Sozioökonomisches Porträt:
ORF – Das Landesstudio Wien Erstellt für: ORF Wien Erstellt von: MMag Agnes Streissler-Führer; Mag Birgit Fischer; Mag Andreas Friedrich
Datum: 14. Mai 2013
Executive Summary
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Was ist ein sozio-ökonomisches Porträt?
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Die Wertschöpfung und der Markt des ORF Wien
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Definition Bestandteile
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Input-Output-Statistiken Wertschöpfung und Intermediär-Verbrauch beim ORF Wien Der Markt des ORF Wien
Katalytische Effekte auf die Regionalökonomie Auswirkungen auf die Wiener Wirtschaft Regionale Wiener Wirtschaft Freizeitindustrie und Tourismus Kreativwirtschaft in Wien Sozialisation / Integration Information, Bildung, Bewusstseinsschaffung Der ökonomische Wert von Information Der ökonomische Wert von Bildung Bewusstseinsbildung in Gesundheits- und Umweltfragen Demokratische Funktionen: Kritik & Kontrolle Unterhaltung / Rekreation Stressreduktion durch „easy-going“ Musik Sportberichterstattung
Nicht-finanzielle Indikatoren im ORF Wien
8 9 10
13 15 15 16 17 19 22 22 23 24 25 28 28 28
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Integriertes Berichtswesen zur Darstellung der wirtschaftlich nachhaltigen Entwicklung 30 Nachhaltigkeit durch MitarbeiterInnen-Motivation 34 Nachhaltigkeit durch Diversität 34 Nachhaltigkeit durch Ressourceneffizienz 35 Nachhaltigkeit durch laufende Erneuerung 37 Nachhaltigkeit durch transparente Governance 38
Resümee: Weitreichende Effekte des ORF Wien
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Literatur
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Executive Summary ‣
Der ORF Wien generiert Wertschöpfung und Beschäftigung, ... Das vorliegende sozioökonomische Porträt stellt den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wert des ORF Wien dar. Der Betrieb des Unternehmens generiert direkt eine Wertschöpfung von ca 10 Mio Euro im Jahr. Durch Multiplikatoreffekte entstehen über die Nachfrage bei Zulieferern und über Einkommenseffekte insgesamt knapp 16 Mio Euro Wertschöpfung und damit verbunden rund 220 Beschäftigungsstellen in der Volkswirtschaft.
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... stärkt wichtige Branchen der Stadt und erreicht hohe Marktanteile Zu den größten Zulieferern des ORF Wien zählt die (regionale) Kreativwirtschaft ebenso wie Unternehmen der Informationstechnologie. Das ausgestrahlte Programm ist außerdem für die regionale Wirtschaft und insbesondere für Branchen wie Freizeit- und Tourismuswirtschaft von besonderer Bedeutung. Die vom Landesstudio erreichten Marktanteile liegen trotz enger finanzieller und personeller Rahmenbedingungen bei 42 Prozent in Wien (TV) und 15 Prozent Marktanteil beim Radio (vor allen anderen Wiener regionalen Radiosendern). Die Webseiten von wien.ORF.at wurden im Jahr 2012 ca 100 Mio Mal aufgerufen. Pro Tag wurden mehr als 100.000 Unique UserInnen bzw rund 135.000 Visits gezählt.
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Weitere katalytische Effekte werden zB durch Information ausgelöst ... Die ausgestrahlten Informations- und Bildungsangebote wirken suchkostenmindernd sowie innovationsfördernd und steigern Human- und Sozialkapital sowie die Chancengleichheit in der Volkswirtschaft. Durch die wahrgenommene Integrationsfunktion werden die gesellschaftliche Kohäsion und Stabilität gestärkt, was auch den Wirtschaftsstandort aufwertet und stützt. Für all diese Funktionen ebenso wie für die in einer Wohlstandsgesellschaft unerlässliche Demokratiefunktion ist es unabdingbare Voraussetzung, auf Qualitätsjournalismus zu achten.
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... und die Erfüllung von ESG-Kriterien erlaubt nachhaltiges Wirtschaften Auch bei Betrachtung der nicht-finanziellen Kriterien weist der ORF Wien im Bereich der „Environmental, Social and Governance-Issues“ eine gute Performance auf. Diese spielen für den Unternehmenserfolg eine große Rolle: Niedrige Fluktuation der ArbeitnehmerInnen ermöglicht einen stabilen Betrieb, wobei hohe Diversität, insbesondere im Gender-Bereich, im Unternehmen Flexibilität und Chancen im Wettbewerb bietet. Zusätzlich unterstützt Ressourceneffizienz im Betrieb des Landesstudios Kosteneinsparungen und eine Schonung der Umwelt. Auf diese Weise wird langfristig verantwortliches Wirtschaften mit einer vorbildlichen Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags verbunden.
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Was ist ein sozio-ökonomisches Porträt? Definition
Während sich sozio-ökonomische Impactstudien 1 üblicherweise primär auf die Darstellung volkswirtschaftlicher Multiplikatoreffekte beziehen, hat die Agentur agnes streissler – wirtschaftspolitische projektberatung einen gesamtheitlicheren Analyseansatz entwickelt: Ein sozio-ökonomisches Porträt stellt den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wert eines Unternehmens bzw einer wirtschaftlichen Tätigkeit insgesamt dar. Es kommen dabei sowohl Methoden der Volkswirtschaft als auch der Betriebswirtschaft zur Anwendung.
Bestandteile
Ein sozio-ökonomisches Porträt hat üblicherweise drei Bestandteile, die je nach Fragestellung des Auftraggebers unterschiedlich gewichtet werden können:
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Wertschöpfung und Beschäftigung Basierend auf Wertschöpfungszahlen des betrachteten Unternehmens werden auf Grundlage der Input-Output-Statistiken von Statistik Austria die Multiplikatoreffekte der Wirtschaftstätigkeit geschätzt: Welche Nachfrage entsteht bei Zulieferindustrien, und was hat dies für volkswirtschaftliche Auswirkungen?
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Katalytische Effekte Darüber hinaus werden weitergehende wirtschaftliche Effekte qualitativ und wenn möglich auch quantitativ beschrieben: Welche Auswirkungen des produzierten Gutes / der produzierten Dienstleistung auf den Wirtschaftsstandort sind anzunehmen, angesichts bekannter ökonomischer Wachstums- und Verteilungszusammenhänge? Zur Veranschaulichung: Wenn ein Medienunternehmen wie der ORF Wien Bildungsaktivitäten in seinem Programm hat, sind positive Effekte auf den Wirtschaftsstandort zu vermuten. Diese Zusammenhänge werden so konkret wie möglich dargestellt. 1
wie etwa das MultiREG Modell von WIFO und Joanneum Research in Österreich oder die SocioEconomic Impact Assessments von Steward Redqueen auf internationaler Ebene
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Der unternehmerische Wert – Ansätze eines integrierten Reportings Der Wert eines Unternehmens für seine Stakeholder ist nicht nur von seinen finanziellen, sondern auch von seinen nicht-finanziellen Indikatoren abhängig. Dies gilt nicht nur für öffentliche Unternehmen (denen im Allgemeinen eine gewisse Vorbildfunktion zugeschrieben wird), sondern weltweit orientieren sich immer mehr Unternehmen an Richtlinien eines integrierten Reportings, wie etwa der Global Reporting Initiative. Dritter Bestandteil eines umfassenden sozio-ökonomische Porträts ist daher eine Darstellung des Unternehmens nach ESG (environmental, social and governance) -Kriterien.
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Die Wertschöpfung und der Markt des ORF Wien Das Wichtigste in Kürze… Der ORF Wien schafft eine jährliche Wertschöpfung von etwa 10 Mio Euro. Über die Nachfrage bei Zulieferern und deren Zulieferern ist damit eine gesamte Wertschöpfung in der Volkswirtschaft von knapp 16 Mio Euro bzw rund 220 Beschäftigten verbunden. Mit seinen Dienstleistungen erreicht der ORF Wien trotz enger finanzieller und personeller Rahmenbedingungen einen TV-Marktanteil von ca 42 Prozent in Wien und einen Marktanteil von etwa 15 Prozent beim Radio (womit er vor allen anderen regionalen Radiosendern liegt). Die Webseiten von wien.ORF.at wurden im Jahr 2012 ca 100 Mio Mal abgerufen. Ein Unternehmen ist immer Teil einer Wertschöpfungskette. Es bezieht Leistungen von Zulieferern, reichert diese mit eigener Wertschöpfung an und gibt das so entstandene Produkt / die Dienstleistung an seine KundInnen weiter. Die Grafik soll hierfür als erste Veranschaulichung dienen.
Dieser Prozess soll mit seinen volkswirtschaftlichen Auswirkungen im folgenden Abschnitt für den ORF Wien näher dargestellt werden.
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Input-Output-Statistiken Im Rahmen der Erstellung von Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen werden von den nationalen Statistikinstitutionen auch sogenannte Input-OutputTabellen publiziert. Diese stellen den volkswirtschaftlichen Kreislauf von Waren und Dienstleistungen sowie die Generierung von Einkommen im Produktionsprozess in einem geschlossenen und abgestimmten System dar. Mit Hilfe dieser Statistiken kann also geschätzt werden, welche Wertschöpfung in einem Unternehmen selbst (direkter Effekt) und welche Wertschöpfung bei den Zulieferern dieses Unternehmens und wiederum deren Zulieferern (indirekter Effekt) generiert wird. Die zugrundeliegende aktuellste Statistik (Statistik Austria 2012) bezieht sich auf das Jahr 2008. Es kann aber angenommen werden, dass sich im Aggregat Produktionsprozesse und dementsprechend Zulieferstrukturen im ORF Wien in den vergangenen vier Jahren nicht wesentlich geändert haben, um das Schätzergebnis signifikant zu verändern. Bei allen über diese Systematik mit dem ORF Wien verbundenen Unternehmen entstehen durch die Wertschöpfung Einkommen in Form von Löhnen, Gehältern und Gewinnen. Diese wiederum fließen zu einem großen Teil als Nachfrageimpuls in die Wirtschaft zurück und lösen damit ihrerseits wieder Wertschöpfung aus (induzierter Effekt). Schlussendlich kann somit geschätzt werden, wieviel Wertschöpfung in der Volkswirtschaft mit der Wertschöpfung im ORF Wien verbunden ist und wie viele Arbeitsplätze dadurch gesichert werden. Hinweis: Die hier angewandten Schätzungen sind deutlich gröber als beispielsweise die Simulation durch das MultiREG Modell von WIFO und Joanneum Research, das eine regionale Feingliederung erlaubt und auch steuerliche Effekte berechnen kann. Es sollten die hier dargestellten Schätzzahlen daher weniger in ihrer absoluten Höhe interpretiert, sondern eher als Veranschaulichung der Dimensionen verstanden werden.
