„SIND WIR EHRLICH. NIEMAND VON UNS SPRICHT GERNE ÜBER SEIN GELD. VOR ALLEM NICHT MIT MENSCHEN, DIE WENIGER HABEN ALS MAN SELBST.“
(JEEPS)
JEEPS
Komödie von Nora Abdel-Maksoud
Silke
Maude
Gabor
Armin
Inszenierung
Friederike Serr
Christiane Schoon
Hannes Rittig
Felix Meusel
Bühne & Kostüme
Dramaturgie
Regieassistenz
Inspizienz
Soufflage
Isabel Osthues
Nikolaus Frinke
Joris Löschburg
Wolf-Dietrich Stückrad
Elke Zeh
Elke Zeh, Nadim Hussain, Wolf-Dietrich Stückrad
Premiere in Greifswald am 07. März 2025
Premiere in Stralsund am 27. März 2025
Aufführungsdauer: ca. 1 Stunde und 45 Minuten
Aufführungsrechte: schaefersphilippenTM, Theater und Medien GbR, Köln
Ausstattungsleiterin: Eva Humburg Technischer Direktor: Christof Schaaf Beleuchtungseinrichtung: Friedemann Drengk Bühnentechnische Einrichtung: Andreas Franke Toneinrichtung: Robert Hoth
Leitung Bühnentechnik: Robert Nicolaus, Michael Schmidt Leitung Beleuchtung: Kirsten Heitmann
Leitung Ton: Daniel Kelm Leitung Requisite: Alexander Baki-Jewitsch, Christian Porm Bühne & Werkstätten: Produktionsleiterin: Eva Humburg Tischlerei: Stefan Schaldach, Bernd Dahlmann, Kristin Loleit Schlosserei: Michael Treichel, Ingolf Burmeister Malsaal: Anja Miranowitsch, Fernando Casas Garcia, Sven Greiner Dekoration: Lukas Ensikat Kostüm & Werkstätten: Gewandmeisterinnen: Carola Bartsch, Annegret Päßler Assistenz: Dorothea Rheinfurth, Maisa Franco Modisterei: Elke Kricheldorf Ankleiderinnen: Ute Schröder, Petra Westphal Maske: Tali Rabea Breuer, Jill Dahm, Antje Kwiatkowski, Kateryna Maliarchuk, Ilka Stelter
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Isabel Osthues zu JEEPS
Joris Löschburg: Liebe Isabel, die Idee, „JEEPS“ mit auf den Spielplan aufzunehmen, war auch Deine Idee. Was reizt Dich so an dem Stück?
Isabel Ostheus: Nora Abdel-Maksoud entwirft in ihrem Stück „JEEPS“ mit bitterbösem Humor ein politisches Gedankenexperiment.
Was wäre wenn … alle Erb*innen ihr Erbe abgeben müssten und das Erbe verlost werden würde. Der Zufall der Geburt entscheidet darüber in welche Familie ich hineingeboren werde: In eine Familie, die seit vielen Generationen Geld anhäufen kann und deren Vermögen sich über Jahrzehnte ohne weiteres Zutun vervielfacht? Oder in eine Familie, die für ihr Geld hart arbeiten muss, kein Vermögen bilden kann, von der Hand in den Mund lebt und auf Unterstützung angewiesen ist?
Was wäre wenn … der Zufall der Geburt ein zweites Mal entscheidet: Wer erbt, gibt sein Erbe ab. Das Jobcenter sammelt diese Erblose und alle haben das Recht auf ein Los. So könnten alle nach dem Prinzip Zufall erben: Geld, Immobilien - oder eben nichts. Damit wirft Nora Abdel-Maksoud mit Mitteln der Komödie ein scharfes Licht auf die ungerechte Verteilung des
privaten Vermögens in Deutschland. Und stellt Fragen: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Wollen wir die Superreichen tatsächlich nicht besteuern und stattdessen Geld beim Bürgergeld streichen? Wie es rechte Parteien im Wahlkampf forderten? Wollen wir bei den Menschen sparen, die dringend auf Unterstützung angewiesen sind, weil sie zufällig nicht in eine reiche Familie hineingeboren sind? Oder sie zufällig in ein Land hineingeboren wurden, in dem Krieg herrscht und ihnen alles genommen hat, so dass sie fliehen müssen? Wie verändert sich eine Gesellschaft, in der auf der einen Seite bis zu 400 Milliarden Euro im Jahr vererbt und verschenkt werden und auf der anderen Seite Menschen von 5,31 € pro Tag leben sollen.
