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Hiermit versichere ich, dass diese Arbeit von mir eigenh채ndig verfasst wurde.
TOBIAS GRÜNBERGER
KITE-PULK-EXPEDITION
(Orig. Titel: Interaktion zwischen Produkt und der Darstellung im Werbefilm)
BACHELORTHESIS Hochschule Pforzheim – Fakultät für Gestaltung Studiengang Industrial Design
BETREUT VON PROF. THOMAS GERLACH UND SVEN SAUER
KAPITEL 01 - EINLEITUNG Weit draußen
06-07
KAPITEL 02 - ANALYSE Geschichte der Polar-Expeditionen Südpol Nordpol Historische Betrachtung des Equipment Ist-Zustand “solo and unsupported” Moodboard Zielgruppe und ästhetische Einflüsse
08- 09 10 - 11 12 - 15 16 - 17 18 -21 22 - 25 26 -27 28-33
KAPITEL 03 - KONZEPTION Pulk-Bauarten Konstruktion von Kite-Buggys Einsatz von Kites Einsatzmöglichkeiten der Windkraft Anforderungen
34-37 38-41 42 -43 44 -45 46-49
KAPITEL 04 - ENTWURF Varianten und Entwürfe Proportionen Stauraum Materialien Pulk im Schlepptau Kite -Betrieb Lenkmechanismus Windkurs Wärmehaushalt
50 -51 52 -53 54 -55 56 -59 60 -65 66 -71 72 -73 74 - 79 80 -81
KAPITEL 05 - VISUALISIERUNG Medium Film Filmmaterial Dramaturgie
82-83 84-85 86-87
NACHWORT Schlusswort Danksagung Quellenangabe
88 89 90
INHALT
WEIT DRAUSSEN
Es ist eine reizvolle Aufgabe, ein Produkt zu entwickeln und zu gestalten, dessen Zielgruppe so klein ist und dennoch hohen Anforderungen gerecht werden muss. Neben den Einflüssen und Ambitionen, die diesem Produkt zur Reife verholfen haben sind auch eigene sportliche Interessen und Erfahrungen in den Prozess eingegangen. Darum weist das Produkt eine relativ hohe Detailschärfe auf. Ich beschäftigte mich mit der Ausrüstung von Expeditionen und entwickelte daraus meine Ideen und schließlich das Produkt, den KitePulk. Meine Zielsetzung war es, etwas Nützliches zu entwickeln, das technische Innovationen verschiedener Sportarten verbindet und auch bei extremen Wetterbedingungen funktioniert. Was in diesem Outdoor-Segment an erster Stelle steht, ist die Zuverlässigkeit im Gebrauch. Die Berichte von Polarexpeditionen sind voll von Leid und Entbehrungen, von Heldentaten und tragischen Schicksalen. Ich fand es sehr spannend, in diese Welt einzutauchen. Bei einer näheren Beschäftigung mit dem Thema stellt man bald fest, dass die Lebensläufe vieler zeitgenössischer Abenteurer nicht mehr den alten Vorstellungen entsprechen. Um zum Beispiel eine Polar-Expedition zu unternehmen, bedarf es keiner Jahrzehnte langer Vorbereitungszeit oder eines Lebens, das ganz dem Sport gewidmet ist. Es erfordert aber den Willen, bis an die eigenen Grenzen zu gehen und den absoluten Wunsch, solch eine Unternehmung umzusetzen. Als Präsentationmedium habe ich den Kurzfilm gewählt. Der erstellte Film ist durchaus als Werbefilm anzusehen, da er alle typischen inneren und äußeren Voraussetzungen erfüllt. Die Interaktion zwischen dem Produkt Kite-Pulk und dem Werbefilm versetzt den Betrachter in die Welt des Produkts. Innerhalb kürzester Zeit wird eine Atmosphäre entwickelt, die dazu beiträgt, dass sich der Betrachter den Einsatz und die Anwendung vorstellen kann. Der Film weckt Emotionen und zeigt die Vorteile des Produkts auf. Auch wenn es sich um eine kleine Zielgruppe und ein spezielles Einsatzgebiet handelt, wird für alle Betrachter die Botschaft transportiert, dass das Produkt innovativ und hilfreich ist.
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KAPITEL 01
KAPITEL 01
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GESCHICHTE DER POLAR-EXPEDITIONEN
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KAPITEL 02
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SÜDPOL
Ab 1820 wurde die Antarktis hinter dem Packeisgürtel als Festland wahrgenommen. Ein Jahrzehnt später betrat der erste Mensch eine vorgelagerte Insel. Darauf folgte fast ein Jahrhundert, in dem verschiedenste Expeditionen die Küstenregionen erkunden. Das Schiff “Belgica” unter Adrien de Gerlach als Kapitän, war das erste Schiff, das unfreiwillig im Eis gefangen 1898/99 überwinterte. Dass die Mannschaft überlebte, verdankten sie größtenteils zwei Teilnehmern: Dr. Frederick Cock und Roald Amundsen. Roald Amundsen
“Es war einzig Cook, der uns mit seiner Zuversicht und seiner Heilkunst alle lebendig wieder aus der Antarktis herausgebracht hat. Für mich gibt es keinen anderen Dr. Cook”
1902 startet Scott in Begleitung von E. H. Shackleton und Dr. E. Wilson einen ernsthaften Versuch, in die Nähe des Pols zu gelangen. Sie schafften weniger als die Hälfte der Strecke und mussten umkehren. Von da an lieferten sich Shackleton, Scott und Amundsen ein Wettlauf zum Erreichen des Südpols. 1911 erreicht das Team von Amundsen als erstes den Pol, knapp gefolgt von der Mannschaft um Scott. Der Rückmarsch der demoralisierten Gruppe von Scott wurde zur tödlichen Katastrophe. Wenige Jahre später plante Shakleton, den Kontinent zu überqueren. Das Schiff, die “Endurance”, schafft es jedoch nicht, die Küste zu erreichen und wurde von den Eismassen zerdrückt. Die Besatzung konnte sich in einer legendären Aktion ohne Verluste in einem Beiboot nach Südgeorgien retten. Nicht nur zu Fuß, auch aus der Luft wurde die Antarktis erkundet und in der Zeit des 2. Weltkrieges gab es mehrere “Eroberungsspiele” verschiedener Nationen. Aus Anlass des geophysikalischen Jahres 1957 wurden 60 Forschungsstationen eingerichtet. Im selben Jahr wurde die Idee der Antarktis-Überquerung erneut von V. Fuchs mit Hilfe von E. Hillary aufgegriffen. Nach 99 Tagen und 3.472 zurückgelegten Kilometern glückte die Unternehmung. In den 80er Jahren begann eine Zeit historischer Abenteuerexpeditionen. Wie seinerzeit Scott wollen viele Teams im alten Stil ohne Unterstützung zum Pol. Als gegenläufige Entwicklung bot das erste Reiseunternehmen Reisen zum Südpol an. Arved Fuchs und Reinhold Messner bewältigten 1986 die Strecke vom Ronne-Schelfeis über den Pol bis zur Scott Base zu Fuß. Mit nur zwei Versorgungspunkten schaffen sie einer
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KAPITEL 02
Roald Amundsen
Laufstrecke von 2.800 km in 92 Tage. Nach einem abgebrochenen Versuch 1995/96 schaffte Børge Ousland ein Jahr später als erster die Durchquerung der Antarktis solo und ohne Unterstützung auf Skiern in 64 Tagen.
