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DIE INTELLEKTUELLE WERTSCHÖPFUNG DES ORF-FERNSEHENS

Von U n i v. - P r o f. D r . K a t h a r i n e S a r i k a k i s A o . U n i v. - P r o f. D r . F r i t z H a us j e l l I n s t i t u t f ü r P u b l i z i s t i k u n d K o m m u n i k a t i o n s w i ss e n s c h a f t d e r U n i v e r s i t ä t W i e n

zusammenfassung


DIE INTELLEKTUELLE WERTSCHÖPFUNG DES ORF-FERNSEHENS

Ziel dieser Studie ist es, die Frage nach dem Beitrag des ORF auf die intellektuelle Wertschöpfung der österreichischen Gesellschaft zu beantworten. Das Konzept der intellektuellen Wertschöpfung ist relativ neu, es umfasst jene Qualitäten, die sich im Laufe der Zeit und über die Achsen der strukturellen, personellen und Netzwerk-Ressourcen einer Organisation anhäufen. Wobei diese intellektuelle Wertschöpfung deutlich mehr als bloß die Summe der einzelnen Teile ausmacht. Im Falle des ORF ist die Kombination aus strukturellen Mitteln und hoch qualifiziertem Humankapital auf seinen umfangreichen Kooperationen mit der österreichischen Gesellschaft und – darüber hinaus – mit seinen europäischen Partnerorganisationen der öffentlich-rechtlichen Medien gebaut. Intellektuelle Wertschöpfung ist kumulativ und erfordert eine kontinuierliche Investition. Der Beitrag des ORF zur intellektuellen Wertschöpfung zeigt sich in drei Bereichen des Engagements und des Outputs seiner Arbeit, nämlich in seiner Aufmerksamkeit für die kulturelle Vielfalt, seinem Beitrag zur aktiven Gestaltung der selbstreflexiven Identität und in der innovativen Kreativität. Der ORF operiert im Einklang mit internationalen Normen und den Erwartungen der öffentlich-rechtlichen Medien. Insbesondere im Sinne des Public-Service-­ Broadcasting-Protokolls (dem Vertrag von Amsterdam) agiert der ORF als eine Institution öffentlichen Wertes im Leben der europäischen Gesellschaften, und im Sinne der UNESCO-Deklaration über die kulturelle Vielfalt übernimmt der ORF Verpflichtungen zum Schutz des Reichtums und der Entwicklung der sich stets weiter entfaltenden kulturellen Umgebung.


Neben der Analyse maßgeblicher Funktionen und Beiträge des ORF zur intellektuellen Wertschöpfung untersuchte die Studie drei charakteristische Fälle der ORF-Produktion in Hinblick auf das Genre, den Grad der Beteiligung der Öffentlichkeit, der Aktualität sowie der Langlebigkeit und sprach sowohl die langfristige Beständigkeit des Engagements als auch die Sensibilität für gesellschaftliche Bedürfnisse durch sozialen Wandel an. Fiktionale, nonfiktionale und Reality-TV-Programme konstruieren einen Kontext für die umfassende Bereitstellung von qualitativ hochwertigem, kritischem und anspruchsvollem Inhalt. Dadurch hat der ORF die Möglichkeit, sich weiterhin nahtlos zwischen anspruchsvollen Inhalten und populärer Unterhaltung zu bewegen, und stellt eine kulturelle Brücke zwischen Hochkultur und Populärkultur, zwischen „schwerer“ und „leichter“ Unterhaltung sowie Information und Bildung dar. Der ORF vermittelt auch zwischen bekannten und „weniger bekannten“ Welten sozialer Gruppen und leistet dadurch einen aktiven Beitrag zum sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft, die im Wandel begriffen ist. Mittels innovativer Kreativität, über Themen, Formate, Stile und Sichtweisen hinweg geht der ORF zuweilen Risken ein, überschreitet Grenzen der Bequemlichkeit der Sehgewohnheiten sowie Weltanschauungen und verbindet lokale Gemeinschaften mit der Welt. Es ist notwendig, dass der ORF in der Erbringung des Universaldienstes im Sinne der Selbst-Reflexion und Innovation sowie nach Maßgabe internationaler und europäischer Standards unterstützt wird, und dass es ihm ermöglicht wird, alle zur Verfügung stehenden Medientechnologien zu nutzen, um junge Zielgruppen zu erreichen, weiters historische und aufstrebende Randgruppen geichermaßen anzusprechen sowie die kreative Ökonomie des Landes zu fördern. Basierend auf der Literatur und empirischen Fallstudien macht das Projekt-­ Team die folgenden Beobachtungen und Empfehlungen: Kultur(en) Status: – Für den öffentlich-rechtlichen Sender ORF bedeutet intellektuelle Wertschöpfung die aktive Implementierung eines breiten Begriffs von Medien und Kultur. Die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist es, nicht nur die Eliten oder die Interessen der werbewirtschaftsrelevanten Zielgruppen anzusprechen, sondern die Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft. Kulturelle Vielfalt dient den vielfältigen Kulturen des Landes sowie Europas. Bedenkt man die europäischen Regulative und die internationalen Standards (zum Beispiel den Vertrag


