hoch³ FORSCHEN #3/2017

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FORSCHEN Das Medium für Wissenschaft

Herbst 2017

Impressum Herausgeber Der Präsident der TU Darmstadt Redaktion Stabsstelle Kommunikation und Medien der TU Darmstadt: Jörg Feuck (Leitung, V.i.S.d.P.) Ulrike Albrecht (Grafik Design) Patrick Bal (Bildredaktion) Gestalterische Konzeption conclouso GmbH & Co. KG, Mainz Titelbild Katrin Binner Druck Druckerei Petzold, Gernsheim gedruckt auf 100 g/m² PlanoScript, FSC-zertifiziert Auflage 6.000  Nächste Ausgabe 15. Dezember 2017 Leserservice presse@pvw.tu-darmstadt.de ISSN 2196-1506

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_ 1 Biophysik: Stop and Go im Kaliumkanal _ 2 Abwassertechnik: Lebensressource Nummer eins weltweit sichern _ 3 Dieselmotor: Präzisere Messtechnik für Katalysatoren _ 4 Maschinenbau: Sensible Türöffner-Tasten aus der Druckmaschine

hoch3 FORSCHEN / Jahrgang 6 / Herbst 2017


Die unverzichtbare Ressource An der TU Darmstadt leitet Professorin Susanne Lackner das Fachgebiet Abwasserwirtschaft. Die Umweltingenieurin plädiert für länderspezifisch differenziertere technische Lösungen – und für mehr Interdisziplinarität. _ Von Jutta Witte Frau Professorin Lackner, was fasziniert Sie am Thema Abwassertechnik? Wasser hat mich schon immer interessiert – nicht nur, weil ich eine leidenschaftliche Ruderin bin, sondern vor allem aus einer ganzheitlichen Perspektive. Denn Wasser ist für alles Leben unverzichtbar und wir legen mit unserer Forschung wichtige Grundlagen, um diese Ressource zu schützen. Was mich dabei mittlerweile am meisten fasziniert, sind die mikrobio­logischen Mechanismen, die dafür sorgen, dass Abwasser von Schad­stoffen befreit werden kann – in Kläranlagen, aber auch in der Natur. Hier möchte ich an der Schnittstelle zwischen Verfahrenstechnik und Mikro­biologie Neues entdecken.

Welche Optimierungsmöglichkeiten sehen Sie? Auch wenn wir schon seit Jahrzehnten biologische Verfahren zur Abwasserbehandlung einsetzen, gibt es immer noch viele Wissenslücken und Optimierungspotential. Mich interessieren primär die Populationen, die für die Stickstoffelimination zuständig sind. Wir brauchen hier verschiedene Gruppen von Organismen, die interagieren und gemeinsam den Abbauprozess katalysieren. Wenn sie nicht richtig aufeinander abgestimmt arbeiten, funktioniert es nicht.

„Wasserwiederver ­wendung und Rückgewinnung von Ressourcen rücken in den Fokus.“

Abbildung: Katrin Binner

Welche Forschungsbedarfe sehen Sie? Ich sehe immer noch einen sehr großen Forschungsbedarf auf der Grundlagenseite. Wir wissen sehr wenig über die mikrobiologischen Populationen in Kläranlagen. Das sind zum Teil sehr komplexe „Communities“ und wir haben erst seit ein paar Jahren die Möglichkeit zu messen, welche Organismen es überhaupt gibt. Was hier auf einer kleinen Skala passiert, ist immer noch nicht genau verstanden. Es gibt zum Beispiel immer wieder Kläranlagen, in denen die Aktivität dieser Organismen wegbricht und wir verstehen nicht warum. Professorin Susanne Lackner Informationen Fachgebiet Abwasserwirt­ schaft, Institut IWAR Prof. Dr. Susanne Lackner Telefon: 06151/16–20309 E-Mail: s.lackner@iwar.tu-darmstadt.de www.iwar.tu-darmstadt.de/ abwasserwirtschaft

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Was haben die Bakterien dort für eine Funktion? Sie sorgen nach der mechanischen Reinigung des Abwassers für die Beseitigung von organischem Kohlenstoff und Stickstoff sowie Ammonium und Phosphor. Wir schaffen in einer Kläranlage optimale Bedingungen, um eine hohe Konzentration an Bakterien in relativ kleinen Volumina dazu zu bringen, diese Schmutzstoffe abzubauen. Am Ende machen sie in der Kläranlage nichts anderes als in natürlichen Gewässern – eben nur viel konzentrierter.