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Wertschöpfung und Intermediär-Verbrauch beim ORF Wien Die Wertschöpfung eines Unternehmens setzt sich zusammen aus: Löhne und Gehälter + Gewinne + Steuern + Abschreibungen Im Fall des ORF Wien, der ein Non-Profit-Unternehmen ist, handelt es sich bei der Wertschöpfung also um Personalkosten, Steuern und Abschreibung. Im Jahr 2011 betrugt laut Finanzplan die Wertschöpfung des ORF Wien 9,9 Millionen Euro. Weitere rund sechs Millionen Euro gehen als Nachfrage an die Zulieferer des ORF (und werden dort ihrerseits wieder wertschöpfungsrelevant). Abbildung 1 stellt dar, wie sich diese Zulieferer zusammensetzen: Abbildung 1: Die Zulieferstruktur des ORF Wien
10% Rundfunkveranstaltungsleistungen 33%
13%
Informationstechnologie u. -DL Filmherstellung, -vertrieb, -verleih
18%
Werbung u. Marktforschung 26%
sonstige
Quelle: ORF Wien, bzw eigene Berechnungen
Etwa ein Drittel der Zukäufe sind Dienstleister in der Branche „Rundfunkveranstaltungsleistungen“ – hierunter fallen Programmzukäufe ebenso wie Tauschgeschäfte von Sendungsinhalten mit anderen Veranstaltern.
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Etwa ein Viertel sind Zukäufe von IKT Dienstleistungen, gefolgt von Leistungen der Filmherstellung. Rund 13 Prozent sind Leistungen der Werbewirtschaft, der Rest teilt sich auf sonstige Zulieferer auf. Um Synergien nutzen zu können, werden dabei im Wege der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung insbesondere für Geräte und Raumkosten insgesamt ca 1,8 Mio Euro an den ORF-Konzern verrechnet – das sind etwa 30 Prozent der Zulieferkosten. Schätzt man nun aus diesen Zahlen die Wertschöpfungseffekte des ORF Wien auf die gesamte Volkswirtschaft, so kommt man zu folgendem Ergebnis: Zu den rund zehn Mio Euro Wertschöpfung des ORF Wien kommen über indirekte Effekte (Wertschöpfung bei den Zulieferern und deren Zulieferern) und über aufgrund gestiegener Konsumnachfrage induzierte Effekte weitere 5,9 Mio Euro hinzu. Im Endergebnis sind nach dieser Schätzung in der Volkswirtschaft mit dem ORF Wien rund 16 Mio Euro an Wertschöpfung und rund 220 Beschäftigte verbunden.
Der Markt des ORF Wien Trotz der großen Umwälzungen im Bereich der Neuen Medien ist der Markt für Fernsehen und Radio nach wie vor sehr groß. Laut Freizeit-Monitor (Zentrum für Zukunftsforschung 2012) schauen 94 Prozent aller ÖsterreicherInnen über 14 Jahre mindestens einmal die Woche fern, 87 Prozent hören Radio. Beide Beschäftigungen werden im Übrigen in zunehmendem Ausmaß sekundär betrieben, also neben anderen Tätigkeiten wie Essen, Telefonieren oder Bügeln. Der ORF Wien strahlt täglich von 19:00 bis 19:25 Uhr Wien Heute aus – eine vor allem auf regionale Information ausgerichtete Sendung. Im Jahr 2011 wurden damit durchschnittlich 151.000 ZuseherInnen im Raum Wien (plus weitere 30.000 ZuseherInnen im Rest Österreichs) erreicht. Im Jahr 2012 gab es eine leichte Steigerung: im Jahresschnitt waren es 157.000 ZuseherInnen in Wien und 185.000 österreichweit (Daten aus ORF 2011 und 2012).
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Radio Wien ist ein breitenwirksamer 24-Stunden Regionalsender. Radio Wien erreicht erreicht täglich rund 340.000 HörerInnen. Damit hat es einen Marktanteil von ca 15 Prozent. In der Altersgruppe der Über-35jährigen erreicht Radio Wien laut Radiotest auch im zweiten Halbjahr 2012 wieder einen Marktanteil von 19 Prozent, damit liegt Radio Wien weit vor den privaten Mitbewerbern. Der ORF Wien unterliegt strengen gesetzlichen Bestimmungen durch den öffentlich-rechtlichen Auftrag und durch das ORF-Gesetz. So darf er zum Beispiel zeitlich und inhaltlich nur eingeschränkt Werbung zulassen, was auch beschränkte Einnahmemöglichkeiten aus dem Verkauf von Werbesendezeit bedeutet. Der Nettoertrag durch Werbung beträgt ca ein Viertel der Gesamteinnahmen, der Rest muss über Gebühren gedeckt werden. Auch die Eigenwerbung für den ORF Wien ist eingeschränkt: Cross Promotion ist weitgehend untersagt. Etwas, das den großen privaten Medienkonzernen sehr wohl möglich ist. Ein laufend größer werdender Markt sind die Online-Medien: Laut Integral 2012 benutzen inzwischen 80 Prozent der ÖsterreicherInnen über 14 Jahre das Internet, 72 Prozent sogar regelmäßig. Integral fragt weiters, welche Tätigkeiten im Internet in den vergangenen vier Wochen gemacht wurden: 69 Prozent der Internet-NutzerInnen nennen hier den Zugriff auf Nachrichten und Informationen. Die Webseiten von wien.ORF.at wurden im Jahr 2011 ca 90 Mio Mal aufgerufen (ORF 2011). 2012 wurden rund 100 Mio Page-Impressions gezählt, sowie pro Tag mehr als 100.000 Unique UserInnen bzw rund 135.000 Visits. Wien Heute wurde 2010 durchschnittlich 6.475 mal pro Sendung on demand angesehen, 2011 ist diese Zahl um fast 40 Prozent auf 9.400 angestiegen. Von 2011 auf 2012 wurde eine weitere Steigerung von über 20 Prozent auf ca 11.400 Sichtungen pro Ausgabe verzeichnet, insgesamt wurde Wien Heute damit im Jahr 2012 etwa 4,1 Mio mal on demand angesehen. Gleichzeitig haben der ORF und auch die Regionalsender strengste Auflagen im Online-Bereich. Nach Entscheiden der Europäischen Kommission und der Medienaufsicht werden Online-Auftritte streng auf ihren öffentlich-rechtlichen
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Gehalt und ihren gesellschaftlichen Mehrwert geprüft. Derzeit anhängig beim Verfassungsgerichtshof ist die Frage, ob für den ORF ein Social-Media Verbot aufrecht bleiben soll. Diese Tendenzen einer Beschränkung der Entwicklung in Richtung mehr Medienkonvergenz erscheinen aus Sicht der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit des Unternehmens bedenklich. Sie entsprechen auch nicht den Entwicklungen in anderen Ländern. So zeigen Deloitte (2011 und 2010) beispielsweise für die BBC, dass die Wertschöpfung von 2008/09 auf 2009/10 bei den BBC-Online-Medien um 15 Prozent gestiegen ist, während die Steigerungen bei Fernsehen und Radio unter fünf Prozent lagen. Auch in der Schweiz werden verstärkt Anstrengungen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in Richtung Medienkonvergenz gelegt, und zwar in jeder einzelnen Sprachregion (Künzler 2011, 106). Das wirtschaftliche Risiko dieser Marktbeschränkung kann letztendlich auch zu einer Bedrohung gerade der ur-eigenen Aufgaben eines öffentlich-rechtlichen Anbieters führen, wie Künzler 2011 (107f) argumentiert: Für öffentlich-rechtliche Anbieter werden […] die Betätigung in neuen Medienfeldern eingeschränkt und Beschränkungen auf programmlicher Ebene durchgesetzt. […] Wird dieser überwiegend einer ökonomischen Ratio gehorchende Weg weiterverfolgt, droht eine Verdrängung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in eine Nische der Qualität und damit in eine Marginalisierung, die mit dem Verlust demokratiepolitischer wie kulturstiftender Relevanz einhergeht und damit geradewegs in die Legitimationsfalle führt. Es ist daher widersinnig, auf der einen Seite die Wandlungsbereitschaft und Flexibilität öffentlich-rechtlicher Anstalten einzufordern (wie etwa Ladeur 2000, 105) und gleichzeitig die Möglichkeiten dieser Wandlungsbereitschaft zu begrenzen.
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Katalytische Effekte auf die Regionalökonomie Das Wichtigste in Kürze… Der ORF Wien unterstützt die Volkswirtschaft über zahlreiche Wirkungskanäle: Die regionale Wirtschaft und hier insbesondere Branchen wie die Kreativwirtschaft werden gestärkt und damit Innovation, Standort und Wirtschaftswachstum gefördert. Gesellschaftliche Kohäsion und Stabilität werden durch die vom ORF Wien wahrgenommene Integrationsfunktion gestärkt, was wiederum die Wohlstandsentwicklung in der Region begünstigt. Das für alle verfügbare Informations- und Bildungsangebot mindert Suchkosten und unterstützt Human- und Sozialkapital sowie Chancengleichheit in der Volkswirtschaft etc. Und schließlich erfüllt gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine wichtige demokratische Rolle der Kritik und Kontrolle, was wiederum wohlstandsfördernd ist. Notwendige Prämisse zur Erfüllung all dieser Funktionen (und damit Erzielung positiver wirtschaftlicher Auswirkungen) ist das gelebte Bekenntnis zum Qualitätsjournalismus. Medienunternehmen haben über die reine Wertschöpfungskette hinausgehende ökonomische Effekte, die sich zum Großteil auf ihre Funktionen zurückführen lassen. Das Diagramm stellt dabei schematisch diese Wirkungsrichtungen dar, deren Effekte in diesem Abschnitt näher analysiert werden sollen. Hier wirkt das Medienunternehmen also gewissermaßen als Hebel, als Ermöglicher bestimmter wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Effekte (dies wird in der Ökonomie mit „katalytischen Effekten“ bezeichnet“).
