Theaterjournal #14

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Was haben Ballett und Anlegen gemeinsam?

Es sieht einfach aus, aber dahinter steckt viel Arbeit.

Als stolze Partnerin des Ballett Theater Basel wĂźnschen wir Ihnen viel VergnĂźgen. blkb.ch, 061 925 94 94


HOCH HINAUS!

N E N N I R E S R E E L S E E B L E I D L UN

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Hoch hinaus streben einige Protagonist_innen in den kommenden Stücken am Theater Basel. Allen voran wagt sich in unserer neuen Familienoper der Schellen-Ursli alleine hoch zum Maiensäss, um die grösste Glocke für den traditionellen Umzug zu ergattern – und sein Mut wird damit belohnt, dass er den Chalandamarz anführen darf. Auch im Auftragswerk «Julien – Rot und Schwarz», einem neuen Stück für das Theater Basel vom Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss nach dem Roman «Rot und Schwarz» von Stendhal, ist es ein junger Mann, der nach sozialem Aufstieg und Anerken­ nung strebt. Der Wunsch nach grösstmöglicher persönlicher Entfaltung auf der einen und Liebessehnsucht auf der anderen Seite zerreisst hinge­ gen das Liebespaar Mimì und Rodolfo in der Oper «La Bohème», mit der die Dirigentin Kristiina Poska ihren Einstand als neue Musikdirektorin am Theater Basel gibt. Der Hausautor der vergangenen Spielzeit Thiemo Strutzenberger, den Sie aus vielen Stücken als Schauspieler kennen, hat die bei­ den Basler Naturforscher Paul und Fritz Sarasin mit ihrem Wunsch nach Aufbruch und Freiheit ins Zentrum seines Stücks «Wiederauf­ erstehung der Vögel» gestellt. Die Fundstücke ihrer Forschungs­ reisen in die Tropen waren der Grundstock des späteren ­Museums der Kulturen in Basel. Die Ausstellung «Stimmen aus einer archi­ vierten Stille» begleitet diese Uraufführung und verhandelt das koloniale Erbe der Basler Sammlung. Ob mit oder ohne Höhenangst: Das Theater Basel begleitet Sie zu höchsten Bergen, mutigen Entscheidungen und Spitzentönen. Kommen Sie mit?

Adressen und Kontakte: INTENDANT Andreas Beck, vertreten durch Pavel B. Jiracek, Almut Wagner, Richard Wherlock | KAUFMÄNNISCHE DIREKTORIN Henriette Götz | REDAKTION Dramaturgie, Junges Haus, Öffentlichkeits­ arbeit | GESTALTUNG Perndl+Co | ILLUSTRATIONEN Alexander Neubauer | FOTONACHWEISE Cover: Perndl+Co, Anja Adam S. 8 + 9, Christopher Baumann S. 11, Kim Culetto S. 3, S. 21 + 22, Jennifer Fluck S. 19, Alexander ­Hector S. 15, Antoin Herrera-Lopez Kessel S. 27, Lucia Hunziker S ­ . 23, Ismael Lorenzo S. 12 + 13, Eyal Nevo S. 24, Sandra Then S. 6 + 7, S. 26, Werner Tschan S. 25 BILLETTKASSE Telefon +41 (0)61 295 11 33; www.theater-basel.ch | ÖFFNUNGSZEITEN DER BILLETTKASSE Theaterplatz: Mo–Sa, 11–19 Uhr Die Abendkasse öffnet eine Stunde vor Vorstellungsbeginn.

Vorverkauf auch über Kultur­ büro Riehen, Baselstrasse 43 | Kantonsbibliothek Baselland Liestal, Emma Herwegh-Platz 4 | Aktuelle Spielplaninformationen www.theater-basel.ch – Änderungen vorbehalten | Theater Basel, Postfach, CH-4010 Basel | Grosse Bühne, Kleine Bühne, Box: Theater­ strasse 7, 4051 Basel | Schau­ spielhaus: Steinentorstrasse 7, 4051 Basel Partner des Ballett Theater Basel:

Öffentliche Hand:

Medienpartner:

Eine Beilage der bz Basel.

Herzlich Ihre Claudia Brier

@ E S S A h K c . T l T e E s L 3 a L 3 I b B ater- 5 11 9 e 2 h t 0)61 ( 1 +4


ÜBERSICHT

NOVEMBER BIS FEBRUAR

Das nächste Theaterjournal erscheint am 18. März 2020! 29. NOVEMBER 2019

21. DEZEMBER 2019

Familienoper von Marius Felix Lange Musikalische Leitung Stephen Delaney Inszenierung Tim Jentzen URAUFFÜHRUNG/AUFTRAGSWERK 8 KLEINE BÜHNE

Ballett von Richard Wherlock Musik von Dmitri Schostakowitsch Musikalische Leitung Thomas Herzog Es spielt das Sinfonieorchester Basel. WIEDERAUFNAHME GROSSE BÜHNE

SCHELLEN-URSLI

30. NOVEMBER 2019

RETOUR À REIMS Série française Schauspiel von Didier Eribon Inszenierung Thomas Ostermeier GASTSPIEL SCHAUSPIELHAUS 13. DEZEMBER 2019

DER GEHÜLFE Schauspiel nach dem gleichnamigen Roman von Robert Walser Inszenierung Anita Vulesica PREMIERE SCHAUSPIELHAUS 14. DEZEMBER 2019

LA BOHÈME Oper von Giacomo Puccini Musikalische Leitung Kristiina Poska Inszenierung Daniel Kramer Es spielt das Sinfonieorchester Basel. PREMIERE 10 GROSSE BÜHNE 17. & 22. DEZEMBER 2019

DER NUSSKNACKER Aufführung der Ballettschule Theater Basel GROSSE BÜHNE

SNOW WHITE

31. DEZEMBER 2019

LA BOHÈME Oper von Giacomo Puccini Musikalische Leitung Kristiina Poska Inszenierung Daniel Kramer 19.30 Uhr, GROSSE BÜHNE

IN DEN GÄRTEN ODER LYSISTRATA TEIL 2 Schauspiel von Sibylle Berg nach Aristophanes Inszenierung Miloš Lolić 19.30 Uhr, SCHAUSPIELHAUS

IHR WUNSCH­ KONZERT It’s a Woman’s World 21 Uhr, KLEINE BÜHNE

SILVESTERPARTY Mit Liveband & DJ Moderation Mario Fuchs Ab 22.30 Uhr, FOYER GROSSE BÜHNE

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ÜBERSICHT

1. JANUAR 2020

24. JANUAR 2020

Operettengala mit Werken von Paul Abraham, Franz Lehár, Johann Strauss u. a. Musikalische Leitung Kristiina Poska Moderation Hans-Georg Hofmann, Pavel B. Jiracek, Kristiina Poska Mit Solist_innen des Opernensembles Chor und Extrachor des Theater Basel Es spielt das Sinfonieorchester Basel. GROSSE BÜHNE

Schauspiel von Thiemo Strutzenberger, basierend auf «Tropenliebe» von Bernhard C. Schär Inszenierung Katrin Hammerl URAUFFÜHRUNG / AUFTRAGSWERK KLEINE BÜHNE

NEUJAHRSKONZERT «DIE GANZE WELT IST HIMMELBLAU!»

AB 12. JANUAR 2020

STIMMEN AUS EINER ARCHIVIERTEN STILLE Eine Rechercheausstellung zur Basler Kolonialgeschichte Ausstellungskonzept Ryser + Schonfeldt VERNISSAGE am 12. Januar 2020, 15–18 Uhr FOYER GROSSE BÜHNE Die Ausstellung wird unterstützt von Bernhard C. Schär (ETH Zürich), dem Schweizerischen Nationalfonds SNF, der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, der Christoph Merian Stiftung, der Ernst Göhner Stiftung und dem Aargauer Kura­ torium. 16. JANUAR 2020

JULIEN – ROT UND SCHWARZ Schauspiel von Lukas Bärfuss nach Stendhal Inszenierung Nora Schlocker URAUFFÜHRUNG / AUFTRAGSWERK SCHAUSPIELHAUS

WIEDER­ AUFERSTEHUNG DER VÖGEL

26. JANUAR 2020

SACHERS MUSIKALISCHE WUNDERKAMMER Russisches Gebet: Sofia Gubaidulina und Galina Ustwolskaja Musikalische Leitung Stephen Delaney Moderation Hans-Georg Hofmann, Natalie Widmer Eine Kooperation des Theater Basel mit dem Sinfonieorchester Basel FOYER GROSSE BÜHNE 6. FEBRUAR 2020

DARIUS MILHAUD: LA MÈRE COUPABLE Oper am Klavier Musikalische Leitung Thomas Wise Szenische Einrichtung Ulrike Jühe PREMIERE FOYER GROSSE BÜHNE 13. FEBRUAR 2020

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18. JANUAR 2020

LE NOZZE DI FIGARO (DIE HOCHZEIT DES FIGARO) Oper von Wolfgang Amadeus Mozart Musikalische Leitung Christian Curnyn Inszenierung Barbara Frey Es spielt das Sinfonieorchester Basel. PREMIERE GROSSE BÜHNE