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Was ist hier die besondere Her­ ausforderung? Stickstoffabbau ist ein mehrstufiger Prozess. Für die unterschiedlichen Schritte gibt es vier Hauptgruppen an Bakterien, welche die verschiedenen Abbauprozesse katalysieren. In jeder Gruppe findet sich teils eine Vielzahl an Spezies mit unterschiedlichen Eigenschaften. Manche Prozesse brauchen Sauerstoff, manche dürfen keinen haben. Das ist ein Wechselspiel, das richtig gesteuert werden muss. Wir wollen verstehen, welche Organismen unter welchen Bedingungen wie gedeihen, um dann die Verfahrenstechnik darauf auszulegen. Wenn wir die Abwasserreinigung immer weiter optimieren wollen, brauchen wir ein System, das sich auf immer neue Bedingungen einstellen kann. Welche Themen sind in der Abwassernachberei­ tung hierzulande außerdem virulent? Immer relevanter wird in Deutschland die Elimination von Spurenstoffen. Phosphor ist nach wie vor ein riesiges Thema, Mikroplastik wird zu einem solchen. Die notwendigen Verfahrenstechniken gibt es bereits, aber wir wissen noch nicht genau, was wo am sinnvollsten einsetzbar ist. Dann wird Ressourcenrückgewinnung immer wichtiger, zum Beispiel die energetische Nutzung von Klärschlamm oder die Wiederverwertung von Stickstoff als Düngemittel. Auch hier sind die Technologien noch nicht ausgereift.


Sprechen wir in Deutschland über Wohlstands­ probleme? Wenn man die globale Situation in den Blick nimmt: ja. Man sollte schon unterscheiden zwischen dem, was wir hierzulande vorfinden und wie es in anderen Teilen der Welt aussieht. Wir beschäftigen uns mit Mikroschadstoffen im Nanogramm-Bereich, was mit Blick auf die Trinkwasserqualität absolut sinnvoll ist. Gleichzeitig stehen aber Menschen in anderen Ländern vor existentiellen Problemen. Entweder weil schlicht zu wenig Wasser vorhanden ist oder Wassersysteme hochgradig belastet sind. Welche Probleme herrschen in diesen Ländern vor? Eine moderne Infrastruktur und klare Standards, die für uns selbstverständlich sind, kennen sie zum Teil nicht. Ich habe in Katmandu gesehen, wie das Abwasser noch die Straße herunter läuft. Das bedeutet nicht, dass wir dort alles so machen müssen wie hier. Das ginge am Bedarf vorbei. Dort in Nepal würde es zum Beispiel reichen, den Kohlenstoff zu verringern, das Wasser dann zu hygienisieren und es dann direkt für die Bewässerung von Nutzpflanzen zu verwenden. Sie arbeiten auch an einem Forschungsprojekt in Namibia… Namibia ist für ein afrikanisches Land schon relativ weit vorangekommen. Das liegt auch daran, dass hier gute Entwicklungszusammenarbeit erfolgt. Die Infrastruktur ist gut ausgebaut. Die Kleinstadt im Norden mit mehr als 7.000 Einwohnern, in der wir arbeiten, verfügt über eine Vakuumkanalisation, an die fast zwei Drittel aller Haushalte schon angeschlossen sind. Das Abwasser wird zentral behandelt über Abwasserteiche. Das ist zwar Low Tech, aber die Qualität ist darum nicht schlechter und durch einfache Baumaßnahmen weiter verbesserbar.