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Es lassen sich unmittelbar wirtschaftliche Effekte auf zwei Branchen festmachen – zum einen die Kreativwirtschaft, zum anderen die Freizeitindustrie. Die weiteren Auswirkungen sind in der hier dargestellten Struktur (in aggregierter Form) angelehnt an die Funktionen von Massenmedien nach Ronneberger (1987):
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Sozialisation Unterhaltung / Rekreation Integration Information Forumsfunktion: Herstellen von Öffentlichkeit Kritik- und Kontrollfunktion
Inwieweit ein Regionalsender wie der ORF Wien diese Funktionen überhaupt wahrnehmen kann und was die volkswirtschaftliche Relevanz dieser Funktionen (abseits von medienpolitischen Überlegungen) ist, sei in der Folge näher dargestellt.
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Auswirkungen auf die Wiener Wirtschaft Regionale Wiener Wirtschaft
Die regionale Wiener Wirtschaft ist geprägt von kleineren und mittleren Unternehmen (KMU). 99 Prozent der Unternehmen in Wien sind KMU, sie generieren zwei Drittel der Beschäftigung in Wien. Gerade für kleinere Unternehmen sind Werbeausgaben oft recht teuer, der ORF Wien ist damit ein wichtiger Partner für regionale Betriebe. Denn auf ORF Wien werden in Radiound Fernsehbeiträgen regionale Unternehmen porträtiert, ohne Firmennamen zu erwähnen. Damit profitiert die gesamte Branche von der gesendeten Information und den damit einhergehenden Umsatzsteigerungen. Die Unternehmen ersparen sich gleichzeitig Ausgaben für klassische Werbung. Dies erhöht direkt die regionale Wertschöpfung und hat auch katalytische Effekte auf den Wirtschaftsstandort: Albert und Reid (2011) zeigen etwa, dass Regionen mit höheren Werbungsaktivitäten auch höheres Wirtschaftswachstum, stärkeren Wettbewerb und höhere Innovationskraft aufweisen. Auch wenn die Richtung dieser Kausalitäten nicht völlig eindeutig definiert werden kann, so bestätigen die Ergebnisse doch, wie bedeutsam die Partnerschaft des ORF Wien mit den regionalen Unternehmen für den Wirtschaftsstandort Wien sind. Aktivitäten des ORF Wien, die als stärkend für die regionale Wiener Wirtschaft gewertet werden können - Vorstellung von Produkten regional ansässiger Unternehmen und Porträts regionaler Betriebe - Auf Wien Heute wurden 2012 ca 50 Unternehmensporträts ausgestrahlt, auf Radio Wien ca 100 Beiträge zu Wiener Betrieben. - Fünf Minuten klassische Werbung Radio pro Tag für regionale Unternehmen - 1,5 Min Regionalwerbung im Fernsehen - außerdem Möglichkeiten für Sonderwerbeformen (also zB Produktplatzierungen und Sponsoring) in Radio und Fernsehen
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Freizeitindustrie und Tourismus
Insbesondere die Wiener Freizeit- und Tourismuswirtschaft profitiert stark von der Berichterstattung des ORF Wien. Die Veranstaltungs- und Freizeittipps, die auf Radio Wien und in Wien Heute gesendet werden, sind gerade für die kleineren regionalen Unternehmen dieser Branche besonders wertvoll, da es eine günstige Möglichkeit ist, die Wienerinnen und Wiener auf Aktivitäten aufmerksam zu machen und für Veranstaltungen zu interessieren. Vor allem Sport- und Kulturveranstaltungen haben bekanntermaßen hohe Umwegrentabilitäten für Tourismus und Freizeitwirtschaft. Verfügbare Auswertungen für Großveranstaltungen belegen dies: Für den Opernball 2001 wurde laut Wirtschaftsblatt mit Mehreinnahmen für die Wiener Wirtschaft in Höhe von etwa sieben Millionen Euro gerechnet. Für den Wien-Marathon 2004 hat der damalige Tourismusdirektor im Jahr 2004 allein die Nächtigungsausgaben ausländischer TeilnehmerInnen mit 1,8 Mio Euro beziffert. Es kann vermutet werden, dass diese Umwegrentabilitäten durch Medienarbeit noch verstärkt werden können. So zeigen etwa internationale Studien, dass eine attraktive Darstellung von Reisezielen in Filmen und Dokumentationen positive Effekte auf die Destinationsauswahl haben (siehe etwa Hudson 2011 oder Siehl 2010). Auch dazu trägt der ORF Wien durch die Produktion von national ausgestrahlten Dokumentationen bei. Ein weiterer Aspekt betrifft die Bereitstellung von Information für TouristInnen: So stellt etwa Freytag (2009) fest, dass insbesondere die Neuen Medien eine bedeutende Auswirkung auf den Städtetourismus hätten – einerseits bereits für Informationen vor Reiseantritt, andererseits um während des Aufenthalts aktuelle Informationen über Events und Aktivitätsplanungen zu beziehen. Dies dürfte im Übrigen ein wichtiges Public Value-Argument für einen stärkeren Online-Auftritt gerade auch der Regionalsender des ORF sein.
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Aktivitäten des ORF Wien, die als stärkend für die Wiener Freizeitindustrie und Tourismuswirtschaft gewertet werden können - täglich zahlreiche Veranstaltungstipps im Vorhinein in Radio und Fernsehen - Berichterstattung von Veranstaltungen, in Radio, Fernsehen (und von großen Veranstaltungen auch im Internet) - Berichterstattung von Wiener Großevents, wie zB dem Donauinselfest - Produktion von rund 15 national ausgestrahlten Dokumentationen pro Jahr wie „Der Prater – Die grüne Insel Wiens“ oder „Nationalpark Donauauen – Unterwegs zurück zur Wildnis“. Diese Dokumentationen werden auch auf ORF III, aber auch auf 3sat und BR Alpha sogar europaweit wiederholt.
Kreativwirtschaft in Wien
Beim Übergang zur Wissensgesellschaft wird Humankapital zunehmend wichtiger. Dieses umfasst neben Wissen und Bildung auch die kulturellen Kompetenzen. Kulturökonomische Untersuchungen (siehe etwa Heilbrun; Gray 2001 oder Gottschalk 2010) zeigen, dass die Kultur eines Landes auf die Wirtschaft und deren Entwicklung ähnlich wie Grundlagenforschung wirkt: Bei der Forschung sind es innovative Impulse, im Bereich der Kultur kreative Impulse, die Wirtschaftswachstum und Wohlstandssteigerungen auslösen. Kunst und Kultur stellen auch eindeutig weiche Faktoren bei der Wahl von Unternehmensstandorten und Arbeitsplätzen dar: Gerade höherqualifizierte Arbeitskräfte gehen eher in Regionen, wo es auch ein ausreichendes und vielfältiges Kulturangebot gibt. Und schließlich ist der Cluster-Effekt der Kreativindustrie zu betonen: So hat etwa der Wirtschaftsgeograph Henry Overman in Großbritannien 24 Branchen auf ihren Cluster-Effekt untersucht (wie wirkt sich die Zahl von Unternehmen in einer Region auf deren Produktivität aus?): Unterschiedliche Branchen haben unterschiedliche Effekte, die Kreativwirtschaft gehört aber zu jenen Branchen mit relativ hohen Effekten. Verdoppelt sich die Zahl von Kreativunternehmen in einer Region, so steigt deren Produktivität um 3,5 Prozent (Overman et al 2009, 79)!
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Ansässige Medienunternehmen wirken nun als Inkubator (Katalysator) für derartige Cluster-Bildungen. Dies zeigen auch Studien für die BBC (inklusive ihrer Regionalsender) und für Kanada (Deloitte and Touche 2011, PwC 2008). Gerade die öffentlich-rechtlichen Sender erhöhen dabei nicht nur die Anzahl der Unternehmen, sondern fördern auch deren Vielfalt und Gehaltsfülle aufgrund von Projekten und Aufträgen auch abseits des Mainstreams (Deloitte and Touche 2011, 93). In Wien stellt die Kreativindustrie bereits heute einen wichtigen volkswirtschaftlichen Zweig dar: Nach Berechnungen des WIFO (Falk et al 2004) sind in Wien 100.000 bis 120.000 Menschen in den so genannten Creative Industries tätig, mit überdurchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten. Die Stärke des Wiener Kreativsektors liegt dabei in der Erzeugung von Inhalt – dessen Verbreitung und der Austausch zwischen den Kulturschaffenden gelten hingegen noch als ausbaubar (Falk 2004, 5). Es hat daher in vieler Hinsicht einen Mehrwert, über Kulturaktivitäten zu informieren, jungen KünstlerInnen Darstellungsmöglichkeiten zu geben und insgesamt die Kulturkompetenz der Bevölkerung zu erhöhen. Denn die fehlende Anerkennung durch die Öffentlichkeit und der Mangel an Wertschätzung können wesentliche Engpassfaktoren im kreativen Wachstumsprozess werden, zum Schaden der einzelnen KünstlerInnen, aber eben auch zum nachhaltigen Schaden für Standort, Volkswirtschaft und Lebensqualität (Gottschalk 2006, 163f).
