Guten Tag, Kärnten

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Guten Tag, Kärnten Der durchschnittliche österreichische Mensch ist laut Statistik Austria weiblich, 41,9 Jahre alt, hat 1,44 Kinder und spricht deutsch. Aber wer von uns ist schon Durchschnitt? Zum Glück zählt die Heimat jüngere und ältere Österreicherinnen genauso wie österreichische Männer, die im Fall des Falles ganze Kinder haben – und die deutsch, tschechisch, slowakisch, Romanes, ungarisch, kroatisch oder slowenisch sprechen. Nationalstolz und –begriff der Österreicher/innen sind vielfach untersucht. Mal bekennen, wie in einer Arbeit des Zentrums für Zukunftsstudien in Salzburg, knapp die Hälfte der Befragten Stolz auf Österreich, mal sind es – wie in einer „Market“-­‐Umfrage -­‐ 61%, die dem eigenen Stolz auf Österreich acht oder mehr von zehn möglichen Punkten geben, und folgt man einer im „International Journal of Public Opinion Research“ veröffentlichten Studie, erfährt man, dass es überhaupt nur drei stolzere Nationen auf Erden gibt: Österreich rangiert hinter Venezuela, den USA und Australien auf Platz vier. Max Haller stellte schon 1996 fest, dass die Österreicher/innen eine ausgeprägte nationale Identität besitzen, ein besonderes Merkmal, das auch durch die relative Kleinheit Österreichs befördert wird. Ein weiteres Identität prägendes Element nennen Bruckmüller (1994) und Vocelka (2010): Das österreichische Fernsehen, die österreichischen Medien. Nur wer gemeinsam erlebt (Cordoba!), begreift sich auch als Gemeinschaft; nur, wer sich am gleichen Leuchtturm orientiert, sitzt im selben Boot. Dazu braucht es freilich auch bestimmte Qualität: Es ist wenig hilfreich, mit dem stets gleichen Durchschnittsideal konfrontiert zu werden, evoziert mehr die Befangenheit des Fremden denn das Gefühl der Heimat und Verbundenheit, wenn medial statt (z.B. thematischer) Vielfalt kommerzieller Einheitsbrei vermittelt wird, wenn bloß Standpunkte der Mehrheit verbreitet werden, statt Artikulationsmöglichkeiten für alle zu bieten. Was für Ortstafeln zutrifft, stimmt auch und erst recht für Medien: Wer – z.B. sprachlich – ausgeblendet wird, wessen Geschichte nicht erzählt wird, wessen Kultur nicht wahrgenommen wird, der wird sich ausgeschlossen fühlen. Gesellschaften benötigen „Medien der Gesellschaft“, um statt Diskriminierung Inklusion herzustellen, also jenen Zustand, in dem jeder Mensch in seiner Individualität akzeptiert wird und die Möglichkeit hat, in vollem Umfang an ihr teilzuhaben und teilzunehmen. Erst so wird Heimatgefühl für alle möglich. Ein Idealzustand, ganz sicher, aber erste ermutigende Schritte gibt es zumindest im Kontext autochthone Volksgruppen und Medien, nicht zuletzt im öffentlich-­‐rechtlichen Medium Österreichs, dem ORF. Beispiel Akteursvielfalt, Artikulationsmöglichkeit: Eine Studie des Instituts für Journalismus und Medienmanagement der FH Wien zeigte 2011, dass in zwischen 10,9% (ORF eins) und 29,7% (ORF 2) der Sendungen des ORF-­‐TV-­‐ Hauptabends Vertreter/innen autochthoner nicht deutschsprachiger Volksgruppen zu Wort kamen. Unabhängig davon hat der ORF im Teletext (Seite 414) täglich aktuelle Informationen über Volksgruppenrelevante Veranstaltungen, Radiosendungen und TV-­‐ Magazine auf Slowakisch, tschechisch, ungarisch, kroatisch, Romanes und slowenisch – und auf deutsch, um’s nicht zu vergessen. Internet und TV-­‐Thek bieten Sendungen zum Download bzw. Informationen in den jeweiligen österreichischen Muttersprachen an. Und jenseits der Quantität zeigt sich auch inhaltliche Vielfalt; zum Beispiel in Kärnten: Die slowenischen Programme des ORF im Landesstudio Kärnten (Radio,TV,Online) standen im Jahr 2012 ganz im Zeichen des 70 Jahrestages der gewaltsamen Vertreibung der Kärntner Slowenen. Die Berichterstattung beschränkte sich aber nicht nur auf Beiträge von den zahlreichen Gedenkveranstaltungen, Ausstellungen oder der Enthüllung des Mahmals vor dem Bahnhof in Ebenthal bzw. den öffentlichen 1 GD-­‐PVK 13-­‐02-­‐21


