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BETRIFFT: WAHLEN
ÖFFENTLICH-RECHTLICHE QUALITÄT IM DISKURS
ÖFFENTLICHRECHTLICHE MEDIEN UND WAHLEN
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DIE 5 QUALITÄTSDIMENSIONEN INDIVIDUELLER WERT
GESELLSCHAFTSWERT
ÖSTERREICHWERT
VERTRAUEN SERVICE UNTERHALTUNG WISSEN VERANTWORTUNG
VIELFALT ORIENTIERUNG INTEGRATION BÜRGERNÄHE KULTUR
IDENTITÄT WERTSCHÖPFUNG FÖDERALISMUS
INTERNATIONALER WERT
UNTERNEHMENSWERT
EUROPA-INTEGRATION GLOBALE PERSPEKTIVE
INNOVATION TRANSPARENZ KOMPETENZ
Public Value, die gemeinwohlorientierte Qualität der öffentlich-rechtlichen Medienleistung des ORF, wird in insgesamt 18 Kategorien dokumentiert, die zu fünf Qualitätsdimensionen zusammengefasst sind. Mehr dazu auf zukunft.ORF.at.
HERAUSGEBER UND HERSTELLER: Österreichischer Rundfunk, ORF Würzburggasse 30, 1136 Wien
DESIGN: ORF Marketing & Creation GmbH & Co KG FÜR DEN INHALT VERANTWORTLICH: ORF-Generaldirektion Public Value, BR
1. Auflage, © ORF 2019 Reaktionen, Hinweise und Kritik bitte an: zukunft@ORF.at
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– gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse” des Österreichischen Umweltzeichens, ORF Druckerei, UW 1237
QUALITÄT AUF DEM PRÜFSTAND Wir halten es für selbstverständlich: eine lebendige und funktionierende Demokratie ist von gut informierten Bürger/innen abhängig. Gerade in Zeiten von Fake News und „alternativen“ Wahrheiten gilt diese Voraussetzung aber längst nicht mehr. Eine unüberprüfbare Flut an Meldungen und Bildern macht es Mediennutzer/innen schwer, zwischen wahr und falsch, zwischen vertrauenswürdig und manipulativ zu unterscheiden. Der ORF ist – wie im ORF-Gesetz, seinen Programmrichtlinien und Selbstverpflichtungen definiert – einem überprüfbaren Auftrag verpflichtet, der die umfassende Information der Bevölkerung über alle wichtigen politischen Fragen und die Förderung des Verständnisses für alle Fragen des demokratischen Zusammenlebens sicherstellen soll. Das ist im zeitlichen Umfeld von Wahlen von besonderer Bedeutung, in dem Emotionen, harte Konfrontationen und eine gesteigerte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu verzeichnen sind. Gerade im Wahlkampf der Parteien steht die Qualität der Medien und ihre Vertrauenswürdigkeit auf dem Prüfstand. Was also muss Berichterstattung leisten, wenn sie eine Quelle vertrauensvoller Information sein will? Welche Anforderungen richten sich an Qualitätsmedien? Vor allem aber: Was leistet der ORF in Wahlkampfzeiten? Wie beurteilen Wissenschaft und die Bevölkerung die Berichterstattung des ORF? Auf den folgenden Seiten finden Sie Expertise österreichischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu: Beiträge von Forscherinnen bzw. Forschern der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Universitäten Wien und Innsbruck, der Donauuniversität Krems, der FH Wien und Kärnten sowie verschiedener sozialwissenschaftlicher Institute. Die dabei behandelten Aspekte sind breit gefächert und reichen von repräsentativen Umfragen bis zu normativen Aussagen, von datengestützten Analysen zu Wahlkämpfen im historischen Vergleich bis zu qualitativen Untersuchungen bei jungen Österreicher/innen. Alle Beiträge sind - so wie rund 200 Beiträge internationaler und österreichischer Wissenschaftler/innen, darunter auch die Public Value-Studien „Der Auftrag: Demokratie“ und „Allianzen, Plattformen und Kooperationen" – auf zukunft.ORF.at veröffentlicht. Dort finden Sie auch zahlreiche weitere Zahlen, Daten und Fakten, die belegen, wie der ORF seinen öffentlichen-rechtlichen Auftrag erfüllt – nicht nur in Wahlkampfzeiten, sondern das ganze Jahr über.
KONRAD MITSCHKA
KLAUS UNTERBERGER
ORF GENERALDIREKTION PUBLIC VALUE
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INHALT 8
EINE STARKE DEMOKRATIE BRAUCHT EIN STARKES GEGENÜBER FH-PROF.IN MMAG.A DR.IN KATHRIN STAINER-HÄMMERLE, FH KÄRNTEN
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MEINUNGSBILDUNG IN ÖSTERREICH DR. BERTRAM BARTH, INTEGRAL MARKT- UND MEINUNGSFORSCHUNG
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WIE WICHTIG SIND ÖFFENTLICH-RECHTLICHE MEDIEN IM ZUSAMMENHANG MIT WAHLEN“? DRIN. NATASCHA ZEITEL-BANK, INSTITUT FÜR MEDIEN, GESELLSCHAFT UND KOMMUNIKATION, UNIVERSITÄT INNSBRUCK
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ZEITEN SICH ZUSPITZENDER ÖKONOMISCHER UNGLEICHHEIT MAG.A DRIN. SASKJA SCHINDLER, UNIVERSITÄT WIEN
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WETTKAMPF STATT INHALT? DR. JAKOB-MORITZ EBERL, INSTITUT FÜR PUBLIZISTIK- UND KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT, UNIVERSITÄT WIEN
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MEDIENREPERTOIRE JUNGER ERWACHSENER VOR WAHLEN MAG.A GISELA REITER, FH WIEN DER WKW
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VERTRAUEN IN WAHLEN UND DEMOKRATIE MAG. GÜNTHER OGRIS, SORA
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MEDIEN UND WAHLFORSCHER ALS SYMBIOSE UNIV.-PROF. DR. PETER FILZMAIER DONAU-UNIVERSITÄT KREMS, KARL FRANZENS-UNIVERSITÄT GRAZ
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WAHLKAMPF IM ORF DDR.IN GABRIELE MELISCHEK UND DR. JOSEF SEETHALER, ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
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PSM CONTRIBUTION TO DEMOCRACY: NEWS, EDITORIAL STANDARDS AND INFORMED CITIZENSHIP DR. STEPHEN CUSHION, CARDIFF UNIVERSITY
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ÖFFENTLICH-RECHTLICHE MEDIEN UND WAHLEN
ORF-BERICHTERSTATTUNG ZUR NATIONALRATSWAHL 2019
Der ORF hat in all seinen Medien, im Fernsehen, im Radio, im TELETEXT und online umfangreich über die Nationalratswahl berichtet. Im Folgenden einige Zahlen, Daten und Fakten, die die Berichterstattung dokumentieren. DIE ORF-RADIOS *
3,7 Millionen Auf Basis der Werte des Radiotests 2019/2 (Juli 2018 bis Juni 2019) ist davon auszugehen, dass die ORF-Radios täglich knapp 3,7 Millionen Hörerinnen und Hörer ab 10 Jahren erreichten, das sind 47 Prozent der österreichischen Bevölkerung. Eine umfangreiche Übersicht zur Leistung der ORF-Radios finden Sie auf zukunft.ORF.at Ö1 In rund 500 „Journalen“ seit Anfang Juli war die Nationalratswahl Thema, die intensive Vorwahlberichterstattung auf Ö1 startete mit der ersten „Elefantenrunde“ in „Klartext“. Ö3 In den Wochen vor der Nationalsratswahl 2019 hatten die Spitzenkandidat/innen im Ö3-Wecker die Chance, sich den Wähler/innen direkt zu stellen; sie waren auch in „Frühstück bei mir“ geladen. Am Wahltag brachte Ö3 u.a. die dreistündige Sondersendung „Ö3Wahljournal“ von 16.00 bis 19.00 Uhr mit stündlichen Sonderjournalen, halbstündlichen News-Updates und Reportereinstiegen aus dem ORF-Rechenzentrum zur 1. Hochrechnung und dem vorläufigen End-Ergebnis sowie Reporter-Einstiegen aus den Partei-Zentralen. FM4 Im September sendete FM4 jeweils mittwochs von 17.00 bis 19.00 Uhr eine Spezialstrecke zur Nationalratswahl 2019. In „FM4 Wahlzeit“ diskutierten Expert/innen im Studio aktuelle Ereignisse, junge interessante Kandidat/innen der wahlwerbenden Parteien wurden porträtiert und FM4 fragte nach, was in Sachen Klima- und Bildungspolitik in diesem Wahlkampf los ist. REGIONALRADIOS AM WAHLTAG Die ORF-Regionalradio-Nachrichtenredaktion berichtete laufend über alle Aspekte des Wahlkampfs und brachte die Auswertung aller Interviews mit den Spitzenkandidaten. Die Berichterstattung inkludierte Reportagen, Analysen, Diskussionen, Hintergrundinformationen und Interviews. Am Wahltag selbst berichtete der aktuelle Dienst in den Regionalradios in insgesamt fünf Sonderjournalen sowie in drei weiteren in der Früh nach der Wahl. Die Live-Einstiege und Live-Analysen kamen von Fabio Polly und Wolfgang Werth. * Mehr Details dazu finden Sie auf zukunft.ORF.at
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DER WAH LTAG
21,3 Mio. Seitenaufrufe für ORF.at 9,9 Mio. Nutzungsminuten und 340.000 Nettoviews (zusammenhängende Nutzungsvorgänge)
6,1 Mio. Zugriffe auf die TELETEXT-Seiten zur Wahl: Die aktuellen Ergebnisse in Grafiken sowie die spannendsten Fotos des Wahlabends bereitete der Social Media Dienst auf dem Ö1-Journale-Account auch für Twitter und Facebook auf.
WAHLB ERICHTE I M F ERN S EHE N
5,7 Mio. Menschen informierten sich über die Nationalratswahl 2019 im ORF-Fernsehen
2,477 Mio. Menschen sahen das ORF IIIInformationsangebot im Zuge der Nationalratswah
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WAHL SEND U NGEN M IT D EN M E I STE N Z US E H E R / I N N E N „Zeit im Bild“ (29. September): 1,828 Millionen Zuschauer/innen, 55 Prozent Marktanteil „Bundesland heute“ (29. September): 1,779 Millionen Zuschauer/innen, 57 Prozent MA „Lokale Berichte der Landesstudios“ (29. September): 1,629 Millionen Zuschauer/innen, 59 Prozent Marktanteil „ZIB Spezial: Erste Hochrechnung“ (29. September): 1,197 Millionen Zuschauer/innen, 58 Prozent Marktanteil „Diskussion der Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten“ (26. September): 1,146 Millionen Zuschauer/innen, 39 Prozent Marktanteil
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EINE STARKE DEMOKRATIE BRAUCHT EIN STARKES GEGENÜBER FH-PROF. IN MMAG. A DR. IN KATHRIN STAINER-HÄMMERLE FH KÄRNTEN
Die Frage „Braucht es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk?“ ist eine rein rhetorische. Nicht nur aus der Perspektive einer Politikwissenschaftlerin und politischen Bildnerin, sondern auch aus Sicht aller Bürgerinnen und Bürger eines Landes und sogar für all jene, die zwar nicht wahlberechtigt, aber doch von den Konsequenzen politischen Entscheidens betroffen sind. Denn das Volk ist in einer Demokratie nicht nur der Macht unterworfen, es ist auch der Ursprung und Ausgangspunkt politischen Handelns und am Ende auch die Instanz, der Mächtige gegenüber verantwortlich sind. Für diese Aufgaben braucht es kritische und mündige Bürgerinnen und Bürger, die umfassend informiert sind oder sich zumindest umfassend informieren können. Eine Demokratie zeichnet sich also nicht nur durch allgemeine, freie und gleiche Wahlen aus, sondern vor allem durch die Gewährung von Grund- und Menschenrechten, allen voran der Meinungs-, Versammlungs- und Informationsfreiheit. Information ist ein essentieller Bestandteil einer funktionierenden, lebendigen Demokratie. Information kontrollieren zu können, war und ist daher immer ein Bestreben von herrschenden Eliten in allen politischen Systemen, in Autokratien, Diktaturen aber auch in Demokratien. Der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas hat bereits 2010 in einem vielbeachteten Essay in der Süddeutschen Zeitung den Zusammenhang zwischen Medien, Märkten und Konsumenten erläutert. Sein Schluss: „Keine Demokratie kann sich ein Marktversagen auf diesem Sektor leisten.“ Rendite und Gemeinwohlorientierung, Profit und Fairness, Rationalisierung und kritisches Hinterfragen vertragen sich nicht. Das gilt sowohl für die Organisation von demokratischen Verfahren als auch für die Garantie einer umfassenden Information. Die Schwierigkeit besteht allerdings in der Wahrung der Neutralität dieser Berichterstattung. Daher muss der Staat ein Bekenntnis zur Sicherung von öffentlich-rechtlichen Medien geben und gleichzeitig eines zu deren Unabhängigkeit. Das eine ohne das andere ist zu wenig. Wahlkämpfe sind nicht nur Zeiten der fokussierten Unintelligenz, wie der ehemalige Wiener Bürgermeisters Michael Häupl es humorig auf den Punkt brachte. Sie sind auch sensible Zeiten für die Zusammenarbeit von
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politischen Eliten und Medien. Selten ist das Wechselspiel derart intensiv. Spitzenkandidatinnen und -kandidaten wollen ihre Botschaften breit streuen und brauchen dazu vielfältige mediale Bühnen. Je mehr Vertrauen diese genießen, desto besser. Medien bieten die Plattform zur breiten Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler. Aber auch für Medien besteht ein pragmatischer Grund zur Freude. Wahlkampf bedeutet Hochzeit für Information und Politainment. Sommergespräche, TV-Duelle, Radio-Interviews wie Wahl-Erklärstücke: Sie alle genießen hohe Einschaltziffern und Aufmerksamkeit, auch aufgrund der Weiterverbreitung dieser Inhalte über social media durch Sympathisanten- und Funktionärsnetzwerke. Selbstverständlich stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob private Medien nicht ausreichen, um umfassend über Wahlkämpfe zu berichten, wenn diese ohnehin ein hohes Publikumsinteresse genießen. Ja, das kann so sein. Es muss aber nicht so sein. Denn Private können nicht gesetzlich zur ausgewogenen und umfassenden Berichterstattung verpflichtet werden. Öffentlich-rechtliche Medien schon. Deshalb ist dieser Auftrag für den ORF in Österreich sogar im Bundesverfassungsgesetz niedergeschrieben, das ausdrücklich auf die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe hinweist. Diese Verpflichtung kann von allen Bürgerinnen und Bürgern eingefordert werden. Niemand ist nur auf seine Kaufentscheidung als Konsument reduziert und wird so auch an seiner Kaufkraft gemessen. Doch noch weitere Gründe sprechen für den Erhalt eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Wahrung der Demokratie: Information ist die Grundlage von Urteilsbildung Die Ausübung von Macht in einer Demokratie beruht auf der zeitlich beschränkten Übertragung durch das Volk ausgedrückt in Wahlen. Damit sich Wählerinnen und Wähler eine Meinung bilden können, wem sie ihre Stimme geben, brauchen sie Informationen, Informationsfreiheit und Meinungsvielfalt. Der ehemalige deutsche Bundeskanzler meinte einst salopp, ihm reichten „Bild, BAMS und Glotze“ – also Boulevardzeitungen und Fernsehen – um zu regieren. Gerhard Schröders Liaison mit dem Boulevard entpuppte sich allerdings als eher kurzfristig. Journalistinnen und Journalisten reagierten bereits in den Nullerjahren dieses Jahrtausend gereizt auf message control. Doch Medien können auf
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vielfältige Weise kontrolliert werden: durch Gesetze, über Förderungen, Werbeeinschaltungen oder Eigentümer. Hier braucht es Transparenz, ähnlich wie bei der Finanzierung von Wahlkämpfen. Die digitale Demokratie hat neue Spielregeln für politische Öffentlichkeit geschaffen Als Gerhard Schröder seine Niederlage 2005 eingestehen musste, dauerte es noch zwei Jahre, bis Steve Jobs das erste iPhone präsentierte und damit die Medienwelt auf den Kopf stellte. In kurzer Zeit mutierten Medienkonsumenten auch zu potenziellen Medienproduzenten. Was mit Vernetzung, Bildern und kurzen Texten begann, führte rasch zu professionell gestalteter Darstellung in Echtzeit. Damit endete die Zeit von Medien als gate keeper und ihre neue Funktion als trust keeper begann. Für Bürgerinnen und Bürger begann nach einer Phase der Informationsvielfalt die mühsame Suche nach der Wahrheit im Netz. Und für Parteien eine neue Ära der Freiheit, waren sie doch nicht mehr an traditionelle Medien gebunden und mussten sich keinen Fragen oder gar Beurteilung professioneller Journalisten stellen. Doch damit lösten sie ihren Sinkflug bei den Vertrauenswerten aus und begannen so ihr Geschäftsmodell zu sabotieren. Fake News brauchen ein glaubwürdiges, verlässliches Gegenüber Vertrauen ist die Grundlage jedes Geschäftsmodells in der Politik wie bei den Medien. Vertrauen Wähler oder Konsumenten nicht der „Marke“ einer Partei, eines Kandidaten oder eines Mediums, so reüssieren sie nicht lange auf dem Markt, auch nicht auf dem Wählermarkt. Selbstverständlich sind Bürger keine Kunden und Wähler keine Konsumenten. Wer das behauptet, hat nicht eine lebendige, partizipative Demokratie zum Ziel. Ebenso ist nicht alles, was öffentlich geschrieben, gesagt oder gezeigt wird, Journalismus oder entspricht journalistischen Kriterien. Vieles sind Behauptungen aus Unbedachtheit, manches ist gezielte Manipulation. Und das meiste sollte wahrscheinlich am politischen Stammtisch im kleinen Kreis bleiben und nicht für immer durchs Internet geistern. Wem also mehr Bedeutung geschenkt werden wird, sind Orientierungshilfen in der Informationsflut. Der Faktencheck hat sich auch bei manch einem Kandidatenduell als sehr hilf- und aufschlussreich erwiesen. Zum Vertrauen kommt noch ein zweites wesentliches Merkmal: Verlässlichkeit. Privat organisierte Medien können mit der gleichen journalisti-
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schen Sorgfalt arbeiten, allerdings ist ihr Überleben durch ihre Marktabhängigkeit nicht garantiert. Insofern besteht die Gefahr, dass Know-How und Expertise bei jeder Marktveränderung verschwinden und erst mühsam wieder aufgebaut werden müssen. Lücken, die durchaus schmerzvoll für Demokratien sein können. Nicht alle Themen finden Zuschauerinteresse Für kleine Parteien ist es spielentscheidend, wie viele Auftritte ihnen in Funk und Fernsehen gewährt werden. Besonders die österreichische Tradition der Duelle „Jeder gegen Jeden“ bietet Kandidaten von Kleinparteien eine Bühne, wo sie auf Augenhöhe mit den Schwergewichten der Politik diskutieren können. Ob sie sonst auch marktrelevant genug wären, um private Medien von ihren Ideen zu begeistern, ist fraglich – es sei denn, Themenwahl, Rhetorik und Präsentation sind spektakulär genug. Doch der Zwang zum Spektakel gefährdet wiederum das Image der Politik generell. Private Medien haben andere Maßstäbe, welche Inhalte eine Berichterstattung wert sind. Öffentlich-rechtliche Medien müssen hingegen eine Öffentlichkeit schaffen, aus der sich niemand ausgeschlossen fühlt und in der gesellschaftliche Debatten möglichst viele Menschen erreichen und an denen möglichst viele Menschen auch teilnehmen können. Garant für regionale Versorgung Ein zentrales Argument der Gegner der No Billag-Initiative für die Abschaffung der Rundfunkgebühren in der Schweiz im Jahr 2018 war der Beitrag der SRG zum Zusammenhalt und zu einer funktionierenden Demokratie. Dies gerade auch, weil die Sprachminderheiten in der Schweiz von einer massiven Gebührenumverteilung innerhalb der SRG profitieren. Ohne diesen Geldfluss werde es nicht möglich sein, für die kleinen Märkte in der lateinischen Schweiz konkurrenzfähige Programme zu produzieren, meinten die Befürworter der Rundfunkgebühren. Auch ohne die Sprachenvielfalt der Schweiz ist die regionale Versorgung durch öffentlich-rechtliche Medien ein Argument für den Erhalt in Österreich. Wahlberichterstattung muss analog der drei Mandatsermittlungsebenen auch in Bezirken und Bundesländern flächendeckend erfolgen. Alle Kandidaten in den Wahlkreisen sollen sich präsentieren dürfen, auch wenn die Wähler am Ende Parteilisten ankreuzen. Dennoch wer-
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den sie im Nationalrat von Abgeordneten ihrer Region vertreten und sollten im Grunde diese auch kennenlernen können. Wenn nicht persönlich, so zumindest via Medien. Niemand kann allerdings in einem so kleinen Markt wie Österreich garantieren, dass Bewegtbilder von zukünftigen Mandataren auch aus den entferntesten Regionen geliefert werden. Außer öffentlich-rechtliche Medien. Medien sind auch Bildner Medien sind duale Güter. Sie agieren als wirtschaftliche Unternehmen, bilden aber auch die Kultur eines Landes ab und prägen diese. Medien haben auch vielfältige Aufgaben. Sie informieren, kontrollieren, stellen Öffentlichkeit her, unterhalten, erzeugen Gruppenidentität und bilden. Sie sozialisieren und integrieren aus Sicht des politischen Systems. Sie sind die Plattformen, auf denen der öffentliche politische Diskurs stattfindet. Sie bilden jene öffentlichen Räume, in denen sich die Bürger versammeln, um über ihre Anliegen zu diskutieren, wo sie aus dem Privatbereich die demokratische Agora betreten. Medien schaffen so die Gelegenheit, sich über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu verständigen. Sie überbrücken die Kluft zwischen politischen Eliten und der Bevölkerung. Habermas betont im eingangs erwähnten Essay besonders den Unterschied zwischen Konsumenten und Bürgern. „Hörer und Zuschauer sind nicht nur Konsumenten, also Marktteilnehmer, sondern zugleich Bürger mit einem Recht auf kulturelle Teilhabe, Beobachtung des politischen Geschehens und Beteiligung an der Meinungsbildung.“ Garant für diese Recht kann allerdings nur der Staat sein. Große Koalition von Boulevard und Populismus verhindern Florian Hartleb beschrieb 2017 in „Die Stunde der Populisten“ folgende fatale Koalition: „Medien und Populismus können durch Deckungsgleichheit der Ziele Hand in Hand gehen und vereint marschieren. Auf der einen Seite werden Skandalismus, Sensationsgier sowie die Vermarktung negativer Ereignisse gefördert. Auf der anderen Seite wird dem populären Geschmack durch Neidgefühle, Bestätigung latenter Vorurteile, Simplifizierungen und Pauschalisierungen gefrönt. Dadurch gedeiht eine informelle Große Koalition, ein Zweckbündnis zwischen Medien und Populisten auf Basis des geteilten Exhibitionismus. Auf diese Weise entwickeln sich Populisten zu unerlässlichen Partnern des Medienbetriebes, der ihnen nachhaltiges Agenda-Setting offeriert.“ Dem ist nicht viel hinzuzufügen, aber durch öffentlich-rechtliche Medien etwas entgegenzusetzen.