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Aktivitäten des ORF Wien, die als stärkend für die Wiener Kreativindustrie bzw fördernd für Kulturbewusstsein in Wien gewertet werden können - hohe Aufmerksamkeitserzeugung für kulturelle Veranstaltungen aller Art mit besonderer Berücksichtigung von Nischenprogrammen und kleineren AnbieterInnen - Plattform für Wiener MusikerInnen, sowohl im Radio als auch bei regelmäßig stattfindenden ORF Wien-Club-Konzerten im Radiocafé. Diese Konzerte werden auch im Fernsehen, auf W24, live übertragen. - in Wien Heute im Jahr 2012 ca 370 Minuten Sendezeit zur Vorstellung heimischer KünstlerInnen, lokaler Bühnen, Ausstellungen etc - Dienstleistungsverträge mit Werbe- und Eventfirmen, die nicht nur unmittelbar die Zuliefer-Wertschöpfung (siehe erstes Kapitel) stärken, sondern auch über den Cluster-Effekt multiplizierend wirken
Sozialisation / Integration Integration und Schaffung von regionaler Identität wirken verstärkend auf die gesellschaftliche Kohäsion. Letztere ist nicht nur integrativer Bestandteil des Wertekatalogs der Europäischen Gemeinschaft, sie hat aufgrund ihrer stabilisierenden Wirkung auch wesentliche Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region oder eines Landes (siehe etwa Dayton-Johnson 2001). Die OECD (2003, 5) betont dabei ganz klar, dass Integration und Vielfalt gerade nicht im Widerspruch zu regionaler Identität stehen: On the contrary, cohesion can be achieved in a pluralist society through the interaction of different communities that build a bond through the recognition of both difference and interdependence. Multi-dimensional notions of identity, multiple senses of belonging and attachment often add self-confidence and thus stability to social networks. Far from hampering the process of integration, they can add a layer of respect and recognition to social interaction, thus deepening the cohesion of communities. Etwas anders formuliert es Küng (2006, 105): Im Zeitalter der europäischen Einigung und der voranschreitenden Globalisierung erfüllt das Konstrukt der regionalen Identität zwei wichtige Funktionen. Es dient einerseits als Fundament für die Ausbildung einer
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nationalen bzw europäischen Identität, andererseits befriedigt es das verstärkte Bedürfnis nach Sicherheit, Stabilität und Vertrauen. Und schließlich sollte die Rolle von Migration und erfolgreicher Integration (die sich letztendlich ja auch durch eine Identifizierung mit dem neuen Lebensabschnitts-Aufenthaltsort manifestiert) auf die Wachstumsfähigkeit und nachhaltige Absicherung von ansonsten älter und kleiner werdenden Gesellschaften nicht unterschätzt werden (siehe etwa Bonin 2001 oder speziell für Österreich Mayr 2004). Medien, insbesondere die Massenmedien, spielen in diesem Prozess von Aufbau regionaler Identität und Stärkung von Integration eine wesentliche Rolle: Nach Ronneberger (1987) geschieht dies durch die direkte Vermittlung von Werten und Normen und indirekt durch die Erschließung von Verhaltensweisen und Einstellungen . Integration findet im Wesentlichen nun einmal durch Kommunikation statt: Integration als Konstruktion sozialer Realität vollzieht sich im Wesentlichen durch Kommunikation. Da die gesellschaftliche Kommunikation in der modernen Gesellschaft sich weitgehend über Medien vollzieht, kommt den Massenmedien eine zentrale Funktion für (Integrations-)Diskurse (als Vermittler) und auch als soziostruktureller Infrastrukturfaktor zu. Dabei sind vor allem die auf Integration verpflichteten Medienorganisationen, wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, als zentraler Infrastrukturbestandteil der „Mediengesellschaft“ anzusehen, da ihnen die Aufgabe obliegt, den gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess abzubilden, durch eigene publizistische Leistungen voranzutreiben und auch explizit Integrationsdiskurse zu führen (Jarren 2000, 23f). MedienwissenschafterInnen streichen also vor allem die Rolle von öffentlichrechtlichen Medienunternehmen in dieser Integrationsfunktion hervor, wobei immer darauf zu achten ist, dass diese Integrationsfunktion nicht in eine Nischenrolle führt: Die Erfahrungen mit dem dualen Rundfunksystem in Deutschland zeigen deutlich, dass eine reine Marktorganisation nicht nur den ökonomischen und publizistischen Wettbewerb noch weiter als bislang einschränken, sondern dass ein ausschließlich unter Marktbedingungen agierendes Mediensystem
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auch Defizite hinsichtlich seines Integrationspotenzials aufweisen würde. (Jarren 2000, 39) Für Public Broadcaster ist es in einem zunehmend fragmentierten Medienumfeld nur mit einem breit akzeptierten Programmportfolio über unterschiedliche Medienplattformen hinweg möglich, gesellschaftspolitische erwünschte Integrationseffekte zu erzielen und nachhaltig kulturelle Identität zu schaffen. (Künzler 108) Regionale Themen stehen bei Regionalsendern per definitionem im Vordergrund (eine Analyse von Vorarlberg Heute aus dem Jahr 2006 ergab, dass etwa ein Fünftel der Beiträge bzw mehr als 40 Prozent der Sendezeit als identitätsstiftend für das Bundesland bewertet werden konnten (Küng 2006, 97) – Analoges ist für Wien Heute anzunehmen). Aktivitäten des ORF Wien, die als förderlich für Identitätsschaffung und Integrationsstärkung gewertet werden können - Das Thema „Integration“ ist Teil der täglichen Berichterstattung: Einerseits werden Menschen mit Migrationshintergrund bewusst in ihrer Wiener Lebenswelt, also die Wiener Bevölkerung in all ihrer Vielfalt abgebildet. - Andererseits ist Integration auch immer wieder ein Schwerpunktthema in allen drei Medien. Zum Beispiel die Sendereihe „Vielfalt in Wien“ auf Radio Wien und im Internet, der Wiener Integrationspreis, die Integrationswoche in Fernsehen und Radio, etc. - Das wöchentliche „Haber Magazin“ auf OKTO, ein Zusammenschnitt ausgewählter „Wien Heute“-Beiträge, durchgängig auf Türkisch anmoderiert und untertitelt - jährlich zwölf Fernsehsendungen in Ungarisch, Tschechisch und Slowakisch
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Information, Bildung, Bewusstseinsschaffung Der ökonomische Wert von Information
In einer laufend komplexer werdenden Welt ist verlässliche, rasch abrufbare Information eines der wichtigsten Güter überhaupt. Es gibt ganze Zweige in der Ökonomie, die sich mit „Suchkosten“ beschäftigen: Wie viel Zeit geht verloren, welche Ineffizienzen entstehen, welche volkswirtschaftlichen Kosten werden durch langwierige Suchprozesse und Fehlinformationen erzeugt? Suchprozesse gibt es bei vielfältigen wirtschaftlichen Transaktionen: bei Konsumentscheidungen, bei der Arbeitsplatzsuche, bei der Standortauswahl von Unternehmen, etc. Aus ökonomischen Kosten-Nutzen-Analysen (basierend auf Boardman et al 2011) lässt sich schätzen, dass eine Zeitersparnis aufgrund verbesserter Informationen von nur fünf Minuten in der Woche für alle erwerbstätigen WienerInnen einen volkswirtschaftlichen Nutzen von ca 19 Mio Euro im Jahr brächte. Hinzu kommt der unmittelbar ökonomische Wert von Informationen, die die Sicherheit erhöhen. In Ausnahmefällen sind das etwa Informationen im Katastrophenfall, tagtäglich sind es aber zB Verkehrsinformationen. Bogenberger, Dinkel (2009) zeigen in einer aufwändigen Simulation für Deutschland, dass FahrerInnen von Stauwarnungen im Sinne einer gesteigerten Sicherheit profitiert hätten. Ohne dies allzu sehr als harte Evaluationsevidenz für den Verkehrsfunk werten zu wollen, so lässt sich doch sagen, dass jeder vermiedene Unfall eine Kosteneinsparung für die Volkswirtschaft darstellt – so zeigen etwa Boardman et al (2011, 416) in ihren Kosten-Nutzen-Analysen für die USA, dass selbst ein Unfall mit reinem Sachschaden im Durchschnitt volkswirtschaftliche Kosten von mehr als 3.000 US-Dollar, ein Unfall mit leichtesten Verletzungen fast 20.000 US-Dollar verursacht. Auch der Nutzen von Wetterberichten ist – vor allem im Unwetterfall – evident und lässt sich auch bewerten (siehe etwa Leveson 2006). Jede/r kennt auch aus dem Alltag den Nutzen korrekter Wettervorhersagen etwa für das Freizeitverhalten oder für die Wahl der richtigen Bekleidung (und damit zur Verhinderung unnötiger Erkrankungen).
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Der ökonomische Wert von Bildung
In entwickelten Volkswirtschaften zählen Bildung und Innovation zu den wesentlichen Wachstumsfaktoren. Je höher das so genannte „Humankapital“ ist (also die Menge und vor allem die Qualität der Bildung, die es in der Bevölkerung gibt), um so stabiler und andauernder ist auch das Wirtschaftswachstum. Wie hoch der Zusammenhang genau ist, ist von ökonomischem Modell zu Modell verschieden: Man kann aber davon ausgehen, dass etwa die Hälfte bis zu zwei Drittel des Wirtschaftswachstums auf Humankapital zurückzuführen sind (siehe etwa die OECD-Studie von Temple, 2000 bzw die wegweisenden Arbeiten von Robert Lucas). Und dieser Zusammenhang wird im Zeitablauf immer bedeutender, je mehr wir uns in Richtung Wissensgesellschaft bewegen. Eng zusammenhängend mit der Bildungsfrage ist das Innovationsthema: Eine Bevölkerung, die Lust auf Wissen und Wissenszuwachs hat, ist auch innovativer. Innovation soll dabei nicht mit Forschung und akademischen Ausbildungen verwechselt werden, sondern ist auf allen Ausbildungsstufen denkbar und möglich und beginnt im Grunde mit der angeborenen Neugierde von Kleinkindern. Bildung fördert aber nicht nur Wachstum, sie stärkt auch die Beschäftigung – langfristig haben Bildungsaktivitäten im Vergleich mit anderen Maßnahmen die höchsten Beschäftigungseffekte (siehe etwa Bock-Schappelwein et al im WIFOWeißbuch). Außerdem erhöht Bildung das Sozialkapital, stärkt also das Gemeinschaftsgefühl in einer Gesellschaft, was wiederum auch wachstumserhöhend ist. Dies allerdings nur, wenn Bildung allen zugute kommt und kein Elitenprogramm ist. Gleicher Zugang zu Bildung ist die Grundvoraussetzung für Chancengleichheit in der Gesellschaft. Rundfunksendungen, die daher explizit den breitenwirksamen Transport von Bildung, Innovation und Forschung zum Thema haben, wirken positiv auf die Bildungsrezipienz und erhöhen (wenn natürlich auch nur marginal) das Humankapital einer Gesellschaft. Deloitte (2010, 83) streichen noch einen weiteren, ganz direkten Bildungseffekt gerade eines öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen heraus: Sie betonen die hohe Ausbildungsqualität der BBC und stellen fest, dass diese Trainings- und
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Ausbildungsaktivitäten die Produktivität des Mediensektors und damit durch Trickle-Down Effekte der gesamten Wirtschaft erhöhen. Ebenso weisen sie (Deloitte 2010, 95) auf nicht zu vernachlässigende Spillover-Effekte im Qualitätsjournalismus hin: Wenn ein öffentlich-rechtlicher Sender der Qualität seiner Sendungen einen hohen Stellenwert einräumt, würden auch private Sender sich diesem Qualitätsanspruch nicht verschließen können (ob diese Hypothese gerade in Großbritannien wirklich hart evidenzbasiert ist, darf allerdings bezweifelt werden).