Entschuldigungen dreier Kärntner Bürgermeister (Ingo Appe/Ferlach, Manfred Maierhofer/Ludmannsdorf und Heinrich Kattnig/St.Jakob). Darüber hinaus gestaltete Andrej Mohar einen 53 Minuten langen Dokumentarfilm zum Thema Vertreibung. Im Film »Vertrieben als Slowenen« -­‐ welchen am 14.April um 20.15 Uhr auch ORF III ausgestrahlt hat – versucht der Autor jene seelischen Wunden aufzuarbeiten, welche die Deportation in die Konzentrationslager bei den Ausgesiedelten hinterlassen hat und die sich auch auf die Nachkommen und eigentlich auf die gesamte Volksgruppe übertragen haben. Der Erinnerung dient aber auch einer innere Reflexion: Vertriebeen besuchen in bestimmten Abständen den Ort ihrer verloreren Jugend, wo sie auch »Verbündete« finden, die die Gräber ihrer Verwandten pflegen oder für die Aufstellung von Mahmälen sorgen. Zahlreiche Auftritte und Besuche von Zeitzeugen sowohl in Kärnten als auch in anderen Bundesländern aber dienen zu den erfolgreichen Versuchen, den jungen Menschen diese Zeitgeschichte näher zu bringen. Die Jugend ist unsere Zukunft, dessen sind wir uns auch in der slowenischen Redaktion bewusst. Das vielfältige Repertoire unserer südkärntner Theater-­‐und Puppentheatergruppen zeugt von einer großen Kreativität der Volksgruppe und hebt auch das Selbstbewustsein der Jugendlichen. Zahlreiche Auszeichnungen auf internationaler Ebene sind ein deutlicher Beweis für die hohe Qualität, die geboten wird (die Gruppe »Sanjelovci« aus St. Primus oder die Theatergruppe aus St.Johann im Rosental). Dadurch ist das Theater-­‐ und Puppentheaterwesen auch ein absolutes Aushängeschild des kulturellen Wirkens der slowenischen Volksgruppe in Kärnten geworden. Insgesamt gibt es über 20 Theater-­‐ und Puppentheatergruppen, die zumindest eine Premiere im Jahr vorbereiten. Deswegen sind Berichte und Filmbeiträge von diesen Vorstellungen ein fixer Programmpunkt in unseren Sendungen, genauso innovative Filmzugänge, wo sich die Jugendlichen selbst verwirklichen können. Ein solches Filmprojekt nennt sich » ISKRICA« und wurde vom Klagenfurter Kameramann und Filmproduzenten Miha Dolinšek ins Leben gerufen. Mit ihm ist das slowenische Programm des ORF in den letzten Jahren schon in einige erfolgreiche Kooperationen eingegangen – so entstanden 34 Geschichten für die jüngsten Zuseherinnen und Zuseher »Mihec und Maja« oder aber 9 Folgen von »Der letzte Kuss des Sommers«, eine Reality Soap für 14-­‐18 jährige. Deshalb haben wir auch von Anfang an die Idee eigene Filme biis zu einer Länge von 8 Minuten zu produzieren unterstützt und die besten auch bei »Dober dan Koroška« gezeigt. Bei der zweiten Auflage im vergangenen Jahr, an der rund 60 Jugendlichen teilgenommen haben, sind schon 20 Kurzfilme entstanden. Die jungen Filmemacher haben die Ideen selber entwickelt, das Drehbuch geschrieben und unter der fachlichen Anleitung des Iniatiators Dolinüek dann auch gedreht und geschnitten. Der beste Beweis, daß der Funke übergesprungen ist ( iskrica heisst übersetzt Funke) ist die Tatsache, daß die meisten Filmemacher heuer bereits zum zweiten Mal an diesem Filmprojekt teilgenommen haben. Es entstanden Liebesfilme, kurze Kriminalfilme, Komödien und Filme mit ernstem Hintergrung. Alle bei einer Schlußveranstaltung im Cine-­‐City Center in Kjlagenfurt ausgezeichneten Filme werden auch heuer wieder bei »Dober dan Koroška« zu sehen sein. Damit bieten wir dem Filmfestival »ISKRICA posneto/abgedreht« auch jene Aufmerksamkeit und Plattform, die es verdient. Geschichtsdokumentationen aus dem Blickwinkel von Kärntner Slowen/innen, slowenisches Kindertheater, slowenischsprachige Informationen im ORF-­‐Internet: Es ist ein Anfang, es sind öffentlich-­‐rechtliche, mediale Schritte auf dem Weg zur inklusiven Gesellschaft. Es sind Beiträge dazu, Österreich als vielfältige Heimat zu begreifen, als Land, das seine heterogene wie berühmte Kultur und Geschichte in ein Europa der 2 GD-­‐PVK 13-­‐02-­‐21


Vielfalt einbringt, ein Land, auf das man dann zu Recht stolz sein kann, egal, ob man als Österreicher/in nun tschechisch, ungarisch, slowakisch, Romanes, kroatisch, slowenisch oder deutsch spricht. Zu eingangs erwähnter Statistik dazu noch ein Nachwort: So unterschiedlich die Österreicher/innen sein mögen, so heterogen der Heimatbegriff ist und so vielfältig diese Identität(en) durch den „Rundfunk der Gesellschaft“ gepflegt werden, so einheitlich ist diese Identität nur in einem Punkt, nämlich in Bezug auf die räumliche Ausdehnung der Bürger/innen. Die Heimat, so ist hymnisch gewiss, hat große Töchter und Söhne. Genauso eben wie das slowenische Puppentheater.

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