SHARON EYAL / BRYAN ARIAS Tanzabend mit Choreografien von Sharon Eyal und Bryan Arias SCHWEIZER ERSTAUFFÜHRUNG / URAUFFÜHRUNG SCHAUSPIELHAUS 14. FEBRUAR 2020

GRAF ÖDERLAND Schauspiel von Max Frisch Inszenierung Stefan Bachmann PREMIERE GROSSE BÜHNE


ANDERSENS ERZÄHLUNGEN

ANDERSENS ERZÄHLUNGEN Schauspieloper von Jherek Bischoff (Musik) und Jan Dvořák (Text) In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln Uraufführung/Auftragswerk Grosse Bühne MUSIKALISCHE LEITUNG Thomas Wise INSZENIERUNG Philipp Stölzl BÜHNE Philipp Stölzl, Heike Vollmer KOSTÜME Kathi Maurer CHOREOGRAFIE Sol Bilbao Lucuix NACHDIRIGAT Stephen Delaney MIT Linda Blümchen, Pauline Briguet, Klaus Brömmelmeier, Claudio Costantino, Jasmin Etezadzadeh, Mario Fuchs, Stefanie Knorr, Laetitia Aurélie Kohler, Hyunjai Marco Lee, Kihako Narisawa, Ena Pongrac, ­ Rolf Romei, Bruno de Sá, Katharina Marianne Schmidt, Daniel Staaf, Moritz von Treuenfels; Statisterie des Theater Basel Es spielt die Basel Sinfonietta. Eine spartenübergreifende Produktion von Oper, Schauspiel und Ballett Eine Koproduktion des Theater Basel mit dem Residenztheater München


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ANDERSENS ERZÄHLUNGEN

Aus Liebe zu einem Prinzen möchte die kleine Meerjungfrau ein Mensch werden und geht einen fatalen Handel ein. Warum der dänische Dichter Hans Christian Andersen sein wohl berühmtestes Märchen «Die kleine Meerjungfrau» tragisch enden lässt, kann man noch bis zum 1. Februar 2020 auf der Grossen Bühne in Philipp Stölzls Inszenierung «Andersens Erzählungen» erleben.


SCHELLEN-URSLI

ZU HAUSE BEI SCHELLEN-URSLI Inmitten der eindrucksvollen Engadiner Berglandschaft im Kanton Graubünden liegt ein kleines Dorf namens Guarda. Das Dorf mit den wunderschön verzierten Häusern, den «Sgraffiti», ­ist heute weltberühmt, denn es ist die Heimat des Schellen-Ursli.

Nach den Kinderbüchern «Schellen-Ursli», «Flurina und das Wildvöglein» und «Der grosse Schnee» von Alois Carigiet (Illustration) und Selina Chönz (Text), erschienen im Orell Füssli Verlag. © 1971 Orell Füssli Sicherheitsdruck AG, Zürich. Alle Rechte vorbehalten.

«Hoch in den Bergen, weit von hier, da wohnt ein Büblein so wie ihr. In diesem Dörfchen, arm und klein, ganz unten steht sein Haus allein.» Geschrie­ ben von Selina Chönz und illustriert von Alois ­Carigiet, erzählt das Buch die Geschichte des ­Schellen-Ursli, der sich für den Chalandamarz – ­ das ist das traditionelle Ausläuten des Winters am 1. März – die grösste und schönste Glocke erhofft, aber am Ende mit der kleinsten Schelle zurückbleibt. Eine Schmach, die er nicht auf sich sitzen lassen kann und die ihm eine mutige Entscheidung abver­ langt: Bei Schnee und Eis steigt er hoch aufs Mai­ ensäss, wo eine prächtige, kugelrunde Glocke hängt. Marius Felix Lange ist der Komponist, der für das Theater Basel zur Weihnachtszeit die Familienoper «Schellen-Ursli» komponiert hat. Um die Geschichte des Schellen-Ursli und seiner Schwester Flurina so authentisch wie möglich zu erzählen, hiess es im letzten März für das Produktionsteam: Raus aus dem Theater und rein ins Engadin! Hierbei stand nicht nur ein Abstecher nach Guarda und der Besuch im volks­ kundlichen Museum Engiadinais in St. Moritz auf dem Programm – wo man von A(rvenholz) bis (Chalandamar)Z wirklich alles über die Geschichte und das Leben im Engadin erfahren kann –, sondern auch eine Überraschung der besonderen Art: Auf das Team wartete eine Nacht im ehrwürdigen Schweizer Traditionshotel «Waldhaus» in Sils Maria, die vom Hotelchef persönlich ermöglicht wurde. Derart gestärkt und erholt konnte der Chalandamarz ­kommen! Aber der hatte es in sich: Pünktlich zum ­ 1. März schlug der Winter noch einmal richtig zu,

und wie im Buch schneite es den ganzen Tag lang dicke Flocken. Umso beeindruckender gestalteten sich die Umzüge, bei denen die Kinder und Jugend­ lichen alles gaben, um den hartnäckigen Winter aus­ zuläuten. Dabei wurde nicht nur kräftig geläutet und gebimmelt, sondern auch gesungen. Zwei Lie­ der, die ausschliesslich auf Rätoromanisch gesungen werden, hat Marius Felix Lange für seine Oper über­ nommen und in die Handlung integriert. Vollgepackt mit Eindrücken und Ideen ging es schliesslich zurück nach Basel. Seit dem 14. Oktober laufen am Theater Basel die Proben für die Urauf­ führung im November. Das Besondere daran: Die Hauptrollen werden ausschliesslich von Basler Jugendlichen verkörpert. Regie führt der junge Basler Regisseur Tim Jentzen, der das Theater Basel von Kindesbeinen an kennt. Die musikalische Leitung übernimmt Stephen Delaney, ­der auch der Leiter des Opernstudios OperAvenir ­ist. Zu erleben ist die Inszenierung ab dem 29. November auf der Kleinen Bühne des Theater Basel. Text: Johanna Mangold


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Chalandamarz, chaland'avrigl, laschai las vachas our d'uigl, las vachas van culs vdels, las nuorsas culs agnels, las chavras culs usöls e las giallinas fan ils övs. La naiv schmarschescha e l'erba crescha. Scha'ns dais qualchosa, schi Dieu as benedescha, e scha nu'ns dais inguotta, sch'il luf as sbluotta.

Der Theaterverein Basel lädt alle Kinder bis 12 Jahre ein, an einer von zwei öffentlichen Führungen speziell für Kinder am Samstag, 7. Dezember oder Donnerstag, 26. Dezem­ ber 2019 teilzunehmen. Gratisbillette für Kinder bitte jeweils im Voraus an Der Theaterverein der Billettkasse abholen. Basel schenkt allen «Es het, solangs het.» Kindern und Jugend­ lichen bis 12 Jahre einen Eintritt in «Schellen-Ursli». Schulvorstellungen sind davon ausgenommen.

Zu allen Vorstellungen am Sonntag­ nachmittag gibt es eine parallele Kinderbetreuung für Kinder ab 4 Jahren, jeweils ab 16 Uhr. Die Teil­ nahme ist kostenlos, für ein Znacht ist gesorgt, Anmeldung vorab erfor­ derlich. Nächste Vorstellungen mit Kinderbetreuung: Sonntag, 26. Januar 2020 «Le nozze di Figaro» (Die Hochzeit des Figaro) Sonntag, 16. Februar 2020 «La Bohème»

SCHELLEN-URSLI Familienoper von Marius Felix Lange nach der «Engadiner Trilogie» von Selina Chönz und Alois Carigiet Libretto vom Komponisten In deutscher Sprache Altersempfehlung: ab 6 Jahren Uraufführung/Auftragswerk 29. November 2019 Kleine Bühne MUSIKALISCHE LEITUNG Stephen Delaney INSZENIERUNG Tim Jentzen BÜHNE UND KOSTÜME Pascal Seibicke LICHT Roland Heid

SCHELLEN-URSLI Michael Bauer/Aaron Christ FLURINA Alma Bleich/ Mira Feigel MUTTER Kali Hardwick/ Ena Pongrac VATER Dmytro Kalmuchyn/ Anelio Rodríguez GIAN/DER WINTER Raphael Sigling GSPÄNLI Noam Burger, Friederika Dvir, Livio Gerber, Riga Miftari, Viktoria Morar, Danylo Potiekhin, Nina Sahin, Miranda Wise Es spielt die Chalanda-Banda. Eine Produktion von OperAvenir in Zusammen­ arbeit mit der Mädchenund Knabenkantorei Basel Mit Dank an das Hotel Waldhaus Sils OperAvenir mit freund­ licher Unterstützung: HEIVISCH, HIAG und Julius Bär

GIPFELSTÜRMER WINTERSCHLÄFER WINTERWUNDERLAND


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LA BOHÈME

LIEGT BASEL AUF DEM WEG ZUM GLÜCK?