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Das verbindende Lagerfeuer darf nicht ganz erlöschen In einer individualisierten Gesellschaft, befeuert durch Meinungsblasen, sind generationen- und werteübergreifende Informationen wichtiger denn je. Denn es gilt die Teile der Gesellschaft trotz aller weltanschaulichen Gegensätze, unterschiedlichen Milieus, und verstreuten Wohnorten in Stadt und Land zu verbinden. Eine Demokratie braucht eine gemeinsame Basis, bei der Faktenlage und in der Zieldefinition des Gemeinwohls. Über die Wege zu Erreichung dieses Ziels können wir uns im Rahmen der vereinbarten Regeln gerne auseinandersetzen. Aber die Verständigung kann nur über verlässliche, geteilte Informationen erfolgen. Informationen, die allen unabhängig ihres Budgets, ihrer Bildung oder ihres Status zugänglich sind. Denn der Versorgungsauftrag von öffentlich-rechtlichen Medien bedeutet auch, dass ein Ausschluss von bestimmten Gruppen der Gesellschaft oder auch nur einzelnen Individuen nicht erlaubt ist. So brennt das mediale Lagerfeuer zumindest theoretisch für alle weiter. Demokratie ist zu wichtig um sie dem Markt zu überlassen, erkannte schon Habermas. Das bedeutet aber nicht, dass öffentlich-rechtliche Medien nicht kritisiert werden dürfen, dass sie fehlerfrei sind oder keine Reformen notwendig haben. Die Frage ist daher weniger „Braucht es öffentlich-rechtliche Medien?“ sondern vielmehr: „Wie organisieren und vor allem finanzieren wir öffentlich-rechtliche Medien?“. Im Vordergrund steht dabei deren Unabhängigkeit, die wiederum Grundlage für Vertrauen ist und die Minimierung des Einflusses der Politik. Das Angebot von öffentlich-rechtlichem Inhalt muss dabei auch nicht auf das bestehende im Rundfunk beschränkt bleiben, nur weil früher das Argument der Kostenintensität für einen kleinen Markt wie Österreich dies historisch so wachsen ließ. Journalistischer Inhalt, der von der Öffentlichkeit finanziert wird, kann und sollte auch auf internetbasierten Plattformen Verbreitung finden. Denn das Argument bleibt das gleiche: Keine Demokratie kann sich hier ein Versagen leisten. Medien, die sich keinen Marktzwängen unterwerfen müssen, genießen auch in der Wahlberichterstattung den Spielraum, sich nicht nur an den populärsten, einflussreichsten, finanzkräftigsten Akteuren zu orientieren. Sie müssen es dann aber auch transparent und begründet tun. Als Bindeglied zwischen den Wählern und Gewählten sowie zwischen uns allen braucht es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. •
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MEINUNGSBILDUNG IN ÖSTERREICH
KLASSISCHE UND NEUE MEDIEN UND DER STELLENWERT ÖFFENTLICH-RECHTLICHER ANGEBOTE DR. BERTRAM BARTH INTEGRAL MARKT- UND MEINUNGSFORSCHUNG
Die Medienlandschaft ist im Umbruch. Lang gelerntes Informationsverhalten ist mit neuen und veränderten Angeboten konfrontiert. Die Jungen wachsen mit der Selbstverständlichkeit online – oft über Soziale Netzwerke – vermittelter Informationen auf. Parallel dazu entstehen Vorwürfe an die klassischen Medien, sie würden tendenziös und lückenhaft informieren oder sie wären gar als „Lügenpresse“ zu klassifizieren (z.B. Teusch 2016). Wie unter diesen Voraussetzungen Meinungsbildung funktioniert und welchen Stellenwert hierbei die unterschiedlichen Medienangebote haben, soll im folgenden Beitrag untersucht werden. VERTRAUEN IN DIE MEDIEN In Zeiten der „großen Gereiztheit“ und der damit verbundenen „Wahrheitskrise“ (Pörksen 2018) trifft man immer wieder auf emotionale Pauschalverurteilungen. So finden wir in Österreich eine überwältigende Zustimmung von 70 % zur Behauptung, man könne nichts mehr glauben, was in den Medien berichtet wird1. Stark emotionale Stellungnahmen zu öffentlicher Meinung und „manipulierten“ Medien erhebt auch die neue „Mitte“ Studie in Deutschland (Zick et al. 2019). Allerdings zeigt sich, dass zwischen emotionalen Pauschalaussagen und differenzierten Urteilen sehr wohl unterschieden werden kann und muss. Detailliertere Abfragen zu unterschiedlichen Medien ergeben nämlich ein anderes Bild. So erhebt die Europäische Kommission in ihren „Eurobarometer“ – Umfragen seit 2011 jährlich das Vertrauen in die Mediengattungen2. In der letzten Messung vom November 2018 führen 1
INTEGRAL Eigenforschung, März 2019, 1000 Onlineinterviews, repräsentativ für österreichische Wohnbevölkerung zwischen 14 und 69 Jahren; 4-stufige Skala, 25 % „stimme voll und ganz zu“, 45 % „stimme eher zu“, 25 % „stimme eher nicht zu“, 5 % „stimme überhaupt nicht zu“.
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Pro Welle EU-weit 28.000 persönliche Interviews, repräsentativ für ab 15jährige Wohnbevölkrung, davon in Österreich 1.000 Interview; Feldarbeit für den Medienteil immer im November.
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Fernsehen und Radio das Feld an (mit jeweils 66 % Vertrauen), gefolgt von den Printmedien. Internet folgt mit weitem Abstand bei 41 %, Soziale Medien liegen bei 30 %. EU-weit hat man das höchste Vertrauen in das Radio. Österreich liegt speziell beim Vertrauen in Fernsehen und Printmedien weit über dem EU-Durchschnitt (EU Kommission 2018). Eine negative Entwicklung des Vertrauens in Medien kann jedenfalls für die letzten Jahre nicht bewiesen werden. Die Eurobarometer Umfragen zeigen einen Einbruch des Vertrauens speziell in die klassischen Medien im November 2015 in Österreich, in der Folge der Flüchtlingskrise und der behaupteten verzerrten Berichtserstattung3. Seither ist das Vertrauen für alle Medien wieder deutlich und auf das frühere Niveau angestiegen (nur das Fernsehen liegt jetzt noch etwas unter dem Wert von 2011). Soziale Medien haben inzwischen eine hohe Bedeutung als Nachrichtenquelle erworben, laut Reuters Report (2019) informieren sich 45 % der österreichischen Bevölkerung über sie4. Für die 18 bis 24jährigen sind sie schon die wichtigste Nachrichtenquelle. Aus den Eurobarometer Umfragen wird aber klar, dass das Vertrauen in über Soziale Medien vermittelte Nachrichten sehr gering und seit der ersten Messung im Jahr 2014 auch nicht angestiegen ist. Die mundgerechte Portionierung von Nachrichten aus unterschiedlichsten Quellen über die sozialen Netzwerke ist zwar bequem und deswegen erfolgreich. Gleichzeitig fördert sie aber eine allgemeine informationelle Verunsicherung und damit wieder Pauschalaussagen wie „alle Medien lügen“.
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Eine Inhaltsanalyse deutscher Zeitungen und Fernsehnachrichten zeigte aber, dass die „Medienberichterstattung … die relevanten Fakten überwiegend korrekt“ darstellte, siehe Maurer, M., Jost, P., Haßler, J. et al. (2019).
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2010 Onlineinterviews mit ab 18jährigen, quotiert und gewichtet nach national repräsentativen Strukturmerkmalen. Erhebungszeitraum: Januar-Februar 2019. Zu beachten ist, dass Onlineinterviews keine repräsentative Abbildung der Gesamtbevölkerung ermöglichen – im Report selbst wird folgendermaßen eingeschränkt „…as representative of online populations who use news at least once a month“ (S.6). Der nach wie vor hohe Anteil der älteren Bevölkerung, die Internet nicht oder nur sehr gelegentlich nutzen, macht Aussagen für ab 70jährige anhand von Onlineinterviews praktisch unmöglich; siehe INTEGRAL 2019.
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DER STELLENWERT ÖFFENTLICH-RECHTLICHER ANGEBOTE Das Quellenbewusstsein mag langsam erodieren, trotzdem haben öffentlichrechtliche Angebote weiterhin herausragende Bedeutung. Im erwähnten Reuters Report hat die Marke „ORF Nachrichten“ sowohl im klassischen Medienbereich wie auch Online deutlich die höchste Verbreitung. In der Mainzer Langzeitstudie zum Medienvertrauen erhält das öffentlich-rechtliche Fernsehen das höchste Vertrauen, knapp gefolgt von regionalen Tageszeitungen und weit vor privatem Fernsehen und Internet (Jackob et al. 2019, 212). Im Folgenden soll anhand einer aktuellen Eigenforschung von INTEGRAL ein Blick auf Österreich geworfen werden5. Auffällig ist die Bandbreite der Informationsquellen: Man informiert sich über eine Vielzahl von Medien über das aktuelle Geschehen in Österreich und der Welt. Nimmt man die tägliche Nutzung, so ergibt sich die folgende Rangreihe: An der Spitze steht ORF Fernsehen (43 %), gefolgt von ORF Radio und Sozialen Medien (jeweils 39 %), unmittelbar gefolgt von Fernsehen anderer Anbieter (38 %) und gedruckten Zeitungen (35 %). Internetangebote von Zeitungen folgen mit 31 %, dahinter kommen noch Radioinformationen anderer Anbieter und andere Internetangebote von Fernsehsendern bzw. andere Internetangebote mit je ca. 20 %. Ein anderes Bild ergibt sich für die Frage nach der Glaubwürdigkeit (siehe Abbildung 1).
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509 online Interviews, repräsentativ für die 16-69jährige Bevölkerung, Mai 2019.
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Eindeutig die höchste Glaubwürdigkeit haben ORF Radio und ORF Fernsehen: Über ein Drittel jeweils gesteht ihnen sehr hohe Glaubwürdigkeit zu, um die 80 % halten sie insgesamt für glaubwürdig (in der Kombination der beiden besten Beurteilungen). Um die drei Viertel der Befragten halten weiters jeweils Fernseh- und Radioinformationen anderer Anbieter, gedruckte Zeitungen sowie Internetangebote von ORF und anderen Fernsehsendern für insgesamt glaubwürdig, gefolgt von Internetangeboten von Zeitungen. Eine sehr geringe Glaubwürdigkeit haben jedoch Informationen aus anderen Internetangeboten und aus Sozialen Medien – letztere sind nur mehr für 3 % sehr glaubwürdig und für weitere 25 % eher glaubwürdig. Dies bestätigt den im ersten Abschnitt angesprochenen Befund: Informationen aus Sozialen Medien werden in einem hohen Ausmaß genutzt, aber man glaubt ihnen nicht. Demgegenüber genießen die klassischen öffentlich-rechtlichen Informationsangebote ein überwältigendes Vertrauen. Und das Gesamtvertrauen in alle Informationsangebote – auch über das Internet – ist groß, wenn eine identifizierbare und vertraute Quelle dahintersteht (Fernsehsender oder Zeitungen). Betrachtet man speziell die jüngere Bevölkerung (16 bis 24jährige), so erweisen sich erwartungsgemäß die Sozialen Medien als wichtigste Nachrichtenquelle mit 54 % täglicher Nutzung. Aber ihre Glaubwürdigkeit bleibt auch in dieser Altersgruppe mit 35 % (sehr plus eher glaubwürdig) niedrig. Auf der anderen Seite ist das Vertrauen in die klassischen öffentlich-rechtlichen Informationsangebote nicht geringer ausgeprägt als bei den Älteren. ORF STUDIE ZUM „IBIZA-SKANDAL“ In der Folge des „Ibiza-Skandals“ hat INTEGRAL für den ORF die Meinungen zur entsprechenden Berichterstattung erkundet6. Einige interessante Befunde sollen hier vorgestellt werden. Das auf Ibiza aufgenommene Video mit Gesprächen zwischen den früher führenden FPÖ Politikern Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus und einer angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen, in denen es um Korruptionsbereitschaft und beabsichtigte Übernahme der Kontrolle über unabhängige Medien ging, wurde am 17. Mai veröffentlicht. Daraufhin scheiterte die Koalititionsregierung aus ÖVP und FPÖ, wurden Neu6
500 telefonische Interviews, repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ab 14, Erhebungszeitraum 31.5.-3.6.2019
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wahlen anberaumt, und der Bundeskanzler musste zurücktreten. Diese Ereignisse beschäftigten praktisch alle Österreicherinnen und Österreicher, wie die Erhebung aufzeigte, welche zwei Wochen nach der Veröffentlichung des Videos durchgeführt wurde. Man informierte sich über eine Vielzahl von Medien, aber in erster Linie über die klassischen Medien: ORF Fernsehen wurde von 77 % der Bevölkerung genutzt, gefolgt von österreichischen Zeitungen bzw. Zeitschriften mit 69 % und ORF Radio mit 63 %. Insgesamt 87 % haben sich über die Angebote des ORF informiert. Die Sozialen Medien spielten hier nur eine untergeordnete Rolle. Die Sozialen Medienangebote des ORF wurden von 23 % als Informationsquelle genannt, andere Soziale Medien von 30 %. Die Berichterstattung des ORF wurde exzellent bewertet (siehe Abbildung 2).
Spitzenwerte wurden für Aktualität, Verständlichkeit der Aufbereitung und Informationsgehalt vergeben. Auch Kompetenz, Seriosität, Glaubwürdigkeit und Objektivität wurden mit insgesamt „gut“ bewertet. Ausgewogenheit ist die schwierigste Eigenschaft, speziell unter Berücksichtigung der politischen Lagermentalität in Österreich; trotzdem erhielt der ORF hier noch eine gute Bewertung von 60 % der Bevölkerung, nur 12 % sahen die Berichterstattung als unausgewogen. Die Behauptung, der ORF habe „einen wichtigen Beitrag zur Orientierung und Meinungsbildung geleistet“, wurde von über 80 % der Bevölkerung bejaht, interessanterweise von den Jüngeren (14 bis 29jährige) am stärksten.
