille vermittelten. Die Olle-Trails entlang finden sich in bestimmten Abständen blaue und orangenfarbene Bänder und Pfeile. Es handelt sich um Markierungen, die dem Wanderer die Richtung anzeigen. Hin und wieder trifft man auch auf eine Art Hinweisschild in Form eines kleinen Quadrats über einem größeren Rechteck, das von langen, blauen Beinen gestützt wird. Dieses Symbol der Olle-Trails stellt die einheimischen Pferde von Jeju-do dar. Das Symbol, das irgendwie auch einem Hund ähnelt, wird „Ganse“ genannt, was so viel wie „Faulheit“ oder „Müßiggang“ bedeutet.

Am Strand von Miramar Wenn ich als Kind aus der Schule nach Hause kam, warf ich meinen Schulranzen in die Holzdiele und ging sofort zum Berg hinter dem Dorf. Dort suchte ich unter den Steinen im Flüsschen am Fuße des Berges nach Flusskrebsen. Im Frühling pflückte ich Aza1 Verkäufer bieten eine Reihe von einheimischen Obstsorten an, darunter Ananas, Drachenfrüchte (Pitayas) und Tangerinen.

2 Das Hamel-Museum (Hamel Memorial Museum) gedenkt des niederländischen Kapitäns Hendrik Hamel, den es nach Korea verschlug, als sein Schiff 1653 vor der Küste von Jeju-do versank. Nach seiner Rückkehr in die Heimat veröffentlichte er einen Bericht über seinen Aufenthalt in Korea, der das Land zum ersten Mal europäischen Lesern vorstellte.


leen und brachte sie fröhlich nach Hause. Eines Morgens fand ich nach dem Regen im warmen Sonnenschein eine glänzende Kastanie. All diese Unternehmungen meiner Kindheit hatten nichts damit zu tun, dass ich nach draußen ging, um zu wandern. Nie wäre mir in den Sinn gekommen, zu sagen „Also, jetzt mach ich mal eine kleine Wandertour“. Erst in fortgeschrittenerem Alter betrachtete ich das Gehen bzw. Wandern an sich als eigenständiges Ziel und maß dem Wandern als Aktivität Bedeutung zu. Der Gedanke, Erholung zu brauchen und etwas für die Gesundheit zu tun, weckte mein Interesse am Wandern. Wandern mit diesen Zielvorgaben kann nicht als „Ganse“, „Müßiggang“, verstanden werden. Das Wandern mit einem bestimmten Ziel vor Augen führt dazu, dass man schnellen Schrittes läuft. Eine gemächliche oder „müßige“ Gangart hat hingegen kaum einen Effekt, wenn es um die Bewegung geht. Ein flottes Schritttempo bedeutet aber wiederum auch keine Minderung des Wandervergnügens. Bewegt man sich schnell und kon-

zentriert mit flott-kräftigem Armschwung, breitet sich ein Wohlgefühl im ganzen Körper aus. Das ist nicht zu vergleichen mit dem Schlenderschritt des „Ganse“. Vor langer Zeit las ich das Buch Am Strand von Miramar. Auf der Suche nach dem wirklichen Leben (Beachcombing at Miramar). Der Autor, der New Yorker Richard Bode, führte als Zeitungs- und Zeitschriftenredakteur ein hektisches Leben, bevor er sich von einem Tag auf den anderen in ein Häuschen an der amerikanischen Westküste zurückzog. Das Buch beginnt mit der Bemerkung, dass er ein ganzes Jahr lang den Stand von Miramar entlang gewandert sei. Er verbrachte seine Zeit damit, die Sandbänke unter seinen Füßen abzusuchen, egal nach was. Das machte er nicht nur eine Woche oder einen Monat lang, sondern über ein Jahr lang. Wenn das nicht die Krone der „Ganse“ ist! „Müßiggänger“ heißt im Dialekt von Jeju-do „Ganse-dari“. Als ich das Buch las, träumte ich davon, irgendwann einmal ein „Ganse-dari“ zu werden, der am Strand herumläuft und Muscheln sucht. Das

Eine Wandergruppe erfrischt sich am Stand von Hwasun am Ende von Olle-Trail Nr. 9 (Foto: Jeju olle).

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zisten, die den Strand am Fuße des Berges abpatrouillierten, und Frauen mit Rucksäcken, die von weit her kamen. Sie wirkten erfrischend und fröhlich wie Gras und Wildblumen. Der klare Sonnenschein und die frische Brise trugen dazu bei, diese Menschen noch schöner aussehen zu lassen. Während ich vom Gipfel den Berghang hinunterstieg, kam ein starker Wind auf, der die Äste in alle Richtungen peitschte und das Gras mit seinen kleinen gelben und roten Blumen zu Boden drückte. Wie das Gras ließ ich mich vom Wind hierhin und dorthin drücken, gerade, wie es ihm gefiel. Der Weg führte zur Ebene hinunter und schlängelte sich ein Kartoffelfeld entlang zum Meer. Weit in der Ferne kreuzte gemächlich ein langes Schiff am Horizont, während die Sonne im Meer versank.

Saryeoni-sup, der „Heilige Wald“

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bedeutet auch die Rückkehr in die Kindheit, in der ich unter den Steinen nach Flusskrebsen suchte und dabei meine Hausaufgaben ganz vergaß. Aber ich weiß auch nur zu gut, dass dies kein Traum ist, der leicht in Erfüllung geht. Und doch: Während ich im Geräusch des Windes und der Wellen versank, überlegte ich mir, zumindest einen Monat lang auf Jeju-do zu verbringen, um zielund endlos die Küsten entlang zu streifen.

Niedrige Berge, tiefe Täler Der Weg von Route Nr. 8 führt weit von der Küste weg zu Hügeln, auf denen Pferde grasen, und schlängelt sich von dort höher in die Berge. In der Mitte der 1.850 Quadratkilometer großen Insel erhebt sich der Halla-san (1.950m), ein relativ junger Vulkan, der bis vor rund 25.000 Jahren aktiv war. Zu der Zeit entstanden ungefähr 360 Parasitärvulkane, die auch heute noch auf der Insel zu sehen sind. Der Berg Songak-san an Olle-Trail Nr. 8 ist einer davon. Er ist nur 104 Meter hoch, aber auf dem Gipfel befindet sich ein tiefer Krater. Vor drei Monaten war ich an diesem Krater vorbeigekommen. Damals war es früh am Morgen und der Berg war in dichten Nebel gehüllt, weshalb ich mich nicht an den Kraterrand wagte. Tief aus dem Tal stiegen Nebelschwaden wie VulkanascheWolken empor. Diesmal war das Wetter klar und ich konnte einen Blick in den Krater werfen. Rote Erde, kleinwüchsige Bäume und Steinebrocken waren zu sehen. Aber ich traute mich nicht bis ganz nah an den Kraterrand heran, der steil abzufallen schien und dessen Tiefe nicht abzuschätzen war. Während meines kurzen Aufenthalts auf dem Gipfel begegnete ich verschiedenen jungen Leuten. Darunter einigen örtlichen Poli76 Koreana | Winter 2010