Abbildung: Katrin Binner

Viele Experten sprechen von einem Paradigmen­ wechsel in der Wasserbewirtschaftung. Den beobachte ich auch: Wasserwiederverwendung und Rückgewinnung von Ressourcen rücken in den Fokus. Das sind Themen, die von der Tatsache getrieben sind, dass in vielen Teilen der Welt Wasser zusehends Mangelware wird. Das ist in Deutschland nicht so präsent, weil uns akuter Wassermangel, den viele Länder kennen, nur selten betrifft.

Sauberes Wasser als Ziel: Abwasserbehandlung trägt entscheidend dazu bei, die Ressource Wasser nach Gebrauch wieder nutzbar zu machen.

Was ist zielführend, um solche Regionen nachhal­ tig zu unterstützen? Ich plädiere für individuelle Lösungen. Jeder Fall und jede Anlage ist anders. Deswegen ist Abwassertechnologie ja so spannend. Wir sollten international diskutieren: Für welche Gelegenheiten und mit welchem Aufwand müssen wir Wasser eigentlich aufbereiten? Beispiele wie unser Projekt in Namibia zeigen auch, dass wir mit den Menschen vor Ort kooperieren und mit ihnen gemeinsam erarbeiten müssen, wie sie sich später selbst organisieren können. Deswegen arbeiten wir dort mit Soziologen zusammen. Und es ist wichtig, Anreizsysteme für eine sichere Finanzierung aufzuzeigen, zum Beispiel für das aufbereitete Abwasser, das in die Bewässerung von Futterpflanzen fließt, Geld zu nehmen. Was bedeutet ein solches Herangehen für Ihr Fach? Wir müssen viel stärker interdisziplinär arbeiten, die klassischen Ingenieure und Biologen verlinken und andere Disziplinen dazu holen. Es ist mein Anspruch, dies auch für die Studierenden sichtbar zu machen und sie so auszubilden. Allein mit den technischen Wissenschaften kommen wir bei diesen komplexen Themen nicht mehr voran. _ Die Autorin ist Wissenschaftsjournalistin und promovierte Historikerin.

EPoNa – Ertüchtigung von Abwasser-Ponds zur Erzeugung von Bewässerungswasser am Beispiel des Cuvelai-EtoshaBasins in Namibia Der von der TU Darmstadt koordinierte Forschungsverbund will eine vierstufige Abwasser-Teichanlage in der nordnamibischen Stadt Outapi so ertüchtigen und erweitern, dass das gereinigte Abwasser für die Bewässerung von Futterpflanzen wieder verwertet werden kann – und die sonst zu eliminierenden Stickstoff- und Phosphorverbindungen als Dünger eingesetzt werden können. Projektpartner sind die Hochschule Geisenheim, die IEEM GmbH der Universität WittenHerdecke, das Institut für sozialökologische Forschung GmbH (ISOE), die Aqseptence Group und die H.P. Gauff Ingenieure sowie das Outapi Town Council, die namibische Regierung und nationale Ausbildungs- und Studieneinrichtungen. Laufzeit des vom Bundesforschungs­ministerium geförderten Projekts: 1.9.2016 bis 31.8.2019. EiVeN-G – Entwicklung inno­ vativer Verfahren zur Stickstoff­ elimination aus hochbelasteten Gärresten Das Projekt befasst sich mit den bei der Entwässerung von Gär­resten aus der landwirtschaftlichen Produktion entstehenden Abwässern. Sie sollen mit Hilfe energieeffizienter Technologien von Stickstoff befreit werden, bevor sie in der Landwirtschaft wieder zum Einsatz kommen. Hierfür wollen die Fachleute ein robustes biologisches Verfahren entwickeln, das auf dem Prinzip der Deammonifikation, also der Umwandlung von Ammonium in gasförmigen Stickstoff und Nitrat in Kläranlagen, basiert. Neben der TU Darmstadt beteiligt sich die Universidad de Concepcíon in Chile an dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt. Laufzeit: 1.2.2017 bis 31.1.2020.