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SCHLUSSFOLGERUNGEN: WOFÜR BRAUCHT MAN ÖFFENTLICHRECHTLICHE INFORMATIONSANGEBOTE? Ohne Zweifel führen neue Informationsangebote zu einem neuen Informationsverhalten, speziell bei den Jungen, die mit schnell zugänglichen Informationen im Internet aufwachsen. Über soziale Medien vermittelte Informationen gewinnen enorm an Bedeutung, weil sie neue Relevanzstrukturen definieren. Was die eigenen Freunde für wichtig halten, das muss man auch wissen. Über kleine Infohäppchen wird man ständig auf dem Laufenden gehalten. Und nicht zuletzt wurde aus Information Infotainment, und die Richtigkeit von Behauptungen wird oft dem Unterhaltungswert untergeordnet. Aber was man an Informationen aus den Sozialen Netzwerken bezieht, das nimmt man nicht sonderlich ernst. Und die postmoderne Beliebigkeit von Informationsarten und -quellen hat dort ein Ende, wo es um wirklich Wichtiges geht. Das zeigt das Beispiel des Ibiza-Skandals. Hier wollte man sich informieren im engeren Sinn: Man wollte die allgemeine, bezugsgruppenüberschreitende Relevanz der Ereignisse und den Wahrheitsgehalt der Behauptungen einschätzen. Und deswegen nutzte man die klassischen Medien, allen voran das ORF-Fernsehen. Öffentlich-rechtliche Informationsangebote stellen damit einen Kontrapunkt zur punktuellen Information aus Sozialen Medien dar. Sie sind ein „altmodisches“ Angebot und werden doch auch von den Jungen hochgeschätzt. Ein allgemeines Gejammere über mediale Desinformation mag weiter bestehen und wird ja auch politisch instrumentalisiert. Der differenzierte Verweis auf die Medienvielfalt und insbesondere auf öffentlichrechtliche Informationsangebote ist aber nach wie vor ein wirksames Gegenargument in Österreich. •
LITERATURLISTE
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Maurer, M., Jost, P., Haßler, J. et al. (2019). Auf den Spuren der Lügenpresse. Zur Richtigkeit und Ausgewogenheit der Medienberichterstattung in der „Flüchtlingskrise“. Publizistik 64: 15. https://doi.org/10.1007/s11616-018-00466-y
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Pörksen, B. (2018). Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. München: Karl Hanser Verlag.
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WIE WICHTIG SIND ÖFFENTLICHRECHTLICHE MEDIEN IM ZUSAMMENHANG MIT WAHLEN“? DR IN . NATASCHA ZEITEL-BANK INSTITUT FÜR MEDIEN, GESELLSCHAFT UND KOMMUNIKATION, UNIVERSITÄT INNSBRUCK
Medien ermöglichen die Herstellung von Öffentlichkeit und sind somit für eine Demokratie unerlässlich. Als Intermediäre sind sie ein wesentliches Bindeglied zwischen der Bevölkerung und den Regierenden. Sie schaffen Transparenz, kontrollieren, erklären und ordnen Sachverhalte in einer komplexen Welt. „Öffentlichkeit gehört zur verfassungsrechtlich gesicherten Grundausstattung der Demokratien, und aus dieser Bindung entwickeln sich die politischen Funktionen, die man ihr zurechnet, sowie die Ansprüche und Maßstäbe, an denen man sie misst.“1 Vor allem öffentlich-rechtlichen Medien fällt hierbei eine wichtige Rolle zu. Doch auch wenn eine Verpflichtung gegenüber den demokratischen Grundprinzipien wie Unparteilichkeit, Meinungsvielfalt und Sicherung des politischen Pluralismus besteht, sind im journalistischen Alltag die zu erbringenden Aufgaben nicht immer umfänglich möglich. Warum dies so ist und welchen Beitrag der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch im Hinblick auf Wahlen in den Mitgliedsländern der Europäischen Union leisten bzw. nicht leisten kann, steht im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen. Dabei werden vier Aspekte analysiert: 1. Der öffentlich-rechtliche Auftrag und die damit verbundenen Grundprinzipien in einer Demokratie, 2. die rechtlichen und normativen Rahmenbedingungen auf der Handlungsebene der Europäischen Union, 3. die rechtlichen bzw. normativen Handlungsspielräume auf der nationalen Ebene und 4. der tatsächliche Handlungsspielraum von öffentlich-rechtlichen Medien anhand ausgewählter Beispiele
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Neidhardt, Friedhelm (1994): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. In: Neidhardt, Friedhelm (Hg.): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. Sonderheft 34 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (S. 7-41), S. 8. Opladen: Westdeutscher Verlag
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Laut Europarat besteht die Rolle des öffentlichen Rundfunks in demokratischen Gesellschaften darin, „die den politischen, rechtlichen und sozialen Strukturen der demokratischen Gesellschaften zugrundeliegenden Werte, insbesondere die Wahrung der Menschenrechte, der Kulturen und des politischen Pluralismus, zu fördern“2. So definiert beispielsweise auch das österreichische Bundesverfassungsgesetz den Rundfunk als öffentliche Aufgabe und legt die Rahmenbedingungen für die Sicherung der „Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe“3, die mit der Programmgestaltung des Österreichischen Rundfunks (ORF) befasst sind, fest. In diesem Sinne bezeichnet sich der ORF als „ein unabhängiges öffentlich-rechtliches Medienunternehmen, das als Stiftung öffentlichen Rechts definiert ist“ und „ein umfangreiches trimediales Angebot aus Information, Kultur, Sport und Unterhaltung in Radio, Fernsehen und Online“4 anbietet. Bedeutsam ist zudem, dass bei öffentlich-rechtlichen Medien auch die Vielfalt des Meinungsspektrums innerhalb des jeweiligen Aufsichtsgremiums (bspw. Stiftungs-, Rundfunk- oder Fernsehrat) gewährleistet sein muss, indem verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen bei der Zusammensetzung berücksichtigt werden. Der Einfluss der staatlichen und staatsnahen Mitglieder muss dabei begrenzt sein. Dieses binnenplurale Modell wird bspw. in Deutschland dem außenpluralistischen Modell gegenübergestellt bzw. mit diesem kombiniert, „in dem die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten außerhalb des Grundversorgungsbereichs im Wettbewerb mit den Privatsendern stehen“5. 2
Europarat (2003): Ministerkomitee, Empfehlung Rec(2003) 9 vom 28. Mai 2003 über Maßnahmen zur Förderung des Beitrags des digitalen Rundfunks zu Demokratie und Gesellschaft, abrufbar unter https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?Ref=Rec%282003%299 &Language=lanEnglish&Site=COE&BackColorInternet=9999CC&BackColorIntranet= FFBB55&BackColorLogged=FFAC75 (21.08.2019)
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Bundesverfassungsgesetz vom 10. Juli 1974 über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks, StF: BGBl. Nr. 396/1974 (NR: GP XIII AB 1265 S. 111. BR: S. 334.), abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen& Gesetzesnummer=10000555
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ORF. Wie wir. Gesetzliche Rahmenbedingungen, abrufbar unter: https://der.orf.at/ unternehmen/recht-grundlagen/gesetze/index.html (21.08.2019)
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Bundesverfassungsgericht (2014): Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 2014, abrufbar unter https:// www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2014/03/ fs20140325_1bvf000111.htmlhttps://der.orf.at/unternehmen/recht-grundlagen/ gesetze/index.html (21.08.2019).
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Der öffentliche Auftrag spielt vor allem auch bei der Berichterstattung im Zusammenhang mit politischen Parteien und Wahlen eine zentrale Rolle. Merkmale einer demokratischen Ordnung ist die Existenz, die Chancengleichheit und die Vielfalt von politischen Parteien, für die sich die Bürgerinnen und Bürgern entscheiden können. Sie fungieren als Bindemitglied und Netzwerk, bündeln Interessen und legitimieren das politische System im Sinne des Wählerwillens. Parteien sind zentral für die Rekrutierung, Ausbildung und Vermittlung von politischem Führungspersonal und kontrollieren sich gegenseitig bei der Machtausübung in einem offenen Parteienwettbewerb.6 Im Prozess dieser politischen Willensbildung hat die Bevölkerung das Recht, über Inhalte und Ausrichtungen umfassend informiert zu werden, um eine Grundlage für die Wahlentscheidung zu haben. Gerade den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kommt bei dieser Form des Informationstransfers und der Partizipation eine besondere Verantwortung gemäß ihres Auftrags zu. Dabei entsteht eine wechselseitige bzw. interdependente Beziehung zwischen den Medien und den politisch Handelnden bzw. Entscheidungsträgern, wobei die jeweilige Informations- und Wissenslage in das jeweilige Handlungskalkül der Akteure beim Informationstransfer einbezogen wird.7 Auf der Ebene der Europäische Union hat die Charta der Grundrechte den gleichen rechtlichen Status wie EU-Verträge und stellt für alle EUInstitutionen einen wichtigen gemeinsamen Handlungsrahmen bereit, „um bei der Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit EU-Errungenschaften mit den zugrundeliegenden Werten der EU zu verknüpfen“ . Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang Artikel 11, in dem das Recht auf Information und Freiheit der Meinungsäußerung sowie Freiheit und Pluralität der Medien betont wird. 88
6 Fechner, Frank & Mayer, Johannes, C., Medienrecht, Vorschriftensammlung, 14. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Kapitel 10 Rundfunkrecht, Einführung XVII, Textbuch Deutsches Recht, C.F. Müller: Heidelberg; vgl. auch http://www.ard.de/home/die-ard/fakten/Binnenpluralitaet/561258/index.html Bernauer, Thomas; Jahn, Detlef; Kuhn, Patrick M.; Walter, Stefanie (2018): Einführung in die Politikwissenschaft, 4. Aufl., Kapitel 7
Parteien und Parteiensysteme, S. 253f., Baden-Baden-Nomos Verlagsgesellschaft
8 Wallner, Cornelia (n.d.): Sozialwissen–schaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten, Der Staat in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Fakultät für Sozialwissenschaften, Universität Wien, abrufbar unter https://www.univie.ac.at/sowi-online/esowi/cp/staatpkw/staatpkw-full.html (20.08.2019)
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Die Mitgliedsländer der EU stehen nun vor der Herausforderung, diese Rechte und damit die europäisch verwurzelten Werte einer Demokratie auch innerhalb der eigenen Landesgrenzen zu berücksichtigen. Entsprechende rechtliche und normative Vorgaben müssen gesetzt werden und diese auch im Sinne der Entscheidungs- und Steuerungsgewalt der politische Handelnden transparent und nachvollziehbar im Handlungsalltag entschieden, umgesetzt und gesichert werden. Doch: Öffentlichkeit und öffentliche Meinung sind „politische Begriffe, die seit dem Beginn der Aufklärung normative Ladung besitzen" . So gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Kommunikationsfreiheit und der jeweiligen Ausprägung mit der Art der Institutionalisierung der Medien. Die handelnden Akteure sind folglich nicht nur auf Öffentlichkeit angewiesen, sondern sie bestimmen auch ganz wesentlich deren Ausgestaltung. Dies betrifft alle Kanäle im Bereich der Trimedialität: Fernsehen, Rundfunk und Internet. Auch hier kommt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine besondere Aufgabe zu: Vor dem Hintergrund der ,Thematisierungsfunktion‘ bzw. des ,Agenda Settings‘ haben diese Medien die Aufgabe nicht nur für die Bevölkerung zentrale Ereignisse im öffentlichen Diskurs zu thematisieren. Medien sind zudem in der Lage „Definitionsmacht“10 auszugleichen, indem alle gesellschaftlich relevanten Gruppen Gehör finden. „Diese Leistung ist eine wichtige (demokratiepolitische) Begründung für den Fortbestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, da mit der Ökonomisierung der Massenmedien die Definitionsmacht prominenter Akteure tendenziell zunimmt, jene nicht prominenter Akteure tendenziell abnimmt.“11 9
Wird nun davon ausgegangen, dass in der EU nicht nur die Grundrechtecharta, sondern auch bereits die Kopenhagener Kriterien als Bedingungen und Grundsätze eines Beitritts zur Europäischen Union beachtet werden müssen, dann sollte sich eben dies auch in den politischen Ordnungen der einzelnen Mitgliedsländern widerspiegeln. Hierzu gehören neben der ,Wahrung der Menschenrechte‘, ,Achtung und Schutz von Minderheiten‘ auch „die Fähigkeit, die zum EU-Recht (dem ,Besitzstand‘) 9
Europaparlament, ABI. C 83 vom 30.03.2010, S. 389, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/ftu/pdf/de/FTU_3.6.8.pdf (20.08.2019)
10 Neidhardt, Friedhelm (1994): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. In: Neidhardt, Friedhelm (Hg.): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. Sonderheft 34 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. (S. 7-41), S. 8, Opladen: Westdeutscher Verlag. 11
Schulz, Winfried (2008), Politische Kommunikation, Theoretische Ansätze und Ergebnisse, empirischer Forschung, 2. Aufl, Kapitel Medien im Wahlkampf, S. 266, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
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gehörenden gemeinsamen Regeln, Normen und politischen Strategien wirksam umzusetzen“12. Allerdings verdeutlichen immer wieder Vorfälle innerhalb der Europäischen Union, dass Papier geduldig ist, Werte interpretierbar und Interessen heterogen sind. Dies berührt somit vor allem den vierten Aspekt der Analyse und zwar den tatsächlichen Handlungsspielraum von öffentlich-rechtlichen Medien anhand konkreter Beispiele. So zeigt ,Reporter ohne Grenzen‘ mit seiner Rangliste der Pressefreiheit aus 180 Ländern im Jahr 2019 auf, dass es positive Beispiele aber auch ernsthafte Aufweichungen demokratiepolitischer Erfordernisse in folgenden Kategorien gibt:13 • Pluralität (Abbildung verschiedener Meinungen) • Medienunabhängigkeit (Einfluss von Politik, Regierung, Wirtschaft, Religion) • Umwelt und Selbstzensur (Einfluss der Umgebung von Medien) • rechtliche Rahmenbedingungen (Einfluss des Rechtsrahmens) • Transparenz (Transparenz von Institutionen und ihren Einfluss auf die Entstehung von Nachrichten) • Infrastruktur (Qualität der Infrastruktur bei der Beschaffung von Informationen) • Gewalt (Formen von Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten). Innerhalb der Europäischen Union sind hierbei vor allem die skandinavischen Länder vorbildlich. Zusammen mit den Niederlanden und Dänemark belegen Norwegen, Finnland und Schweden die ersten fünf Plätze im weltweiten Ranking; dort findet sich jeweils eine „gute Pressesituation“14. In anderen Mitgliedsländern der EU schaut die Realität allerdings anders aus. Gerade mit Blick auf Wahlen finden immer wieder Beeinflussungen statt. Dies geschieht weniger am Wahltag, sondern bereits im Vorfeld, indem die gesetzlichen und gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingun12 Wallner, Cornelia (n.d.): Sozialwissen–schaften und gesellschaftlicher Wandel – aktuelle Debatten, Der Staat in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Fakultät für Sozialwissenschaften, Universität Wien, abrufbar unter https://www.univie.ac.at/sowi-online/esowi/cp/staatpkw/staatpkw-full.html (20.08.2019) 13 Europa, Glossary, Copenhague Criteria, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/ summary/glossary/accession_criteria_copenhague.html?locale=de (20.08.2019) Reporter ohne Grenzen, Rangliste Pressefreiheit 2019, Methodologie, abrufbar unter http://www.rog.at/press-freedom-index/ (20.08.2019) 14 Reporter ohne Grenzen, Rangliste, abrufbar unter http://www.rog.at/wp-content/ uploads/2019/04/Reihung-Rangliste-2019.pdf (20.08.2019)
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gen von den politisch Verantwortlichen so gestellt und ausgelegt werden, dass entsprechend regierungsfreundlich berichtet werden kann bzw. sollte. Demnach hat auch Österreich im Jahr 2019 seine ,weiße Weste‘ verloren: „Bislang war Österreich – trotz auffällig hoher Inseratendichte, des weiterhin verschleppten transparenten Informationsgesetzes und der Beibehaltung des Amtsgeheimnisses – immer im weißen, unbedenklichen Bereich der Rangliste zu finden. Dieses Jahr ist das anders: Österreich rutscht von Platz 11 auf Platz 16 und verliert damit nicht nur fünf Ränge und 1,29 Punkte im Score, sondern vor allem seine Einstufung als Land mit guter Pressesituation.“15 Drohungen gegenüber Berichterstattern in Demokratien, so auch in Österreich, bspw. bei ,nicht korrektem‘ Verhalten bei der Wahlberichterstattung in Form von Schließungen von Auslandsbüros und Entlassungen erfahrender Redakteure sind Warnzeichen.16 Problematisch ist die Beobachtung, dass dies immer weniger subtil geschieht. Die Folge hiervon ist, dass aus Angst vor persönlichen Angriffen bereits Selbstzensur ausgeübt wird. Die Berichterstattung wird weniger kritisch…: „Die Effekte des neuen Feindbildes Journalist sind tiefgreifend und vermutlich langanhaltender als die Regierung selbst.“17 Als ,Paradebeispiele‘ der Missachtung der EU-Grundrechtecharta und der Standards für Presse- und Meinungsfreiheit gelten Polen, Ungarn und Bulgarien. Diese Länder sind zwar Mitglieder der Europäischen Union, dehnen aber den Handlungsspielraum innerhalb der Landesgrenzen so weit aus, dass die Charta der Grundrechte kaum bzw. nicht mehr zum Tragen kommt. Während Österreich bei der Pressefreiheit ,nur‘ auf Rang 16 abgerutscht ist, liegt Polen mittlerweile auf Rang 59. In Polen ist vor allem eine wachsende ,Hate Speech Community‘ zu beobachten: „Nothing seems to able to stop the conservative government that took over in October 2015, and its determination to re-found Poland and make the media Polish again.”18 15 Reporter ohne Grenzen, massive Verschlechterung: Österreich verliert seine weiße Weste, abrufbar unter http://www.rog.at/press-freedom-index/# (21.08.2019) 16 Kurier online, FPÖ attakiert ORF – Korrespondenten – Streit um Ungarn – Berichterstattung, 14.04.2018, abrufbar unter https://kurier.at/kultur/fpoe-attackiert-orf-korrespondenten-wrabetz-stellt-sich-vor-ungarn-buerochef/400021090 (20.08.2019) 17 Reporter ohne Grenzen, Rangliste Pressefreiheit 2019, massive Verschlechterung: Österreich verliert seine weiße Weste, abrufbar unter http://www.rog.at/press-freedom-index/ (21.08.2019) 18 Reporters without borders, Poland, abrufbar unter https://rsf.org/en/poland (20.08.2019)
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Die Einhaltung der Charta der Grundrechte findet auch in Ungarn kaum Beachtung (Rang 87). Dies haben die Vorgänge bei den letzten Wahlen verdeutlicht. Im Rahmen der Europaparlamentswahlen wurde in einer Plakatkampagne EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zusammen mit dem US-Milliardär George Soros unvorteilhaft abgebildet und von der nationalkonservativen Regierung beschuldigt, eine Masseneinwanderung von außen zu steuern.19 Das EU-Parlament kritisierte schwerwiegende Verletzungen europäischer Werte und drohte gegen Budapest ein Sanktionsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge einzuleiten, das zum Stimmrechtsentzug im Ministerrat führen kann.20 Die Berichterstattung während des Wahlkampfs war ausgiebig, höchst polarisierend und geprägt durch eine Mangel an kritischer Analyse aufgrund einer starken Politisierung der Medieneigentümer und des entsprechenden Einflusses der Regierung. So heißt es in dem Abschlussbericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europe (OSZE): “… the main governing party enjoyed an undue advantage because of a pervasive overlap between state and ruling party resources, biased media coverage and opaque campaign financing regulations“21. Noch problematischer ist die Situation in Bulgarien, das mit Platz 111 weit im hinteren Bereich der Rangreihe von insgesamt 180 Ländern zu finden ist und sich damit in einer ähnlichen Situation wie Äthiopien und Mali befindet. ,Reporter ohne Grenzen‘ beschreibt die Situation in Bulgarien als einziges europäische Land mit „sehr ernst“. Hieran hat auch die EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2018 offenbar nichts geändert. Bulgarien sieht sich von Vorwürfen der Korruption und Missbrauch von öffentlichen (EU)Geldern konfrontiert: „Corruption and collusion between media, politicians and oligarchs is widespread in Bulgaria.”22 19 Politico, European Parliament Elections, Hungary launches campaign targeting Jean-Claude Juncker by Liliy Bayer, 18.02.19, abrufbar unter https://www.politico. eu/article/hungary-launches-campaign-targeting-jean-claude-juncker-george-soros/ (20.08.2019); vgl. auch den Bericht des Media Pluralism Monitor (MPM), abrufbar unter http://cmpf.eui.eu/wp-content/uploads/2019/07/Report_KESMA_Hungary_A2.pdf 20 Sargentini, Judith: Resolution von Mai 2017, offizieller Bericht der niederländischen Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini, abrufbar unter http://www.europarl.europa. eu/doceo/document/A-8-2018-0250_EN.html?redirect#title1 (20.08.2019) 21 Office for Democratic Institutions and Human Rights (2018), Final Report, Hungary Parliamentary Elections, 8 April 2018, Election Observation Mission, Warsaw 27 June 2018, abrufbar unter https://www.osce.org/odihr/385953 (20.08.2019) bzw. sowie http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-8-2018-0340_EN.html 22 Reporter without borders, Bulgaria, ab ruf bar unter https://rsf.org/en/bulgaria (20.08.2019)
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Es zeigt sich, dass auf der europäischen Ebene rechtliche Vorgaben in Richtung Charta der Grundrechte wichtig, aber nicht ausreichend sind. Es müssen entsprechend auch die nationalen Gesetze angepasst und vor allem die Presse- und Meinungsfreiheit innerhalb als notwendig erachtet, respektiert und auch bei Nichtbeachtung von der Bevölkerung bei Wahlen bzw. von der Europäischen Gemeinschaft sanktioniert werden. Ein abschießender Blick auf die Analyseebenen dieses Beitrags unterstreicht: 1. die rechtliche, politische und gesellschaftliche Anerkennung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit seinem öffentlichen Auftrag und Beitrag zur Sicherung der Demokratie 2. die Wichtigkeit der Beachtung der Europäischen Grundrechtecharta in den EU-Mitgliedsländern als übergeordnete Rechts- und Normebene 3. die Bedeutung des nationalen gesetzlichen und normativen Rahmens bei der Auslegung der supranationalen Vorgaben verbunden mit der Wahrung der Rechte von Minderheiten und der Ermöglichung und Sicherung eines freien öffentlichen Diskurses in einer Gesellschaft (Herstellung von Öffentlichkeit) 4. die Notwendigkeit einer ,freien‘ bzw. ,unabhängigen Presse‘, wobei Beeinflussungen und Behinderungen durch politische, wirtschaftliche oder sonstige Akteure im Sinne der Grundrechtecharta zu beheben und ggf. durch transnationale Berichterstattung über die Landesgrenzen hinaus auf EU-Ebene der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. •
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ZEITEN SICH ZUSPITZENDER ÖKONOMISCHER UNGLEICHHEIT MAG.A DRIN. SASKJA SCHINDLER UNIVERSITÄT WIEN
„Wenn sie wirklich die Zeitung vorher übernimmt, wenn’s wirklich vorher, um diese Wahl herum, zwei, drei Wochen vorher, die Chance gibt, über die Zeitung uns zu pushen […], dann passiert ein Effekt, den die anderen ja nicht kriegen.[…] Dann machen wir nicht 27, dann machen wir 34 Prozent. […] Sobald sie die Kronen Zeitung übernimmt, sobald das der Fall ist, müssen wir ganz offen reden […]. Da gibt es bei uns in der Krone: Zack, zack, zack. Drei, vier Leute, die müssen wir pushen. Drei, vier Leute, die müssen abserviert werden. Und wir holen gleich mal fünf neue herein, die wir aufbauen.“ Heinz-Christian Strache 2019, Ibiza-Video1 Die Verbindungen von (Massen-)Medien und politischen Akteur/innen, Parteien und Organisationen sind immer wieder Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Verschiedene demokratiepolitisch bedenkliche Aspekte solcher Verflechtungen sind in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich geworden. So dokumentieren die einleitend zitierten Äußerungen Heinz-Christian Straches auf dem Ibiza-Video den Versuch über den Erwerb von Unternehmensanteilen an der Kronen Zeitung durch die vermeintliche Nichte eines russischen Oligarchen, Einfluss auf dieses Medien und seine Berichterstattung über zukünftige Wahlen zu erlangen und dadurch einen höheren Anteil der Wählerstimmen. Kritisch diskutiert wird in diesem Zusammenhang aber auch umgekehrt die Macht der Boulevardpresse, insbesondere der Kronen Zeitung, ihre Verflechtungen mit der institutionalisierten Politik2, ihre Wirkung auf die gesellschaftspolitischen Ansichten ihrer Leser/innen (Arendt 2010)3 und generell eine starke Medienkonzentration in Österreich (z.B. Armin Thurnher)4. 1 https://www.falter.at/zeitung/20190517/die-wichtigsten-zitate-aus-den-ibiza-videosstrache-videos 2
Z.B. https://www.dossier.at/dossiers/krone/
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Florian Arendt (2010): Wie wirkt die Krone? Ein Überblick über den Stand der Forschung über die Wirkung der Kronen Zeitung, in: medienimpulse, Jg. 48, Nr. 2.
