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GPS / SCHULUNG

SPRACHTRAINING ÜBER SPRACHE UND SPRECHEN IM ORF



INHALTSVERZEICHNIS

TEIL 1: ÜBER SPRACHE UND SPRECHEN IM ORF

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Wozu Sprechtraining? Deutsch – Hochdeutsch – Österreichisches Deutsch Welche „Sprache“ sprechen wir im ORF? Reine und gemäßigte Hochlautung

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Was soll trainiert werden? Die Ausbildung Stimmbildung Artikulation und Ausspracheregeln Präsentation Wer trainiert?

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Die Aussprachedatenbank Aussprache von Namen geografischer Natur Exonym vor Endonym Exonym vor Endonym, Endonym aber möglich Exonym und Endonym gleichwertig Endonym vor Exonym

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Rechtschreibung

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Sprachliche Gleichbehandlung Richtlinien für den ORF-internen sowie externen Sprachgebrauch

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TEIL 2: LEITFADEN „ANTIDISKRIMINIERENDE SPRACHE“

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Vorwort

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Begriffliche Ausgangspunkte Diskriminierung Gesellschaftlich-systematische Diskriminierung Antidiskriminierung

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Sprachhandlungen und Veränderung Was ist Sprache bzw. was sind Sprachhandlungen? Wie hängen Sprachhandlungen und Normierungen zusammen? Warum gehen Sprachhandlungen immer Entscheidungen voraus? Wie verändere ich meine Sprachhandlungen?

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Wenn ich Personen sprachlich benennen will, kann ich mir zuerst folgende Fragen stellen Wichtiges im Prozess der Kommunikation

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Argumentationshilfen für antidiskriminierende Sprache

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Literaturverzeichnis

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TEIL 3: BEHINDERUNG UND SPRACHE

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Die Behinderten, der/die Behinderte

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Menschen mit besonderen Bedürfnissen

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An den Rollstuhl gefesselt / an einer Behinderung leiden

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Handicap/gehandicapt

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Invalid

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Versehrt

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Geistige Behinderung / „Geisteskrankheit“

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Zwerg/Liliputaner

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Mongolismus

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Taubstumm

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„Füttern“

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Pflegefall, Schützling, Heiminsasse, Sorgenkind

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Mitleid

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Falsche Gegensatzpaare

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Klischees und Stereotype

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Heldinnen/Helden

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Abbildungen/Filmausschnitte

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Interview und Recherche mit behinderten Menschen

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Quellen

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TEIL 4: SPRECHTRAINING

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Atmung Was bewirken Atemübungen?

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Stimme Die Indifferenzlage Was bewirken Stimmübungen? Stimmlockerungsübungen Modulation Modulationsübungen mit einem Hexenspruch Stimmeinsätze Stimmabsätze Resonanz Raumakustik und Stimme Die Selbstorganisation der Stimme (Methode nach Gisela Rohmert) Selbstorganisationsübungen

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Stimmklänge

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Die Artikulation Was bewirken Artikulationsübungen? Ziele im Überblick Zungenbrecher Artikulationsübungen Das „Abspannen“ (nach Horst Coblenzer und Franz Muhar)

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Sprechtraining für Mediensprecher/innen Der Übertragungseffekt Betonen beim Textlesen Betonungsarten Betonungsregeln Pausen Hörerkontakt Sprechausdruck Persönliches Sprechen Aussprache in Hörfunk und Fernsehen

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Tipps für das Sprechen vor dem Mikrofon Allgemeine Tipps Tipps bei Versprechern Tipps vor dem Sprechen

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TEIL 5: HINWEISE ZUM UMGANG MIT FREMDSPRACHEN

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Italienisch

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Kroatisch

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Polnisch

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Portugiesisch

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Russisch

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Schwedisch

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Slowakisch

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Slowenisch

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Spanisch

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Tschechisch

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Ungarisch

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TEIL 6: IMMER WIEDER GEHÖRT – UND TROTZDEM FALSCH

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TEIL 1: ÜBER SPRACHE UND SPRECHEN IM ORF

TEIL 1: ÜBER SPRACHE UND SPRECHEN IM ORF von Haimo Godler

WOZU SPRECHTRAINING? Abgesehen vom Bild beim Fernsehen und von akustischen Gestaltungselementen ist das ausgesprochene Wort im elektronischen Medium Träger der Information, des Inhalts. Damit das Publikum – sowohl akustisch als auch intellektuell – versteht, was gesagt wird, müssen Aussprache, stimmlicher Klang und Wortdeutlichkeit gewissen Normen unterliegen. Diese Normen sind kein Selbstzweck, sondern sie sind die Voraussetzung für die geglückte Rezeption. Wir bilden im ORF keine Stars für die Bühnen aus. Es gibt in der Ausbildung und in der Praxis große Unterschiede zwischen mediengerechtem und bühnengerechtem Sprechen. Dazu nur ein Beispiel: Während mediengerechtes Sprechen in erster Linie der Inhaltsübermittlung dient, kommen auf der Bühne noch Kriterien wie zum Beispiel das Pathos dazu. Auf der Bühne sind also die emotionalen Komponenten wesentlich stärker ausgeprägt. Für sinnvolles Sprechtraining im ORF gilt jedenfalls: Es dient letztlich nicht dazu, die persönliche Ausdrucksweise eines/einer jeden Einzelnen zu „verschönern“ oder allfällige aussprachliche Besonderheiten bestenfalls zu kaschieren – im Gegenteil: Die Ausdrucksweise sollte stimmlich, artikulatorisch und sprachlich so frei und so persönlich wie möglich sein, weil dies die Authentizität des Gesagten unterstreicht. Dennoch müssen für die Verständlichkeit einige notwendige Regeln beachtet werden. DEUTSCH – HOCHDEUTSCH – ÖSTERREICHISCHES DEUTSCH Das österreichische Deutsch ist eine Varietät des Deutschen. Die sprachlichen Besonderheiten in Österreich sind dabei im gesamten Staatsbereich durchaus nicht homogen, wie die Unterschiede in Sprechweise und Vokabular in den Regionen deutlich machen. Selbst vermeintliche Austriazismen wie „Erdäpfel“ oder „Paradeiser“ werden keineswegs in ganz Österreich den Kartoffeln oder Tomaten vorgezogen, diese beiden Begriffe sind vielmehr nur in Ostösterreich mehrheitsfähig. WELCHE „SPRACHE“ SPRECHEN WIR IM ORF? Die Erwartung eines Großteils unseres Publikums – vor allem des älteren Publikums – ist da ganz eindeutig: Erwartet wird gepflegtes Deutsch mit österreichischer Klangfarbe und österreichischem Vokabular, insbesondere wo sich dieser Wortschatz vom „bundesdeutschen“ Vokabular unterscheidet. Für jüngere Publikumsschichten ist dieser Aspekt kaum relevant. Die Digital Natives haben ein anderes Medienverständnis, sie erwarten von den Medien zwar ebenso wie Ältere einen affirmierenden Sprachgebrauch; der äußert sich bei den Jüngeren aber nicht so sehr in der regionalen Zuordenbarkeit des Vokabulars, sondern eher in der Wortwahl an sich, wobei Fremdwörter weniger Kritik evozieren als beim älteren Publikum. Der Grund für die geringere Relevanz des Regionalen liegt im geänderten Medienkonsumverhalten des jüngeren Publikums. Österreichische Medien werden hier zwar nach wie vor wahrgenommen, mit den Möglichkeiten der digitalen Kommunikation werden die regionalen und

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damit die sprachlichen Grenzen aber ohne weitere Umstände überwunden. Wer zum Beispiel YouTube-Beiträge deutscher Provenienz konsumiert, übernimmt die dort gehörte Sprechweise als völlig normal und alltäglich. Das bedeutet für den ORF, dass Wortwahl, Sprachduktus, Sprechtempo etc. ebenso wie alle anderen Gestaltungselemente genau auf das Publikum der einzelnen Sendung zugeschnitten sein müssen. Dennoch: Sprache und Aussprache dürfen nicht in willkürlicher Beliebigkeit verwendet werden. Das Identitätsstiftende der ORF-Programme bleibt für uns Aufgabe und Herausforderung. REINE UND GEMÄSSIGTE HOCHLAUTUNG Siebs1 unterscheidet zwischen reiner und gemäßigter Hochlautung. Die reine Hochlautung gilt länderübergreifend für den gesamten deutschen Sprachraum und lässt keine Regionalismen zu. Sie wird in erster Linie auf der Bühne verwendet, im elektronischen Medium hingegen nur in ganz wenigen ausgewählten Formaten. Dazu zählen etwa literarische Texte, Fernseh- und Radiofeatures mit großem formalem oder künstlerischem Anspruch und gelegentlich auch die Promotion. Die gemäßigte Hochlautung hingegen lässt Regionalismen zu. Im Sinne der Identitätsstiftung, einer wesentlichen Aufgabe des ORF, wenden wir in der Programmgestaltung meist die gemäßigte Hochlautung mit jenen Ausnahmen an, die im Absatz ober genannt sind.

HOCHLAUTUNG

Zur Verdeutlichung, worin sich reine und gemäßigte Hochlautung unterscheiden, ein Beispiel:

rein

In der reinen Hochlautung wird die Nachsilbe „-ig“ am Wortende gerieben, also zu [-ich]; nicht, weil es „bundesdeutsch“ ist, sondern weil dies die Aussprachenorm in der reinen Hochlautung ist.

Abb. 1 2

gemäßigt (mit öst. und schweiz. Sonderheiten)

Alltagslautung

In der gemäßigten Hochlautung österreichischer Prägung hingegen bleibt die Nachsilbe „-ig“ am Wortende ungerieben, also [-ig]. Deshalb empfehle ich, im Allgemeinen beim [-ig] zu bleiben.

Konkret bedeutet das für die Arbeit im ORF: Das Wort „sonnig“ soll im Wetterbericht oder in einer Moderation als [sonnig] ausgesprochen werden, als Teil eines Originalzitats in einer Literatursendung jedoch als [sonnich]. Keine Regel ohne Ausnahmen: Die Nachsilbe „-ig“ bleibt bei Eigennamen auch in der reinen Hochlautung ein [-ig], also „Ludwig“ bleibt [Ludwig], „Venedig“ bleibt [Venedig] etc. Und außerdem: Steht „-ig“ zwar am Ende einer Silbe, nicht aber am Ende eines Wortes – zum Beispiel im Wort „Geschwindigkeit“, so kann in diesem Fall das „-ig-“ doch gerieben werden, also als [Geschwindichkeit].

1 Siebs. Deutsche Aussprache. Reine und gemäßigte Hochlautung mit Aussprachewörterbuch. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1969 2 Abb. 1: Siebs. Deutsche Aussprache. Reine und gemäßigte Hochlautung mit Aussprachewörterbuch. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1969, S. 8

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TEIL 1: ÜBER SPRACHE UND SPRECHEN IM ORF

WAS SOLL TRAINIERT WERDEN? DIE AUSBILDUNG ruht auf drei Säulen: • Stimmbildung • Artikulation und Ausspracheregeln • Präsentation STIMMBILDUNG Ziel der Stimmbildung ist die korrekte Produktion des Stimmklangs. Eine gut ausgebildete Stimme ist „gemischt“, das bedeutet, sie besteht aus Grund- und Oberton. Voraussetzung dafür ist ein im pathologischen Sinne gesunder Stimmapparat mit einwandfrei funktionierenden Stimmbändern und Stimmbandrändern, mit entzündungs- und ödemfreiem Kehlkopf, mit gut trainierter Atmung. Das Stimmbildungskonzept in unserem Haus geht auf Prof. Robert Casapiccola zurück, der bis zu seinem Tod im Jahr 2000 Generationen von ORF-Mitarbeitern/innen richtiges Atmen und stimmlichen Wohlklang beibrachte. ARTIKULATION UND AUSSPRACHEREGELN „Mit Artikulation (lat. articulare = deutlich aussprechen) bezeichnet man im linguistischen Sinne die Bildung der Phoneme und Wörter menschlicher Sprachen, also den motorischen Vorgang des Sprechens (…)“ Ziel der korrekten Artikulation ist die möglichst große Verständlichkeit des Gesprochenen. Und die Voraussetzung für dieses erforderliche Maß an Verständlichkeit ist nicht nur eine klare, saubere Aussprache, es kommt auch auf die Einhaltung der Aussprachregeln an. Hier geht es nicht um formale Zwänge oder gar um eine Einengung des persönlichen Ausdrucks, sondern um die Erfüllung der impliziten Erwartung des Publikums, dass Gleiches einheitlich und korrekt ausgesprochen wird. Abweichungen davon sind in erster Linie nicht deshalb schädlich, weil jemand „aus der Reihe tanzt“, sondern weil die Einheitlichkeit insbesondere bei neu auftretenden Begriffen und Namen das Verständnis überhaupt erst ermöglicht. PRÄSENTATION Damit ist – volkstümlich gesprochen – gemeint: „Wie komme ich zwischen die Ohren meines Publikums?“ Wie kann ich meinen Inhalt bestmöglich vermitteln? Wie wirken Satzmelodie, Tempo und Pausen auf der rhetorischen Ebene? Was bedeutet „Betonung“? WER TRAINIERT? Der ORF kann auf ein erfahrenes Team an Trainerinnen zurückgreifen: Barbara Bernhard, Gudrun Erath-Sandner, Anja Glüsing, Angelika Lang, Andrea Kloc-Radakovits, Helga Pedross, Susanne Rossouw-McGuinness, Mag.a Petra Rudolf, Mag.a Alexandra Schwendenwein, Nina Strehlein, Mareike Tiede.

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DIE AUSSPRACHEDATENBANK Die Aussprachedatenbank (http://adb.hr.cn.ard.de/adbmain.jsp) ist ein gemeinsames Projekt der ARD, des ORF, des Schweizer Radios und der RAI Südtirol. Redaktion, Organisation und Umsetzung liegen beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main. Den sprachlichen Besonderheiten der nicht-deutschen Regionen werden in der Aussprachedatenbank (ADB) besondere Augenmerke geschenkt. Wo immer bekannt, sind die österreichischen, schweizerischen und Südtiroler Sprachbesonderheiten extra angegeben, und zwar stets in schriftlicher und akustischer Form. Darüber hinaus gibt es in der ADB etliche hundert spezifisch österreichische geografische Begriffe, die mit einer österreichischen Stimme (von Mag. Herbert Slavik) aufgenommen wurden. Findet sich ein gesuchter Begriff nicht in der ADB, so kann man direkt auf der Website einen Rechercheauftrag erteilen, der üblicherweise in kurzer Zeit bearbeitet und erfüllt wird, inklusive Verständigung, sobald das Ergebnis vorliegt. Die ADB gibt es übrigens auch für mobile Endgeräte: einfach unter https://adbmobile.hr-online. de/adbmobile/mobile/html/registration.html anmelden.

AUSSPRACHE VON NAMEN GEOGRAFISCHER NATUR Welcher Name – der landesübliche (Endonym) oder der deutschsprachige (Exonym) – für geografische Begriffe verwendet wird, führt bei einem gewissen Publikumssegment regelmäßig zu (teilweise heftigen) Reaktionen. Damit oft verbundenen politischen Absichten ist selbstverständlich nicht nachzugeben. Es ist aber ebenso selbstverständlich, das Thema möglichst sensibel zu behandeln und zu versuchen, die Wortwahl nach nachvollziehbaren Kriterien anzuwenden, die im Folgenden zusammengefasst sind. Hauptkriterium ist die Verständlichkeit, das heißt die Orientierung am üblichen Sprachgebrauch. EXONYM VOR ENDONYM So gut wie ausschließlich mit dem deutschsprachigen Namen genannt werden im deutschösterreichischen Sprachgebrauch zum Beispiel:

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Athen (Athína) Belgrad (Beograd) Bozen (Bolzano) Brünn (Brno) Brüssel (Bruxelles) Budweis (České Budějovice) Bukarest (Bucureşti) Den Haag (‘s-Gravenhage) Genf (Genève) Genfer See (Lac Léman) Kapstadt (Kaapstad) Karlsbad (Karlovy Vary) Kattowitz (Katowice) Kopenhagen (København)

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Krakau (Krakow) Krummau (Český Krumlov) Lombardei (Lombardia) Mailand (Milano) Mantua (Mantova) Moldau (Vltava) Moskau (Moskva) Neiße (Nisa) Nizza (Nice) Olmütz (Olomouc) Padua (Padova) Paris (Pari’) Peking (Beijing) Pilsen (Plzeň)

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TEIL 1: ÜBER SPRACHE UND SPRECHEN IM ORF

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Prag (Praha) Rom (Roma) Straßburg (Strasbourg) Venedig (Venezia)

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Victoriasee (Sango) Warschau (Warszawa) Weichsel (Wisła) Znaim (Znojmo)

EXONYM VOR ENDONYM, ENDONYM ABER MÖGLICH In Fällen, in denen der deutschsprachige Name zwar der hierzulande gebräuchlichere ist, der Name in der Landessprache aber ebenfalls weitgehend verstanden wird, ist die deutsche Bezeichnung vorzuziehen. Das schließt aber die Nennung in der Landessprache nicht aus. • Breslau (Wrocław) • Danzig (Gdańsk) • Posen (Poznań) EXONYM UND ENDONYM GLEICHWERTIG Bei Orten, bei denen der (einstige) deutschsprachige Name zwar auch nicht unbedingt mit breitem, genauerem Wissen über Lage etc. verbunden ist, aber zumindest ein gewisses „Schon einmal gehört“ vermittelt, ist es sinnvoll, beide Begriffe zu verwenden (erst recht natürlich in historischem Bezug), zum Beispiel: • „Braşov, das ehemalige Kronstadt“ • „Cluj-Napoca, das ehemalige Klausenburg“ • „Sibiu, zu Deutsch Hermannstadt“ • „L’vov, das einstige Lemberg“ (manchmal auch L’wiw) • „Cernovcy, das einstige Tschernowitz“ ENDONYM VOR EXONYM Bei einem historischen Konnex können natürlich beide Namen verwendet werden: (Bratislava/ Pressburg, Maribor/Marburg).