von Amsterdam und die UNESCO-Deklaration über kulturelle Vielfalt), ist es besonders wichtig, dass das öffentlich-rechtliche Mediensystem eine wichtige und vorrangige Position in den europäischen Gesellschaften einnimmt. – Öffentlich-rechtliche Medien stellen einen öffentlichen Raum bzw. eine Öffentlichkeit für Bürger/innen bereit, um Demokratie, den Geist der Zusammenarbeit und der friedlichen Koexistenz zu befördern. Öffentlich-rechtliche Medien sind im Gegensatz zu kommerziellen Medien direkt mit den sozialen, demokratischen und kulturellen Interessen der Menschen verbunden. Intellektuelle Wertschöpfung bedeutet daher, die Kompetenzen der Bürger/innen zu fördern und zu stärken sowie zur Teilhabe an der Gesellschaft und zum Engagement für die Gesellschaft anzuregen, zu unterstützen und zu befähigen. Entwicklungsempfehlungen: – Intellektuelle Wertschöpfung kann am besten realisiert werden, wenn der ORF das gesamte Spektrum der Kulturen berücksichtigt, also Alltagskulturen ebenso thematisiert wie Hochkulturen, und Inhalte produziert, die von einer Vielzahl von Autorinnen und Autoren stammen und die gesamte Bandbreite der Kulturproduktion aus möglichst vielen Bereichen der „populären“ und „elitären“ Kulturen in möglichst verschiedenen Vermittlungsformaten präsentieren. – Der ORF sollte bestrebt sein, dieses Prinzip der universellen Repräsentation zu berücksichtigenn, wenn er Informations- UND Unterhaltungsprogramme gestaltet und sendet, um das gesamte Spektrum der kulturellen Vielfalt zu repräsentieren. – Um alle sozialen Schichten und alle Generationsgruppen zu erreichen sowie um eine relevante Informationsquelle zu bleiben, muss die Arbeit des ORF in Bezug auf Vielfalt unabhängig von ihrer Technologie (Fernsehen, Hörfunk und Onlinedienste) über alle relevanten Vertriebsformen geliefert werden und auf allen bedeutsamen Plattformen zugänglich sein. Damit öffentlich-rechtliche Medien diese Aufgaben erfüllen, sollten sie eine Plattform für Interaktion und öffentliche Kommunikation für alle Segmente der Gesellschaft sein. Deshalb müssen öffentlich-rechtliche Medien auch Social Media nutzen und darin partizipieren. – Der Staat und die Regulierungsbehörden sollten den ORF dabei stützen und es ihm ermöglichen, seine Verpflichtung zu erfüllen, Kinder und die jungen Generationen von Bürgerinnen und Bürgern durch digitale Technologien und