4 https://oe1.orf.at/artikel/639882/Die-Stadtzeitung-ein-kleiner-Konzern
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Die einleitend beschriebene Problematik verdeutlicht ein grundsätzliches Problem marktwirtschaftlicher Demokratien: Unterschiede in der Verfügung über und im Zugang zu ökonomischem (sowie sozialem und kulturellem) Kapital (Bourdieu 2005)5. Die starke Ungleichverteilung ökonomischer Ressourcen zwischen verschiedenen Akteur/innen, Institutionen und sozialen Klassen schafft auch ein grundsätzliches Ungleichgewicht in den Möglichkeiten der Einflussnahme auf private Medien. Mithilfe von ökonomischem Kapital kann zum einen durch Erwerb von Unternehmensanteilen oder Finanzierung eigener Medien direkte Kontrolle über deren politische Ausrichtung ausgeübt werden. Zum anderen kann eine indirektere Einflussnahme über das Schalten von Inseraten erfolgen: Diese ermöglichen das gezielte Verbreiten von Botschaften und können gleichzeitig etwaige kritische Berichterstattung über Inserate schaltende Organisationen (Parteien, Unternehmen, politische Institution etc.) aufgrund von wirtschaftlicher Abhängigkeit zumindest potenziell erschweren. Dieses Ungleichgewicht führt, etwas allgemeiner betrachtet, auch zu unterschiedlichen Chancen, auf medialem Weg Einfluss auf öffentliche Diskurse zu nehmen. Diese üben durch die Kontrolle über Terminologie und damit über Bedeutung im gesellschaftspolitischen Feld Macht aus (Rheindorf und Wodak 2018)6 und können auch im Hinblick auf Wahlen relevant werden. So verweisen Markus Rheindorf und Ruth Wodak (ebd.) auf die zentrale Bedeutung der medialen und politischen Diskurse rund um das Thema Fluchtmigration für die österreichischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016. Vor diesem Hintergrund kommt öffentlich-rechtlichen Medien eine hohe demokratiepolitische Relevanz zu. Sie können ein – zumindest partielles – Korrektiv zu dem beschriebenen Ungleichgewicht im Bereich privater Massenmedien darstellen. Durch die gemeinsame gesellschaftliche Finanzierung können sie von ökonomischen Machtverhältnissen entkoppelt und eine Einflussnahme mittels ökonomischen Kapitals verhindert werden. Als öffentliche Dienstleistung stellen öffentlich-rechtliche Medien außerdem einen Teil des in der Gesellschaft verfügbaren Vorrats an „nicht-marktmäßigen Gemeingütern“ (Castel 2000, 395)7 dar, der durch 5
Pierre Bourdieu (2005): Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zu Politik & Kultur 1. Hamburg: VSA-Verlag.
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Markus Rheindorf & Ruth Wodak (2018) Borders, Fences, and Limits—Protecting Austria From Refugees: Metadiscursive Negotiation of Meaning in the Current Refugee Crisis, in: Journal of Immigrant & Refugee Studies, 16:1-2, 15-38.
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Robert Castel (2000): Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit. Konstanz: UKV.
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den Zugang zu qualitativ hochwertiger Information auch gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. In diesem Sinne können öffentlich-rechtliche Medien als Produkt gesellschaftlicher Solidarität verstanden werden. Solidarität bezeichnet auf einer sehr allgemeinen Ebene eine soziale Beziehung zwischen Personen oder Personengruppen, die auf Kooperation und Kollektivität ausgerichtet ist und auf geteilten Werten und Normen beruht (Bayertz 1999)8. Gemeinsam wird ein ökonomisch unabhängiges Medium geschaffen, in dem einer autokratischen Kontrolle über Medieninhalte durch Einzelpersonen (z.B. Besitzer) eine gesellschaftlich-demokratische Kontrolle gegenübersteht. So wird ein Recht auf Information für alle Gesellschaftsmitglieder gewährleistet. Die gesellschaftlich-demokratische Kontrolle über Medieninhalte schafft sowohl die Möglichkeit als auch die Anforderung nach Äquidistanz zu den verschiedenen politischen Akteur/innen, Parteien und Organisationen. Zwar können auch private Medien politische Äquidistanz wahren, eine gesellschaftlich-demokratische Kontrolle darüber, ist in diesem Fall aber nicht möglich. Diese ist gerade im Hinblick auf Wahlen bedeutsam, weil damit dem einseitigen „Fördern“ einzelner Parteien eine ausgeglichene Berichterstattung gegenüber gestellt werden kann. Gerade vor dem Hintergrund einer „Medialisierung der Politik“, d.h. dass Massenmedien und andere medialisierte Kommunikation (z.B. soziale Medien) für die Politik relevanter werden (Krzyżanowski et al. 2018)9 und eine zunehmenden Anpassung der Politik an Logiken medialer Berichterstattung erfolgt (Tenscher 2012, 322)10, kann die Bedeutung einer ausgeglichenen Berichterstattung kaum überschätzt werden. Die Zuspitzung ökonomischer Ungleichheit und die zunehmende Vermögenskonzentration, die auch mit einer demokratiepolitisch bedenklichen Machtkonzentration einhergeht (Piketty 2014)11, machen öffentlich-rechtliche Medien aufgrund der beschriebenen Aspekte – gesellschaftliche Teilhabe durch Gewährleistung des Rechts auf Information sowie Befreiung medialer Berichterstattung von ökonomischen Einflüssen – demokratiepolitisch höchst bedeutsam. 8 Kurt Bayertz (1999): Four Uses of ‚Solidarity‘, in: Kurt Bayertz (ed.): Solidarity. Dordrecht: Kluwer, pp. 3-28. 9
Michał Krzyżanowski, Anna Triandafyllidou & Ruth Wodak (2018) The Mediatization and the Politicization of the “Refugee Crisis” in Europe, in: Journal of Immigrant & Refugee Studies, 16:1-2, 1-14.
10 Jens Tenscher (2012): Nur ZiB und Krone? Medienorientierungen österreichischer Abgeordneter, in: SWS-Rundschau, ¬52. Jg., Heft 3, ¬321-342. 11 Thomas Piketty (2014): Das Kapital im 21. Jahrhundert. München: C.H.Beck.
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Zusammenfassend können öffentlich-rechtliche Medien als Teil nichtmarktförmiger Gemeinschaftsgüter, mithin als eine dringend notwendige Form von gesellschaftlich-institutionalisierter Solidarität verstanden werden. Sie schaffen einen gleichberechtigten Zugang zu qualitativ hochwertiger Information für alle Gesellschaftsmitglieder. Gleichzeitig schaffen sie so die Möglichkeit einer Berichterstattung, die mittels demokratischer Kontrolle politische Äquidistanz gewährleistet. Nur so entsteht ein Gegengewicht zu privaten Medien, deren Inhalte maßgeblich von den Interessen ökonomisch starker Akteur/innen bestimmt werden können. Das grundsätzliche Ungleichgewicht in den Chancen der Einflussnahme auf mediale Diskurse zwischen verschiedenen sozialen Klassen kann so zumindest verringert werden. •
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WETTKAMPF STATT INHALT? DR. JAKOB-MORITZ EBERL INSTITUT FÜR PUBLIZISTIK- UND KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT, UNIVERSITÄT WIEN
Für eine funktionierende Demokratie ist eine informierte StaatsbürgerInnenschaft, die in Wahlen ihren politischen Willen zum Ausdruck bringt, eine geradezu unerlässliche Grundvoraussetzung (Delli Carpini & Keeter 1996). Die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird oftmals in der Bereitstellung der für diese Wahlentscheidung notwendigen Informationen gesehen. Obgleich das Medienvertrauen der ÖsterreicherInnen in den letzten Jahren eher sinkt, ist das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dessen Informationsfunktion dennoch weiterhin am höchsten und das ungeachtet der politischen Präferenzen der Befragten (siehe Eberl 2019). Dennoch häufen sich Zurufe und Kritik vor allem von Rechts-außen-PolitikerInnen, nicht zuletzt als der ehemalige Vizekanzler der Republik den Zeit im Bild 2 Anchorman Armin Wolf der Lüge bezichtigte. Die damalige Regierung dachte sogar öffentlich über die Teil-Privatisierung des öffentlich-rechtlichen Angebots, sowie die Abschaffung der Gebührenfinanzierung nach. Vielleicht wäre dies auch gelungen, wäre dazwischen nicht „Ibiza“ gewesen. Doch so unzufrieden sind die ÖsterreicherInnen nicht mit der Leistung ihres öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Laut dem Reuters Digital News Report Österreich (Gadringer et al., 2019) beziehen immerhin 45,7% der österreichischen Bevölkerung ihre Nachrichten auf ORF2 und 38,9% auf ORF1. Private Rundfunkanbieter wie Puls4 (21,2%) und ServusTV (19,2%) werden von deutlich weniger Menschen zu Informationszwecken bevorzugt. Auch online ist ORF.at die wichtigste Nachrichtenquelle der ÖsterreicherInnen und das quer durch alle politischen Lager (ebd. S. 51–52). Spricht dies schon für eine informierte StaatsbürgerInnenschaft, wie sie normative demokratische Theorien verlangen? Noch nicht ganz. Im Folgenden werde ich allerdings anhand neuester empirischer Forschung darlegen, ob und inwiefern öffentlich-rechtliche Medien dieser Aufgabe gerecht werden.
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Öffentlich-Rechtliche Medien und politisches Interesse Zuallererst gilt es festzuhalten, dass öffentlich-rechtliche Medien nicht nur weiterhin die wichtigste Quelle politischer Information der ÖsterreicherInnen sind. Internationale Studien zeigen auch, dass es eine wechselseitig verstärkende Beziehung zwischen dem Konsum öffentlich-rechtlicher Medien und politischem Interesse gibt, dieser Zusammenhang aber nicht bei kommerziellen Fernsehnachrichten beobachtet werden kann (Strömbäck & Shehata, 2019). Was bedeutet das genau? Je mehr öffentlich-rechtliche Medien eine Person konsumiert, desto politisch interessierter wird sie. Gleichzeitig gilt auch, je politisch interessierter eine Person ist, desto eher wird sie politische Informationen bei öffentlich-rechtlichen Medien suchen. Die Rolle öffentlich-rechtlicher Medien ist hier demokratisch besonders wichtig, nicht nur durch das Steigern politischen Interesses an sich, sondern auch durch etwaige Folgewirkungen. Politisches Interesse ist nämlich allgemein ein starker Treiber für Informationssuche, politische Partizipation usw. (Prior 2007). Außerdem haben vergleichende Forschungen beispielsweise gezeigt, dass Mediensysteme mit einem starken öffentlich-rechtlichen Fernsehen unter anderem durch ein größeres Angebot an politischen Informationen gekennzeichnet sind – auch im Vergleich zu Privatsendern (Aalberg, Van Aelst & Curran 2010). Das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass BürgerInnen mit diesen Informationen in Kontakt kommen (Esser et al. 2012). Öffentlich-Rechtliche Medien und politische Inhalte Die Quantität politischer Information ist dabei allerdings nur ein Aspekt. Mindestens ebenso wichtig ist die Qualität dieser Information. So gibt es eine Reihe von Studien, die zeigen, dass öffentlich-rechtliche Fernsehnachrichten im Gegensatz zu kommerziellen TV-Nachrichten eher sogenannte “Hard News” zu Politik und Wirtschaft, sowie internationale Berichterstattung liefern (Aalberg et al., 2013; Iyengar et al. 2010; Reinemann, Stanyer & Scherr 2017). Gerade während Wahlen tendieren Medien oft dazu, sich auf den Wettkampf und Strategien (sogenanntes Game-Framing), statt auf die Inhalte zu konzentrieren (sogenanntes Issue-Framing). Aber auch hier zeigten Mehr-Länder-Studien, dass bei öffentlich-rechtlichen Medien, das IssueFraming überwiegt (Aalberg, de Vreese, & Strömbäck 2017; Aalberg, Strömbäck, & de Vreese 2012).
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Ganz generell, aber insbesondere während Wahlkämpfen, ist es außerdem die demokratische Aufgabe von Medien, dem Publikum eine vielfältige und facettenreiche Perspektive auf politische Debatten zu bieten (van Cuilenburg 2007). Dabei gilt es sowohl zu beachten, welche Themen im Vordergrund stehen, als auch die Frage, welche Akteure der Kritik- und Kontrollfunktion der Medien unterworfen werden. Eine Studie in sechs europäischen Länder zeigt auch hier wieder, dass insbesondere in Mediensystemen mit starker öffentlich-rechtlicher Präsenz die politische Diversität der Berichterstattung am höchsten ist (Humprecht & Esser 2018). Öffentlich-Rechtliche Medien und politisches Wissen Da öffentlich-rechtliche Medien die wichtigste politische Informationsquelle für die meisten ÖsterreicherInnen darstellt, politisches Interesse erhöht und auch qualitativ wertvoller ist, als so manche Inhalte in privaten Medien, stellt sich u.a. natürlich auch die Frage, inwiefern der Konsum dieser Inhalte auch das politische Wissen der BürgerInnen erhöhen kann. Eine weltweite Studie in 27 Ländern beantwortet diese die Frage mit „Ja“. Die Nutzung öffentlich-rechtlicher Medien hat demnach nicht nur einen signifikant positiven Effekt auf das politische Wissen der BürgerInnen, der Effekt ist sogar negativ bei ZuseherInnen privater Nachrichtensendungen (Fraile & Iyengar 2014). Solche Effekte findet auch Strömbäck (2017) und betont dabei, dass diese in sogenannten Routinezeiten (also außerhalb von Wahlkämpfen), genauso wie während Wahlkämpfen erster Ordnung (d.h., Nationalratswahlen) oder auch während Wahlkämpfen zweiter Ordnung (z.B., Europäische Parlamentswahlen) auftreten. Ausblick Im Wesentlichen leisten öffentlich-rechtliche Medien einen großen Beitrag dazu, informierte StaatsbürgerInnen (Delli Carpini & Keeter 1996) zu gewährleisten, und tun dies wahrscheinlich besser als kommerzielle Nachrichtenformate. Erstens sind sie Hauptinformationsquelle zu politischen Belangen der ÖsterreicherInnen während und außerhalb der Wahlen. Zweitens erhöhen sie das politische Interesse der RezipientInnen. Drittens bieten sie qualitativ hochwertige Inhalte. Zuletzt tragen diese zu höherem politischen Wissensgewinn bei.
