TONKUnStLer MAGAZIN S e p t e m b e r ’ 14 ― j ä n n e r ’ 15
Die Zauberflöte im Festspielhaus St. Pölten Gustav Mahler im Advent Weihnachtsoratorium im Abonnement
IN DIE NEUE WELT XK
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Andrés Orozco-Estrada eröffnet die Saison 14-15 RT
LIEBEN SIE ? BRAHMS Siehe Rü
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MUSIKVEREIN WIEN neUjahrSKOnZert SOnntag, 4.1., 15.30 & mittwOch, 7.1., 19.30 Begrüßen Sie das neue Jahr mit dem Tonkünstler-Orchester im Großen Saal des Wiener Musikvereins!
T: +43 (0)1 586 83 83 | tickets@tonkuenstler.at | www.tonkuenstler.at/neujahrskonzert
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Liebe Musikfreunde!
Andrés Orozco-Estrada
IN DIESER AUSGABE 2 6 8 9 10 12 14 16
Lasst uns beginnen! Plugged-In: Töne der Welt Tonspiele: monsters & angels Zauberflöte im Festspielhaus Michael Schønwandt zu Gast Weihnachten im Abonnement Auf Mahlers Schwingen Gedankenspiel Kalendarium in der Heftmitte
Die Saison 14-15 ist für das Tonkünstler-Orchester und mich etwas Besonderes: Zum einen ist es genau zehn Jahre her, dass wir erstmals gemeinsam, im Juni 2004, im Wiener Musikverein musizierten. Zum anderen ist es das sechste und letzte Jahr unserer intensiven künstlerischen Partnerschaft und meiner Zeit als Chefdirigent. Für das letzte gemeinsame Jahr haben wir uns viel vorgenommen, und ich möchte Sie herzlich einladen, uns auf unseren musikalischen und gedanklichen Abenteuern zu begleiten. Am Ende der Saison steht dann ein Abonnementkonzert, in dem ich mit den Tonkünstlern symbolisch einige wichtige Komponisten und programmatische Eckpfeiler unserer bisherigen Arbeit zusammenführe. Die Eröffnung der neuen Saison steht wie gewohnt im Zeichen des Neubeginns: Mit einem Auftragswerk des jungen Österreichers Bernd Richard Deutsch, komponiert für die Tonkünstler und drei unserer eigenen ausgezeichneten Blechbläser, beginnt der Konzertherbst. Im gleichen Programm gehen wir mit Musik von Ravel und Dvořák wieder symphonische Wege. Vor Weihnachten präsentieren wir Musik von Gustav Mahler und Charles Ives, damit knüpfen wir an die Mahler-Tradition an, die mir sehr am Herzen liegt. In der ersten Hälfte der Saison 14-15 erleben Sie Höhepunkte mit unseren internationalen Gastdirigenten und renommierten Solisten, stellvertretend möchte ich meine Kollegen Michael Sanderling und Michael Schønwandt sowie den Pianisten Igor Levit herausgreifen. Auch das Plugged-In-Konzert mit Angelika Kirchschlager möchte ich Ihnen ans Herz legen. Unsere musikalischen Aktivitäten umfassen ebenso neue CD-Aufnahmen, die wir im Laufe der Saison 14-15 veröffentlichen. Viel Freude beim Lesen und anregende Konzerte wünschen Ihnen Ihr
Andrés Orozco-Estrada und das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
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LASST UNS
BEGINNEN! Die Saison 14-15 beginnt traditionell mit der Uraufführung eines österreichischen Komponisten: Der Niederösterreicher Bernd Richard Deutsch (Jahrgang 1977) schrieb für drei Blechbläsersolisten aus den Reihen der Tonkünstler sein Tripelkonzert, danach wird Hand in Hand mit Maurice Ravel getanzt. Dem «Pas de deux» der Tonkünstler mit Andrés Orozco-Estrada folgt eine Reise nach Amerika mit Antonín Dvořák.
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as Tonkünstler-Orchester und Wie konnte ein solcher MeinungsumAndrés Orozco-Estrada lieben die schwung passieren? Ravels Musik war erstTradition, und die ist laut Gustav klassig, darin war man sich einig. Womöglich Mahler «nicht die Anbetung der Asche, hatte Ravel nicht bedacht, dass seine komplexe sondern die Weitergabe des Feuers.» Und so Musik mitunter zu schwierig für Tänzer sein eröffnet jede Saison seit 2009 mit der Urauf- konnte – Passagen im 5/4-Takt waren schließführung eines österreichischen Komponisten: lich eine große Unbekannte unter BalletttänIn die illustre Reihe gesellt sich heuer der ge- zern. Und Ravel hatte auch etwas Pech: Am bürtige Niederösterreicher Bernd Richard Abend der Uraufführung von «Daphnis et Deutsch, der noch zur jungen Generation zu Chloé» wurde auch Debussys «Prélude à rechnen wäre und mit einer Vielzahl an Auf- l’après-midi d’un faune» erstmals in getanzter trägen und renommierten Preisen auf ein be- Form aufgeführt und verursachte wegen der eindruckendes Œuvre verweist. allzu freizügig-lasziven Gestaljede Deutsch schreibt ein Tripelkonzert tung einen handfesten Skandal. tänzerische Ravels Ballett im Anschluss für Trompete, Posaune und Tuba, das von den Tonkünstlern sowie Ablenkung. wollte dann niemand mehr wirkdrei orchestereigenen Blechbläsern lich hören. am 4. Oktober uraufgeführt wird und in den Und so fand die Musik zu «Daphnis et folgenden Abonnementkonzerten auf dem Chloé» ihren fruchtbaren Boden zunächst nicht Programm steht. Mehr über Bernd Richard auf der Ballettbühne, sondern im Konzertsaal. Deutsch lesen Sie auf Seite 5. Ravel entnahm seiner ursprünglichen Komposition zwei Suiten, die ohne jede tänzerische Wir bitten zum Tanz Ablenkung damals wie heute daran erinnern, Als Sergej Diaghilew, Gründer der berühmten von welcher Qualität und eindringlichen Kraft «Ballets russes», Maurice Ravel um eine Bal- diese Musik ist. Die zweite Suite aus «Daphnis lettmusik bat und als Sujet den spätantiken et Chloé» ist dem letzten Teil des Balletts entLiebesroman «Hirtengeschichten von Daphnis nommen, in dem die erfolgreiche Wiederverund Chloe» vorschlug, sagte der Komponist einigung der beiden Protagonisten geschildert gerne zu. Aber nach der wenig erfolgreichen wird – am Ende steht ein großes Freudenfinale. Uraufführung seines Balletts «Daphnis et Die Auseinandersetzung mit Ravels Musik Chloé» 1912 schrieb der gleiche Maurice Ravel: ist für moderne Orchester und natürlich Diri«Es war für mich eine so ununterbrochene genten eine interessante Herausforderung, Tortur, dass mir vorerst jede Lust auf ein ähn- womit wir beim Eröffnungskonzert der Tonliches Unternehmen vergällt ist.» künstler und Andrés Orozco-Estrada sind.
