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DIE WIRTSCHAFTSKRISE „Und dann haben wir noch ein Thema, das sehr technisch daherkommt: Die Investmentbank Bear Stearns muss zwei Hedge-Fonds schließen. Sie haben sich mit amerikanischen Hypotheken-Papieren verspekuliert.“ Die Kollegen und Kolleginnen in der 17-Uhr-Redaktionssitzung schauen mich nach meiner Erklärung mit interessierten Augen an, niemand hat je von Bear Stearns gehört. Und auch meine Informationen sind erst wenige Minuten alt. Es ist Ende Juni 2007, niemand von uns ahnt in diesem Augenblick, dass wir in diesem Moment am Beginn der größte Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren stehen. Bear Stearns war der Anfang – viele weitere Bankenpleiten sollten folgen. Die Bank wurde übrigens später von JP Morgan übernommen. Im Herbst 2007 setzte in Großbritannien ein Run auf die Bank Northern Rock ein. Lange Schlangen bildeten sich vor den Bankfilialen. Kunden räumten ihre Konten leer. Der Alptraum jedes Bankmanagers. Täglich kamen in diesen Herbsttagen Meldungen von Milliarden-Abschreibungen: Deutsche Bank, UBS, Credit Suisse usw. Die österreichischen Banken fühlten sich sicher. Noch… Wir Journalisten lernten täglich neue Begriffe: Subprime, Credit Default Swaps, Monoliner. Und wir bemühten uns, den Fachjargon unserem Publikum zu erklären. In vielen Beiträgen, in ZIB-Analysen, in Interviews mit Experten. Höhepunkt der Finanzkrise war der 15. September 2008. Ein Montag. Die Regierung Bush lehnte eine Rettung der Investmentbank Lehman Brothers ab. Ein wirtschaftspolitisches Erdbeben, das wurde schon in den ersten Fernsehberichten deutlich. Der damalige USA-Korrespondent Jörg Winter berichtete von der


Wall Street. In seiner Analyse in der Zeit im Bild sprach er – wie wir heute wissen völlig zu Recht – „von der größten Krise seit Jahrzehnten und von einem fundamentalen Kurswechsel“. Erstmals weigerte sich ein Staat, eine strauchelnde Groß-Bank aufzufangen. Der alte Grundsatz: „Too Big To Fail“ galt nicht mehr. Noch wusste aber niemand, welcher wirtschaftliche Tsunami aus diesem Erdbeben erwachsen würde. Ökonomen sagten später, dass die Lehman-Pleite die Weltwirtschaft um ein halbes Jahr zurückgeworfen hat. Eine Schockwelle nach der anderen erschütterte die Handelsräume dieser Welt. Und auch die Wirtschaftsredaktionen: Am Rand der Pleite standen der Versicherungskonzern AIG, die Immobilien-Finanzierer Fannien Mae und Freddie Mac, in Deutschland die Hypo Real Estate und die Landesbanken. Ganz rasch kam der Vergleich mit den 30er Jahren. Auch damals waren Spekulationsblasen die Auslöser für die Weltwirtschaftskrise. Auch damals gibt es zuerst den Crash an den Börsen. Man griff zu Kenneth Galbraith, zu seinem Standard-Werk „Der große Crash“. Im Herbst des Jahres 2008 hatten die Weltuntergangspropheten aller Länder Hochsaison. Schwarzmaler waren vielbeachtet in diesen Tagen. Und doch schien die Finanzkrise weit weg zu sein: in den Finanzhauptstädten dieser Welt, in New York oder London. Erst im Oktober 2008 kam die Bankenkrise auch in Österreich an. Der scheidende Kanzler Gusenbauer und sein Stellvertreter Molterer gaben am 14. Oktober eine Komplett-Garantie für private Spareinlagen ab. Sie verkündeten das 100 Milliarden Rettungspaket für Banken. Der Großteil davon bestand aus Haftungen. Zum ersten Mal fiel das Wort Schutzschirm, unter den sich die Banken flüchten konnten. „Beim österreichischen Bankenpaket wird geklotzt und nicht gekleckert“, hieß es in der Analyse in der „Zeit im Bild“.