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NORDPOL
Die Arktis ist die nördlichste Erdregion und besteht großenteils aus dem vom Eis bedeckten Nordpolarmeer. Darum war es bis zum 18. Jahrhundert das primäre Ziel, in dieser Region einen Weg vom Atlantik in den Pazifik für die Seefahrt zu finden. Bei dem Versuch diese Passage zu erkunden, segelte W. E. Parry 1827 rekordverdächtig bis 82 Grad, 45 Minuten nördliche Breite. Die erste komplette seemännische Durchfahrt der Nordwestpassage gelang Roald Amundsen 1903-1906. Zwei Jahre später behauptete F. A. Cook den Nordpol erreicht zu haben, wurde jedoch von R. E. Peary der Lüge bezichtigt1. Dieser will 1909 selbst den Pol erreicht haben und verdankt seine Glaubwürdigkeit dem Nationalstolz vieler Amerikaner, für die er stellvertretend den Pol erreicht hat. Es folgten Anfang des 19. Jahrhunderts mehrere Expeditionen zur Erkundung der Nordwestpassage. Auch aus der Luft wurde erkundet. Amundsen und sein Team flogen beispielsweise 1926 mit einem Luftschiff über das Nordpolarmeer. Ab den 30ern Jahren wurden Überflüge und nordöstlichen Schiffsdurchfahrten zur Routine. 1949 gelang es den Russen, genau am Pol zu landen und ein Jahr später fanden die ersten Fallschirmsprünge am Nordpol statt. 1
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Vgl. “Eis Pole” Reinhold Messner (2009), S. 143
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Das Unterseeboot “Nautilus” durchfuhr 1958 in 96 Stunden den Arktischen Ozean vom Pazifik bis zum Atlantik. Die modernen Pol-Abenteuer begannen in den späten 80er Jahren. Es wurde versucht, mit Skimobilen, sog. Ski-doos, und Hundeschlitten den Pol zu erreichen oder im Falle von Wally Herbert die Polkappe zu überqueren. Obwohl seit Parry (1827) mehr als 60 Gruppen oder Einzelpersonen versucht haben, den Nordpol über das Eis zu erreichen, ist die Erfolgsquote relativ bescheiden, wenn man bedenkt, dass nur Peary (1909) ohne Luftunterstützung zum Pol und zurück kam. Falls er den Nordpol erreicht hat… Es begann ein neuer Wettlauf. Børge Ousland schafft es es 1994, solo und ohne Unterstützung von Kap Arktitscheski bis zum Nordpol zu marschieren, wo er ausgeflogen wurde. Ein Jahr später wurde er von R. Weber und M. Malakow übertrumpft. Ihnen gelang der 2.000 km lange Hin- und Rückmarsch in 121 Tagen und ohne Unterstützung. Die darauffolgenden Jahre bis heute sind geprägt von Børge Ouslands Erfolge, die in allen Polarregionen Spuren hinterlassen haben.
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Karl Kraus
“Denn an dem Nordpol war nichts weiter wertvoll, als dass er nicht erreicht wurde. Einmal erreicht, ist er eine Stange, an der eine Fahne flattert, also etwas, das ärmer ist als das Nichts, eine Krücke der Erfüllung und eine Schranke der Vorstellung. Die Bescheidenheit des menschlichen Geistes ist unersättlich.”
Robert Peary
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HISTORISCHE BETRACHTUNG DES EQUIPMENTS
19. Jhd
20er
40er
Motorschlitten
Expeditionsschlitten
Eissegeler
Kutsche mit Segel
Schneemobil Pulk
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KAPITEL 02
60er
80er
21. Jhd
Motorad am Nordpol Arktik-Flugzeug
Kanu-Pulk
Atom-Eisbrecher
Atom-U-Boot
Kevlar-Pulk
Raupenschlepper
Ice-Kite-Buggy
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IST-ZUSTAND
Seit Mitte der 80er Jahre bis in die Gegenwart, dem Jahr 2012, ist ein Trend bei Polar-Expeditionen zu erkennen, der unter anderem von Børge Ousland geprägt wurde. Dieser zeichnet sich aus durch das Zurücklegen großer Distanzen mit relativ hoher Geschwindigkeit in Verbindung mit der Unabhängigkeit von Versorgungsstationen. Brian Cunningham Im Gegensatz zu dieser “Der beste Kite-Skifahrer, einen Tendenz entwickelte Pulk hinter sich herziehend, wird sich die Ausrüstung nicht mehr als 60 Grad abweichend und die Anwendung der Windrichtung fahren können. der Schlitten nur langDas ist unzureichend und schränkt sam weiter. In den letzdie Möglichkeiten enorm ein” ten 30 Jahren gab es nur minimale Veränderungen am Material. Das ist bei Kleinserien und Einzelanfertigungen in solch einem geringen Absatzmarkt oftmals üblich. Es wurde und wird im Wesentlichen auf Bewährtes gebaut. Zudem ist der Test neuer Prototypen in Polarregionen teuer. Die Folge ist, dass exotische Ansätze wie z.B. der Kite-Buggy von Brian Cunningham nach erstem Scheitern nur selten weiterentwickelt werden. Aktuell ist bei den gängigen Polar- Expeditionen zwar der Einsatz von Kites vorgesehen, aber nicht zur Entlastung des Menschen, sondern um schneller zu sein. Das Equipment besteht meist aus Schlitten (im nachfolgenden Pulk), Skiern und Schirm (im nachfolgenden Kite). Bei günstigen Wind- und Geländebedingungen wird der Expeditionsteilnehmer auf Skiern vom Kite gezogen und ist wiederum mit dem Pulk durch ein Seil verbunden. Bei dieser Technik der Fortbewegung gab es zwar im Laufe der Zeit kleine Verbesserungen, von der Anwendung her gab es jedoch keine bahnbrechenden Neuerungen.
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Bei der gesamten Ausrüstung wird größter Wert auf ein möglichst geringes Gewicht gelegt. Die Hülle des Schlittens besteht aus verschiedenen Gewebearten, unter anderem Kevlarund Carbon-Fasern. Dieser Material-Mix gewährleistet, dass die meisten Pulks unter 10 kg wiegen. Einer der kleinsten und leichtesten Schlitten der Firma Acapulka, der “Feather light 120” kostet 1.189 €1. Die Kosten sind in diesem Nischen-Markt jedoch weniger entscheidend. Dem Käufer ist viel wichtiger, dass das Produkt während der kompletten Expedition seine Funktion erfüllt und den extremen Anforderungen standhalten kann. Da liegt nahe, dass man den Erfahrungen früherer Expeditionen vertraut und das Equipment nur minimal verändert. Diese konservative Einstellung ist verständlich, weil unter diesen extremen Bedingungen bereits Kleinigkeiten zum Scheitern führen können. Dennoch möchte ich versuchen, einen Beitrag zur Entwicklung der Ausrüstung zu leisten, indem ich die Anwendungsweise von Grund auf neu überdenke.
1 Stand 2012 (http://www.acapulka.com)
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“SOLO AND UNSUPPORTED” Die extremste Form einer Polar-Expedition ist wohl “solo and unsupported”, dass heißt auf der kompletten Reise ohne Unterstützung und Versorgung alleine auszukommen. Mensch und Equipment müssen von Anfang bis Ende den extremen Anforderungen standhalten. Die erste Antarktis Solo-durchquerung ohne Børge Ousland Unterstützung gelang “Wie ist es, 16 Stunden hinter einem Schirm Børge Ousland. Er bezu stehen und nur fünf Pausen zu machen? Die wältigte 1996/1997 ersten acht laufen im Prinzip problemlos. Die eine Strecke von letzten vier sind unmenschlich” 2.845 km. Die längste an einem Tag zurückgelegte Strecke betrug 226 km und war nur möglich, weil er den Wind nutzen konnte. Teil seiner Ausrüstung waren zwei Schirme. Ein kleiner mit 12 m² und ein großer, der die doppelte Fläche hatte. Das Startgewicht des Schlittens, dessen Leergewicht nur 6 kg betrug, lag knapp unter 180 kg. Weil die Ladung u.a. aus Essensrationen für 87 Tage bestand, wurde er jeden Tag 1,25 kg leichter. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bei kürzer geplanten Routen oder einem schnellerem Vorankommen eine erhebliche Gewichtsreduzierung möglich wäre. In seinem Buch “solo durchs ewige Eis” schildert Børge Ousland die Anstrengungen des Segelns1 – die gängige Art der Fortbewegung bei PolarExpeditionen, vorausgesetzt der Untergrund und die Windlage lassen es zu. Dabei ist der Schlitten nach wie vor an der Hüfte befestigt und der Expeditionsteilnehmer hat Skier angeschnallt. Den Schirm hält man in den Händen und lässt sich damit vom Wind ziehen. Um jedoch nicht nur der Windrichtung zu folgen, ist ein Ankanten der Skier notwendig. So treten extreme Belastungen in der Oberschenkelmuskulatur auf, da die Beine im angewinkelten Zustand den quer zur Fahrtrichtung wirkenden Kräften des Schirmes standhalten müssen, damit das Gespann auf Kurs bleibt.