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AndrĂŠs Orozco-Estrada
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«Ravel mit Worten zu beschreiben, ist fast unmöglich», sagt der Tonkünstler-Chefdirigent. «Es ist eine Melange aus Farben, Gefühlen und einer eigenen Sinnlichkeit, die in diesen Orchestrierungen steckt – manchmal habe ich das Gefühl, ich kann die Musik förmlich kosten und riechen. Das ist wohl ein Beweis, dass Ravel ein genialer Komponist ist.»
Die neue Welt am Hradschin Nach der Eröffnung mit Bernd Richard Deutschs Tripelkonzert und Ravels Suite Nr. 2 «Daphnis et Chloé» gehen die Tonkünstler auf eine USA-Tournee im Geiste. Praktischerweise können dabei alle im bequemen Sessel im Konzertsaal sitzen bleiben und den Ausflug bewegungslos (aber hoffentlich bewegt) genießen. Wie viel oder wenig «Amerikanisches» in Antonín Dvořáks Symphonie Nr. 9 «Aus der neuen Welt» steckt, darüber wurde viel geschrieben, spekuliert und gescherzt. Der Komponist selbst gab Hinweise in jede erdenkliche Richtung und leistete damit seinen Beitrag zur Verwirrung. Kurz nach der Uraufführung in der New Yorker Carnegie Hall soll Dvořák gesagt haben: «Es scheint, ich habe ihnen ein wenig den Kopf verdreht. Bei uns zu Hause versteht jeder gleich, was ich gemeint habe». Damit spielte er auf den Prager Stadtteil «Nový Svět» («Neue Welt») an und
flugs wurde die Symphonie als liebevolle Aufbruch zu neuen Ufern Hommage an die sehnlich vermisste böhmi- Ausgehend vom weltbekannten Flötenthema, das an das Spiritual «Swing low, sweet sche Heimat gedeutet. Nicht nur die «Neue Welt», die künstle- chariot» erinnert, kann man die Symphonie risch gesehen in Prag, Manhattan oder auf «Aus der neuen Welt» aber auch ganz anders dem Mond liegen könnte, nährte die Ge- hören – das Schöne dabei ist, dass die böhmirüchte: Rein musikalisch spielt Dvořák in sei- sche und amerikanische Hörweise einander nem viersätzigen Meisterwerk vielfach mit nicht behindern. Im Gegenteil, Dvořáks Geden vertrackten Rhythmen der böhmischen nialität macht es möglich, dass jeder patrioTanzmusik, lässt leere Quinten als Bordun er- tische Gusto bestens bedient wurde. Und klingen (und erinnert damit an den böhmi- dem New Yorker Herald sagte er in einem schen Dudelsack) und spart in den Interview: «Ich bin jetzt überzeugt, dass die pentatonisch angelegten Melodien allzu oft zukünftige Musik dieses Landes auf dem baden Leitton aus. Ja, vieles in dieser Sympho- sieren muss, was man Negerlieder nennt. nie spricht für Wurzeln in der böhmischen [sic!] … Diese schönen und vielfältigen Themen sind das Produkt des Landes. Sie sind Volksmusik. Für Andrés Orozco-Estrada ist Dvořáks amerikanisch. In den Negerliedern finde ich alles, was für eine bedeugroßer Wurf eine durch und tende und vornehme Schule durch patriotische Sache: «Das zu seiner alten der Musik nötig ist.» Und Schöne bei der Symphonie ‹Aus tatsächlich erinnern viele der neuen Welt› ist die Überra- Heimat … Andrés Orozco-Estrada Spirituals und Gospels in schung, dass es dem Komponisihrer pentatonischen Präten gar nicht sosehr um die Musik seiner damaligen, neuen Heimat geht, gung (die den Blues nachhaltig beeinflusste) sondern um eine große Liebeserklärung an und in ihren synkopierten Rhythmen stark seine alte Heimat, also Böhmen! Das Stück ist an die zünftigen Tänze und Lieder aus der am Ende fast slawischer als am Anfang. Ich Heimat von Dvořáks. Die Neunte nahm das spüre in der Partitur ganz deutlich sein Heim- Publikum auf beiden Seiten des Atlantiks weh, seine Liebe zu seiner alten Welt und sei- sofort für sich ein und erfreut sich seit ihrer nen Stolz. Für mich ist Dvořáks Neunte eine Uraufführung mit Recht ungebrochener Popularität. Symphonie auf seine ewige Heimat.»
… seine Liebe
AlexANdeR MOORe
Der Autor ist Redakteur des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich und des Musik-Programms Grafenegg und für beide Institutionen projektweise dramaturgisch tätig.
Solisten des Tonkünstler-Orchesters: Michael Pircher, Andreas Eitzinger und Thomas Bachmair
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Samstag, 4. 10., 19.30 Uhr Musikverein Wien Sonntag, 5. 10., 15.30 Uhr Musikverein Wien Montag, 6. 10., 19.30 Uhr Festspielhaus St. Pölten
Jede Begegnung mit seinen Werken wird zu einem vergnüglichen
Hörerlebnis ...