Weniger Stickoxide im Abgas Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anna Schmidt hat einen Sensor entwickelt, der zur Entwicklung besserer Dieselkatalysatoren beitragen soll. Molekül, das unser Körper bei der Nahrungsverwertung produziert und mit dem Urin ausscheidet – daher rührt der Name. Die Autoindustrie verwendet die Substanz, weil sie Ammoniak freisetzt. Das wiederum reagiert im Dieselkatalysator mit schädlichen Stickoxiden zu unbedenklichem Wasser und Stickstoff, dem Hauptbestandteil von Luft.

Abbildung: Katrin Binner

Soweit die Theorie. In der Praxis besitzt der katalytische Prozess durchaus einige Tücken, die ihn weniger effizient machen. Das weiß man nicht erst seit dem Dieselskandal um geschönte Stickoxidwerte. Ein Problem etwa folgt aus der Einspritzung der AdBlue-Lösung, denn wie Dr. Benjamin Kühnreich, wissenschaftlicher Mitarbeiter der UNICO (University Industry Collaborative) Forschungsgruppe Hochtemperatur Prozessdiagnostik im Fachbereich Maschinenbau, erklärt: „Bei den kommerziellen Abgasnachbehandlungssystemen lässt es sich bislang nicht vermeiden, dass sich die Harnstofflösung an der Wand des Abgasrohrs sammelt.“ Gegenüber der Einspritzstelle entsteht ein dünner Flüssigkeitsfilm. Verdampft das Wasser der AdBlue-Lösung – im Abgaskanal herrschen Temperaturen bis 500 Grad Celsius – bleibt Harnstoff zurück, der feste Ablagerungen bildet. „Dann muss man Ausbrennzyklen fahren“, sagt Kühnreich.

M.Sc. Anna Schmidt und Dr. rer. nat. Benjamin Kühnreich im Forschungslabor

Informationen Forschungsgruppe High Tem­ perature Process Diagnostics Dr. rer. nat. Steven Wagner Jovanka-Bontschits-Str. 2, L1|08 -109 Telefon: 06151/16– 28925 E-Mail: wagner@rsm.tu-darmstadt.de www.htpd.tu-darmstadt.de

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_ Von Uta Neubauer Moderne Katalysatoren von Dieselfahrzeugen sind aufwendige Systeme: Unvollständig verbrannter Kraftstoff wird zunächst oxidiert, wobei sich zum Beispiel giftiges Kohlenmonoxid in Kohlendioxid umwandelt. Anschließend trennt ein Partikelfilter die schädlichen Rußteilchen ab. Und dann gilt es noch, das Problem der Stickoxide zu lösen. Dafür wird eine wässrige Harnstofflösung, Markenname AdBlue, in den Abgasstrom gespritzt. Harnstoff ist eine harmlose Chemikalie, ein relativ kleines organisches

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Das wiederum kostet Energie und steigert den Kraftstoffverbrauch. Im Extremfall, wenn das Einspritzsystem falsch eingestellt ist, können sich sogar die Kanäle der nachfolgenden Katalysatorkammer zusetzen. Außerdem trägt der abgelagerte Harnstoff nicht mehr zur Entgiftung der Stickoxide bei. „Am liebsten würde man die AdBlue-Lösung so dosieren, dass gar kein Wandfilm entsteht“, betont Kühnreich. Das ist eine Herausforderung, denn wie und unter welchen Bedingungen der Film entsteht, wie dick er ist und mit welcher Einspritztechnik er sich vermeiden lässt, weiß bislang niemand. Die Filmdicke schätzen Experten auf maximal einen halben Millimeter – doch den wahren Wert kennen sie nicht, denn bislang gab es dafür keine Messmethode. Diese Lücke haben Kühnreich und seine Kollegin Anna Schmidt geschlossen. Im Rahmen ihrer