Formate zu erreichen, zu informieren und zu bilden. Damit wird ihre aktive Integration und der Aufbau ihres Bürger/innenbewusstseins unterstützt. Identitäten Status: – Der ORF liefert durch seine Unterhaltungs- und Informationsprogramme ein zeitgemäßes Verständnis von österreichischer Identitiät, in welchem sich das Publikum auf nationaler sowie auf regionaler Ebene in vielfältiger Weise und in unterschiedlichen Medialisierungen „wiederfinden“ kann. – Die Identität einer Gesellschaft wird durch ihr Verhältnis zur eigenen Geschichte in einem selbstreflexiven Prozess konstruiert. Dem intellektuellen Wertschöpfungsbeitrag des ORF kommt eine hohe Bedeutung bei der fiktionalen und nonfiktionalen Thematisierung von Geschichte und insbesondere der Zeitgeschichte des Landes zu. –Ö ffentlich-rechtliche Medien beziehen sich auf die Menschen in ihrer Rolle als Bürgerinnen und Bürger, das bildet die Hauptunterscheidung zu den kommerziellen Medien. Daher haben öffentlich-rechtliche Medien die Verant­ wortung, die gesellschaftliche Vielfalt in adäquater Weise zu reflektieren, d. h. insbesondere auf unterrepräsentierte soziale Gruppen zu achten, z. B. Menschen mit besonderen Bedürfnissen, benachteiligte Menschen und ­soziale Gruppen, die vom kommerziellen Standpunkt nicht „attraktiv“ sind, zu berücksichtigen. Entwicklungsempfehlungen: – Das öffentlich-rechtliche Mediensystem trägt zur Identitätsstiftung durch intellektuelle Wertschöpfung dann besonders gut bei, wenn es bei der Produktion der Inhalte dem Umstand des demografischen Wandels und der wachsenden kulturellen Vielfalt der österreichischen Gesellschaft Rechnung trägt. In diesem Sinne sollte der ORF in der etablierten Tradition der Programmproduktion weiterarbeiten, die hilft, die nationale Identität aufzubauen sowie zu hinterfragen. – Seit Mitte der 1990er Jahre ist Österreich Mitglied der Europäischen Union. Der ORF sollte daher weiterhin möglichst viel in die Schaffung intellektueller Wertschöpfung durch die Behandlung des Europäisierungsprozesses in möglichst vielen Programmangeboten investieren. Der ORF sollte für sein Pu-


blikum zudem seinen internationalen Rang und sein Ansehen innerhalb der öffentlichen Institutionen Europas und in der Europäischen Rundfunkunion (EBU) sichtbar machen. – Damit der ORF seine integrative Funktion erfüllen kann, muss er alle Segmente der Gesellschaft einschließen, etwa Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Deshalb sollte er sie sichtbar machen, indem er sie in Informations- und Unterhaltungsprogrammen präsentiert, weiters Programme für diese Gruppen zugänglich macht (Barrierefreiheit) und Initiativen für soziale Verantwortung weiterentwickelt. Innovative Kreativität Status: – Die Generierung intellektueller Wertschöpfung durch Innovation und Kreativität ist ein Prozess, der nicht in einzelnen Genres oder Aspekten der Kulturund Medienproduktion gefunden werden kann. Stattdessen findet sich intellektuelle Wertschöpfung im gesamten Prozess der Herstellung von fiktionalen, nonfiktionalen und Informationsprogrammen sowie in der Gestaltung der Erbringung und Nutzung des Humankapitals durch den ORF. – Intellektuelle Wertschöpfung bedeutet die laufende Förderung der bereits entwickelten Akteurinnen und Akteuren der Kreativwirtschaft (also z. B. Drehbuchautoren/-autorinnen, Regisseuren/Regisseurinnen und Schauspieler/innen) sowie die Suche nach Nachwuchstalenten. Entwicklungsempfehlungen: – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte im Sinne der intellektuellen Wertschöpfung als Katalysator des Kreativsektors einer Gesellschaft agieren und (ähnlich wie im Journalismus) eine Leuchtturm-Funktion in der konvergenten Medienwelt einnehmen. –D er ORF steht vor der Herausforderung „dekonstruktive Unterhaltung“ und „Genuss“. Dies bedeutet Unterhaltung, die dazu anregt, einen kritischen Zugang des Publikums zur eigenen sozialen Welt zu ermöglichen, in dem symbolische Räume für unterschiedliche soziale Gruppen erkennbar werden, beispielsweise Bedeutungen von medial erzählten Geschichten für das eigene Leben zu erkennen. Dies führt zu einem bedeutenden und einzigartigen Beitrag des ORF im Gegensatz zur Eskapismus-Unterhaltung, die das Publikum