RECHTSCHREIBUNG

• Bratislava • Gorica • Lago Maggiore • Ljubljana • Maribor • Scuol

• Sion • Sopron • Split • Szombathely • Zadar • Zagreb usw.

Wir verwenden im Haus zur internen und externen Kommunikation die neue Rechtschreibung. Ergänzend dazu gibt es eine Liste mit Rechtschreibfestlegungen, die unter http://orfin/Service%20Abteilungen/GPSSchulung/SiteAssets/Seiten/Sprache-und-Sprechen/Adaptierte%20Agenturwortliste.docx abrufbar ist.

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SPRACHLICHE GLEICHBEHANDLUNG In Hinblick auf Fragen der Gleichbehandlung kommt dem Thema der „Sprachlichen Gleichbehandlung“ im ORF ein besonderer Stellenwert zu. Es gilt bindend eine entsprechende Richtlinie für den ORF-internen Sprachgebrauch, deren Umsetzung auch im redaktionellen Alltag nachdrücklich empfohlen ist. RICHTLINIEN FÜR DEN ORF-INTERNEN SOWIE EXTERNEN SPRACHGEBRAUCH Frauen und Männer im Sprachgebrauch gleichermaßen sichtbar zu machen, ist nicht nur bereits geübte Kunst im ORF-internen Sprachgebrauch (Programmrichtlinien, Stellenausschreibungen u. a. m.), sondern auch ein wichtiges Signal in der externen Kommunikation (Geschäftsbericht, Pressetexte, kundendienst.ORF.at etc.) und gewinnt zunehmend an Bedeutung in der Gestaltung aller ORF-Produkte, aller Radio- und Fernsehformate, im ORF TELETEXT und auf ORF.at. Sensibler Sprachgebrauch unter Berücksichtigung von Frauen und Männern hat speziell im ORF als einem Dienstleistungsunternehmen, das einer breiten Öffentlichkeit – mit überwiegendem Frauenanteil – verpflichtet ist, einen hohen Stellenwert. Mit den möglichen Varianten einer Schreibweise, die Frauen und Männer – als physische Personen und nicht etwa als juristische – sprachlich gleichermaßen berücksichtigt, hat sich im Auftrag der Gleichbehandlungskommission eine ORF-Rechtschreibkommission befasst und klare Richtlinien erarbeitet. Nach diesen Richtlinien gilt: Ist vom Allgemeinen die Rede, erfüllen • die Formen der Aufzählung (Redakteurinnen und Redakteure, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etc.) und • der Umschreibung (das Fachgremium, die Redaktion, die Belegschaft etc.) die Anforderungen gendergerechter Schreibweise. • Kann oder will man diese beiden Varianten nicht verwenden, bietet sich die Verwendung des Schrägstrichs an (Redakteur/in, Mitarbeiter/in etc.). Diese Form ist grammatisch immer möglich, außer bei Beugungen der Stammform (zum Beispiel Bauer und Bäuerin). Nach dem Schrägstrich wird kein Bindestrich gesetzt. Die Verwendung des Binnen-I (RedakteurIn, MitarbeiterIn etc.) ist zwar gebräuchlich, aber nicht regelkonform und daher nicht für die ORF-Kommunikation nach außen geeignet. Für Beiträge/Moderation im Hörfunk gelten Aufzählung oder Umschreibung. Für Fernsehbeiträge/-moderation gilt dasselbe mit folgender Ausnahme: Verhindert die Länge bei Inserts (zum Beispiel Demonstrationen von Ärztinnen und Ärzten) den gendergerechten Gebrauch, dann ist sowohl der ausschließliche Gebrauch der femininen wie auch der maskulinen Form zulässig. Abgesehen von der Verwendung des nicht regelkonformen Binnen-I ist auch die Verwendung von Kreationen wie „Frauschaft“ (statt Mannschaft) und „frau“ (statt man) im ORF-Sprachgebrauch auszuschließen.

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TEIL 1: ÜBER SPRACHE UND SPRECHEN IM ORF

Für die Beantwortung von Fragen in Zusammenhang mit den Richtlinien der Rechtschreibkommission für einen sowohl internen wie externen gendergerechten ORF-Sprachgebrauch stehen die Gleichstellungsbeauftragten • Doris Fennes-Wagner (doris.fennes-wagner@orf.at) Klappe: 27285 • Mag. Claus Pirschner (claus.pirschner@orf.at) Klappe: 16441 und • Mag.a Katia Rössner-Kröll (katia.roessner@orf.at) Klappe: 13354 gerne zur Verfügung. Weitere Überlegungen zum Thema „Antidiskriminierende Sprache“ folgen im Teil 2.

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TEIL 2: LEITFADEN „ANTIDISKRIMINIERENDE SPRACHE“

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TEIL 2: LEITFADEN „ANTIDISKRIMINIERENDE SPRACHE“ von Claudia Czesch Claudia Czesch ist Leitende Redakteurin bei FM4

VORWORT Chancengleichheit zu gewährleisten stellt einen wesentlichen Teil der Wertehaltung im ORF dar (siehe ORF Gleichstellungsplan, September 2012, Punkt 2.1. ff) Die Gleichstellung der Geschlechter wird nicht nur als Ziel, sondern als Selbstverständlichkeit erachtet. Ein wesentliches Element in diesem Prozess ist die Verwendung geschlechtergerechter Sprache als antidiskriminierende Praxis. Dadurch wird der Versuch unternommen, möglichst alle Personen zu benennen, anzusprechen und sich auf sie zu beziehen, so dass sie sich gemeint fühlen können. Der vorliegende Leitfaden soll vertiefend informieren über Bedeutung und Wirkungsweise von Sprache. Das Ziel ist die Entwicklung sprachlicher Sensibilität, damit einhergehend eine erhöhte soziale Kompetenz und Aufmerksamkeit sowohl gegenüber sprachlichen Stereotypen als auch gegenüber benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen. Der Leitfaden gibt aber, vor allem, einen Anstoß zum Nachdenken über die unterschiedlichen Formen von Sprachgebrauch und die darin verwobenen gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Der Leitfaden will zu einem kreativen Umgang mit Sprache anregen.

BEGRIFFLICHE AUSGANGSPUNKTE DISKRIMINIERUNG bedeutet effektive Schlechterstellung, das heißt, jemanden auf Basis einer Machtasymmetrie in einer schlechteren Position zu halten oder in eine solche zu bringen. GESELLSCHAFTLICH-SYSTEMATISCHE DISKRIMINIERUNG meint effektive Schlechterstellung von Menschen aufgrund von Hautfarbe, Behinderung, Alter, Geschlecht, Religionszugehörigkeit, Nationalität, sexueller Orientierung und von Menschen, die nicht der normierten Geschlechterkategorie Mann/Frau entsprechen. ANTIDISKRIMINIERUNG umfasst alle Maßnahmen, die gegen Diskriminierungen im Allgemeinen und gegen gesellschaftlich-systematische Diskriminierungen im Besonderen im Sinne einer gesellschaftlichen Gleichstellung wirken.

SPRACHHANDLUNGEN UND VERÄNDERUNG WAS IST SPRACHE BZW. WAS SIND SPRACHHANDLUNGEN? Sprache ist kein bloßes Kommunikationsmedium, das auf neutrale Weise Informationen transportiert, sondern eine konkrete Handlungsform. Über Sprache bzw. Sprachhandlungen wird Wirklichkeit geschaffen. Das passiert zum Beispiel dadurch, dass mit einzelnen Wörtern, Sätzen,

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TEIL 2: LEITFADEN „ANTIDISKRIMINIERENDE SPRACHE“

Phrasen, Texten oder (Sprach-)Bildern immer ganz bestimmte Dinge assoziiert werden. Sprachhandlungen sind damit nie neutral. WIE HÄNGEN SPRACHHANDLUNGEN UND NORMIERUNGEN ZUSAMMEN? Mit Sprachhandlungen werden automatisch (bewusst oder unbewusst) soziale Normen aufgerufen, über die sich Gesellschaften konstituieren und die so alltägliches Denken und Handeln beeinflussen. Das heißt, über Sprachhandlungen finden Normierungsprozesse statt. Sie manifestieren sich zum Beispiel in grammatikalischen Regeln, Stellenausschreibungen, Interviews, Lexika und Sprachleitfäden wie diesem, um nur einige Beispiele zu nennen. Sprachhandlungen orientieren sich vielfach an den Maßstäben, die in der Gesellschaft als „normal“ gelten, zum Beispiel in Bezug auf Menschen mit der Norm: männlich, weiß, nichtbehindert, heterosexuell. Diese Norm der Bezugnahme ist zudem zumeist nicht explizit benannt, was ihre unhinterfragte Normalstellung nur noch weiter verfestigt. Auf diese Weise werden gesellschaftliche Machtverhältnisse reproduziert und bestätigt. In diesen Fällen bleiben Personen, die jenseits der Norm positioniert werden, unsichtbar bzw. werden nicht wahrgenommen. WARUM GEHEN SPRACHHANDLUNGEN IMMER ENTSCHEIDUNGEN VORAUS? Bestimmten Sprachhandlungen gehen immer auch bestimmte Entscheidungen voraus: Welche Personen benenne ich? Welche Sprachformen benutze ich dafür? Was bleibt ungesagt? Sprache ist damit eine Handlung, die ich selbst festlegen und beeinflussen kann. Ich kann meine eigene Sprache hinterfragen und verändern. Das bedeutet gleichzeitig: Auch wenn ich schweige, handle ich und treffe eine Entscheidung. Wenn ich zum Beispiel weghöre und wegsehe, wenn ich mich nicht traue, gegen Diskriminierungen zu intervenieren, wenn ich hoffe, dass andere nichts gehört haben, wenn ich mein Unwohlsein mit sprachlichen Interaktionen runterschlucke, wenn ich verdränge und nicht wahrhaben will. WIE VERÄNDERE ICH MEINE SPRACHHANDLUNGEN? Sprachhandlungen schaffen und bestätigen gesellschaftliche Normen und Werthaltungen – fordern diese jedoch gleichzeitig auch heraus. Auf diese Weise tragen Veränderungen von Sprachhandlungen zu gesellschaftlichem Wandel bei, sind aber nicht immer und nicht in jedem Kontext möglich. Manche Sprachhandlungen lassen sich einfach verändern, bei anderen ist es schwieriger. Für manche braucht es Verbündete, wie um zum Beispiel im Arbeitsumfeld gemeinsam darauf zu achten, dass keine rassistischen Diskriminierungen reproduziert und damit anwesende (und auch nicht anwesende) Personen verletzt werden. Für andere muss die eigene Wahrnehmung sensibilisiert und erweitert werden, um zum Beispiel gehbehinderte Personen nicht mit der allgemeinen Aufforderung zu diskriminieren, bei der persönlichen Vorstellung aufzustehen. Sich Sprache kritisch und reflektierend als Handlungsdimension anzueignen, ist nie abgeschlossen. Es gibt nicht DIE nicht-diskriminierende Sprache. Es ist vielmehr notwendig, sich kontinuierlich mit diskriminierenden Sprachhandlungen zu beschäftigen und den eigenen Sprachgebrauch zu verändern. Wenn ich anfange, mich mit Sprachhandlungen und Diskriminierungen zu beschäftigen, merke ich, wie ich herausgefordert werde. Mir wird bewusst, wie ich selbst durch auch sprachlich hergestellte Vorstellungen und Handlungen konstituiert bin. Ich lerne, wie stark auch ich in meinen Vorstellungen normalisiert bin und dadurch auch reproduziere. Gleichzeitig erlebe ich, wie spannend es ist, neue Handlungsmöglichkeiten auszuprobieren.

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WENN ICH PERSONEN SPRACHLICH BENENNEN WILL, KANN ICH MIR ZUERST FOLGENDE FRAGEN STELLEN: • Will ich, dass möglichst viele Personen mit möglichst vielen unterschiedlichen Positionierungen durch meine Sprachhandlungen angesprochen werden? • Will ich die antidiskriminierenden Selbstbenennungen von Personen auch in meinen sprachlichen Bezugnahmen auf diese respektieren, zum Beispiel Afro-Österreicher_in? • Welche Personen spreche ich mit meinem Beitrag an? Adressiere ich konkrete Personen, will ich Personengruppen differenziert nach ihrer spezifischen Diskriminierung benennen oder eine möglichst große Gruppe? Wann sind diese Merkmale relevant, wann nicht? • Wie kann ich es vermeiden, dass Personen durch universalisierende Ausdrucksweisen diskriminiert werden? Wie fühlen sich beispielsweise muslimische oder nicht-christliche Personen, wenn ich ihnen „Frohe Weihnachten“ wünsche – statt zum Beispiel „Schöne Feiertage“? WICHTIGES IM PROZESS DER KOMMUNIKATION • Sprachliche Formen so wählen, dass sich möglichst viele Personen mit möglichst unterschiedlichen Positionierungen angesprochen fühlen können. • Keine generalisierenden Formen benutzen, die exklusive Kategorien und Assoziationen aufrufen. „Wir“-Formen möglichst auflösen bzw. konkretisieren. • Die Selbstbenennungen von Personen müssen respektiert werden. • Personen nicht über Positionierungen und Eigenschaften benennen, die in einer bestimmten Situation nicht relevant sind. (Beispiel: Die gehörlose Abgeordnete hat beim Parteitag einen Antrag eingebracht, ...)

ARGUMENTATIONSHILFEN FÜR ANTIDISKRIMINIERENDE SPRACHE Im Folgenden werden Einwände genannt, die häufig gegen geschlechtergerechte Sprache und antidiskriminierende Sprachhandlungen vorgebracht werden. Darunter befinden sich jeweils Argumentationen, die diese Einwände auf unterschiedliche Art und Weise entkräften. Einwand: Diese geschlechtergerechte Sprache macht alle Texte so lang, die Formen sind alle total aufgebläht. Gegenargument: Es ist oft nur eine Frage der Kreativität, Begriffe und Phrasen antidiskriminierend umzuformulieren. Ganz einfach kann zum Beispiel aus „die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Parteitags“ „Alle, die am Parteitag teilnehmen“ werden. Einwand: Ich brauche keine geschlechtergerechte Sprache. Ich fühle mich auch bei männlichen Formen mitgemeint, ich habe kein Problem damit. Gegenargument: Eine Studie von Gygax et al. (2008) zeigt, dass bei Verwendung männlicher Sprache tatsächlich zuerst Assoziationen mit männlichen Personen geweckt werden, und zwar durchgängig und unabhängig von anderen Geschlechterstereotypen. Nicht nur bei prototypisch männlich konnotierten Berufen hatten die Versuchspersonen in der Studie bei der Verwendung der männlichen Form Männer vor Augen. Auch bei sogenannten „Frauenberufen“ wurden bei der Verwendung der männlichen Form Männer assoziiert. Es ist also keineswegs so, dass Frauen „mitgedacht“ werden, wenn nur die männliche Form verwendet wird. Einwand: Warum beschäftigt Ihr Euch denn mit so Sprachzeugs. Habt Ihr sonst keine Probleme? Gegenargument: Gerade beim Thema Sprache werden „unsere Probleme“ besonders deutlich sichtbar bzw. bleiben unsichtbar. Die sprachlichen Ausschlüsse und das Nicht-WahrnehmbarSein bedeuten ständige Verletzungen für Menschen, die übergangen, ausgeblendet, kategorisiert und umdefiniert werden, jedoch sehr wohl das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an

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TEIL 2: LEITFADEN „ANTIDISKRIMINIERENDE SPRACHE“

dieser Gesellschaft haben, auch sprachlich. Einwand: Ist denn das wissenschaftlich alles überhaupt bestätigt? Gegenargument: Ja, ist es. Aber: Es geht hier vor allem um einen respektvollen und verantwortungsvollen Umgang mit eigenen Sprachhandlungen und nicht darum, „Beweise“ zu finden, dass Sprachhandlungen diskriminierend sind und Machtverhältnisse ständig reproduziert werden. Hegemoniale Wissenschaft ist selbst Ausdruck dieser diskriminierenden Handlungen und Denkweisen (vgl. Kilomba 2008). Einwand: Das ist ein feststehender Begriff, den kann ich doch nicht einfach so verändern! Das ist doch dann nicht mehr juristisch richtig. Der „Duden“ hat bestimmt Recht und „Google“ ist auch meiner Meinung. Gegenargument: Die juristischen Begriffe sowie auch die Produktpalette des Dudens und Google-Ergebnisse sind nicht einfach schon da, sondern wurden und werden in hierarchi-schen Diskursen von Menschen gesetzt. Gerade dadurch und deshalb, weil ihre Autorisierung so selten herausgefordert und in Frage gestellt wird, können diskriminierende Handlungen und Denkweisen durch die Beibehaltung sogenannter „feststehender“ Begriffe machtvoll und ungebrochen reproduziert werden. Einwand: Ich finde das ja eigentlich ganz gut, aber meine Vorgesetzte/mein Vorgesetzter hält nichts von antidiskriminierender Sprache. Ich habe Angst, mich lächerlich zu machen. Gegenargument: Auch hier gilt wieder: Verbündete suchen, Diskussionen anregen, argumentieren. Und wie schon oben gesagt wurde – es gibt immer wieder Situationen, in denen es auf Grund ungleicher Macht- und Statusverhältnisse schwierig ist, antidiskriminierend zu handeln. Davon nicht entmutigen lassen! Einwand: Das geht mich doch alles gar nichts an. Weshalb sollte ich meine Sprachhandlungen ändern? Gegenargument: Fakt ist, dass wir immer Teil sind und uns darum Sachen etwas angehen, wir Umstände und Verhältnisse mitbestimmen, egal ob wir aktiv eingreifen oder lieber schweigend zusehen.