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KAPITEL 02
1 Segeln verwendet er als Synonym, für den Einsatz des Schirms um die Windkraft zu nutzen
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1 Børge Ousland und Sir Edmund Hillary am Südpol, 19. Dezember 1996
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MOODBOARD
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ZIELGRUPPE UND ÄSTHETISCHE EINFLÜSSE
Das Moodboard1 aus Bildern auf der vorherigen Seite ist im übertragenen Sinne der Grundstein meiner Arbeit. Mit diesem Pool an Produkten, Eindrücken und Sachgebieten habe ich meiner Thesis eine Richtung gegeben. Gleichzeitig wird darin eine funktionsbezogene Ästhetik aufgezeigt, die sehr stark von dem Einsatzgebiet und den verarbeiteten Materialien abhängt. Die Gestaltung von Produkten im Outdoor-Segment ist geprägt durch ihren primären Nutzen für den Anwender. Das Aussehen vieler Bauteile entspricht dem der eingesetzten Materialien. Farbliche Akzente werden in dieser Produktsparte normalerweise nur gesetzt, wenn dies auch ein Nutzen hat. Ist z.B. die Abdeckplane eines Pulks in rot gehalten, hat das den Nutzen, den höchsten Punkt des Produkts mit einer Signalfarbe auszustatten, um es bei einer Suche in der Umgebung leichter finden zu können. Das bedeutet jedoch nicht, dass kein Anspruch an die Gestaltung des Produkts besteht - im Gegenteil. Es gilt, bei der Gestaltung eine aufgeräumte Produkt-Ästhetik zu schaffen, indem die technischen Raffinessen mit dem Eindruck der intuitiven Bedienbarkeit verbunden werden. Damit entsteht die gestalterische Aussage von Gebrauchsfähigkeit und Zuverlässigkeit in jeder Situation. Auf der folgenden Seite sind vier Abenteurer abgebildet: Reinhold Messner, Ronny Finsås, Børge Ousland und Brian Cunningham Alle vier Personen haben mich auf unterschiedliche Weise zu meinem Produkt inspiriert und spiegeln zugleich den Typus meiner Zielgruppe wieder. Die ersten beiden sind “hauptberufliche” Abenteurer. Wenn sie nicht gerade unterwegs sind, schreiben sie über ihre Erlebnisse oder bereiten sich auf das nächste Abenteuer vor. Brain und Ronny hingegen sind in großen Firmen in Top-Positionen tätig oder haben einmal dort gearbeitet. Sie bringen Innovation und Publizität von einer ganz neuen Seite in den Sport.
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Sammlung von Bildern die die Atmosphäre des Entwurfs beeinflussen
KAPITEL 02
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Reinhold Messner
“Warum manövrierten wir uns immer wieder aus dem sesshaften Leben in ein Nomadendasein? Weil wir die Chaoswelt suchten? Nein, weil die Dummheit in der geordneten Welt wuchs.”
“Mochte das Felsklettern schwieriger, das Höhenbergsteigen anstrengender sein - diese Polreise hatte mich in viel größeres Ausgesetztsein geführt, eine Selbstverantwortung, die mich und meinen Partner heraushob aus der Menschenwelt und ganz hineinstellte in unser Unterwegssein.”
linke Seite: Reinhold Messner rechte Seite: Ronny Finsås, Børge Ousland, Brian Cunningham (von links)
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Allen gemeinsam ist, dass sie sich zu Expeditionen in die Polarregionen begeben haben. Die beiden letzteren sogar mit radikaleren Ansätzen der Fortbewegung durch eine optimierte Nutzung der Windkraft. Somit richtet sich das Produkt an Abenteurer, die überwiegend durch eigene Kraft an das Ziel kommen wollen, jedoch den Einsatz fortschrittlicher Entwicklungen nicht scheuen. Die Ambitionen des Anwenders sollten darin liegen, beide Betriebsarten des Pulks zu beherschen und sie bestmöglich einzusetzen. So kann der Anwender die Kräfte der Natur in Form von Wind mit dem bereits geläufigen Equipment neu kombinieren und die Vorteile erfahren. Nicht nur für das Produkt wurde recherchiert, auch für den Film wurden einige Werbefilme gesichtet. Zwei sind mir besonders aufgefallen:
• Volkswagen Golf: NIGHT DRIVE (von DDB London, Jahr 2007) • Volkswagen Cabrio: MILKY WAY (von Arnold Communications, Jahr 2000) Ich favorisiere diese Filme, weil sie ein Stück alltägliches Leben zeigen (slice of life), aber das Produkt selbst nur Teil dieses Lebens ist und nicht als Hauptbestandteil in Szene gesetzt wird. In erste Linie werden die Stimmung und die Umgebung, die man mit dem Produkt verbinden sollte aufgebaut. Diese Art von Werbung habe ich auch in meinem Film angewandt.
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Ausschnitte aus Volkswagen Werbung NIGHT DRIVE (2007)
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PULK-BAUARTEN
explorersweb.com
“PH chef Ronny Finsaas kites from the pole to the coast in 5 days! 503 km in less than 24 hours!”
Der Pulk (Schlitten) stammt vom Toboggan ab, das ist ein kufenloser Schlitten der nordamerikanischen Indianer in der Subarktis, der von Hunden oder Menschen gezogen wird. Vereinfacht handelt es sich beim Pulk um eine Wanne aus Plastik, in der man Ausrüstung, wie z.B. ein Zelt, verstauen kann. In Norwegen werden auf Familienausflügen mit Skiern oftmals die kleinen Kinder in den Pulk gesetzt. Nicht mehr ganz zu einfach aufgebaut sind dagegen die Pulks der Polar-Expeditionen. Hier geht es um Leichtigkeit und Stabilität unter extremsten Wetterbedingungen. Oftmals wird ein Mix aus verschiedenen Laminaten zum Bau verwendet, so dass man die teureren Modelle aus Kevlar- und KarbonFasern herstellt. Waren die Toboggan noch kufenlos, haben Pulks heute zur Minimierung der Reibung meist zwei Kufen, die aber weit genug auseinanderstehen, um den Schlitten vor dem Umkippen zu bewahren. Es gibt nur wenige Firmen auf der Welt, die Pulks für die extremen Bedingungen der Polarregionen bauen. Eine sticht ganz besonders heraus - Acapulka. Die Firma wurde 1994 in Deutschland gegründet und baute dann eine Niederlassung in Norwegen auf. Acapulka hat von Anfang an hochwertige Materialien für bestmögliche Stabilität und Gleiteigenschaften eingesetzt. Für die Trans Antarctic Challenge hat Acapulka wurde 2005 ein Pulk entwickelt, mit dessen Bauart ein Rekorde erzielt wurde. Mit ihm wurde die längste Skitour der Welt, 4.804 km durch die Antarktis, möglich.
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Auch was extreme Leichtigkeit anbelangt, liegt Acapulka mit dem nur 2 kg schweren Modell “Feather Light” vorne. Er ist aber mit 120 cm kurz und bietet nur ein relativ geringes Fassungsvolumen von 250 Litern. Mit einer Breite von 85 cm ist der “Dragonfly” der breiteste Pulk im Sortiment. Speziell für Kite-Expeditionen entwickelt, lag der Schwerpunkt darauf, das “Umkippen” zu verhindern. Der Pulk ist für Kurz- und Mittelstrecken bis max. 2 Monaten Dauer konzipiert und wurde u.a. 2008 von Ronny Finsaas eingesetzt.
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TRANS ANTARCTIC CHALLENGE
FEATHER LIGHT 120
DRAGONFLY 180
1300 l 9 kg 250 cm Kevlar, Carbon
250 l 2 kg 120 cm Kevlar, Carbon
1300 l 7 kg 180 cm Kevlar, Carbon
Volumen : Gewicht : L채nge : Material :
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KONSTRUKTION VON KITE-BUGGYS
Ein Kite-Buggy ist ein Gefährt, meist mit Reifen, das dazu dient, die Windkraft mithilfe eines Schirms als Antrieb zu nutzen. Das setzt voraus, dass die Hände für die Kontrolle des Schirms einsetzbar sind und die Füße die Lenkung des Buggy, somit die Fahrtrichtung, steuern können. Der Fahrer nimmt in den gängigen Modellen eine sitzende, zurückgelehnte Haltung ein. Eingesetzt wird der Kite-Buggy auf weiten Ebenen, wie zum Beispiel breiten Sandstränden, ausgetrockneten Salzseen, Wüsten und Hochebenen, aber auch auf größeren eis- oder schneebedeckten Flächen. Die populärste Konstruktion ist der dreirädrige Buggy, der durch einen Kite gezogen und mit den Füßen über die Vorderachse gesteuert wird. Die Hinterachse ist meist ausladend gebaut, damit der Buggy den seitlichen Zugkräften des Kites standhalten kann und nicht umkippt. Da jeder Buggy für ein vorbestimmtes Terrain konstruiert wurde, bieten die vorhandenen Konstruktionen heute schon für fast alle Gebiete ein Modell an. Die Entwicklung ist jedoch erst am Anfang und für komplexe Einsatzorte wie die Polarregionen ist noch viel Arbeit notwendig.