nicht dazu anregt, Bedeutungen für das eigene Leben darin zu erkennen. Gesetzgebung und Regulierungsbehörden sollten die zusätzlichen Mittel bereitstellen, die für den ORF notwendig sind, um derartige Unterhaltungsangebote für junge Menschen aus allen sozialen Schichten zu entwickeln. – Des Weiteren sollte der ORF angehalten werden, seine technische und administrative Struktur in Bezug auf den Zugriff auf das ORF-Archiv zu verbessern, um so mehr Personen einen Zugang zu ORF-Produktionen ermöglichen. Eine solche Auseinandersetzung und Reflexion mit dem ORF-Programm ist besonders für marginalisierte sowie historisch marginalisierte Gruppen von besonderem Interesse und großer Bedeutung. – Der ORF sollte Veränderungen in Bezug auf Medientechnologien sowie sein Verständnis von Innovation vorantreiben. Daher hat der ORF eine spezielle Verpflichtung im Sinne der Medienkompetenz sowie den Möglichkeiten des Informations- und Wissensaustausches. – Um den Beitrag des intellektuellen Kapitals zu erhöhen, sollte der ORF aktive externe Partnerschaften und Kooperationen eingehen und damit die Qualität der Öffentlichkeit stimulieren und erhöhen.

Design-Konzept: Rosebud, Inc. / www.rosebud-inc.com

Druck: ORF-Druckerei Lektorat: Helmuth Singer

Herausgeber und Hersteller: Österreichischer Rundfunk, ORF Würzburggasse 30 1136 Wien

Design: ORF-Design / Nadja Hammer Für den Inhalt verantwortlich: ORF-Generaldirektion Public Value

1. Auflage, © ORF 2013 Reaktionen, Hinweise und Kritik bitte an: zukunft@ORF.at


Nach § 4a Abs. 5 ORF-G ist im Rahmen des Qualitätssicherungssystems zur Feststellung der Interessen der Hörer/innen und Seher/innen auf die Ergebnisse regelmäßig durchgeführter, repräsentativer Teilnehmer/innenbefragungen Bedacht zu nehmen. Dies passiert in der auf Vorschlag des Publikumsrats jährlich durchgeführten repräsentativen Teilnehmer/innenbefragung. Darüber hinaus beauftragt der ORF jeweils eine Jahresstudie, die sich auf einen besonderen Aspekt seines Leistungsumfangs und Funktionsauftrags bezieht. Dadurch soll eine vertiefende Evaluierung ermöglicht werden, die neben der Qualitätskontrolle auch eine zukunftsorientierte und praxisnahe Grundlage für die Programmarbeit ergibt. Zuletzt wurden im Rahmen der Jahresstudie die Themen „Medien und Migration“ (Hausjell 2009), „Jugend und Gesellschaftspolitik“ (Institut für Jugendkulturforschung 2010) sowie „Die Rolle öffentlich-rechtlicher Medien im Internet“ (Mayer-Schönberger, ­Oxford University 2011) erforscht. 2012 wurde das WIFO mit der Studie „Die volkswirtschaftlichen Effekte des ORF-Fernsehens“ beauftragt. Die Zusammenfassung liegt hier vor.


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