Masterarbeit hat Schmidt, jetzt Doktorandin im Fachbereich Maschinenbau, einen Sensor ent­wickelt, der erstmals die Dicke der Filme im Abgaskanal messen kann. „Es gibt zwar kommerzielle Sensoren zur Bestimmung von Filmdicken, aber in diesem konkreten Fall können sie nicht angewandt werden“, erklärt Schmidt. Sie sind nicht hitze­stabil und müssten zudem extrem dicht über dem Film angebracht werden. Für das enge Abgasrohr aber sind sie zu groß. Schmidts Sensor löst das Problem, indem er die Filmdicke über die Absorption von Laserlicht misst. Der Strahl wird durch eine kleine Öffnung im Abgasrohr auf den flüssigen Film gelenkt, durchdringt ihn und wird an der Rohrwand reflektiert. Das austretende Licht wird gebündelt und auf eine Photodiode geleitet. Aus der Intensität des reflektierten Lichts lässt sich auf die Dicke des Films schließen. Vereinfacht ausgedrückt: Dicke Filme schlucken mehr Licht als dünne.

faser eingespeist und über ein optisches System – bestehend aus einer speziellen Linse, einem Strahlteiler, der einen Referenzstrahl abzweigt, und Spiegeln – auf den AdBlue-Film und wieder zurück gelenkt. Photodioden bestimmen die Intensität des Referenzstrahls und des austretenden Lichts. Im Modellsystem funktioniert die Messung der Filmdicke bereits bestens.

„Bei kommerziellen Abgasnachbehandlungssystemen lässt es sich bislang nicht vermeiden, dass sich die Harnstoff ­lösung an der Wand des Abgasrohrs sammelt.“

Damit die Methode verlässliche Werte liefert, waren einige Vorarbeiten nötig. Kratzer in der Rohrwand etwa beeinflussen das Messergebnis drastisch, denn im Bereich von Vertiefungen ist der Film dicker. Ebenso können die Werte von der Temperatur und der Harnstoffkonzentration des Films abhängen – beides sind schwankende Werte. Schmidt hat sich daher zunächst mit der Lichtabsorption der AdBlueLösung beschäftigt. Dabei ging es ihr vor allem um folgende Frage: Mit Licht welcher Wellenlänge erfasse ich die Dicke des Films, ohne dass die Temperatur und andere Faktoren die Messung beeinflussen? Aus den Voruntersuchungen folgte, dass sich Licht der Wellenlängen um 1.650 und um 1.440 Nano­meter gut eignet. „Wir hatten Glück“, betont Kühnreich: „Licht der Wellenlänge 1.650 Nanometer wird in der Telekommunikation für die Übertragung im Glas­ fasernetz verwendet. Daher gehören entsprechende Laser zum Standard.“ Der 1.440-Nanometer-Laser sei zwar nicht so verbreitet, aber ebenfalls erhältlich. Der Einsatz von zwei Lichtquellen, die verschiedene Wellenlängen aussenden, macht den neuen Sensor besonders robust. Als die geeigneten Laser fest­ standen, hat sich Schmidt einen praktikablen Sensoraufbau überlegt: Die beiden Laserstrahlen werden in eine ein­zige Glas-

Als nächstes soll der Sensor an einem Prüfstand getestet werden, den die Forscher gerade aufbauen. „Die Bestimmung der Filmdicke wird ja erst in einem größeren Kontext spannend, wenn man den Einspritztakt und die Einspritzmenge des AdBlue-Ventils mitbetrachtet, wenn man verschiedene Düsen und die daraus resultierenden Filme untersucht“, unterstreicht Kühnreich. Genau für diesen Zweck will auch die Autoindustrie das System verwenden. Das Stichwort laute „Vorentwicklungsprüfstand“, sagt Kühnreich. Der Sensor solle nicht direkt im Auto eingesetzt werden, sondern dazu beitragen, bessere Katalysatoren mit optimierter Einspritztechnik zu entwickeln. Praktisch ist, dass für die Messung nur ein kleines Loch in der Abgasrohrwand erforderlich ist, um das Licht einzuleiten. „Die per Glasfaser angebundenen Laser können weiter entfernt davon stehen“, sagt Schmidt. Noch hat sie ihren Sensor nicht im realen ­Katalysator getestet, doch Bosch und weitere Unternehmen der Automobilbranche, mit denen die TU-Forscher eng zusammenarbeiten, zeigen großes Interesse. Ohne Frage ist die Minimierung von AdBlue-Filmen nur eine von vielen Möglichkeiten, Schadstoffe in Dieselabgasen zu reduzieren. Es sei charakteristisch für die Wissenschaft, meint Kühnreich, dass sie sich auf ein Detail konzentriere, um etwas zu verändern. Die Einbindung in ein großes Verbundprojekt und zahlreiche Industriekooperationen sorgen dafür, dass die Forscher das große Ganze nicht aus den Augen verlieren und dass sich viele Puzzleteile schließlich zu einer Lösung ergänzen. _ Die Autorin ist Wissenschaftsjournalistin und promovierte Chemikerin.