Sie ist nicht zum ersten Mal in Basel – mehrfach hat sie schon hier gearbeitet: Kristiina Poska, die neue Musik­direktorin des Theater Basel. Zeit für einen kleinen Spaziergang durch ihre neue Heimat. Sogleich gerät Kristiina Poska ins Schwärmen und gesteht: sie hat sich in die Stadt verliebt. Weisst du noch, was dieses Verliebtsein in die Stadt ausgelöst hat? Liebe ist im Wesen immer unbenennbar. Man kann sie nicht mit Rationalität ergründen. Ich versuche es trotzdem: Basel ist eine wunderschöne Stadt, deren geografische und kulturelle Grösse auf wunderbare Weise nicht in Balance zu sein scheinen. Mit «kultu­ reller Grösse» meine ich Weltoffenheit, internationale Einflüsse, Qualitätsanspruch. Das beflügelt uns Künstler_innen und macht diese Stadt so fantastisch und anziehend. Basel ist eine Stadt voller Museen von Weltniveau, ein Hort der Kunst. Worin siehst du Parallelen zwi­ schen bildenden Künsten und Musiktheater? Wie uns Bilder im Museum immer wieder anziehen, weil wir sie mit immer neuen Augen erleben können, so ist es auch mit Musiktheaterwerken. Sie regen uns zum Nachdenken darüber an, woher wir kom­ men, wo wir sind und wohin wir wollen; sie schlagen eine Brücke in die Vergangenheit, aber gleichzeitig auch in die Zukunft. Eine neue Interpretation eines Werks hilft uns, zu sehen und erleben, wie sich Facetten unseres Wesens verändern. Sie lassen uns also auch die Gegenwart bewusster erleben und spüren. Hast du schon einen Lieblingsort in Basel? Einer meiner Lieblingsorte ist der Rhein. Selbst wenn ich in der Vergangenheit jeweils nur für einen Tag in der Stadt war, musste ich immer an den Rhein hinunter. Ich bin ein sehr wasserverbundener Mensch, was vielleicht daher rührt, dass ich aus Est­ land komme, gerne und viel schwimme. Mein Bedürfnis nach Wasser ist geradezu ein physisches – in Städten, wo es kein Wasser gibt, fühle ich mich nicht wohl. Und Spaziergänge am Wasser beschleu­ nigen sogar das Lernen, wenn ich mich mit einer neuen Partitur befassen muss. Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit der Regie für deine musikalische Arbeit? Wenn ich mich nicht für Regiekonzepte interes­ sierte, könnte ich einfach Konzertliteratur dirigieren.

Die Basis für meine Arbeit ist die Partitur: Sie ist meine Inspiration, sie leitet mich – nicht etwaige Aufführungstraditionen. Musikalisches und inszena­ torisches Konzept müssen sich gegenseitig befruchten. Wenn uns dies als Team gelingt, blüht das Musik­ theaterkunstwerk auf – wenn nicht, dann verlieren beide Seiten. Nur Schönklang ohne Inhalt, das wollte sicher kein Komponist. Jede Phrase muss eine Motivation, eine Absicht haben. Dafür sind genau gewählte Färbungen der Stimme enorm wich­ tig. Um die «richtige» Farbe zu finden, müssen Regie und Musik ganz gezielt zusammenarbeiten. Als erste Produktion als Musikdirektorin des Theater ­ Basel erarbeitest du Puccinis «La Bohème», eine Geschichte um junge Künstler, die ein hartes Leben wählen, um Kunst zu schaffen. Welche Verbindung spürst du zu diesen Figuren? Tatsächlich gab es auch bei mir eine Phase, in der ich mich gefragt habe, ob ich denn «genug» leide, um künstlerische «Wahrheit» zu entdecken. Über den Zusammenhang von Leiden und Kunst haben der Regisseur Daniel Kramer und ich in den Vorbe­ reitungen viel gesprochen. Für uns beide ist es ein wichtiges Thema, und ich finde es hoch spannend, mit ihm zu erforschen, wie Rodolfo und seine Künst­ lerfreunde damit umgehen. Wird Kunst wirklich «besser», «wahrer», wenn sie durch Leiden entsteht? Ich glaube inzwischen, dass die Freiheit der Schlüssel zur künstlerischen Entfal­ tung ist: ohne Blockaden durchlässig zu sein für Ideen, für Inspirationen von unerwarteter Seite. Vielleicht sind diese innere Freiheit und Offenheit eine bessere Grundlage, um Kunst zu schaffen? Ich hoffe es! Mehr mit mir selbst im Einklang zu sein und das Glück zu suchen, das ist jedenfalls der Weg, den ich für mein Leben eingeschlagen habe. Und liegt Basel auf dem Weg zu diesem Glück? Ja! Ja dann: herzlich willkommen in Basel! Interview: Christopher Baumann


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LA BOHÈME

LA BOHÈME Oper in vier Bildern von Giacomo Puccini Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Roman «Scènes de la vie de bohème» von Henri Murger

Als wäre es für vier junge Künstler nicht schon schwer genug, sich in einer modernen Grossstadt durch­ zuschlagen, werden sie auch noch von Liebe und Leidenschaften überrannt. Diesen Gefühlsextre­ men von Giacomo Puccinis Erfolgswerk «La Bohème» gehen Regisseur Daniel Kramer, der bereits «La traviata» am Theater Basel inszeniert hat, und Musik­ direktorin Kristiina Poska in einer zeitgenössischen und mitreissen­ den Lesart auf den Grund. Zu ­erleben auf der Grossen Bühne ­ ab 14. Dezember 2019.

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln Premiere 14. Dezember 2019 Grosse Bühne MUSIKALISCHE LEITUNG Kristiina Poska INSZENIERUNG Daniel Kramer BÜHNE Annette Murschetz KOSTÜME Esther Bialas KLANGKOMPOSITION (Sounds der Boheme) Marius de Vries, Ben de Vries LICHT Charles Balfour CHOR Michael Clark MIT Cristina Pasaroiu, Valentina Mastrangelo/ Sarah Brady, Davide Giusti, Domen Križaj, Gurgen Baveyan, PaullAnthony Keightley, Alexander Vassiliev, Donovan Elliot Smith, Eckhard Otto, Martin Krämer Statisterie des Theater Basel Chor des Theater Basel Mädchen- und Knabenkantorei Basel Es spielt das Sinfonie­ orchester Basel. Presenting Sponsor: IWB Mit freundlicher Unter­ stützung: Kestenholz Automobil AG

GIPFELSTÜRMER WINTERSCHLÄFER TANNENBÄUME


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SNOW WHITE

SNOW WHITE: EIN MÄRCHENBALLETT FÜR DIE GANZE FAMILIE GIPFELSTÜRMER WINTERSCHLÄFER PRINZESSINNENRETTER

SNOW WHITE Ballett von Richard Wherlock Musik von Dmitri Schostakowitsch

LICHT Jordan Tuinman VIDEO Tabea Rothfuchs, Bruce French

Wiederaufnahme 21. Dezember 2019 Grosse Bühne

Es tanzt das Ballett Theater Basel.

CHOREOGRAFIE Richard Wherlock MUSIKALISCHE LEITUNG Thomas Herzog / Georg Köhler BÜHNE Bruce French KOSTÜME Catherine Voeffray

Es spielt das Sinfonie­ orchester Basel. Partner des Ballett Theater Basel:


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SNOW WHITE

Ballettdirektor Richard Wherlock schickt in diesem Handlungsballett das uns allen wohlbekannte Schneewittchen auf eine Reise durch den dunklen Zauberwald zu den sieben heiteren Gesellen, die das Mädchen fortan vor allerlei Unbill bewah­ ren. Besonders natürlich vor der grausa­ men Stiefmutter, die unermüdlich ihre Hexen losschickt, um dem Schneewitt­ chen mit vergifteten Geschenken zu scha­ den. Wer also die Schönste im ganzen Land ist, und ob am Ende ein Prinz mit den sieben dreh- und sprungfreudigen Zwer­ gen konkurrieren kann, das erfährt man in diesem fantasievoll und bunt inszeniertem Märchenballett für die ganze Familie ab 21. Dezember 2019.


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JULIEN – ROT UND SCHWARZ

«ICH FÜRCHTE, WIR MÜSSEN ÜBER DIE LIEBE REDEN»