Am dritten Tag verließ ich die Küste und bewegte mich landeinwärts in Richtung Wald. Die letzten beiden Tage hatte ich zum Teil in Gesellschaft einer Mittelschullehrerin und deren 13-jähriger Tochter verbracht. Die beiden stammten aus Seoul und machten auf Jeju-do Urlaub. Am nächsten Tag wollten sie zum „Heiligen Wald“ Saryeoni-sup. Die Vorstellung, mit Mutter und Tochter, die sich gut verstanden und gerne sangen, den Wald zu erkunden, erschien mir recht reizvoll, weshalb ich beschlossen hatte, mich ihnen anzuschließen. Am Intercity-Bus-Terminal der Stadt Jeju nahmen wir einen Bus zum Saryeoni-Wald. Der schon etwas alte und fast leere Bus fuhr durch eine sanfte Hügellandschaft, durch Dörfer und an Bauernhöfen vorbei. Ich erfuhr, dass „Saryeoni Sup“ „Heiliger Wald“ bedeutet. Dieser 500 Meter hoch gelegene, ursprüngliche Wald liegt an einem Hang des Berges Halla-san. Der für forstwirtschaftliche Zwecke angelegte Hauptweg war zur einfacheren Befahrbarkeit betoniert, aber die Nebenwege waren naturbelassen und von Herbstlaub übersät. Der Betonweg war mit roter vulkanischer Schlacke bedeckt, was die Härte des Belags etwas abfing. Ein frischer Duft strömte aus dem dichten Wald mit seinen verschiedenen Baumarten wie Schwarzeichen, Hainbuchen, Japanischen Storaxbäumen, Asiatischen Blüten-Hartriegeln, Hinoki-Scheinzypressen und Japanischen Zedern. Als ich aus dem Dunkel des Waldes zum Himmel hinaufschaute, überkam mich ein leichter Schwindel und der plötzliche Drang nach völliger Aufgabe und Auflösung meines Ichs. Nur ein winziges Stück Himmel schimmerte wie zerbrochene Glasscheiben zwischen den hohen Ästen der Japanischen Zedern hindurch. Als wir nach der dreistündigen Wanderung den Wald verließen, bereute ich, nicht etwas langsameren Schrittes gewandert zu sein. Aber angesichts unserer knurrenden Mägen war das Tempo gerade richtig gewesen. Denn abgesehen von den Parkplätzen am Eingang und einigen mobilen Toilettenkabinen gab es im ganzen Wald keinerlei so genannte Bequemlichkeitseinrichtungen. Ich beschloss, noch einmal wiederzukommen und dann mit etwas mehr Muße durch diesen heiligen Wald zu wandern. Ich habe zwar nicht gefragt, aber Mutter und Tochter schienen dieselbe Idee zu haben.


1 Trail Nr. 8 führt in die höheren Lagen der Insel, wo die einheimischen Pferde von Jeju-do grasen. Diese Pferderasse wurde zwecks Artenschutz zum NaturMonument Nr. 347 erklärt.

2 Dol-harubang (Stein-Großvater) Statuen sind das Symbol von Jeju-do und die Hauptattraktion im Jeju Stein-Park (Jeju Stone Park).

3 Olle-Trail Nr. 10 windet sich an malerischen Klippen am Fuß des Berges Songak-san vorbei (Foto: Jeju olle).

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KĂœCHE

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Tangpyeongchae: ein farbenfrohes Gericht Es heißt, dass das Gericht Tangpyeongchae mit seinem transparenten Mungobohnengelee und anderen farbenfrohen Zutaten die politische Harmonie symbolisiert haben soll, die der Joseon-König Yeongjo (reg. 1724-1776) durch seine Tangpyeong-Politik der Unparteilichkeit bei der Ernennung von Regierungsbeamten zu erreichen strebte. Für den modernen Menschen empfiehlt sich das Gericht unter dem Aspekt einer ausgewogenen Nährstoffaufnahme. Auch als Beilage zu alkoholischen Getränken wird es gern serviert. Lee Jong-Im Direktorin, Korea Food & Culture Research Center | Fotos: Ahn Hong-beom

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n der koreanischen Küche gibt es verschiedene Gerichte, deren Bezeichnungen auf „-chae“ enden: Tanpyeongchae, Japchae (Glasnudeln mit Gemüse), Juksunchae (Bambussprossen und Rindfleisch mit verschiedenen Gemüsen) und Gyeojachae (Gemüse und Meeresfrüchte mit Senfsoße). Die Hauptzutat all dieser Gerichte ist Gemüse, das dann entweder mit Rindfleisch oder Meeresfrüchten kombiniert und mit einer Soße gemischt wird. Im Koreanischen bezeichnet man das In-Streifen-Schneiden von Gemüse oder Obst mit dem Wort „chaechida“. Das heißt, die Zutaten der Gerichte auf „-chae“ werden in der Regel in Streifen geschnitten.

Geschichtlicher Hintergrund Das Buch Dongguk Sesigi (1849), in dem jahreszeitliche Feste und Gebräuche der Joseon-Zeit (1392-1910) beschrieben werden, enthält auch Informationen über die jeweiligen Küchen-bezogenen Traditionen bestimmter Zeitabschnitte. Dort findet sich ein Hinweis darauf, dass das Gericht Tangpyeongchae seinen Ursprung in der Tanpyeong-Politik (Unparteilichkeitspolitik) Mitte Joseon-Zeit hat. Der damalige König Yeongjo (reg. 1724-1776) war darum bemüht, die politischen Zersplitterungen am Hof zu überkommen, indem er gemäß der Politik der Unparteilichkeit Posten nach Eignung und nicht nach politischer Zugehörigkeit vergab. Sein Nachfolger, König Jeongjo (reg. 1776-1800), setzte diese Politik fort.

Cheongpo-muk (Mungobohnengelee) ist eine Hauptzutat von Tangpyeongchae, ein Gericht, das für seine Farbenvielfalt und unterschiedliche Konsistenz der Zutaten bekannt ist.

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Tangpyeongchae besticht durch seine einzigartige Geschmacksnote, die sich aus der Harmonie von weichem Muk (Mungbohnengelee), dem tiefen Geschmack des in Bulgogi-Marinade eingelegten gebratenen Fleisches, der frischen Knackigkeit der Sojabohnensprossen und dem pikanten Aroma des mit Soja-Essigsoße abgeschmecktem Wasserfenchel ergibt. Wenn man zuletzt noch gerösteten Gim (getrockneter Purpurtang) und feine Omelettestreifen als Garnierung hinzugibt, ist das Gericht Tangpyeongchae, ein gelungenes Potpourri für den gleichzeitigen Genuss verschiedener Geschmacks- und Aromanoten, fertig.