Wandnahe Prozesse Prozesse an den Wänden von industriellen oder energietech­ nischen Systemen wie Verbrennungs­kammern oder Abgasrohren tragen entscheidend zur Schadstoffbildung bei. Die Wände be­einflussen zudem die Entstehung von störenden Ablagerungen sowie viele katalytische Vorgänge. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verkleinerung von Motoren und Anlagen kommt wandnahen Prozessen eine immer größere Bedeutung zu. Hier setzt der vor drei Jahren gestartete Sonderforschungsbereich Transregio 150 an: Forscher der TU Darmstadt und des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beschäftigen sich in 17 Teilprojekten mit turbulenten, chemisch reagierenden Mehrphasenströmungen in Wandnähe. Messtechniker wie Anna Schmidt und Benjamin Kühnreich arbeiten dabei Hand in Hand mit Numerikern, die Computermodelle entwerfen, um wandnahe Vorgänge zu simulieren. www.trr150.tu-darmstadt.de


Schalter aus der Druckmaschine Die leuchtenden Schalter an den Türen von Bussen sind nachts insbe­sondere für ältere Fahrgäste nicht immer leicht zu erkennen. An der TU Darmstadt wird in Kooperation mit einem Bus-Hersteller ein inno­vatives Druckverfahren für hell strahlende, aber blendfreie Schalter entwickelt.

_ Von Boris Hänßler

Abbildung: Katrin Binner

An einer Bus-Haltestelle muss alles schnell gehen: Wer in einen Bus einsteigen möchte, sucht rasch den Schalter, mit dem sich die Türen öffnen lassen. LEDs beleuchten zwar kreisförmig ein entsprechendes Hand-Symbol, aber nachts strahlen die Dioden so stark, dass die Symbolik insbesondere für ältere Menschen schwer zu erkennen ist. Der Mannheimer Bus-Hersteller EvoBus sucht daher nach Möglichkeiten, neuartige Schalter zu produzieren – sie sollen nicht blenden und dennoch bei allen Lichtverhältnissen deutlich zu sehen sein. Ein Team um Dr. Martin Sauer vom Insti­tut für Druckmaschinen und Druckverfahren (IDD) der TU Darmstadt, das von Professor Edgar Dörsam geleitet wird, hat sich des Problems angenommen und erforscht in dem Projekt „Elektrolumineszenz-Display in kapazitiver Sensorik (ELSE)“ ein innovatives Verfahren für den Druck von Leuchtstoffen.

Im Labor: Mit flexiblen Drucktampons werden einzelne Leuchtsymbol-Schichten und das Druckbild auf dreidimensionale Oberflächen übertragen.

Informationen Institut für Druckmaschinen und Druckverfahren Magdalenenstr. 2, 64289 Darmstadt Telefon: 06151/16–22780 E-Mail: office@idd.tu-darmstadt.de www.idd.tu-darmstadt.de

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Der Vorteil solcher Stoffe ist, dass sie – unter Spannung gesetzt – von sich aus sanft aufleuchten – LEDs sind somit überflüssig. „Notwendig ist ein präzises, effizientes Druckverfahren, mit dem wir beliebige Motive mit möglichst wenig Materialeinsatz herstellen können“, sagt Sauer. Das Projekt wird vom Bundesforschungsministerium durch die Initiative „KMU-innovativ: Photonik/Optische Technologien“ gefördert. Partner sind neben EvoBus die Firmen Captron Electronic in Olching und Franz Binder in Neckarsulm. Das Forschungsteam entschied sich für das Tampon-Druckverfahren. Es wird bei Produkten eingesetzt, deren Oberfläche uneben ist, etwa


Abbildung: Katrin Binner

Teil des Forschungsteams am Institut für Druckmaschinen und Druckverfahren im Fachbereich Maschinenbau: Christina Bodenstein, wissenschaft­liche Mitarbeiterin, Professor Edgar Dörsam, Institutsleiter (Mitte), und Dr. Hans Martin Sauer, Gruppenleiter.