LITERATURVERZEICHNIS • Braun, Friederike; Oelkers, Susanne; Rogalski, Karin; Bosak, Janine; Sczesny, Sabine: „Aus Gründen der Verständlichkeit ...“: Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten: Psychologische Rundschau. Göttingen, Band 58 (2007) Heft 3, S. 183-189. • Gygax, Pascal Mark; Gabriel, Ute; Sarrasin, Oriane; Oakhill, Jane; Garnham, Alan: Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all men. In: Language and cognitive processes. Hove: Psychology Press, Band 23 (2008), Heft 3, S. 464-485. • hornscheidt, lann: feministische w_orte: ein lern-, denk- und handlungsbuch zu sprache und diskriminierung, gender studies und feministischer linguistik. Frankfurt/M.: Brandes & Apsel, 2012. • Kilomba, Grada: Plantation memories: Episodes of Everyday Racism. Münster: UNRAST-Verlag, 2008. • Kusterle, Karin: Die Macht von Sprachformen: Der Zusammenhang von Sprache, Denken und Genderwahrnehmung. Frankfurt/M.: Brandes & Apsel, 2011. • Nduka-Agwu, Adibeli; Hornscheidt, Antje Lann (Hrsg.): Rassismus auf gut Deutsch: Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen. Frankfurt/M.: Brandes & Apsel, 2010. • Pusch, Luise F.: Das Deutsche als Männersprache. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1984. • Stahlberg, Dagmar; Sczesny, Sabine: Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. In: Psychologische Rundschau. Göttingen, Band 52 (2001) Heft 3, S. 131-140.

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TEIL 3: BEHINDERUNG UND SPRACHE

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TEIL 3: BEHINDERUNG UND SPRACHE von Marianne Waldhäusl in Zusammenarbeit mit Mag. Manfred Fischer, freier Journalist, ÖZIV-Bundesvorstand

Behinderter? Behinderter Mensch? Mensch mit Beeinträchtigungen? Wie sage ich es? Regelmäßig werden neue Formulierungen vorgeschlagen, kursieren und verflüchtigen sich wieder. Neue Wortschöpfungen nehmen auf Dauer aber die negative Bedeutung ihres VorgängerAusdrucks an, solange sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht ändern. Diskriminierende Einstellungen ändern sich also nicht einfach durch die Umbenennung4. Hinter der verwendeten Sprache „verbergen“ sich Gedanken, Vorurteile und Einstellungen, und bestimmte Ausdrücke werden von behinderten Menschen als abwertend oder diskriminierend empfunden. Deshalb gilt es Sprache mit Gefühl einzusetzen. Eine Reihe von Artikeln, Büchern und Beiträgen im Internet befassen sich ausführlich mit dem Thema. Hier einige Vorschläge und Anregungen zu den gängigsten Ausdrücken:5

DIE BEHINDERTEN, DER/DIE BEHINDERTE

behinderter Mensch / Mensch mit Behinderung, behinderte Frau / behinderter Autofahrer / Mensch mit Beeinträchtigung … „Der/die Behinderte“ reduziert die Person auf ein Merkmal, das alle anderen Eigenschaften dominiert. Das ist auch so, wenn von „den Blinden“, „dem Spastiker“ oder „der Amputierten“ die Rede ist (Zum Vergleich: „Eine Frau mit blondem Haar“ lässt andere Assoziationen entstehen als „die Blondine“). Behinderte Menschen wollen nicht über ihre körperliche Eigenart definiert werden. Sie sind Menschen, mit einem Namen, einer persönlichen Geschichte. Viele Betroffene plädieren für die Bezeichnungen „behinderte Menschen“ oder „Menschen mit Behinderungen“, weil diese das „behindert sein“ wie auch das „behindert werden“ gleichermaßen ausdrücken und unterstreichen, dass eine Behinderung nicht den ganzen Menschen ausmacht6. Viele Betroffene meinen, die Bezeichnungen „Behinderung“ und „behindert“ seien zu Unrecht in Verruf gekommen, denn sie könnten auf vielfältige, auch nicht diskriminierende Arten gelesen werden. Wichtig sei aber, dass der Mensch im Mittelpunkt steht und dass „behindert sein“ nur eine Eigenschaft von vielen ausmacht. Sie soll in der Benennung nicht dominieren.

MENSCHEN MIT BESONDEREN BEDÜRFNISSEN

behinderter Mensch / Mensch mit Behinderung, behinderte Frau / behinderter Autofahrer / Mensch mit Beeinträchtigung … Damit wird ein Mangel bzw. ein Defekt über die Person hinaus stilisiert und erdrückt deren individuelle Fähigkeiten. Jeder Mensch hat „Bedürfnisse“. Die Bedürfnisse eines behinderten Menschen sind nicht besonders. Was ist besonders daran, aufs Klo gehen zu müssen oder in ein Geschäft gehen zu wollen – eben auf eine Behindertentoilette oder stufenlos. Trotzdem hat die Formulierung in Zusammenhang mit behinderten Menschen sogar Einzug in Gesetzestexte (z.B. NÖ Sozialhilfegesetz) gehalten, obwohl sie behinderte Menschen ablehnen. 4 Ulla Fix, Institut für Germanistik der Uni Leipzig 5 Rot geschriebene Wort sind zu vermeiden, grüne geschriebene Worte sind Alternativvorschläge. 6 Martin Ladstätter, Bizeps; Klaus Voget, ÖZIV

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TEIL 3: BEHINDERUNG UND SPRACHE

AN DEN ROLLSTUHL GEFESSELT / AN EINER BEHINDERUNG LEIDEN einen Rollstuhl benützen

An einer Behinderung leiden, an den Rollstuhl gefesselt sein, hilfsbedürftig sein – solche Redewendungen sind zu vermeiden, da sie oft fälschlicher Weise Leid implizieren. So bedeutet z.B. das Verwenden eines Rollstuhls genau das Gegenteil von „gefesselt sein“, denn der Rollstuhl bringt selbstständige Mobilität und Beweglichkeit.

HANDICAP/GEHANDICAPT Im deutschen Sprachraum wird das Wort oft als Ersatz für „behindert“ eingesetzt. Dabei wird aber auf die soziale Bedeutung, die das Wort enthält, verzichtet (man wird von der Umwelt behindert, nicht vom Körper; siehe oben). „Handicap“ kommt aus dem britischen und angloamerikanischen Sprachraum. Dort wird es kaum mehr verwendet, weil es an „cap-in-hand“ und damit an die Verknüpfung von Behinderung und „Betteln“ erinnert.

INVALID Invalid bedeutet im ursprünglichen Sinn die Verneinung (in-) des lateinischen Wortes „validus“: Stark, kräftig, gesund. Die Bezeichnung „die Invaliden“ ist, so wie „die Versehrten“ ein veralteter Ausdruck für behinderte Menschen. Das Wort kommt heute noch in diversen Bezeichnungen wie „Zivilinvalidenverband“, „Invalidenpension“ oder „Invalidität“ vor, die aber zu vermeiden gesucht werden.

VERSEHRT Versehrt bedeutet eigentlich „verwundet“. Vor dem 1. Weltkrieg wurden Menschen, die im Krieg ohne eigene Schuld verletzt wurden, als „Versehrte“ bezeichnet. Heute ist das Wort antiquiert – nach 60 Jahren Frieden in Österreich sind nur mehr sehr wenige Menschen tatsächlich (Kriegs-) Versehrte. Im Sprachgebrauch ist das Wort dennoch bisweilen in Verwendung, z.B. als Versehrten-WC oder Versehrtensport oder in der Unfallversicherung, wo es noch den Terminus „Versehrtenrente“ gibt. Im ORF wurden 2012 alle Schilder, die zum „Versehrten-WC“ führten, abmontiert.

GEISTIGE BEHINDERUNG / „GEISTESKRANKHEIT“

Menschen mit Lernschwierigkeiten, Menschen mit Lernschwächen, Menschen mit mentaler Behinderung Während der Begriff „Geisteskrankheit“ als obsolet gilt, ist der Begriff „geistige Behinderung” umstritten. Vielen gilt er nach wie vor als neutrale Bezeichnung für Menschen, die Probleme mit dem Lernen und Schwierigkeiten haben, abstrakte Dinge schnell zu verstehen. Die davon selbst betroffenen Menschen lehnen den Begriff „geistige Behinderung“ aber ab und nennen sich lieber „Menschen mit Lernschwierigkeiten“. Sie finden, dass nicht ihr „Geist” behindert ist, und dass „geistige Behinderung” sie als ganzen Menschen schlecht darstellt.

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ZWERG/LILIPUTANER kleinwüchsige Menschen

Liliputaner sind Fabelwesen aus „Gullivers Reisen“. Es gibt sie genau so wenig wie die sieben Zwerge. Menschen mit geringer Körpergröße sind nicht weniger intelligent und auch nicht „ewige Kinder“.

MONGOLISMUS

Menschen mit Down-Syndrom oder Trisomie 21 Der Begriff „Mongolismus“ entstand um 1866, weil der englische Arzt John Langdon Down Menschen mit Down-Syndrom mit Mongolen verglich. Down glaubte, dass das Syndrom eine Rückverwandlung in einen „primitiven Rassetypen“ darstellt – diskriminierend und medizinisch nicht haltbar.

TAUBSTUMM gehörlos

Taubstumm wird von gehörlosen Menschen als diskriminierend empfunden, da der Ausdruck suggeriert, dass gehörlose Menschen stumm sind. Gehörlose Menschen können sehr wohl sprechen, aber nicht hören, was sie sprechen. Sie haben ihre eigene Sprache – die Gebärdensprache (NICHT: Zeichensprache), die in der österreichischen Verfassung als Minderheitensprache anerkannt ist. Taub ist eine Zustandsbeschreibung für Gefühllosigkeit im eigentlichen und im übertragenen Sinn („taube Finger“). Richtiger ist es, von Gehörlosigkeit zu sprechen. Behindertenverbände plädieren daher auch für eine Umbenennung der „Taubstummengasse“ im 4. Bezirk. Gehörlose Menschen sind keineswegs stumm: Sie können sprechen und sind eben Angehörige einer Sprachminderheit.

„FÜTTERN“

Essen eingeben, Assistenz beim Essen „Füttern“ erinnert an den Umgang mit Tieren und sollte unbedingt vermieden werden.

PFLEGEFALL, SCHÜTZLING, HEIMINSASSE, SORGENKIND Hat einen hohen Bedarf an Pflege, pflegebedürftige Person/Menschen

Wenn jemand Pflege braucht, wird er schnell zum „Fall“ – vom Subjekt zum Objekt. Damit wird der/die Betroffene seiner Person beraubt. Beim medizinischen Not-„Fall“ hingegen geht es ums Überleben, da sind vorerst Name und Adresse nicht wichtig. Beim „Pflegefall“ geht es um Leben. Der/die Betreffende hat Vorname und Nachname und ist Mutter oder Vater oder Kind. Der subjektiven Sicht des Betroffenen wird man besser gerecht, wenn man von einer „pflegebedürftigen Person“ (Subjekt) spricht.

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TEIL 3: BEHINDERUNG UND SPRACHE

MITLEID Mitleid entsteht aus Betroffenheit, die zu stark und zu schwach ausfallen kann. Das Taktgefühl entscheidet über echtes und falsches Mitleid. Mitleid wird zur Farce, wenn das Mitleid kundgetan wird, der Angesprochene sich aber gut fühlt, kein Mitleid braucht. Wichtig kann Mitleid beim Sammeln von Spenden für in Not geratene Menschen sein. Behindertenverbände kritisieren in diesem Zusammenhang allerdings immer wieder den Namen der ORF-Aktion „Licht ins Dunkel“: „Spendenaufrufe mit Floskeln wie ‚Licht ins Dunkel‘ werden von vielen Betroffenen als taktlos empfunden, weil sie Menschen mit Behinderungen zu Opfern, zu Gezeichneten, stilisieren.“

FALSCHE GEGENSATZPAARE behindert / normal oder gesund nicht behindert

Das Gegenteil von behindert ist weder normal noch gesund. Behinderte Menschen sind nicht abnormal oder nicht-normal, sondern einfach anders – d.h. nicht behindert. Sie sind auch nicht zwingenderweise krank. Ein Mensch im Rollstuhl fühlt sich nicht krank, weil er nicht gehen kann. Krank ist er, wenn er/sie Grippe oder Mumps hat.

KLISCHEES UND STEREOTYPE Beim Berichten über behinderte Menschen herrschen zwei zu vermeidende Klischees vor: Hilflose Opfer/Sorgenkinder und Heldinnen/Helden. Wichtig wäre eine alltagsnahe Darstellungsweise ohne Floskeln. Die Botschaft sollte sein, dass behinderte Menschen leben wie alle anderen auch. Sie sind Teil der Gesellschaft. Es bleibt berichtenswert, wie sie ihren Alltag bewältigen – ohne „trotz“, „trotzdem“, „leiden“, „vom Schicksal gezeichnet“ etc. Behinderte Menschen nicht als arme, betreuungsbedürftige Wesen darstellen, sondern als selbstständige und entscheidungsfähige Mitglieder der Gesellschaft. Hilflose Opfer bzw. Sorgenkinder Behinderte Menschen werden oft – gerade im Zusammenhang mit Spendenaktionen und Charity-Events – als hilflose, passive Opfer und unselbstständige Sorgenkinder der Gesellschaft oder der Familie dargestellt. In Beiträgen kommen sie dann nicht selbst zu Wort – es wird über sie (hinweg) berichtet. Formulierungen wie „vom Schicksal gezeichnet“, „an der Behinderung leiden“ kommen dann häufig vor. Behinderte Menschen wollen aber nicht so dargestellt werden – da abwertend. Es bringt sie von der Subjekt- auf die Objektebene. Verneint, dass sie eigentlich selbst die Expertinnen/Experten in eigener Sache sind.

HELDINNEN/HELDEN Gerade in Sport- und Freizeitberichten werden behinderte Menschen als Heldinnen/Helden dargestellt, die trotz ihrer Behinderung schier Unmenschliches vollbringen. Auch alltägliche Dinge, wie einkaufen gehen oder Kinder in die Schule bringen, werden dann mit Formulierungen wie „meistert sein Leben“ oder „trotzt seinem Schicksal“ als Sensationen dargestellt. Gerade diese genannten Formulierungen sollten bei Berichten aber weggelassen werden, denn für die betroffenen Menschen ist dies Alltag.

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ABBILDUNGEN/FILMAUSSCHNITTE Behinderte Menschen machen etwa 15 Prozent der Bevölkerung aus, daher sollten sie auch in alltäglichen Fotobeiträgen und Filmausschnitten vorkommen – nicht nur bei „Behindertenbeiträgen“. Warum sie nicht in Straßenbefragungen einbeziehen, ohne auf ihre Behinderung hinzuweisen. Sie beim Einkaufen, beim Autofahren oder beim Tanken zeigen, wenn über Preissteigerungen berichtet wird?

INTERVIEW UND RECHERCHE MIT BEHINDERTEN MENSCHEN • Fragen, ob und welche Unterstützung gewünscht wird. • Nicht überfürsorglich sein. • Geeigneter Treffpunkt: Vorschlag einholen. Der behinderte Mensch selbst weiß, wo er gut hinbzw. zurechtkommt (Blindenleitsystem, stufenlos, Beh.-WC, geräuscharme Umgebung, ...) • Menschen im Rollstuhl oder kleinwüchsige Menschen: auf Augenhöhe kommunizieren. • Menschen mit mentaler Behinderung: Einfache Sprache (NICHT „Kindersprache“), mehr Zeit nehmen. • Gehörlose Menschen: Gebärdensprachdolmetscher/in nicht vergessen. • Menschen mit Sprechschwierigkeiten: Ausreden lassen.