Bernd Richard Deutsch
Im Portrait – Bernd Richard Deutsch Auf der Homepage des Festivals Wien Modern kann man einen eingängigen Klingelton namens «Red alert!» herunterladen. Komponiert wurde das Mini-Opus so nebenbei von Bernd Richard Deutsch, der 2013 mit dem Erste Bank-Kompositionspreis von Wien Modern ausgezeichnet wurde und schon seit mehreren Jahren zu den fixen Größen in Österreichs Komponistenlandschaft zählt. Klingeltöne zählen freilich nicht zu den wichtigsten Herausforderungen des Komponisten, der 1977 geboren wurde und in Wöllersdorf aufwuchs. Nach ersten Studien am Josef-Matthias-Hauer-Konservatorium in Wiener Neustadt setzte er seine Ausbildung bei Erich Urbanner und Dieter Kaufmann an der Musikuniversität in Wien fort. Als Studierender war Deutsch unter anderem auch
Teilnehmer des ersten Composer-Conductor- Deutsch in Druskininkai (Litauen) erstmals Workshops «Ink Still Wet» in Grafenegg. als Composer in Residence präsent. Die Musik von Bernd Richard Deutsch lässt ernd Richard Deutsch lebt heute als auf fassliche und sympathische Weise erkenfreischaffender Komponist in Wien nen, dass der Komponist die Tradition keiund verweist mit einer kaum noch zu neswegs verleugnet – nicht selten haben die überblickenden Zahl an Projekten und Urauf- Werke etwas Sangliches an sich: Themen und führungen auf eine mehr als beachtliche Phrasen scheinen zu atmen und orientieren Karriere. Stellvertretend für die höchst er- sich damit in gewisser Weise am Menschen. folgreichen jüngeren Uraufführungen sollen Insofern ist Deutschs Musik ganz und gar «Dr. Futurity» im Rahmen von Wien Modern nicht «künstlich», gleichzeitig hat der Kom2013 und «Mad Dog» (2011) erwähnt werden. ponist seine Klangsprache zu einer verblüfZu den Preisen, die freilich nicht ausblieben, fenden Eigenständigkeit entwickelt, die jede zählen unter anderem der schon erwähnte Begegnung mit seinen Werken zu einem verErste Bank-Kompositionspreis, der Würdi- gnüglichen Hörerlebnis macht. Sein Tripelgungspreis des Landes Niederösterreich 2011, konzert für Trompete, Posaune und Tuba wird der zweite Preis beim Toru Takemitsu Award von Thomas Bachmair, Andreas Eitzinger und 2011 und der heuer verliehene Paul Hindemith- Michael Pircher als Solisten aus den Reihen Preis im Rahmen des Schleswig-Holstein der Tonkünstler und deren Orchesterkollegen Musik Festivals. 2013 war Bernd Richard unter Andrés Orozco-Estrada uraufgeführt.
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TÖNE DER WELT Klänge aus vielen Ecken und Winkeln der Welt: Bei der Plugged-In-Reihe zeigt sich das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich von immer wieder neuen Seiten. «Ich lade gern mir Gäste ein» ist der Auftakt der Saison 14-15 mit Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager und dem Akkordeonisten Krzysztof Dobrek. Allen Stil-Puristen eine klare Absage erteilt auch Carlos Núñez: Keltische Klänge und Kultur sind die Basis für die «Celtic Pilgrimage» des galizischen Folkmusikers, der mit der Gaita eine ganz besondere Sackpfeife spielt.
Angelika Kirchschlager Angelika Kirchschlager
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ngelika Kirchschlager erfindet sich auf der Bühne immer wieder neu. «Ich lade gern mir Gäste ein» heißt das Programm der Mezzosopranistin und des Akkordeonisten Krzysztof Dobrek: In der Plugged-In-Konzertreihe mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich unter dem Dirigenten Frank Zacher präsentieren sie am 28. November im Musikverein und am 29. November im Festspielhaus St. Pölten Wienerlieder, Klassik und slawische Volksmusik. Das Wienerlied kann bösartig und bissig sein, kokett-wehleidig, aber auch politischkabarettistisch und weinselig-schmunzelnd. Lebendig, traditionell und zeitlos ist es sowieso. Und oft führt ein Aufbruch zu neuen
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Ufern zum Ausgangspunkt zurück: Denn mit gern mir Gäste ein» ein Programm auf die dem Wienerlied sei sie nach inzwischen mehr Beine stellen, bei dem sich keiner verbiegen als 20 Jahren «verwachsen», sagt Angelika muss. Kirchschlager. «Ich versuche im Grunde, Schu«Ich habe von Anfang an in mehreren Welbert so schlicht, klar und direkt zu singen, ten gleichzeitig gelebt. Tagsüber war ich mit wie man Wienerlieder singt. Und Klassik beschäftigt, am Abend … alles ist ich mache es auch umgekehrt und bin ich in die Jazzwelt eingeständig singe jetzt gern in meinen Lietaucht, und an den Wochenen… den habe ich mein Geld bei derabenden Wienerlieder.» Bei gemeinsamen Auftritten mit Hochzeiten verdient», sagt Krzysztof Dobrek hat sie schon herausgefun- Dobrek. «Wir spielen grundsätzlich, was uns den, dass sie musikalisch zusammenpassen. gefällt. Und alles ist ständig im Fluss. Die ZuMit dem Weltschmerzvirtuosen, der in Polen hörer, die uns heute hören, hören uns genau Klassik studiert und Fagott im Orchestergra- zu dieser Stunde. Und übermorgen ist alles ben gespielt hat, eint sie eine schrankenlose anders. Man kann an derselben Stelle in den Musikauffassung. So können sie mit «Ich lade Fluss gehen, aber nie ins gleiche Wasser.»