Das Druckverfahren ist nur ein Teil des Projekts – eine weitere Schwierigkeit besteht darin, die Steuerungselektronik des Schalters auf mi­nimalem Raum unterzubringen, damit er in die entsprechende Fassung der Busse passt. Der Schalter soll zudem berührungslos funktionieren. Das IDD arbeitet daher mit dem Fachgebiet Integrierte Elektronische Systeme (IES), Professor Klaus Hofmann, zusammen. „Wir entwickeln einen Chip, der die Beleuchtung und den Sensor steuert“, sagt Katrin Hirmer vom IES. „Er sorgt ebenfalls dafür, dass sich Elektrolumineszenz und Sensorik nicht durch Störsignale beeinflussen.“ Ein Prototyp sei bereits fertig. Nun geht es um die Feinheiten. Da das Druckverfahren ohne Um­stellung der Anlage verschiedene Motive drucken kann, lassen sich auch leicht passende Schalter etwa für Kranken­ häuser oder den Maschinen- und An­lagenbau herstellen. Selbst asiatische Schrift­zeichen wären kein Problem – so ist diese innovative Technik durchaus reif für den globalen Markt. _

„Wir haben eigens eine herkömmliche Druckanlage umgebaut und mit elektrischem Präzisionsantrieb sowie Messsonden versehen.“

Der Leuchtstoff muss dabei äusserst homogen aufgetragen werden, damit die Schicht als Kondensator funktioniert. Zudem soll der fertige Taster bei Bussen zehn Jahre lang halten – in dieser Zeit darf die Helligkeit nicht wesentlich nachlassen. Kein leichtes Unterfangen: „Wir haben eigens eine herkömmliche Druckanlage umgebaut und mit elektrischem Präzisionsantrieb sowie Messsonden versehen“, sagt Christina Bodenstein, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IDD. „So können wir mit Mate­rialien, Formen, Mustern und den Größen der Tampons experimentieren und dank einer von uns entwickelten Software jeden Schritt steuern.“

Der Autor ist Technikjournalist.

Demonstrator: Eine solche Taste mit gedrucktem leuchtendem Hand­symbol soll in öffentlichen Ver­kehrs­mitteln zum Einsatz kommen.

Abbildung: Fa. Franz Binder GmbH & Co.

Modelleisenbahnen oder PC-Tastaturen. Ein elastisches Tampon aus Silikonkautschuk nimmt dabei die Farbe aus einer Druckform auf und überträgt sie auf das Objekt. „Das Tampon-Verfahren ist sehr flexibel“, sagt Sauer. „Aber weil es bisher niemand mit Leuchtstoffen kombiniert hat, gibt es keine Standards.“ Diese Stoffe werden üblicherweise mit Siebdruck aufgebracht, da sie relativ rau sind – unter dem Mikroskop ähneln sie einem Aschenplatz.