Dieses politische Gedankenexperiment der „Eierstocklotterie reloaded“ ist für mich der Kernpunkt in der Inszenierung. Ich möchte, dass sich die Zuschauenden die Frage stellen: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In „JEEPS“ kämpft am Ende jede*r gegen jede*n. Ist das eine lebenswerte Gesellschaft?
Wer hat noch nie von einem unerwarteten Erbe geträumt, das einem ein großes Vermögen und damit eine sorgenfreie Zukunft beschert? In „JEEPS“ steckt dieser Traum in einer Lostrommel, denn eine radikale Erbrechtsreform soll für neue Vermögensgerechtigkeit sorgen: Das Erbe aller Verstorbenen wird direkt vom Staat eingezogen und per Losverfahren neu und „fair“ verteilt. Dann entscheidet nicht mehr der Zufall der Geburt – die „Eierstocklotterie“ – über Bildungschancen, Lebensentwürfe und finanzielle Sicherheit, sondern einzig
und allein das Glück. Den gesamten bürokratischen Aufwand und die pikante Losverteilung übernimmt ausgerechnet das Jobcenter. Ein Vorhaben, das Konflikte mit Sprengkraft birgt ... Und tatsächlich – die zwangsenterbte Jungunternehmerin Silke verbündet sich mit der amtserfahrenen Maude, einer „Stammkundin“ des Jobcenters.
Mit gezückter Waffe stehen die beiden vor Jobcenter-Mitarbeiter Gabor und drohen, seinen Jeep in die Luft zu jagen. Mit zynischen Kommentaren gießt Gabors Vorgesetzter Armin zusätzlich
Öl ins Feuer. Denn in Wirklichkeit verfolgt auch er einen ganz eigenen Plan: Gabor, der angeblich unbestechliche Hüter der Lostrommel soll zur Herausgabe der attraktivsten Gewinne gezwungen werden. Dabei ist Armins Plan ähnlich perfide wie der von Silke und Maude. Während die beiden Frauen Gabor mit der Sprengung seines Statusobjektes drohen, dem Mercedes G 400D, einem Geländewagen der Spitzenklasse, steckt Maude, die angeblich an der Erhöhung ihres Regelsatzes der Grundsicherung interessiert ist, schon längst mit Armin unter einer Decke: Gemeinsam wollen die beiden Gabor an einer ebenso empfindlichen Stelle treffen, seiner Abneigung gegen reiche Bürgerkinder beziehungsweise „Yuppie-Larven“, wie diese im Stück genannt werden. Mit Silke Eggerts, einer ihrem Selbstverständnis entsprechend ganz natürlich auf der Sonnenseite des Lebens geborenen Unternehmertochter, haben die beiden den perfekten Lockvogel gefunden. Denn während sich Gabor seit seiner Kindheit jenen Wohlstand selbst erarbeiten musste, der sich im Mercedes G – der „schwarz glänzenden Schaumkrone des Spätkapitalismus“ endlich in der Premiumparklücke des Jobcenters für alle gut sichtbar manifestiert, repräsentiert Silke jenen Teil der Gesellschaft, der mit unnachahmlicher Leichtigkeit immer schon tanzend durchs Leben navigiert
ist. Spätestens als Gabors Lebenstraum in Flammen aufgeht, haben ihn Maude und Armin in der Falle. Gabor nutzt seine Macht aus und verteilt absichtlich ein verschuldetes Los an Silke. Dumm nur, dass Gabor die lukrativsten Lose ebenso verteilt. Und zwar an jene Kinder in der Wartehalle C, die seit der Reform anstelle der arbeitssuchenden Eltern das Jobcenter bevölkern, einfach weil sie aufgrund ihrer Körpergröße weniger Platz im, durch die Reform überfüllten, Gebäude einnehmen.
Es kommt zum fulminanten Finale – in der Wartehalle lag ein „Blutnebel wie in diesen Actionfilmen“ in der Luft, gesteht Gabor später. Und Armin ergänzt, dass „der Putztrupp zweimal durchmusste“.
Am Ende der gutgemeinten Reform kommt es also zum Gemetzel. Die vier Protagonisten des Stückes scheinen davon nur mittelmäßig mitgenommen: Denn obwohl sie offensichtlich strafrechtliche Konsequenzen zu tragen haben und somit nur in der Rückblende über die Ereignisse im Jobcenter berichten können, sind sie gegen Ende schon wieder damit beschäftigt sich zu rechtfertigen und die eigene Schuld herunterzuspielen.