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in Weltenbummler zwischen vielen Stilen und Strömungen ist auch Carlos Núñez, ein Großmeister und Zauberer auf der galizischen Gaita – bei uns Dudelsack genannt. Der Spanier – ein Vermittler zwischen den Kulturen – spielt mit seinem lebhaften, aufregenden Klang traditionelle keltische Musik der Iren, Schotten und Bretonen, aber mit Temperament und Passion. Und wie klingt der Dudelsack zusammen mit einem Orchester wie den Tonkünstlern unter Russell Harris bei «Celtic Pilgrimage» am 30. Jänner im Musikverein und am 31. Jänner im Festspielhaus St. Pölten? Wunderbar. Es fügt sich alles harmonisch zusammen. Denn der Dudelsack rockt! Erst recht, wenn ein Weltmusiker wie Núñez, auch «Jimi Hendrix of the bagpipes» genannt, am Werk ist und von der Bombarde bis zur bretonischen Sackpfeife viele Instrumente mit dem Flair und der Extravaganz eines Rockstars
spielt. Er hat Folk mit Klassik und die keltische Musik Nordspaniens mit dem Flamenco des Südens versöhnt, mit seinem Spiel auf Gaita, Flöten und Tin Whistle wesentlich zur Erneuerung der galizischen Folkmusik beigetragen und mit seinem Album «Alborada do Brasil» sogar eine musikalische Entdeckungsreise nach Brasilien unternommen. «Celtic Pilgrimage» bringt einen Mix mit Ausschnitten u. a. aus Nikolai Rimski-Korsakows Capriccio espagnol op. 34, dem berühmten «Concierto de Aranjuez» für Gitarre und Orchester von Joaquín Rodrigo, bei PluggedIn in einer Bearbeitung für Dudelsack und Orchester. Für Núñez ein selbstverständliches Nebeneinander: «Ich habe von Anfang an zwei Musikrichtungen parallel zueinander verfolgt – die klassische Ausbildung und die traditionelle Musik. Ich war immer davon überzeugt, dass es da eine Verbindung gibt. In meiner Heimat Galizien sehen wir die Dinge einfach
so: Es gibt keine Trennung zwischen klassischer und traditioneller Musik. Mit einem Klavier oder mit einem Orchester aufzutreten war egal, da gab es einfach keinen Unterschied.» WeRNeR ROSeNBeRGeR
Der Autor ist Kulturredakteur der Tageszeitung Kurier mit den Themen-Schwerpunkten Musik, Architektur und Kabarett.
ICH lAde GeRN MIR GÄSTe eIN Freitag, 28. 11., 20 Uhr Musikverein Wien Samstag, 29. 11., 19.30 Uhr Festspielhaus St. Pölten CelTIC PIlGRIMAGe Freitag, 30. 1., 20 Uhr Musikverein Wien Samstag, 31. 1., 19.30
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Carlos Núñez
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MONSTERS &
ANGELS
Bernhard Gander tritt nicht nur als Komponist, sondern auch als Schauspieler in Erscheinung: Die Kombination verspricht spannende Momente in Horrorfilmästhetik und musikalische Grenzüberschreitungen.
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eine ausgeprägte Leidenschaft für Comics, Heavy Metal und Horrorfilme hat sich bereits in Werktiteln wie «Peter Parker», «ö» (in Anlehnung an die Band Motörhead) oder «Lovely Monster» niedergeschlagen – der prototypischen Vorstellung eines Komponisten entspricht Bernhard Gander damit wohl kaum. Umso mehr treten auch seine fetzig-geräuschhaften Werke mit Anklängen an schrille Filmmusik aus der Masse der zeitgenössischen Musikszene hervor und lassen einen «Dirty Angel» oder eben ein «Lovely Monster» klangliche Realität werden. Kein Grund zur Sorge für Neulinge der Neuen Musik, denn neben den ohnehin gegebenen Anknüpfungspunkten an bekanntes musikalisches Material sorgt die Projektkonzeption von Axel Petri-Preis für die gelungene
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
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Kommunikation zwischen Publikum und musikalischen Horrorfilmgestalten – vor denen muss sich vor allem Bernhard Gander selbst in Acht nehmen, wenn er als Schauspieler in Aktion tritt: Unter der Regie von Christoph Zauner und vor der Kamera von Chris Ziegler durchlebt er in Kostüm und Maske von Diego Rojas Ortiz in einem eigens gedrehten Streifen die Tradition des Horrorfilms, mutiert zu Frankenstein, wird wie in «Blair Witch Project» durch den Wald gehetzt oder in guter alter Mafiafilmmanier im See versenkt. Was aber wären all die filmischen Horrorszenen ohne die packende, Gänsehaut hervorrufende Musik? So spielen die Tonkünstler unter dem Taktstock von Rossen Gergov die klangliche Hauptrolle, spielen nach Erläuterungen des Komponisten einzelne Sequenzen aus den Werken, unterlegen die Bilder auf der Leinwand mit gruseligen Geräuschen, filmmusikalischen Klangmassen – und geben den Rhythmus von «The Number of the Beast» der Metal-Band «Iron Maiden» in adaptierter Form zum Besten.
Denn dass nicht nur die Titel, sondern auch das musikalische Geschehen aus Ganders Feder keine Tabus gegenüber der sogenannten Unterhaltungsmusik kennt, dürfte kaum mehr verwundern. Die Lichtregie trägt das ihrige dazu bei, die Verfolgungsjagd auf die spielenden Instrumentengruppen aufzunehmen – und die Zeugen im Publikum sind dazu angehalten, sich mit der Aufdeckung musikalischer Stilzitate an der kriminologischen Spurensuche zu beteiligen. Sind die Zuhörer so erst einmal zu musikalischen Detektiven geworden, erklingen die Werke schlussendlich in voller Länge. dORIS WeBeRBeRGeR
Die Autorin ist Fachreferentin für Neue Musik bei mica – music austria und lebt als freie Musikpublizistin in Wien.
MONSTeRS & ANGelS Freitag, 14. 11., 19 Uhr MuTh Wien Konzertsaal der Wiener Sängerknaben
Ein Bild von Gut und Böse, von Wahrheit,
Schönheit, Geschmack
Mozarts «Zauberflöte» auf eigenen Wegen
DIES BILDNIS IST BEZAUBERND Zu Hilfe! Sonst bin ich verloren … Armer Prinz Tamino, der zu Beginn der vielleicht berühmtesten Verfolgungsszene der Operngeschichte um sein Leben fürchtet. Könnte ihm an diesem Abend im Festspielhaus St. Pölten gar um seine Oper angst und bange werden? W. A. Mozarts «Zauberflöte» als Comic auf die Leinwand affichiert!