Stop and Go im Kaliumkanal Ionenkanäle kontrollieren das Einströmen geladener Teilchen in die Zelle. An der TU Darmstadt ist ein überraschend einfacher Schließmechanismus für einen Kaliumkanal entdeckt worden. _ Von Hildegard Kaulen Zellen brauchen für den Austausch mit der Umgebung Öffnungen in der Zellmembran. Allerdings sind diese Öffnungen keine klaffenden Poren, sondern verschließbare Kanäle, in denen die Signale in Form von Ionen hin und her transportiert werden. Privatdozentin Dr. Indra Schröder von der Abteilung Membranbiophysik der TU Darmstadt, die von Professor Gerhard Thiel geleitet wird, interessiert sich für Kaliumkanäle. Die Physikerin und Nachwuchsgruppenleiterin wirft einen ganz eigenen Blick auf diese winzigen molekularen Maschinen. Ihr geht es nicht um die biologischen Signale, die über die Kanäle ausgetauscht werden, sondern um den biophysikalischen Schließmechanismus. Schröder will wissen, wie der molekulare Riegel aussieht und wie er funktioniert. Dafür arbeitet die Physikerin mit sehr einfachen Kaliumkanälen, um die Analyse nicht unnötig kompliziert zu machen. Sie verwendet zwei Systeme mit ähnlicher Struktur, aber unterschiedlicher Öffnungswahrscheinlichkeit. Ein Kanal ist fast immer geschlossen, der andere fast immer geöffnet. Beide Kanäle stammen aus Algenviren, haben aber große Ähnlichkeiten mit den Kaliumkanälen höherer Lebewesen. Schröder arbeitet zudem in einem zellfreien System und baut die Kaliumkanäle in künstliche Oberflächen ein. „Wir konzentrieren uns einzig und allein auf den Schließmechanismus und blenden alle andere Funktionen der Kaliumkanäle aus“, sagt Schröder. „Weil alle Kaliumkanäle untereinander ähnlich sind, ist dies auch legitim. Wir arbeiten im Grunde mit einem Prototyp, einem Modell-Kaliumkanal so­zusagen.“

steuert den Prozess. Molekulardynamische Simulationen unseres Kooperationspartners Stefan Kast von der TU Dortmund haben dies bestätigt. Wir hatten mit einem viel komplizierteren Schließmechanismus gerechnet.“ Die Nachwuchsgruppenleiterin nimmt an, dass einige humane Kaliumkanäle den gleichen Riegel benutzen wie die beiden viralen Kaliumkanäle, weil sie über die beiden kritischen Aminosäuren verfügen. Schröders Arbeiten sind auch für die synthetische Biologie relevant, weil die Kaliumkanäle und ihr ein­facher Schließmechanismus für die Konstruk­tion künstlicher Nanosensoren verwendet werden können. Das vom European Research Council (ERC) finanzierte Projekt noMagic, an dem Schröder beteiligt ist, manipuliert lebende Zellen mit künstlich hergestellten Kanälen. _ Die Autorin ist Wissenschaftsjournalistin und promovierte Biologin. Die Ergebnisse von Schröder und ihren Kollegen sind im „Journal of the Ame­rican Chemical Society“ veröffentlicht worden: Doi: 10.1021/jacs.7b01158

Schröder und ihr Doktorand Oliver Rauh haben beide Kaliumkanäle mutiert und einzelne Teile wie Versatzstücke hin und her geschoben. Dadurch konnten sie ermitteln, welche Aminosäuren für die geringe und welche für die hohe Öffnungswahrscheinlichkeit verantwortlich sind. Der Kaliumkanal mit der geringen Öffnungswahrscheinlichkeit besitzt an einer kritischen Stelle die Aminosäure Serin. Diese Aminosäure interagiert mit einer entfernt gelegenen Aminosäure und zwingt der Kanal­pore dadurch eine Krümmung auf. Durch diese Krümmung wird eine andere Aminosäure in den Transportweg geklappt und verschließt den Tunnel.

Informationen Fachbereich Biologie PD Dr. Indra Schröder Telefon: 06151/16– 21943 E-Mail: schroeder@bio.tu-darmstadt.de www.bio.tu-darmstadt.de/ag/professuren/indraschroeder/Schroeder.en.jsp

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Abbildung: Katrin Binner

Bei dem Kaliumkanal mit der hohen Öffnungswahrscheinlichkeit ist die Aminosäure Serin gegen die Aminosäure Glycin ausgetauscht worden. Glycin zwingt der Kanalpore keine Krümmung auf und damit auch keinen Verschluss des Tunnels. „Der Schließmechanismus dieser beiden viralen Kaliumkanäle besteht also nur aus zwei Aminosäuren“, erklärt Schröder. „Eine Aminosäure verschließt den Kanal, die zweite

Dr. Indra Schröder


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