Tangpyeongchae mit seinen vier Zutaten – aus Mungobohnenstärke gewonnenes Mungobohnengelee, Rindfleisch, Sojabohnensprossen und Wasserfenchel –, die sich in Farbe, Geschmack und Textur unterscheiden, aber zusammen ein harmonisches Ganzes ergeben, steht für den Wunsch nach Harmonie unter den vier politischen Lagern von damals. Bei der Thematisierung von Staatsangelegenheiten in Zusammenhang mit der Tangpyeong-Politik wurde entsprechend Tangpyeongchae serviert.

Was ist Muk? Muk ist eine traditionelle koreatypische Spezialität, für die aus Mungobohnen, Buchweizen, Eicheln, Mais usw. Stärke gewonnen und mit Wasser gekocht wird, bis ein dickflüssiger Brei entsteht. Die heiße Breimasse lässt man zu einer Art Gelee abkühlen. Cheongpo-muk aus der Stärke von Mungobohnen ist weich und von fast durchsichtiger Konsistenz. Memilmuk aus Buchweizenstärke hat ein mildes Aroma und Dotori-muk aus Eichelstärke schmeckt leicht bitter und unverwechselbar einzigartig. Oksusu-muk aus Maisstärke besitzt eine glatte Textur, die an Nudeln erinnert. Unabhängig von der Sorte kann man Muk in mundgerechte Stücke schneiden und mit gewürzter Sojasoße oder zusammen mit anderen Zutaten und Soßen mischen und essen. Entsprechend der jeweiligen Jahreszeit und der Verfügbarkeit der einzelnen Zutaten aß man früher

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im Frühling Cheongpo-muk, im Sommer Oksusumuk, im Herbst Dotori-muk und im Winter Memilmuk. Heutzutage gibt es nicht mehr viele Haushalte, in denen Muk noch aus frischen Zutaten der Saison zubereitet wird. Meist hat man stets Mukpulver vorrätig, aus dem man dann bei Bedarf Muk in kleinen Mengen herstellt. Oder man nutzt das Supermarktangebot an fertigen Muk-Produkten. Das alte Konzept von bestimmten Muk-Sorten zu bestimmten Jahreszeiten hat damit längst an Gültigkeit verloren. Tatsächlich ist heutzutage auch in koreanischen Lebensmittelläden im Ausland zu jeder Jahreszeit Muk erhältlich. Beim vorliegenden Rezept wird von fertigem Cheongpo-muk ausgegangen.

Cheongpo-muk und Tangpyeongchae Mungobohnen, die Früchte einer einjährigen Pflanze aus der Familie der Hülsenfrüchtler, ähneln Adzukibohnen. Sie sind klein und leicht grünlich. Mungobohnen sind reich an essentiellen Aminosäuren und die enthaltenen Lipide sind hochwertige, ungesättigte Fettsäuren, die leicht verdaulich sind. Die Bohnen helfen bei hohem Blutdruck und wirken gegen Katererscheinungen nach übermäßigem Alkoholgenuss. Für die Zubereitung von Cheongpo-muk mischt man das Mungobohnen-Stärkepulver mit der fünf- bis sechsfachen Menge Wasser und bringt die Flüssigkeit in einem dickbödigen Topf unter ständigem Umrühren mit einem Holzlöffel zum Kochen. Um die richtige


Tangpyeongchae Zutaten: - 250 g Cheongpo-muk, 80g Rindfleisch (Hüftstück), 80g Sojabohnensprossen, 100 g Wasserfenchel, 1 Blatt Gim (Purpurtang), 1/4 rote Chilischote, 1 Ei, 1 TL Öl, eine Prise Salz 3

- Gewürze für Muk: 1/2 TL Salz, 1/2 TL Sesamöl - Gewürze für das Fleisch: 2/3 EL Sojasoße, 1/2 EL Zucker, 1

1 Der Wasserfenchel wird blanchiert.

TL zerhackter Lauch, 1/2 TL zerstoßener

2 Das gewürzte Rindfleisch wird gebraten.

Knoblauch, 1/2 TL Sesamsalz (Kkae-

3 Der Einfachheit halber können die Zutaten zuvor in

sogeum: zerstoßene, gerös-

einer Schüssel gemischt werden.

tete Sesamkörner), 1/2 TL Sesamöl, eine Prise Pfeffer - Gewürze für die Soße: 1 EL Sojasoße, 1 EL Essig, 1 EL Zucker, 1 EL Sesamsalz

Konsistenz zu erreichen, sollte man noch zusätzlich fünf Minuten, nachdem sich die Stärke völlig aufgelöst hat, weiter rühren und das Ganze durchziehen lassen. Als Michael Jackson vor vielen Jahren Korea besuchte, lobte er Bibimbab (Reis, gemischt mit verschiedenen Gemüsen, Chilisoße und Ei). Heutzutage ist Bibimbab eines der repräsentativsten WellnessGerichte Koreas und wird auch im Ausland immer bekannter. In Bibimbab kommt reichlich Gemüse und je nach Provinz wird auch Cheongpo-muk als Zutat aufgelistet. Tangpyeongchae besticht durch seine einzigartige Geschmacksnote, die sich aus der Harmonie von weichem Muk, dem tiefen Geschmack des in BulgogiMarinade eingelegten gebratenen Fleisches, der frischen Knackigkeit der Sojabohnensprossen und dem pikanten Aroma des mit Soja-Essigsoße abgeschmecktem Wasserfenchels ergibt. Wenn man zuletzt noch gerösteten Gim (getrockneter Purpurtang; ähnelt dem japanischen Nori) und feine Omelettestreifen als Garnierung hinzugibt, ist das Gericht Tangpyeongchae, ein gelungenes Potpourri für den gleichzeitigen Genuss verschiedener Geschmacksund Aromanoten, fertig. Das Grundgericht kann einfach variiert werden, indem man den Wasserfenchel durch andere, im Kühlschrank vorrätige grüne Gemüsesorten wie Paprika, Sellerie, Knoblauch-Schnittlauch, Gurken, Zucchini usw. ersetzt.

Zubereitung 1 Eigelb und Eiweiß trennen, zu Omeletten verarbeiten und in dünne Streifen schneiden 2 Cheongpo-muk in 0,5cm dicke und 6-7cm lange Streifen schneiden 3 Cheongpo-muk für eine Minute in kochendes Wasser geben, herausnehmen, abtropfen lassen und mit Salz und Sesamöl würzen 4 Das Rindfleisch zur Entfernung von Blutresten abtupfen, in feine Streifen schneiden und würzen 5 Etwas Öl in die Pfanne geben. Wenn die Pfanne heiß ist, Chilistreifen und Rindfleisch hinzugeben und braten 6 Kopf und Wurzelende der Sojabohnensprossen entfernen; die Sprossen in leicht gesalzenes, kochendes Wasser geben, 2 Minuten blanchieren, in kaltem Wasser abschrecken und abgießen 7 Den Wasserfenchel in 5cm lange Stücke schneiden, in kochendem Wasser 1 Minute blanchieren, in kaltem Wasser abschrecken und abgießen 8 Den Gim rösten und zerbröseln 9 Muk, Fleisch, Sojabohnensprossen, Wasserfenchel und Chilistreifen in eine Schüssel geben und mit der Soße mischen; anschließend mit dem Gim, den gelben und weißen Omelettestreifen garnieren. Es empfiehlt sich, zusätzlich Essig-Sojasoße zuzubereiten und zum individuellen Abschmecken zu servieren.