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er die Frage in den Raum stellt, ob man sich an dem Hohelied des Musiktheaters mit neuen Ideen vergehen darf, wo doch in 223 Rezeptionsjahren alles gesagt sein sollte: Librettist Emanuel Schikaneder nimmt mit Hilfe des jungen Tamino den Kritikern den Wind aus den Segeln. Und der geforderte Prinz stellt im zweiten Akt der «Zauberflöte» treffend fest «Ein Weiser prüft und achtet nicht, was der gemeine Pöbel spricht …» Macht Euch selbst ein Bild von Gut und Böse, von Wahrheit, Schönheit, Geschmack. Eine Aufgabe, wie geschaffen für das britische Künstlerduo «1927» und dessen Hang zur grafisch aufbereiteten Installationskunst.
Ein Hohelied auf die Freiheit der Kunst Das ist Unterhaltung schlechthin, egal wie sie genannt wird. Brav ließ das meistgespielte Werk der Opernwelt jede Einordnung über sich ergehen: Zauberoper, Märchenoper, Märchenspiel, Alt-Wiener Singspiel, Freimaureroper, Kinderoper. Große Oper – so die Bezeichnung auf den Abendzetteln der Uraufführung im Wiener Freihaustheater (1791). Sie ist wirklich eine große Oper, die Geschichte vom guten Sonnenpriester, von der bösen Nachtkönigin, vom suchenden Prinzen und der Prinzessin, von Chören der Weisheit und Worten des hedonistischen Vogelmenschen. Mythen und Märchen, Sagen und Überlieferungen, sie alle haben Platz in SchikanederMozarts «Zauberflöte». Und die stellt eben eine eigene Kategorie dar.
SCHÖN
die Königin der Nacht als Riesenspinne, Papageno auf einem rosa Elefanten und märchenhafte Welten aus Stumm- und Trickfilmanimationen begegnen, ist die Welt der «Zauberflöte» mehr als in Ordnung. Von der Komischen Oper Berlin nahm der Triumph der Neudeutung seinen Lauf, in St. Pölten werden Berliner Gäste von Brigitte Geller (Pamina) bis Adrian Strooper (Tamino) zu Gast sein. Dirigentin Kristiina Poska wirbelt mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich durch eine schöne alte, neue Welt. Platz für jede Menge Zauber. dANIel WAGNeR
Der Autor ist Musikredakteur beim Wiener Klassiksender Radio Stephansdom und freier Mitarbeiter beim Feuilleton der Wiener Zeitung.
Charles Dickens trifft Fritz Lang Wenn den staunenden Besuchern des Festspielhaus St. Pölten in der multimedialen Inszenierung der britischen Ausnahmekünstler von «1927» (Suzanne Andrade, Paul Barritt)
dIe ZAUBeRFlÖTe Samstag, 27. 9., 19.30 Uhr Sonntag, 28. 9., 16 Uhr Festspielhaus St. Pölten
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BRILLANZ MIT DOPPELTEM BODEN
Mozart auf dem Flügelhorn und virtuose Trompetenklänge der Gegenwart: Sergei Nakariakov glänzt als doppelter Solist eines Abends, an dem Michael Schønwandt mit den Tonkünstlern in romantischer Emphase schwelgt. Sergei Nakariakov
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Leutgeb, der itzt in einer vorstatt hatte: Wie wir heute wissen, hatte zwar Leitgebs in Wienn ein kleines schnecken- Schwiegervater in Altlerchenfeld mit Parmesan häusl mit einer kästereÿ gerech- und Salami gehandelt, war damals jedoch tigkeit auf Credit gekauft hat, schrieb an dich schon tot und die Lizenz weiterverkauft. und an mich, kurz, nachdem du abgereiset, Leopold hatte sich als Sicherheit für sein und versprach mich zu bezahlen mit gewöhn- Darlehen einen längst verflossenen Käse auflicher voraussetzung der Gedult, bis er beÿm tischen lassen … käs= Handl reicher wird, und von dir verlangte Der Hornhallodri musste von Mozart zwar er ein Concert», meldete Leopold Mozart am einiges an Spott einstecken, bekam aber für 1. Dezember 1777 seinem Sohn nach Mannheim. seine Auftritte die ersehnten Werke, wobei Trotzdem dauerte es dann noch über fünf Jahre, die Noten des 1786 komponierten Konzerts bis sich «Wolfgang Amadé Mozart … über Es-Dur KV 495 buchstäblich bunt schillerten: den Leitgeb Esel, Ochs, und Narr, erbarmt» Nicht aus Jux schrieb Mozart gemischt in und ihm sein ersehntes Hornroter, grüner, blauer und schwarzer … ein konzert geschrieben hat, wie Tinte, sondern um in einem fein auf der Partitur vermerkt – das säuberlichen Code Vortragsanweierste von mehreren Werken sungen und Lautstärkegrade festgar für den Freund Joseph Leit- der Kunstzulegen. Das zeigt auch, dass das fertigkeit … Waldhorn, von einem Meister wie geb (1732–1811). Allein, mit dem Käse war es Essig – und Leitgeb gespielt, zu einem ausdrucksdeshalb wohl auch, trotz aller «Gedult», mit vollen Soloinstrument geworden war, dem dem Geld, das Leopold dem begnadeten Hor- man nach einem festlichen Allegro auch die nisten und miserablen Geschäftsmann geliehen Gesangsrolle in einer Romanze anvertrauen
brillanter Käfig
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kann, bevor es zuletzt im Rondo veritable Jagdklänge im 6/8-Takt schmettern darf. Bei Carl Maria von Weber stieg das Horn dann geradezu zum Inbegriff der Romantik auf: Deren vier verbreiten in der Einleitung der «Freischütz»-Ouvertüre über zart wiegenden Streicherklängen einen lyrischen Zauber, welcher Waldesstimmung par excellence hervorruft und bei den Tonkünstlern unter Michael Schønwandt jedenfalls in den besten musikalischen Händen liegt: Der bedeutende dänische Dirigent hat mit ihnen vor zwei Jahren in Grafenegg Griegs kompletten «Peer Gynt» packend erzählt und im vergangenen Mai neben Britten und Strauss’ 1. Hornkonzert (!) auch mit Edward Elgars rätselhaftschönen, bewegenden Enigma-Variationen reüssiert. Dass der Solist des Abends freilich von Hause aus Trompeter ist, mag überraschen. Der längst mit vielen Preisen ausgezeichnete junge Russe Sergei Nakariakov ist jedoch auch auf dem Flügelhorn ein virtuoser Künstler – also auf jenem Instrument, in dem sich, ver-
Rudolf Buchbinder Michael Schønwandt
einfacht gesagt, Trompete und Horn auf halbem Wege treffen. Mit ihm gewinnt er Mozarts Partitur, in Erweiterung von deren Aussehen auf dem Papier, aufregende neue Farben ab.