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Modellvielfalt von Kite-Buggys
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EINSATZ VON KITES Man unterscheidet zwischen zwei übergeordneten Kite-Arten. Kites, die vor Gebrauch mit Luft aufgepumpt werden müssen, heißen Tubekites. Die anderen, deren Luftkammern sich beim Start von selbst mit Luft füllen, nennt man Softkites. Zu den beim Kitesurfen am häufigsten eingesetzten Kite-Typen gehört der Tubekite. Diese Art von Kite besteht aus einem strapazierfähigen Segeltuch und einzelnen aufblasbaren Schläuchen, die ihn in seiner Form halten. Geflogen wird mit 2, 4 oder 5 Leinen und einer Bar (Lenkstange). Die aufgeblasenen Schläuche sind vor allem im Wasser vorteilhaft, weil der Kite nicht untergehen kann. Auch ist ein Start aus dem Wasser problemlos möglich. Für die unterschiedlichen Windstärken gibt es Kites in gängigen Größen von 5 bis 20 Quadratmetern Fläche. Vom Design her unterscheidet man bei Tubekites vier Unterkategorien, die sich hinsichtlich Flugverhalten und Sicherheitseigenschaften leicht unterscheiden: C- Kites, Hybrid Kites, Delta Kites, und Bow Kites. Softkites, umgangssprachlich auch Matten genannt, basieren auf der Technik der Gleitschirme und bestehen aus einer Anzahl von luftgefüllten Zellen. Einige oder alle sind an der Vorderseite offen, so dass Luft einströmen kann und der Schirm seine Form hält. Das Einsatzgebiet umfasst viele Aktivitäten, unter anderem die Benutzung auf dem Land mit Snowboards, Skiern oder All-terrain-boards. Softkites werden mit unterschiedlichen Leineneinstellungen geflogen. Von einer 2-Leinen-Matte mit Spulen bis hin zu 3- und 4-Leinen-Systemen mit einer Bar und Depower1 Eigenschaften finden sich viele verschiedene Arten. Zur Nutzung im Wasser gibt es Schirme mit speziellen Zellen, bei denen die Luft über Lufteinlassventile zwischen zwei Tuchschichten gespeichert bleibt und sich der Schirm nicht mit Wasser vollsaugen kann. Theoretisch könnte der vereiste, harte Untergrund der Polarregionen einen Tube-Kite im Falle eines ungewollten Absetzens zum Platzen bringen. Deswegen sind für einen Kite-Einsatz in den Polarregionen Softkites zu bevorzugen. Softkites sind bei Start und Landung ohne Fremdhilfe problemlos zu handhaben, sie lassen sich schneller und leichter einholen und sind somit besser geeignet für den Einsatz mit Pulks. Wie bereits erwähnt, sind die Depower- Eigenschaften von Softkites in den letzten Jahren erheblich besser geworden. Auch mein Produkt basiert auf der Verwendung eines Softkites. 1
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Depower bedeutet auf deutsch in etwa “Entkräften” und beschreibt die Eigenschaft die auftretenden Kräfte zu verringern durch Veränderung des Anström-Winkels
KAPITEL 03
Softkite
C- Kite
Bow Kite
KAPITEL 03
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EINSATZMÖGLICHKEITEN DER WINDKRAFT Der Kite wird seit den 90er Jahren fortlaufend weiter entwickelt. Nicht nur im Wassersport, auch in der Schiffsfahrt1 verwendet man individuell angepasste Größen und Formen. Meine Produktgestaltung hatte zum Ziel, einen handelsüblichen Softkite zu nutzen und diesen mit dem Pulk zu verbinden. Der Zugkraft des Kites richtet sich nach der Anströmgeschwindigkeit, welche sich aus Windgeschwindigkeit und Fahrtgeschwindigkeit zusammensetzt. Weitere Einflußgrößen sind der Kurs zum Wind und die Größe des Schirms. In meinem Beispiel2 wird von folgenden Eingangsgrößen ausgegangen:
• Halbwindkurs (90 Grad zum Wind) • Windgeschwindigkeit 27 km/h (entspricht 14,6 Knoten) • Kite-Fläche 20 m² Daraus errechnet sich eine Zugkraft des Kites von 1.590 Newton. Der Pulk wird sich durch sein Gewicht nicht nach oben heben - die Bodenhaftung ist gegeben. Wie effizient sich diese Kraft sich in Fortbewegung umsetzen lässt, muss durch die Zerlegung in die Koordinaten x, y, und z errechnet werden. Somit ergibt sich eine Vortriebskraft in Fahrtrichtung von 840 Newton und eine Lateralkraft (Querkraft) von 1.290 Newton. Außerdem ist das Gewicht und die Beschaffenheit des Untergrundes entscheidend. Das Gesamtgewicht von Pulk und Fahrer liegt bei etwa 250 kg. Der Reibungskoeffizient, das Maß für die Reibungskraft im Verhältnis zur Anpresskraft zwischen zwei Körpern, hängt von der Beschaffenheit des Untergrundes (Schnee, Eis, rau, glatt, Topographie) ab. Beim Skifahren auf Schnee beispielweise liegt der Reibungskoeffizient bei μ 0,04 – 0,2. Möglicherweise ist die errechnetet Vortriebskraft zu optimistisch, weil das Programm2 nicht für die Realität der Polar Regionen konzipiert ist. Ein größerer Kite erhöht zwar die Zugkraft, bei höheren Windgeschwindigkeiten erhöhen sich jedoch auch die Querkräfte auf den Pulk, so dass die Skikante in Windrichtung (Luvkante) an ihre Belastungsgrenze kommt. Um eine große Bandbreite an Windgeschwindigkeiten nutzen zu können, werden darum oft zwei Kites unterschiedlicher Größen mitgeführt3. 1 2 3
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siehe http://www.skysails.info berechnung mit dem Programm “kiteforce” (http://www.aeroandi.de/) Vgl. “Solo Durchs Ewige Eis” Børge Ousland (2007), S. 15
KAPITEL 03
Wind
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ANFORDERUNGEN Ein Großteil der Anforderungen ergibt sich, wenn man die Landschafts- und Witterungsbedingungen im Einsatzgebiet genauer betrachtet. Extreme Tiefsttemperaturen, schnelle Wetterwechsel, größtenteils unebenes Gelände mit Gefahrenstellen. Nicht ohne Grund leben in dieser unwirklich erscheinenden Landschaft keine Menschen dauerhaft. Mensch und Ausrüstung werden bei Expeditionen bis an die Grenzen beansprucht. Jeder Handgriff, jede Umbau- oder gar Reparaturmaßnahme zählen, weil sie Kraft kosten und oft bei extremer Kälte und ohne Schutz vor Winden gemacht werden müssen. Im Falle eines Whiteout zum Beispiel werden Schnee und Wolken zu einem kontrastlosen Vorhang. Dadurch wird die Sicht und Orientierung stark eingeschränkt, weil der Horizont fehlt und die Menschen orientierungslos werden. Überall lauert die Gefahr von Gletscherspalten, bei denen eine frühzeitige Wahrnehmung entscheidend sein kann. Es handelt sich um Risse im Eis in jeder Größe, die oft sehr tief reichen. Nicht selten sind sie mit Schnee bedeckt und daher nicht zu unterschätzen. Des Weiteren gibt es große Flächen, die mit Sastrugi , einer Art von Schnee- bzw. Eisdünen, übersät sind. Das Wort stammt ursprünglich aus dem russischen und beschreibt stromlinienförmige Erhebungen oder Rillen im Schnee. Durch die windbedingte Abtragung von Schnee und Eis können sie sich zu knochenharten Gebilden formen, die das Weiterkommen erschweren. Aus diesen äußeren Bedingungen ergibt sich in Verbindung mit technischen Eckpunkten wie Stabilität, Gewicht eine Liste von Anforderungen an das Produkt. Die nachstehende Liste umfasst alle Anforderungen, die bei der Konstruktion beachtet wurden und welche die Basis für die Konzeptphase darstellten:
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KAPITEL 03
• • • • • • • • • • • •
Minimum 250 Liter Packraum bei einer Höhe von maximal 50 cm Maximales Gesamtgewicht 170 kg (Schlitten und Gepäck) Gewicht und Stabilität der verwendeten Materialien müssen abgestimmt sein Die Verbindungselemente müssen den härtesten Anforderungen standhalten Die Ausrüstung muss extrem kältebeständig sein Geringer Reibungskoeffizient Hohe Kippsicherheit Beständigkeit gegen Sastrugi Die Einzelteile müssen zugänglich für Reparaturen sein Die Ummontage mit Handschuhen muss möglich sein Pulk und Kite müssen auch bei schlechter Sicht bedienbar sein Zum Schutz vor Auskühlung müssen große Muskelgruppen in Bewegung bleiben
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Børge Ousland
“Die Sastrugi waren größer als je zuvor und wölbten sich in spitzen Wellen nach vorn. Sie sahen nicht mehr wie süße kleine Delfine aus, sondern hatten sich zu Haien und Walen entwickelt”
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VARIANTEN UND ENTWÜRFE
Der Entwurfsprozess durchlief bei diesem Produkt mehrere Stadien und Varianten. Da die Kombination von Pulk und Kite-Buggy meines Wissens bisher noch nicht verfolgt wurde, war es auch für mich Neuland, eine Form zu finden, die den Anforderungen gerecht wird. Anfangs gab es Überlegungen, die Person stehend hinter dem Pulk zu integrieren, was jedoch aufgrund der Lenk- bzw. Steueranforderungen von Kite und Pulk wieder verworfen wurde. Neben der Recherche in Printmedien und Internet war Brian Cunningham in technischer Hinsicht ein wesentlicher Berater meines Entwurfs, insbesondere was die Konstruktion und die Form anbelangt, weil er bereits ähnliches versucht hat. Der rege Mail-Austausch ermöglichte es mir, sein großes Wissen und seine praktische Erfahrung in mein Produkt einfließen zu lassen. Detailänderungen wie z.B. der gebogene Front-Ausleger, der nun beim Überfahren von Sastrugi weniger anfällig gegen Beschädigungen ist oder die integrierten Kufen im Rumpf, die für eine besseres und stabileres Gleiten sorgen, sind dem Austausch mit ihm und seinen Erfahrungen in den Polarregionen zuzuschreiben. Gleichzeitig wurden einige Überlegungen, wie z.B. das mitlenkende Ruder im hinteren Rumpf, wieder verworfen, da es dem Pulk nur unnötig Komplexität und das Risiko von Steuerungsproblemen verliehen hätte. Zusammengefasst kann man sagen, dass versucht wurde, einen praxisnahen Entwurf zu erstellen. Dieser ist jedoch nur eine von mehreren denkbaren Konstruktions- und Design-Lösungen. Ob er sich bewährt, könnte letztlich nur ein Prototypen-Test im Einsatzgebiet klären.