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BLICK AUS DER FERNE

Korea: Jeong erleben Nicola Kager-Hägele exam. Altenpflegerin

„W

eißt du, wo Korea liegt?“ - „In Asien?“ „Schon mal was von Seoul gehört?“ –„War da nicht zuletzt die Fußball-WM?“ Mit diesen Antworten waren meine Kenntnisse über Korea auch schon erschöpft! Als mein Mann eines Tages nach Hause kam und mir diese Fragen stellte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass dieses Korea einmal einen ganz besonderen Platz in meinem Leben einnehmen würde. Florian wurde im Oktober 2002 geboren. Die Freude über das erste Kind mischte sich schon bald mit Verzweiflung, als die Ärzte einen sehr seltenen, unheilbaren Gendefekt entdeckten. Es gibt keine Heilungsmöglichkeiten, nur die Symptome sind behandelbar. Nervenbahnen im Gehirn sterben ab, was sich nach und nach auf den Körper auswirkt. Grundlegende körperliche Funktionen wie Sitzen, Laufen, Greifen, Sprechen usw. werden nicht hinreichend entwickelt bzw. gehen allmählich unwiderbringlich verloren. Nachdem die westliche Medizin nicht weiterhelfen konnte, wurden wir durch einen Zufall auf einen schon älteren Arzt der traditionellen koreanischen Medizin in Seoul aufmerksam, der in der Nachkriegszeit, als die Gesundheitsversorgung in Korea noch schlecht war, Patienten mit Kinderlähmung erfolgreich mit Akupunktur behandelt hatte. Frau B., eine in Deutschland lebende, ehemalige koreanische Krankenschwester, die bereits mehrere Jahre regelmäßig zur LeberkrebsBehandlung nach Seoul flog, stellte den Kontakt her. Unser erster Besuch war im August 2004. Der Arzt lehnte eine Behandlung zunächst ab. Nach einer intensiven Immuntherapie in Deutschland flogen wir im Januar 2005 erneut nach Seoul. Florians Gesamtzustand hatte sich mittlerweile zusehends verschlechtert, was auch dem Arzt auffiel, der sich dann sofort zu einer Behandlung entschloss. Diese

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bestand, kurz gesagt, in dreimal täglichen Heilkräutertrunks, deren Geschmack selbst einen Erwachsenen in die Flucht schlagen kann, täglicher Akupunktur und physiotherapeutischen Übungen. So groß die Freude über die Behandlungsaussichten auch war, noch größer war das Entsetzen, als mir klar wurde, dass ich von einem Tag auf den anderen allein in einem fremden Land leben sollte, dessen Sprache ich nicht beherrschte und in dem auch die Verständigung auf Englisch nicht immer reibungslos lief. Das Wohnungsproblem löste sich schnell. Frau B. wollte umziehen und als der Hausbesitzer von Florians Schicksal erfuhr, vergaß er seine anfängliche Skepsis und ließ uns in die frei werdende Einzimmerwohnung einziehen. Diese lag in einem typisch koreanischen Wohnviertel, in das sich nur selten ein Ausländer verirrt. Kontoeinrichtung, Handyvertrag u.ä. waren die nächsten Probleme. Das alles erledigten Bekannte von Frau B., die sogar auf ihren Namen den Handyvertrag für mich, die völlig fremde Ausländerin, abschlossen. Ich war überrascht! Jetzt hieß es „LEBEN ORGANISIEREN“! Notwendige Einrichtungsgegenstände besorgen, Einkaufsmöglichkeiten auskundschaften, U-Bahn-Pläne für die tägliche 40-Minuten-Fahrt zum Arzt studieren usw. Wenn ich heute zurückdenke, bin ich immer noch überwältigt, wie viel Hilfe und menschliche Wärme mir überall von den Koreanern entgegengebracht wurde. „Jeong“ nennen es die Koreaner. Auch war ich so viel Service nicht gewohnt: Der Supermarkt lieferte kostenlos nach Hause; der Mann vom Elektroladen kam mit einem Lieferwagen vorgefahren, so dass ich nur ein TV-Gerät auszusuchen brauchte, das er dann gleich anschloss; Internetanschluss hatte ich innerhalb von wenigen Stunden; die Bankkarte konnte ich


nach dem Ausfüllen des Formulars gleich mitnehmen. Korea – ein Dienstleistungsparadies. Schon bald wurde das Leben leichter und wir probierten uns durch das Angebot der verschiedenen Essens-Lieferservices, deren Preise Selberkochen zum Luxus machten. Natürlich gab es die sprachliche Barriere, aber meist waren beide Seiten darum bemüht, sich verständlich zu machen, und sei es mit Händen und Füßen. Über einen deutschen Korea-Enthusiasten (www.koreainfo.de) wurde ich auf eine mit einem Koreaner verheiratete Deutsche aufmerksam, die wundersamerweise nur 20 Gehminuten von mir entfernt wohnte. Sie, und auch ihren Mann, konnte ich jederzeit anrufen, wenn es Probleme gab, sprachlich oder anderweitig. Das war z.B. auch gelegentlich beim Arzt der Fall, der kaum Englisch sprach und wo hin und wieder ein ausführlicherer Zwischenbericht notwendig war. Oder wenn Florian in die Notaufnahme musste, was auch schon mal passierte. Der Alltag hielt immer wieder kleine Überraschungen bereit wie etwa einen Taxifahrer, der mir Am Brunnen vor dem Tore vorsang. Leider kannte er den Text nicht mehr genau und fragte mich danach, aber – welche Blamage! – mir fiel er auch nicht ein. Manch einer sprach uns in der U-Bahn an und erzählte dann z.B., dass er lange in Frankfurt gelebt habe. Über solche Begegnungen könnte ich ganze Romane schreiben. Die Aufmerksamkeit, die Florian, der mit seinem Blondschopf und den blauen Augen natürlich auffiel, genoss, war faszinierend. Egal, ob im Wartezimmer beim Arzt oder in der U-Bahn – Florian wurde stets freundlich mit „Annyeong!“ (Hallo) von den Koreanern begrüßt, getätschelt und angelacht. Wenn ich gelegentlich alleine in den Supermarkt um die Ecke ging, weil Florian in der Obhut von Besuch aus Deutschland