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iese sind bekanntlich auch Jörg Widmanns Ziel: Der Composer in Residence des Grafenegg Festivals 2014 hat schon vor zwölf Jahren für Nakariakov das hintersinnige Werk «ad absurdum» geschrieben, einen fünfzehnminütigen Parforceritt für Trompete und Orchester. Darin wird der Solist vom (Applaus-)Jäger zum Ge-
jagten, findet aus einem brillanten Käfig der Musik von lyrischer Größe und mitreißend Kunstfertigkeit gleichsam nicht mehr heraus, musikantischem Schwung zugleich. übt dabei aber ebenso enorme Faszination WAlTeR WeIdRINGeR aus wie etwa ein gefährliches Raubtier im Der Autor ist Musikwissenschaftler, Musikkritiker Zoo. Es sei «ein Stück über den Irrsinn der der Tageszeitung Die Presse und bis zur Grenze des gerade noch Spielbaren lebt als freier Musikpublizist in Wien. gesteigerten Virtuosität», ein «Rausch in Noten, voller Lust an Rhythmik und Rasanz», Sonntag, 9. 11., 15.30 Uhr war in den jubelnden Presseberichten zu lesen. Musikverein Wien Nach dergleichen atemloser Geschwindigkeit Montag, 10. 11., 19.30 Uhr auf der Bühne und ebensolchem Staunen im Festspielhaus St. Pölten Publikum kommt Antonín Dvořáks herrlich dienstag, 11. 11., 19.30 Uhr weit ausschwingende 6. Symphonie gerade Musikverein Wien recht, um in vollen Zügen genossen zu werden:
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JAUCHZET,
FROHLOCKET Das traditionelle Weihnachtskonzert des Tonkünstler-Orchesters ist im Dezember 2014 Teil der regulären Abonnementserie: Am 5., 6., 7. und 9. Dezember spielt das Orchester unter der Leitung von Daniel Reuss gleich vier Mal – eine erlesene Solistenriege samt der berühmten Cappella Amsterdam – in St. Pölten, Wien und Grafenegg Bachs Vertonung der Weihnachtsgeschichte.
Carolyn Sampson
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ohann Sebastian Bach schuf 1734 jene sechs Kantaten , die wir in ihrer Gesamtheit «Weihnachtsoratorium» nennen. Ein Oratorium im eigentlichen Sinne ist es freilich nicht, hatte der Komponist doch nicht die geschlossene, dramatische Darstellung der biblischen Geschichte im Sinn, sondern vertonte vielmehr für den jeweiligen liturgischen Gebrauch der Weihnachtsfeiertage die betref- Cappella Amsterdam fenden Evangelientexte rund um die Geburt Christi, erzählt von einem Evangelisten und Königin von Polen, Maria Josepha, gehuldigt wurde, erschien Bach die Feier der Geburt erweitert um lyrische Betrachtungen. Bachs Weihnachtsoratorium ist auch ein Christi durchaus als adäquates Thema zur folschöner Beweis dafür, dass Musik universell ist gerichtigen Zweitverwertung seiner Musik. und ein und dieselben Töne in ganz unter- Freilich enthalten die vier in diesem Konzert schiedlichem Kontext glaubwürdig wirken gespielten Kantaten 1, 2, 4 und 6 auch ganz können. Das sogenannte «Parodieverfahren», neu komponierte Musik, die durch festlichen also die Zweitverwendung eines bestehenden Glanz und zarte Innigkeit die Beliebtheit des Musikstücks (etwa, indem man es mit einem «Weihnachtsoratoriums» untermauert. neuen Text versieht), war in der Barockzeit eine ls wahrhaft erlesen darf man die Sodurchaus gebräuchliche, zeitsparende Methode. listen dieser Konzertreihe bezeichnen, Stirnrunzeln kann dieses Verfahren dann allesamt Tonkünstler-Debütanten, anhervorrufen, wenn weltlich ersonnene Musik plötzlich in einer geistlich motivierten Kompo- geführt von der englischen Sopranistin Carolyn sition neue Verwendung findet, oder umge- Sampson, deren Kunst anlässlich eines Konzerts kehrt, wenn Klänge zur höheren Ehre Gottes in Freiburg im vergangenen Mai als «von der feinsten, unangestrengtesten kurzerhand in Alltagswerke zu und ausgeglichensten Art» bemehr oder weniger banalem zeichnet wurde – kurz: «BachZweck Eingang finden. Interesihr Pauken! Belcanto, wie er auf dieser Höhe santerweise gibt es bei Bach solche Übernahmen nur in der einen Trompeten! Seltenheitswert hat.» Ähnliche Begeisterung löst regelmäßig Richtung, dass weltlichen Werken entnommene Stücke in geistliche Kompositio- die norwegische Mezzosopranistin Marianne nen einfließen. Eines der berühmtesten, popu- Beate Kielland aus, deren Stimme nicht erst lärsten und gleichzeitig gelungensten Beispiele einmal das überschwängliche Qualitätsurteil dafür ist eben das «Weihnachtsoratorium», das «wundervoll» ernten konnte. Der britische Tenor Thomas Hobbs zählt zu in vielen Teilen auf älteren Werken beruht. Den Eröffnungssatz der Kantate «Tönet, ihr Pauken! der raren Spezies genuiner Evangelisten-SänErschallet, Trompeten!» BWV 214 transfor- ger. Dank «fantastischer Artikulation» und mierte Bach etwa kurzerhand zu «Jauchzet, «ausdrucksstarker Interpretation», wie seine frohlocket, auf, preiset die Tage!» Während Vorzüge zuletzt in einer Rezension benannt ursprünglich der Kurfürstin von Sachsen und wurden, kann er gewiss auch beim Tonkünstler-
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Tönet, Erschallet,
Orchester Niederösterreich in dieser so fordernden Partie reüssieren. Der vierte im Bunde des Solistenquartetts ist der britische Bariton Roderick Williams, der nicht nur alle Sparten von Barock bis zu zeitgenössischen Werken im Repertoire hat, sondern auch selbst komponiert. Kein Bach-Oratorium ohne Chor: Die 1970 gegründete Cappella Amsterdam zählt heute zu den internationalen Spitzenensembles; schon seit beinah einem Vierteljahrhundert sorgt der niederländisch-deutsche Chorleiter und Dirigent Daniel Reuss für jene vorbildliche Qualität, die bereits mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen bedacht wurde. Nun arbeitet die Cappella Amsterdam erstmals mit den Tonkünstlern zusammen: ein echtes Weihnachtsgeschenk. MARKUS HeNNeRFeINd
Der Autor ist Musikwissenschaftler, arbeitet als Grafiker im Musikverlag Doblinger und ist freier Mitarbeiter des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich und des Grafenegg Festivals.
