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Nie wieder Krieg

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von Hameln

von Hameln

Pioniere Tocotronic zu berühren, zu irritieren und vor allem – den Nerv der Zeit zu treffen. Gemeinsam mit Sänger und Frontmann Dirk von Lowtzow blicken wir rund ein Jahr nach Release auf das Album „Nie wieder Krieg“ zurück.

Schon Kraftklub lieferten mit der Zeile „Kredibilität liegt immer noch in weiter Ferne. Wir sind nicht Tocotronic und wir sind auch nicht Die Sterne“ eine Verbeugung vor der Band Tocotronic ab. Und tatsächlich: Die Hamburger Formation ist so etwas wie die Ursuppe der deutschsprachigen Indie-RockMusik. Das spiegelt sich auch in den textlichen Verweisen eines Caspers wider. In der klugen Verspieltheit von Wir sind Helden, die den von Tocotronic mitgeprägten Stil der Hamburger Schule weitergetragen und auf ein massentaugliches Level gehoben haben. Bis hin zu österreichischen Indie-Lieblingen wie Pauls Jets, die auch klangliche Parallelen zu der Band aufweisen. Auf ihrer aktuellen Platte „Nie wieder Krieg“ werden Tocotronic ihrem Status abermals gerecht und lenken den Blick auf Themen und Stimmungslagen die aktueller kaum sein könnten.

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Euer Song „Nie wieder Krieg“ hat Krieg ja ursprünglich eher auf metaphorische Weise behandelt. Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs hat der Text eine ganz neue, unmittelbare Bedeutungsebene erhalten. Mit welchen Gefühlen stehst du heute auf der Bühne und singst diesen Song? Und was für Rückmeldungen nimmst du von Seiten der Fans wahr? Je mehr Zeit seitdem vergangen ist, desto überzeugter bin ich davon, dass das Album in seiner Beschreibung von inneren Zer- rissenheiten und seelischer Unrast eine vorkriegsartige Stimmung in sich aufgesogen und wiedergegeben hat. Zum Zeitpunkt des Entstehens waren wir alle vielleicht zu betriebsblind, um das wirklich zu merken. Wir haben den Song zuletzt live in einer sehr reduzierten Version gespielt, meist verbunden mit einer Solidaritätserklärung gegenüber der Ukraine.

Ich hatte das Gefühl, dass dadurch eine sehr konzentrierte und aufmerksame Atmosphäre im Publikum entstand.

Euer Frühwerk zeichnet sich durch Liedtexte aus, die anarchisch wirken, die sich gegen Spießertum, gegen Konventionen auflehnen. Auf eurem aktuellen Album sind es teilweise recht eindeutige Botschaften, die zum Tragen kommen. „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“, „Nie wieder Krieg“ – das sind ja auch Statements, mit denen man erstmal nicht sonderlich aneckt. Wie nimmst du diese Entwicklung wahr? Ich glaube, dass es ziemlich narzisstisch und auch nicht ungefährlich ist, mit steigendem Alter immer und überall per se „anecken“ zu wollen. Das kann sehr schnell in unappetitliche Gefilde abdriften, siehe Morrissey oder Michel Houellebecq.

Findest du es denn in den heutigen Zeiten wichtiger oder sogar notwendig, politisch Stellung zu beziehen? Ich finde, dass man als Künstler eine starke Verantwortung hat, die sich auch auf das Politische erstreckt. Aber unter uns: Bekenntniszwang aller Arten ist mir eher zuwider.

Würdest du sagen, dass eure Musik über die Jahre und mit zunehmender Reife politischer geworden ist? Ja, das glaube ich wiederum schon.

Mit der Zeile „Spürt ihr nicht wie die Liebe euch anfasst?“ endet euer Album auf einer hoffnungsvollen, fast rührseligen Note. War es euch wichtig, ein Album über die aktuellen Zeiten zu schreiben, das immer noch einen positiven Blick in die Zukunft zulässt? Wir finden es wichtig, dass ein Album eine in sich geschlossene Dramaturgie besitzt, insofern würde ich dir zustimmen. Allerdings wird die Liebe in dem gleichnamigen Stück als eine Kraft gezeigt, die durchaus auch manipulative Aspekte hat. Sie „dreht dich um“, sie „schaltet dich stumm“, sie „setzt dich auf null“. Nicht ungefährlich!

„Ich tauche auf“ heißt dein Tagebuchroman, der im März erscheinen wird. Wie kam es dazu? Ich muss ganz ehrlich sagen, das Buch ist mir ein bisschen „passiert“. Ich habe am frühen Morgen meines 49. Geburtstag den Entschluss gefasst, ein Jahr lang bis zu meinem 50. Geburtstag jeden Tag etwas zu schreiben. Als eine Art Exerzitium. Corona spielt darin eigentlich nur eine Nebenrolle, ist aber als Stimmung und Atmosphäre ständig präsent. Wie sollte es auch anders sein. Ansonsten beschreibt das Buch Handlungen in einer Welt, die die unsere ist, aber auch eine andere. Es ist ein Text zwischen Wachheit und Schlaf. n Am 21. April liest Dirk von Lowtzow im Wiener Volkstheater aus „Ich tauche auf”, inkl. Konzert. Tocotronic gastieren am 23. Mai im Rockhouse, am 24. im Burghof Klagenfurt.

„Ich tauche auf“ ist nicht nur der Titel deines neuen Buches, sondern auch einer Single des aktuellen Albums. Neben deiner Stimme ist dort auch jene von Soap&Skin alias Anja Plaschg zu hören. Als wir das Lied fertiggestellt hatten, kam sehr schnell die Idee auf, eine zusätzliche Stimme einzuladen. Mein erster Gedanke war Anja Plaschg, ich hatte ohnehin das Gefühl, das Lied in gewisser Hinsicht für sie geschrieben zu haben. Dass sie schließlich zugesagt hat, die Duettstimme zu übernehmen, sorgte für einen der größten Glücksmomente in unserer Karriere, denn wir lieben sie sehr.

Welche KünstlerInnen aus Österreich mögt ihr noch? Eines der besten Lieder aller Zeiten ist fraglos „Alle Menschen san ma zwider“ von Kurt Sowinetz, zur bekannten Melodie von Beethoven. Herrlich!

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