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KAPITEL 04
KAPITEL 04
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PROPORTIONEN
176cm
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KAPITEL 04
FRONTANSICHT 58cm
10cm 144cm
220cm
89cm
41cm
149cm
SEITENANSICHT KAPITEL 04
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STAURAUM Der Stauraum (im Bild rot gekennzeichnet) bietet ein Volumen von mindestens 250 Litern und erstreckt sich über den kompletten Rumpf des Pulks. Wichtiger als das Volumen ist jedoch das Gewicht des Pulks und seiner Zuladung. Auch im Wind-Zugbetrieb, aber vor allem beim Schleppbetrieb zählt jedes Gramm. Bei der Auswahl der mitgeführten Gegenstände wird deswegen penibel auf das Gewicht geachtet und es werden i.d.R. konsequente Maßnahmen ergriffen, um jedes unnötige Gramm einzusparen. So wird berichtet, dass zur Gewichtsreduzierung sogar ein Zahnbürstenstiel1 gekürzt wurde. Die Liste der Gepäckstücke ist nach Reisedauer, Gebiet und Zielsetzung individuell anzupassen und liegt in der Eigenverantwortung der Teilnehmer. Wenn eine Reise in die Arktis führt, wird z.B empfohlen, eine Waffe gegen Eisbären mitzuführen. Eine grobe Auflistung der wichtigsten Gepäckstücke ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
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Essensrationen Zelt Schlafsack Isomatte Treibstoff Brenner Reparaturset GPS- und Funk-Gerät
In den meisten Fällen wird mitgenommen, was sich bereits bewährt hat und nicht die niedrige Gewichtsgrenze überschreitet. Der nach oben in geringem Umfang variable Stauraum lässt eine gewisse Individualisierung des Gepäcks zu. Die wetterfeste Plane hält das Gepäck im Pulk, auch wenn bis knapp unter den Lenkungssteg gepackt wurde. Die Plane wird mit quer gespannten Gurten fixiert, damit das Gepäck auch bei Erschütterungen und ruckartige Manövern sicher und fest verwahrt ist.
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1 Vgl. “Solo Durchs Ewige Eis” Børge Ousland (2007), S. 20
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MATERIALIEN
Gewichtsreduzierung, Belastbarkeit und Witterungsunempfindlichkeit - drei Eigenschaften, die jedes Material an einem Produkt wie diesem bestimmen. Der Schlüssel zum Erfolg des Kite-Pulks liegt in der feinen Abstimmung zwischen diesen drei Anforderungen. Jedes Bauteil, jede Gruppe muss den Kräften und anderen Einflüssen standhalten, seine Funktion erfüllen und zugleich möglichst klein und leicht sein. Es galt eine Balance zu finden, zwischen den beiden Betriebsarten des Kite-Pulks: im Schleppbetrieb sollte gegenüber herkömmlichen Pulks keine drastische Gewichtszunahme eintreten, im Kite-Betrieb müssen Pulk und Kite insbesondere sicher und beherrschbar sein. In der heutigen Pulk-Fertigung wird bereits penibel darauf hingearbeitet, Materialien zu verwenden, die diesen Kriterien entsprechen. Betrachtet man die eingesetzten Materialien moderner Pulks1, wird deutlich, dass die Anforderungen nur durch eine Kombination aus verschiedenen Kunststoffen und Metallen erfüllt werden können. Die Materialauswahl meines Kite-Pulks profitiert von diesen Erfahrungen, wird aber durch neue Bestandteile hinsichtlich Form und Komplexität erweitert.
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Produkte der Firma Acapulka (Stand 2012)
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Für den Bau der Pulk-Gehäuse werden Faserverbundwerkstoffe eingesetzt. Dabei handelt es sich um Laminate, die aus Verstärkungsfasern und einer Matrix aus Kunstharzen gebildet werden. Dadurch lassen sich relativ einfach Bauteile mit einer hohen Formstabilität und Festigkeit herstellen. Die Laminate sind meist Aramidfasern, bestehend aus aromatischen Polyamiden, auch bekannt als Kevlar1, und Kohlefasergewebe (CFK). Die Beständigkeit, hohe Schlagzähigkeit und gute Schwingungsdämpfung von Kevlar und CFK eignet sich optimal für einen Materialmix. Als Kunstharz werden vorzugsweise Epoxidharze eingesetzt, deren Festigkeit auch bei tiefen Temperaturen gewährleistet ist. Bei Bedarf werden Sandwichwerkstoffe (Kernmaterialien) eingearbeitet. Sandwichwerkstoffe sind Schäume, Vliese, Wabenkonstruktionen oder Abstandsgewebe. Diese Werkstoffe sind alle sehr leicht, aber dennoch druckfest und zäh. Für Seile, Stoffe und Schnallen werden Polyamide, bekannt als Nylon, verwendet. Nylon ist ein Werkstoff, der auch bei großer Kälte kaum spröde wird und damit bruch- und reißfester ist als andere Gewebematerialien. Bei den Metallen fällt die Wahl auf Edelstahl, der zwar nicht leicht ist, sich aber durch extreme Formstabilität, Korrosionsfreiheit und Säurebeständigkeit auszeichnet.
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Kevlar® aramid fiber der Firma DuPont
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PULK IM SCHLEPPTAU
Die Haupt-Zielsetzung war, eine Hybrid-Lösung zu schaffen. Diese besteht darin, dass der Pulk bei günstigen Gelände- und Windbedingungen von einem Kite gezogen werden kann. Bei einer Fortbewegung über Land in Polarregionen gibt es immer wieder Geländeabschnitte, bei denen Spalten, Sastrugi oder Anstiege den Windzug-Betrieb per Kite unmöglich machen. Ganz abgesehen von windschwachen Tagen. Wenn es diese äußeren Umstände aber nicht zulassen, kann der Pulk vom Menschen selbst gezogen werden. Auf letzteres möchte ich hier näher eingehen.
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Die Bau- und Konstruktionsweise ermöglicht es, die Ausleger einzuklappen. Dabei integriert sich der vordere Ausleger mittels einer Aussparung in die Seitenwand des Pulks und der hintere wird mit einem Gurt, der quer über die Ladung gespannt ist, verbunden und gesichert. Die Skier, die im Schleppbetrieb als Kufen dienen, zieht sich die Person nun selbst an, um im Schnee voranzukommen. In den meisten Fällen handelt es sich um Tourenskier mit Telemark-Bindungen und Skier die mit Fell bespannt werden. Diese vereinfachen das natürliche Laufen auf Ebenen oder Anstiegen, da nur die Ski-Schuh-Spitze fest mit der Bindung verbunden ist. Das Skifell wird an die Unterseite der Skier befestigt und gibt Halt bei einem Aufstieg hangaufwärts. Sie verhindern, dass die Skier nach hinten abrutschen und ermöglichen gleichzeitig das Gleiten nach vorne. Die Person selbst ist über Seile mit dem Pulk verbunden. Diese sind an einem Art Bauchgurt (Trapez) befestigt.