„Ich meine, das ist ein bisschen so wie mit diesen Kindern, die das Zeug für mein Handy schürfen, ja. Man hört diese Geschichte, ist kurz betroffen, dann kriegt man ein lustiges GIF geschickt und hat alles wieder vergessen. Man hat ja so ne Art Empathie-Radius. Der ist verhältnismäßig klein, weil, wenn er größer wäre, würde man ja durchdrehen. Ich meine, keiner von uns wusste bis dahin, wo das Jobcenter überhaupt liegt.“
(Silke in „JEEPS“)
Mit „JEEPS“ ist der erfolgreichen deutschsprachigen Autorin Nora Abdel-Maksoud eine provokant zugespitzte Komödie gelungen, in der sie mit blitzschnellen Wendungen und bitterbösem Humor nichts Geringeres verhandelt als die aktuellen Debatten über Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit. Dabei fördert sie ein tief verwurzeltes Sicherheitsbedürfnis der gutbürgerlichen Elite ebenso zu Tage wie die quasi postfeudale Selbstverständlichkeit, mit der Erben zu ihrem per se unverdienten Besitz stehen. In Verbindung mit dem mittelständischen Wunsch, irgendwie zur Klasse der Wohlhabenden dazuzugehören entsteht daraus jene Gemengelage,
durch die sich die Klassenunterschiede in unserer Lebenswelt der Gegenwart immer weiter verhärten. Bei Nora Abdel-Maksoud aber reicht die Idee der Reform als Stein des Anstoßes für eine Neiddebatte, in deren Zuge sich die gegenseitige Verachtung, die unter der Oberfläche der Normalität brodelt, schnell in einer Folge immer absurderer und schließlich gewalttätiger Ausbrüche manifestiert. Auch wenn die Rigorosität der Reform sowie die Art und Weise ihrer Umsetzung klar aus dem Reich der Fiktionen stammen und „JEEPS“ insofern deutlich als theatrales Experiment kennzeichnen, die explosiven Klassenunterschiede sowie der angestaute Unmut ob ihrer Unüberwindlichkeit verleihen dem Stück jene brisante Wahrheit, die bei Abdel-Maksoud stets zwischen den Zeilen schwingt.
Die Neiddebatte reloaded (wir
müssen
nochmal über Klassen reden)
Eine Oxfam Studie vom 15.1.2024 zeigt, dass aktuell 10 % der Weltbevölkerung 85 % des Weltvermögens besitzen, während 50% zusammen 1 % besitzen (von 100 Personen besitzt 1 Person 90 % während sich 99 Personen 10 % teilen). (Marie Schleef in Theater der Zeit)
Nora Abdel-Maksoud lässt den Jobcenter-Mitarbeiter Gabor in „JEEPS“ das Problem sozialer Ungleichheit in einem pointierten Bild zusammenfassen: Stellen Sie sich ein Hundertmeter-Rennen vor, Frau Eggerts. Es gibt zwei Runden. In der ersten Runde starten alle Athleten von der gleichen Position. In der zweiten hat einer von ihnen einen uneinholbaren Vorsprung. In welcher Runde, denken Sie, strengen sich alle mehr an?
Tatsächlich blenden wir in gesellschaftlichen Diskursen das Problem ungleicher Ausgangsbedingungen allzu oft aus. Ganz im Sinne neoliberaler Ideologie bevorzugen wir es, wachsende Chancengleicheit, etwa zwischen Männern und Frauen, zwischen Menschen mit und ohne migrantischen Hintergrund, zwischen den alten und den neuen Bundesländern hervorzuheben. Dass Deutschland die Liste der OECD-Staa-
ten mit den deutlichsten Klassenunterschieden gleich nach den USA und der Schweiz anführt, wird dabei gerne ausgeblendet. Während wir in Deutschland circa eine Million Millionäre haben, wird das Problem der Superreichen eher als ein marginales behandelt. Probleme wie der wachsende Niedriglohnsektor, Alters- oder Kinderarmut, Engpässe im öffentlichen Haushalt – wie zum Beispiel die jüngsten Kürzungen im Kulturetat – werden in den allermeisten Fällen nicht zum Überfluss ins Verhältnis gesetzt, der sich auf der anderen, sonnigeren Seite der Gesellschaft finden lässt.
„Jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm. Gleichzeitig werden 400 Milliarden Euro pro Jahr vererbt.“ (aus „JEEPS“)
So belaufen sich die jährlichen Einnahmen aus der Erbschaftssteuer trotz Erbschaftswelle derzeit auf kaum 5 Milliarden Euro. Das entspricht gerade mal etwa zwei Prozent des vererbten Vermögens. Lorenz Rollhäuser Urteilt: „Dass Einkommen durch Arbeit dagegen mit bis zu 45 % und Kapitaleinkommen mit immerhin noch 25 % besteuert werden, erzeugt eine Schieflage, für die
sich schwerlich überzeugende Gründe finden. Eine gerechtere oder zumindest halbwegs konsequente Besteuerung jenes Teils des Vermögens, der vererbt wird und der mit knapp 10 % (circa 400 Milliarden Euro) des Bruttoinlandsprodukt (4,5 Billionen Euro im Jahr 2024) betrifft, würde zu deutlich veränderten kommunalen Haushalten führen – marode Schulen, Flüchtlingsunterkünfte, Sanierungen von Theaterhäusern – es ließe sich viel Sinnvolles anfangen mit dem auf Privatkonten eingefrorenen oder in Luxusyachten investiertem Geld. Anstatt den Aufstand zu proben, konsumieren wir lieber die 1001. Hollywoodfantasie, die den Topos „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ verklärt, investieren unser Geld in ETFs oder Crypto, um unser Vermögen möglichst zu verzehnfachen, oder treten einfach nach unten gegen die Allerärmsten und deren Anspruch, Geld für die Grundsicherung zu erhalten. Das Projekt der sozialen Marktwirtschaft und seine Be-
fürworter haben extrem an Prestige eingebüßt. Während die Macht der Superreichen auf globaler Ebene zu immer aberwitzigeren Wahlverwandtschaften führt, sorgen viele sich zunehmend um die Zukunft der Demokratie. Julia Friedrichs, Autorin des Buches „Wir erben“, etwa fragt mit Blick auf die aktuelle Dynamik des vererbten Wohlstands:
„Wenn tatsächlich drei Billionen in den kommenden zehn Jahren nahezu steuerfrei weitergereicht werden, so wird das nicht nur das Leben des einzelnen Erben verändern, sondern die Statik des Ganzen. Die Erbengesellschaft des 21. Jahrhunderts wird nicht die alte Feudalgesellschaft sein, aber auch nicht mehr die recht nivellierte Mittelschichtsgesellschaft der Nachkriegsjahre. Es wird etwas Neues entstehen. Ein Zwitter aus Meritokratie und Ancien Régime? Ein Hermaphrodit – halb feudal, halb demokratisch?“ (aus: „Wir erben“)
Die Wortwahl ist hier kein Zufall. Tatsächlich könnte man das Erbrecht als jenen Teil des Rechtsstaates bezeichnen, der sich am vehementesten gegen Zugriffe der Aufklärung gehalten hat. Mittlerweile scheinen sich alle an soziale Ungleichheit gewöhnt zu haben. 84 % der deutschen Bevölkerung stimmen in einer Umfrage aus dem Jahr 2007 folgender Aussage zu:
„Es ist gerecht, dass Eltern ihr Vermögen an ihre Kinder weitergeben, auch wenn das heißt, dass die Kinder reicher Eltern im Leben bessere Chancen haben.“ (DER SPIEGEL)
Jene Stimmen, die gegenwärtig immer noch fordern, die Reichen endlich stärker zur Kasse zu bitten, wirken hingegen wie etwas altbackene Vertreter einer überkommenen sozialistischen Ideologie. Die wenigen Superreichen, die im Sinne von Marlene Engelhorn auf ihr
Erbe verzichten oder mit Kampagnen wie Tax me now! für eine Reform des Erbrechts eintreten, wirken eher wie unzeitgemäße Sonderlinge. Der Zeitgeist des Spätkapitalismus entspricht vielmehr jener calvinistischen Logik, seinen durchaus gottgewollten Reichtum in immer schillernden Facetten auszustellen. Aber auch das bürgerliche Sicherheitsbedürfnis bildet eine gute Investitionsgrundlage. In „JEEPS“ bangt die enterbte Silke Eggerts nicht zufällig um Eigentumswohnungen und Bootshaus in Südfrankreich – Immobilien sind im Trend – Gentrifizierung und Immobilienkrise teilweise unmittelbare Effekte eines geradezu rauschhaften Runs aufs Eigenheim.