war, lautete die erste Frage, wo er denn sei und ich hätte ihn doch wohl nicht alleine gelassen. Wildfremde Leute steckten ihm Süßes zu oder wollten ihn auf den Arm nehmen, worauf er je nach Tageslaune etwas unterschiedlich reagierte. Fest steht jedoch: In Korea lebt es sich einfach, wenn man keine Berührungsängste hat und das überfließende Jeong anzunehmen – und auch zurückzugeben – versteht. Richtig bewusst wurde mir das aber immer erst, wenn wir„auf Urlaub“ in Deutschland waren. Am Flughafen ging es los: In Korea überall freundliche Menschen, die mir ungefragt mit Florian, der ja weder alleine stehen noch gehen konnte, und mit dem Gepäck halfen – in Deutschland: Fehlanzeige! Während ich in Korea die Menschen manchmal sogar ausbremsen musste, weil ich nun z.B. wirklich NICHT die Treppe runterwollte und man deshalb den Kinderwagen NICHT zu tragen brauchte, warte ich bis heute in Deutschland darauf, das mir so etwas mal passiert. Bei unserer Rückkehr nach zweiundeinhalb Jahren holte der koreanische Spediteur, der unsere wenigen, aber dringend gebrauchten Habseligkeiten nach Deutschland beförderte, Florian und mich frühmorgens ab, brachte uns zum Flughafen, „weil er sowieso etwas da zu tun habe“, und half bei den Eincheckformalitäten. Jeong bis zum letzten Augenblick. Florian hat die Behandlung in Korea sehr gut getan und ich habe dort vieles gelernt und erfahren. Auch wenn es oft schwer war, mit einem kranken Kind alleine in einem fremden Land zu leben, denke ich auch heute noch gerne an diese Zeit zurück. Das koreanische Jeong, das ich erleben durfte, wird mir unvergesslich bleiben. Ich bin froh, dieses Land und seine Menschen so intensiv kennen gelernt zu haben und werde es bestimmt wieder besuchen!

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LEBEN

„Indoor Screen Golf“ im Trend

In Südkorea ist zurzeit Indoor Screen Golf im Trend. Golfer, die in Korea bislang unter den enormen Kosten für eine Runde auf dem grünen Rasen zu leiden hatten – ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten, überhaupt eine Golfplatzreservierung zu bekommen –, genießen jetzt ihren Lieblingssport in der neuen, virtuellen Form, die es ihnen erlaubt, per Simulator auf weltweit bekannten Golfplätzen zu spielen. Erfahren Sie mehr über Indoor Screen Golf, eine Kombination von Hallensport und Computerspiel. Chung Jewon Golf-Journalist, Joong Ang Ilbo | Fotos: Ahn Hong-beom

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„C

hef, wie wär´s mit einer Runde Screen Golf nach Feierabend?“ „Gut, gehen wir nach dem Abendessen indoorgolfen. Die Reservierung überlasse ich Ihnen.“ Solch ein Dialog ist heutzutage unter den koreanischen Angestellten nicht selten zu hören. Dieses Phänomen entstand mit der raschen Verbreitung von Indoor Screen Golf. Mit diesem neuen Trend ging auch die Zahl der Billardhallen und Tischtennisanlagen, in denen v.a. die koreanischen Männer bis dahin gerne ihre Freizeit verbrachten, zurück, während Hallen für Screen Golf wie Pilze aus dem Boden schießen.

Der virtuelle Golfplatz verändert den Alltag Indoor Screen Golf ist eine Golfspielart, bei der man auf einem virtuellen Golfplatz mittels eines Golfsimulators spielt. „Simulationsgolf“ wäre eigentlich eine korrektere Bezeichnung, doch in Korea spricht man lieber von „Screen Golf“, weil bei dieser Weiterentwicklung des traditionellen Indoorgolfens der Ball gegen eine Leinwand mit einem virtuellen Loch geschlagen wird. Screen Golf entstand Anfang der 1990er Jahre im Zuge der Entwicklung der Informationstechnologie. Zu der Zeit war das technologische Niveau der Golfsimulatoren noch nicht besonders hoch, d.h. das Gefühl, auf einem echten Rasen zu spielen, konnte noch nicht hinreichend vermittelt werden. Darüber hinaus waren technische Fehler an der Tagesordnung, so dass Indoor Screen Golf das Interesse der Golfamateure nicht auf sich ziehen konnte. Doch mit der Entwicklung von fortgeschritteneren Simulationstechnologien ab 2000, die täuschend echte Golfspielerlebnisse ermöglichen, brach in Korea das Screen-Golf-Fieber aus. Sin Yong-hun (41, Mitarbeiter eines öffentlichen Unternehmens) ist ein Golf-Enthusiast, der mindestens drei, vier Mal pro Monat Screen Golf spielt. Sin lobt den neuen Golfsport wie folgt: „Das Beste am Screen Golf ist, dass das Golfhobby erschwinglich wird. Eine 18-Loch-Runde in einer Halle für Indoor Screen Golf kostet nur etwa 20.000-30.000 Won (13-19,5 Euro). Das ist nur ein Zehntel des Preises für einen echten Golfplatz. Außerdem braucht man sich auch keine Sorgen um Verkehrsstaus zu machen, da sich Indoorgolf-Anlagen in der Nähe von zu Hause oder der Firma befinden. Möchte man am Wochenende auf einem schönen Golfplatz außerhalb der Stadt eine Runde Golf spielen, muss man einschließlich der Fahrzeit mit wenigstens zehn Stunden rechnen. Geht man indoorgolfen, reduziert sich der zeitliche Aufwand für die gleiche Runde um mehr als die Hälfte.“ Früher fuhr Sin zwei Mal pro Monat ins Grüne zum Golfen, heute fährt er nur noch einmal hinaus und spielt dafür öfters Screen Golf. Auch das Klassentreffen seiner Oberschule hat er in eine Indoorgolf-Halle verlegt. Ein Treffen dort befördere die Gesundheit und die Halle sei insgesamt ein angenehmerer Ort

Virtueller Indoor-Golf, in Korea als „Screen Golf“ bekannt, ist eine beliebte Mittagspausen-Aktivität für Büroangestellte.