Der Georg-Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss hat im ­Auftrag des Theater Basel den Klassiker «Rot und Schwarz» von Stendhal dramatisiert und sich mit dem Schauspieler Vincent zur Linden, der den Protago­nisten Julien verkörpern wird, auf einen Kaffee getroffen. Lukas Bärfuss: Glaubst du, deine Generation hat noch ein Ideal der romantischen Liebe? Vincent zur Linden: Ich kann nicht für meine ganze Generation spre­ chen, aber trotzdem würde ich sagen: Ja, es gibt dieses Ideal der romantischen Liebe. Ich kenne das von mir selbst. Wenn ich es aber von aussen betrachte, würde ich sagen, das gibt es nicht mehr. Vielleicht müsste man es pragma­ tischer sehen. Wir gehen immer davon aus, dass Liebe für uns alle dasselbe bedeutet, vielleicht ist dem aber nicht so. Ich habe den Eindruck, dass dieses Wort unzu­ reichend ist. In der klassischen Literatur und in der Bibel gibt es noch drei Begriffe dafür: die ero­ tische Liebe, die Freundschafts­ liebe und die spirituelle Liebe. Und eigentlich ist es doch eine totale Überforderung, dies alles in einer Person bündeln zu wol­ len. Gerade die bürgerliche Ehe, die bei Stendhal eine sehr zen­ trale Rolle spielt, ist eine totale Überforderung. Obwohl ich immer noch behaup­ ten würde, partiell kann das durchaus gelingen. Jedoch immer nur temporär, diese drei Formen der Liebe wechseln sich wahr­ scheinlich eher ab. Trotzdem ist es immer noch ein Ideal: die Bereitschaft, für

je­manden zu sterben. Und in der Ehe muss man ein wirtschaftli­ ches Kleinstunternehmen bilden. Das braucht eine ganz andere Partnerschaft. Was mich interessieren würde: Warum, glaubst du, hat Julien Louise ins Herz geschossen? Denn ich habe es noch nicht verstanden. Daraus ein Stück zu machen, ist vielleicht auch ein Versuch, dieses Buch zu ver­ stehen, diese Figur zu verstehen. Denn eigentlich ist Julien ein ­Verbrecher. Da würde ich dir durchaus zustimmen, aber es kommt auch auf die Perspektive an. Und über­ haupt, es kommt keine Figur im Roman wirklich gut weg. Es ist eine vermoderte, verrottete Res­ taurationsgesellschaft. Ich habe den Roman zum ersten Mal mit siebzehn gelesen, und bei mir ist hängen geblieben, dass Julien aus einer unteren sozialen Schicht aufsteigen will und dafür viel in Kauf nimmt. Das ist sein unbedingter Wille. Er hat ein grosses Ego und einen enormen Ehrgeiz. Und er steht kurz vor sei­ nem mittelfristigen Ziel, nämlich Karriere in der Armee zu machen, eine begehrte, schöne Frau zu haben und vermögend zu sein, aber dann wird ihm dies alles genommen. Jetzt kann man

sagen, das ist zu Recht so, weil er ein Betrüger ist. Wenn man es jedoch aus seiner Perspektive sieht, dann ist ihm die Welt etwas schuldig und es wird ihm etwas weggenommen. Aber das würde bedeuten, dass es wahr ist, dass er sich in Bezie­ hungen nur reinschleicht, um seinen sozialen Status zu erhö­ hen, oder? Ja, aber genauso ist es. Aber seltsamerweise liest man ihn nicht so. Man erlebt ihn mehr als Opfer. Als Opfer der Umstände. Die Tatsache, dass Julien das Neue Testament auswendig kann, es also gelernt hat, weil er wusste, dass ihn das qualifiziert, aber überhaupt keinen emotionalen Zu­gang dazu hat, ist einer meiner liebsten Widersprüche im Roman. Das zeigt auch seinen Autismus, und das würde auch die These unterstützen, dass er ein Psycho­ path ist. Und trotzdem lesen wir ihn nicht so, im Gegenteil eigent­ lich: wir lesen ihn als empfindsa­ mes Wesen, das in eine völlig fal­ sche Zeit geboren wurde. Es sind ja alle korrupt. Ich muss immer wieder an «Can­ dide» von Voltaire denken. Bei Voltaire stolpert der Protagonist allerdings eher von einem Vorfall in den nächsten, während Julien


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JULIEN – ROT UND SCHWARZ sehr intelligent ist und aktiv für die Vorfälle sorgt. Wenn jemand etwas unbedingt will, dann sind wir auf seiner Seite, ganz egal, was das ist und auf welche Weise er es sich erstreitet. Wir folgen ihm fast bedingungslos, und er macht schreckliche Dinge. Wie er mit Louise und später mit Mathilde umgeht, ist eigentlich grässlich. Er ist ein Chauvinist. Absolut. Und da trifft sich das Problem mit Stendhal. Die Erobe­ rung der Frau ist eine militärische Aufgabe, und er benutzt dazu auch immer wieder dieselbe Terminologie. Es geht ständig darum, etwas in Besitz zu neh­ men. Und das ist auch soziolo­ gisch und ethnologisch interes­ sant, weil man in der bürgerlichen Welt die Frau vergessen hat. Sie hat gar keine Funktion. Ausser Kinder zu gebären. In adligen Kreisen hat sie natür­ lich eine dynastische Aufgabe. Das sieht man eindeutig bei der Marquise, also bei der Mutter von Mathilde. Sie nimmt ihr Selbst­ bewusstsein aus ihren Vorfahren, und die waren Kreuzritter. Darauf ist sie stolz. Ja, und Louise, die bürgerliche Frau, hat das nicht. Sie ist voll­ kommen funktionslos und des­ halb auch ohne Selbstbewusst­ sein. Das ist ein Problem, das bis heute eigentlich ungelöst ist, nämlich die Rolle der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft, das sieht man bei Stendhal im Ursprung, prototypisch. Was hat dich dazu bewogen, aus dem Roman einen dramatischen Text zu machen? Ich werde mit diesem Autor ein­ fach nicht fertig. Ich bin ihm auf eine gewisse Weise verfallen, obwohl ich ganz viel von ihm ab­lehne und irgendwie krank und pervers finde. Mit der Nieder­lage bei Waterloo 1815 hat Stendhal seine Funktion verloren. Er war Beamter in der Grossen Armee, ist nach Moskau gegangen und dann Napoleon gefolgt. Danach war er ohne Aufgabe und hat sich eigentlich dem Stalking ver­ schrieben. Er hat Frauen verfolgt, sich in amouröse Abenteuer be­geben und darüber auch geschrieben.

Es gibt ja auch ganz viele auto­ biografische Bezüge in «Rot und Schwarz». Ja, das stimmt. Er hatte immer ein schwieriges Verhältnis zu Frauen. Er galt als hässlicher Mann und hat darunter gelitten. Und er hat eines der seltsamsten Bücher über die Liebe geschrie­ ben, wirklich ein bizarres Buch. Was mich bei ihm immer wieder einnimmt, ist sein Schwung. Das ist auch bei «Rot und Schwarz» so: Dieses Buch ist einfach so dahingeschrieben, nicht über­ arbeitet und in den Details häufig liederlich. Und deshalb ist es auch so modern, weil er sich keine Mühe gibt, gewisse Dinge auszuschmücken oder zu erklä­ ren. Bei anderen Dingen wiede­ rum hat er eine unglaubliche Tiefe in der Darstellung. Ich habe nie verstanden, warum es mich so beschäftigt. Und das hat natür­ lich auch viel mit mir selbst zu tun, mit meinem Ehrgeiz, mit mei­ ner Verortung in dieser Gesell­ schaft. Und was man macht, um sich einen Platz in einer Gesell­ schaft zu erstreiten. Weil die Fragen sich nicht ändern, nur die Strukturen, in denen man sich durchschlängeln muss. Auf ganz unangenehme Weise werden einem mit diesem Buch Fragen an den eigenen Opportu­ nismus gestellt. Welche Kompro­ misse man macht, wo man sich anpasst – und wie man sich ver­ biegen lässt, um an die Futter­ krippe zu kommen. Ja, das stimmt. Wie hoch ist die Priorität meiner Karriere, und was bin ich bereit, dafür zu tun. Und wofür erhält man Wertschät­ zung? Ist es wirklich etwas Unver­ äusserliches an deiner Person, oder ist es nichts anderes, als dass man dich benutzen kann und du gerade für jemanden hilfreich bist? Da kommt wieder die Frage der Liebe, der bedingungslosen Liebe ins Spiel. Wofür wird man geliebt? Ist man für den anderen nur ein Mittel zum Zweck, oder ist die Liebe bedingungslos? Hast du beim Schreiben das Ge­fühl, du würdest einem gewissen Aktualitätszwang unterliegen? Man möchte verstanden werden, und um verstanden werden zu können, muss man sich auf Bekanntes beziehen. Man braucht

eben einen gemeinsamen Reso­ nanzraum, und dieser gemein­ same Resonanzraum kann ja nichts anderes sein als die ge­meinsame Zeit. Und die gemeinsame Geschichte natürlich, aber du weisst nie genau, was tatsächlich auch den anderen bekannt ist. Du weisst ohnehin nie, was die anderen Menschen wissen. Und gerade, wenn du schreibst, fällst du immer wieder auf die Nase damit, dass du näm­ lich gewisse Dinge voraussetzt, die aber nur dir bekannt sind, und umgekehrt. Das beschwert die Dramaturgie natürlich sehr häufig. Stell dir vor, «Rot und Schwarz» wäre so bekannt wie «Harry Potter». Dann könnte man eine ganz andere Geschichte erzählen.

JULIEN – ROT UND SCHWARZ Schauspiel von Lukas Bärfuss nach Stendhal Uraufführung/Auftragswerk 16. Januar 2020 Schauspielhaus INSZENIERUNG Nora Schlocker BÜHNE Jessica Rockstroh KOSTÜME Caroline Rössle-Harper MUSIK Stefan Rusconi MIT Holger Bülow, Martin Butzke, Julischka Eichel, Michael Gempart, Vincent zur Linden, Sebastian Schulze, Germaine Sollberger, Friederike Wagner, Leonie Merlin Young; Stefan Rusconi (Cembalo)


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FIGARO –

«A SELF-MADE MAN» ODER «DIE RÜHRENDE GESCHICHTE EINES FINDELKINDS» Es war einmal in Sevilla, Spanien. Da wurde dem Doktor Bartolo und der Kammerzofe Marzelline ein junger Knabe geboren: Figaro. Doch kurz nach der Geburt verlässt der Vater kaltherzig Mutter und Sohn. Bevor er sie verstösst, brennt er dem Sohn ein Mal in den rech­ ten Unterarm ein. Mutter und Sohn ziehen fortan bettelnd durchs Land.