Bewusstseinsbildung in Gesundheits- und Umweltfragen
Medien sind zentrale Einrichtungen der Öffentlichkeit, sie stellen Öffentlichkeit her und setzen Themen auf die Agenda. Der Transport dieser Inhalte erzeugt Public Value, Werte für die gesamte Gesellschaft. Dies betrifft etwa Gesundheit oder Umweltthemen: Das Wissen über die eigene Gesundheit und über Möglichkeiten eines gesunden Lebensstils ist ein wesentlicher Faktor, um gesund zu bleiben (vor allem aber bedarf es natürlich gesunder Lebensbedingungen). Die Vermittlung von Gesundheitskompetenz erzeugt damit sowohl hohen individuellen als auch volkswirtschaftlichen Nutzen, da das Gesundheitsversorgungssystem entlastet wird, Arbeitskraft erhalten bleibt und Lebensqualität insgesamt steigt (siehe hierzu etwa auch die Rahmengesundheitsziele für Österreich). Und höheres Umweltbewusstsein schafft nicht nur unmittelbar eine saubere Umwelt, sondern wirkt ressourcenschonend und daher sowohl in Richtung ökologischer als auch wirtschaftlicher Nachhaltigkeit – die Literatur hierzu ist sowohl für den Konsumenten- als auch den unternehmerischen Bereich sehr umfassend und einhellig.
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Aktivitäten des ORF Wien, die als förderlich für Information, Bildung, Gesundheits- und Umweltbewusstsein bewertet werden können - Themenschwerpunkte Wissenschaft und Forschung: zB fünfteilige Serie „MS Wissenschaft“ auf Radio Wien Beiträge zu Wissenschaft und Forschung in Wien Heute 2012: 60; insgesamt 160 Sendeminuten - Kooperationen mit ExpertInnenorganisationen wie der Arbeiterkammer zu Arbeitsrechts- und Ausbildungsfragen: zB wöchentlich ExpertInnen auf Radio Wien, Trailer zur Notwendigkeit ausgebildeter Arbeitskräfte vor Wien Heute mit AMS und WKW Wiener Industrie Beiträge zu Ausbildung in Wien Heute 2012: 50; insgesamt ca 100 Minuten Sendezeit - Informationen und Beiträge über Bildungsangebote wie Töchtertag, Aktionstage der Museen und Stadtbibliotheken: zB Trailer auf Radio Wien zum Tag der offenen Tür des WIFI Wien - In-house Bildung: Teilnahme am Töchtertag (Teilnahme 2012: 15 Mädchen) sowie Angebot von zwölf Praktikumsplätzen pro Jahr - Gesundheit: 2012 ca 130 Beiträge in Wien Heute zu je etwa 2 Minuten; neben regelmäßigen Berichten zum Thema auch Schwerpunkte wie „Bewusst gesund“ oder die wöchentliche Serie „Jugend zum Sport“, die 2013 weitergeführt wird - stündliche Wettervorhersagen auf Radio Wien, 3 Mio Page-Impressions pro Monat auf wetter.orf.at/wien
Demokratische Funktionen: Kritik & Kontrolle Westlich-kapitalistische Wirtschaften sind eng verbunden mit demokratischen Regeln. Die ökonomischen Meinungen divergieren dabei, ob mehr Kapitalismus und Wirtschaftswachstum zu mehr Demokratie führten (wie etwa Barro; Sala-IMartin 1995) oder ob Demokratie ihrerseits förderlich für das Wirtschaftswachstum sei (wie vor allem Acemoglu 2008 ausführt): Diese Frage berührt aber vor allem Entwicklungsökonomien – soll zuerst in wirtschaftsfördernde oder zuerst in demokratiefördernde Maßnahmen investiert werden? In entwickelten Ökonomien gilt der Zusammenhang zwischen
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Demokratie und Wohlstand als erwiesen: Demokratie unterstützt marktwirtschaftliche Mechanismen, in dem sie klar definierte Eigentumsrechte mit gemeinschaftlich ausverhandelten Verteilungsregeln kombiniert. Wesentliche Aufgabe von (heute vor allem öffentlich-rechtlichen) Medien ist es, kritisch zu informieren und damit objektivierende und kontrollierende („vierte“) Kraft in einer demokratischen Gesellschaft zu sein. Niklas Luhmann (1996, 174f) beschreibt Medien daher in gewisser Weise als Unruhefaktor – Medien dienen dazu, die moderne Gesellschaft in ihrem Kommunikationsvollzug endogen unruhig einzurichten wie ein Gehirn und sie damit an einer all zu starken Bindung an etablierte Strukturen zu hindern. Medien erbrächten damit die Welt- und Gesellschaftsbeschreibungen, an denen sich die moderne Gesellschaft innerhalb und außerhalb des Systems ihrer Massenmedien orientiert (Luhmann 1996, 175). Und in der hohen demokratiepolitischen Bedeutung dieser Leistung liegt wohl auch eine der wesentlichen Legitimationen öffentlich-rechtlicher Medien, da nur diese die dafür notwendige Objektivität garantieren können: Medien als Teil demokratischer Öffentlichkeit erfüllen durch ihre Informations-, Bildungs- und Forumsfunktion die für Demokratien zentrale Aufgabe der politischen Meinungsbildung. Sie stellen Öffentlichkeit her und regen zur politischen Partizipation an, müssen aber durch die Allgemeinheit finanziert werden, um nicht von spezifischen Interessen vereinnahmt zu werden. (Troxler; Gonser 2011, 213). Dies wird auch etwa von Jarren (2011, 34) betont, der bei der Vielfalt privatwirtschaftlicher und neuer Medien das Risiko sieht, dass die betriebswirtschaftliche Ökonomie den demokratiepolitischen Public Value überwiegt und damit politische Kriterien vernachlässigt werden. Privatmedien sind aufgrund der Marktlogik stark nachfrageseitig und individualisierend ausgerichtet, die notwendige Angebotsorientierung findet sich eher im öffentlichen Rundfunk:
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So leistet bspw. der öffentliche Rundfunk diese Aufgabe durch seine spezifische Marktpräsenz und Organisationsweise, vor allem aber durch den Selbstanspruch zu integrieren sowie durch spezifische Programmleistungen in Form von Voll- oder Spartenprogrammen (Jarren 2011, 37). Notwendige Prämisse der Erfüllung eines demokratiepolitischen Auftrags ist das Bekenntnis zum Qualitätsjournalismus. Auch wenn Qualitätsjournalismus sicherlich nicht eindeutig zu definieren ist, so kann man gerade in Bezug auf den Public Value doch einige Kriterien anführen. So ist nach Troxler und Gonser (2011, 214f) Qualitätsjournalismus nicht nur aus reiner NutzerInnenperspektive, sondern auch auf systemtheoretischer und demokratieorientierter Ebene zu bewerten. Sie messen Qualitätsjournalismus daher unter anderem an den Kriterien Vielfalt, Relevanz, Glaubwürdigkeit und Richtigkeit, Unabhängigkeit, Kritik bis hin zum regionalen Bezug. Im Internet finden sich sowohl im englisch- als auch im deutschsprachigen Raum angesichts der massiven Umwälzungen in der Medienwelt zahlreiche Beiträge und Blogs, dass Qualitätsjournalismus auch etwas kosten müsse und dass ein reiner Kostenwettbewerb dem Qualitätsanspruch abträglich wäre (siehe etwa www.avocado.cc oder barbarakaufmann.wordpress.com oder johnlrobinson.com) – eine Diskussion, die sicherlich auch in Zukunft noch weitergeführt werden muss und die für ein Medienunternehmen wie den ORF von hoher Bedeutung ist. Aktivitäten des ORF Wien, die als förderlich für demokratische Information und Kontrolle gewertet werden können - stündliche Nachrichten auf Radio Wien - politische Berichterstattung in Wien Heute - diverse öffentliche Diskussionsveranstaltungen wie zB „Zukunft am Wort“ (Kooperation mit der Zeitung „Der Standard“, um Veranstaltungen für Jugendliche im Bereich der politischen Bildung zu organisieren) oder die „Stadtgespräche“ (gemeinsam mit dem „Kurier“) - Organisation und Durchführung von Sozial-Kampagnen um den sozialen Zusammenhalt zu stärken und einen Beitrag zu Meinungsvielfalt und Toleranz zu leisten
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Unterhaltung / Rekreation Wien Heute und Radio Wien bieten Unterhaltung. Diese kann dazu führen, dass „wichtigere“ Inhalte einfacher transportiert und übersetzt werden können (womit sie ihrerseits wiederum als Katalysator wirkt), Unterhaltung kann aber auch legitimer Selbstzweck sein. Die Reichweiten der regionalen Programme belegen, dass ihre Inhalte offenbar breitenwirksam sind und gut angenommen werden.