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Abschließend gilt es noch zu betonen, dass nicht jeder öffentlich-rechtliche Rundfunk gleich ist. Hochwertigere politische Inhalte, sowie positive Effekte auf politisches Wissen sind nämlich nur dann gewährleistet, wenn die Finanzierung gesichert und unabhängig vom Budgetplan einer jeweiligen Regierung ist (Soroka et al. 2013). So sollte die möglicherweise bald wieder aufkommende Debatte über die Abschaffung der ORF-Gebühren, sowie eine etwaige Teilprivatisierung eigentlich rasch beendet sein – insofern man tatsächlich auch ein Interesse an einer politisch informierten WählerInnenschaft hat … •
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Esser, F., Vreese, C. H., Strömbäck, J., van Aelst, P., Aalberg, T., Stanyer, J., & Reinemann, C. (2012). Political information opportunities in Europe: A longitudinal and comparative study of thirteen televisions systems. International Journal of Press/Politics, 17(3), 247–274. doi:10.1177/1940161212442956 Fraile, M., & Iyengar, S. (2014). Not all news sources are equally informative: A cross-national analysis of political knowledge in Europe. International Journal of Press/Politics, 19(3), 275–294. doi:10.1177/1940161214528993 Gadringer, S., Holzinger, R., Nening, I., Sparviero, S., & Trappel, J. (2019). Digital News Report Austria 2019. Detailergebnisse für Österreich. doi:10.5281/zenodo.3228145 Humprecht, E., & Esser, F. (2018). Diversity in online news: On the importance of ownership types and media system types. Journalism Studies, 19(12), 1825–1847. Iyengar, S., Curran, J., Lund, A. B., SalovaaraMoring, I., Hahn, K. S., & Coen, S. (2010). Cross-national versus individual-level differences in political information: A media systems perspective. Journal of Elections, Public Opinion and Parties, 20(3), 291–309. doi:10.1080/17457289.2010.490707 Prior, M. (2007). Post-broadcast democracy: How media choice increases inequality in political involvement and polarizes elections. New York, NY: Cambridge University Press.
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MEDIENREPERTOIRE JUNGER ERWACHSENER VOR WAHLEN MAG. A GISELA REITER FH WIEN DER WKW
Wahlen sind immer eine Art Ausnahmezustand, wenn es um Mediennutzung geht. Mehr als sonst „muss“ man sich für aktuelle politische Geschehnisse interessieren und als gewissenhafte Bürgerin bzw. gewissenhafter Bürger zumindest eine mehr oder weniger konkrete Meinung haben um die kommende Wahlentscheidung treffen zu können. Die Medienlandschaft als zentrale Quelle für Information zum aktuellen politischen Geschehen verändert sich dabei stetig. Es kann nahezu überall – unabhängig von zeitlichen und räumlichen Vorgaben – über Medieninhalte verfügt werden (vgl. Breunig & Engel 2015). Um die individuellen Unterschiede in der Mediennutzung näher wissenschaftlich betrachten zu können, ist die Zusammenstellung unterschiedlicher Mediengattungen und -plattformen relevant – in der Fachliteratur wird in diesem Zusammenhang vom „Medienrepertoire“ gesprochen (vgl. Hasebrink & Domeyer 2012). Die dazugehörigen Mediennutzungsroutinen, also der alltägliche Umgang mit dem eigenen Medienrepertoire, können sich in der Zeit vor einer politischen Wahl auf Grund der gesteigerten Aufmerksamkeit ändern. Medienformate, die im Alltag wenig bis gar nicht genutzt werden, sind eventuell wieder von Interesse. „Lineare“ Mediennutzerinnen und Mediennutzer konsumieren klassische Massenmedien mit vorgegebenem zeitlichen Rahmen und in mehr oder weniger fixem Setting. Es handelt sich um Personen, die sich vor den Fernseher oder das Radiogerät setzen und sich das gebotene Programm ansehen bzw. anhören. Im Gegensatz dazu, holen „non-lineare“ Nutzerinnen und Nutzer tagtäglich ausschließlich online Informationen ein und nutzen on-demand Medienangebote auf unterschiedlichen Endgeräten – wann und wo sie wollen. Im Vorfeld von wichtigen politischen Wahlen können solche „non-linearen“ Nutzerinnen und Nutzer aber temporär wieder zu „linearen“ Nutzerinnen und Nutzern werden und sich beispielsweise gezielt Diskussionsformate live im (Programm-) Fernsehen ansehen (vgl. Reiter et al. 2016). Anders als im Alltag, in dem sie sich für gewöhnlich ohne zeitliche und räumliche Vorgaben ihr eigenes Medienrepertoire zusammenstellen, treten wieder klassische Formate und fixe Zeiträume für die Mediennutzung auf.
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Niedrige Wahlbeteiligung und der Vorwurf der Politikverdrossenheit vor allem bei jungen Bürgerinnen und Bürgern sind immer wieder Thema medialer Berichterstattung (vgl. DerStandard.at 2019). Dabei ist in Österreich bei den betreffenden Jugendlichen das generelle Interesse an politischen Wahlen mit der Absenkung des Erstwahlalters auf 16 Jahre gestiegen (vgl. Zeglovits & Zandonella 2013). Das Bemühen, erfolgreich politisches Interesse zu wecken, ist dabei von vielen Faktoren abhängig. Oft sind es Personen, die sich möglichst schnell und ohne allzu viel zeitlichen bzw. intellektuellen Aufwand über aktuelle politische Ereignisse informieren wollen. Diese Gruppe der „Info-Scanner“ ist bei den unter 30-jährigen am häufigsten zu finden (vgl. Grossegger 2018). Junge Erwachsene informieren sich regelmäßig und vor Wahlen eventuell anders als sie es im Alltag tun – nur wo? Und vielleicht noch viel entscheidender: Wo und warum genau dort? Im Sommersemester 2019 wurden kurz nach der Europawahl insgesamt 34 Personen im Alter zwischen 18 – 29 Jahren im Rahmen einer Lehrveranstaltung am Department of Communication der FHWien der WKW in diesem Zusammenhang befragt. Der Interviewleitfaden umfasste Fragen zum jetzigen und früheren Medienrepertoire und den damit verbundenen Mediennutzungsroutinen. Allgemein wurde nach Vertrauen und Misstrauen in Medien gefragt, sowie die Erwartungshaltung gegenüber Journalistinnen und Journalisten und deren gesellschaftlicher Rolle. Die Transkripte der Interviews wurden anschließend nach den Grundsätzen qualitativer Analysemethoden (vgl. Mayring & Hurst 2005; Friese 2014) kodiert und computergestützt mit dem Softwareprogramm Atlas.ti ausgewertet. Ziel war es, Einblicke in die unterschiedlichen Motive hinter der individuellen Informationsbeschaffung im Vorfeld einer politischen Wahl zu bekommen. Die hier konkret ausgewertete Fragestellung zielt dabei nicht nur auf die eigenen Erfahrungen mit Mediennutzung und Informationsbeschaffung ab – vielmehr wird versucht mit einer Projektionsfrage gezielt Beispiele und Strategien zu erfassen. Die relevante Frage an die Befragten (anonymisiert wird im Folgenden von Person „P1“ – „P34“ gesprochen) lautet daher: „Stell dir vor, eine Erstwählerin oder ein Erstwähler bzw. ein jemand der zum ersten Mal an einer Wahl teilnimmt, möchte sich über die bevorstehende Europawahl 2019 in Österreich informieren. Welche Medien empfiehlst du ihr bzw. ihm und warum?“. Die Ergebnisse können zu drei zentralen Handlungsanweisungen zur Informationsbeschaffung bzw. als Entscheidungshilfe bei politischen Wahlen zusammengefasst werden:
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Medienmix und vor allem Primärquellen nutzen Die Empfehlungen sind beim Großteil der Befragten ähnlich ausgefallen: es wird ein Mix aus unterschiedlichen Quellen vorgeschlagen und argumentiert. So gibt P4 (männlich, 28 Jahre) zu Protokoll: „Speziell wenn es um Wahlen geht, ist so ein Mischmasch aus allem sicher ein guter Weg. Weil es hat wenig Sinn, wenn ich einen Typen wähl, von dem ich nur was gelesen hab“. Auffällig ist dabei, dass die ersten häufig genannten Quellen nicht zwingend Medienangebote im journalistischen Sinn sind, sondern das Parteiprogramm der Parteien direkt. Dazu meint P26 (männlich, 26 Jahre): „Ich würde ihm grundsätzlich dazu raten, dass er Primärquellen sucht und jetzt nicht Medien, dass er sich die Parteiprogramme durchsieht“. Der Weg dorthin entspricht dabei in dieser Gruppe gängigen Recherchemethoden und P7 (männlich, 26 Jahre) empfiehlt „in erster Linie einfach mal googeln“. TV-Konfrontationen im ORF und Bewegtbild allgemein Viele der hier Befragten sind dabei keine klassischen Nutzerinnen und Nutzer von öffentlich-rechtlichen Medienangeboten, sie sind aber in Sachen Informationsformate des ORF tendenziell positiv eingestellt. So meint P6 (männlich, 24 Jahre) „Ich bin jetzt niemand der tagein, tagaus um Punkt 20 Uhr die ,Zeit im Bild‘ schaut jeden Tag“. Dies ändert sich im Vorfeld einer politisch relevanten Wahl, diese Vermutung wird mehrfach bestätigt. Konkret beschreibt diesen Bruch im Medienrepertoire bzw. in den Mediennutzungsroutinen P26 (männlich, 26 Jahre): „Die ,Zeit im Bild‘, das schaut man vielleicht hin und wieder, wenn gerade eine Wahl war, aber sonst sehe ich eben kein, also nicht fern“. Gefragt nach den Gründen für die positive Einstellung zum ORF fasst P12 (männlich, 21 Jahre) zusammen: „Ich denke, dass der ORF schon auch ein gutes Medium ist, weil er sehr breit, ein sehr breites Angebot hat, vor allem was Politik betrifft, weil man sehr viele Möglichkeiten hat, sich Parteien anzuhören, also, deren Inhalte anzuhören“. Ein konkretes Beispiel, wenn es um eine Empfehlung des ORF geht, liefert P32 (männlich, 23 Jahre): „Der ORF ist durchaus ok, vor allem, weil viel statistisches Material von Statistik Austria aufbereitet wird“. Wenn es allgemein um Bewegtbild und audiovisuelles Material auch online geht, so wird empfohlen sich die jeweilige Spitzenkandidatin bzw. den jeweiligen Spitzenkandidaten auf jeden Fall in einer Interviewsituation anzusehen. P3 (weiblich, 26 Jahre) empfiehlt: „Ich glaub, ich würd mir so Interviews ansehen, also über Youtube“. Warum, bringt P15 (Weiblich, 21 Jahre) auf den Punkt: „weil ich den Eindruck habe, dass die Interessen oder die Standpunkte
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so am stärksten hervorgehoben werden können. Und man da auch, finde ich, am ehesten irgendwie Sympathie mit irgendeiner anderen Person oder so entwickeln kann. Und ja, ich glaube, dass das eigentlich die beste Möglichkeit ist, um sich zu entscheiden“. Social Media Auftritt der Parteien und Wahlkabine Die Nutzung von Social Media wird kontrovers bewertet. Kritisch, wenn auch wenig konkret, gegenüber Social Media äußert sich P11 (weiblich, 26 Jahre): „Ich würde jetzt nicht empfehlen sich nur über Social Media zu informieren, weil das nicht unbedingt so objektiv ist“. Oder P1 (weiblich, 21 Jahre), wenn sie meint „ich würde auf jeden Fall von sozialen Medien abraten, da hier viel hochgeschaukelt wird“. Anders verhält es sich, wenn es um die Social Media Seiten der Parteien selbst geht. P29 (weiblich, 29 Jahre) relativiert: „Ich würde schon auch ein bisschen schauen auf Social Media, wie die Parteien sich auf Social Media selbst präsentieren“. Allgemeine Informationsbeschaffung über Social Media Plattformen und entsprechende Foren werden als problematisch gesehen bzw. hier scheinen sich die Befragten über die Fragwürdigkeit der Inhalte durchaus bewusst zu sein. Sich den Social Media Auftritt der Parteien direkt anzusehen, wird dagegen mehrfach empfohlen. Als Argument dafür wird angeführt, dass dies einen guten Eindruck liefern kann, um einzuschätzen wie die Partei „tickt“. Eine weitere Entscheidungshilfe wurde von fast allen genannt: den Selbsttest via wahlkabine.at zu versuchen. So meint P4 (männlich, 28 Jahre): „Wahlkabine, das is schon ganz gut, das mach ich meistens auch, wenn ich mir unsicher bin“ oder P25 (männlich, 22 Jahre): „Also wenn ich politisch nicht wirklich interessiert bin und einfach nur wissen möchte, wer meine Interessen am besten vertritt, dann würde ich wahlkabine.at nutzen“. Wie sind diese Empfehlungen an Erstwählerinnen und Erstwähler durch junge Erwachsene zu interpretieren bzw. welche Handlungsanweisungen ergeben sich daraus für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Gesamt kann festgehalten werden: Das Vertrauen in mediale Berichterstattung vor Wahlen ist offenbar etwas angeschlagen. Der Rat, sich selbst ein Bild zu verschaffen indem man sich direkt mit dem Parteiprogramm auseinandersetzt, wurde mehrfach erteilt. Die direkte Präsentation der Parteien via Parteiwebsite bzw. deren Social Media Auftritt der jeweiligen Partei selbst zu bewerten, kann sicherlich als Folge einer allgemein medienkritischen Haltung interpretiert werden. Dabei steht der ORF allgemein nicht schlecht da, auch wenn er in keinem der Interviews als erste und schon gar nicht als einzige Quelle für die Entscheidungsfindung genannt
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wird. Die Tendenz weg von „linearer“ Mediannutzung ist im Alltag ist in dieser Altersgruppe nicht abzustreiten und hat sich auch bei der Auswertung der Mediennutzungsroutinen im Alltag bestätigt. Gerade aber vor wichtigen politischen Wahlen ist die klassische TV-Konfrontation ein gewünschtes und genutztes Format. In dieser Zeit kommen junge Bürgerinnen und Bürger zu „linearen“ und vornehmlich öffentlich-rechtlichen Medienangeboten zurück. Das ist eine große Chance und eine enorme Bestätigung für den ORF in diesem Zusammenhang. Die weitaus spannendere Frage ist die nach dem Verbesserungspotenzial für den ORF. Hier sollte die empfohlene Konsultation der Primärquelle bzw. des Parteiprogramms stärker berücksichtigt und in neue Formate gegossen werden. Ähnlich wie bei dem in dieser Gruppe als sehr hilfreich eingestuften Angebot via wahlkabine.at zu entscheiden, wäre eine verständliche und gezielte Zusammenfassung der Parteiprogramme für junge Zielgruppen interessant. Ein Format, das diesem Wunsch schon versucht hat zu entsprechen, ist beispielsweise die im Vorfeld der Nationalratswahl 2019 ausgestrahlte Sendung „Mein Wahlometer“. Lebensnahe Szenarien schaffen, direkt bei den Wählerinnen und Wählern nachfragen und die Auswirkung politischer Entscheidungen selbst abwägen, macht sperrige Parteiprogramme weniger komplex. Auch die Spitzenkandidatin oder den Spitzenkandidaten nach den Beweggründen hinter der politischen Haltung der eigenen Partei bei unterschiedlichen Themenbereichen zu befragen, entspricht den Erwartungen und Wünschen, die hier geäußert wurden. Eine Übersicht und Analyse des Social Media Auftritts der kandidierenden Parteien wäre hier als Erweiterung denkbar. Der Problematik, möglichweise fragwürdige politischen Inhalte „einfach mal zu googeln“, würde dadurch weiter etwas entgegengesetzt werden. •
Quellen Breunig, C. & Engel, B. (2015). Massenkom munikation 2015: Funktionen und Images der Medien im Vergleich. Media Perspektiven, 7, 323–341. Friese, S. (2014). Qualitative data analysis with ATLAS.ti. Thousand Oaks: Sage. Großegger, B. (2018). Jugend- und Gesellschaftspolitik. 14- bis 29-jährige als Zielgruppe. In K. Mitschka & K. Unterberger (Hrsg.), Public Open Space. Zur Zukunft öffentlich-rechtlicher Medien (S. 101-107). Wien: Facultas. Hasebrink, U. & Domeyer, H. (2012). Media repertoires as patterns of behavior and as meaningful practices: A multimethod approach to media use in converging
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Zeglovits, E. & Zandonella, M. (2013). Political interest of adolescents before and after lowering the voting age: the case of Austria. Journal of Youth Studies, 16(5), 1084-1104. DerStandard.at (2019). In Österreich sind Abgeordnete recht unsichtbar. Verfügbar unter: https://www.derstandard.at/ story/2000065907297/in-oesterreich-sindabgeordnete-recht-unsichtbar [abgerufen: 22.08.2019]
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VERTRAUEN IN WAHLEN UND DEMOKRATIE MAG. GÜNTHER OGRIS, SORA
Wenn in Österreich gewählt wird, dann zweifelt üblicherweise niemand das Wahlergebnis an. Der ORF präsentiert wenige Minuten nach dem Schließen des letzten Wahllokals eine SORA-Hochrechnung. Die Öffentlichkeit hat sich daran gewöhnt, die erste Hochrechnung als das endgültige Wahlergebnis zu akzeptieren. Die SORA Hochrechnungen haben eine Genauigkeit erreicht, die jede Spannung aus dem Wahlabend nimmt. Die mittlere Abweichung von 0,4 Prozentpunkten der SORA Hochrechnung bei der Nationalratswahl am 29. September hat das Vertrauen auch wieder gerechtfertigt. Dabei wird das Hochrechnen eher komplizierter. Über eine Million Wahlkarten, die erst nach der Wahl ausgezählt werden, bedeutet, dass man auf das amtliche Ergebnis bis Donnerstag nach der Wahl warten muss. Und die Datenbasis, bestehend aus ausgezählten Wahlergebnissen, kommt erst um 17h und es gibt nur wenige Minuten Zeit für die Prognose. Aber niemand wartet. Die SORA-ORF Hochrechnung wird von den meisten Redaktionen der Printmedien übernommen und ist praktisch auf jedem Titelblatt als gleichbedeutend mit dem amtlichen Wahlergebnis zu finden. Dieses hohe Vertrauen in die Hochrechnung kann es nur geben, weil es ein hohes Vertrauen in die durchgeführten Wahlen insgesamt gibt. Das ist ein starkes Zeichen, dass das Zentrum der Demokratie – die Machtverteilung im Nationalrat – durch faire und gerechte Wahlen funktioniert. Die Verfahrensfehler beim Auszählen der vom Verfassungsgericht aufgehobenen Stichwahl zur Wahl des Bundespräsidenten im Jahr 2016 hätten das Ergebnis nicht beeinflusst. Seither wird die Durchführung der Wahlen noch viel korrekter administriert. Bei der Nationalratswahl 2019 gab es keine kritische Stimme mehr, das Vertrauen in den Wahlprozess ist erfolgreich wiederhergestellt. Das SORA Wahlforschungsteam hat auch schon andere Erfahrungen gemacht. So waren wir 2003 bei den Wahlen in Georgien im Einsatz. In Kooperation mit einer georgischen Partnerfirma war SORA verantwortlich für einen Exit-Poll. Die Partnerfirma führte die Interviews durch, SORA machte die Qualitätskontrollen und die Hochrechnung. Als ich die Ergebnisse der Redaktion mitteilen wollte, zeigte man mir eine Tabelle mit Wahlergebnissen und teilte mir mit, dass „die wichtigsten Minister zusammengesessen seien, und dies unsere Ergebnisse seien.“ Wir waren hilflos und wütend, die Fernsehsender sendeten erfundene Ergebnisse.