„Fast 60 Prozent aller Immobilien in Deutschland gehören inzwischen den wohlhabendsten 20 Prozent aller Eigentümer.“ (aus: „Wir erben“)
Wenn wir ein gewisses Maß an Chancengleichheit als Fundament demokratischer Ordnungen befürworten, dann wären wir vielleicht gut beraten, jene Neiddebatte, die in „JEEPS“ ganz zu Beginn ironisch gestartet wird, durchaus ernst zu nehmen. Oder anders gesagt: Wir müssen nochmal über soziale Klassen sprechen. Die Ideologie des Egalitarismus verschleiert die absurd ungleichen Ausgangsbedingungen, mit denen wir ins Rennen starten – und wo sich Prunk und Luxus nicht mehr kaschieren lassen, werden sie als natürlicher Bestandteil der sozialen Ordnung inszeniert. Die Neiddebatte muss also im Sinne einer Entschleierung der Normalität, einer neuen Unselbstverständlichkeit gegenüber der Ungleichheit geführt werden. Mit dem französischen Philosophen und Sozialwissenschaftler Bruno Latour könnten wir in Bezug auf die Aufklärung konstatieren: „Wir sind nie modern gewesen!“ Tatsächlich stecken wir noch mit einem ganzen Bein tief im Sumpf des Feudalismus samt seinen monströsen Ausgeburten. Wir wären gut beraten, das Projekt der Aufklärung zu Ende zu führen …
Nora Abdel-Maksoud
„Das Gedankenspiel, dass die 400 Milliarden, die in Deutschland pro Jahr als Erbe fällig werden, per Losverfahren verteilt werden und nicht qua Geburtenbingo, gefällt mir schon. Weil es dann ja auch plötzlich im Interesse der Besitzenden sein könnte, ‚Wohlstand für alle‘ zu schaffen. Wenn ich nicht mehr automatisch davon ausgehen kann, dass meine Kinder in die private Kita gehen, will ich vielleicht doch die bestehende Infrastruktur verbessern.“ (Nora Abdel-Maksoud, in: Theater der Zeit 09/2021)
Nora Abdel-Maksoud wurde 1983 in München geboren. 2005 begann sie ihr Schauspielstudium an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg. 2012 zeigte sie am Ballhaus Naunynstraße ihre erste Regie- und Autorinnenarbeit „Hunting von Trier“. Seitdem ist sie erfolgreich als Autorin unterwegs.
„JEEPS“ entstand 2021 als Stückentwicklung an den Münchener Kammerspielen und ist der zweite Teil einer Trilogie über Klassismus (neben „Rabatt“ und „Café Populaire Royal“).
„Maksouds Personal ist ein Sammelsurium der Mittelmäßigkeit: scheiternde Clowns, machtbesessene Overperformer, devote Handlanger und immer auch der Spießbürger in all seiner Dietmarhaftigkeit.“ (SZ)
Foto:
Abdel-Maksoud, Tobias Kruse für Deutsche Bühne
Das Ensemble von JEEPS im Gespräch
Liebe Christiane, liebe Friederike, lieber Hannes, lieber Felix – ist materieller Reichtum ein Thema im Kollegium?
Felix: Nee – wir unterhalten uns eigentlich wenig bis gar nicht über Besitz …
Hannes: Naja – es spielt schon eine Rolle, das wäre ja jetzt gelogen ...
Christiane: Besitz vermittelt ja eine gewisse Sicherheit – das ist doch klar!
Friederike: Ich glaube aber, dass keiner von uns besonders viel hat – zumindest mal im Ensemble ist wohl keiner reich.
Felix: Reichtum ist vielleicht der falsche Begriff – Wohlstand trifft es besser.
Beim Geld wäre es zum Beispiel schön, sich nicht jeden Tag zu fragen: Ist mein Konto eigentlich ausreichend gedeckt?
Wer von Euch wird eigentlich mal lohnenswert erben?
Felix: Ich werde ein Haus erben, das teilen wir uns unter uns Geschwistern auf. Das ist, denke ich, schon viel und gut …
Findet ihr es denn grundsätzlich gerecht, wie in Deutschland aktuell geerbt wird?
Felix: Nein. Das Problem sind die Steuern. Öffentliche Gelder sind einfach wichtig, um einen gewissen Standard zu sichern. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass vererbte Firmen nicht versteuert werden müssen, dann finde ich das schon sehr problematisch …
Was haltet ihr von der Idee eines Losverfahrens zur gesellschaftlichen Umverteilung der Erbmasse?