der Freundschaftspflege als ein Restaurant oder eine Kneipe. In Indoorgolf-Hallen ensteht im Gegensatz zu Kneipen keine Langeweile, wenn man auf Nachzügler warten muss. Ist man hungrig, kann man chinesisches Essen oder Grillhähnchen und Bier bestellen und liefern lassen. Für Sin ist es eine Anti-StressTherapie, mit seinen alten Freunden Screen Golf zu spielen und dabei Bier zu trinken. „Bislang waren die Golfplätze in Korea nur schwer zugänglich für den Normalsterblichen. Die Greenfees sind nämlich zu teuer und das Personal der Golfclubs trägt oft die Nase hoch. Das erklärt sich durch den Mangel an Golfplätzen in Relation zur Zahl der Golfliebhaber. Hobbygolfer wie ich, die zur jungen Generation gehören, sind nicht bereit, so viel Geld auszugeben, nur um dann auf dem Golfplatz vom Personal von oben herab behandelt zu werden. Daher war ich höchst erfreut, als Indoor Screen Golf aufkam. Beim Indoorgolfen braucht man auch keine Kleiderordnung zu beachten, wie sie auf Golfplätzen gilt. Auf einem Golfplatz durfte ich einmal nicht spielen, weil ich eine kurze Hose anhatte. Aber beim Screen Golf hat keiner etwas dagegen. Dazu gibt es keinerlei zeitliche Beschränkungen. Man kann in aller Herrgottsfrühe oder auch noch nach Mitternacht golfen. Und auch Regen oder Schnee können einem nichts anhaben. Im Freien ist es schwierig, in der Sommerhitze oder im kalten Winter Golf zu spielen, aber in Indoorgolf-Hallen spielt das Wetter keine Rolle. Das ist der Grund, warum ich Screen Golf so liebe.“

Die Kultur des Indoor Screen Golf Der Trend des Screen Golf hat in Korea eine neue Kultur unter den Amateurgolfern geschaffen. In der Mittagspause spielen viele Geschäftsleute mit ihren Arbeitskollegen eine Runde Screen Golf mit 6-9 Spielbahnen, wobei der Verlierer seine Kollegen zum Mittagessen einladen muss. Indoorgolf-Hallen mitten im Wald der Bürohochhäuser der Seouler Stadtmitte konkurrieren untereinander um Mittagspausen-Kunden mit 6-Loch-Spielen plus einfachem Mittagesmenü. Unter den Geschäftsleuten in Seoul ist es Mode geworden, in der Indoorgolf-Halle innerhalb von zehn Minuten ein Sandwich oder ein schnelles Nudelgericht zu essen und in der restlichen Mittagspausenzeit eine 6-Loch-Runde oder eine 8-Loch-Runde zu spielen. Für ein einfaches Mittagessen plus Getränk plus eine 6-Loch-Runde zahlt man im Durchschnitt 15.000 Won (etwa 10 Euro). Der 37 Jahre alte Büroangestellte Kim Beom-su kommentiert zum Screen Golf: „Früher war Golf ein Reichensport, aber heutzutage kann jeder ohne großen Aufwand Golf, nämlich Screen Golf, spielen, wie man Billard spielt. Man braucht nicht mal etwas mitzunehmen, da in Indoorgolf-Hallen alle nötigen Ausrüstungen wie Golfschläger, Handschuhe, Schuhe usw. vorhanden sind. Nicht vor langer Zeit noch war Golf nur eine TV-Zuschauersportart, aber mit der Entwicklung von Screen Golf ist es ein Sport geworden, den jeder selbst genießen kann. Eine 6-Loch-Runde als Wette um die Mittagessen-Rechnung belastet weder die Arbeit am NachWinter 2010 | Koreana 85


„Eine 18-Loch-Runde in einer Halle für Indoor Screen Golf kostet nur ein Zehntel im Vergleich mit einem Golfplatz. Möchte man am Wochenende auf einem schönen Golfplatz außerhalb der Stadt eine Runde Golf spielen, muss man einschließlich der Fahrzeit mit wenigstens zehn Stunden rechnen. Geht man indoorgolfen, reduziert sich der zeitliche Aufwand für die gleiche Runde um mehr als die Hälfte.“

mittag noch den Geldbeutel in übermäßiger Weise.“ Doch auch bei Hallen für Sreen Golf muss man zu den Hauptspielzeiten reservieren. In den Indoorgolf-Anlagen im Stadtviertel Yeouido, dem Börsen- und Finanzzentrum Seouls, ist gegen 19.00 Uhr die „goldene Zeit“. Wer um diese Zeit spielen möchte, sollte wenigstens einen Tag zuvor reservieren. Der Boom des Indoor Screen Golf hat längst auch die Ferienanlagen und Resorts in den Provinzen des Landes erfasst. Der Haevichi Resort in Pyoseon-myeon, Stadt Seoguipo auf der Insel Jeju-do, genießt mit einer Indoorgolf-Anlage mit drei Simulatoren große Beliebtheit. Für ein Golfspiel am Wochenende ist die Reservierung ein Muss. Ein weiterer Trend der Zeit besteht darin, die Hallen für Screen Golf nicht nur auszubauen, sondern auch stilvoller zu gestalten, um weibliche Golfer anzusprechen. Hauptkunden der IndoorgolfHallen sind ohne Zweifel jüngere Männer, aber auch die Zahl der Indoor-Golferinnen ist am Steigen. Indoorgolf-Anlagen in der Seouler Stadtmitte konkurrieren jetzt um weibliche Kundschaft mit Kosmetiksalons und Nagelstudios. Während Frauen in den 40ern und 50ern ihre Treffen wie z.B. Klassentreffen früher in Restaurants abhielten, treffen sie sich heutzutage an den Wochentagen tagsüber in Indoorgolf-Hallen. Sie spielen eine 18-Loch-Runde und lassen sich anschließend im angegliederten Kosmetiksalon mit einer Gesichtsmassage verschönern. Kim Myeong-seon (46, Hausfrau) erklärt: „Nach einer 18-LochRunde lasse ich mir im Nagelstudio die Nägel machen. Man kann zu vernünftigen Preisen mit den Freundinnen golfen, sich unterhalten und sich pflegen lassen, sprich, drei Fliegen mit einer Klappe schlagen!“

Indoor Screen Golf auf dem Vormarsch Die Zahl der Anlagen für Screen Golf in Korea stieg von 900 im Jahr 2007 auf 3.000 im Jahr 2008. Im letzten Jahr betrug die Zahl schon mehr als 5.000. Heutzutage, im Jahr 2010, gibt es landesweit ungefähr 6.000 Indoorgolf-Anlagen, deren Geschäft am Blühen ist. Experten der Branche gehen von rund 15.000 Golfsimulatoren aus. Wie viele Indoorgolfer gibt es in Korea? Nach dem Ergebnis einer Umfrage, die das Marktforschungsinstitut Gallup Korea im März 2010 durchführte, kann die Zahl der Screen Golfer auf rund 960.000 geschätzt werden. Nach der Analyse des führenden Screen-Golf-Unternehmens Golfzon soll die Zahl jedoch weitaus höher liegen. Laut Golfzon soll es bereits 2008 960.000 Indoorgolfer gegeben haben, 2009 sei ein 32%-iger Anstieg auf 1,27 Mio. zu verzeichnen gewesen. 86 Koreana | Winter 2010