QUELLEN • Firlinger, Beate (Hg.); Integration: „Buch der Begriffe“. Österreich, Wien: 2003. http://info.tuwien.ac.at/uniability/documents/Buch_der_Begriffe.pdf • Website Leidmedien.de: http://leidmedien.de/journalistische-tipps/begriffe-von-a-bis-z/ • Fischer, Manfred: Medien-Stereotype. In: VALIDleben (Wien), Oktober 2014, S. 8f. • Fischer, Manfred: Bist behindert, Oida? In: ÖZIV-Info, 1/2014, April 2014, S. 19. • Fischer, Manfred: Sprachverwirrung. In: VALIDleben (Wien), März 2014, S. 12. • Fischer, Manfred: Sind behinderte Menschen solche mit ,besonderen Bedürfnissen?‘. Bizeps-online, 16.1.2014.http://www.bizeps.or.at/news.php?nr=14653 • Fischer, Manfred: Schreibtischtäter Journalist. In: [Statement], Zeitschrift des Österr. Journalisten Clubs, März 2013, S. 22. • Fischer, Manfred: Macht der Worte. In: „Der Österreichische Journalist“ Nr. 8-9/2001, S. 126f. • Fischer, Manfred: [Benehmen gegenüber] Menschen mit Behinderung. In: Schäfer-Elmayer, „Alles, was Sie über gutes Benehmen wissen müssen“, Salzburg 2011, S. 111-114

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TEIL 4: SPRECHTRAINING

TEIL 4: SPRECHTRAINING von Barbara Bernhard Barbara Maria Bernhard ist Diplom-Sprecherin und Diplom-Sprecherzieherin. Sie wurde an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart ausgebildet. Ihre künstlerische Tätigkeit umfasst zahlreiche Rezitationsprogramme, Lesungen und Sprechkonzerte. Barbara Maria Bernhard lehrt unter anderem an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien (Max-Reinhardt-Seminar). Der folgende Abschnitt ist dem Buch „Sprechtraining. Professionell sprechen – auf der Bühne und am Mikrofon“ (G&G Verlag, Wien 2002, Nachdruck 2011, ISBN 978-3-7074-0708-2) entnommen. Weitere Veröffentlichungen: • • •

„Sprechen im Beruf. Der wirksame Einsatz der Stimme“, Buch und CD, G&G Verlag, Wien 2007, ISBN 978-3-7074-0704-4 Sprechübungen. Eine Sammlung für Theatergruppen“, G&G Verlag, Wien 2011, ISBN 978-3-7074-0711-2 „Sprechtraining für Schauspieler“ Ein Übungsprogramm für Körper, Stimme und Gehör, Henschel Verlag 2014, ISBN 978-3-89487-735-4

ATMUNG Das Zwerchfell ist unser Hauptatemmuskel. Wir können das Zwerchfell selbst nicht spüren. Sie können sich aber den Ort verdeutlichen, wo es angewachsen ist, indem Sie zunächst das untere Ende des Brustbeins suchen. Wenn Sie dann an den Rippenbögen entlang tasten, können Sie den Zwerchfellrand bis zu den Flanken weiterverfolgen. Auf diesem Weg entdecken Sie auch die beiden frei endenden Rippenpaare. Am Rücken, Richtung Wirbelsäule sind die Rippen schwieriger spürbar, aber auch da ist das Zwerchfell auf der Innenseite des Rumpfes rundum angewachsen. Das Zwerchfell ist eine kuppelartige Muskel – Sehnenplatte, die den Brustraum vom Bauchraum trennt. Es ist mit einem Sprungtuch vergleichbar. Wenn das Zwerchfell arbeitet, sich also anspannt, bewegt es sich nach unten (Einatem), wenn es sich entspannt, bewegt es sich wieder nach oben (Ausatem). So verläuft die Ruheatmung. Bei der Sprechatmung ist die Zwerchfellspannung differenzierter, denn Sprechen geschieht auf dem verlängerten Ausatem. Wenn wir einatmen, zieht das Zwerchfell die Lungen mit sich nach unten in die Länge und sie saugen sich dadurch automatisch mit Luft voll. Zur Verdeutlichung dieser Funktion nehmen wir ein einfaches Beispiel: Wenn Sie eine Spritze mit Wasser oder Luft füllen wollen, geschieht das nach dem gleichen Prinzip: Durch das Ziehen am beweglichen Teil der Spritze (vgl. Zwerchfell) entsteht ein Unterdruck im Spritzenraum (vgl. Lungen). Das Wasser oder die Luft strömt in den Spritzenraum hinein. Es wird in den Spritzenraum hineingesogen. So geht auch die Atmung in den Lungen vor sich. Die Atembewegung können wir am besten in der Bauchgegend beobachten. Legen Sie eine Hand auf die Bauchdecke und warten Sie auf die nächste Einatmung. Wohin bewegt sich der Bauch dabei? Sie konnten wahrscheinlich bemerken, dass sich beim Einatmen der Bauch leicht nach außen wölbt. Wieso eigentlich? Wenn das Zwerchfell nach unten geht, müssen die Organe im Bauchraum ausweichen, sie werden nach außen gedrängt. Wenn das Zwerchfell beim Ausatmen nach oben geht, nehmen die Organe wieder ihren ursprünglichen Platz ein und der Bauch wird wieder flacher.

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Wenn wir körperliche Hochleistung betreiben, brauchen wir zusätzliche Atemmuskulatur, und es heben sich beim Einatmen sogar die Schultern. Beim Sprechen ist das nicht notwendig – im Gegenteil – es ist sogar schädlich. Wir reden dann von der sogenannten Hochatmung. Für das Sprechen ist die sogenannte kombinierte Bauchatmung sinnvoll. Das heißt, wir spüren den Atem zum Teil im Brustbereich, vor allem aber im Bauchbereich. Ein Zeichen für eine erweiterte gute Atmung ist auch das Erlebnis der Rückenatmung. Das heißt, wir können auch im Rücken eine Einatembewegung bemerken, (natürlich ohne den Atem dort hinzupressen). Unsere subjektive Wahrnehmung zeigt uns also mehrere „Atemräume“ im Körper Die Atmung ist eine Körperfunktion, die wir bewusst steuern können, die aber auch automatisch abläuft. Wir haben Rezeptoren im Blut, die dem Gehirn ständig melden, wann wieder eingeatmet werden muss. Die Gründerin der bekannten Atemschule Ilse Middendorf hat den Satz geprägt: „Es atmet mich“. In der Ruheatmung können wir drei Phasen unterscheiden: Einatem – Ausatem – Pause. Bei der Sprechatmung wird die Ausatemphase verlängert und die Pause fällt meistens weg. Auch beim Sprechen geschieht die Einatmung automatisch. Sie können das selbst erleben, wenn Sie sich folgende Situationen vorstellen und ausprobieren: 1. Sie sehen zufällig einen guten alten Freund auf der Straße und treten auf ihn zu, um ihn zu umarmen. Was geschieht automatisch mit dem Atem? > Sie atmen automatisch ein, um den Freund dann zu begrüßen und in die Arme zu schließen. 2. Sie treten in ein Zimmer und finden eine große Überraschung vor. > Die Überraschung bewirkt eine Einatmung, und sie können sofort sprechen, ohne bewusst einzuatmen. 3. Sie wollen einem Chor den Einsatz geben und heben dazu die Arme. > Beim Heben der Arme atmen sie automatisch ein. In Zuwendungssituationen atmen wir automatisch ein. Das gilt auch für eine Sprechsituation, denn Sprechen ist immer Kontakt. Wir müssen deshalb nie an das Einatmen denken und uns mit Luft vollpumpen. Ein Atemstau oder ein Schnappatem verrät uns umgekehrt, wenn der/die Sprecher/in zu sehr „für sich ist“. Sobald Sie sich also Ihrem Publikum, Ihrem Hörer oder Ihrem Zuschauer wirklich zuwenden (auch wenn Sie ihn nicht sehen), und zu ihm Kontakt aufnehmen, brauchen Sie sich um Ihren Atem nicht zu kümmern! WAS BEWIRKEN ATEMÜBUNGEN? • Durch Atemübungen lernt das Zwerchfell, seine Beweglichkeit ganz auszunützen. Wir können die Ruheatmung durch Atemübungen vertiefen. Dadurch erfahren wir die Atemräume deutlicher und können sie erweitern. Die Resonanzfähigkeit verstärkt sich und die Stimme „sitzt gut“. • Verspannungen in der Zwerchfell-, Bauch-, Beckenboden-, und Rückenmuskulatur können gelöst werden. • Durch die Bewusstheit der Atmung lernen wir, in stressigen Situationen ohne Verkrampfung ruhig weiterzuatmen. Lampenfieber kann durch Atemübungen wirksam reduziert werden.

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Atemübungen sind also als Vorarbeit für das Sprechen wichtig! (Die Übungen zur automatischen Atemluftergänzung und zu Atem und Intention sind unter den Kapiteln „Abspannen“ und „Kontaktübungen“ zu finden) • Atem beobachten Hände auf Bauch und Kreuzbein legen, rhythmische Bewegung wahrnehmen, ohne einzugreifen, nicht schneller werden • Atemausbreitung Hände auf Flanken, Rücken und andere Körperstellen legen und dem Atem Raum geben, in der Vorstellung überall hin zu strömen • Dehnen und Strecken Einzelne Körperstellen fein und kurz dehnen, dabei Einatem kommen lassen, beim Lösen bewusst und verstärkt ausatmen • Atemballon Die Hände vor der Körpermitte so halten, dass die Handflächen zueinander zeigen, die Atembewegung in den Händen ausdrücken: Einatem = breit werden, Ausatem = schmal werden, Bewegung dann freier gestalten und den Rumpf in die Bewegung einbeziehen (Illustration Figur mit Händen) • Erde und Himmel Hände mit den Handflächen nach unten vor die Körpermitte nehmen, Richtung Boden schieben, dabei Knie beugen, Handflächen umdrehen und wieder zur Körpermitte heben, Hände Richtung Decke schieben, dabei Füße auf die Ballen erheben, wieder zurückkommen. Eine Hand nach außen schieben, und wieder zurückholen, die andere Hand nach außen schieben und wieder zurückholen. Bewegung mit dem Atem verbinden: Vom Körper weg = Einatem, zum Körper hin = Ausatem.

STIMME Die Stimme wird im Kehlkopf gebildet. Um seine Größe zu spüren, können Sie den Kehlkopf mit der Hand leicht hin und her schieben. Das knorpelige Gerüst liegt oberhalb der Luftröhre. Im Kehlkopf liegen die Stimmlippen (umgangssprachlich auch Stimmbänder genannt). Sie fangen vorne am Hals an und enden in Richtung Nacken. Männer haben längere Stimmlippen als Frauen. Deshalb sprechen sie tiefer (vgl. unterschiedlich lange Gitarrensaiten). Die Stimmlippen sind Muskelwülste, die mit beweglichen Knorpeln im Kehlkopf verbunden sind (Stellknorpel). Mit Hilfe dieser Knorpel können sie verschiedene Positionen einnehmen: 1. eine geöffnete Position (zum Atmen) und 2. eine geschlossene Position (als Vorbereitung zum Sprechen). (Ursprünglich war dieser Verschluss nur ein Schutzmechanismus, um die Luftröhre durch Husten von Fremdkörpern zu befreien. Wenn Sie husten, können Sie diesen Verschluss und die Sprengung der Stimmlippen deutlich spüren.) Um einen Ton zu produzieren, brauchen wir Luft, die die Stimmlippen in Schwingung versetzt. Die Luft strömt von unten aus den Lungen durch die Luftröhre. Dann wird die Luft durch die geschlossenen Stimmlippen gestoppt. Durch den entstehenden Druck wird der Verschluss der Stimmlippen schließlich gesprengt. (Diese erste Sprengung kann man als sogenannten „Glottisschlag“ hören.) Durch ständig wechselnden Druck und Unterdruck entsteht eine gleichmäßige Schwingung der Stimmlippen. Auch die umliegenden Schleimhäute schwingen mit. Es entsteht

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eine Frequenz, die aber im Bereich des Kehlkopfes noch nicht als Ton hörbar ist, sondern nur als ein schnarrendes Geräusch. Das heißt, dass ein im Kehlkopf eingebautes Mikrofon an dieser Stelle noch keinen Klang auffangen könnte. Wie oft schwingen die Stimmbänder eigentlich im Kehlkopf? Wenn Sie eine Stimmgabel zur Hand nehmen und den Kammerton a summen, können Sie schätzen, wie oft sich dabei die Stimmlippen bewegen. Es ist kaum vorstellbar, aber unsere Stimmlippen bewegen sich beim Kammerton a 440-mal in der Sekunde! Die Schallwellen gelangen nun vom Kehlkopf nach oben in den Rachenraum und von dort in Mund und Nase. Diese Räume gehören zu unseren Resonanzräumen. Erst wenn die Schallwellen sich dort ausbreiten, wird die Frequenz zum Klang, denn sie wird mit Obertönen angereichert. Diese Obertöne verleihen unserer Stimme einen individuellen Klang und lassen sie zur Visitenkarte unserer Persönlichkeit werden. DIE INDIFFERENZLAGE Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass jeder Mensch eine individuelle Stimmlage hat. Wenn wir in dieser, für uns angemessenen Stimmlage sprechen, schwingen die Stimmlippen so, dass es uns nicht anstrengt. Wir können dann mühelos über längere Zeit sprechen. Im Gegensatz dazu ist es belastend, wenn wir permanent überhöht sprechen oder die Stimme zu tief hinunterdrücken. Das passiert oft im Alltag, wenn wir emotional sprechen oder angestrengt und gestresst sind. Die Stimme kann dieser Belastung auf Dauer nur schwer standhalten. Für das professionelle Sprechen ist es deshalb unerlässlich, dass Sie Ihre persönliche Stimmlage kennen und benutzen. Diese Stimmlage nennen wir Indifferenzlage. Wenn Sie zum Beispiel gelangweilt sind, ist Ihre Stimme „indifferent“ und wahrscheinlich relativ entspannt. Die Stimmbänder schwingen dann locker. Es ist einleuchtend, dass ein Mehr an Spannung über längere Zeit anstrengend und ungesund ist. Um diese entspannte Stimmlage selbst zu erleben, können Sie sich folgende Situation vorstellen: Sie sind im Urlaub und stehen am Strand. Sie blicken aufs Meer und riechen die salzige Luft. Sie zählen die Wellen, die bis zu Ihren Füßen gelangen. Jemand hört Ihnen zu. Sprechen Sie die Zahlen in „normaler“ Lautstärke und lassen Sie sich viel Zeit. Geben Sie Ihrer Stimme die Möglichkeit, sich dabei selbstständig zu verändern. Durch die entspannte Situation und die angenehme Atmosphäre haben Sie mit guter Wahrscheinlichkeit Ihre Indifferenzlage getroffen. Die Indifferenzlage umfasst übrigens nicht nur einen einzigen Ton. Unser Sprechen würde sonst monoton klingen. Es geht vielmehr um einen Sprechtonbereich, der ungefähr eine große Terz umfasst. Diese Skala steht für den gesamten Stimmumfang eines Menschen. Der Übersicht wegen ist sie gedrittelt. Unten ist der tiefste Ton, oben der höchste Ton, den wir produzieren können. Nun können Sie selbst schätzen, in welchem Bereich der Skala die Indifferenzlage anzusiedeln ist. Wenn wir in der Indifferenzlage sprechen, kommt die Authentizität der Stimme am besten heraus. Wir sprechen dann gefühlsmäßig mehr „aus der Körpermitte“ und weniger „vom Hals aus“. Deswegen wirken Stimmen in der Indifferenzlage auf Zuhörer/innen meist angenehmer und überzeugender als überhöhte Stimmen. WAS BEWIRKEN STIMMÜBUNGEN? • Stimmübungen bringen die Stimmlippen dazu, in einer gesunden Spannung zu schwingen, und führen deshalb oft zur Indifferenzlage. • Stimmübungen fördern die Beweglichkeit der Stimmmelodie.

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TEIL 4: SPRECHTRAINING

• Stimmübungen fördern den Stimmlippenschluss und gesunde Stimmeinsätze. Dadurch wird die Stimme kräftig und klar. • Stimmübungen bringen die umliegenden Schleimhäute zum Mitschwingen, was eine Verbesserung von Resonanz und Tragfähigkeit bedeutet. Um die Stimme in Schwung zu bringen, besonders morgens, ist es notwendig, die Stimme zu lockern und „aufzuwecken“. Schleim, der sich in der Nacht angesammelt hat, kann sich verteilen und abfließen. Dazu sind besonders Übungen nützlich, bei denen die Stimme vibriert. Achten Sie bei den folgenden Übungen auf maximale Lockerheit. Sie können auch ab und zu die Augen dabei schließen. Achten Sie darauf, den Einatem immer wieder in Ruhe kommen zu lassen. Jede Übung sollte angenehm und nicht anstrengend sein. Wählen Sie selbst aus, was Ihnen gut tut: STIMMLOCKERUNGSÜBUNGEN • Motorsegler Auf einem Bein stehen, und den Körper elastisch balancieren, dazu stimmlos lippenflattern, das Gesicht dabei ganz locker hängen lassen, Atem kommen lassen • Hummelflug (Illustration Pfeile Gleittöne) Mit dem Finger den Weg der Hummel beschreiben, dabei Lippenflattern mit Stimme auf Gleittöne von oben nach unten und umgekehrt, Hals bleibt „offen“ • Hubschrauber Mit dem Kopf den Hubschrauber am Himmel verfolgen und ihn mit einem „Zungenspitzen„r“ auf verschiedene Gleittöne imitieren, Vibration spüren, nicht zu laut werden • Gurgeln „Zäpfchen-„r“ auf verschiedene Gleittöne sprechen, darauf achten, dass genug Speichel im Rachen ist • Sprechen mit hängender Zunge Sich vorstellen, besoffen zu sein, die Zunge entspannt auf die Unterlippe legen und in dieser Stellung sprechen, auf gute Kieferöffnung achten, das Sprechen muss dabei nicht verständlich sein! • Opa-Übung gemütlich zurückgelehnt sitzen, Bauch „rauslassen“ und gähnen, zwischendurch „ja-ja-ja“ sagen, auf Kieferöffnung achten, Indifferenzlage finden MODULATION Modulationsfähigkeit nennt man die Beweglichkeit der Stimme (= Sprechmelodie). Spricht jemand ohne Melodiebewegung, klingt es monoton. Je nach Sprechsituation ist viel oder weniger Abwechslung in der Melodie angebracht. Sie können Ihre Stimme modulieren, ohne die Indifferenzlage dabei zu verlassen. Wenn die Stimme nicht gut vorbereitet ist, kommt es vor, dass bei einer Melodiebewegung ein Registerbruch hörbar ist. Vielleicht haben Sie das schon bei den Stimmlockerungsübungen bemerken können. Die Stimmspannung ist dann nicht kontinuierlich. Das kann sich darin äußern, dass der Ton sich überschlägt oder knarrt. Die Stimme muss deshalb „geschmeidig“ gemacht werden für mehrere Tonlagen. Dazu sind Übungen mit Gleittönen (siehe auch Stimmlockerungsübungen) hilfreich: • Seidenpapier Einen Streifen Seidenpapier vor den Mund halten und mit den Lippen berühren, das Papier nicht spannen, dazu locker und leise Stimme geben. Folgende Geräusche bzw. Klänge imitieren: Sirene, Motorsäge und Autorennen, dabei mit den hohen Tonlagen beginnen • Kreisel Einen Blechkreisel imitieren auf „w“ oder „s“ , die verschiedenen Drehgeschwindigkeiten

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durch steigende Tonhöhe unterscheiden. Abschließen mit „wop“ bzw. „sop“ in der Indifferenzlage. Auf Lockerheit der Stimme achten und weit in den Vokal öffnen • Staunen Sehr überrascht und erfreut auf einen Tisch voller Geschenke zeigen, bei jedem Geschenk auf unterschiedliche Weise „ui“ sagen, Gaumensegel dabei weiten, so leise wie möglich beginnen und erst später lauter werden, Glottisschlag präzise und weich einsetzen • Zauberspruch Eindringlich auf Gegenstände oder Personen im Raum zeigen und sie mit folgendem Spruch verzaubern: „Simsalabimbambasaladusaladim“! Leise beginnen, auf geheimnisvolle Melodie achten und stimmlich variieren! Stimmhaftes „s“ beachten! MODULATIONSÜBUNG MIT EINEM HEXENSPRUCH Mischen Sie einen Zaubertrank und sprechen Sie dazu geheimnisvoll und machtvoll den Zauberspruch. Sie können natürlich auch Gesten dazu benutzen! Verändern Sie die Melodie, die Lautstärke und das Tempo so, dass es sich gefährlich anhört. Senden Sie dabei jedes Wort, damit es Wirkung zeigt. Aus zwei mach eins Sonst lieber keins!