Eines Tages durchquert fahrendes Volk Andalusien. Hilfe suchend wendet sich Marzelline an das Ober­ haupt und bittet es, die Zukunft ihres Sohnes vo­rauszusagen.

Nachdem er das Blut seiner Mutter bedroht, bedrängt er den Vater mit Not und Tod; kehrt dann gegen sich das eigne Schwert, stösst zu – und wird jählings beglückt und geehrt.

Nach dieser düsteren Prophezeiung reisst das Oberhaupt den kleinen Knaben an sich und verschwindet. Die Mutter bleibt allein zurück … Der kleine Figaro wächst beim fahrenden Volk auf.


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FIGARO-TRILOGIE

Später gelingt ihm die Flucht. Als erwachsener Mann kehrt Figaro nach Sevilla zurück und eröff­ net einen Barbiersalon. Dort begegnet er dem jungen Grafen Almaviva. Dieser ist unbändig verliebt in Rosina, eine junge Frau, die von ihrem Vormund Doktor Bartolo scharf bewacht wird.

Figaro, du musst mir helfen. Ich liebe Rosina, hilf mir, sie zu entführen.

Gemeinsam gelingt es den beiden, die schöne Rosina aus den Fängen des kauzigen Doktor Bartolo zu befreien.

Doch bereits kurz nach der Hochzeit ist der Graf gelang­ weilt. Er zieht nachts durch die Strassen Sevillas auf der Suche nach neuen Abenteuern …

ǀ V

Rosina und Almaviva heiraten, und alle folgen dem Grafen auf sein Schloss, wo Figaro für ihn arbeiten wird.


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Währenddessen verrichtet Figaro bei mässigem Gehalt seine Arbeit auf dem Schloss. Er verliebt sich in Susanna, die Kammerzofe der Gräfin. Sie sich auch in Figaro, und beide wollen heiraten. Doch man munkelt, der Graf selbst habe ein Auge auf Susanna geworfen. Almaviva versucht mit allen Mitteln, die geplante Hochzeit zu verhindern. Er führt nicht nur das IUS PRIMAE NOCTIS wieder ein, sondern stiftet auch Marzelline dazu an, Figaro zu heiraten, da dieser hohe Schulden bei ihr hat.

Figaros Kampfgeist erwacht – er ist fest entschlossen, sich dem frivolen Trei­ ben des Grafen zu widersetzen.

Will der Herr Graf ein Tänzlein wagen …

*

Da passiert das Unglaubliche: das Mal am Arm weist Figaro als Bartolos ein M n! und Marzellines Soh Sohn aus.

* ius primae noctis: Recht der ersten Nacht

FIGARO-TRILOGIE

Meine Mutter!

pssst ... RE WE A Y! L FAMI

mur me l ...

psst ...

Die Familie ist wiedervereint! Der Hochzeit steht nun nichts mehr im Weg. Nur Graf Almaviva tobt.

Gemeinsam verschwört sich die Familie gegen den Grafen und schmiedet einen Plan, um ihm endgültig das Handwerk zu legen ...

TO BE CONTINUED ... Die Geschichte um den listigen Barbier Figaro können Sie in dieser Saison am Theater Basel in gleich zwei Opern verfolgen: In Kirill Serebrennikovs Inszenierung von «Il barbiere di Siviglia» (Der Barbier von Sevilla)

und ab 18. Januar 2020 in Barbara Freys Insze­ nierung «Le nozze di Figaro» (Die Hochzeit des Figaro). Am 6. Februar 2020 folgt der dritte Teil der «Figaro»-Trilogie, «La mère coupable» von Darius Milhaud.


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THEATERGESCHICHTEN JULIUS FINTELMANN STAND BEREITS SELBER IM JUGEND­ CLUB OPER AUF DER BÜHNE DES THEATER BASEL UND HAT MIT «INTRIGE» DAS ERSTE MAGAZIN FÜR JUNGES THEATER IN DER SCHWEIZ GEGRÜNDET

ANTON SCHORER IST SEIT FÜNFZIG JAHREN ABONNENT AM THEATER BASEL Vor fünfzig Jahren hat Anton Schorer zusammen mit seiner Frau sein erstes Abonnement am Theater Basel gelöst, das war in der Saison 1970/1971. Schon vorher sind sie gern ins Theater gegangen, erzählt er uns. Aber oft hätten sie damals gedacht: «Ach, das hätten wir jetzt auch gerne gesehen – und dann war es schon vorbei, und wir haben das Stück leider verpasst.» Also entschlossen sie sich, mit einem befreundeten Ehepaar gemeinsam ein Abonnement zu lösen. Sie hatten eine Loge im ersten Rang, noch im alten Stadttheater. Schmunzelnd erzählt Anton Schorer: «Die Freundin meiner Frau hatte immer etwas Probleme mit der Pünktlichkeit, aber durch die Loge war das damals kein Problem: Da haben die Damen von der Garderobe einfach das Licht gelöscht, die Tür schnell aufgemacht und uns hinein­ gelassen.» Auch bei der grossen Eröffnung des The­ aterneubaus 1975 war Anton Schorer dabei und erzählt, dass er heute noch die bunten Schlüssel besitzt, die man damals beim Theatermarkt symbo­ lisch als Eintrittskarten bekommen hat. Drei ganze Tage dauerten damals die Eröffnungsfeierlichkeiten. Obwohl seine Frau leider schon 2002 verstorben ist, behält er weiterhin seine zwei Plätze, damit er mit Freund_innen und Bekannten ins Theater gehen kann. Unzählige Premieren hat er über die Jahre erlebt, wie zum Beispiel die legendäre «Lucia di Lammermoor» mit Eva Lind in der Saison 1985/1986. Und nicht mit allem war er einverstanden, aber er sagt: «In diesen fünfzig Jahren gab es auch von den Inszenierungen her unterschiedlichste Wellen, zum Beispiel gab es eine Phase, in der alle Bühnenbilder immer ganz schwarz waren. Am Anfang habe ich mich schon manchmal aufgeregt und dachte mir, was tut ihr den Geschichten an? Aber heute habe ich Freude an interessanten Inszenierungen, denn wie auch immer – die Musik und die Kunst bleiben.»

Was ist «Intrige»? Julius Fintelmann: «Intrige» ist das erste Magazin für junges Theater im deutschsprachigen Raum. Wir besprechen auf unserer Website junges Theater in allen Formen – seien es professionell betreute Produktionen, Spielklubs oder freie Jugendgruppen. Bisher schreiben wir für die Deutschschweiz, aller­ dings lancieren wir bereits im Januar einen Ableger in Berlin. Wie bist du auf die Idee gekommen, «Intrige» zu gründen? Ich habe nie verstanden, weshalb niemand über die Stücke schreibt, die beispielsweise in Jugendklubs entstehen. Da steckt so enorm viel Aufwand drin, dass eine Wertschätzung und gleichzeitig kritische Beurteilung von aussen wirklich angebracht ist. Mir schien, dass niemand die Kapazitäten oder den Wil­ len dafür hatte. Deshalb haben wir selbst angefan­ gen. Ich spreche bewusst von «wir» – «Intrige» ist das Ergebnis einer momentan achtköpfigen Redak­ tion. Wir haben beispielsweise keine Chefredaktion, sondern teilen uns die Verantwortung als Redakti­ onsteam. Wir kommen aus allen Regionen der Schweiz und haben die unterschiedlichsten Hinter­ gründe; uns vereint jedoch die gemeinsame Motiva­ tion, über junges Theater zu schreiben. Und wann genau ging es los? Gestartet sind wir in diesem September am fanfaluca – Jugend Theater Festival Schweiz mit einer live auf Instagram gestreamten Präsentation vor den Spielenden des Festivals. Dort haben wir «Intrige» vorgestellt und auch zwei Berichte über das Festival geschrieben. Und das grösste Erfolgserlebnis bislang? Wir haben nun nach beinahe zwei Monaten über zweitausenddreihundert Besucher_innen und über elftausend Klicks auf unserer Website generieren können. Das ist ein riesiger Erfolg für uns. Mich freut allerdings immer sehr, wenn ich mit Spielen­ den und Leitenden von Jugendgruppen spreche, die erzählen, wie anders sie ihre Arbeit wertgeschätzt fühlen durch eine journalistische Betrachtung von aussen. Mehr Informationen auf www.intrige.ch