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Mit den wichtigsten Ministern waren die wichtigsten georgischen Oligarchen gemeint. Die Wahlen waren eine einzige Schieberei. Das Militär fuhr von Wahllokal zu Wahllokal und die Soldaten wählten mehrfach. In Regionen, in denen die Regionalverwaltung und das Meldewesen nicht funktionierten, wurden Wahlberechtigte erfunden und Stimmzettel ausgefüllt. Drei Monate später wurde die so gewählte Regierung durch eine Revolution gestürzt. In Bulgarien 2013 hatten wir von 5 Oppositionsparteien den Auftrag, die gesamte Auszählung der Stimmen durch eine Parallelzählung zu kontrollieren. Das Misstrauen gegen den Regierungschef Bojko Borissow und die private Firma, die mit der Auszählung der Stimmen beauftragt wurde, waren so stark, dass SORA den Auftrag hatte, die Wahlprotokolle von ca. 13.000 Wahllokalen zu erfassen und das Wahlergebnis zu berechnen. Bei den ständig publizierten Zwischenergebnissen näherten sich unsere und die amtlichen Wahlergebnisse einander an, am Ende waren die Ergebnisse fast identisch. So hat SORA mitgeholfen, dass Vertrauen in das Endergebnis der Auszählung zu festigen. An den Wahlen in der Ukraine kann man besonders gut zeigen, wo das Problem liegt. In der Ukraine sind alle Parteien und fast alle Kandidaten von Oligarchen finanziell abhängig. Die übliche Konstruktion – ein Oligarch/eine Oligarchin hat nicht nur einige Großbetriebe, sondern auch einen Fernsehsender, einige Tageszeitungen und Radiostationen, aber eben auch eine Partei und Kandidaten. In der Ukraine herrscht eine Oligarchie, die die demokratischen Spielregeln nutzt, um den Oligarchen einander die Macht und die Staatsaufträge abzujagen. Trotz allem galten die Wahlgänge von 2019 als die ersten relativ fairen Wahlen. Die Ergebnisse der Exit Polls, an denen SORA mitgewirkt hat, kamen dem Wahlergebnis sehr nahe, was nur möglich ist, wenn Wahlen fair organisiert sind. SORA hat aus der Georgien-Erfahrung gelernt. In allen internationalen Aufträgen steht im Vertrag ein Passus, dass die von SORA berechneten Wahlergebnisse gleichzeitig auf einer Homepage bekannt gegeben werden. Noch einmal wollen wir nicht von Oligarchen missbraucht werden, um ein falsches Wahlergebnis zu legitimieren. Im Vertrag mit dem ORF ist ein solcher Passus nicht nötig. Seit 25 Jahren macht SORA Hochrechnungen und Wahlanalysen für den ORF und hat dabei immer die hohe Professionalität und die stark verankerten ethischen Standards in der Berichterstattung geschätzt. Diese persönliche Erfahrung im Zentrum des demokratischen Prozesses gibt Gewissheit – Österreichs Demokratie funktioniert an Wahltagen ausgezeichnet. Doch dies sehen nicht alle so. Österreich ist nicht frei von den internationalen Entwicklungen, in denen sich Teile der Bevölkerung autoritären Vorstellungen annähern.
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Die SORA/ISA Wahltagsbefragungen zeigen, dass das Demokratievertrauen in Österreich einen Einbruch erlitten hat. Haben 2013 noch 81% der Wahlberechtigten dem Satz „Demokratie mag Probleme mit sich bringen, ist aber immer noch die beste Regierungsform“ mit „stimme sehr zu“ beantwortet, waren es 2017 nur noch 72% und 2019 nur noch 61%. Dieser tiefe Wert für das Demokratievertrauen hängt mit den Ereignissen im Wahlkampf zusammen. Die Käuflichkeit der Politik war nach dem Klimaschutz das am zweithäufigsten diskutierte Thema und der IbizaSkandal hat das Stimmungsbild wesentlich geprägt. Das Misstrauen gegen die Demokratie korreliert signifikant mit der Häufigkeit des Gesprächsthemas „Käuflichkeit der Politik“ (r=0,23) und stark (r=0,4) mit der Ablehnung der Veröffentlichung des Ibiza-Videos durch die Medien oder mit der Einstellung, dass das Ibiza-Video ein Sittenbild für alle Parteien ist und nicht ein Sinnbild für die FPÖ oder gar nur einzelne Politiker der FPÖ. Ibiza-Skandal und Parteispenden durch Großspender haben dem Demokratievertrauen einen Tiefschlag versetzt. Da ist es gut, dass der Nationalrat die Spenden für Parteien begrenzt hat und die Durchführung der Wahlen so reibungslos und unumstritten funktioniert. Das Demokratievertrauen hat eine Stärkung dringend nötig. •
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MEDIEN UND WAHLFORSCHER ALS SYMBIOSE DAS BEISPIEL EUROPAWAHL UNIV.-PROF. DR. PETER FILZMAIER DONAU-UNIVERSITÄT KREMS, KARL FRANZENS-UNIVERSITÄT GRAZ
Sonntag, 26. Mai 2019, 17 Uhr. In Österreich haben soeben die letzten Wahllokale für die Wahlen zum Europäischen Parlament geschlossen. Man stelle sich folgendes Szenario vor: Die staatlichen Wahlbehörden schweigen bis spätnachts. Stattdessen verkünden politische Parteien sofort, wie die Wahl ungefähr ausgegangen sei. Womöglich mit ganz verschiedenen Ergebniszahlen. Die Parteichefs und deren Spindoktoren liefern Minuten später einander widersprechende „Daten“ und Erklärungen, wer angeblich wen warum gewählt hat. Jeder Politiker erklärt, warum er ein Gewinner wäre und Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen mit den wunderschönsten Wahlmotiven für ihn gestimmt hätten. Medien senden das mehr oder weniger unkommentiert sowie stellen die Jubelmeldungen der Politik auf ihre Internetseiten. Von kritischer Analyse keine Spur. Ein medien- und demokratiepolitisches Horrorszenario? Ja. Eine Schreckensfantasie, die niemals Wirklichkeit werden kann? Leider nein. Am besagten Maisonntag der Europawahlen haben österreichische Medien – konkret eine Projektgemeinschaft des Österreichischen Rundfunks (ORF) mit anderen – in Zusammenarbeit mit für diese als Wahlforscher tätigen Wissenschaftlern einen solchen Verlauf der Berichterstattung verhindert. Das Bundesministerium für Inneres (BMI) als oberste Wahlbehörde der Republik hatte den Rechtsstandpunkt vertreten, erst mit dem Schließen der allerletzten Wahllokale anderswo in EUropa um 23 Uhr heimische Ergebnisse zu veröffentlichen. Alle Parteipolitiker – intern durch ihre Wahlzeugen mit Informationen versorgt – standen trotzdem viele Stunden früher in den Startlöchern, ihre Version der Wahlgeschichte zu erzählen. Politikwissenschaftler hätten all dem bloß skeptisch zuhören können, würden sie nicht von seriösen Medien mit Wahlumfragen zur Motivforschung1 sowie Hochrechnungen und Wählerstromanalysen beauftragt. 1
Alle Daten der Wahl(motiv-)forschung des Institut für Strategieanalysen (ISA) und des Institute for Social Research and Analysis (SORA) zu den Wahlen zum Europäischen Parlament in Österreich 2019 sind zu finden unter https://wahlen.strategieanalysen. at/eu2019/, abgerufen am 18. Juni 2019.
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Nur dadurch kann man datengestützt analysieren und manchmal die Dinge zurecht rücken. Im Grunde ist die Sache nämlich ganz einfach: Jede Wahlanalyse sollte auf möglichst umfangreichen sowie transparenten Daten basieren. Natürlich kann und soll man über die Dateninterpretation sachlich diskutieren, das nennt sich Wissenschaft. Deutungen der Wahl nach Bauchgefühl freilich haben in anständigen Medien und seitens von Journalisten, die sich jeweils als solche verstehen, nichts verloren. In einer Demokratie soll öffentliche Meinung veröffentlicht werden. Das ist klar. Entscheidend ist, dass das unabhängige Medien in seriöser Form tun. Spekulationen über das Wahlverhalten und dessen Motive im Stil der Bewertung eines Fußballspiels am Stammtisch haben nichts mit einer fundierten Analyse zu tun. Macht das ein Medienmensch, wäre es eine Umfrage mit der kleinstmöglichen Stichprobe („ich mit mir selbst“) und einer Schwankungsbreite von 100 Prozent. Im Wesentlichen stehen dem analysierenden Politikwissenschaftler an einem Wahlabend vier Typen von Forschungsquellen zur Verfügung, von denen drei als Interpretationsbasis aktuell erhoben werden: 1. Am Tag der Wahl wird aufgrund bereits vorliegender Ergebnisse bestimmter Gemeinden auf die Gesamtbevölkerung und somit das Wahlergebnis hochgerechnet. Dieses Verfahren beruht nicht auf Befragungen, sondern auf tatsächlichen Auszählungsergebnissen. Infolge der steigenden Zahl von Briefwählern und ihr im Regelfall nach den Parteipräferenzen etwas abweichenden Wahlverhaltens muss allerdings eine „Briefwahl- bzw. Wahlkartenprognose“ inkludiert werden. Das ist als Herausforderung erforderlich, weil in Österreich die Briefwahlstimmen erst am Folgemontag nach dem Wahlsonntag ausgezählt werden. Mit anderen Worten: Ohne Hochrechnung inklusive Wahlkartenprognose müsste der Politikwissenschaftler im Fernsehen ein Ergebnis analysieren, das – als „Urnenwahl“ ohne Briefwahlstimmen – vom tatsächlichen Resultat in wichtigen Punkten noch erheblich abweichen könnte. Was inhaltlich sowieso kaum geht. Zudem entsteht hier im besten Fall Verwirrung. Schlimmstenfalls gibt es üble Verschwörungstheorien, wer da noch über Nacht am Wahlergebnis und der Neuinterpretation gedreht hätte. 2. In der beschriebenen Europawahl lagen jedoch Ergebnisdaten für eine Hochrechnung erst spät in der Nacht vor. Also kam den Wahltagsbefragungen ausnahmsweise eine spezielle Bedeutung auch als Prognose-
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instrument zu. Theoretisch könnte man da als Politikwissenschaftler den puristischen Standpunkt vertreten, dass das Ergebnis fünf Jahre lang gilt und die Öffentlichkeit also einfach fünf oder mehr Stunden zu warten hätte, wie gewählt wurde und welche Motive das Wahlverhalten bestimmten. Realistisch ist das in einer modernen Mediendemokratie mit der Beschleunigung jedweder politischen Kommunikation via Facebook, Twitter & Co nicht. Statt willkürlicher Parteiinterpretationen oder frei erfundener Gerüchte müssen daher bald nach Wahlschluss wissenschaftliche Analysen geliefert werden. Entscheidend für die Befragungen am Tag der Wahl – in Wirklichkeit beginnen diese als Pretest einige Tage davor und erforschen vor allem das Wahlverhalten nach soziodemographischen Gruppen wie Alter und Geschlecht sowie die Motivation der jeweiligen Parteiwähler – ist dabei deren Ausrichtung an entsprechenden Qualitätskriterien. Die Erfüllung solcher ist für Medien als Auftraggeber der Wahlforschung ein erheblicher Kostenfaktor, doch anderenfalls könnte, sollte und dürfte ein Politikwissenschaftler nicht für Analysen zur Verfügung stehen.2 3. Jede Analyse an einem (EUropa-)Wahlabend berücksichtigt naturgemäß auch besonders die Veränderungen zu früheren Wahlen, also zu früheren Europawahlen und der letzten Nationalratswahl. Wählerstromanalysen stellen dafür die Wanderungen von Wählern zwischen kandidierenden Parteien und den Nichtwählern dar. Kein Politikwissenschaftler könnte ohne sie irgendwelche Aussagen treffen, wie viele Wähler einer Partei treu waren oder für welche anderen Parteien ihre Stimme abgegeben haben bzw. diesmal zuhause blieben. Im ORF werden diese Analysen übrigens vom SORA-Institut ohne Befragungsdaten durchgeführt, sondern beruhen auf statistischen Zusammenhängen und Schlussfolgerungen auf Basis der Teilergebnisse mehrerer Wahlen.3 4. Das führt indirekt zur Methode des Vergleichs in der Politikwissenschaft als Grundlage fast aller Analysen an einem Wahlabend und darüber hinaus. Vergleiche mit früheren Ergebnissen und Forschungsda2 Die vollständigen Richtlinien finden sich unter http://vdmi.at/wp-content/ uploads/2017/02/Richtlinie_Wahlforschung_01-2017.pdf , abgerufen am 24. Juni 2019. 3
Siehe dazu https://www.sora.at/themen/wahlverhalten/wahlanalysen/waehlerstromanalysen.html, abgerufen am 21. Juni 2019.
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ten von Europawahlen sind für systematisch gesichertes Wissen und den analysierenden Politikwissenschaftler in seiner Erklärungskraft, was beim Wahlresultat und Wahlverhalten weshalb so gewesen sein könnte, unabdingbar. Warum das so ist? Auch dazu ein Vergleich: Ärzte messen als Indikatoren wie Temperatur und Ruhepuls, um Rückschlüsse auf den Zustand eines Patienten zu ermöglichen. Die gemessenen Zahlen 38 oder 80 haben jedoch erst Aussagekraft und lassen Rückschlüsse zu, wenn man sie in Relation zu den Erfahrungswerten von Normaltemperatur und Normalpuls setzt. Ist der „Arzt“ ein vergleichender Politikwissenschaftler, so misst er beispielsweise (Prozent-)Zahlen der Parteiwähler einer Altersgruppe oder die Nennung eines Spitzenkandidaten als vorrangiges Wahlmotiv. Genauso die Wahlbeteiligung, Wahlergebnisse in allen Bezirken und Gemeinden, den Zeitpunkt der Wahlentscheidung, die Wahrnehmung einzelner Parteikampagnen, von den Wählern als wichtig empfundene Themen und vieles mehr. Ein Indikator allein sagt oft wenig aus, doch die Summe von Indikatoren und deren Vergleich mit früheren – nationalen und internationalen – Wahlen lassen eine Conclusio etwa über die Europawahl zu. Nur so kann ein Politikwissenschaftler seine Analysen im Fernsehen präsentieren und diskutieren. •
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WAHLKAMPF IM ORF EINE BILANZ (FAST) 50 JAHRE NACH DEM ERSTEN FERNSEHWAHLKAMPF 1970 DDR. I N GABRIELE MELISCHEK UND DR. JOSEF SEETHALER ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
Trotz des gegenwärtigen Medienwandels bleibt das Fernsehen vielerorts das dominierende Medium der politischen Kommunikation und damit auch der Wahlkampfkommunikation. Das gilt auch für Österreich – auch wenn die Zeiten, in denen die um 19:30 Uhr ausgestrahlte Hauptnachrichtensendung „Zeit im Bild“ eine Reichweite von mehr als 2,5 Millionen Zuseher*innen erzielte, lang vorbei sind (Plasser und Lengauer 2010a). Dennoch beziehen laut der jüngsten Befragung des Reuters Instituts an der Universität Oxford zwei von drei Österreicher*innen ihre politischen Informationen aus dem Fernsehen; für 31 Prozent sind die Fernsehnachrichten sogar die wichtigste Informationsquelle (Gadringer et al. 2019). Wenn es, wie in Wahlkampfzeiten, um nationale Politik geht, liegen die Zahlen noch höher. So nutzten im Herbst 2017, also im damaligen Nationalratswahlkampf, rund 43 Prozent der österreichischen Bevölkerung die Fernsehnachrichten als ihre primäre Quelle für nationale politische Informationen; weitere 32 Prozent nutzten sie neben ihrem hauptsächlichem Informationsmedium.1 Hingegen greifen nur 19 Prozent der Österreicher*innen zuerst zur Zeitung, wenn sie politische Informationen suchen, wenn auch für rund doppelt so viele Menschen die Zeitung in Sachen Politik Zweitmedium ist. Bei allen anderen Medien (einschließlich der sozialen Medien) liegen die Nutzungswerte deutlich niedriger. Sind also im Vergleich der Mediengenres TV-Nachrichten die erste Wahl, wenn es um Politik geht, dann sind es auf der Ebene der einzelnen Anbieter mit großem Abstand die Programme des ORF, die vorne liegen: Platz 1 und 2 der Top Nachrichtenquellen belegen mit 46 bzw. 39 Prozent ORF 2 und ORF 1; auf Platz 3 folgt die Kronen Zeitung mit 37 Prozent. Puls 4 wählen nur 21, Servus TV nur 19 und ATV nur 16 Prozent der Befragten als Nachrichtenquelle, wobei bei allen drei Sendern die gelegentliche Nutzung überwiegt. Die ORF-Programme werden hingegen von 77 (ORF 2) bzw. 63 Prozent (ORF 1) der Nutzer*innen häufig (und zwar mehr als an drei Tagen in der Woche) genutzt (Gadringer et al. 2019). Das ist ein ein1
Eurobarometer 88.3 (November 2017)
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drucksvoller Beleg für die hohe Nachfrage nach öffentlich-rechtlichen Programminhalten, aber auch ein hohes Maß an Verantwortung, das dem ORF von der Bevölkerung übertragen wird. Wie erfüllt der ORF diese Rolle? Was hat sich seit den Zeiten des Mainstream-Fernsehens in den 1970er- und 1980er-Jahren verändert? Die gute Nachricht: Das Fernsehen hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich der Journalismus vollends zu einem autonomen, einer eigenen Handlungslogik mit eigenen Leitbildern, eigenen Standards und einer eigenen Berufsethik folgenden Akteur gewandelt hat. Nur so kann er seiner Aufgabe Macht zu kontrollieren und die Anliegen der Bevölkerung zu artikulieren gerecht werden. Die nicht so gute Nachricht: Gerade deshalb ist das Fernsehen jenes Medium, das die Mediatisierung der Gesellschaft generell und der Politik im Besonderen vorangetrieben hat. Dieser Prozess wurde zweifellos durch die in den letzten Jahrzehnten voranschreitende Diversifizierung des Elektorats, den kontinuierlichen Rückgang der Parteibindungen und den damit verbundenen erhöhten Parteienwettbewerb verstärkt, da sich die Parteien dadurch noch stärker gezwungen sahen (und sehen), ihre Kommunikationsstrategien zur Ansprache und Mobilisierung der Wähler*innen an die in der Medienwelt geltenden Selektions- und Gestaltungskriterien anzupassen. Dennoch: Es war das Fernsehen, das alleine aufgrund seiner medialen Eigenschaften die Art und Weise, wie politische Kommunikation abläuft, revolutioniert hat: sei es mit der Gleichzeitigkeit von Geschehen, Berichterstattung und Rezeption und der damit verbundenen Authentizität, sei es durch das Ansprechen der visuellen Sinnesebene und den dadurch verstärkten emotionalen Appell, sei es aufgrund seiner hohen Reichweite, die das Publikum für politische Kommunikation in einem noch nie zuvor gegebenen Maß anwachsen ließ (Melischek und Seethaler 2010). Und diese Eigenschaften leben auch in der digitalen Welt weiter. Ein Beispiel für eine der prägendsten, scheinbar authentischen Darstellungsformen: 1970 fand (nur zehn Jahre später als in den USA) die erste TV-Konfrontation in Österreich, und zwar zwischen dem damals regierenden Bundeskanzler Josef Klaus und seinem Herausforderer Bruno Kreisky statt – allerdings als einmaliges Ereignis im Wahlkampf. Für Fritz Plasser und Peter A. Ulram (2004, 55) ist es der „erste Fernsehwahlkampf in der Geschichte der Zweiten Republik“. Bis zur Nationalratswahl 1990 gab es dann bis zu maximal drei Konfrontationen, wobei seit 1986 eine journalistische Moderation stattfand (Plasser und Lengauer 2010b). Ab 1994 stellte der ORF zwischen 7 und 12 Sendetermine des Hauptabendprogramms für die Konfrontationen zur Verfügung, die von einer zunehmend größeren Gruppe von Kandidat*innen bestritten wurden. 2017 waren es etwa zehn