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Im Schleppbetrieb wird die Sitzfläche genutzt, um den eingepackten Kite zu verstauen. Dabei dient der Sitz als eine Art Spanngurt. Das Rahmenprofil des Sitzes lässt sich auseinander stecken und wird nur noch von dem flexiblen Kunststoff-Netz, das zugleich Teil der Rückenlehne ist, zusammengehalten. Die obere Hälfte des Sitzes lässt sich nach vorne bis zum Höcker spannen, so dass das KiteGepäck in der Vertikalen durch das Netz gesichert ist. Die Öse, an der auch die Kite-Bar (Lenkstange) befestigt wird, kann durch Einfädeln der Gurte zusätzlich das Gepäck auf der Sitzfläche sichern. Der Rumpf ist so gestaltet, dass er selbst ohne ausgeklappte Ausleger ausreichend stabil ist und über jeglichen Untergrund gezogen werden kann. Durch die schiffs-ähnliche Form wird er sich selbst durch Tiefschnee problemlos ziehen lassen. Um den Reibungskoeffizienten so niedrig wie möglich zu halten, liegt der Pulk nicht mit seiner kompletten Breite auf dem Untergrund auf, sondern steht auf zwei Kufen, die in etwa den Abstand der menschlichen Ski-Spuren (Loipe) haben.
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KITE-BETRIEB Im Kite-Betrieb befindet sich der Fahrer auf dem hinteren Teil des Pulks. Er sitzt zwischen Höcker und Rückenlehne und steuert von hier aus mit den Füßen den Pulk und mit den Händen den Kite. Dieser Art von Fortbewegung setzt jedoch voraus, dass die Windbedingungen geeignet sind und der Kite die nötige Zugkraft entwickelt. Sitzt der Fahrer auf dem Pulk, befindet sich der Anknüpfungspunkt für den Kite direkt vor ihm am Connection Handle, einer Art Arm, dessen Drehpunkt sich im Höcker befindet und der aus diesem herausgeklappt wird. Der Connection Handle ist von seiner Ursprungsposition entgegen der Fahrtrichtung bis zu 55 Grad nach oben drehbar. Damit ist gewährleistet,dass der Fahrer bei allen Steuerungen des Kite den Zugriff auf die am Connection Handle befestigte Lenkstange (Kite-Bar) hat.
Kite-Anknüpfungspunkt/Connection Handle
Bei Kite-Sportarten, bei denen der Sportler selbst mit dem Kite verbunden ist, trägt man für gewöhnlich ein Bauchgurt (Trapez) an dem sich ein Haken zur Befestigung des Kites befindet. Durch die Platzierung des Connection Handles nahe am Körper kann der Fahrer die Lenkstange eines handelsüblichen Kites mit den Händen gut erreichen. Um auszuschließen, dass der Connection Handle zur Verletzungsgefahr wird, ist der Fahrer mit einem Anschnallgurt am Sitz fixiert. Die vorderen Ausleger haben an ihren äußeren Enden ein Profilstück, dessen Form exakt dem unteren Teil des Ski-Schuhs entspricht. Somit lassen sich die vorderen Ausleger mit den Skiern bzw. der Ski-Bindung verbinden. Der vordere Ausleger und der Ski sind jeweils starr miteinander verbunden. Nur der hintere Ausleger, der wiederum mit dem vorderen jeweils über ein Gelenk verbunden ist, verändert durch die Rotation am Lenksteg die Stellung der Skier und somit die Fahrtrichtung.
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Die Skier befinden sich beidseitig 10 cm höher als der Rumpf des Pulks. Bei Kite-Betrieb kippt der Pulk demnach etwas nach der linken oder rechten Seite. Dies hat zum Vorteil, dass der Kantendruck und damit die Stabilität erhöht werden und der Kurs in jeder Geschwindigkeit gehalten werden kann. Des Weiteren ist es möglich, gefährlich großen Sastrugi und Unebenheiten auszuweichen, in dem man die Zugkraft des Kites durch Lenken verringert und die Steuerung noch durch Körperverlagerung unterstützt, so dass der Pulk leichter auf den andern Skier kippt. Das Umbauen in den Kite-Betrieb umfasst somit wenige Schritte:
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Abschnallen der Skier, Einpacken der Schleppleine, Auspacken und Aufbau des Kites, Ausklappen der vorderen Ausleger, Einrasten der Skier, Einhaken des hinteren Auslegers, Ausklappen der Rückenlehne und des Connection Handles, Aufrichten des Kites, Platz nehmen und Lenkstange an Connection Handle einhängen
Dies alles ist bei verträglichen Witterungsbedingungen in wenigen Minuten auch bei schlechter Sicht und mit Handschuhen möglich.
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Ego-Perspektive Die Sicht aus dem Blickfeld des Fahrers
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LENKMECHANISMUS Die sitzende Fahrt auf dem Schlitten im Windzug-Betrieb setzt natürlich voraus, dass dieser lenkbar sein muss. Das Terrain fordert zwar keine ständige Richtungsänderung, es muss jedoch möglich sein, den Kurs zu halten, obwohl die Windrichtung eine andere ist. Die dafür notwendigen Ausleger müssen jedoch lenkbar sein. Die Aufgabe bestand darin, eine Lösung zu finden, die das Lenken mit den Füßen ermöglicht, nicht viel Platz einnimmt, nur ein geringes Gewicht aufweist und zudem möglichst einfach ist. Bei meinem Konzept lenkt der Fahrer den Pulk mit den Füßen, die auf Pedale gestützt sind. Dadurch hat der Fahrer die Hände frei zur Steuerung des Kites. Die Pedale wiederum stehen in Verbindung mit den Auslegern. Die zwei vorderen Ausleger, an die auch die Skier montiert sind, sind mit jeweils einem Scharnier am Rumpf befestigt. Die Drehung der Lenkung verändert den Winkel zwischen vorderen und hinteren Ausleger und somit die Richtung der Skier parallel. Die Winkelvarianz ist gegeben, da der hintere Ausleger über ein Kugelgelenk mit dem Steg verbunden ist und auf der anderen Seite am Ende des vorderen Auslegers eingehängt wird. Der äußere, rotierbare Steg lässt sich maximal 15 Grad in beide Richtungen drehen. Über den zentralen Rotationspunkt ist er mit dem darunterliegenden fixen Steg des Rumpfes verbunden. Um den seitlichen Kräften standzuhalten, läuft der rotierbare Steg in Schienen an beiden Seiten des Rumpfes. Das scharfkantige T-Stück kratzt bei Vereisung selbst die Führung frei und leitet die auftretenden seitlichen Kräfte auf die Breitseite des Rumpfes ab. Dadurch, dass der Drehpunkt des Stegs weit über dem Rand des Rumpfes sitzt, ist die Ladekapazität nach wie vor erhalten und der Pulk kann bis knapp unter dem Steg beladen werden.
hinterer Ausleger
Führung
Lenkungs-Steg
fixer Steg
vorderer Ausleger
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Linkskurve
Geradeaus
Rechtskurve
T-St端ck
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WINDKURS
Bisherige Gespanne mit Schlepptaubetrieb konnten bestenfalls kurze Zeit Halb-Wind-Kurse fahren. Der Halb-Wind-Kurs bedeutet in der Segelsprache, ein Kurs im rechten Winkel, d.h. 90 Grad zum Wind. Bei kleinerem Winkel liegt ein Am-Wind-Kurs vor. Bei dieser Windrichtung wird die maximale Zugkraft und in der Folge die höchste Geschwindigkeit erreicht. Allerdings wirken auch entsprechend hohe Seitenkräfte, die zur Stabilisierung des Kurses zum Boden abgeleitet werden müssen. Wenn ein Skifahrer von einem Kite gezogen wird, werden diese Seitenkräfte über die Kanten auf den Untergrund übertragen. Dies kostet jedoch viel Kraft. Auf längere Dauer kann kein Skifahrer mit einem Pulk im Schlepptau einen Halbwind-Kurs oder gar einen Am-Wind-Kurs körperlich durchhalten. Das Ankanten der Skier belastet den Körper, insbesondere die Beinmuskulatur zu hoch. Darum können in dieser Betriebsweise meist nur wenige Windrichtungen effizient verwendet werden. Der Kite-Pulk hat gegenüber der gängigen Art, sich vom Kite auf Skiern stehend ziehen zu lassen, den großen Vorteil, dass mehr Windrichtungen ausgenutzt werden können. Der Kite-Pulk macht diese Fahrtrichtungen möglich, weil der Pulk selbst das Ankanten übernimmt. Durch das Eigengewichtes und den sitzenden Fahrer wird die Kraft optimal auf die Außenkante des Skiers in Windrichtung übertragen. Eine gewisse Gefahr bildet der relativ weit hinten befestigte Kite, weil sich der Pulk eventuell von der Zugkraft des Kites herumdrehen lässt. Um dies zu verhindern, wurden die Kite-Leinen mit einem Mechanismus (Power Center Change, im nachfolgenden PCC genannt) versehen, der bei einem Halb-Wind-Kurs den Angriffspunkt weiter nach vorne verlagert und somit die Gefahr des Drehens verhindert.