Danach ging es Schlag auf Schlag: Die Constantia-Bank muss aufgefangen werden, die Kommunalkredit wurde notverstaatlicht. Als erste Bank erhielt die Kärntner Hypo Alpe Adria 900 Millionen vom Staat. Stressige Tage für jeden Journalisten: Wie sehr spitzt man sie Situation zu? Schnell können Journalisten zu Mittätern werden. Je dramatischer die Lage geschildert wird, umso stärker wird die Angst vor dem Run auf die Bank. Verschweigen allerdings ist Zensur. Der Mittelweg ist bisweilen schwer zu finden. Wir Österreicher haben Erfahrung: Der Run auf die Filialen der BAWAG im Jahr 2006 ist uns noch in Erinnerung. Wie schon damals berichtet der ORF sehr sachlich, ohne unnötige Zuspitzungen. Von Experten kam in diesen Krisentagen nur bedingt Unterstützung. Vom Ausmaß der Krise waren auch sie überrascht. Nur hinter doppelt vorgehaltener Hand wurden Einschätzungen weitererzählt. Nationalbank und Finanzministerium waren vor allem um Beruhigung bemüht. Auf dass nur das Vertrauen in die Banken nicht verloren ginge – so die wichtigste Botschaft. Wie gesagt: einen Run auf die Banken fürchteten alle, wie der berühmte Teufel das Weihwasser. Im Februar 2009 stand Österreich dann ganz plötzlich im Mittelpunkt des weltweiten Interesses. Die Risiko-Aufschläge für österreichische Staatsanleihen schnellten in die Höhe. Österreich wurde in einem Atemzug mit Ländern wie Italien, Spanien, Island oder Griechenland genannt. Der amerikanische Ökonom Paul Krugman goss noch zusätzlich Öl ins Feuer: Er sah Österreich als Pleitekandidat. Grund war das enorme Engagement österreichischer Banken von Kroatien bis Russland. Österreich fand sich plötzlich auf dem Titelblatt der Financial Times wieder. Fassungslos diskutierten wir in unseren Redaktions-Sitzungen die Frage, ob das alles nicht völlig übertrieben sei. Oder ob wir unsere österreichische Wahrnehmung nicht


schon von den Beruhigungspillen aus dem Finanzministerium und aus der Nationalbank beeinträchtigt war. Sogar der Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, rückte aus, um die Befürchtungen eines Staatsbankrotts zu zerstreuen. Diskret begab man sich auf Roadshows durch die Finanzhauptstädte dieser Welt. Durchaus medienwirksam tourte Josef Pröll durch mehrere osteuropäische Länder. Und bewarb ein Osteuropa-Hilfspaket. EU und IWF griffen tief in die Tasche: Mit vielen Milliarden wurden wankende Staaten stabilisiert. Ungarn, zum Beispiel, oder Lettland. Im Lauf des Jahres 2009 wurde aus der Finanzkrise eine weltweite Wirtschaftskrise. Das Jahr war wirtschaftlich gesehen das mit Abstand schlechteste seit dem Krieg. Erstmals gab es einen nennenswerten Rückgang der Wirtschaftsleistung. In Österreich ging das BIP um mehr als 3% zurück. Die Euphorie des beginnenden Jahrtausends war innerhalb weniger Wochen erloschen. Die Industrie hatte bis zu 50% weniger Aufträge. Die Autozulieferindustrie litt am stärksten. Selbst abgebrühte Ökonomen wirkten fassungslos angesichts der Zahlen. Der Industrie – Österreichs wichtigster Wirtschaftszweig – brach die Basis weg. Und die Folgen davon ließen nicht lange auf sich warten. Monat für Monat starrten wir auf die Arbeitslosenstatistiken. Plus 20%, plus 30% – die Zahl der Arbeitslosen explodierte. Und das trotz Kurzarbeit und Frühpensionierungen. Nicht nur in Österreich. In Spanien fiel eine ganze Generation aus dem Arbeitsmarkt. Die Jobs, die jetzt verloren gingen, kamen nicht mehr zurück. Die Bildsprache von Karl Aiginger, dem Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts, verdeutlichte die Entwicklung: Noch im März 2008 sprach er davon, dass „ein kleines pannonisches Dorf Widerstand gegen die internationale Finanzkrise leistet“. Ende September 08 befürchtete er bereits, dass ein „Sturm“ über un-


ser Land hinwegfegt, nur zwei Wochen später ist bereits von einem „Orkan“ die Rede. Seine Prognosen bestätigten sich. Auch als er Mitte 2009 dann erstmals davon spricht, dass die Talsohle in Sicht sei. Etwa 2000 Beiträge hat das ZIB-Wirtschaftsressort im Jahr 2009 gestaltet. Die Statistik lässt die Schwerpunkte erkennen: Allein im März waren es mehr als 200 Beiträge, die meisten davon zur Wirtschaftskrise; ein besonders arbeitsintensives Monat war auch der Juli: Dabei ging es vor allem um die Übernahme der AUA durch die Lufthansa. Im Herbst beschäftigten uns die Pleite der Fluglinie Skyeurope und danach immer stärker das Thema Arbeitslosigkeit. Monat für Monat kommen Horrorzahlen aus dem AMS, wenngleich der Anstieg der Arbeitslosigkeit im Winter 2009/2010 zurückgegangen ist. In vielen Reportagen haben wir uns des Themas angenommen, haben versucht, Arbeitslosigkeit nicht nur als abstrakte Zahl zu zeigen, sondern auch als Einzelschicksal. Was mit Bear Stearns begonnen hat, endete vorerst auf dem Arbeitsamt Wien-Margarethen. Ein Designer berichtete am 1. März 2010 im ZIB-Interview von der Aussichtslosigkeit der Jobsuche, ebenso eine Architektin. Zwei Stimmen der „Generation Praktikum“, der 25jährigen höchstqualifizierten Menschen, die vergeblich versuchen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dazu das internationale Drama: Griechenland kämpft gegen den Staatsbankrott, die EU um ihren Zusammenhalt. Auf die Wirtschaftskrise scheint die politische Krise zu folgen. Und die soziale: Die Demonstrationen in Griechenland und die Streiks in Portugal waren wohl nur die ersten Boten davon.


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