Stressreduktion durch „easy-going“ Musik
Im Sinne von Kosten-Nutzen-Überlegungen ist zu erwähnen, dass Musik an und für sich nutzenstiftend für die Gesellschaft ist (Wolf; Wolf 2011 beschreiben etwa, welche gesundheitlichen Effekte Musik, bei der „man sich wohl fühlt“, hat). Musik der 70er und 80er Jahre, wie sie vorrangig auf Radio Wien gespielt wird, wird von MusikpsychologInnen allgemein als "fröhlicher" kategorisiert als etwa die Pop-Musik der 2000er Jahre (Schellenberg; von Scheve 2012). Die Vermutung liegt nahe, dass diese "gute Stimmung" stressreduzierend wirkt – und damit volkswirtschaftlichen Nutzen hat (zu den volkswirtschaftlichen Kosten von Stress siehe etwa Schug 2005). Eine nicht-wissenschaftliche persönliche Umfrage bei einzelnen Wiener Taxifahrern deutet zumindest in diese Richtung: Sender wie „Radio Wien“ werden gehört, weil sie „gute Stimmung“ machen und den Stress abbauen helfen.
Sportberichterstattung
Fixer Bestandteil von regionalen Fernseh- und Radiosendern ist die Sportberichterstattung. Auch diese dient der Unterhaltung, stärkt aber selbstverständlich auch die regionale Identität und führt im Idealfall dazu, Lust auf Sport zu machen, was wiederum gesundheitliche Effekte hätte. Die Sport-Ökonomie ist darüber hinaus aber auch (ähnlich wie die Freizeitindustrie) ein wichtiger Wirtschaftszweig. Österreich insgesamt ist NettoExporteur in dieser Branche (Europäische Kommission 2011). Sport hat dabei gerade auch für die regionalen Wirtschaftsräume eine hohe Bedeutung, wie das Weißbuch der Europäischen Kommission betont (Europäische Kommission 2007, 10).
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It can serve as a tool for local and regional development, urban regeneration or rural development. Sport has synergies with tourism and can stimulate the upgrading of infrastructure and the emergence of new partnerships for financing sport and leisure facilities. Medien gehören zu jenen Branchen, die eng mit der Sportbranche verbunden sind – sie beziehen aus der Sportwelt wesentlichen Content, durch dessen Verbreitung sorgen sie aber ihrerseits wiederum für die Stärkung der Sportbranche (SportEconAustria 2012).
Aktivitäten des ORF Wien im Bereich der Unterhaltung und Rekreation - Musikprogramme auf Radio Wien: zwischen 19 und 20 Stunden Musik pro Tag - Berichterstattung von allen größeren Sport-Events national (Formel I, Schirennen, Bundesliga), vor allem aber regional: Regionaler Fußball, Eishockey, Handball, Football, Volleyball sowie über alle weiteren Ereignisse, bei denen Wiener Vereine/SportlerInnen dabei sind. Nach ORF Wien-internen Schätzungen werden so übers Jahr etwa 30 verschiedene Sportarten gefeatured.
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Nicht-finanzielle Indikatoren im ORF Wien Das Wichtigste in Kürze… Die Nachhaltigkeit des Wirtschaftens von Unternehmen kann im Rahmen von Kriterien von nicht-finanziellen „Environmental, Social and GovernanceIssues“ analysiert werden. Diese sind jedoch nicht „nur“ Selbstzweck, sondern spielen für den ökonomischen Erfolg eines Unternehmens eine wichtige Rolle: Der ORF Wien weist eine niedrige Fluktuation der ArbeitnehmerInnen auf, gleichzeitig unterstützt eine relativ junge Altersstruktur der Belegschaft das Innovationspotenzial des Unternehmens. Diversität (sowohl in Gender- als auch in sprachlich-kultureller Hinsicht) wird einerseits innerbetrieblich gelebt und stärkt damit Flexibilität und Chancen im Wettbewerb. Andererseits wird auch in den gesendeten Inhalten stark auf Diversität geachtet, womit breitere KundInnengruppen erreicht werden und die KundInnenbindung mit dem Unternehmen gestärkt wird. Ressourceneffizienz bei der Produktion von Sendungen und Beiträgen sowie Innovationstätigkeit unterstützen neben betrieblicher Kostenminimierung auch Ressourcenschonung auf volkswirtschaftlicher Ebene. Darüber hinaus ist die Governance im ORF mit mittelbarer demokratischer Kontrolle und als eines der meistgeprüften Unternehmen Österreichs besonders transparent.
Integriertes Berichtswesen zur Darstellung der wirtschaftlich nachhaltigen Entwicklung Im Zuge der Wirtschaftskrise dürfte es beim Thema Nachhaltigkeit zu einem generellen Umdenken gekommen sein: Sie wird nun auch bei Investoren „fashionable“ – nur läuft sie nicht mehr unter dem CSR-Label, sondern heißt heute ESG: „Environmental, Social and Governance-Issues“. Institutionelle
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Investoren dürften immer mehr erkennen, dass langfristige Ziele des Managements notwendig sind und dass das nachhaltige Gedeihen eines Unternehmens von mehr Faktoren als nur dem kurzfristigen Profit abhängt.
Beispiele hierfür wären im Umweltbereich die Ressourceneffizienz: In Zeiten steigender Rohstoffpreise ist es nicht nur aus Umweltüberlegungen sinnvoll, möglichst sparsam mit Ressourcen umzugehen. Im Sozialbereich seien innerbetriebliche Förderungs- und Weiterbildungsmaßnahmen genannt – sie erhöhen die Motivation und verringern eine (oft sehr teure) Arbeitskräftefluktuation. Sozialaktivitäten für die Gesellschaft wiederum erhöhen die Markenbindung. Und schließlich dient eine Verbesserung der Governance nicht nur der Imagepflege, sondern vermeidet „Leichen im Keller“ und teure Reputationsverluste. Auf Europäischer Ebene wird zunehmend mehr über ein integriertes Berichtswesen diskutiert, das genau diese Logik repräsentiert: Nachhaltigkeit ist kein Selbstzweck, sondern wirkt sich positiv in der Bilanz aus. Finanzanalysten betrachten daher eine ausgewählte Anzahl von nicht-finanziellen ESG-
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Indikatoren, um zukünftige Unternehmensrisken besser abschätzen und überlegene Businessmodelle identifizieren zu können. Laut KPMG (2011) erstellen praktisch alle (95 Prozent) der größten Unternehmen weltweit Corporate Responsibility Berichte. Ein Viertel dieser Berichte sind bereits integrierte Berichte – in der Medienbranche sind es sogar drei Viertel aller Berichte! Die Motive dafür sind vor allem Reputationsfragen (67 Prozent) und ethische Überlegungen (58 Prozent), aber auch die MitarbeiterInnenmotivation (44 Prozent) und das bessere Risikomanagement (35 Prozent). Fast die Hälfte der befragten Unternehmen sieht neben diesen Motiven auch den finanziellen Wert der Berücksichtigung dieser nicht-finanziellen Indikatoren über erhöhte Umsätze bzw niedrigere Kosten. Die folgende Tabelle stellt eine Auflistung jener Indikatoren dar, die die Vereinigung der Europäischen Finanzanalysten (EFFAS) als wesentlich in der Beurteilung der nicht-finanziellen Performance für Medienunternehmen sieht. Es ist klar ersichtlich, dass nicht alle der Indikatoren relevant für den ORF Wien sind – zum einen deswegen nicht, da der ORF Wien kaum internationale Verbindungen hat, zum anderen deswegen, weil es bei einigen der Indikatoren sinnvoller wäre, diese auf Konzern- als auf Regionalebene zu beurteilen. Dies ist in der rechten Spalte der Tabelle eingezeichnet – auf die verbleibende Anzahl von Indikatoren wird in der anschließenden Analyse näher eingegangen.