Aus hin und her Mach immer mehr!

Aus einmal leer Mach zweimal voll, Jawohl!

Aus niedrem Triebe Mach wahre Liebe!

Aus gestern nimmer Mach morgen immer!

Iltiskralle, Käferbein, Du sollst meine Liebe sein!

STIMMEINSÄTZE In der deutschen Sprache ist besonders auffällig, dass Wörter kaum gebunden werden, sondern mit der Stimme immer neu eingesetzt wird. Vergleichen Sie die Bindungen zum Beispiel mit dem Englischen oder Italienischen. Was bedeuten diese „Neueinsätze“ – die für das Deutsche charakteristisch sind – für Stimme und Stimmtraining? Wenn sich die Stimmlippen vor jedem Wort präzise schließen, spricht man von einem guten Stimmeinsatz. Besonders deutlich hör -und spürbar ist der korrekte Beginn bei Wörtern mit Vokal am Anfang. Dieses Phänomen wird als Vokaleinsatz oder auch Glottisschlag bezeichnet. Die Stimmlippen arbeiten dann auch beim weiteren Sprechen richtig, weil ihnen gleich beim Wortanfang sozusagen der angemessene Schwung gegeben wurde. Wenn beim Sprechen dagegen ständig ein Spalt in der Stimmritze bleibt, klingt die Stimme verhaucht und dünn. Das Gegenteil dazu ist die gepresste Stimme, bei der die Stimmlippen zu hart aufeinanderschlagen. Gerade beim lauteren Sprechen ist das die Gefahr. Um einen guten Mittelweg zu finden, können Sie mit dem sogenannten Ventiltönchen (nach R. Schilling) beginnen: Husten Sie dazu kurz und spüren Sie, wie die Stimmlippen sich vorher schließen und dann gesprengt werden. Lassen Sie das Husten dann immer sanfter werden, bis nur noch ein kraftloses leises Knacken übrig bleibt. Dieses Knacken ist der direkteste willkürliche Zugriff auf unsere Stimmlippen. An dieser Stelle können Sie durch die Gehörkontrolle und die Gespürkontrolle an einem sauberen und lockeren Ventiltönchen arbeiten. Wenn Sie es richtig machen, ist das Ventiltönchen nicht verhaucht und nicht anstrengend. Sie sollten nur immer wieder in Ruhe zwischenatmen. Sie können diese

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Übung auch auf dem Einatem, also einwärts ausprobieren. (Meistens geht es einwärts sogar leichter.) Machen Sie die folgenden Übungen am besten unter Anleitung einer Sprecherzieherin/ eines Sprecherziehers : • Wasserhahn Sich vorstellen, dass alles still ist und nur ein Wasserhahn langsam und gleichmäßig tropft, Ventiltönchen produzieren, dabei auf präzise Einsätze achten und immer warten, bis der Hals offen und bereit ist, und das Ventiltönchen wie von selbst kommt • Gerüchteküche Flüsternd auf einen imaginären Gesprächspartner reagieren mit: „ach!“, „echt?“, „ich?“, „und er!“, „oh“, „unglaublich“ , dazu eine federnde Handbewegung aus dem Handgelenk machen wie beim Jojo-Spielen, bei der Aufwärtsbewegung sprechen • Dirigieren Einem Chor den Einsatz geben mit „eins“, „acht“, dabei entsprechende Gesten machen und darauf achten, dass der Auftakt die Vorbereitung des Körpers ist; bei Verkrampfung in die Gähnstellung des Rachens hineinsprechen • Tierchen streicheln Ein kleines Häschen auf der Hand halten und mit einer gleitenden Handbewegung streicheln und behutsam beruhigen auf „oh“, offenes o benutzen, Lippenrundung, Handbewegung und Gleitton koordinieren, Lautstärke steigern, Glottisschläge dann weicher machen STIMMABSÄTZE Die Art, ein Wort oder einen Satz abzuschließen, kann vom/von der Sprecher/in ebenfalls unterschiedlich bewerkstelligt werden. Ungesund ist es zum Beispiel, am Wort- oder Satzende zu knarren oder diplophon (= zweitönig) zu werden. Wenn Sie diesen Klang bei sich bemerken, kann es sein, dass Sie mit der Sprechspannung vor der letzten Silbe bzw. vor dem letzten Wort zu stark abfallen. Dadurch verhindern Sie ein gleichmäßiges Ausschwingen der Stimmlippen. Versuchen Sie deshalb, die Grundspannung bis über das letzte Wort hinaus zu halten. Dabei ist die Körperspannung und auch das Denken gleichermaßen beteiligt. Die folgenden Resonanzübungen fördern eine gesunde Stimmlippenschwingung. RESONANZ Das Wort „Resonanz“ kommt von lat. „resonare“ und bedeutet „zurücktönen“. Sie haben bereits am Anfang des Kapitels lesen können, dass im Kehlkopf durch die Stimmlippenschwingung eine Frequenz entsteht, die aber selbst noch keinen Klang ergibt. Erst wenn diese Frequenz in den Rachen gelangt und an den Wänden der Kopfhöhlen abprallt, entsteht ein Klang. Der Ton wird zurückgeworfen, er resoniert. Nehmen wir als Vergleich einen Geigenkasten, dessen Hohlraum den Klang entscheidend mitbestimmt. Die Physik versteht unter Resonanz das Mittönen von elastischer Masse, wenn eine Frequenz von einem Auslöser ausgeht. Der Auslöser ist bei der Stimmresonanz der Kehlkopf, die elastische Masse sind Gewebe darum herum. Außerdem wird die Luft in den Körperhohlräumen (Kopfhöhlen) zum Mitschwingen gebracht. Unsere Kopfräume sind also entscheidend für den Stimmklang (Kopfresonanz). Die verschiedenen Körpersubstanzen, die Klang leiten können (zum Beispiel Knochen, Schleimhäute usw.) müssen für die Schwingungen durchlässig gemacht werden. Wenn wir zum Beispiel verspannt sind, können nicht genug Anteile mitschwingen und die Stimme ist nicht tragfähig. Um die Tragfähigkeit der Stimme zu verbessern, müssen wir die Gewebeteile dazu bringen, den Schall fortzupflanzen. Je mehr Körperanteile durch die Stimmfrequenz zum Mitschwingen gebracht werden, um so fülliger und obertonreicher ist der Klang. Die Stimme klingt dann raumfüllender, obwohl sie nicht wirklich lauter ist. Wir können die Resonanzfähigkeit der schwingungsfähigen Teile durch Stimmübungen entscheidend verbessern!

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Auch unterhalb des Kehlkopfs gibt es schwingungsfähige Anteile, wie zum Beispiel das Brustbein und die Lunge. Wenn diese Anteile mitschwingen, hören wir es als sog. Brustresonanz. Der Körper ist gleichsam unser Instrument, das je nach „Benutzung“ gut klingt oder nicht. Wie ein Musikinstrument je nach Bauart und Material und Benutzung besonders klingt, so ist es auch mit unserer Körper– und Stimmkonstitution. Die Leitfähigkeit des Körpers für Töne wird besonders deutlich, wenn Sie eine Stimmgabel anschlagen und dann am Körper anlegen. Besonders eindrucksvoll ist das an den Kopfknochen, am Brustbein und an der Wirbelsäule. Sie werden die Vibration und teilweise den Ton wahrnehmen können. Als wirksame Resonanzübung eignet sich hierfür besonders eine C–Stimmgabel (die in Fachgeschäften für HNO-Bedarf erhältlich ist). Mit der Stimmgabel können Sie gleichsam eine Mikromassage für die Stimme durchführen. • Summen in Käferhaltung Dabei die Vibration im ganzen Körper spüren und genießen • Summen und Hände auflegen In einer angenehmen Vorstellung auf „m“ summen, an verschiedenen Körperstellen die Hände auflegen und die Vibration spüren, dann Hände wegnehmen und Vibration weiterhin spüren, Stimme dabei leise und klangreich einsetzen, Gaumensegel dabei leicht heben (Vorstellung: eine kleine heiße Kartoffel im Mund haben) • Kopf- und Brustklang Kopf zur Seite ablegen und über die Brust bis zum Hang führen, Nacken dabei angenehm dehnen, mit dem Einatem auf der anderen Seite wieder aufziehen. Einen Gleitton auf „m“, „n“ oder „ng“ dazunehmen und die Vibration spüren, Vorstellung: Erleichterung. Der Ton sollte weich klingen und nicht hauchen oder knarren. Vorstellung: Kopfhöhlen „einölen“ • Kauübung (nach E. Fröschels) In der Vorstellung eine leckere Speise riechen, dann anfangen, sie zu kauen, den Kiefer dabei weich bewegen und sich den Bauch streichen und sprechen: „mmh“, „mnjam, mnjam“, Indifferenzlage zulassen • Nasenresonanz Die Hände an der Nase anlegen und beim Sprechen die Vibration spüren • Auf „s“ und „w“ sprechen Die stimmhaften Laute durchgehend locker tönen, die Vibration spüren und so einen Satz auf „s“ bzw. „w“ lesen, die Modulation des Satzes bleibt dabei wie vorher, danach den Satz normal sprechen. RAUMAKUSTIK UND STIMME Sowie wir im Körper Räume mit Klang füllen, so füllen wir auch den Raum des Gebäudes aus, in dem wir sprechen. Wir haben also außerhalb des Körpers auch Räume, die den Schall zurückwerfen. Je nach Akustik verändert sich der Hall: Entweder wird wenig Schall zurückgeworfen (sog. „trockene Akustik“) oder viel. Um verschiedene akustische Verhältnisse zu erfahren, sprechen Sie einen Satz, als würden Sie in einem Tonstudio stehen. Sprechen Sie den Satz danach so, als würden Sie in einer Kirche stehen. Raumresonanzübungen helfen, den Raum „zum Mitschwingen zu bringen“, sodass unsere Stimme optimal verstärkt wird. Wir lernen „mit“ dem Raum zu sprechen. Wir sprechen dann nicht isoliert für uns, sondern stehen mit dem Raum in Verbindung. Dadurch wirken wir präsent und schonen gleichzeitig unsere Stimme.

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Raumresonanzübungen • In die Ecke tönen Sich mit dem Kopf in eine Ecke gerichtet hinstellen und auf verschiedene Vokale tönen, den Abstand zur Ecke verändern und dann stehen bleiben, wenn am meisten Schall zurückkommt. • Schalldusche Sich mit dem Rücken zur Ecke hinstellen und beim Tönen und Sprechen den Widerhall genießen, sich dann nach und nach von der Wand entfernen • Schalltrichter Die Hände zum Trichter formen und am Mund anlegen, gedehnt „Hallo“ in den Raum rufen, offen bleiben für eventuelle Antworten aus dem Raum • Elefant Die Hände so an die Ohren anlegen, dass der Schall des hinteren Raumes eingefangen wird, sprechen und dabei die veränderte Stimmwahrnehmung genießen • Eingeborenensprache Mit den Händen leicht aufs Brustbein oder die Beckenknochen trommeln und zwischendurch mit einem Arm und einer gebenden Geste auf einen imaginären Gesprächspartner weisen und sprechen: „Babaa“ oder „boboo“ oder „bubuu“ usw., die letzte Silbe ausschwingen lassen, Hall wahrnehmen.

DIE SELBSTORGANISATION DER STIMME (Methode nach Gisela Rohmert) Wie bereits in den Übungen zur Raumakustik erwähnt, ist der Hall ein großes Hilfsmittel für die Stimme, denn wir nehmen uns durch ihn besser wahr. Der Stimmapparat ist sehr stark mit dem Gehör verbunden, sowie mit dem gesamten Muskel– und Nervensystem. Deshalb ist es sinnvoll, diese Systeme auch im Ganzen zu fördern. Durch die folgenden Übungen wird das Zusammenspiel der Systeme und die Selbstorganisation der Stimme angeregt. Es können auch Hilfsmittel wie Musikinstrumente zur Stimulation des Gehörs eingesetzt werden. Ohne viel aktives Tun wird der Stimmklang harmonisiert, indem der Sprecher sich differenzierter wahrnimmt. Ziel ist eine ausgeglichene Stimme, bei der beide Klanganteile Brillanz (= Klarheit) und Vibrato (= Weichheit) gleichermaßen zum Vorschein kommen. SELBSTORGANISATIONSÜBUNGEN • Meeresmuschel Die Hände gewölbt neben die Ohren halten, das entstehende Rauschen wahrnehmen und sprechen • Handwand Mit beiden Händen eine Wand bilden und sie vor das Gesicht halten, beim Sprechen den veränderten Stimmklang wahrnehmen! • Luft als Transportmittel Versuchen zu bemerken, wie die Luft den Klang transportiert und selbständig trägt und weiterleitet • Regenrohr Einen „Regenmacher“ (= afrikanisches Musikinstrument, ca. 20 cm langes Kaktusholz mit Reis darin) neben dem Ohr bewegen und die Stimme durch die Frequenz anregen lassen

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STIMMKLÄNGE Wir haben auf den letzten Seiten viel über die Verbesserung des Stimmklanges erfahren. Doch wie kann man den Klang einer Stimme überhaupt beschreiben? Welche hörbaren Elemente sind gesund, welche ungesund? In der folgenden Tabelle finden Sie einige Faktoren, die man bei einer Stimme heraushören kann. Der Klang einer Stimme kann sein: Ungesunde Klangelemente • verhaucht • rau • heiser • gepresst • gequetscht • zweitönig (diplophon) • knarrend • näselnd (offen oder geschlossen) • knödelnd • höhlig • eng • dünn • flach • brüchig

Gesunde Klangelemente • volltönend • resonanzreich • kraftvoll • warm • weich • tragfähig • frisch

Je nach Sprechsituation sind verschiedene Stimmklänge „stimmig“ (zum Beispiel enger Stimmklang bei Ekel). Auf Dauer ist es aber für die Stimme anstrengend, wenn sie nicht ökonomisch gebraucht wird. Beim professionellen Sprechen ist jedoch grundsätzlich das Ziel, die Stimme möglichst gesund zu gebrauchen.

DIE ARTIKULATION Artikulation nennt man die Sprechbewegungen im Mund, um Sprechlaute zu bilden. Die Teile, mit denen wir Laute bilden, nennen wir Sprechwerkzeuge oder Artikulationsorgane. Es gibt stimmhafte und stimmlose Laute. Zu den stimmhaften Lauten gehören die Vokale (zum Beispiel „a“, „e“, „i“...) und die stimmhaften Konsonanten (zum Beispiel „j“, „n“, „r“...). Die stimmlosen Laute umfassen die restlichen Konsonanten (zum Beispiel „p“, „ch“, „k“...). Bei den stimmhaften Lauten schwingen die Stimmlippen, bei den stimmlosen nicht (Ausatemstellung der Stimmlippen). Wenn Sie die Finger am Kehlkopf anlegen und abwechselnd ein „f“ und ein „w“ sprechen, können Sie bemerken, dass bei „f“ der Kehlkopf ruhig bleibt und bei „w“ eine Schwingung spürbar ist. Was gehört nun genau zu den Artikulationsorganen? Spüren Sie dazu einmal genau, was im Mund alles zum Sprechen wichtig ist, bevor Sie weiterlesen. Die Zunge ist das wichtigste Artikulationsorgan. Ihre Größe ist überraschend, denn sie nimmt von der Zungenwurzel ab fast den gesamten Mundraum ein. (Vielleicht haben Sie beim Fleischer schon mal eine Kalbszunge gesehen, welche natürlich den Proportionen entsprechend noch größer ist). Die Zunge ist übrigens der beweglichste Muskel im ganzen Körper! Die Lippen sind ebenfalls stark an der Bildung der Sprechlaute beteiligt. Der weiche Gaumen (= Gaumensegel) schließt hinten in Richtung Rachen an den harten Gaumen an. Er ist beweglich und kann sich heben und senken.