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1 Am Wind bezeichnet beim Segeln einen Kurs, bei dem der Einfallswinkel des scheinbaren Windes weniger als 90° beträgt.
Fahrtrichtung
Wind
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Der PCC besteht aus einem zusätzlich an den Mittelleinen (sog. Frontline) angeknüpften Seil, das unter dem Lenkungs-Steg in einer Führung verläuft und erst in der Mitte des Pulks aus der Führung austritt. Dadurch entsteht eine V-förmige Zugkraft-Verteilung. Damit das Seil schnell umgestellt und wieder justiert werden kann, wird es durch den Connection Handle (siehe Abbildung links), einen schwenkbaren Arm geführt , an welchem auch die Lenkstange (Kite-Bar) befestigt ist. Dort befinden sich Backen (Klemme), die das Seil fixieren können. Ähnliche Klemmen werden auch bei Segelbooten verwendet. Sie sind einfach konstruiert und unanfällig gegen Störungen, bieten aber ausreichend Halt.
Der Anströmwinkel des Kites und somit dessen Flugverhalten hängt stark vom Längenverhältnis zwischen Steuerleinen (Backlines) und Mittelleinen ab. Damit der optimale Anströmwinkel erhalten bleibt, ist ein Nachjustieren der Bar (Adjuster) an den Mittelleinen notwendig. Jede Einstellung, Lenkmanöver oder Fixierung kann in der sitzenden Position vom Fahrer mit jedem handelsüblichen 4- bis 5-Leiner-Kite bewerkstelligt werden und bedarf bei einem eingeübten Bediener keinerlei erhöhten Kraftaufwand.
Steuerleine
Mittelleinen
Steuerleine
zu
sä
tz
lic
he
Le i
ne
/P
CC
Adjuster
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Bei Fahrtrichtungen, bei denen der Wind schräg oder exakt von hinten kommt, hängt die Leine des PCC ohne Spannung an den Mittelleinen. Dieser Zustand bietet eine direkte ZugkraftÜbertragung auf den hinteren Anknüpfungspunkt.
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Bei Am-Wind- oder Halb-Wind-Kurs ist die Leine des PCC fest gespannt und zwischen den Backen in der Nähe des hinteren Anknüpfungspunktes fixiert. Die seitlichen Zugkräfte des Kites werden durch diesen Mechanismus V-förmig weiter in die Mitte des Pulks geleitet, so dass die Skikante auf voller Länge wirkt und der Pulk stabil die Richtung hält.
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WÄRMEHAUSHALT
Eine große Gefahr der Polarexpeditionen ist die extreme Kälte. Der Mensch ist darauf angewiesen, dass seine Körperkerntemperatur konstant bei 37° C gehalten wird1. Dies gelingt durch einen ausgeklügelten physiologischen Wärmehaushalt. Als Tarnsportmechanismus der Wärme dient hauptsächlich das Blut. Es wird im Zentrum erwärmt und gibt die Wärme in der Peripherie über die Haut an die Umgebung ab. Bei Wärmemangel funktioniert dies auch umgekehrt2. Das Blut wird in der Muskulatur erwärmt und transportiert die Wärme zum Körperzentrum, so kann der Mensch durch muskuläre Arbeit über 90% seiner Wärme aus der Muskeltätigkeit ziehen3. Daher ist eine ausreichende körperliche Bewegung in einer solchen Umgebung überlebenswichtig. Eine untätige Muskulatur würde zwangsläufig zu einem Auskühlen und damit zu einem Scheitern der Expedition führen. Allerdings muss auf die Art der Muskelarbeit Rücksicht genommen werden: rein isometrische Kontraktionen, wie eine statische Haltearbeit, sollten vermieden werden, da diese durch eine mangelnde Muskeldurchblutung ungenügend Wärme produzieren und zu einer raschen Ermüdung führen4. Vielmehr sollte ein dynamisches Bewegungsprofil gewählt werden, das über lange Zeit durchgehalten werden kann und eine ausreichende Wärmeproduktion ermöglicht. Das Aktivitätsprofil des Pulks wurde in Anlehnung an den Rudersport gewählt, bei dem trotz der sitzenden Haltung, möglichst viele Muskelgruppen angesprochen werden. Die Lenkarbeit wird durch die Beine verrichtet, insbesondere werden hierbei die großen Muskelgruppen wie Strecker und Beuger angesprochen. Die Lenkarbeit am Kite fordert, die Arm-, Schulterund Rumpfmuskulatur. Damit ist gewährleistet, dass ausreichend Muskelarbeit verrichtet wird. 1 2 3 4
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Vgl. Klinke, Rainer/Pape, Hans-Christian/Kurtz, Armin/Silbernagl, Stefan, Physiologie, 6. Auflage, Stuttgart 2010, S. 500f. Vgl. Klinke/Pape/Kurtz/Silbernagl, Physiologie, S. 502f. Vgl. Huppelsberg, Jens/Walter, Kerstin, Kurzlehrbuch Physiologie, 3. Auflage, Stuttgart 2009, S. 165 Klinke/Pape/Kurtz/Silbernagl, Physiologie, S. 502 Vgl. Klinke/Pape/Kurtz/Silbernagl, Physiologie, S. 113f.
KAPITEL 04
Neben der Produktion von Wärme ist auch der Verlust von Wärme ein entscheidendes Thema. Insbesondere der kräftige Wind und die schweißtreibende Arbeit stellen hier ein Risiko dar. Durch den ständigen Luftaustausch an der Körperoberfläche, kühlt der Mensch viel schneller aus als bei Luftstillstand5. Zum anderen führt, nassgeschwitzte Kleidung, durch ihre höhere Wärmeleitfähigkeit und durch Verdunstung zu einer noch schnelleren Abgabe von Wärme6. Ziel war es daher den bisher auf Skiern, frei im Wind stehenden Menschen möglichst gering exponiert auf dem Pulk unterzubringen. Wie man an der obenstehenden Abbildung erkennen kann, wird durch die sitzende Haltung und die Positionierung auf dem hinteren Teil des Schlittens, im „Schutze“ des Gepäcks, die Wind-Angriffsfläche minimiert. Auch durch das geänderte muskuläre Anforderungsprofil wird eine übermäßige Schweißproduktion vermieden. 5 6
Vgl. Huppelsberg/Walter, Kurzlehrbuch Physiologie, S. 165 Vgl. Huppelsberg/Walter, Kurzlehrbuch Physiologie, S. 166
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MEDIUM FILM
Die Auswahl des Mediums Film für die Produktvisualisierung hat neben eigenen Interessen auch den Vorteil, dass dem Betrachter tiefere Einblicke in die Welt des Produkts ermöglicht werden können. Bei jeder Produktpräsentation, bei der das Produkt noch nicht real existiert, ist die Vorstellungskraft des Käufers gefragt. Handelt es sich z.B. um einen Alltagsgegenstand, kann sogar ein Produktrendering auf weißem Hintergrund ausreichen, damit sich der Betrachter die Verwendung und Platzierung vorstellen kann. Je weiter jedoch das Produkt von den allgemein bekannten Gegenständen abweicht, desto entgegenkommender muss die Präsentation sein. In einer Zeit, in der Bedienungsanleitungen nur im Notfall gelesen werden und Produkte an immer größere, zusammen-
Filmaterial
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Filmaterial + Rendering
gefasste Zielgruppen vermittelt werden, gilt es, dass Interesse nicht nur beim Fachmann zu wecken, sondern für jeden nachvollziehbar zu präsentieren. Daher lag es nahe, die Visualisierung des Kite-Pulks in Form eines Films umzusetzen. So ist es möglich das Produkt in seinem angewandten Umfeld zu zeigen und gleichzeitig die dort herrschenden Bedingungen, Emotionen und Stimmungen zu transportieren. Da es sich um ein Produkt handelt, dessen Zielgruppe sehr klein ist, muss die Idee dennoch verständlich zu jedem Betrachter transportiert werden. Die meisten Polar-Expeditionen laufen über Sponsoren. Das bedeutet, der Präsentationsfilm soll nicht nur den Endverbraucher ansprechen, sondern auch mögliche Geldgeber davon überzeugen.