WIEDERAUFERSTEHUNG DER VÖGEL/ STIMMEN AUS EINER ARCHIVIERTEN STILLE

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«DIE ANGST IST AUF JEDEM FOTO ZU SEHEN» Dramaturg Michael Billenkamp im Gespräch mit der Künstlerin Deneth Piumakshi Wedaarachchige, der Ausstellungsmacherin Vera Ryser und dem Historiker Bernhard C. Schär über die Rechercheausstellung zur Basler Kolonialgeschichte «Stimmen aus einer archivierten Stille» im Foyer des Theater Basel. Die Aus­stellung begleitet die Uraufführung von Thiemo ­Strutzenbergers Stück «Wiederauferstehung der Vögel» am 24. Januar 2020 auf der Kleinen Bühne. Die beiden Grosscousins Fritz und Paul Sarasin stammten aus einer der reichsten und bedeutends­ ten Basler Familien, reisten als Naturforscher um 1900 ins koloniale Ceylon und Celebes und brachten unzählige Tiere, Fotografien und Skelette nach Basel, wo sie dann das spätere Museum der Kulturen grün­ deten. Weshalb habt ihr euch entschieden, ihnen im Foyer des Theater Basel eine eigene Ausstellung zu widmen? Deneth Piumakshi: Als mich die beiden Kuratorinnen Sally Schonfeldt und Vera Ryser letztes Jahr zum ersten Mal dazu kontaktierten, hatte ich ehrlicher­ weise keine Ahnung, wer die beiden Sarasins waren. Sri Lanka war ja eine Kolonie der Engländer, Hollän­ der und Portugiesen, insofern war ich extrem über­ rascht, dass sich auch Schweizer Spuren finden las­ sen. Als ich dann von den beiden hörte, wollte ich unbedingt mehr erfahren. Was können die Zuschauer_innen in der Ausstellung erwarten? Vera Ryser: Die Ausstellung zeigt exemplarisch die kolonialen Verstrickungen dieser beiden Basler For­ scher und verhandelt das kolonialen Erbe von Basler Sammlungen kritisch. Wir erweitern zudem die loka­ len Basler Archivbestände mit Perspektiven aus dem heutigen Sri Lanka und Indonesien. Die Ausstellung wird zehn verschiedene künstlerische Arbeiten von Rahmat Arham, Deneth Piumakshi, Julia Sarisetiati, ‹Jimged› Ary Sendy Trisdiarto, Angela Wittwer sowie von unserem Künstlerinnenduo Ryser + Schonfeldt enthalten. Die Besucher_innen werden in eine visu­ elle Welt eintauchen, welche die kolonialen Ver­bindungen zwischen Sri Lanka, der Schweiz und

Indonesien aufzeigt. Ich freue mich sehr darauf, alle Arbeiten in einem Raum zu sehen, denn sie werden sich gegenseitig befragen, kommentieren, auch herausfordern. Piumakshi: Mein Beitrag liefert die Stimmen zu die­ ser «archivierten Stille». Ich habe die Menschen in den Dörfern interviewt, in denen die Sarasins vor über hundertzwanzig Jahren gewesen sind. Ausser­ dem auch Migrant_innen aus Sri Lanka, die jetzt hier in Basel leben. Diese Interviews werden in Form von Videos in der Ausstellung zu sehen sein. Dazu gibt es noch eine Skulptur von mir, über die ich aber nicht so viel erzählen möchte. Sie soll die Leute überra­ schen. Bernhard C. Schär: Die besondere Bedeutung der Sarasins liegt darin, dass sie die ersten deutschspra­ chigen Anthropologen waren, die ihre Forschungen mit der Evolutionstheorie in Verbindung brachten und damit Grundlagen für die europäische Rassen­ forschung schufen. 1913 hat sich Paul Sarasin in einer Rede ziemlich kritisch über seine Arbeit und seine Forschungen ge­äussert. Er sagte: «Der weisse Mensch ist das ­Verderben der Schöpfung, er ist der Verwüster des Paradieses der Erde, und seine Schritte in dieses Paradies bezeichnet er mit Seuchen, Gift, Brand, Blut und Tränen.» Siehst du seine Arbeit in deiner Heimat Sri Lanka ähnlich kritisch? Piumakshi: Die Sarasins haben sich in Ceylon in einem kolonialen Setting bewegt und keinerlei Bezie­ hung zur indigenen Bevölkerung, den Veddas aufge­ baut. Sie haben auch nie versucht, ihre Sprache zu lernen. Typisch auch, dass die Veddas auf den


Fotografien, die die Sarasins von ihnen gemacht haben, Blätter als «Kleidung» tragen. In Wahrheit aber haben sie niemals Blätter als Kleidung benutzt. Die Blätter waren das klassische Klischee, das die Sarasins von Urvölkern hatten, also mussten die Veddas auf den Bildern auch welche tragen. Dieses falsche Bild wurde dann in ganz Europa publiziert. Und der Witz an der Geschichte ist: wenn heute Touristen die Veddas besuchen, was tragen sie dann? Blätter. Schär: Als sie nach Sri Lanka gingen, hatten sie im Grunde schon ihre Theorie im Kopf und wollten sie nur noch bestätigt sehen. Sie wollten eine Antwort auf die Frage, wie sich die Menschheit vom Primaten zur Spezies Mensch entwickeln konnte. Die Veddas waren für sie die früheste evolutionäre Stufe des Menschen – und trugen in ihrer Vorstellung eben Blätter! Piumakshi: Hier in Basel nun die Originalfotografien der Sarasins von den Veddas zu sehen und in die Hand zu nehmen, war für mich sehr emotional. Keiner der Veddas lächelt, in ihren Augen sieht man nur Angst und Unsicherheit. Ryser: Wir kannten die Bilder ja aus anderen Publika­ tionen, aber als wir sie in der Hand hatten, realisier­ ten wir, unter welchem Zwang und welcher Gewalt sie entstanden sind. Vor allem auch in Deneths Reak­ tion wurde uns die Bedeutung dieser Fotografien noch mal anders bewusst. Piumakshi: Ja, da kamen plötzlich Fremde zu meinen Vorfahren, die nicht ihre Sprache sprachen, und sie hatten keine Ahnung, was mit ihnen gemacht wurde. Die Angst ist auf jedem Foto zu sehen.

Ryser: Und du hast sie ihren Nachfahren dann zum ersten Mal gezeigt. Piumakshi: Ja, ich habe Kopien gemacht, und als ich diesen Sommer den Spuren der Sarasins gefolgt bin, kam ich in die gleichen Dörfer, in denen auch sie gewesen waren. Es war für mich, als würde ich die Bilder nach den vielen Jahren endlich nach Hause bringen. Schär: Wie haben die Menschen darauf reagiert? Piumakshi: Einige sehr emotional, weil sie ihre Ver­ wandten wiedererkannt haben. Sie wollten die Bilder gern behalten, aber ich konnte sie ihnen nicht über­ lassen. Ich hoffe jedoch, dass ich sie ihnen bald zurückbringen kann. Schär: Es gibt ja auch gerade eine grosse Dis­kussion in Europa, was die Rückgabe solcher Objekte betrifft. ­Es ist im Grunde absurd, dass die Geschichte dieser Menschen hier in Basler Museen und Archiven lagert. Man muss sich einmal vorstellen, wir müss­ ten, um etwas über die Geschichte der Schweiz zu erfahren, erst nach Sri Lanka fahren, dort in die Archive gehen, und alle Aufzeichnungen über die Schweiz wären in Tamil oder auf Singhalesisch ge­schrieben. Ryser: Diese kolonialen Objekte haben aber auch für unsere Gesellschaft eine Bedeutung. Sie sind Zeit­ zeugen eines Wertesystems, in dem sich die euro­ päischen Forscher über die lokalen Bevölkerungen erhoben und sie für ihre Forschung benutzten und unterdrückten. In den Basler Museen wurden die kolonialen Sammlungen schliesslich dazu genutzt, die erforschten Bevölkerungen als primitiv und sta­ tisch darzustellen.


WIEDERAUFERSTEHUNG DER VÖGEL/ STIMMEN AUS EINER ARCHIVIERTEN STILLE

Wir sind jetzt hier im alten Teil von Basel, am Schlüssel­ berg, unmittelbar neben dem Museum der Kulturen. Wieso wolltest du ausgerechnet zu diesem Haus? Piumakshi: Wegen des kleinen Elefantenreliefs an der Hauswand. Die Sarasins haben ja einen Babyelefan­ ten aus Sri Lanka hierhergebracht. Miss Kumbuk, so hiess sie, und sie war nicht nur der erste Elefant in Basel, sondern auch ein richtiger Star in der Stadt, eine Diva! Einer ihrer «Verehrer» hat dann dieses Relief anfertigen lassen. Schär: Hier im alten Basel hatten Familien wie die Sarasins ihre Familiensitze. Das Blaue und das Weisse Haus zum Beispiel wurden von den Vorfahren von Fritz und Paul Sarasin erbaut und sind zwei der grössten Stadtpaläste aus dem 18. Jahrhundert. Sie waren nicht nur Ausdruck ihres enormen Reichtums, sondern auch ihres politischen Einflusses in Basel bis ins späte 19. Jahrhundert. Reich wurden die Sarasins als Baumwoll- und Seidenhändler infolge des euro­ päischen Expansionsprozesses. Studien haben nach­ gewiesen, dass einige der Basler Familien auch am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt waren.