Derzeit liege die Zahl bei 1,72 Mio. Nach diesen Angaben betrüge die akkumulierte Zahl der Besucher von Indoorgolf-Hallen im Jahr mehr als 20 Mio. Das würde bedeuten, dass mehr Koreaner Screen Golf spielen als sich im Stadion Baseballspiele der ProfiLigen anzusehen. Die Greenfee-Einnahmen pro Jahr werden auf über 600 Mrd. Won (390 Mio. Euro) geschätzt. Es gibt auch Analysen, nach denen das Volumen des Screen-Golf- Marktes mehr als 1 Bio. Won (6,5 Mrd. Euro) betragen soll, wenn man die Nebeneinnahmen aus Golfproduktverkauf und zusätzlichen Dienstleistungen miteinbezieht. Betrachtet man die Zahl der Screen Golfer nach Geschlecht, so sind 74% Männer und 26% Frauen. Nach Alter aufgeschlüsselt folgen auf Golfer in den 40ern, die einen Anteil von 40% stellen, Personen in den 30ern mit 26%, gefolgt von Personen in den 20ern mit 16% und in den 50ern mit 14%. Laut Umfrage beträgt der Durchschnittsscore bei mehr als der Hälfte der befragten Spieler, die in den letzten 12 Monaten mit dem Screen Golf angefangen haben (58%), über 100 Schläge und 31% antworteten, dass sie auf 91-100 Schläge pro Runde kämen. Das bedeutet, dass Screen Golf meist bei Golf-Anfängern beliebt ist. 45% der Befragten gehen sowohl am Wochenende als auch an den Wochentagen gern zum Screen Golf und nur 14% spielen lediglich am Wochenende und an Feiertagen.

Die Zukunft des Indoor Screen Golf Golfzon veranstaltet jeden Monat das Golgzone Light Tournament (GLT), ein Indoor-Golfturnier für Amateure. Jeden Monat gibt es einen Sieger, so dass sich dieses Turnier als AmateurgolfstarSchmiede profiliert. Golfzon plant, das Turnier zu einer Großveranstaltung, an der auch Profi-Golfspieler teilnehmen, auszubauen. Das Unternehmen geht davon aus, dass es letztendlich auch Profispieler gewinnen kann, wenn das Preisgeld auf das Niveau eines professionellen Golfturniers angehoben wird. Dann werde es in zehn oder zwölf Jahren neben den regulären ProfiWettbewerben im Freien auch Profi-Turniere auf dem virtuellem Golfplatz geben. Golfzon schließt die Möglichkeit eines ScreenGolf-Turniers mit einem Preisgeld von 1 Mio. Dollar nicht aus. Kim Yeong-chan, Präsident des Unternehmens Golfzon, das dieses Jahr mit einem Umsatz von über 200 Mrd. Won (130 Mio. Euro) rechnet, ist äußerst optimistisch in Bezug auf die Zukunft des Indoor Screen Golf: „Mit der Entwicklung der Informationstechnologie ist es heutzutage möglich geworden, alle Wünsche der Golfer in der virtuellen Welt zu erfüllen. Die Wiege des Golf ist Schottland, aber die Wiege des Indoor Screen Golf ist Korea. Wir werden die neue Golfkultur weltweit präsentieren.“


Reisen in die koreanische Literatur

Kwon Yeo-sun Kwon Yeo-sun (geb. 1965) hat seit ihrem Debüt mit dem Roman Grüne Lücken (Pureureun Teumsae ) durch ihre originäre literarische Welt, die durch das Sezieren der eigenen Wunden und Bruchstellen des Alltags in einer unumwundenen und vorbehaltlosen Sprache gekennzeichnet ist, die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Durch ihre Erzählungen, die wahrlich als biografische Serie der pathologischen Individuen bezeichnet werden können, fordert sie auf: „Sieh das Monster in ‚Mir‘ an“.

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REZENSION

Die Ästhetik der pathologischen Selbstsezierung Die literarische Welt von Kwon Yeo-sun Kim Youngchan Professor, Keimyung University

K

won Yeo-sun ist eine Schriftstellerin, die sich weigert, sich in Bezug auf Form oder Inhalt in eine bestimmte Erzählform einsperren zu lassen. Ihre Erzählungen eröffnen den koreanischen Lesern bislang ungewohnte psychologische Landschaften. Das macht die Lektüre ihrer Werke zu einem unangenehmen Erlebnis. Diese Unangenehmheit rührt zwar auch von der fremden und nicht schmeichelnden Form ihrer Erzählungen her, die auf formale Ästhetik bewusst und in grober Manier verzichtet; sie kommt aber in erster Linie vom Inhalt und den die Erzählungen durchdringenden Gefühlen. Dazu tragen aber auch die Figuren wesentlich bei. In Kwons Erzählungen trifft man nicht selten auf eigenartige Charaktere, die sich von den uns gewohnten unterscheiden, und die ein ganz eigenes, unberechenbar verschrobenes Innenleben aufweisen. Diese psychologischen Szenerien wirken sozusagen unangenehm und obszön. Es finden sich zum Beispiel lüsterne Gedanken und Begierden, ätzende Verachtung und Hass, Schuldgefühle und Schizophrenie, schreckliche Verwirrung und Freude an der Selbstverstümmelung und bös-kaltblütige Hartnäckigkeit als restlose Entblößung der tiefsten seelischen Abgründe der Charaktere. Die Figuren in Kwons Yeo-suns Erzählungen sind meistens entfremdete und isolierte Menschen. Diese Entfremdung und Isolation sind meist selbstverursacht und eher eine pathologische Erscheinung, die kaum Mitleid verdient. Dies ist z.B. typisch für die Antagonistin Lora in der Erzählung Wenn der Herbst kommt (Gaeuri omyeon), die aus Scham vor und Hass auf die entsetzliche Obsession ihrer Mutter, die sie zur Eleganz zwingt, sich impulsiv selbst aufgibt, in hysterische Anfälle ausbricht und sich entschließt, ihr Inneres in eine „Feuerhölle“ zu verwandeln. Das Innenleben der Figuren in Kwons Erzählungen ist voll von selbstzerstörerischem Verlangen: der Mann, der unangenehm berührt ist von der Rückkehr der „Femme fatale“, die er nie wieder sehen wollte, in deren Falle es ihn aber gleichzeitig zu geraten