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„Duelle“ und eine „Elefantenrunde“, eingebettet in die – wie der ORF stolz meldete – „bisher umfangreichste Berichterstattung, die der ORF vor einer Nationalratswahl geboten hat – mit mehr als 72 Stunden Live-Interviews, -Analysen, TV-Diskussionsrunden, Reportagen und Beiträgen“.2 2019 werden es neben der „Elefantenrunde“ und einer Diskussion der Kleinparteien bereits 15 „Duelle“ (in einer Länge von 20 Minuten) sein. Weil der Berichterstattungsrekord von 2017 aufgrund der etwas überraschend gekommenen Neuwahl vielleicht nicht gebrochen werden kann, gibt es wenigstens eine Reihe neuer Formate wie das „Wahlometer“. Die damit den Politiker*innen eingeräumten größeren Möglichkeiten, sich selbst und die eigene Politik zu präsentieren und den Meinungsbildungsprozess der Wähler*innen zu unterstützen, wird jedoch dadurch konterkariert, dass es das Fernsehen ist, das dafür die Rahmenbedingungen definiert. (Das gilt natürlich auch für die drei privaten TV-Sender, die sich zur Wahl 2019 neben jeweils eigenen Programmangeboten zu einer gemeinsam moderierten und übertragenen „Elefantenrunde“ zusammengeschlossen haben.) Diese Bedingungen reichen von einem konfrontativen Game-Framing, das „dem bewährten Prinzip jede/r gegen jede/n“3 folgt und damit von vornherein Politik als Konflikt statt als konstruktive Lösungssuche erscheinen lässt, bis zu einem Horserace-Stil, in dem es um Gewinner und Verlierer anstelle von Interessensausgleich und Konsens geht. TVKonfrontationen der Spitzenkandidat*innen sind eben nur scheinbar authentische, weil tatsächlich medieninitiierte Ereignisse: sie würden ohne das Fernsehen nicht stattfinden – und gehören dennoch für die Medien (und nicht nur für das Fernsehen allein) zu den berichtenswertesten und damit zu den einflussreichsten. Wer wollte, konnte an einer Meldung in der „Zeit im Bild 1“ vom 4. September 2019 erkennen, dass Politik woanders geschieht: Im Juni und Juli dieses Jahres gab es 113 Ministerratsbeschlüsse, 66 Verordnungen und 40 parlamentarische Gesetzesbeschlüsse (im Übrigen: in allen Kategorien mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, als eine durch Parteienverhandlungen entstandene Regierung amtierte). Es wäre spannend zu wissen, wie viele dieser politischen, uns alle oder zumindest viele Menschen betreffenden Ereignisse in den Medien berichtet wurden. (Ein in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführtes Projekt, an dem auch einer der Autor*innen dieses Beitrags beteiligt ist, arbeitet gerade daran.) 2 https://der.orf.at/unternehmen/aktuell/171012_konfrontation_rw100.html (zugegriffen am 14.09.2019) 3 https://tv.orf.at/highlights/programmschwerpunkt/nationalratswahl2019_100.html (zugegriffen am 14.09.2019)
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Jedenfalls haben es Sachthemen in Wahlkampfzeiten schwer: Schon seit den 1990er Jahren beschäftigt sich nur jeder zweite politische Beitrag in der Hauptabendnachrichtensendung des ORF mit einem Sachthema (geringer Trost: in den Boulevardzeitungen sind es noch weniger). Und: Mit dem Einsatz sozialer Medien als PR-Instrument der Parteien macht das Beispiel Schule. Während sich die Parteien – zumindest bis 2017 – in ihren Presseaussendungen bemüht hatten, zu mehr als 80 Prozent Sachthemen zu vermitteln, haben sie sich in ihrer Kommunikation via Twitter dem Fernsehtrend angepasst (Seethaler und Melischek 2019). Auch wenn kein linearer und direkter Zusammenhang einer zunehmenden Game- und Horserace-Orientierung mit dem Wahlverhalten anzunehmen, aber unter Einwirkung zusätzlicher Faktoren auch nicht auszuschließen ist (Kaid und Strömbäck 2008), zeigt gerade der ORF mit den „Sommergesprächen“, dass auch ein konstruktives, nicht aufgeregtes und sachpolitisch dominiertes Interviewformat hohe Reichweiten erzielen kann (Riedl 2018). Vielleicht sollte es nicht nur im Sommer zum Einsatz kommen… So sehr mit dem Einsatz sozialer Medien als PR-Instrument der Parteien am erhöhten Stellenwert der Kampagnen- und Strategiethemen eine weitere Facette einer Mediatisierung der Politik deutlich wird, so wenig lässt sich diese Annahme pauschal auf die Vermittlung von Sachthemen übertragen. Die Wahlberichterstattung des ORF durchlief dabei verschiedene Phasen (Seethaler und Melischek 2014). Zur Nationalratswahl 1970, die den Beginn der „Kreisky-Ära“ einläutete, war in Österreich noch generell die historisch traditionelle Nähe von Medien und Parteien wirksam und der ORF befand sich – trotz des Volksbegehrens 1966 – im damaligen bürgerlichen „Lager“, folgte also vor allem den Themen der Österreichischen Volkspartei. Inwieweit die erste TV-Konfrontation dem sozialdemokratischen Herausforderer eine Möglichkeit zur Profilierung geboten hatte, ist umstritten (Plasser und Lengauer 2010b). Ein Jahrzehnt später hatte sich der in Mittel- und Nordeuropa zu beobachtende Trend eines media-party-dealignment (Hallin und Mancini 2004) auch hierzulande bemerkbar gemacht und die Medien relativ autonom von den Parteien agieren lassen – jedenfalls soweit es die von ihnen gesetzten Themen betrifft. Hingegen übernahmen die beiden damaligen großen politischen Parteien im Zuge ihrer Entwicklung von weltanschaulich eng geführten Organisationen zu sog. „Catch-all Parties“ Themen der Medien (und auch des ORF), um ihr Themenspektrum und damit ihre Wählerbasis zu erweitern. Sie waren aber nicht mehr in der Lage, ihre Anliegen an die Medien zu vermitteln. Dies gelang ihnen erst schrittweise ab den 1990er Jahren, als eine professionalisierte PR offenbar gelernt hatte, Themen an
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die Medien zu lancieren. Dies wird auch an den Zeitintervallen erfolgreicher PR-Arbeit deutlich, die sich an den journalistischen Produktionsrhythmus einer ‚day-to-day‘-Selektion von Nachrichten angepasst hatte. Seither kann wohl von einem permanenten „struggle between politicians and a more or less independent media establishment over who shall control the agendas of campaigns“ (Swanson und Mancini 1996, 252) gesprochen werden, der durch die steigende Kompetitivität sowohl des Medien- als auch des Parteienwettbewerbs noch verschärft wird. Der ORF hingegen profilierte sich seit den späten 1990er Jahren (als er unter der Leitung von Gerhard Weiß stand) ungeachtet aller politischer Beeinflussungsversuche im Sinne seines öffentlich-rechtlichen Auftrags. Dies bedeutet – ähnlich wie bei anderen europäischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (de Vreese 2001) – keine 1:1-Übernahme der von den Parteien vorgegebenen Themen (dann wäre er tatsächlich ein Staatsfunk!), sondern das Bemühen, trotz eines im Sinne parteipolitischer Unabhängigkeit notwendigerweise initiativen, selektiven und interpretativen Redaktionsstils einer großen Bandbreite politischer Kräfte Raum in der Berichterstattung zu geben. Das ist zweifellos ein Balanceakt, der nicht immer vollends gelingen mag, von den Österreicher*innen aber honoriert wird – zwei Drittel vertrauen den ORF-Nachrichten (Gadringer et al. 2019, 103) – und der alternativlos ist: Daher bedarf er eines begleitenden redaktionellen Qualitätsmanagements. Dies gilt auch im Hinblick auf eine neue Herausforderung an den Journalismus, die nicht nur im letzten US-Präsidentschaftswahlkampf, sondern auch zur Nationalratswahl 2017 besonders augenfällig geworden ist: der Umgang mit einer über soziale Medien geführten Kampagne. Immerhin nutzen fast 60 Prozent der österreichischen Journalist*innen Twitter als Recherchetool (APA 2016). Und da gerade die Twittersphäre von zahlreichen Politiker*innen und Journalist*innen bevölkert ist, liegt eine – vorschnelle? – Übernahme getwitterter Botschaften nahe. Erste Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass Twitter zwei Trends befördern dürfte (Seethaler und Melischek 2019): die Bevorzugung von Themen mächtiger Parteien und die Selbstdarstellung von Politiker*innen (die dann erfolgreich ist, wenn sie möglichst passend entlang der Themenvorgaben der Medien erfolgt). Beides ist demokratiepolitisch bedenklich. •
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ZITIERTE LITERATUR APA. 2016. OTS-Trendradar: So arbeiten Journalisten heute. Wien: APA. de Vreese, Claes H. 2001. Election coverage – New directions of public broadcasting. In: European Journal of Communication 16: 155-180. Gadringer, Stefan, Roland Holzinger, Isabella Nening, Sergio Sparviero und Josef Trappel. 2019. Digital News Report Austria 2019: Detailergebnisse für Österreich. Salzburg: Universität Salzburg. Hallin, Daniel C., und Paolo Mancini. 2004. Comparing media systems: Three models of media and politics. Cambridge: Cambridge University Press. Kaid, Lynda Lee, und Jesper Strömbäck. 2008. Election news coverage around the world: A comparative perspective. In The handbook of election news coverage around the world, hg. von Jesper Strömbäck and Lynda Lee Kaid, 421-431. New York: Routledge.
Melischek, Gabriele, und Josef Seethaler. 2010. Kontinuität und Wandel im Verhältnis von Politik und Medien in der Wahlkampfkommunikation seit 1945: Methodik und Empirie im internationalen Vergleich. In Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen? Zum Verhältnis von Medien, Öffentlichkeiten und Politik im 20. Jahrhundert, hg. von Klaus Arnold u.a., 243-266. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag. Plasser, Fritz, und Günther Lengauer. 2010a. Die österreichische Medienarena: Besonderheiten des politischen Kommunikationssystems. In Politik in der Medienarena: Praxis politischer Kommunikation in Österreich, hg. von Fritz Plasser, 19-52. Wien: facultas:wuv. Plasser, Fritz, und Günther Lengauer. 2010b. Wahlkampf im TV-Studio: Konfrontationen in der Medienarena. In Politik in der Medienarena: Praxis politischer Kommunikation in Österreich, hg. von Fritz Plasser, 193-240. Wien: facultas:wuv.
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Plasser, Fritz, und Peter A. Ulram. 2004. Öffentliche Aufmerksamkeit in der Mediendemokratie. In Politische Kommunikation in Österreich: Ein praxisnahes Handbuch, hg. von Fritz Plasser, 37-99. Wien: facultas:wuv. Riedl, Andreas. 2018. Political TV interviews in Austria 1981-2016 – Structures and strategies through times of substantial changes in media and politics. Communications: The European Journal Of Communication Research 43 (online first). Seethaler, Josef, und Gabriele Melischek. 2014. Phases of mediatization: Empirical evidence from Austrian election campaigns since 1970. Journalism Practice 8: 258-278. Seethaler, Josef, und Gabriele Melischek. 2019. Twitter as a tool for agenda building in election campaigns? The case of Austria. Journalism 20: 1087-1107. Swanson, David L., und Paolo Mancini. 1996. Politics, media, and modern democracy: An international study of innovations in electoral campaigning and their consequences. Westport, CT: Praeger.
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PSM CONTRIBUTION TO DEMOCRACY: NEWS, EDITORIAL STANDARDS AND INFORMED CITIZENSHIP DR. STEPHEN CUSHION, CARDIFF UNIVERSIT Y
Valuing journalism in a disposable news culture In an increasingly market-driven news environment, public service media (PSM) face growing pressure to justify the value of their journalism. After all, with online and social media, news has become more widely available and disposable, and can often be accessed instantly, at zero expense. Relying solely on advertisements for their funding, some newspapers are simply distributed for free in shopping centres and train stations. Like fast food, news has become a cheap and convenient commodity, accessible 24/7 online and even on the move. But while news might be more freely available than ever before, the editorial standards of different outlets do not necessarily meet or satisfy people‘s expectations of what news should be in a properly functioning democracy. From exposing ‚fake news‘ during elections, investigating data breaches at Facebook or reporting corruption, democracies rely on well-resourced newsrooms to inform citizens about what is happening in the world. If journalism as a commodity is being devalued and replaced by a fragmented supply of news and information, it may create an environment where news is cheap to consume but offers little democratic nourishment for advancing an informed or engaged citizenry. At the same time, an ever-expanding range of media ostensibly serves citizens a menu of news that they can choose from. In a more deregulated media environment, the state no longer exercises the same degree of editorial oversight, allowing broadcasters greater freedom to innovate and set their own news agendas. And since market competition should in theory drive up standards, a more crowded and competitive media marketplace might help produce better quality journalism. So, for example, beyond broadcasting there are commercial print and online niche outlets such as The Guardian, ProPublica, The New York Times or Spiegel Online, which have market goals but fulfil the public service value of informing audiences about politics and public affairs. From that perspective, democracy could be enhanced by a shift from public-service to market-driven media systems.
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Focus of the report: PSM vs commercial broadcast news Against the backdrop of a fast-changing and increasingly commercialised media landscape, PSM face a number of questions about their continued role and relevance. This report will examine the evidence about news produced by PSM and consider the implications for democracy in two ways. First, it will draw on the latest academic scholarship to examine the evidence about whether PSM produce news that is distinctive from their market-driven rivals. Second, it will consider how informative PSM coverage is compared to their commercial competitors. It will assess the latest research to establish whether public or commercial media systems offer the most effective way of raising public knowledge about politics and public affairs. The focus throughout is largely on broadcast media, since much of the research in academic literature analyses television news programming, in particular newscasts, which can be compared between PSM and more market-driven organizations, as well as cross-nationally (Cushion, 2012). While there are many types of broadcast programme that contribute to a well-informed citizenry, television newscasts continue to be a popular source of information in advanced Western democracies (Cushion, 2015; Cushion and Thomas, 2018). There are also a number of niche commercial print and online news outlets, as previously acknowledged, which have worked with PSM to expose corruption and which play a vital watchdog role. Comparatively speaking, however, many of these organizations do not have the size or reach of national PSM. In this sense, PSM are not the sole source of important news, but they remain one of the most significant because of the continued influence broadcasters have in most advanced Western democracies (Cushion and Thomas, 2018). The findings will be discussed in light of the contribution PSM make in informing the citizenry and enhancing democratic debate. Overall, the following questions will be answered: • How can the quality of news between different media systems be assessed? Do PSM newsrooms produce news of higher editorial standards compared with commercial television news? • Which media system most effectively raises people‘s understanding and knowledge of politics and public affairs? Do PSM help produce a more informed citizenry than commercial outlets?
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Understanding distinctiveness and comparing news output The term ‘distinctiveness’ is used in this report to refer to whether PSM produce news of a higher editorial standard than commercial broadcast media. After all, one of many long-standing principles of public service media is to deliver what the market neglects, since PSM should in theory operate free from commercial pressures and influence. In remaining distinctive, this should not mean PSM cannot strive to be popular or only cover those areas that market-driven organizations fail to address. However, many PSM organizations have the difficult task of ensuring they remain widely supported by the public – who invest financially in the service – while also fulfilling public service obligations in areas such as news programming that may not attract as many viewers as entertainment-based shows. So how can distinctive news be interpreted? There is a range of widely shared editorial values and standards that many journalists would subscribe to, such as reporting truthfully or accurately, being independent or impartial, and serving the public interest. But measuring how far these standards are met is both conceptually and empirically challenging. So, for example, what interests the public may not represent news in the public interest. As many legal disputes have shown, public-interest journalism is a subject of fierce debate. In order to empirically compare how distinctive PSM is from commercial media, it is necessary to make value judgements about output that can be measured across media with some degree of precision. Since most news organizations strive to advance people‘s understanding of the world, one measure of distinctive news is tracking the agenda of issues routinely pursued. Above all, news aims to empower citizens in a democracy, encouraging them to make informed choices and judgements about social, economic and political issues. From informing voters about their policy options during an election campaign to explaining civic unrest or famine conditions in war-torn countries, the informational fuel supplied by news media is essential to the genesis of an informed citizenry. Put simply, understanding the democratic value of news – such as tracking the informative agenda of daily news programmes – can help assess the quality of journalism produced by different media systems. As will now be explored, the intrinsic value of news can be measured and compared in a variety of ways. Needless to say, empirical studies of news cannot easily capture and quantify the democratic value of journalism, but the following studies will help paint a quantitative picture of PSM and commercial television news.