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Als feststehende Artikulationsorgane besitzen wir den harten Gaumen, der hinter den Schneidezähnen mit dem sogenannten Zahndamm beginnt. Außerdem brauchen wir zum Artikulieren die Zähne. (Wer schon einmal jemanden ohne Gebiss sprechen gehört hat, weiß, warum die Zähne so wichtig zum Artikulieren sind). Für das „hintere r“ brauchen wir das Zäpfchen, welches das Ende des weichen Gaumen bildet. (Wir nennen das „hintere r“ deshalb „Zäpfchen-„r“.) Die Artikulationsorgane im Überblick (Illustration Gesicht seitlich):

• Zunge • Lippen • Gaumensegel • Harter Gaumen

• Zahndamm • Zähne • Zäpfchen

WAS BEWIRKEN ARTIKULATIONSÜBUNGEN? Durch Artikulationsübungen wird die Beweglichkeit der Artikulationsorgane gefördert. Dadurch wird das Sprechen deutlicher und präziser. Die Beweglichkeit der gesamten Gesichtsmuskulatur wird gefördert. Dadurch verstärkt sich die natürliche Mimik. Der Sprechausdruck wird intensiviert. Die Wahrnehmung im Mundbereich wird bewusster. Die Resonanz der Stimme kann sich deshalb besser entfalten. Durch das Abspannen (siehe S.35) wird die Koordination von Atmung und Artikulation gefördert. Da im Gehirn die Koordination von Hand und Artikulationsorganen eng zusammenhängt, ist es sinnvoll, in den Übungen Handbewegungen mit Artikulationsbewegungen zu koordinieren. ZIELE IM ÜBERBLICK: • Geschmeidigkeit und lockere Beweglichkeit der Artikulationsorgane • Kieferöffnung • Deutlichkeit • Schonung der Stimme • Anregung der Mimik • Unterstützung der Textbedeutung (= Artikulatorischer Akzent als Ausdrucksmittel)

Übungen: • Gesicht bewegen Gesichtsmuskeln einzeln wahrnehmen, zum Beispiel Augenbrauen hochziehen, Nase rümpfen, Stirnfalten bilden usw. nach jeder Bewegung wieder entspannen • Lippen bewegen Den Mund formen zum Kussmund, zum Fischmaul, Lippen einziehen usw. • Zungengrund massieren Beide Zeigefinger vor das Kinn legen und mit den Daumen unter dem Kinn nach vorne streichen • Zungengrund prüfen Mit dem Finger leicht gegen den Zungengrund drücken und den Zungengrund weich machen, dazu fein summen

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• Zunge kreisen Mund geschlossen lassen, Zunge vor den Zähnen gegen die Wangen bewegen • • Zunge spitz und breit machen Zunge locker herausstrecken und Spannung verändern • Zungenwedeln Zunge schnell und locker von einem Mundwinkel in den anderen bewegen • Pleuelübung + Zungenrolle Kiefer öffnen, Zungenspitze an die unteren Schneidezähne legen, Zungenrücken schnell und locker herauswölben; danach Zunge rollen! • Pferdeschnauben Mit dem Kopf einen lockeren Halbkreis über die Brust machen, dabei Lippenflattern, einen Punkt im Raum suchen und abspannen, Nacken dabei lassen. • Stummes Sprechen Lippen und Zunge übertrieben zu Wörtern formen, die aber nicht hörbar sind, dabei normal weiteratmen, Vorstellung: hinter einer schalldichten Glaswand sprechen • Seifenblasen zerplatzen Mit dem Zeigefinger imaginäre Seifenblasen zerplatzen und das Platzen durch „p“, „t“, „k“ verdeutlichen, auf Präzision und Lockerheit achten! • Hund schimpfen Mit dem Finger auf einen imaginären Hund zeigen, dazu rhythmisch und schnell sprechen: na, na, na, na, na...; du, du, du, du, du,...; und Zungenschnalzen. Kiefer bewegt sich immer locker mit! Eventuell zur Kontrolle einen Finger am Kiefer anlegen. • Schlagzeug spielen Mit imaginären Stöckchen auf verschiedene Trommeln schlagen, dazu sprechen: ba-pa, be-pe, bi-pi, bo-po, bu-pu; da-ta, de-te, di-ti, do-to, du-tu; ga-ka, ge-ke, gi-ki, go-ko, gu-ku, Körper locker mitbewegen • Fantasiesprache „Balali, balale, balala, balalo, balalu, balalei, balalau, balaleu“ Gespräch führen in der „Phantasiesprache“, dabei verschiedene Emotionen durchlaufen! • Sprechen mit Finger im Mund Zeigefingergelenk an die obere Zahnreihe setzen und trotzdem deutlich und „vorne“ sprechen, Kiefer weit öffnen! Möglichst wenig auf den Finger beißen! • Flüstern Nicht forcieren, sondern nur Artikulation präzisieren, Konsonanten hervorgeheben, Atem fließt • Hand bzw. Finger vor den Mund halten Abstand ca. 2 cm. Beim Sprechen den Luftstrom der Explosivlaute und Frikative wahrnehmen.

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ZUNGENBRECHER • Es klapperte die Klapperschlang bis ihre Klapper schlapper klang! • Brautkleid bleibt Brautkleid und Blaukraut bleibt Blaukraut. • Gleich bei Blaubeuren liegt ein Klötzchen Blei, ein Klötzchen Blei liegt gleich bei Blaubeuren. • Die Katze tritt die Treppe krumm. • Der Cottbuser Postkutscher putzt den Cottbuser Postkutschkasten und der Potsdamer Postkutscher putzt den Potsdamer Postkutschkasten. • Fischers Fritz fischt frische Fische, frische Fische fischt Fischers Fritz. • Ein Pfund Kupfer, zwei Pfund Kupfer, drei Pfund Kupfer, vier Pfund Kupfer, fünf Pfund Kupfer... • In Ulm und um Ulm und um Ulm herum • Ob er aber über Oberammergau, oder aber über Unterammergau, oder aber überhaupt nicht kommt, das weiß man nicht. • Das Hausschwein sucht schmatzend was Schönes zum Schmausen. • Susi sag mal „süße Sahnesoße“! • Zehn zerquetschte Zwetschgen und zehn zerquetschte Zwetschgen sind zwanzig zerquetschte Zwetschgen • Der Metzger wetzt das Metzgermesser! • Der Whiskeymixer mixt den Whiskey! Zungenbrecher schulen die Geschicklichkeit der Artikulationsorgane. Je schneller die Sätze gesprochen werden, desto schwieriger ist es. Vielleicht haben Sie selbst folgendes bemerken können: Wenn Sie die Sätze rein mechanisch sprechen, haben Sie sich „die Zunge bald gebrochen“. Nur wenn Sie wissen, was Sie sagen, und eine Vorstellung dabei haben, kann sich Ihr Sprechapparat dieser Extremsituation anpassen und es geht mühelos! Die Zungenbrecher schulen also auch das Denken! Als Hilfe können Sie sich vorstellen, dass Sie mit jedem Zungenbrecher jemandem eine Antwort auf eine Frage geben. So trainieren Sie das Sprechen mit Mitteilungswillen. ARTIKULATIONSÜBUNGEN Bratpfannenwels

Pinselohrschwein

Scheinrüssler

Glotzauge

Klappschildkröte

Stinkfliege

Salmonischer

Zipfelfrosch

Schweinshirsch

Faltbauchfisch

Querzahnmolch

Nudelfisch

Pustelschwein

Blödauge

Dicklippiger Grunzer

Taschenratte

Mopsfledermaus

Spaghetti-Wurm

Schlundsackschnecke

Gemüseeule

Bücherlaus

Erbsenblasenfuß

Pizza-Anemone

Ferkelfrosch

Maulfüßer

Busentierchen

Spiegelei-Qualle

Stubsnasen-Flugfisch

DAS „ABSPANNEN“ (nach Horst Coblenzer und Franz Muhar) Wie wir bereits gehört haben, hängen alle Körperfunktionen untrennbar zusammen. Interessanterweise besteht auch ein direkter Zusammenhang von Artikulation und Zwerchfellspannung: Wenn Sie die Lippen beispielsweise zu einem „p“ verschließen, entsteht ein Luftstau, der erst wieder gelöst wird, wenn Sie die Lippen öffnen und die Luft entweichen lassen. Diese Spannungsveränderung pflanzt sich bis zum Zwerchfell fort. Das heißt, das Zwerchfell federt elastisch mit, wenn wir gut artikulieren. Sie können das überprüfen, indem Sie beobachten, ob sich Ihre Bauchdecke beim Sprechen immer wieder bewegt und löst.

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Machen Sie einen kleinen Test: Stellen Sie sich vor, dass Sie eine Luftmatratze aufpumpen. Sie benutzen dazu einen Blasebalg, den Sie mit dem Fuß betätigen. Das Drücken auf den Blasebalg begleiten Sie mit einem „f“, das Lösen mit einem „t“. Pumpen Sie also Ihre Matratze auf: „ft, ft, ft...“. Hören Sie erst auf, wenn die Luftmatratze voll ist. Wann haben Sie eigentlich eingeatmet? Wenn Sie nicht nach Luft Schnappen mussten, sondern das Gefühl hatten, der Einatem kam von selbst, dann haben Sie „abgespannt“! Beim „Abspannen“ holt sich das Zwerchfell durch die federnde Artikulationsbewegung immer wieder selbständig genug Luft zum Sprechen. Dieses Phänomen nennt man die „automatische Atemluftergänzung“. Dieses Prinzip ist in der Natur oft zu finden, denken Sie an Kühe, die muhen, oder Babys, die schreien. Es ist immer genug Atem da, ohne dass nach Luft geschnappt werden muss. Es geht dabei um das Prinzip von Spannen und Lösen. Vielleicht kennen Sie die Papiertrompeten, die sich automatisch zusammenrollen, nachdem man hineingeblasen hat. So verhält er sich auch mit der Koordination von Artikulation und Atem. Wenn Sie die „benutzten“ Organe wieder lösen, nehmen sie wieder eine entspannte Form ein. Wenn Sie also deutlich sprechen und ständig den Unterkiefer und den Bauch lösen, können Sie stundenlang mühelos und kraftvoll sprechen! In der Natur hat das Produzieren von Stimmlauten (= Phonieren) immer einen Zweck und ist auslöseorientiert. Das sollten Sie auch beim Üben beachten. Denn das „Abspannen“ funktioniert nur, wenn wir es mit einer Zuwendung zu einem Partner oder zu einer Situation verbinden. Nur so sind die dafür nötigen Systeme (zum Beispiel das Gamma-Nervensystem, siehe Kapitel Eutonie) im Körper aktiviert. Hier wird wieder deutlich, dass Sprechen ein Zusammenspiel vieler körperlicher und gedanklicher Vorgänge ist. Die folgenden Übungen sind vor allem als Aufwärmtraining für Atem, Stimme und Artikulation gedacht: Abspannübungen Gummischießen mit „f“ Ein imaginäres Gummiband wie einen Bogen spannen und auf ein Ziel im Raum hin plötzlich loslassen, das Ganze mit einem langen „f“ begleiten, das am Schluss abgespannt wird, Hände und Kiefer dabei öffnen Kaninchen-Sprache Eine Unterhaltung führen auf viele kurze „f“-Laute; Schneidezähne federn dabei auf der Unterlippe, Bauch und Kiefer ständig lösen Tauben verscheuchen mit „ksch“ Kraftvoll mit einem Bein schwingen auf die imaginären Tauben zu, Lippenrundung beim „sch“ beachten, abspannen Lehrer-Übung Als Lehrer die Schüler/innen einer Klasse anspornen: „auf“, „hopp“, „raus“ und loben: „gut“, „brav“; auf gute Nackenaufrichtung und weiche Vokaleinsätze achten

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Erfinden Sie nun selber Übungen, die mit Ihrem Alltag etwas zu tun haben. Achten Sie dabei immer auf folgendes:

• • • • • • •

aufrechte, lockere Haltung Kiefer lösen Bauch lösen kurze rhythmischen Einheiten Bewegung und Sprechen koordinieren Vorstellung von der Situation haben mit dem Sprechen etwas bewirken wollen

SPRECHTRAINING FÜR MEDIENSPRECHER/INNEN Um Ihr eigenes Sprechen zu verändern, ist es hilfreich, von Zeit zu Zeit in die Zuhörer/ZuschauerPerspektive zu wechseln. Was spricht Sie an? Was langweilt Sie? Wann schalten Sie ab und warum? Welche Stimme gefällt Ihnen? DER ÜBERTRAGUNGSEFFEKT Vielleicht haben Sie es selbst einmal erlebt, dass Sie beim Radiohören die ganze Zeit das Bedürfnis gehabt haben, sich zu räuspern. Im Grunde war es aber der Sprecher, der den Eindruck machte, als müsse er sich räuspern. Sie haben seine belegte Stimme unbewusst wahrgenommen. Hier wird deutlich, dass sich die Körperspannung und insbesondere die Stimmspannung des Sprechers auf den Hörer übertragen kann. Enge im Hals zum Beispiel oder das gesamte Schwingungsverhalten der Stimmbänder wird vom Hörer unbewusst übernommen. Umgekehrt wirkt sich eine angenehm gelöste und volltönende Stimme positiv auf den Hörer aus. Dieser Effekt heißt auch „Carpenter-Effekt“. Das bedeutet, dass Sie als Sprecher/in auf das Wohlbefinden des Hörers Einfluss haben. Durch eine geschulte, angenehm klingende Stimme können Sie die Aufmerksamkeit für sich gewinnen. Für viele Sprecher/innen ist es anfangs schwer, zwischen gutem, gesunden Klang und „erzwungenem Klang“ zu unterscheiden. Zum Beispiel sind verhauchte Stimmen, besonders bei Frauen, Mode! Sie klingen anscheinend sexy. Viele männliche Sprecher meinen dagegen, mit einer gepressten Stimme präsenter zu klingen, oder sie verdunkeln den Stimmklang bewußt, um mehr Volumen zu erzeugen. Der Erfolg dieser „Täuschungen“ hält jedoch nicht lange an. Damit Sie solche Fehler nicht kultivieren, sollten Sie sich auch dem Kapitel „Die menschliche Stimme“ (ab S.25) ausführlich widmen. Eine angenehme Stimme ist Grundlage für das Sprechen vor dem Mikrofon. Allerdings sollte der Hörer nicht durch eine schöne Stimme vom Inhalt des Beitrags abgehalten werden. Im Folgenden finden Sie Grundlagen zum informierenden Sprechen. BETONEN BEIM TEXTLESEN In der Spontansprache betonen wir automatisch „richtig“. „Richtig“ deshalb, weil wir das hervorheben, was uns wichtig erscheint. Wir betonen genau die Wörter, die den Kerngedanken unserer Aussage enthalten. Unwichtigeres packen wir in eine Nebenaussage, die wir beiläufig, untergeordnet und schmal sprechen. Das heißt schnell, fast unbetont und oft auch leiser. Dadurch erreichen wir, dass unser Gesprächspartner unmissverständlich das versteht, was wir meinen. Der Kerngedanke unserer Aussage ist in unserem Gehirn zunächst in roher Form vorhanden, bevor wir den Satz sprachlich und sprecherisch genau geplant haben. Genau dieser zentrale Begriff wird später im Satzgefüge durch die Hauptbetonung hervorgehoben.

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Betonungen (= Akzente) sind also für den Zuhörer notwendig, um den Sinn einer Aussage eindeutig zu verstehen. Beim Lesen von Texten muss zuerst der Sprecher den Sinn erfassen und ihn dann an den Hörer weitergeben. Der Sprecher muss ständig mitdenken und sich festlegen, damit seine Aussagen eindeutig werden. Gerade davor aber drücken sich viele Sprecher, indem sie ungenau betonen. Es entsteht der häufig kritisierte „Singsang“. Der Hörer wird dann verunsichert, weil das Sinnangebot nicht stimmig erscheint. Er kann dem Inhalt nur schwer folgen und schaltet ab. Das geschieht zum Beispiel

• • • •

wenn wenn wenn wenn

zu viele Wörter in einem Satz betont werden stereotyp Verben am Satzende betont werden Negationen (zum Beispiel „nicht“) grundsätzlich betont werden Satzzeichen als Sprechanweisung gedeutet werden

So wie ein Text durch optische Mittel gegliedert werden kann, so hat auch der Sprecher Mittel, einen Text akustisch durch Hervorhebungen und Pausen zu gliedern. BETONUNGSARTEN Es gibt mehrere Möglichkeiten, ein Wort in einem Satz hervorzuheben: • • • • •

Durch Tonhöhe Durch Lautstärke Durch Dehnung Durch eine Pause vor dem Wort (zum Beispiel: Trendforscher sprechen von einer V „Respitualisierung“) Durch einen artikulatorischen Akzent (Hervorhebung von Konsonanten)

Sprechen Sie den folgenden Satz fünfmal und betonen Sie das unterstrichene Wort jeweils auf andere Art: „Er hat sich eine Verletzung zugezogen“ Nehmen Sie den Satz auf und hören Sie die verschiedene Wirkung der Akzentarten. Wann ist es sinnvoll, so oder so zu betonen? Meist ergibt sich die Art der Betonung durch die Textart und die damit verbundene Intention. Bei informierenden Texten ist die Art der Betonung anders als bei meinungsäußernden Texten, wie zum Beispiel Kommentaren oder „bunten Meldungen“. Die folgenden Betonungsregeln sind als Hilfen gedacht, können aber am Anfang auch für Verwirrung sorgen, denn Sie müssen sich genaue Gedanken über den Sinn eines Satzes machen. Leider sind die Satzzeichen im Text dabei nur selten eine verlässliche Hilfe. BETONUNGSREGELN • Wichtigste Regel: Die Hauptbetonung erhält das Wort mit dem größten Mitteilungswert (= Kerngedanke, Sinnträger, Neuigkeit)! Dabei spielt der Kontext eine entscheidende Rolle! Diese Regel gilt immer! Wenn sie jedoch im Spezialfall nicht eindeutig ist und Sie Ihre gesetzte Betonung überprüfen wollen, lesen Sie die folgenden Ergänzungen.