Finale Komposition
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FILMMATERIAL
Ein Produkt in Szene zu setzten, dessen Einsatzort das Polargebiet ist, erfordert auch entsprechendes Filmmaterial. Aus knapp 150 gesammelten Clips wurde ein Film geschnitten, der nicht nur Kontinuität und Dramaturgie beinhaltet, sondern auch als Basis für die Gestaltung, die Komposition des Schlittens dient. Dabei wurde auf ausreichende Aufnahmequalität, Lichtsituation und Kompatibilität zum Produkt selbst geachtet. Die Quellen der Clips sind ganz unterschiedlich. So beinhaltet der Film Szenen aus Dokumentationsfilmen, Snowboad- und Ski-Filmen, ExpeditionsClips, Snowkite-Filmen und Aufnahmen, die in Polargebieten entstanden sind. Der daraus entstandene Film erzählt eine Geschichte. Es ist die Geschichte der Naturgewalten und vom bescheidenen Platz des Menschen darin, der in dieser menschenfeindlichen Umgebung versucht sich zu behaupten. Die Musikauswahl unterstützt den dramaturgischen Weg, daher erfolgte der Schnitt des Filmes von Beginn an auf die ausgewählte Musik. Zur Auswahl standen Musikstücke mit atmosphärischen Melodien aber zu gleich pulsierende Aufbauten prägnanter Höhepunkte die durch die Bässe verstärkt werden.
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KAPITEL 05
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DRAMATURGIE Der Film folgt einem bestimmten Aufbau, einer fein abgestimmten Dramaturgie. Die einzelnen Szenen sind so aneinander gereiht, dass sie einen fiktiven vollen Tag zeigen und Kontinuität bieten. Alles beginnt mit einem Kommentar von Brian Cunningham und der Betrachtung der Antarktis aus dem Weltraum. Die nächste Szene zeigt das Zufrieren des Wassers im Zeitraffer und bringt den Betrachter in die Landschaft der Polarregionen. Es folgen Naturaufnahmen aus unterschiedlichen Perspektiven. Als Vorgeschmack auf das Produkt ist der fahrende Kite-Pulk klein in einer vom Flugzeug aus aufgenommenen Landschaft sichtbar. Nun betritt der Mensch die Szenerie. Der spielerische Umgang mit den Elementen Zelte, Kompass und Skiern vermittelt, dass es sich hier nicht um einen Dokumentationsfilm handelt. Der Abenteuertrieb lässt den Menschen selbst die unwirklichsten Landschaften erkunden. Er begibt sich auf den Weg in die Wildnis, zunächst traditionell mit einem Pulk im Schlepptau. Die Anstrengungen werden sichtbar, verstärkt wird dieses durch Nahaufnahmen. Es kommt zur körperlichen Erschöpfung und einer Geste der Resignation. Schließlich kommt der Faktor Wind ins Spiel. Es werden Satellitenbilder von Wind-Strömungen und windumspielte Sastrugi gezeigt und der Kite wird aufgebaut. Erst hier wird das eigentliche Produkt sichtbar - der Kite-Pulk. In verschiedenen Aufnahmen sieht man das Gefährt im Einsatz. Es wird deutlich, dass sich das Tempo erhöht und das Vorankommen erleichtert wird. Der Tag neigt sich dem Ende zu und die Sonne geht unter, während der Mensch bis tief in die Nacht hinein noch unterwegs ist und die günstige Bedingungen für sein Vorwärtskommen nutzt. Sein Einsatz wird belohnt mit einem phantastischen Naturphänomen – dem Polarlicht. Am Ende des Films folgt eine Überblendung zum freigestellten Produkt-Rendering (Packshot).
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KAPITEL 05
Von auร en Betrachtet
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Polar-Landschaft
00:22
Abenteurtrieb
00:43
Pulk im Schlepptau
00:54
Anstrengung
01:18
Erschรถpfung
01:32
Wind kommt auf
01:40
Kite-Pulk Aktion
01:48
Sonnenuntergang
02:23
Polarlicht
02:46
Produkt Rendering
02:53
SCHLUSSWORT Meine Thesis zeigt den Entwicklungsprozess und den Entwurf eines Kite-Pulks auf, einer Produkt-Kombination, die es so bisher nicht gibt. Im Mittelpunkt stehen der Weg dahin und die gestalterischen Ideen. Es l채sst sich viel 체ber ein Produkt reden und behaupten, aber die Konstruktion kann erst in dem wirklichen Einsatzgebiet unter Beweis gestellt werden. Es w채re reizvoll, gemeinsam mit Ingenieuren und Polar-Experten einen ersten Prototyp zu konstruieren und diesen in der Realit채t zu testen.
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DANKSAGUNG Mein Dank gilt in erster Linie an meine zwei Betreuer Prof. Thomas Gerlach und Sven Sauer. Von Prof. Brian Cunningham, der in der Antarktis bereits mit einem ähnlichen Produkt Erfahrungen gesammelt hat, habe ich wertvolle Anregunge bekommen. Thanks a lot, Brian. Caroline Thurner danke ich für die wertvollen Tipps in Sachen Layout. Für die kritische Durchsicht des Manuskriptes danke ich Reinhold Grünberger und Tim Muthmann. Dank gebührt Prof. Dr. Franz Thurner und Samuel Link für ihre Fachübergreifende Beratung. Zu guter Letzt geht mein Dank an die Familie und Freunde, die mir in diesem Abschlusssemester stets zur Seite standen.
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QUELLENANGABE
Ousland, Børge: Solo durchs ewige Eis, 1. Auflage, München (2007) Messner, Reinhold: Eis Pole, 3. Auflage, München (2009) Guggenberger, Elisabeth/Voitl, Helmut: Eis und Ego, 1. Auflage, Wien (2008) Huber, Alexander/Huber, Thomas: Eiszeit, 1. Auflage, München (2011) Horn, Mike: Abenteuer Polarkreis, 3. Auflage, München (2009) Officer, Charles/Page, Jake: Die Entdeckung der Arktis, 2. Auflage, Berlin (2004) „Materialinformation“, http://www.acapulka.com/ (Stand Mai 2012) http://de.wikipedia.org/wiki/Kurse_zum_Wind_%28Segeln%29 (Stand Mai 2012) Klinke, Rainer/Pape, Hans-Christian/Kurtz, Armin/Silbernagl, Stefan: Physiologie, 6. Auflage, Stuttgart (2010) Huppelsberg, Jens/Walter, Kerstin: Kurzlehrbuch Physiologie, 3. Auflage, Stuttgart (2009) http://www.aeroandi.de/, (Stand Mai 2012) http://popeyethewelder.com/ (Stand Mai 2012) http://www.explorersweb.com (Stand Mai 2012) http://en.wikipedia.org/wiki/Pulk (Stand Mai 2012) www.fjellpulken.no (Stand Mai 2012) Applegate, Edd: Strategic Copywriting: How to Create Effective Advertising (2004) Felser, G.: Techniken der Werbung und Werberezepte, Heidelberg (1997) http://www.coloribus.com/ (Stand Mai 2012)
BILDER
S. 55 http://vimeo.com/bensaunders S. 24f. http://www.flickr.com/photos/borgeousland/ S. 59 http://www.dupont.com/ S. 43 http://en.wikipedia.org/wiki/Kitesurfing S. 26 http://www.actioncamper.info/ S. 46 http://www.dynafit.com/ S. 16 http://en.wikipedia.org/wiki/Snowmobile S. 17 http://www.snowsled.com/ S. 36 http://www.acapulka.com/ S. 26 http://www.olympus.com/ S. 33 http://www.youtube.com/watch?v=5U9I7QrpSkk S. 27 http://www.skysails.info/ S. 46 http://www.haglofs.com/ S. 40 http://aeolian.co.uk/kites/features/ski-buggy.html S. 27 http://www.agence-360.com/ S. 26 http://www.uvuperformance.com/ S. 31 http://www.explorersweb.com S. 07 http://www.flickr.com/photos/extremeimages/ S. 19 http://www.flickr.com/photos/erikboomer/ S. 30 http://www.mali-in-color.de/ S. 31 Børge Ousland Foto: Valeri Vasilevkiy S. 39 http://www.flickr.com/photos/murrayneill/ S. 41 http://www.flickr.com/photos/helene_livolsi/ S. 48 http://www.tetonat.com/2009/06/09/mount-rainier-to-goor-not-to-go/ S. 40 http://popeyethewelder.com/
Stand Juni 2012