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gelüstet, oder die Frau mit ihrer narzisstischen Vorliebe für „schlechten Körpersaft, in dem Gift in Schäumen aufsteigt“, da er im Inneren ihres Lebens, dessen Inhalt verloren gegangen ist und von dem nur noch die äußere Form bleibt, verfault ist. In dieser Hinsicht könnten Kwons Erzählungen als biografische Serie der pathologischen Individuen bezeichnet werden. Kwons Werke erfassen auf minutiöste Weise das Innenleben der Individuen, das voller Verwirrungen und Brüche ist, die Risse im kranken Geist, die sich hinter der Fassade des ruhigen Alltagslebens verbergen. Das sind bizarre Landschaften, in denen Sadismus und Masochismus, Depression und Hysterie, Zwanghaftigkeit und Obsession, Schuldgefühle und Selbstbetrug auf chaotische Weise miteinander vermischt sind. Der Blick der Autorin, der die anzügliche Rückseite unseres Alltags, die armselige Realität der menschlichen Existenzen, die kleine oder große Krankheiten ohne Unterscheidung von Ich und Du miteinander teilen, aufwühlt, ist dabei ziemlich nüchtern-distanziert. Die Erzählung Die Tage der rosa Schleifen, die den narzisstischen Selbstbetrug des Lebens schildert, steht in diesem Zusammenhang. Die Protagonistin „Ich“, die zufällig einen ehemaligen älteren Studienkollegen und dessen Frau trifft, schließt durch das Medium „Essen“ eine immer engere Freundschaft mit dem Paar. Währenddessen werden jedoch die Heucheleien des Ehepaares und die der Protagonistin, die letztendlich ihre Komplizin ist, eine nach der anderen ans Licht gebracht. Ein Paradebeispiel dafür ist der große Appetit des Ehepaares, das von sich behauptet, keine großen Fleischesser zu sein, auf die von der Protagonistin zubereiteten Fleischgerichte. Durch den Studienkollegen lernt die Protagonistin eine Frau namens Kim Surim kennen und erfährt, dass diese von ihm schwanger ist. Nachdem sie Surim bei der Abtreibung geholfen hat, spuckt die Protagonistin die dahinter versteckten Wahrheiten, die sowohl auf das Ehepaar als auch auf sich selbst gerichtet sind, in bei-


ßender Sprache aus:

Hast du dir jemals klagend auf die Brust geschlagen und aufrichtige Tränen vergossen? Hast du jemals nicht wegen eines Mannes, sondern wegen deiner eigenen Belanglosigkeit, wegen deiner Dummheit, wegen deiner unverbesserlichen Dämonität das Leben verflucht, bis deine Lippen blau anliefen? Bist du jemals bis auf den tiefsten Grund gesunken und hast tief im Inneren gespürt, dass nur noch der Tod, die grauenvolle Dimension des weißen Nichts übrig geblieben ist? Hast du je das Leben einer Leiche geführt, für die das Aufwachen Morgen für Morgen die Hölle bedeutet? Kwons Erzählungen fördern auf diese Weise die Schnittstelle, an der das „Ich“ sich mit der Welt der Bedeutungslosigkeit, der des Todes verbündet, gnadenlos ans Tageslicht. Das ist im Endeffekt die Enthüllung der Tatsache, dass das „Ich“ und „Jene“, mit denen das „Ich“ zu tun hat, nicht aus anderem Samen stammen. Dies wird in Die Tage der rosa Schleifen an den Stellen deutlich, wo die Protagonistin sich voller Bitterkeit eingesteht, dass die bourgoise Eitelkeit und die gekünstelte Selbstdarstellung des Ehepaares – besonders der Frau –, das ihre rohen Begierden hinter dem Rücken versteckt hält, in Wirklichkeit auch ihre eigenen sind.

Ich wusste, dass ich nicht auf meinen Freund in der Mongolei, sondern auf ein die Grundfesten erschütterndes Desaster gewartet hatte. Ich hatte Jus Frau betrogen, während ich sie liebevoll schmeichelnd als „ältere Schwester“ anredete. Ich hatte immer auf eine Gelegenheit gelauert, um Ju mit der Bewegung meiner Schenkel zu locken. Ich hatte mich immer unendlich vor der sexsüchtigen

Surim geekelt, ließ aber meine ganze Kraft in die Eifersucht auf sie fließen. Ich ließ alle Informationen beiläufig und wie unbewusst heraussickern. Ich hatte hinter dem Vorwand der Isolation immer von schmutzigen Verflechtungen geträumt. Das Eingeständnis der Protagonistin, dass die Frau und die Geliebte ihres Studienkollegen Ju, die sie beide, wenn auch aus ganz konträren Gründen, hasst und verachtet, „vielleicht das Paar Zungen [sei], das vor langer Zeit atrophiert war und nur noch Spuren am Zungenwurzel hinterlassen hatte“, ist, wenn man es sich recht überlegt, die unbewusste Erklärung, dass die beiden unterschiedliche Spiegelbilder ihrer selbst seien. Kwons Erzählungen sezieren das heimliche Komplott des „Ichs“ mit seinem Objekt des Hasses bzw. die Identität der beiden, mischen dabei aber gewissermaßen masochistische Lustgefühle bei. In diesem Sinne sind Kwons Erzählungen – unabhängig davon, wovon die handeln – letztendlich beißende Selbstanalysen. Ihre Erzählungen erinnern an vielen Stellen daran, dass das „Ich“ nicht nur ein Teil der Welt der monströsen Wesen ist, sondern manchmal mit ihnen unter einer Decke steckt oder zusammen mit ihnen einen einzigen Körper bewohnt, egal, welches Aussehen die Monster auch haben mögen. Die Geste, die von Kwons Erzählungen ausgeht, ist der Ausdruck des Willens, die äußere Fassade des ruhigen Alltags, die das Monsterhafte von allen, einschließlich des „Ichs“, verschleiert, niederzureißen und „Mich“ selbst in den brodelnden Schlund der Verwirrung und Zerrissenheit zu stürzen. Kwons Erzählungen sind von der Haltung geprägt, die nackte Wirklichkeit jener monströsen Welt, an der auch das „Ich“ teilhat, ohne jede kosmetische Verschönerung bloßstellen und das Unangenehme der Obszönität nüchtern auskosten zu wollen. Nietzsche würde es „Amor fati“, „Bejahung des Schicksals“, nennen, und das ist auch die Ethik, die sich durch Kwons Erzählungen zieht.

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Publikationen der Korea Foundation Abonnement /Kaufinformation

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Korean Cultural Heritage ist eine vierbändige Serie in englischer Sprache, in der Artikel der bisherigen Koreana-Ausgaben nach Kategorien zusammengestellt sind, um die verschiedenen Bereiche systematisch und vertieft vorzustellen. Die Serie bietet fachliche Artikel mit anschaulichem Bildmaterial. (Band 1: Traditionelle Kunst, Band 2: Geisteswelt und Religion, Band 3: Darstellende Kunst, Band 4: Traditionelle Lebensformen)

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Fragrance of Korea: The Ancient Gilt-Bronze Incense Burner of Baekje ist eine englische Ausgabe über das goldbronzene Weihrauchgefäß von Baekje (Nationales Kulturgut Nr. 287), das in seiner Form und Schönheit als Höhepunkt der alten ostasiatischen Metallkunst bewertet wird. Diese Ausgabe besteht aus Abbildungen und Illustrationen auf 110 Seiten und drei kurzen Aufsätzen auf insgesamt 30 Seiten: „Kunstgeschichtliche Bedeutung des goldbronzenen Weihrauchgefäßes von Baekje“, „Kulturelle Dynamik und Vielfältigkeit: Vom Duftrauchbrenner Boshanlu bis zum goldbronzenen Weihrauchgefäß von Baekje“ und „Der Standort eines buddhistischen Tempels in Neungsan-ri, Buyeo“.

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