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Unabhängig vom speziellen Kontext gilt überwiegend: • Meistens sind Substantive die Sinnträger, zum Beispiel „Heute früh verkündete er eine mögliche Lösung der Krise.“ (Gegenbeispiel: Die Führung hat beschlossen, 500 Mitarbeitern zu kündigen.) Im deutschen Satz steht der Sinnträger häufig am Schluss! Beim Schreiben von Hörtexten sollte dieser Grundsatz beachtet werden und die Hauptinformation ans Satzende gestellt werden! – „Der entstandene Sachschaden beträgt etwa eine Million Euro.“ • Deshalb Vorsicht: Oft wird so getextet, dass Verben am Schluss stehen, die nicht den Sinn tragen. Sie sind dann unbetont – zum Beispiel „Der Controller ist von mehreren Bildschirmen umgeben.“ • Adjektive werden normalerweise nicht stärker betont als das dazugehörige Substantiv – zum Beispiel „… eine hohe Inflationsrate …“ • Das Gleiche gilt für Negationen, die meist unbetont sind! – zum Beispiel „Es gab dafür keinen Grund.“ – Aber: In Gegensätzen und Vergleichen sind oft diese „kleinen Wörter“ die Sinnträger! Vorsicht: Ein Gegensatz kann sich über den ganzen Text erstrecken und muss nicht innerhalb eines Satzes abgehandelt werden. Zum Beispiel: „Er beteuerte, dieses Ergebnis nicht vorausgesagt zu haben.“ Zum Beispiel: „Er war sowohl in als auch außerhalb Europas anerkannt.“ • Feststehende Begriffe oder Wortgruppen wie Beifügungen werden als Ganzes unbetont zusammengefasst. (Nur auf dem letzen Wort ist ein kleiner Akzent hörbar, um die Wortgruppe abzuschließen!) Zum Beispiel: „Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ...“ Zum Beispiel: „Der 60 Meter hohe weltberühmte schiefe Turm von Pisa ...“ • Das Gleiche gilt für das Anmoderieren von O-Tönen, wenn neue Namen genannt werden. Hier werden oft notgedrungen zwei Hauptakzente gesprochen, was den Zuhörer verwirrt: Zum Beispiel ... „hier liege gerade das Problem,“ erklärt Verkehrsexperte Johann Schuster: O-Ton Wenn zeitlich möglich, sollten solche Sätze geteilt werden, damit beide Akzente einen Sinn ergeben: Zum Beispiel ... „Hier liege gerade das Problem. Das erklärt Verkehrsexperte Johann Schuster: O-Ton“ • Bei kurzen wörtlichen Zitaten kann jedes Wort rhythmisch leicht betont werden, um dem Hörer anzuzeigen, dass es sich um eine wörtliche Rede handelt! Zum Beispiel: „Wir sind nicht die Buhmänner der Nation.“ Das sagte... Einfach gebaute Sätze können in „Thema“ (meist Einführendes oder Bekanntes) und „Rhema“ (meist Neues) gegliedert werden (nach Stefan Wachtel). Das Thema ist sozusagen der Handlungsträger und das Rhema beeinflusst/verändert diesen. Im Thema ist die Nebenbetonung, im Rhema die Hauptbetonung! Um Thema und Rhema zu finden, können Sie die Sätze abfragen: Das Thema antwortet auf die Frage: „Worüber wird gesprochen?“ Das Rhema antwortet auf die Frage: „Was wird darüber ausgesagt?“ Der Täter / hat eine Waffe.

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PAUSEN Pausen im Text sind für den Sprecher nötig, um zu Luft zu kommen. Außerdem sind Pausen für den Hörer nötig, um sich im Satzgefüge zurechtzufinden. Der Sprecher muss den Text deshalb in Sinnschritte gliedern. Zu wenige Pausen machen das „Verarbeiten“ des Textes für den Zuhörer schwer. Zu viele Pausen dagegen zerreißen die Sinnbögen. Regeln zur Pausensetzung: Pausen sind von der Länge der Sätze abhängig. Wann eine Pause inhaltlich sinnvoll ist, bestimmt der Satzkontext. Gliedsätze können meist ohne Pause an den Hauptsatz angehängt werden. Wird der Satz nach dem Gliedsatz fortgesetzt, so wird eine Pause nach dem Gliedsatz gemacht. Zum Beispiel „Die Lava-Fontänen, die der Vulkan ausspuckte, V waren bis zu 300 Meter hoch.“ Einschübe und Partizipialgruppen werden durch Pausen vorher und nachher abgetrennt. Zusätzlich kann der Einschub durch „gerafftes Sprechen“ angezeigt werden. Zum Beispiel „In Singapur konnte ein Ärzteteam ein siamesisches Zwillingspaar, V zwei elf Monate alte Mädchen, V erfolgreich trennen.“ Zum Beispiel „In der chinesischen Stadt Wulong, V rund 1500 Kilometer von der Hauptstadt Peking entfernt, V kamen bei einem Erdrutsch zahlreiche Menschen ums Leben.“

Bevor Sie einen Text vor dem Mikrofon sprechen, ist es sinnvoll, dass Sie ihn vorher strukturieren, und sich über Akzente, Pausen usw. im Klaren sind. Dazu ist es unerlässlich, dass Sie die Vorinformation des Hörers durch die Anmoderation, bzw. die Zusatzinformation durch das Bild des Zuschauers, kennen. Nur so kann eine sinnvolle Betonung gefunden werden, die dem jeweiligen Kontext gerecht wird. Sie können sich durch optische Hilfen das Strukturieren erleichtern, indem Sie den Text markieren. Sie geben sich so Sprechanweisungen durch persönliche Zeichen. Diese Zeichen sind als Stützen gedacht. Wenn Sie allerdings bei sich bemerken sollten, dass die Zeichen Sie vom Sinnerfassen abhalten, so markieren Sie Ihre Texte besser nicht! Übungen zur Betonung und Gliederung Betonen Sie immer ein anderes Wort. Klopfen Sie beim jeweils betonten Wort mit der Hand auf den Tisch. Erklären Sie danach, in welchem Kontext die jeweilige Betonung sinnvoll wäre. • Solche Langzeitprognosen scheinen derzeit sinnlos. Fragen Sie die folgenden Sätze nach Thema und Rhema ab und ermitteln Sie so die zu betonenden Wörter. • In der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist es wieder zu Protesten gekommen. • Ein Tiroler Reisebus stürzte heute morgen von einer Brücke. • Die portugiesische Regierung hat für morgen Staatstrauer angeordnet. Nehmen Sie einen Text und erzählen Sie ihn frei nach. Erstellen Sie, ohne auf den Text zu blicken, einen Stichwortzettel. Suchen Sie dann, ob es Zusammenhänge zwischen den betonten Wörtern im Text und den Stichworten (vgl. Kerngedanken) gibt.

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TEIL 4: SPRECHTRAINING

HÖRERKONTAKT Wenn ein Sprecher mit einer unnatürlichen, künstlichen Melodie spricht, fühlen wir uns nicht angesprochen und nicht ernst genommen. Es ist deshalb wichtig, dass Sie sich beim Sprechen bzw. Lesen an der alltäglichen Sprechmelodie orientieren, so, als säße Ihr Hörer Ihnen gegenüber. Sprechen ist immer dialogisch! Nur durch die Konzentration auf den Adressaten wird unser Sprechen lebendig. Es sollte uns also klar sein, wem wir etwas sagen, und mit welchem Ziel (zum Beispiel aufklären, unterhalten, warnen, zum Nachdenken anregen). Um eine natürliche Modulation zu finden, ist es hilfreich, mit den Reaktionen eines Gesprächspartners zu üben, denn antworten ist direkter als vortragen! Wenn Sie zum Üben einen Partner haben, ist das besonders am Anfang sehr nützlich. Nach und nach können Sie dazu übergehen, sich den Partner nur vorzustellen. Kontaktübungen Farben Sie sind Anstreicher und sagen Ihrem Lehrling, in welchen Farben er die Tür anmalen soll: „Diese Tür in rot – blau, verstanden?“ Zuerst mit Vor– und Nachtext sprechen, später nur noch die Farben sprechen und den Rest denken (= Subtext)! Geburtstagsfeier Sie feiern mit einem Freund Geburtstag und besprechen, wen Sie einladen. Jeder schlägt drei Personen vor, der andere fragt nach und bekommt noch einmal eine Bestätigung: „Peter, Paul, Christine“ „Peter, Paul, Christine?“ „(ja) Peter, Paul, Christine!“ Reisen Sie suchen mit einem Partner ein Reiseziel. Fragen Sie dabei immer gegenseitig nach und bestätigen Sie. Steigern Sie das Tempo, ohne den Kontakt abzubrechen: „ Italien“ „Italien?“ „Italien!“ usw. Namen im Text Wenn im Text bisher nicht genannte Personen vorkommen, so denken Sie nach dem Namen folgenden Subtext zum Hörer: „den kennen Sie sicher“, oder „Sie wissen schon“ Fragetechnik beim Textsprechen Stellen Sie sich einen begriffsstützigen Partner vor, der immer nachfragt. Hören sie den Unterschied in der Melodie, wenn Sie den Satz zum ersten Mal sprechen und wenn Sie auf die Nachfrage des Partners reagieren. Beispielsatz: Der Mann ist unschuldig. Nachfrage: „Er ist was?“ Antwort: „Er ist unschuldig!“ Antworten Antworten Sie mit jedem Satz auf imaginäre Fragen des Zuhörers/Zuschauers wie zum Beispiel: „Was gibt´s Neues?“ Übung zum Hörerkontakt anhand einer Gebrauchsanweisung für einen Toaster Sie haben sich mit einem Partner einen neuen Toaster gekauft und lesen die Gebrauchsanweisung vor. Überprüfen Sie ständig, ob Ihnen Ihr Partner folgen kann und ob er sich alles merkt. Sie selbst sollten natürlich auch verstehen, was Sie lesen und daran interessiert sein. Sie können Ihr Sprechen durch erklärende Gesten unterstreichen. Zuleitung in benötigter Länge abwickeln und Netzstecker in eine Schutzkontaktsteckdose stecken. Gewünschte Bräunung mit stufenlosem Röstgradwähler einstellen. Brotscheiben senkrecht einlegen. Aufzugstaste bis zum Anschlag nach unten drücken. Mit dem Einrasten schaltet

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sich das Gerät ein und der Toastvorgang beginnt. Vorsicht, das Gerät wird heiß. Während des Toastvorgangs nicht in die Brotschlitze fassen! Sollte während eines Toastvorgangs das Brot zu dunkel werden, drücken Sie die Röststoptaste. Das Gerät wird dadurch abgeschaltet. Der eingestellte Röstgrad bleibt dabei unverändert. Nach jedem Toastvorgang ist die Krumenschublade unterhalb der Aufzugstaste herauszunehmen und von festgebackenen Brotkrumen zu reinigen. Übung zum natürlichen Zuhörerkontakt mit einem Krimi Lesen Sie jemandem den Auszug eines Krimis vor. Erfinden Sie zwischen den Sätzen ständig Überleitungen und Gedankenbrücken, um den Partner zu fesseln: zum Beispiel „aufgepasst!“ „...und jetzt kommt das Unglaubliche:“ „...jetzt halt Dich fest“ „...krass, oder?“ Sprechen Sie danach einen Ihrer Texte mit ähnlichen Zwischentexten. Die Frau betrat das dunkle Zimmer. Ihr Herzklopfen wurde schnell und laut. Sie tastete sich zur Mitte des Raumes. Nichts geschah. Plötzlich wurde sie von einer groben Hand gepackt und zurückgezerrt. Die Hand presste sich auf Ihren Mund und jeder ihrer Schreie wurde erstickt. Sie dachte an das Bündel, das sie in den Händen hielt. Ihre Hände umschlossen es wie Krallen. Da spürte sie, wie die grobe Hand nach ihren Händen tastete und ihr das Bündel zu entreißen suchte. Sie nahm all ihre Kraft zusammen. Dann wurde ihr Bewusstsein mit Schwärze umhüllt. Sie konnte sich nicht mehr spüren. Das Bündel war weg.

SPRECHAUSDRUCK Gelesenes klingt langweilig, wenn beim Hörer keine inneren Bilder entstehen. Wenn Sie privat einem Freund von ihrem letzten Urlaub erzählen, werden Sie selbst Szenen und Bilder Ihres Urlaubs im Moment des Erzählens „nacherleben“. Ihre Körpersprache ist dann aktiv. Mimik, Gestik und Blick unterstützt den Ausdruck. Wir können auch beim Sprechen von OffTexten oder Moderationen die nichtsprachlichen (= nonverbalen) Anteile der Kommunikation nutzen. Wenn Sie zum Beispiel Gesten beim Lesen machen, werden im Körper mehrere Systeme wach, die Ihr Sprechen lebendiger und konkreter machen! Dies überträgt sich auch auf den Zuhörer und er hört nicht nur zu, sondern sieht in seiner Vorstellung auch Bilder! Sprechausdrucksübungen Blickkontakt Nehmen Sie beim Textsprechen Blickkontakt zu einem (imaginären) Partner auf Mimik und Kopfnicken Verstärken sie Ihre Mimik und nicken Sie beim Sprechen, um sich rückzuversichern, dass der Partner alles verstanden hat bzw. Ihre Meinung teilt Gesten Gestikulieren Sie beim Sprechen, um die Bedeutung zu unterstreichen. Achten Sie darauf, dass die Gesten nicht „leer“ und „abgetrennt“ , sondern kraftvoll gesetzt sind Aufzählungen sichtbar machen Zeigen Sie mit der Hand jedes Glied der Aufzählung einzeln an, 1. 2. 3. usw. Personen ankündigen Wenn vor O-Tönen die Namen der Sprechenden genannt werden, weisen Sie mit der Hand in eine Richtung, so als wäre die Person im Raum. Oder stellen sie sich vor, dass sie das Mikrofon an sie weitergeben

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TEIL 4: SPRECHTRAINING

Dialekt sprechen Erzählen Sie den Textinhalt im Dialekt, übertragen Sie dann die Natürlichkeit und „Logik“ aufs Lesen Überzeugende Stimme durch Körpersprache Einem imaginären Partner versichern, dass auf dem Tisch ein Apfel lag, dazu dreimal das Wort „Apfel“ oder „echt“ sprechen, zwischen jedem Wort Mimik, Körperhaltung, Gestik und Subtext verändern

PERSÖNLICHES SPRECHEN Damit sich der Hörer/Zuschauer persönlich angesprochen fühlt, müssen Sie ihn auch persönlich meinen. Aber wie können Sie jemanden persönlich ansprechen, der nicht sichtbar ist? Hier kann nur die Vorstellung helfen. Wenn Sie mit jemandem telefonieren, sehen Sie ihr Gegenüber auch nicht. Sie stellen sich aber wahrscheinlich die Situation des Gesprächspartners in irgendeiner Form vor. Es entstehen unbewusst Bilder in ihrem Kopf über das Gesicht der Person, über die Räumlichkeiten, wo sich die Person befindet, über Gegenstände in der Nähe der Person usw. In der folgenden Übung benutzen wir diese Vorstellungen vom konkreten Gegenüber. Die Ansprechhaltung wird dadurch persönlicher, direkter und präsenter weil Sie eine Grundhal-tung beim Sprechen haben. Übung zum persönlichen Sprechen Hörer-/Zuschauer-Steckbrief Stellen Sie sich in Ruhe einen imaginären oder auch realen (den Sie kennen) „Durchschnitts“- Zuhörer/Zuschauer Ihrer Zielgruppe vor. Wenn Sie die Person und die Situation, in der sich die Person befindet, vor Augen haben, dann füllen Sie den folgenden Steckbrief aus. Geben Sie Ihrem Hörer/Zuschauer am Schluss einen Namen (sofern es keine Person ist, die Sie wirklich kennen).

