KNURREN UND MURREN – LITERATURVERMITTLUNG IM RADIO „Mit Ausnahme des Hörspiels vielleicht, das eine eigenständige radiophone Literaturform repräsentiert, dient Literatur im Radio der Vorbereitung, der Aufbereitung, der Literaturvermittlung.“ Peter Klein Als Literatur- und Hörspielredakteur braucht man vor allem eines: Ein dickes Fell. Und ein stabiles Gemüt. Denn natürlich überwiegen die Klagen. Der Rundfunk, sagen die Autoren/-innen – und mitunter auch deren Verleger/-innen – sendet entweder zu wenig Literatur oder, wenn schon nicht zu wenig, dann in jedem Fall die falsche. Und wenn schon nicht die falsche; dann zur falschen Tageszeit. Zu früh, zu spät, am falschen Wochentag. Mit Fakten ist dieser Kritik nur schwer beizukommen. Welche/-r Autor/-in, deren oder dessen Manuskript wir nicht angenommen und deren oder dessen Buch wir nicht wahrgenommen haben, interessiert schon die Tatsache, dass Ö1 in mehr als einem Dutzend Sendereihen Literatur sendet oder dass Ö1 Jahr für Jahr knapp eintausend Bücher vorstellt und bespricht. Nach wie vor sendet Ö1 jährlich an die hundert Hörspiele, portraitiert Dichter/-innen, sendet Verlegtes und Unveröffentlichtes, spannt den Bogen der Lyrik von Walther von der Vogelweide über Rilke und Gottfried Benn bis zu Ann Cotten und Ferdinand Schmatz. Manche unserer Literatursendungen erreichen mehr als 100.000 Hörer/-innen, andere wiederum müssen sich mit einem Zehntel dieses Publikums begnügen. Die Programmrichtlinien des ORF schreiben uns verbindlich vor, dass „bei der Programmgestaltung (…) relevante gesellschaftliche, politische, geistige und künstlerische Strömungen zu berücksichtigen“ sind.
Literatur- und Kulturjournalismus unterscheiden sich nicht grundsätzlich von anderen journalistischen Sparten. Ereignisse und Phänomene werden wahrgenommen, bewertet und berichtet. Gleichzeitig aber ist der Rundfunk auch Auftraggeber und Produzent. Vor allem im Hörspiel generiert und pflegt das Radio ein Genre, das es nur in eben diesem gibt. Im Rundfunk geht es daher nicht nur um die Verteilung von Aufmerksamkeit, es geht auch um die Verteilung von Geld. Es fließt an die Verlage, an die Verwertungsgesellschaften und an die Autoren/-innen selbst. Dennoch kann, auch in Phasen permanent heranbrandender Sparwellen, im Radio Geld verdient werden. Wenn auch – und das ist ohne Frage die bitterste aller Klagen – nicht gerade viel. Der Vergleich mit den Honoraren der ARD macht uns unsicher. Es gibt kaum noch Radio-Künstler/-innen, die von ihrer Arbeit leben können. Über kurz oder lang wird der öffentlichrechtliche Rundfunk sich überlegen müssen, wie er zu den kreativen Köpfen dieses Landes steht. Zum einen arbeiten die Dichter/-innen – wenn auch, siehe oben, gelegentlich knurrend und murrend – seit mehr als acht Jahrzehnten kontinuierlich für das Radio, zum anderen wird Literatur im Radio, wie entsprechende Qualitätserhebungen eindrucksvoll beweisen, zumindest vom Ö1-Publikum außerordentlich positiv bewertet. Einer der Gründe liegt sicher in der Orientierungsfunktion, die das Radio bietet. Allein während der Frankfurter Buchmesse werden Jahr für Jahr an die 80.000 Bücher vorgestellt. Auch die leidenschaftlichsten Leser/-innen brauchen einen Selektions- und Bewertungsmechanismus, dem sie vertrauen können. Dazu kommt noch ein anderes wesentliches Element. Radio macht Literatur hörbar. Ein Spezifikum, das sich der überbordende Hörbuchmarkt, spät aber doch, ebenfalls zu Nutze macht. Dennoch liegt es uns fern, uns Illusionen hinzugeben. Mit Ausnahme des Hörspiels vielleicht, das eine eigenständige radiophone Literaturform repräsentiert, dient Literatur im Radio der Vorbereitung, der Aufbe-
reitung, der Literaturvermittlung, der Werbung. RadiohĂśren kann die LektĂźre nicht ersetzen. Lesen muss unser Publikum schon selbst. Peter Klein