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Key Performance Indicators für Medienunternehmen laut EFFAS Säule
Umwelt
Key Performance Indicator Energie-
Beschreibung
totaler Energieverbrauch
effizienz Treibhausgas-
Emissionsdaten
ORFKonzern
Fluktuation der
Prozentsatz der VZÄ, die pro Jahr das
Belegschaft
Unternehmen verlassen
Training
Durchschnittliche Ausgaben für Ausbildung pro VZÄ
Altersdiversität
Teil d Funkhaus
emission Soziales
relevant für ORF Wien
Zahl der VZÄ pro Altersgruppe
sehr niedrig
rd 1.000 Euro siehe Analyse
Diversität
Frauenanteil in der Belegschaft und in der Führung
Freie
Anteil an der Belegschaft in VZÄ
Mitarbeiter Governance
Prozessrisken
siehe Analyse siehe Analyse
Ausgaben für Rechtsstreitigkeiten
ORFKonzern
Innovation
Neue Produkte
Anteil von neuen oder veränderten
ständig
Produkten in den letzten 12 Monaten Innovation
Forschungs- und Entwicklungsausgaben Investitionen in spezifische ESGrelevante Themen
Markenwert
Markenwert, wie er von unabhängigen Schätzern ermittelt wird
ORFKonzern ORFKonzern ORFKonzern
Quelle: EFFAS (2010). KPIs für Branche 5553 „Broadcasting and Entertainment“
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Nachhaltigkeit durch MitarbeiterInnen-Motivation In wissensorientierten Unternehmen, wozu auch Medienunternehmen zählen, ist die wichtigste Ressource das Humankapital. Dementsprechend gelten Kennzahlen, an denen die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen gemessen werden kann – wie Weiterbildungsaktivitäten – als wichtige nicht-finanzielle Indikatoren. Es steht dabei nicht das Glück und das Wohlbefinden der MitarbeiterInnen per se im Vordergrund, sondern die Überlegung, dass ein Unternehmen langfristig nur dann am Markt reüssieren kann, wenn die MitarbeiterInnen eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen haben und dementsprechend motiviert sind. Das Knowhow, die Kompetenzen und Skills der MitarbeiterInnen machen letztendlich die Qualität des Produktes aus, sichern somit den langfristigen Bestand des Unternehmens und tragen damit über all die bisher beschriebenen Effekte zum volkswirtschaftlichen Nutzen bei. MitarbeiterInnenmotivation im ORF Wien - geringe Fluktuation, auch in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten - zahlreiche Schulungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten in vielen Bereichen: Administration, EDV, Frauenförderung, betriebliche Gesundheitsförderung, Sicherheit, Management, journalistische Weiterbildung, Sprach- und Sprechtraining, Technik, ... - 2011 und 2012 zusammen waren Mitarbeiterinnen an 146 Tagen auf Schulung, Mitarbeiter an 114 Tagen. - Gesundheitsangebote wie Impfaktionen oder Krebsvorsorge
Nachhaltigkeit durch Diversität Diversität, sei es nach Geschlecht, Alter oder Ethnie, bringt erwiesenermaßen Wettbewerbsvorteile und gehört daher zu den Standardkriterien nichtfinanzieller Performancemessungen. Unternehmen, die auf Diversität setzen, haben vielfältigere Problemlösungswege und reagieren flexibler auf Veränderungen der Umwelt, optimieren ihren
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Kompetenzenerwerb und -erhalt und können auch vielfältiger sowohl Lieferanten- als auch KundInnenbeziehungen pflegen und neue Märkte erschließen. Auch wenn dieser Mehrwert quantitativ nicht leicht zu beziffern ist, so setzen doch bereits fast 90 Prozent der ATX-Unternehmen aktives Diversity Management ein. In einer vielbeachteten Studie haben Ernst & Young einen Vergleich von börsennotierten Unternehmen in den Jahren 2005 und 2010 gemacht (Ernst & Young 2012): Unternehmen, die weder 2005 noch 2010 Frauen im Vorstand hatten, hatten im Durchschnitt über diesen Zeitraum eine Gewinnsteigerung von insgesamt 67 Prozent und eine Beschäftigungssteigerung von 19 Prozent. Unternehmen, die sowohl 2005 als auch 2010 Frauen im Vorstand hatten, konnten die Beschäftigung um 21 Prozent steigern und den Gewinn um 89 Prozent! Diversität im ORF Wien - Frauenanteil im Führungsteam beträgt zwei Drittel und liegt damit über der laut ORF-Gesetz (mittels Gleichstellungsplan) zu erreichenden Quote von mindestens 45 Prozent. - Mit Landesdirektorin Dr.in Brigitte Wolf leitet seit 2002 eine Frau das Unternehmen. - eher „junge“ Alterstruktur: 21 Prozent in der Altersgruppe bis 35 Jahre, 43 Prozent 36 bis 45 Jahre, 30 Prozent 46 bis 55 Jahre, 6 Prozent 56plus. Zum Vergleich: Im Schnitt sind „nur“ 56 Prozent der österreichischen Erwerbstätigen jünger als 45 Jahre (ORF Wien 64 Prozent). - ca 10 Prozent an freien MitarbeiterInnen - entsprechend dem öffentlich-rechtlichen Auftrag (und darüber hinausgehend) Verwendung geschlechtergerechter Sprache und Darstellung von Frauen abseits von tradierten Rollenbildern
Nachhaltigkeit durch Ressourceneffizienz Ressourceneffizienz bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Input und Output in der Produktion jeglichen Gutes. Sie ist somit sowohl auf betrieblicher als auch
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auf makroökonomischer Ebene von größter Bedeutung. Auf der Ebene des Betriebes (bzw mikroökonomisch betrachtet) ist jenes Unternehmen erfolgreich, das aus einer gegebenen Inputmenge ein Maximum an Output generieren kann. Dies spart Kosten und bedeutet damit wirtschaftlichen Erfolg und ermöglicht bei profitorientierten Unternehmen höhere Gewinne, bzw bei Non-ProfitOrganisationen größtmöglichen Output bei beschränkter Inputmenge. Jede nachhaltig wirtschaftende Organisation muss somit großen Wert auf Ressourceneffizienz legen. Auf Ebene des Betriebes sind daher Informationssysteme wie etwa Kostenrechnung und Materialwirtschaft besonders wichtig (Jasch 2012, 113). Makroökonomisch betrachtet spielt ressourceneffizientes Wirtschaften in einem auf Wachstum basierenden ökonomischen System bei gleichzeitig endlichen Ressourcen eine große Rolle. Solange es nicht gelingt, steigendes Wirtschaftswachstum ganz von vermehrtem Ressourcenverbrauch zu entkoppeln, ist es ökologisch notwendig, unter Berücksichtigung von Grenzen der Rohstoffverfügbarkeit und der Regenerationsfähigkeit natürlicher Ressourcen effizient zu arbeiten. (Jasch 2012, 113f) Ressourceneffizienz im ORF Wien - Sicherstellung des geringstmöglichen Energieverbrauchs im ORF Wien: wirkt auf Unternehmenskosten und Ressourcenschonung. - Maßnahmen: bewusst effizienter Ressourceneinsatz bei der Produktion von Sendungen und Beiträgen; einfache Maßnahmen wie das Herunterfahren möglichst aller technischen Geräte über Nacht; etc - an allen ORF-Standorten sukkzessive Erstellung von Treibhausgasbilanzen und Zielvorgaben zur Senkung der Emissionen. - im ORF Wien als Teil des ORF-Konzerns: weitere Umsetzung des seit neun Jahren laufenden Umstellungsprozesses auf ressourceneffiziente Digitalisierung - das Programm des ORF Wien trägt Ressourceneffizienz über die Unternehmensgrenzen hinaus
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Nachhaltigkeit durch laufende Erneuerung Ebenso wie Ressourceneffizienz, und auch damit zusammenhängend, ist Innovation sowohl für das einzelne Unternehmen als auch für die gesamte Volkswirtschaft von Bedeutung. Nach Schumpeter ist Innovation der Auslöser fortwährender Veränderungen von Wirtschaftsstrukturen, also ein dynamisches Element kapitalistischer Ökonomien. Diese „schöpferische Zerstörung“ ist somit positiv zu sehen und nicht als Störung des Systems zu interpretieren. Die Wachstumstheorie geht davon aus, dass Innovation jenes Element ist, das höheren Output ohne vermehrten Einsatz von Inputfaktoren ermöglicht. Der Output wird somit durch die verwendete „Technologie“ (mit-)bestimmt. Innovation kann daher über Technologieverbesserungen die Produktivität und damit das Wachstumsniveau dauerhaft steigern. Gerade für wirtschaftlich hoch entwickelte Volkswirtschaften ist Innovation daher essenziell. Aus Sicht des Unternehmens kommt es laut Schumpeter nach der Invention (Idee) zur Innovation (Umsetzung in vermarktbare Produkte und Prozesse) und hernach zur Diffusion (Überführung in den Markt). Für jeden wirtschaftenden Betrieb ist Innovation jedoch nicht nur zur eigenen Kostensenkung und Verbesserung der Ressourceneffizienz bedeutend, sondern ist im Wettbewerb entscheidend für das Überleben am Markt. Innovation kann dabei verschiedenste Formen annehmen, von Änderungen im kleinen Rahmen über Erneuerungen von Organisationsstrukturen bis zur Änderung von Produkten und Technologiesprüngen. Innovation im ORF Wien - Programm: laufende Aktualisierung und Erneuerung der Sendeformate und Programmdesigns, verbesserte Informationsverfügbarkeit über Online-Auftritt und TVthek, ... - Betrieb: zB Digitalisierungsprozess mit ORF-Konzern - Kooperation mit anderen Wiener Fernsehsendern (wie OKTO oder W24) - mittelbar: Bildung, Kunst und Kultur fördern insbesondere in Wissensgesellschaften das Humankapital und damit Innovation
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Nachhaltigkeit durch transparente Governance Beispielsweise der Internationale Währungsfonds unterstreicht, dass „Good Governance“ ein wichtiger Schlüssel zu ökonomischem Erfolg ist. Jede Art von Korruption und Missachtung von Regeln hat negative wirtschaftliche Konsequenzen: Marktintegrität, Wettbewerb und ökonomische Entwicklung werden gestört (IWF 2012). Negative Konsequenzen durch Vertrauensverluste ergeben sich sowohl auf Staatsebene als auch auf betrieblicher Ebene. Für den ORF als öffentlich-rechtliche Einrichtung und wirtschaftender Betrieb ist gute Governance zwar selbstverständlich, dennoch auch hier von wirtschaftlicher Bedeutung. Transparente Governance und Kontrolle des ORF Wien im ORF-Konzern - mittelbare demokratische Kontrolle durch gesetzliche Bestellvorschriften für Stiftungsrat und GeneraldirektorIn; LandesdirektorIn durch Stiftungsrat bestellt - eines der meistgeprüften Unternehmen Österreichs, als Teil des ORF-Konzerns und ua durch spezielle Gebarungsprüfungen - neben eigenen Organen wie Stiftungsrat prüfen die Kommunikationsbehörde Austria als Rechtsaufsicht und der Rechnungshof den Konzern - strenge gesetzliche Vorschriften zur Qualitätssicherung - freiwillig zusätzliche Auflagen und verbindliche Leitlinien; Verhaltenskodex mit zuständigem Ethikrat - gesetzliche Regelung der Zugänglichkeit von Ratsbeschlüssen, Berichte an Regulierungsbehörden und Bundeskanzleramt