Name: Spitzname: Aussehen: Alter: Beruf: Familiensituation: Hobbys: Wo hört die Person gerade Radio bzw. sieht fern: Wie sieht der Raum genau aus: Wie riecht es dort:

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Was macht die Person beim Radiohören/Fernsehen: Welche Themen interessieren die Person besonders: Wem erzählt diese Person Neuigkeiten weiter, die Sie im Radio/Fernsehen erfährt: Lesen Sie jetzt Ihren Text bzw. sprechen Sie frei von Ihrem Thema nur für diesen Hörer/Zuschauer. Versuchen Sie ihn direkt anzusprechen und sich seine Reaktionen vorzustellen. Nehmen Sie Ihr Sprechen auf und vergleichen Sie den entstandenen Sprechstil mit früheren Aufnahmen. Ist es Ihnen gelungen, sich nicht nur mit dem Text, sondern darüber hinaus mit dem Zuhörer/ Zuschauer zu beschäftigen? Was hat sich verändert? Hören Sie Unterschiede in der Melodie, in den Kadenzen, im Tempo, in der Pausengestaltung, in der Betonung und in der Präsenz? Vielleicht ist auch die Atmung geräuschlos geworden und der lästige Schnappatem ist weg? (vgl. Atmung und Zuwendung im Kapitel Atmung) AUSSPRACHE IN HÖRFUNK UND FERNSEHEN Sie haben auf den vorigen Seiten erfahren, wie wichtig der persönliche Kontakt zum Hörer ist. Sie sollen dem Hörer nahe kommen, damit er Ihnen gern zuhört. Das gelingt am ehesten, wenn Sie sich auch an der Sprechweise Ihres Zielpublikums orientieren. Damit ist nicht gemeint, dass Sie in Jugendsprache oder im starken Dialekt Ihres Heimatdorfes sprechen sollen. Sie dürfen sich aber ruhig eine leichte regionale Einfärbung bewahren. In regionalen Sendern ist es sogar erwünscht, dass die Sprecher eine solche Färbung mitbringen, denn Sie sprechen schließlich für die Hörerschaft/Zuschauerschaft in der Region. Anders ist es, wenn Sie für einen Sender sprechen, der das Publikum im gesamten deutschsprachigen Raum anspricht. In diesem Fall kommt der überregionalen Aussprache natürlich eine größere Bedeutung zu. Es gilt also für das Sprechen in Hörfunk und Fernsehen meist die sogenannte gemäßigte Hochlautung (= Standardaussprache) mit leichter regionaler Einfärbung. Für spezielle Wörter ist das Aussprachewörterbuch von der Reihe Duden die Instanz zum Nachschlagen. (Er sollte in keiner Redaktion fehlen!)

TIPPS FÜR DAS SPRECHEN VOR DEM MIKROFON ALLGEMEINE TIPPS • Vor der Aufnahme einen ruhigen Raum zum Aufwärmen aufsuchen (fördert die Konzentration) • Genug Zeit für Aufnahme nehmen, lieber dafür beim schriftlichen sprachlichen „Ausfeilen“ des Textes sparen! • Im Stehen sprechen ist günstiger als im Sitzen! (freiere Atmung und Körperaktivität) • Blatt in die Hand nehmen! (verhindert vorgestreckten Hals) • Blatt in Sichthülle stecken! (verhindert Rascheln)

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TEIL 4: SPRECHTRAINING

TIPPS BEI VERSPRECHERN: Oft passiert beim Aufnehmen immer wieder der gleiche Versprecher. Dann helfen folgende Tricks: • Rhythmus des Wortes vorsagen zum Beispiel mit „ram-dam-dam“, oder klopfen • Schwierigen Satz mit Finger im Mund sprechen • Vor dem schwierigen Wort den Mund öffnen und die Vokalstellung vorformen. TIPPS VOR DEM SPRECHEN: Eine halbe Stunde vor der Aufnahme sollten Sie Ihren Speiseplan überprüfen, damit die Stimme nicht verschleimt und kratzt:

• • • •

Keine milchhaltigen Speisen und Getränke (Milchkaffee, Eis, Schokolade ...) Keine nusshaltigen Snacks Keine scharfen Gewürze Außerdem nicht rauchen

Bei trockenem Mund hilft:

• • • • • •

Leicht und kurz mit den Backenzähnen auf die Zungenränder beißen Zunge schnell im Mund bewegen In ein Stück Zitrone beißen Sich vorstellen, in eine Zitrone zu beißen Etwas lutschen (zum Beispiel Salztablette) Sich vorstellen, etwas zu lutschen

Bei Aufregung hilft: • Gehen und hüpfen (baut die überschüssige Energie ab) • Sich mit der Hand über das Gesicht streichen (erinnert unbewusst an Streicheln und Geborgenheit und hilft bei Angst und Verkrampfung) • Lautes Seufzen (bringt Entspannung der Atemmuskulatur) • Langsames Ausatmen und bewußt warten, bis wieder neue Luft von selbst in den Bauch strömt (bewahrt vor „Nach-Luft-Schnappen“)

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TEIL 5: HINWEISE ZUM UMGANG MIT FREMDSPRACHEN

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TEIL 5: HINWEISE ZUM UMGANG MIT FREMDSPRACHEN Die Aussprache fremdsprachiger Namen und Begriffe, die unübersetzt bleiben, bereiten gelegentlich Schwierigkeiten. Hier folgen einige grundlegende Hinweise zum Umgang mit Fremdsprachen.

ITALIENISCH Betonung: meist auf der vorletzten Silbe, mit etlichen Ausnahmen. Akzente sind tongebend. Buchstabe(n) Aussprache

Beispiel

c vor e, i [t∫] c vor a, o, u [k] ci vor a, o, u [t∫] (stimmlos, das „i“ bleibt stumm) cch und ch vor e, i [k] g vor e, i [d∫] (stimmhaft) g vor a, o, u [g] gh vor e, i [g] gi vor a, o, u [d∫] (stimmhaft, das „i“ bleibt stumm) gu vor e, i [gu] sc vor e, i [∫] sc vor a, o, u [ßk] sch [ßk]

città [t∫ita] carta [karta] ciao [t∫ao] vecchia [wäkia] gelati [d∫älati] golfo [golfo] ghetto [gätto] Giorgio [d∫ord∫o] guerra [guärra] lasciare [la∫are] uscire [u∫ire] scuola [ßkuola] bruschetta [brußkätta]

KROATISCH Betonung: für jedes Wort individuell festgelegt. Buchstabe(n) Aussprache č c ć dž đ s š v z ž

Beispiel

[tsch] [tß] [tsch] [dsch] (stimmhaft) [dsch] (stimmhaft) [ß] [∫] [w] [s] (stimmhaft) [sch] (stimmhaft)

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TEIL 5: HINWEISE ZUM UMGANG MIT FREMDSPRACHEN

POLNISCH

Betonung: Grundsätzlich wird die vorletzte Silbe betont. Diakritische Zeichen sind keine Betonungszeichen! Vokale: werden kurz ausgesprochen. Buchstabe(n) Aussprache c ć cz dz dż dź e ę l ł ń o ó rz s ś sz y z ź ż

[tß] [dch] [t∫] [ds] (stimmhaft) [d∫] [dsch] (stimmhaft) [e] [ɛ̈] (nasaliert) [l] [w] [nj] [o] [u] [sch] (stimmhaft) [ß] [ch] [∫] [i] [s] (stimmhaft) [s] (stimmhaft) [sch] (stimmhaft)

wie im deutschen „Mädchen“ wie im italienischen „zero“ wie im deutschen „Dschungel“

wie die Schlusssilbe in „Cousin“ wie im englischen „water“ wie in „Cognac“ wie im deutschen „bunt“ wie in „Garage“ wie im deutschen „Küche“ wie im deutschen „Schal“

PORTUGIESISCH Zu unterscheiden sind Aussprachevarianten für den portugiesischen und den brasilianischen Sprachraum. Aber auch in Brasilien ist die Aussprache nicht einheitlich. Details siehe unten. Betonung: Wörter, die auf a, e bzw. o sowie einem s oder m enden, wer-den auf der vorletzten Silbe betont, Wörter, die auf i, u oder Konsonanten(meist l, r, z) enden, auf der Endsilbe. Eine von dieser Regel abweichende Betonung wird durch ein diakriti-sches Zeichen (Akut oder Zirkumflex) angezeigt. Durch Tilde gekennzeichnete Silben sind immer betont, es sei denn, eine andere Silbe trägt einen Akut oder einen Zirkumflex. Vokale: können dunkel und hell ausgesprochen werden; für jedes Wort festgelegt. Buchstabe(n)

Aussprache

Hinweise und Beispiel

-o (im Auslaut) Diphtong mit „o“ oder „u“

[u] sehr dunkles [u] bis [w]

santo (heilig) = [ßantu] ao (zu) = [au]; mau (schlecht) = [mau]

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Buchstabe(n)

Aussprache

am, an, ã [ã] - (nasaliert) em, en, un, um, im, in jeweils nasalierter Vokal om, on, õ [õ] - (nasaliert) ca, co, cu [k] ça, ce, ci, ço, çu [ß] ch [∫] ga, go [g] ge, gi [sch] (stimmhaft) gua [gua] gue, gui [ge], [gi] – das „u“ wird nicht gesprochen! j [sch] (stimmhaft) -l [ł] – ganz dunkles „l“ -s [∫] in Portugal [ß] in Brasilien v [w] x abhängig vom Wort – [∫] oder [ß] z [s] (stimmhaft)

Hinweise und Beispiel wie im französischen „blanc“ wie im französischen „on“

wie das „J“ in „Journal“ agua (Wasser) = [agua]

wie das „J“ in „Journal“

caixa (Kiste) = [ka∫a] próximo (nächster/s) = [proßimo]

RUSSISCH Betonung: Grundsätzlich auf der ersten Silbe. Vokale: grundsätzlich offen und kurz, es sei denn, sie tragen einen „Akzent“. Diakritische Zeichen: Die mit dem „Dĺžeň“ (= Verlängerungszeichen) gekennzeichneten Buchstaben werden NICHT BETONT sondern lang ausgesprochen. Buchstabe(n) Aussprache

Beispiel

á, é, í, ó, ú, ý, ŕ

pekné (schön) = [päkne:]

[a:], [e:] etc.

SCHWEDISCH Buchstabe(n) Aussprache

Beispiel

a [a] (hell wie in dt. „kalt“) oder [ɒ:] (lang und dunkel å [ɔ] wie „o“ in dt. „offen“ oder [oː] wie in dt. „Ofen“ e [ε] (kurz und offen wie in dt. „Bett) oder [e:] (lang und geschlossen wie in dt. „Beet“) g [g] ge, gi, gy, gä, gö [j] Göran = [jöran] dj, gj, hj, lj [j] djur („Tier“) = [jü:r] etc.

TSCHECHISCH

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TEIL 5: HINWEISE ZUM UMGANG MIT FREMDSPRACHEN

Buchstabe(n) Aussprache k [k] ke, ki, ky, kä, kö [ch] wie in dt. „ich“ kj, tj [ch] ähnlich dem dt. „ch“ o gibt es offen, geschlossen und in Varianten Richtung [u] gesprochen s [ß] ske, ski, sky, [∫] skä, skö

Beispiel

Kjell = [chäll]

skön („schön“) = [∫ö:n]

SLOWAKISCH Betonung: Grundsätzlich auf der ersten Silbe. Vokale: grundsätzlich offen und kurz, es sei denn, sie tragen einen „Akzent“. Diakritische Zeichen: Die mit dem „Dĺžeň“ (= Verlängerungszeichen) gekennzeichneten Buchstaben werden NICHT BETONT, sondern lang ausgesprochen. Buchstabe(n) Aussprache

Beispiel

á, é, í, ó, ú, ý, ŕ c dz ch dž ň s š v z ž

pekné (schön) = [päkne:]

[a:], [e:] etc. [tß] [s] (stimmhaft) [ch] (wie im Deutschen) [dsch] (stimmhaft) [nj] [ß] (stimmlos) [∫] (stimmlos) [w] (stimmhaft) [s] (stimmhaft) [∫] (stimmhaft)

medza (Grenze) = [mädsa] džem (Marmelade) = [schäm]

škola (Schule) = [∫kola]

SLOWENISCH Betonung: Die Betonung kann auf jede Silbe des Wortes fallen. Einige zusammengesetzte Wörter haben mehrere betonte Silben. Vokale: Im Allgemeinen sind betonte Vokale lang und unbetonte kurz. Alle Vokale können betont oder unbetont vorkommen. Buchstabe(n) Aussprache č [tsch] š [∫] ž [sch] (stimmhaft) c [tß] s [ß]

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Beispiel


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Buchstabe(n) Aussprache

Beispiel

z [s] (stimmhaft) h [ch] v [w] v [u] am Silbenende, am Satz anfang vor Konsonant bzw. zwischen Vokal und Konsonant l wird am Silbenende bzw. zwischen Vokal und Konsonant oft wie u gesprochen

SPANISCH Zu unterscheiden ist die spanische Hochsprache („Castellan“) einerseits und andererseits die spanische Umgangssprache sowie die Aussprache in Süd- und Mittelamerika. Betonung: Spanische Wörter werden in der Regel auf der vorletzten Silbe betont, wenn sie auf einen Vokal oder den Buchstaben n oder s enden. Sie werden auf der letzten Silbe betont, wenn sie auf einen Konsonanten (ausgenommen n und s) enden. In allen davon abweichenden Fällen wird die Betonung durch einen „Akzent“ (Akut) angezeigt. Vokale: Im Spanischen wird, anders als im Deutschen, nicht zwischen kurzen und langen Vokalen unterschieden. Die Vokale werden immer halblang gesprochen. Buchstabe(n) Aussprache ca, co, cu [k] ce, ci [θ] in der Hochsprache [ß] umgangssprachlich ch [t∫] g vor einem Vokal [ch] gue gui [gi] güi [gui] ll [lj] ñ [nj]

Beispiel

cinco (fünf) = [θinko] bzw [ßinko]

Guitarra = [gitarra] Guillermo = [giljärmo]

TSCHECHISCH Betonung: Grundsätzlich auf der ersten Silbe. Vokale: grundsätzlich kurz, es sei denn, sie tragen einen „Akzent“. Diakritische Zeichen: Die Čárka (= Akut, „Akzent“) und der Kroužek („Kreisel“) auf Vokalen sind KEINE BETONUNGSZEICHEN, sie dehnen einen Vokal. Buchstabe(n) Aussprache

Beispiel

á ů

velká (großartig) = [wälkaa] Martinů = [martinu:]

[a:] [u:]

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TEIL 5: HINWEISE ZUM UMGANG MIT FREMDSPRACHEN

Buchstabe(n) Aussprache

Beispiel

c [tß] č [t∫] ch [ch] (wie im Deutschen) é [e:] ě [ej] í, ý [i:] j [j] ó [o:] r [r] ř [r∫] s [s] š [sch] ú, ů [u:] z [s] (stimmhaft) ž [sch] (stimmhaft)

Nĕmecký (Deutschland) = [njämetßki:], cukr ( Zucker) = [tßukr] časem (schließlich) = [tschasäm] chodba (Korridor) = [chodba] haléř (Heller) = [hale:rsch] věda (Wissenschaft) = [wjäda] bílý (Biene) = [bili:] citrón = [tsitro:n] Dvořák = [dworscha:k] starý (alt) = [ßtari:] šiška (Kegel) = [schischka] stůl (Tabelle) = [ßtu:l] nazdar (Hallo!) = [nasdar] žena (Frau) = [schäna]

UNGARISCH Betonung: Grundsätzlich auf der ersten Silbe. Vokale: werden „dunkel“ ausgesprochen, es sei denn, sie tragen einen „Akzent“. Diakritische Zeichen: „Akzente“ auf Vokalen sind KEINE BETONUNGSZEICHEN, sie „hellen“ einen Vokal auf. Buchstaben(kombinationen)

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Buchstabe(n) Aussprache

Beispiel

c [tß] cs [tsch] dz [dsch] (stimmhaft) gy [dj] gely [gei] ny [nj] s [sch] sz [ß] ty [tj] z [s] (stimmhaft) zs [sch] (stimmhaft)

Ferenc = [färentß] Fricsay = [fritschai] Bodza (Holler) = [bodscha] Györ = [djör], György = [djördj] Gergely = [gärgäi] Nyil (Pfeil) = [njil] Sonka (Schinkel) = [schonka] Veszprém = [wäßprem] Mátyás = [matjasch] Zene (Musik) = [sänä] Zsakett = [schakätt]


TEIL 6: IMMER WIEDER GEHÖRT – UND TROTZDEM FALSCH

GPS / SPRACHTRAINING

TEIL 6: IMMER WIEDER GEHÖRT – UND TROTZDEM FALSCH Begriff

falsch richtig

(Schloss) Belvedere

[bälwedä:r] [bälwede:re]

(Anm.: Die Sommerresidenz des Prinzen Eugen hat einen italienischen Namen, keinen französischen)

bisher [bißhär] [bißhe:r] direkt [diräkt] [diräkt] Konsens [konsänß] [konsänß] konservativ [konservativ] [konservati:v] (und andere Adjektiva, die auf –iv enden) umfassend [umfaßend] [umfaßend] Vorarlberg [forarlbärg] [forarlbärg] Westfalen [wästfa:len] [wästfa:len] Vatikan [watikan] [watika:n]

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IMPRESSUM 2. überarbeitete Auflage, März 2016 Medieninhaber und Hersteller: Österreichischer Rundfunk, ORF Würzburggasse 30, 1136 Wien Abteilung Schulung, Leitung: Dr. Andreas Heindl Herausgeber: Haimo Godler Design: ORF Marketing & Creation GmbH & Co KG Verlags- und Herstellungsort: Wien © 2016

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