Ein wichtiges Stichwort in der Kolonialismusdebatte ist ja die sogenannte «koloniale Amnesie», weil sich viele Länder gar nicht mehr an ihre koloniale Vergan­ genheit erinnern wollen. Die Schweiz hatte nie Kolo­ nien, trotzdem profitierte man vom Kolonialismus, aber eben immer nur indirekt. Schär: Das stimmt. Im 19. Jahrhundert war die Schweiz eines der ärmsten Länder in Europa, sogar in der Welt, deshalb emigrierten viele ins Ausland, was sich erst im 20. Jahrhundert änderte. Wir müs­ sen die Geschichte der Schweiz als einen profitieren­ den Teil der europäischen Kolonialpolitik sehen. Und die Schweizer Industrie hat sehr viel vom Import von Baumwolle aus den Kolonien profitiert. Piumakshi: Für mich stellt sich im Kontext der «kolo­ nialen Amnesie» auch die Frage, für wen man in den Museen die vielen Objekte aus anderen Ländern überhaupt aufbewahrt, wenn sich niemand an diese Vergangenheit erinnern will. Selbst die Herkunfts­ länder wissen kaum noch etwas darüber. Ich habe mich dann gefragt, ob sie nur vergessen sind oder be­wusst versteckt wurden. Darum ist es wichtig, sie zu präsentieren.

WIEDERAUFERSTEHUNG DER VÖGEL Schauspiel von Thiemo Strutzenberger, basierend auf «Tropenliebe» von Bernhard C. Schär Uraufführung/Auftragswerk 24. Januar 2020 Kleine Bühne INSZENIERUNG Katrin Hammerl BÜHNE UND KOSTÜME Lisa Dässler MUSIK Club Für Melodien CHOREOGRAFIE Gina Gurtner MIT Andrea Bettini, Jonas Götzinger, Urs Peter Halter, Simon Kirsch, Maximilian Kraus, Isabelle Menke, Wanda Winzenried Entstanden im Rahmen des Autor_innenförderpro­ gramms «Stück Labor Basel» am Theater Basel GIPFELSTÜRMER WINTERSCHLÄFER ABENTEUER

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Vedda-Modellfiguren im Fotoarchiv des Museum der Kulturen Basel. © Ryser + Schonfeldt


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DER GEHÜLFE

MODETIPP: DAS PERFEKTE PARTYOUTFIT Was soll man bloss anziehen, wenn es mal wieder heisst: zwölf Stunden lang am Champagnerglas fest­ halten! Und das in Gesellschaft von Menschen, die man eigentlich gar nicht ausstehen kann. Da bleibt nur zu hoffen, dass es überhaupt Champagner gibt, um diese Durststrecke zu überstehen. Beim Outfit gilt dann vor allem: voll in die Vollen, nicht mit Rei­ zen geizen, mehr ist mehr! Und so schwirren im Hause Tobler, in der Villa Abendstern in Bärenswil am Zürisee allabendlich Partyoutfitvorbereitungs­ phrasen durch das prächtige Gemäuer.

Die Outfits waren teuer genug. Heute ist ein Tag, an dem das wieder einmal gezeigt werden muss. Weil ich es mir wert bin. Herrlich, das Kleid sitzt wie eine Eins. Blinded by the light. Der Samtanzug versprüht Status. Ach komm, einer geht noch: Wo ist der Pelzmantel? Ich kann mich nicht entscheiden. Der eine Ring ist so allein an der Hand. Schatz! Kannst du mir mal bitte bei dem Collierverschluss helfen? Und wärst du bitte so gut und würdest dabei nicht auf dem Saum mei­ nes Kleids stehen?! Du weisst schon, dass Marlene Dietrich Daunen von dreihundert Schwänen zu einem sagenhaften Mantel hat verarbeiten lassen?! Totally non vegan. Egal. Come as you are! Und wo ist mein Ebenholzstock mit dem Silbergriff? Die elenden Hunde haben ihn wieder geschnappt. Aha! Soso … Müssen die wirklich mit? Aha! Soso … Schnell noch die goldene Brille geputzt. Aber wo bleibt die Sendung mit dem NEUEN KLEID? Sind die Kinder schon angezogen? Du Schatz, der Gehülfe kann doch später noch zur Post laufen und es holen! Zieh doch einfach IRGEND­ WAS an. Aber erst mal: Prost! Die Sorgen liegen auf dem Grund der Gläser und man muss kurzen Prozess mit ihnen machen. Lieber gar nicht leben als schlecht leben! GIPFELSTÜRMER WINTERSCHLÄFER ABFAHRTSLÄUFER

Das perfekte Partyoutfit von Herrn und Frau Tobler können Sie in Anita Vulesicas Inszenierung von «Der Gehülfe» ab 13. Dezember 2019 im Schauspiel­ haus bewundern.


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SHARON EYAL/BRYAN ARIAS

«ICH GLAUBE AN ­ DIE GESCHICHTE, DIE AUS DEM INNEREN DES KÖRPERS KOMMT» Sharon Eyal – eine unsentimentale Choreografin auf der Hut vor emotionalen Stereotypen Die «Choreografin der Stunde», eine «absolute Aus­ nahmeerscheinung der Tanzkunst» oder auch ein­ fach eine «Sensation» – diese Zuschreibungen findet man derzeit im internationalen Feuilleton, wenn Sharon Eyals Arbeiten besprochen werden. Die Israelin, die im Dreiergespann mit ihrem Partner Gai Behar und dem Musiker Ori Lichtik arbeitet, ist aktuell eine der gefragtesten Choreografinnen. Hinreissend aufwühlend und gefühlvoll seien ihre Stücke, beklemmend, elektrisierend, monoton und gleichzeitig hochkomplex. Und tatsächlich scheint das Besondere an der Arbeit Eyals ein unsentimenta­ les Schildern zu sein, ein «Auf-der-Hut-Sein vor emo­ tionalen Stereotypen», wie man in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» in der Kritik zu ihrer jüngsten Arbeit lesen konnte. Sharon Eyal entstammt der traditionsreichen Batsheva Dance Company, in der sie viele Jahre tanzte und zu choreografieren begann. Ihre Arbeiten kreiert sie nie allein, sondern immer im Kollektiv, gemeinsam mit Gai Behar und Ori Lichtik, die ihre künstlerischen Wurzeln im Nachtleben Tel Avivs haben, wo beide als Musiker und Produzenten tätig sind. Die drei lernten sich einst auf den von Gai Behar veranstalteten legendären «Underground Raves» in Tel Aviv kennen. POSTAPOKALYPTISCHE VISIONEN VON GLEICH­ GESCHALTETEN MENSCHEN Sharon Eyals Bewegungen sind kantig, kraftvoll und scharf und entfalten in ihrer Einfachheit eine erstaun­ lich starke Tanzsprache. In ihren Choreografien for­ mieren sich oft geschlechtslose Kreaturen in haut­ farbenen oder schwarzen Trikots, die sich synchron, schnell, exakt bewegen, die jäh auseinanderdriften, um sich kurz darauf wieder zu versammeln. In Ver­ bindung mit dem hämmernden Technobeat von Ori Lichtik ist daraus eine unverwechselbare choreogra­ fische Sprache entstanden, die einen hypnotisch in den Bann zieht. Ihre Stücke wirken wie post­­apoka­­-

lyptische Visionen von gleichgeschalteten Menschen, ­ die zwanghaft einem bedrohlichen und unheimlichen Gleichklang Folge leisten. Als «neue Mutationen» beschreibt Sharon Eyal selbst ihre Tanzstücke. Es sind fast schon dystopi­ sche Gesellschaftsbilder, die sie jenseits von konven­ tionellen Erzählformen auf die Bühne stellt. «Es geht mir mehr um Atmosphäre und Emotionen», sagt sie in einem Interview. «Aber es ist ja nicht so, dass ich keine Figuren erschaffe und nichts erzähle – denn in allem steckt ja eine Geschichte! Selbst wenn du es gar nicht willst, ist sie einfach da. Sie existiert bereits.» Und sie fügt hinzu: «Ich glaube an die Geschichte, die aus dem Inneren des Körpers kommt.» Sie sagt auch, dass sie beim Choreografieren nie strategisch, sondern emotional und instinktiv vor­ geht. Bei der Neukreation eines Stücks improvisiert sie gern zu Musik, während ihre Tänzer_innen sie fil­ men. Dann sieht sie sich das Video an und beginnt, die einzelnen Bewegungsabläufe zu schneiden, umzustellen, zu gruppieren oder zu wiederholen. Sie bildet kompositorische Schichten, die wieder und wieder editiert werden. «Jedes Stück entspringt