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Resümee: Weitreichende Effekte des ORF Wien Dass öffentlich-rechtliche Massenmedien einen wesentlichen Beitrag zur Demokratie leisten können, ist weitgehend unbestritten. Eben dies gilt auch für ihr Leistungspotenzial zur Integration einer Gesellschaft. Doch welch weitere werthaltige Beiträge können sie erbringen? Eine Skizze am Fallbeispiel des Landesstudio Wien. Zuerst zu den harten Fakten: Der ORF Wien erreicht mit seinen drei Medien Radio Wien, wien.orf.at und „Wien heute“ – , seinen jährlich fünfzehn national ausgestrahlten Dokumentationen über ein Jahr gesehen vermutlich fast jeden Wiener und jede Wienerin. Radio Wien hat täglich rd 340.000 Hörer/innen, „Wien heute“ im Schnitt knapp 200.000 Seher/innen, fast jeder dritte Österreicher/jede dritte Österreicherin hat 2012 zumindest eine ORF-WienDoku zumindest kurz gesehen, und das Internet hat mittlerweile mehr als 100.000 Unique User/innen und rund 135.000 Visits pro Tag. Dabei entsteht eine Wertschöpfung von etwa 10 Millionen Euro. Durch seinen Betrieb setzt der ORF Wien Nachfrageimpulse in der Wiener Wirtschaft, vor allem in der Kreativwirtschaft und im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien. Diese Nachfrage wird in den betroffenen Unternehmen wiederum durch eigene Wertschöpfung befriedigt bzw. ist damit auch wieder eine Nachfrage bei anderen Zulieferern und Zuliefererinnen verbunden. Und schließlich bedeutet Wertschöpfung vor allem, dass Arbeitnehmer/innen Einkommen beziehen. Diese Einkommen finden auch wieder Eingang in die Wirtschaft und stellen einen bedeutenden Nachfrageimpuls dar. Summiert man alle diese Effekte, so ist mit dem Unternehmen ORF Wien eine gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung von knapp 16 Millionen Euro bzw. eine Beschäftigung von ca. 220 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verbunden. Aber ist es auch ein nachhaltiges Modell? Die Erfahrung der vergangenen Jahre und die Lehren aus der Wirtschaftskrise haben gezeigt, dass es für die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeit eines jeden
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Unternehmens notwendig ist, verstärkt auch auf nicht-finanzielle Indikatoren zu setzen. Investitionen in Sozialmaßnahmen, in Ausbildung, in effizienten Ressourcenumgang und Innovation dienen nicht nur der Behübschung eines Jahresberichts, sondern haben unmittelbar positive Auswirkungen. Es finden sich einige Indizien, dass der ORF Wien auf dem richtigen Weg ist: Diversität und Ausbildung stehen an oberster Stelle – nicht nur in den gesendeten Inhalten, sondern auch im Unternehmen. Der Frauenanteil im Führungsteam beträgt zwei Drittel und liegt damit über der laut ORF-Gesetz (mittels Gleichstellungsplan) zu erreichenden Quote von mindestens 45 Prozent. In der Belegschaft des ORF Wien sind alle Altersgruppen vertreten, verglichen mit der österreichischen Erwerbsbevölkerung ist es eine relativ junge Belegschaft mit einem hohen Anteil von 36 bis 45-Jährigen. Im Schnitt sind „nur“ 56 Prozent der österreichischen Erwerbstätigen jünger als 45 Jahre, im ORF Wien 64 Prozent. Zahlreiche Schulungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten tragen den Bedingungen des Medienmarktes (rasanter Technologiewandel, berufsbedingt hoher Informationsstand etwa für Recherchen nötig,…) Rechnung. Erschwerend für die wirtschaftliche Nachhaltigkeit dürften hingegen diverse restriktive gesetzliche Regelungen sein, man denke etwa an die Koppelung der Gebührenrefundierung an Maßnahmen im Personalbereich oder insbesondere an Verbote im Zukunftsmarkt der Online- und Sozialen Medien. Andere Länder gehen hier innovativere Wege – die BBC setzt etwa auf den Ausbau von OnlineMedien, auch in der Schweiz ist im öffentlich-rechtlichen Bereich Ähnliches zu beobachten. Mit der Einschränkung der wirtschaftlichen Möglichkeiten in diesem Bereich droht die Marginalisierung und damit auch der Verlust an demokratiepolitischer und kulturstiftender Relevanz. Medienunternehmen haben aber über die „reine wirtschaftliche“ Wertschöpfungswirkung hinaus weitreichende Effekte in die Wirtschaft, für Standort und Gesellschaft; bildhaft gesprochen könnte man an den Stein denken, der, ins Wasser geworfen, konzentrische Wellen schlägt. Dies hängt einerseits mit einer katalytischen Wirkung auf spezifische Branchen und andererseits mit ihren Funktionen zusammen. Beispiel Information: In einer laufend komplexer werdenden Welt ist verlässliche, rasch abrufbare Information eines der wichtigsten Güter überhaupt. Es gibt ganze Zweige in der Ökonomie, die sich mit „Suchkosten“ beschäftigen: Wie viel Zeit geht verloren, welche
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Ineffizienzen entstehen, welche volkswirtschaftlichen Kosten werden durch langwierige Suchprozesse und Fehlinformationen erzeugt? Suchprozesse gibt es bei vielfältigen wirtschaftlichen Transaktionen: bei Konsumentscheidungen, bei der Arbeitsplatzsuche, bei der Standortauswahl von Unternehmen etc. Aus ökonomischen Kosten-Nutzen-Analysen lässt sich schätzen, dass eine Zeitersparnis aufgrund verbesserter Informationen von nur fünf Minuten in der Woche für alle erwerbstätigen Wiener/innen einen volkswirtschaftlichen Nutzen von ca. 19 Millionen Euro im Jahr brächte. Hinzu kommt der unmittelbar ökonomische Wert von Informationen, die die Sicherheit erhöhen. In Ausnahmefällen sind das etwa Informationen im Katastrophenfall – etwa die korrekte Ankündigung von Katastrophenwetter - tagtäglich sind es aber z.B. Verkehrsinformationen. Bogenberger, Dinkel zeigen in einer aufwändigen Simulation für Deutschland, dass Fahrer/innen von Stauwarnungen im Sinne einer gesteigerten Sicherheit profitiert hätten. Ohne dies allzu sehr als harte Evaluationsevidenz für den Verkehrsfunk werten zu wollen, so lässt sich doch sagen, dass jeder vermiedene Unfall eine Kosteneinsparung für die Volkswirtschaft darstellt – so zeigen etwa Boardman et al in ihren KostenNutzen-Analysen für die USA, dass selbst ein Unfall mit reinem Sachschaden im Durchschnitt volkswirtschaftliche Kosten von mehr als 3.000 US-Dollar, ein Unfall mit leichtesten Verletzungen fast 20.000 US-Dollar verursacht. Information bedeutet aber auch Bildung: Je höher das so genannte „Humankapital“ ist (also die Menge und vor allem die Qualität der Bildung, die es in der Bevölkerung gibt), umso stabiler und andauernder ist auch das Wirtschaftswachstum. Wie hoch der Zusammenhang genau ist, ist von ökonomischem Modell zu Modell verschieden: Man kann aber davon ausgehen, dass etwa die Hälfte bis zu zwei Drittel des Wirtschaftswachstums auf Humankapital zurückzuführen sind. Und dieser Zusammenhang wird im Zeitablauf immer bedeutender, je mehr wir uns in Richtung Wissensgesellschaft bewegen: Langfristig haben Bildungsaktivitäten im Vergleich mit anderen Maßnahmen die höchsten Beschäftigungseffekte. Außerdem erhöht Bildung das Sozialkapital, stärkt also das Gemeinschaftsgefühl in einer Gesellschaft, was wiederum auch wachstumserhöhend ist. Dies allerdings nur, wenn Bildung allen zugute kommt und kein Elitenprogramm ist. Gleicher Zugang zu Bildung – etwa im Gegensatz zu Pay-Media-Modellen – ist die Grundvoraussetzung für Chancengleichheit in der Gesellschaft. Rundfunksendungen, die explizit den
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breitenwirksamen Transport von Bildung, Innovation und Forschung zum Thema haben, wirken positiv auf die Bildungsrezipienz und erhöhen (wenn natürlich auch nur marginal) das Humankapital einer Gesellschaft. Deloitte streichen noch einen weiteren, ganz direkten Bildungseffekt gerade eines öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen heraus: Sie betonen die hohe Ausbildungsqualität der BBC und stellen fest, dass diese Trainings- und Ausbildungsaktivitäten die Produktivität des Mediensektors und damit durch Trickle-Down Effekte der gesamten Wirtschaft erhöhen. Medienunternehmen wirken aber auch als Inkubator für Kreativcluster. Gerade öffentlich-rechtliche Sender erhöhen dabei nicht nur die Zahl von Kreativunternehmen, sondern auch die Vielfalt und Substanz dieser Unternehmen, da sie auch Projekte und Aufträge abseits des Mainstreams vergeben. Viele Kreativunternehmen regional konzentriert erhöhen die Produktivität dieser Branche (positiver Cluster-Effekt) und damit für die Volkswirtschaft. Mehr Kunst- und Kulturtätigkeit hat aber auch per se einen wirtschaftlichen Wert: Ähnlich wie die Grundlagenforschung erhöhen auch kreative Impulse das Humankapital und führen damit zu Wohlstandssteigerung. Auch wenn sich diese katalytischen Effekte nicht beziffern lassen, so lassen sich zahlreiche Aktivitäten des ORF Wien identifizieren, die die Kreativindustrie und das Kulturbewusstsein in Wien fördern, sei es die Aufmerksamkeitserzeugung für Kulturevents, wie etwa die Lange Nacht der Museen, oder sei es als Bühne gerade für heimische Künstler/innen. Für ein regionales Medium von besonderer Relevanz ist die Funktion der Sozialisation und Integration. Einerseits soll ein Regionalmedium regionale Identität schaffen, andererseits soll es integrativ wirken. Integration findet im Wesentlichen durch Kommunikation statt. Medien, und hier vor allem die öffentlich-rechtlichen Massenmedien, spielen daher in dem Prozess der Stärkung von Integration und Aufbau (regionaler) Identität eine große Rolle – durch direkte und indirekte Vermittlung von Werten und Normen. Wichtig allerdings: Der Integrationsauftrag darf nicht in eine Nischenrolle führen. Am erfolgreichsten dürfte dabei eine Strategie sein, wie sie auch der ORF Wien verfolgt: Integration und Identität als Themen ernst nehmen (über Diversität der Moderatorinnen und Moderatoren, Vielfalt der Inhalte, Sichtbar- und Hörbarmachen verschiedener Kulturen und Sprachen,…) und dies gleichzeitig über ein breit akzeptiertes Programmportfolio zu transportieren.
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Insgesamt lassen sich also zahlreiche positive volkswirtschaftliche Effekte auch eines kleinen, öffentlich-rechtlichen Regionalsenders benennen. Der ORF Wien ist von seinem Programm und seinem Businessmodell her gut aufgestellt, diese Effekte auch in Zukunft für den Wirtschafts- und Lebensstandort Wien induzieren zu können. Notwendig für diesen Public Value wird es allerdings sein, breite Präsenz in allen Mediengattungen - Fernsehen, Radio und Online - zu ermöglichen und weiterhin vielfältige Zielpublika anzusprechen. Der Public-Value-Bericht dokumentiert die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags und ist allen zugänglich - auf zukunft.ORF.at veröffentlicht.
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