Freitag, 5. 12., 19.30 Uhr Festspielhaus St. Pölten Samstag, 6. 12., 18.30 Uhr Grafenegg Auditorium Sonntag, 7. 12., 15.30 Uhr Musikverein Wien dienstag, 9. 12., 19.30 Uhr Musikverein Wien
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MAHLERS SCHWINGEN Gustav Mahlers Musik hat in der künstlerischen Arbeit von Andrés Orozco-Estrada mit dem Tonkünstler-Orchester einen ganz besonderen Platz. Vom Antrittskonzert mit der ersten Symphonie bis zur «Tragischen» im Dezember-Abonnementkonzert spannt sich ein großer Bogen.
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ürde man Gustav Mahler und Vortragsangaben nicht nur die Musik, sonAndrés Orozco-Estrada mit ei- dern dabei seine neue Muttersprache Deutsch nem gemeinsamen Begriff ein- in Windeseile erlernte. fangen wollen, würde sich zweifellos so etwas Die Welt sieht ein paar Jahre danach freiwie die «große künstlerische Umarmung der lich anders aus: Viele Erfolge später können Welt» anbieten. So wie Mahler in seiner sich die Tonkünstler und ihr Chefdirigent Musik alle Stimmungslagen heute gegenseitig darauf hier sind auskostete und dabei immer verlassen, ab dem ProbenMenschen am Werk, beginn an eine gemeinhöchsten kompositorischen die in diesem Ordnungsprinzipien treu same Sprache zu sprechen. Moment blieb, legte auch der TonkünstDiese Selbstverständlich. ler-Chefdirigent einen ganzkeit war von Anfang an ein Andrés Orozco-Estrada heitlichen und gleichzeitig difwichtiges Ziel. «Die Leute ferenzierten, strukturierten müssen spüren, hier sind Zugang zur Musik vor. Zu Beginn seiner Menschen am Werk, die in diesem Moment Amtszeit erzählte Orozco-Estrada gern von alles geben», sagte der Chefdirigent bei seieiner kleinen Taschenpartitur von Mahlers nem Antritt. «Alles geben» und eine gemeinerster Symphonie, anhand derer er als junger same Sprache sprechen ist bei der EinstudieStudent in Wien beim Übersetzen der vielen rung von Mahlers Musik ein besonderer
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alles geben
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Das Tonkünstler-Orchester mit seinem Chefdirigenten
Vorteil, haben doch viele seiner Werke einen enorm starken Wortbezug und literarische Vorlagen. Im Dezember 2014 tritt Andrés OrozcoEstrada ans Pult der Tonkünstler, um ein außergewöhnliches Abonnementprogramm zu dirigieren: Charles Ives‘ «The Unanswered Question» ist eines der bekanntesten Orchesterstücke des US-amerikanischen Komponisten, in dem auf spektakuläre Weise das Konzept einer Unterhaltung, konkret einer Frage und deren Nicht-Beantwortung, mit dem Orchester dargestellt wird. Fast zeitgleich arbeitete Mahler im fernen Österreich an seiner sechsten Symphonie – beide Werke werden jetzt im Tonkünstler-Abonnement zusammengeführt und ergeben einen kontemplativ-philosophischen Blick auf die stillste Zeit des Jahres. Andrés Orozco-Estrada sagt über die Programmauswahl: «Auf den ersten Blick denkt man vielleicht, das passt nicht zusammen. Aber es gibt eine intensive Verbindung zwischen den Werken unseres Konzerts. Ich beginne bei Mahler: die sechste, angeblich ‹tragische› Symphonie, trägt etwas Schicksal-
haftes, Prophetisches in sich. Es gibt viele Geschichten um das Werk, zum Beispiel die ursprünglichen drei Hammerschläge im Finalsatz, die nach Alma Mahlers Ansicht auf drei tragische Ereignisse im Leben von Gustav Mahler hindeuten. Die sechste ist die einzige von Mahlers Symphonien, die nicht in heiterer Ausgelassenheit endet. Für mich ist aber der prophetische Aspekt dieser Symphonie entscheidend, ich empfinde das Stück als etwas extrem Geheimnisvolles – nicht sosehr als tragische Musik. Auf alle Fälle ist die Sechste ein Werk, das mehr Fragen stellt als es Antworten gibt. Und da passt ‹The Unanswered Question› von Ives natürlich großartig dazu. Aber auch neben den interpretatorischen Dingen sehe ich eine Verbindung zwischen Mahler und Ives: Beide waren Entwickler, Motoren ihrer Musikkultur und beide haben die Volksmusik auf eine sehr spezielle Weise in ihre Musik einfließen lassen.» Am Ende der Saison 14-15 wird Andrés Orozco-Estrada mit den Tonkünstlern einen Gutteil aller Mahler-Symphonien einstudiert und aufgeführt haben – hinzu kommen noch die «Kindertotenlieder», die neben der ersten
Symphonie auch auf CD erschienen sind. Eine zweifellos große Tat war auch die Eröffnung des Grafenegg Festivals 2013 mit der Symphonie Nr. 3, die in Umfang und Länge zu den besonderen Herausforderungen für jedes Symphonieorchester zählt. Doch der Aufwand lohnt sich, Mahler transportiert in seiner Musik immer eine geistige Botschaft, die sich durch atemloses Schweigen und durch jauchzenden Übermut sowie tiefe Spiritualität ausdrückt. Mahler ist ein Kosmos, der einen durchdringt. Über seine sechste Symphonie sagte Alma Mahler nach seinem Tod: «Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen. Die Sechste ist sein allerpersönlichstes Werk und ein prophetisches obendrein.» AlexANdeR MOORe