Hannes: Also ich finde diese Idee nicht gut – das zeigt das Stück ja auch, dass da im Prinzip ein ungerechtes System auf das nächste folgt …
Friederike: Das macht es ja auch nicht fairer …
Wie könnte es denn dann gerechter zugehen?
Friederike: Ich habe gehört, dass allein der Verzicht auf Zinsen von vererbtem Geld schon zu enormen Steuereinnahmen führen würde – das würde schon reichen …
Hannes: Das Problem ist ja auch, dass viele, die viel Geld besitzen, sich immer darum winden können, offen zu legen, wieviel sie eigentlich besitzen. Das müsste offen gelegt werden, um dann auch sinnvoll besteuern zu können. Wenn man einfach sagen würde: „Jeder bezahlt die gleichen Steuern und zwar europaweit!“, dann wären wir schon einen riesigen Schritt weiter!
Könnt ihr Silke, die Enterbte, und ihren Unmut über die Enteignung durch das Amt verstehen?
Friederike: Schon – ich meine sie ist ja keine Milliardärin, nicht mal Millionärin – obwohl vielleicht schon … Aber wenn man so plötzlich gar nichts mehr hat, dann ist das im Umkehrschluss natürlich auch nachvollziehbar.
Hannes: Man darf ja auch nicht vergessen, dass Erben auch was mit einem Geschenk zu tun hat – etwas soll weitergegeben werden. Das ist eine Dimension, die im Stück nicht wirklich thematisiert wird, die aber immer mitschwingt.
Felix: Und man wird quasi mit seinem Erbe sozialisiert, und das dann plötzlich nicht zu haben, ist natürlich krass … Unabhängig davon, ob es moralisch richtig ist oder nicht, rechnet man ja mit dem Geld, das man annimmt, in Zukunft zu besitzen – in dieser Hinsicht kann ich Silke durchaus verstehen.
Das Gespräch führte Joris Löschburg
PARTYIDEE (Keksspaß mit Kindern ab 5 Jahren)
Vorbereitung:
Papierlose mit den Zahlen eins bis zehn, weiche Weizenmehlkekse, einen Tisch, das eigene Kind und neun kleine Gäste.
Und so geht es:
Stellen Sie einen Teller mit zehn Keksen in die Mitte des Tisches! Lassen Sie jedes Kind ein Los ziehen! Weisen Sie die Kinder an, sich den Zahlen entsprechend in eine Reihe zu stellen! Erklären Sie ihnen, dass jedes Kind nun zehn Prozent der Menschen im Land repräsentiert und die Kekse auf dem Tisch das Gesamtvermögen! Nun sagen Sie dem ersten Kind: Nimm dir sieben Kekse! Denn den reichsten zehn Prozent des Landes gehören mehr als zwei Drittel des Wohlstands. Zerstückeln Sie die restlichen drei Kekse in jeweils zehn Teile! Sie haben jetzt dreißig Keksstücke. Brechen Sie von einem ein Fünftel ab, und geben Sie diesen Anteil den Kindern mit den Losen sieben bis zehn. Sagen Sie ihnen: So ist der Reichtum in unserem Land verteilt. Die unteren 40 % der Bevölkerung haben zusammen nicht mehr als einen Krümel. (aus: Wir erben)
Impressum
Herausgeber: Theater Vorpommern GmbH
Stralsund – Greifswald – Putbus
Spielzeit 2024/25
Geschäftsführung: André Kretzschmar
Textnachweise:
Redaktion: Dr. Joris Löschburg
Gestaltung: Wenzel Pawlitzky
1. Auflage: 500
Druck: Flyeralarm www.theater-vorpommern.de
So nicht anders vermerkt, stammen alle Texte von Joris Löschburg
Quellen:
Julia Friedrichs: Wir erben. Was Geld mit Menschen macht. Berlin Verlag 2015. Lorenz Rollhäuser: Erbschaft - ein feudales Relikt? In: https://www.deutschlandfunkkultur.de/.
Silke Bigalke: Deutsche glauben nicht mehr an Chancengleichheit. In: Der Spiegel 9/2007.
Nora Abdel-Maksoud: Den Reichen ihr Geld, den Schönen ihren Applaus, den Armen ihre Scheißverhältnisse? In: Theater der Zeit 09/2021.
Bildnachweise:
Die Bilder der Inszenierung stammen von Peter van Heesen.