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Is PSM distinctive from commercial television news? In The Democratic Value of News: Why Public Service Media Matter (Cushion, 2012), I examined over 250 studies that considered whether the editorial standard of PSM news was distinctive from commercial output. Most of the research was about European countries or the US because most English-language academic publications emanate from these parts of the world. Overall, the most conclusive comparative findings related to analysing news agendas in routine periods of time and during election campaigns. In both cases, the weight of evidence showed public service media was far more informative, which was measured by news being more likely to empower citizens in democracy, such as telling people about the policy choices of different political parties, rather than reporting celebrity gossip or crime stories. Overall, this book established that there tended to be a higher proportion of ‚hard‘ news in PSM, which addressed issues such as politics and international affairs, rather than ‚soft‘ news, including crime or entertainment news. During election campaigns, PSM were also more likely to report policy issues than market-driven media, which often placed greater emphasis on game or strategy stories. While studies analysing journalism over time have found news agendas generally shifting from ‚hard‘ to ‚soft‘ reporting, this was more pronounced on market-driven media. In effect, this meant PSM, most of the time, were more likely to supply a harder news agenda, reporting more domestic issues or international affairs, which offer policy or analytical information. Curran et al.‘s (2012) study of nine countries broadly found this pattern of coverage across a range of different countries. In other words, a broadly distinctive pattern is that public service bodies tend to supply a higher volume of hard news than market-driven media. While not all PSM produced more hard news than commercial media, overall most did and when they did not in all but two cases hard news accounted for more than 60% of the agenda. Meanwhile, Reinemann et al.‘s (2016) analysis of 160 outlets across 16 countries found harder news emanated from public service media than from commercial television networks, broadsheet newspapers and websites. Is PSM distinctive from commercial television news during election campaigns? Second, during election campaigns – a key point in any democracy – PSM focus more on issues and policy implications than market-driven
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media. That might involve, for example, scrutinizing the manifesto promises of parties or independently examining how credible they are. Commercial media, by contrast, tended to report more game or strategy-type stories, which centre on who‘s up or down in the polls as well as the campaigns and personalities of the electoral contest. PSM also covered lowkey campaigns, such as local or European elections, which were often ignored by market-driven media. Political scientists have labelled these ‚second-order‘ elections, since they are not necessarily viewed as being as significant as general or presidential elections. But given local and European bodies exercise considerable power, from decisions about the environment and consumer rights to social care and collecting rubbish, reporting their election campaigns and scrutinizing the issues citizens are voting on is vital to the health of a democracy. As Chart 1 shows, while all UK television news bulletins widely reported the 2015 and 2017 general election campaigns, it was the BBC – a public service broadcaster – that consistently dedicated time to covering both the local and EU election campaigns. So, for example, whereas Channel 5‘s 5pm bulletin spent just 1.2% and 1.0% of its total news agenda covering the 2009 and 2013 local and/or EU election campaigns, on the BBC News at Six it accounted for 6.2% and 4.7% respectively. Broadly speaking, most official campaigns lasted approximately six weeks, which is the period of time analysed, including weekends.
Source: adapted from Cushion (2018).
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In the UK there are also commercial public service broadcasters, which each operate with different regulatory obligations. Channel 5 – the broadcaster subject to the lightest regulations in news programming – produced the fewest stories about the local and EU election campaigns. Although the quality of news can differ between public service media, the very presence of a well-resourced and regulated PSM within a country can also help elevate the standards of journalism more widely (Cushion et al., 2012). Or, put more succinctly, well-resourced PSM help promote a race to the top in news standards within a mixed media system. So, for example, a market-driven news channel, Sky News, has resisted any pressure to conform to the more US-style of Fox News not just because of the UK‘s strict regulatory guidelines but arguably thanks to the professional commitment and culture of journalists who want to report accurately and impartially (Cushion and Lewis, 2009). While Fox‘s partisan approach to news reporting has proven highly successful and influential in the US, and has been emulated by other US news channels such as MSNBC, the UK‘s public service culture and regulatory framework have meant its sister channel, Sky News, has not become ‚Foxified‘. In the US, by contrast, PSM are not well funded or widely watched. The US is dominated by a market media-system and subject to limited regulation that would encourage fair and balanced journalism. Unlike most other democracies, for example, broadcasters do not have to follow rules about impartiality, which is why many news channels, such as Fox News and MSNBC, have clear partisan agendas. Compared to the UK‘s commercial broadcasters, which have some public service obligations, wholly market-driven news media do not have to meet specific editorial standards or obligations. So, for example, the US‘s main network news bulletins – ABC, CBS and NBC – all schedule their news at the same time (6:30 pm), whereas in the UK‘s hybrid media system a regulator – Ofcom – oversees scheduling to ensure audiences have a plurality of news sources to watch at different times of the day. The balance and agenda of the US‘s market-driven media compared to the UK‘s commercial public service media can be shown in coverage of the 2016 and 2017 US and UK presidential and general election campaigns. In the three main US network evening bulletins, there was barely any news about the presidential candidates‘ policy positions supplied throughout 2016. As one study found, between January 1, 2016, and October 21, 2016, just 8% of the news agenda on ABC and NBC in this period of time was spent reporting stories that focused on candidates‘ policy positions rather than other aspects such as personal issues or conflicts, alt-
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hough that was slightly higher – 16% – on CBS (adapted from Boehlert, 2016). There was also a clear imbalance in the time allotted to presidential candidates to articulate their views during the campaign. Tyndall‘s (2016) study of network television news, for example, revealed coverage of Donald Trump‘s campaign was double that of Clinton‘s – 1,144 minutes compared to 506 minutes – throughout the entire of year of 2016 (see Chart 2).
Source: adapted from Tyndall (2016). By contrast, as Chart 3 demonstrates, the UK‘s commercial public service media and market-driven news channel reported far more policy coverage, while Chart 4 shows coverage was, broadly speaking, more balanced between the main political parties. Source: adapted from Cushion et al. (2016) and Cushion (2018). Source: adapted from Cushion (2018). The future of news and PSM limitations Most of the comparative research about public and market-driven media systems is based on broadcast news coverage. However, there is a growing body of evidence about online news that reinforces the conclusion that PSM supplies distinctive news from market-driven media. As Humprecht and Esser‘s (2016: 16) comprehensive study of news content in 48 websites in six countries – France, Italy, Germany, Switzerland, the UK and US – concluded: „Strong commercialization seems to restrict the
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exploitation of online journalism‘s digital potential to a certain degree. Moreover, media systems with high expenditures in public service broadcasting (e.g. Great Britain, Germany) have more sophisticated online news providers than systems with marginalized public media”. Their assessment was based on considering each outlet‘s transparency in linking to external sources, documents or websites; the degree of background information, such as graphics, news boxes, graphs, maps or animations; and whether there was any follow-up communication in forums or chats (Humprecht and Esser, 2016: 506). In broader terms, the study argued that since many public service media have invested in online news, they demonstrated its democratic value by producing news that serves citizens with high-quality journalism. While there is fierce competition between PSM and commercial broadcasters in online news and new interactive technologies, studies examining content show the former is producing news distinctive from market-driven media. At the same time, PSM should not be immune to criticism. The impartiality of PSM has often be called into question in political reporting, where the state may exercise too much control, compromising the ability for broadcasters to act independently or remain impartial. This is a form of elite control, where even well-intentioned PSM attempt to deliver a public good but remain wedded to institutional relationships and forms of indirect political pressure and scrutiny that can influence news choices and judgements (Freedman, 2018). This may be a symptom of their relationship with the government of the day, and how their current and future funding are organized. There are potentially ways PSM can be restructured to help create more independent newsgathering and journalism, where the state is more detached from funding decisions and a more democratic system of governance is established (see, for example, Media Coalition Reform, 2018). Nevertheless, the evidence presented overall in this report so far shows that public service media tend to supply more serious and balanced coverage of politics and public affairs than market-driven media systems. In countries with a hybrid media system, where public-private obligations overlap, the very presence of public service obligations can help raise the editorial standards of journalism. Or, to put it another way, PSM help mitigate the costs of free market failure. But while PSM may be more informative than their commercial competitors, which media system most effectively raises people‘s knowledge about politics and public affairs?
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Towards an informed citizenry: Does PSM more effectively raise public knowledge than commercial media? The media can make a significant contribution to democracy by creating more informed citizens, enhancing voters’ knowledge and understanding of issues. However, this is contingent on the quality of information supplied by different media, which can not only inform citizens but misinform them about politics and public affairs. Since most countries have an increasingly fragmented and hybrid media, where people interact and access news across multiple platforms, it is difficult to isolate the influence of one media system over another. Interpreting causality – establishing a direct relationship between media and audiences – is methodologically complex. After all, knowledgeable or interested news viewers may turn to more informative news outlets, meaning the cause is not media coverage but wider and pre-existing influences. In other words, there are many factors at play when interpreting public knowledge, from levels of education and social welfare to cultural norms, such as interest in or engagement with politics within different countries. However, after taking into account many external factors that make and shape people‘s knowledge and understanding of issues, a growing body of research has identified that PSM helps create more informed citizens than market-driven media. So, for example, Soroka et al.‘s (2013) survey of six countries – Canada, Italy, Japan, Norway, the UK and South Korea – found public service television news viewing generally enhanced people‘s knowledge about public affairs. However, this varied according to how broadcasters were financed, audience share and the relative independence of each organization. In other words, public service media were less likely to raise people‘s knowledge about public affairs if they were reliant on commercial income, were not widely watched or listened to, or if the state had an influence on the editorial content of news. The study also discovered that in the country where state interference in public broadcasting was most evident, watching public service television did not effectively enhance people‘s knowledge. Curran et al.‘s (2009) content analysis of television news and survey of four countries – the US, UK, Norway and Finland – revealed the latter two countries were most knowledgeable about public affairs. The knowledge gap was most striking between uninterested political news viewers
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in the US compared to European countries, which is due – they argued – to citizens having regular access to reliable sources of news supplied most prominently by PSM. They concluded empathically: „media provision of public information does matter, and continued deregulation of the broadcast media is likely, on balance, to lead to lower levels of civic knowledge”. Similarly, Iyengar et al.‘s (2009) comparative survey of US and Swiss audiences discovered „dark areas of ignorance” among Americans, which they explained by the limited supply of international news produced by US market-driven media. The role of PSM in an increasingly partisan news environment Moreover, the rise of partisan news channels in the US has meant people are increasingly turning to outlets that reinforce their own ideological beliefs, a behaviour known as partisan selective exposure. Bos et al.‘s (2016: 10-11) survey of people in the Netherlands found the presence of public service media mitigated partisanship because they played „a unifying, and nation-binding role… a strong public news provision…is an important condition to avoid the US situation where the public sphere appears to have become different public spheres”. Put another way, the presence of public service media appears to challenge the growth of filter bubbles or echo chambers, which are concepts used to describe people insulating themselves from news they do not agree with. The wider consequences of PSM thus help ensure more citizens receive impartial news, covering a wide range of topics rather than being exposed to information that ideologically aligns with people‘s own beliefs. Over recent years, academics have begun to more closely interpret studies about the content of news in light of people‘s responses to surveybased questioning. So, for example, a study of how European integration was framed in Dutch media found some news topics, such as coverage of conflict, increased the likelihood of people voting and knowledge about the issue. In their view, „it is not sufficient to rely on exposure measures and to merely speculate about media content” (de Vreese and Boomgaarden, 2006: 333). Instead, they argued, it is necessary to more carefully consider the nature of coverage across different programmes together with interpreting audiences‘ engagement with and knowledge about different issues. A four-wave survey in Swedish public and commercial news programming examined people‘s knowledge in three contexts: the 2014 General Election, the EU Parliamentary Election and in a non-election period the same year. In each case, exposure to PSM raised people‘s understanding
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of key issues, contributing toSweden’s democratic health as more people may have cast a more informed vote at the ballot box. When considering the degree to which different programmes‘ impact on people‘s understanding of politics, the study established certain public service formats enhanced knowledge to a greater degree. As the author concluded: „knowledge effects are stronger for one public service TV news show than for the other. This indicates that it is not ownership per se that is decisive. The format and the content also matter” (Strömbäck, 2017: 13; emphasis added). Goidel et al. (2017) drew on survey data in the US, Germany, Sweden and the Netherlands to explore the relationship between television viewing and support for democratic ideals. They concluded that because citizens were being better informed by public service news, it „translates into a greater appreciation for democratic governance as reflected in the importance individuals attach to living in a democracy, the value they place on a democratic political system, and the rejection of authoritarian alternatives” (Goidel et al., 2017: 850-1). By contrast, in more market-driven media systems, such as in the US, „television news is not associated with democratic attitudes but is associated with support for authoritarian alternatives (a strong political leader or military rule)” (Goidel et al., 2017: 851). While they acknowledged both the political system and economic context in different countries help shape people‘s perceptions of democratic ideals, the democratic attitudes measured in the survey were cross-nationally consistent across television news but not when exposed to other types of media. Over recent years, people have been relying more on news beyond of television – from social media to online websites and blogs. Many public service broadcasters have invested heavily in online news or social media (Sehl et al., 2016), producing high-quality content (Humprecht and Esser, 2016). There is limited research about how effective different media systems are in informing people across new platforms and content providers, such as Facebook and Twitter. In a media environment with increasingly more choice of news sources, PSM play a critical role in what is known as incidental learning. Simply put, this means people learning from the news almost by accident because they are more likely to encounter information supplied by PSM, giving them opportunities to acquire knowledge they may not have been exposed to in a heavily market-driven systems. In the US, for example, there is plenty of news available but it is often ghettoised or politicised. In many countries with better resourced PSM, by contrast, people
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are more likely to be exposed to news with high editorial standards on broadcast, online or social media platforms. Conclusion: the need for PSM in an increasingly commercialised media landscape At a time when concerns are mounting about fake news and disinformation, ensuring news is delivered with high editorial standards is essential to sustaining a well-functioning democracy. News after all can empower citizens by providing them with the informational fuel to understand and learn about politics and public affairs in their democracies. But while the range of news sources has increased over recent decades across broadcast, online and social media platforms, the quality of news can markedly differ across media systems cross-nationally. Comparing output across public service and market-driven media, the weight of evidence shows it is the former that is more likely to report news that has democratic value. In an increasingly commercialised media environment, this demonstrates PSM provide a valuable and distinctive news service by supplying news that better enhances people‘s understanding of politics and public affairs, leading to more knowledgeable citizens. In other words, if the health of a democracy is measured by how well its citizens are informed, PSM play a crucial role in telling people what is happening in the world. However, media systems are not uniformly the same across countries; regulatory environments can create private media that deliver public service programming. Empirical studies drawn on throughout this report have also established that media with some public service obligations tend to produce news of higher editorial standards than entirely marketdriven media. Indeed, even the very presence of a well-resourced public service media within a country can impact on the wider editorial standards of journalism, such as informing people accurately and impartially about events. In exploring the relationship between media systems and public knowledge, surveys have consistently shown that PSM, above all, most effectively raise people‘s knowledge and understanding of politics and public affairs. This was most apparent among widely consumed and well-funded public service media, which had the most freedom to operate independently without editorial interference. More generally, it was found that PSM play an important role in preserving democratic ideals and remaining impartial or objective in an increasingly partisan media environment.
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As more people are exposed to dubious or politicised information on sites such as Twitter and Facebook, PSM offer reliable and credible news that not only serves the needs of individuals but benefits entire democracies, since people can act more rationally as citizens when they have access to accurate news and information. As the commercial media landscape expands in many countries, the temptation for already cash-strapped governments could be to cut funding for PSM and let the market fill the gap. However, the evidence overwhelmingly shows that PSM not only produce distinctive news with high editorial values, they are also best equipped to inform people about the world. In other words, public policy-making about media systems has profound effects on the health of any democracy. As Soroka and colleagues (2013: 738) succulently put it, „governments‘ decisions about funding for public broadcasters seem in many cases to be very much like decisions about just how well informed their citizens will be”. The evidence amassed throughout this report points to some clear conclusions about the role of PSM. Above all, they make a profound contribution to many democracies by raising editorial standards and citizen‘s knowledge about what is happening in the world. This body of research needs to be more effectively communicated to relevant stakeholders to persuade legislators about the continued value of funding and safeguarding PSM. In an era of media proliferation, the evidence not only shows PSM produce news that is distinctive from market-driven broadcasters, but also news that has a higher democratic value. In so doing, PSM make a significant contribution to the health of many democracies, acting as an important information source about politics and public affairs for many people, and empowering citizens to engage and participate in society more generally. Just as media audiences are fragmenting across a range of market-driven platforms, PSM continue to offer a distinctive democratic service, not just for some audiences but for all citizens in a democracy.•
Dieser Text erschien bereits im Dokument „STUDIE – Der Auftrag: Demokratie“, das Sie auf zukunft. ORF.at abrufen können.
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TEXTE, DOKUMENTE UND STUDIEN ZUM ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN QUALITÄTSDISKURS (U.A.):
STUDIE Die Rolle öffentlich-rechtlicher Medien im Internet
Public Social Value u. a. Univ.-Prof.in Dr.in Sonja Kretzschmar (Universität München) Prof. Graham Murdock (Loughborough University) Univ.Prof. Dr. Jens Lucht, Univ.Prof. Dr. Mark Eisenegger (Universität Zürich)
Victor Mayer-Schönberger (Oxford University)
Die volkswirtschaftlichen Effekte des ORFFernsehens
Der Auftrag: Bildung im digitalen Zeitalter
Matthias Firgo, Oliver Fritz (WIFO), Gerhard Streicher (Joanneum Research)
Unterhaltung als öffentlich-rechtlicher Auftrag Gabriele Siegert, M. Bjorn von Rimscha, Christoph Sommer (Universität Zürich)
u. a. Prof. Dr. Hartmut Rosa, Universität Jena Dr.in Maren Beaufort, ÖAW Univ.-Prof.in Dr.in Katharine Sarikakis, Universität Wien Prof. Dr. Bernhard Pörksen, Universität Tübingen
Der Auftrag: Demokratie
Public Network Value Thomas Steinmaurer, Corinna Wenzel (Universität Salzburg)
Generation What
u. a. von Prof. Dr. Bernd Holznagel (Universität Münster) Univ.-Prof. Dr. Christian Fuchs (University of Westminster) Univ.-Prof. Dr. Stephen Cushion (Cardiff University)
Mag. Daniel Schönherr, SORA
DOKUMENTE Gesetze und Regulative | Expert/innengespräch Kultur, Religion I Qualitätsprofil
TEXTE Quelle vertrauenswürdiger Informationen
Public Value
Univ.-Prof. Dr. Dieter Segert, Texte 1
DDr.in Julia Wippersberg, Texte 2
Medien-Unterhaltung als Service Public
Public Value als Wertschöpfungsbegriff?
Univ.-Prof. em. Dr. Louis Bosshart, Texte 12
Univ.-Prof. Mag. DDr. Matthias Karmasin, Texte 6
Das Naserümpfen der Eliten
Channelling diversity
Die komplexe Welt erklären Dir. Uwe Kammann, Texte 4
Kultur im Fernsehen Univ.-Prof. Dr. Hannes Haas, Texte 10
Nur was wirkt, hat Wert Dir. Prof. Dr. Helmut Scherer, Texte 5
Österreichwert oder mehr Wert Dr. Georg Spitaler, Texte 11
Welche Diversität für welchen Public Value? Mag.a Dr.in Petra Herczeg, Texte 7
Zum Systemrisiko der Demokratie Univ.-Prof. Dr. Kurt Imhof, Texte 3
Univ.-Prof.in Dr.in Gunilla Hultén, Texte 13
Crisis or dismantlement? Univ.-Prof.in Dr.in Isabel Fernández-Alonso und Dr. Marc Espin, Texte 13
Den öffentlichen Rundfunk entfesseln Dr. Vinzenz Wyss, Texte 13
Eurovision and the „new” Europe Univ.-Prof.in Dr.in Karen Fricker, Texte 14
Pluralism and public service media Petros Iosifidis, Texte 13
The four horsemen of the post-broadcast era Univ.-Prof. Dr.Marko Ala-Fossi, Texte 13
We are all Greeks Univ.-Prof.in Dr.in Katharine Sarikakis, Texte 9
Zwischen Auftrag und Kommerzialisierung
Auf dem Weg zum Publikum
Univ.-Prof. Dr. Minas Dimitriou, Texte 11
Dr. Florian Oberhuber, Texte 8
Identität und Medien
Die Zukunft des Fernsehens
Univ.-Prof. Dr. Karl Vocelka, Texte 3
Dr. Alexander Wrabetz, Texte 8
zukunft.ORF.at
ISSN 2522-3925
Mag.a Dr.in Karin Pühringer, Texte 11