Freitag, 19. 12., 19.30 Uhr Musikverein Wien Sonntag, 21. 12., 15.30 Uhr Musikverein Wien Montag 22. 12., 19.30 Uhr Festspielhaus St. Pölten
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GEDANKENSPIEL Kristiina Poska Mit der «Zauberflöte» wird ein Dirigent nie fertig. So sagt man. Bei mir stimmt dieser Satz bei diesem Werk mehr als bei keinem anderen. Und im September 2014 werde ich im Festspielhaus St. Pölten die Stimmigkeit dieses Satzes wieder anerkennen müssen. Das weiß ich jetzt schon. Die Komische Oper Berlin zu Besuch im Festspielhaus. Mit ihrer «Zauberflöte» und eigenen Sängern trifft sie auf das TonkünstlerOrchester Niederösterreich und den Arnold Schoenberg Chor. Dieses Zusammentreffen von vielzähligen Künstlern in dieser Konstellation wird einmalig sein und für mich als Dirigentin ist es klar, dass eine solche Begegnung die beste Voraussetzung bietet, damit der Eingangssatz sich bewahrheitet. Das Thema «Fertigwerden» mit einem Werk finde ich nicht nur sehr interessant, sondern existenziell. Ich denke, dass das «Nichtfertigwerden» für jeden Künstler lebenswichtig ist. Es ist klar, dass man nach einem gewissen zeitlichen Abstand ein Werk, das man schon zu kennen glaubt, wieder in die Hand nimmt und mit einem ganz neuen Blick darauf neue Details und Zusammenhänge daran entdeckt. Mit zunehmender Erfahrung passiert es ja auch in allen anderen Bereichen des Lebens, insofern hat es etwas sehr Natürliches. Und insofern hat auch das Nichtfertigwerden etwas sehr Natürliches. Aber da gibt es noch einen anderen Teil, welcher nur dem Zufall überlassen zu sein scheint. Nämlich die verschiedenen Menschen in verschiedenen Zusammenstellungen. An der Oper arbeitet man mit sehr vielen Menschen gemeinsam, jede einzelne Beziehung ist einzigartig und kann als Inspiration dienen. Meine Aufgabe ist natürlich, ein konkretes musikalisches Konzept zu den Musikern zu bringen, aber gleichzeitig sprudeln vor mir unzählige Inspirationsquellen. Sie
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sind überall, man muss sie nur wahrnehmen. Musik machen bedeutet Kommunikation. Und kommunizieren bedeutet reflektieren, was sich immer in der Musik ausdrückt, ob man will oder nicht. Die Suche nach der Wahrheit ist für mich immer wichtig gewesen. In der Musik treibt mich das Bedürfnis herauszufinden, was genau das beste Tempo, die beste Phrasierung, die beste Balance für die jeweilige Stelle ist. Mittlerweile habe ich natürlich verstanden, dass es sie nicht gibt. Aber genauso habe ich verstanden, dass genau dieser Trieb notwendig ist, um nie fertig zu werden. Um mit der «Zauberflöte» nicht fertig zu werden, habe ich vor kurzer Zeit in Mannheim einen kleinen Schritt unternommen. Die Berliner «Zauberflöte» war zu Gast beim Mannheimer Mozartsommer, mit unseren Sängern und dem dortigen Orchester. Auch wenn alle Orchester der Welt bei diesem Stück gleiche Stimmen vor sich haben und gleiche Töne mit gleicher Dynamik lesen, klingt es jedes Mal anders. Eine Quelle zum Staunen und zum Lernen. Eine Erfahrung, die mich noch erwartungsvoller macht gegenüber der Begegnung mit einem so renommierten Orchester wie dem TonkünstlerOrchester Niederösterreich, das bekannt ist für seine Offenheit gegenüber dem Fremden und auch dem Neuen, durch seine Programme und nicht zuletzt auch durch seine Dirigenten. Deshalb freue ich mich auf eine impulsreiche Begegnung, eine Horizonterweiterung für alle Seiten und ich wünsche mir, dass sich dadurch im Reich der «Zauberflöte» eventuell eine neue, noch nicht entdeckte Tür öffnet … denn mit der «Zauberflöte» sollte ein Dirigent auch wirklich nie fertig werden.
IMPRESSUM
Medieninhaber (Verleger): Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H., Kulturbezirk 2, 3100 St.Pölten; Herausgeber: Verein Tonkünstler-Orchester Niederösterreich; Für den Inhalt verantwortlich: Frank druschel; Redaktion: Mag. Alexander Moore; Koordination: edith Schweitzer, visuelle Gestaltung: Fuhrer, Wien; Produktion: Walla druck Bildnachweis: Stefania Amisano, lukas Beck, Thierry Cohen, Marco Borggreve, Portia Crossley, dimo dimov, Iko Freese, Sebastian Hänel, PhotoWerk Werner Kmetitsch, Martin Mydtskov-Ronne, Claudia Prieler, laurent Ziegler Redaktionsschluss: 11. 8. 2014; Termin-, Programm- und Besetzungsänderungen bleiben vorbehalten. Für etwaige druckfehler wird keine Haftung übernommen. Ausgabe 25/2014
TONKUnStLer
IV EXKLUS T KONZER
lieben Sie Brahms? donnerstag, 23. 10., 19.30, Musikverein Wien, Großer Saal
Andrés Orozco-Estrada dirigent
JOHANNES BRAHMS Symphonie Nr. 4 e-moll op. 98 Alle Vorteile der DUETT-Karte www.tonkuenstler.at/duett T: +43 (0)1 586 83 83 tickets@tonkuenstler.at www.tonkuenstler.at
Moderierte einführung mit Andrés Orozco-estrada, Albert Hosp und dem Tonkünstler-Orchester im ersten Teil
Anmeldung erforderlich, begrenztes Kartenkontingent. Kein Verkauf.
Ausgabe 25/2014, Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, Österreichische Post AG / Sponsoring.Post, Vertragsnummer: GZ 02Z034306
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