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SHARON EYAL/BRYAN ARIAS

derselben Quelle. Meine Bewegungen, mein Wissen und meine Erfahrung fliessen hinein.» Wenn man sich auf Spurensuche begibt, entdeckt man in Sharon Eyal eine kompromisslose Choreogra­ fin, die längst zu einer sehr persönlichen, unver­ wechselbaren künstlerischen Handschrift gefunden hat. Mit «Salt Womb», das 2016 in Den Haag urauf­ geführt wurde, wird am Theater Basel nach Jahren wieder einmal das Werk einer Frau getanzt. ENDLICH MAL WIEDER EINE FRAU! Sharon Eyal ist natürlich nicht die einzige Choreo­ grafin auf den Tanzbühnen der Welt. Da gibt es noch viele andere, zum Beispiel Crystal Pite, Sol León, Nanine Linning, Anouk van Dijk, Annabelle Lopez Ochoa, Yabin Wang, Aszure Barton, Alice Topp, Charlotte Edmonds, Eleanor Bauer oder Bouchra Ouizguen. Schon bei der Aufzählung fällt jedoch auf, dass man sich abgesehen von den ersten der drei genannten Frauen schnell einmal fragt: «Wer sind die? Nie gehört.» Zwar wird in der Kunstwelt leiden­ schaftlich über Frauenquoten diskutiert, aber die Welt des klassischen und des zeitgenössischen Tan­ zes wird stärker als jede andere Kunstform von tra­ dierten Geschlechterrollen bestimmt. Die Liste inter­ national gefragter Tanzschaffender ist unverhältnis­ mässig männlich dominiert. Natürlich zeichnen sich langsam auch ein paar kleine Lichtblicke ab. An den staatlichen Ballettkompanien in Schweden, Norwe­ gen und Finnland etwa choreografierten bereits in den vergangenen drei Spielzeiten vermehrt Frauen. Allerdings weisen diese drei Länder im Vergleich zu europäischen Nachbarn sowie zu Nordamerika auch im Unternehmensbereich einen überdurchschnittlich hohen Prozentsatz an weiblich besetzten Führungs­ positionen vor. Insgesamt bilden Choreografinnen noch im 21. Jahrhundert eine eklatante Minderheit unter den Tanzschaffenden. Dies sowohl im klassi­ schen Ballett als auch im zeitgenössischen Tanz. Obwohl ja gerade der moderne Tanz weitgehend von wegweisenden Choreografinnen wie Isadora Duncan, Ruth St. Denis und Martha Graham erfunden wurde. PULSIERENDE KÖRPERWELTEN TREFFEN AUF ­POETISCHEN BEWEGUNGSFLOW Im Rahmen des zweiteiligen Tanzabends «Sharon Eyal/Bryan Arias» zeigt das Ballett Theater Basel ab Februar erstmalig in der Schweiz Eyals dreissigminü­ tiges Stück «Salt Womb». Zu stampfenden Trom­ meln, Technobeats und Salsa-Rhythmen bewegt sich das Ensemble als Ganzes, gleicht einem MenschMaschine-Kollektivkörper, der in technoider Mono­ tonie polyrhythmische Bewegungsmuster hervor­ bringt. Es ist eine ständige, immer wieder leicht abgewandelte Wiederholung der gleichen Abläufe, aus der sich einzelne Tänzer_innen herauslösen, ohne die Verbundenheit zur Gruppe zu verlieren. In der Einheit von Licht, Musik und Bewegung wirkt das geheimnisvolle Geschehen geisterhaft beklem­ mend und faszinierend zugleich und versetzt die Zuschauenden in einen seltsamen Trancezustand.

In ihrer emotionalen Intensität und der Suche nach Tiefe in menschlichen Beziehungen bietet die zweite Choreografie des Abends einen eindrücklichen Kon­ trast zu den gleichförmig pulsierenden Körperwelten Eyals. Bryan Arias hat mit «Without Absorbing It» bereits das zweite Mal eine Choreografie für das Basler Ensemble geschaffen. Auch in seinem neuen Stück befasst er sich wieder mit der menschlichen Kommunikation. Diskonnektivität, aber auch Identi­ tät und Falschglaube sind die Schlagworte seiner Spurensuche, auf die er sich mit den Ensemble­ mitgliedern des Ballett Theater Basel für diese Choreografie begeben hat. Der amerikanische Choreograf ist seit seinem Stück «this is everything», das im Rahmen des Abends «Shechter/Arias» im September 2017 im Theater Basel uraufgeführt wurde, für das Basler Publikum kein Unbekannter mehr. Arias ist für seine sensible und einfühlsame Arbeitsweise bekannt. Seine poeti­ schen Stücke ziehen das Publikum mit ihrem ganz besonderen Bewegungsflow in den Bann. Text: Bettina Fischer

GIPFELSTÜRMER WINTERSCHLÄFER BODY­MASS­INDEX

SHARON EYAL/ BRYAN ARIAS Tanzabend mit Choreografien von Sharon Eyal (SALT WOMB) und Bryan Arias (WITHOUT ABSORBING IT) Schweizer Erstaufführung/ Uraufführung 13. Februar 2020 Schauspielhaus

SALT WOMB (Uraufführung Zuiderstrand­ theater, Den Haag 2016) CHOREOGRAFIE, BÜHNE UND KOSTÜME Sharon Eyal, Gai Behar MUSIK Ori Lichtik LICHT Alon Cohen

WITHOUT ABSORBING IT CHOREOGRAFIE UND BÜHNE Bryan Arias KOSTÜME Carlijn Petermeijer LICHT Nick Hung Es tanzt das Ballett Theater Basel. Partner des Ballett Theater Basel:


IN DEN GÄRTEN ODER LYSISTRATA TEIL 2

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IN DEN GÄRTEN ODER LYSISTRATA TEIL 2 Schauspiel von Sibylle Berg nach Aristophanes Uraufführung/Auftragswerk Schauspielhaus INSZENIERUNG Miloš Lolić BÜHNE Wolfgang Menardi KOSTÜME Jelena Miletić MUSIK Nevena Glušica MIT Eva Bay, Linda Blümchen, Carina Braunschmidt, Urs Peter Halter, Anica Happich, Vincent zur Linden, Julia Nachtmann, Moritz von Treuenfels; Bruno de Sá/ Sarah Baxter (Sopran); Cristina Arcos Cano/Luis Homedes López, Nicola Hanck, Eva Miribung/Anna Faber (Musiker_innen)

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LE NOZZE DI FIGARO

REVOLUTION IM BLUT: KUBA MEETS MOZART Wer schon einmal auf Kuba war, wird sich wahrscheinlich an Old­­ timer, den morbiden Charme von Havanna und die ungebrochene Lebensfreude der Kubaner_innen erinnern. Auch wenn es klischee­ artig klingt – die eben aufgezähl­ ten Eigenschaften machen Kuba aus. Hervorgegangen sind sie aus einer bewegten Geschichte, die Land und Bewohner_innen prägt. Fast brennpunktartig verkörpert das neue Ensemblemitglied Antoin Herrera-Lopez Kessel in seiner Biografie Kubas Geschichte und Gegenwart. 1987 in Havanna geboren, studiert er zunächst Tanz an der dortigen Kunstakademie, bevor er sich dem Gesang zuwendet. 2011 verlässt er seine Heimat und setzt sein Studium in Frankreich fort. Nach Zwischenstationen in Aix-en-­ Provence und Venedig ist der Bass­bariton seit dieser Spielzeit fest am Theater Basel engagiert. Der Spielplan 2019/2020 hält eini­ ges für ihn bereit, er debütiert unter anderem als Figaro in Mozarts Oper «Le nozze di Figaro» in der Inszenierung von Barbara Frey. Antoin, der als Ku­baner die Revolution quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat, scheint die Rolle des aufrühreri­ schen Figaro auf den Leib geschnitten zu sein: «Se vuol ballare, Signor Contino.» Kühn fordert Figaro den Grafen zum «Tänzchen» auf, bietet ihm trotzig

die Stirn. Und in seinen Listen gegen den Grafen Almaviva ist Figaro so erfinderisch wie kaum eine andere Dienerfigur in der Geschichte der komischen Oper. Es sind genau diese beruflichen Möglichkeiten, die Antoin letztlich nach Europa gezogen haben – in seiner Familie hinterlässt er aber eine Lücke. Der familiäre Zusam­ menhalt ist auf Kuba essenziell für das tägliche (Über-)Leben, der fehlende Bruder ist vor allem für seine Geschwister spürbar. Von diesen Spannungen erzählt der 2016 erschienene Dokumentarfilm «Parque Lenin» (Regie: Itziar Leemans, Carlos Mignon), der sich mit der Lebensgeschichte von Antoin auseinandersetzt und den Alltag der drei Geschwister zwischen Distanz und Sehnsucht erzählt. Eine sehenswerte Doku­ mentation, die im Frühjahr 2020 im Rahmen einer musikalischen «Noche cubana» am Theater Basel zu sehen sein wird. Text: Johanna Mangold GIPFELSTÜRMER WINTERSCHLÄFER HOCHZEITSFIEBER

LE NOZZE DI FIGARO (DIE HOCHZEIT DES FIGARO) Opera buffa in vier Akten von Wolfgang Amadeus Mozart Libretto von Lorenzo Da Ponte nach der Komödie «La folle journée ou Le mariage de Figaro» von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais In italienischer Sprache mit deut­ schen und englischen Übertiteln Premiere 18. Januar 2020 Grosse Bühne Teil der «Figaro»-Trilogie («Il barbiere di Siviglia», «Le nozze di Figaro» und «La mère coupable») MUSIKALISCHE LEITUNG Christian Curnyn INSZENIERUNG Barbara Frey BÜHNE Bettina Meyer KOSTÜME Bettina Walter CHOR Michael Clark MIT Thomas Lehman, Oksana Sekerina, Sarah Brady, Antoin Herrera-Lopez Kessel, Kristina Stanek, Jasmin Etezadzadeh, Andrew Murphy, Karl-Heinz Brandt, Hyunjai Marco Lee, Kali Hardwick/Bruno de Sá, Flavio Mathias Chor des Theater Basel Es spielt das Sinfonieorchester Basel. Presenting Sponsor:


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